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Slaven, Briten und Deutsche.
(Schluss.)
Wir haben gefunden, dass keine tiefen breiten Gründe einen gewaltigen Rassenkampf Deutschlands mit Russland verlangen, dass eine Teilungslinie beider grossen Völker möglich und vorhanden ist; wir fanden dabei Gelegenheit den Streit der Deutschen mit Czechen und Polen zu prüfen und die deutsche Auffassung der Sache den Vlamen ans Herz zu legen.
Wir stehen nun vor der weiteren Aufgabe, die Erscheinungen, welche einen solchen riesenhaften Kampf der zwei grössten Völker Europas begleiten, zu untersuchen.
Ein neuzeitlicher Krieg ist nicht ein Grenzstreit, wie ein Söldnerkrieg der älteren Zeit, er rüttelt das ganze Volk im tiefsten auf, er verschlingt mindestens 5000-10000 Millionen M., er kostet hunderttausende an Toten, Millionen an Kranken, Wittwen und Waisen; zehn unserer Jahrgänge ausgehoben bringen über 3 Millionen Krieger heraus; ein Ringen des Dreibundes und Zweibundes hiesse, zehn Millionen auf's Feld schaffen. Solche Opfer giebt man nicht um ein Nichts oder ein Geringes; nur verbrecherischer Leichtsinn wird mutwillig den europäischen Krieg entfesseln. Und die Kleinen müssen sich hüten, sich als unbeteiligte Zuschauer den Krieg zu wünschen; es ist möglich, ja wahrscheinlich, dass sie schliesslich mit ihrem Lande die Kosten eines unsicher gebliebenen Ausganges und unentschiedener Schlachten zu bezahlen haben.
Wir Deutsche, seit 2000 Jahren verurteilt, mitten in Europa von Völkern umringt zu sein, die alle an unserem Leide verdienen können, werden uns nicht fürchten, gerüstet
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halten, aber den Frieden brechen nur unter dem Drucke ganz gewaltiger unabweisbarer Gründe. Wir müssen also, wenn man uns die Rolle von Vorkämpfern des Germanentums gegen Russland zuschiebt, Umschau halten nach den Mitkämpfern, für welche wir fechten sollen.
Das germanische Land, welches bisher am meisten unter Russland gelitten hat, ist Schweden; in Finnland ist der neue General-Gouverneur grade dabei, die schwedische Sprach, die weitaus herrlichste aller germanischen Sprachen auszurotten; vom Torne Elf aus bedroht Russland die norwegischen eisfreien Häfen am atlantischen Ozean und die grossartigen Erzvorkammern in Lappmark, aber Schweden und Norwegen sind mitten in uraltem germanischen Hauszank, fürchten sich vor Russland und sind schlecht gerüstet. Die Dänen sind gradezu Bundesgenossen Russlands und stets bereit uns in den Rücken zu fallen; es mangelt hier an Raum die dänische Frage zu behandeln, ich beschränke mich auf die Feststellung, dass die Deutschen es beklagen hier in einem Zwist mit Germanen zu stehen, dass aber der Grund dieses Zwistes kein anderer ist, als die gegen jedes historische und moralische Recht erfolgte Einverleibung von Schleswig-Holstein in Dänemark in den Jahren 1848 und 1851. Das Königreich der Niederlande hat kein schlagfähiges grosses Heer und ist dabei nicht im Geringsten geneigt den Deutschen zu helfen. Hof und Volk hielten 1870 mit den Franzosen und der König von Holland war nahe daran den Preussen den Krieg zu erklären. Die Schweiz ist durch Franzosen und Italiener gehemmt und neutral. Belgien besitzt keine allgemeine Wehrpflicht und solange es kein vom General bis zum Trommeljungen rein flämisches Armeekorps besitzt, dürften leider die Neigungen des bestehenden Heeres eher auf Seiten der Franzosen sein. Niederländer und Vlamen haben überdies noch weniger von den Russen zu fürchten, als wir Reichsdeutsche. Es ist sicherlich ein bitteres Gefühl für den germanischen Stamm von dessen Erhaltung das
Bestehen aller germanischen Stämme auf dem Festlande abhängt,
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die Deutschen, dass er verlassen ist; er kann nur auf sich und seine Kraft bauen, auf ernsthaften Nachhalt bei den andern Stämmen darf er nicht zählen. Wenn nun aber Deutschland keine eigenen Belangen zu einem Rassenkampf gegen Russland hat, wenn zugleich die andern festländischen germanischen Staaten keine solche Belangen haben, wenn die Deutschen in solchem Krieg vonden germanischen Mitkämpfern verlassen werden, wie thöricht, wie toll müssten die Deutschen sein um Nichts oder um Zukunftsgebilde oder - für fremde Belangen den furchtbaren Krieg zu wagen.
Denn allerdings ein germanischer Staat bleibt noch zur Besprechung übrig, ein Staat, der allerdings Gründe hat andere Völker gegen Russland zu werfen: England.
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Seit Cromwell und Wilhelm dem Oranier hiess Englands Losung: abstehen vom Festland, herrschen zur See. Die Seebeherrscherin ist nur erreichbar durch Russland. Nicht nur im Belange sondern auch in der kriegerischen Macht stossen die beiden in Konstantinopel, in Armenien, Aegypten, Persien, Indien, China zusammen. England hat vorläufig nur diesen einen getährlichen Feind. Englands Zukunft ist für Jahrhunderte gesichert, sobald ihm zuliebe eine festländische, über Landheere verfügende Macht Russland zerbrochen hat. Was Napoleon I. nicht konnte, kann Nikolaus II., zu Lande England angreifen. Die englische Politik geht unermüdlich dahin, Deutschland zu seinem Sturmbock gegen Russland zu machen. Deutschland soll in langer Schlachtlinie an der Weichsel die Interessen Englands in Ostasien und Indien decken; während Deutschland sich verblutet, kann England die Welt ausrauben. Der uns und den festländischen Germanen von England zugemutete grosse Krieg gegen Russland kann nur enden in Petersburg - Moskau oder in Wien-Berlin-Frankfurt. Die Entscheidung liegt allein auf dem Lande, Bombardements von Kronstadt und Sebastopol sind Nadelstiche, welche reizen aber nicht töten. Solchen
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Aussichten und Ansichten gegenüber müssen die festländischen Germanen kühl fragen: was leistet uns England?
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Die Organisation der britischen Landstreitkräfte ist augenblicklich 1898/99 folgende: 1. Die Yeomanry mit 252275 Mann Sollstärke; sie darf nur in England und Schottland gebraucht, nicht einmal zur Verteidigung Irland's verwandt werden; Feindeslandung allein ermächtigt zu ihrer Einberufung. 2. Die Miliz 130515 Mann; sie darf nur in England, Schottland, Irland und wenn die Miliz selbst zustimmt auf den Kanalinseln, der Insel Man, auf Gibraltar und Malta verwandt werden. Beide Klassen sind schlecht diszipliniert, schlecht geschult und schlecht geführt. Sie kommen für kontinentale Kriege gar nicht in Betracht. 3. Die Reserve, welche auch den Charakter von Freiwilligen trägt; sie kann nur bei ‘drohender nationaler Gefahr und im Notfalle’ ausserhalb des Vereinigten Königreichs verwandt werden; es würde jedenfalls einer längeren Zeit bedürfen, um sie für das Festland gefechtsfähig zu machen, es sind auf dem Papier 83 650 Mann. 4. Da bleibt also allein übrig das stehende Heer in seiner Friedensstärke. Es besteht bekanntlich aus Söldlingen, die den untersten Bevölkerungsschichten angehören, im Jahre 1898/99 253 675 Mann. Dieses stehende Heer kann allerdings durch Neu Werbung im Kriege verstärkt werden; mit den Neulingen aber ist sicherlich im Kriegsfall erst im zweiten Jahre etwas anzufangen. Von der Gesamtziffer aber entfällt die runde Hälfte für den Dienst in den Kolonien und Protektoraten; die Truppen in Aegypten, Indien, Gibraltar, Cypern, Malta u.s.w. sind nicht abkömmlich. Es verbleibt also lediglich das stehende Heer im ‘Vereinigten Königreich’ - 132 005 Mann. Dass diese Truppenziffern in den grossen europäischen Kriegen, wo jede Schlacht mit mindestens 4-6 Armeecorps auf jeder Seite
geschlagen wird, gar keine Rolle mehr spielen, leuchtet auch dem Laien ein. Im Kampfe gegen nackte Wilde, gegen die Gebirgsstämme im Himalaya, gegen die Mahdisten im Sudan,
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gegen die Matabele und andere Völkerschaften sind natürlich diese europäischen Truppen, welche in den Kolonien sorgfältig akklimatisiert werden, mit ihrer überlegenen Kriegsfeuertechnik, vollauf gewachsen; ob sie sich in der Festlandschlacht bewähren, in der sie Truppen der gleichen Bewaffnung entgegen stehen und mit Granaten und Kugeln aus Maschinengeschützen überschüttet werden, steht noch dahin. Sind diese Truppen doch bisher regelmässig von den viel schlechter bewaffneten Buren geschlagen worden. Jedenfalls ist es für die Entscheidung des europäischen Festlandkrieges ganz gleichgültig, auf welcher Seite England steht. In einem Kriege des Zweibundes und des Dreibundes, in dem etwa 10 Millionen Menschen in Kriegsbereitschaft gesetzt werden, wird es ganz belanglos sein, ob sich die 132,005 Briten auf die eine oder andere Seite schlagen. Die britischen Truppen können Kronstadt oder Sebastopol bombardieren, Port-Arthur oder Wladiwostok beunruhigen, in die Entscheidung auf der Schlachtlinie von Krakau bis Königsberg können sie nicht eingreifen.
Mithin bietet die britische Freundschaft da nichts, wo uns alles zu bieten ist, beim Würfeln um den heimatlichen Boden, um das Bestehen, Wachsen oder Untergehen des deutschen Reiches und um die Erhaltung der festländischen Germanen.
Man bewertet den Bundesgenossen zuerst nach seiner Kraft, dann nach seiner Treue. Die Treue hängt ab von dem Gefühl enger Zusammengehörigkeit, beharrlicher Freundschaft und gemeinsamer Belangen.
Wenn das gemeinsame Blut ‘dicker als Wasser’ zusammenbindet, so erscheint die gewünschte Zusammengehörigkeit im Kassegefühl gesichert. Die Briten haben in den letzten Jahrhunderten niemals ein germanisches Gefühl besessen; sie haben vor kurzem den starken und beneidenswerten englischen Stolz zu einem angelsächsischen Bewusstsein ausgebaut. Es kann sein, dass dies die Vorstufe ist zu einer fernen Rückkehr zum Germanentum; vorläufig hat der Brite keine Spur eines germanischen Gefühles.
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Das Kennzeichen eines Volkes ist die Sprache; sagt der epigrammatische Franzose ‘le style c'est l'homme’, sagt rechter der Vlame ‘de taal is gansch het volk’. Er beweist die vollkommene religiöse Herzenslosigkeit des Römers, wenn er vom Zeus bis zum Baal jeden Gott der eroberten Völker mitübernahm; der Mann, der seine Kinder wie die Schafe zählte (Sextus, septimus, decimus) betrieb auch die Religion als Handwerk. So beweist es die vollkommene sprachliche und volkliche Gefühllosigkeit des Briten, wenn er seine Sprache behandelt nicht wie die Laute der Ahnen und der Mutter, sondern wie ein Handwerkszeug zum Gelderwerb; aus allen Enden der Welt, aus römischen, griechischen, hebräischen, französischen Sprachschätzen hat er in seinen Wortschatz die Ausdrücke zusammengeschleppt und ihnen volles Hausrecht gegeben. Mehr als die Hälfte der britischen Wörter ist ungermanisch; ja es ist feiner, romanischer Klänge als germanischer sich zu bedienen, der Farmer in Yorkshire sagt: ‘I must go’, der Kaufmann in London: ‘I am obliged to go.’ Kein Volk der Welt hat so barbarisch gefühllos gegen sich selbst gehandelt.
Kann ein solches Volk germanisches Bewusstsein pflegen? Es gab einmal in England einen Mann, der Germane war, der durch das Greater Britain und das Angelsachsentum durchsah bis zum Allgermanentum und der dies Germanentum liebte: Thomas Carlyle; aber der einsame Gelehrte von Craigenputtock lebte ohne Freunde und starb, ohne Schüler zu hinterlassen.
Bezeichnend sind die Namen, die ein Volk dem anderen giebt. Die bedrängten romanisierten Gallier gaben den Deutschen den Namen ihrer nächsten und furchtbarsten Bedränger, die Alamannen sind ihnen das ganze deutsche Volk und Allemands sind wir noch heute den Franzosen. Die heutigen Bewohner der britischen Inseln nennen uns die Germans; in den Deutschen erschöpft ihnen sich das Germanentum; dass sie selbst Germanen sind, das haben sie vergessen.
Die siegreichen Fransquillons gaben 1830 sich den Namen Belges, den germanischen Vlamen drängten sie gewaltsam
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den keltischen Namen auf; das ist nicht wohlanständig, aber erklärlich. Die siegreichen Angelsachsen aber nennen ihre neue Heimat nach 1000 Jahren Great Britain und sich Briten, sie taufen sich und ihre Kinder mit dem Namen jener Kelten, welche ihre Ahnen gehasst und hundertmal geschlagen haben. Kein Volk der Erde hat das gethan, kein Volk hat je so seiner und seiner Väter vergessen. Wie kann in einem solchen Lande noch ein Tropfen germanischen Gefühls sein?
Die Geschichte wird für uns diese Frage weiter beantworten. In ihrer Lehre giebt sie uns zugleich Antwort auf die Frage, was britische Freundschaft und Treue wert ist. Wir gehen daher lediglich auf die englische Politik gegenüber Völkern ein, mit denen Rassenverwandtschaft und Freundschaft zugleich sie verband.
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Dänemark suchte in den napoleonischen Kriegen sich neutral zu halten. England wie Frankreich drückten ohne jedes Recht beide auf das kleine Land, sich ihnen anzuschliessen. England, dem zu Liebe Dänemark schon ein Heer in Holstein mit einer leisen Drohung gegen Napoleon aufgestellt hatte, versuchte damals seine Unkosten im Kriege gegen Frankreich anderweitig zu decken, erklärte, dass ihm Neutralität nicht genüge und stellte das himmelschreiende Ansinnen, es solle ihm die dänische Flotte als Pfand ausgeliefert werden. Auf die dänische Weigerung erfolgt am 2.-5. September 1807 eine dreitägige Beschiessung Kopenhagens, die dänische Flotte ergab sich und Dänemark verlor in dem folgenden Kriege sämtliche Kolonien und überseeische Besitzungen. Unter anderem raubte England damals Helgoland, womit es später Zanzibar bezahlte.
Wir müssen die Geschichte der vereinigten Niederlande oder wie die Deutschen kurzweg sagen Hollands, der Kürze halber nur soweit streifen, um eben die Erinnerung anzustossen. Die Niederlande standen etwa um das Jahr 1660-40 auf der Höhe ihrer Macht. Sie besassen die Kapkolonie, Ceylon und die Sundainseln, Teile von Indien, zeit- | |
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weilig selbst Brasilien. 1651 kam die britische Navigationsakte; alle Erzeugnisse fremder Weltteile durften nur auf englischen Schiffen in England eingeführt werden, europäische Staaten durften auf eigenen Schiffen nur eigene Erzeugnisse nach England bringen. Das war ein Schutzzoll für den englischen Handel gegen Holland in der schroffsten Form. In zwei Kriegen, welche hieraus entstanden, war Holland siegreich; aber die Akte erfuhr nur wenige Milderungen. 1670 folgte der zweite Schritt: England, Schweden und Holland schliefen ein Bündnis gegen Ludwig XIV; als aber 1672 der Krieg aufflammt, bricht England ohne weiteres das Bündnis und schliesst sich Ludwig XIV. an; beide greifen gemeinsam zu Wasser und zu Lande Holland an. Trotzdem behauptet sich Holland abermals und rettet sich im Frieden von Nymwegen. Nicht im Kriege, nicht als Feind, sondern als Freund und Bundesgenosse sollte England Holland verderben. Die landläufige Anschauung in den Niederlanden geht noch heute dahin, dass es der grösste politische Triumpf Hollands war, als der Oranier den britischen Thron bestieg. Es ist dies eine geschichtliche Unwahrheit, die ausgerottet werden muss. 1688 erwarb Wilhelm den britischen Thron; die beiden Seemächte verbündeten sich sofort gegen Frankreich. Die Holländer schlugen sich für das europäische Gleichgewicht, die Engländer für ihre eigene Handelsherrschaft zur See.
Das Bündnis ging dahin, dass England den Schutz zur See, Holland den Schutz zu Lande übernahm, d.h. Holland wurde aus einer Seemacht gezwungenermassen eine Landmacht, weil es zu Lande von England nicht gedeckt wurde. England's natürliche Kräfte entfalteten sich, seine Schiffahrt überflügelte rasch die Holland's. Holland's Schicksal wurde besiegelt im spanischen Erbfolgekriege. Der Krieg war lediglich ein Kampf Englands gegen die drohende Gefahr einer Vereinigung der französischen Industrie mit der spanischen Kolonialmacht. England zog Holland in den Krieg hinein, zwang es, sich an seiner Südgrenze um Sein oder Nichtsein zu schlagen; inzwischen eroberte England die Erde. Im
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Frieden von Utrecht wurde Holland von England vollkommen preisgegeben, während England eine ganze Unmenge von Stationen und Kolonien erlangte. Holland blieb noch mehrere Jahrzehnte, wie Friedrich der Grosse es schlagend ausdrückte, ‘die Schaluppe im Fahrwasser der Fregatte’ (England). Es schlug sich als Englands Verbündeter, aber bei allen Friedensschlüssen wies England hohnlächelnd auf die Ohnmacht Hollands hin und strich allein den Gewinn das Sieges ein. Den 5. Schritt that England, und zwar den rohesten, während des nordamerikanischen Befreiungskrieges. England versorgte sich mit Truppen wie immer aus dem Festlande, der Kurfürst von Hessen und andere deutsche Fürsten verkauften ihm ihre Landeskinder. England verlangte ohne weiteres, Holland solle den Handelsverkehr mit Frankreich und Nordamerika einstellen. Ja, schliesslich suchte es unter Drohungen, ohne den leisesten Schein eines Rechtes, die Stellung eines Hilfsheeres zu erzwingen. Als Holland sich weigerte, spielte England getreu die Fabel vom Wolf und Lamm durch. Es hob alle Handelsverträge auf, liess Holland's Handelsschiffe kapern, und als auch dann noch nicht Holland kräftig auftrat, erklärte es seinerseits im December 1780 den Krieg. Nach 4 Jahren musste Holland den Frieden schliessen, alle seine Kolonien in Vorderindien abtreten, und den Grundsatz des Utrechter Vertrages: ‘die Flagge deckt die Ladung’, opfern.
Den vorläufig letzten Schritt hat England dann unter den Kriegen der französischen Revolution und unter Napoleon gethan. Holland war England's Bundesgenosse, konnte sich aber, wie zu erwarten war, gegen die französische Revolution nicht behaupten. England erklärte, als Holland vom Feinde besetzt war, dem schwachen Freunde den Krieg, behandelte es von da ab als Feind, weil es vom Feinde überrannt und besetzt war und nahm mit himmelschreiender Ungerechtigkeit den Niederländern ihre letzten Kolonien fort. Bekanntlich besetzte es damals unter anderem zum ersten Male die Kapkolonie, und hier setzt dann die schreckliche Leidensgeschichte der Buren an. Ruhmvoll haben die
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Niederländer sich gegen Spanien und Frankreich behauptet, das ‘germanische’ England hat sie von ihrer Grösse gestürzt.
Seit 1652 sind die Buren und Burghers in Südafrika ansässig. 1785 eroberten die Engländer zum ersten Male das Kap, mussten es aber 1802 im Frieden von Amiens herausgeben, 1806 fallen sie nochmals mit 5000 Mann ein und erhalten es 1815 endgiltig zugesprochen. 1820 kommt das erste britische Schiff mit britischen Einwanderern an. 1837 wandern die vergewaltigten Buren nach Natal aus, aber 1840 beanspruchte das unterdessen über dfen Wohlstand des jungen Reiches geärgerte England bereits die Oberhoheit. 1845 wird thatsächlich Natal überrumpelt und annektiert. Zum dritten Male nimmt die niederdeutsche Bevölkerung ihre armselige Habe und zieht auf den Ochsenwagen über die Drachenberge nach dem Orangefreistaat (unter Prätorius, während einige Buren unter Potgieter schon 6 Jahre dort sassen). Aber auch hier fand das unglückliche Volk keine Ruhe. Schon 1847 rücken die Engländer nach. Es kommt zur Schlacht bei Boomplats, und auch der Orangefreistaat wird englisch. Die englische Verwaltung war allerdings so elend, das sie schon 1854 das Land freiwillig wieder aufgiebt. Schon während der englischen Besetzung des Landes war 1848 das junge freiheitsliebende Volk von Natal aus abermals aufgebrochen und war über die Waal nach Transvaal gewandert; die grossen Landstrecken zwischen Vaal und Limpopo werden 1860 durch Prätorius ver-einigt, ja, es bahnt sich bereits das Bündnis mit dem Orangefreistaat an. 1865 besetzen die Buren langsam das Basutoland, England annektirt es; 1871 stiehlt England mit höhnischem Rechtsbruch vom Orangestaat die Diamantfelder von Kimberley. 30 Jahre lang fast haben die Buren in Transvaal Ruhe gehabt. Jeder Fortschritt des Landes, jedes Entdecken von Kohlen und Gold regt die
britische Gier an und 1877 erscheint ohne weiteres und mit einer grausamen Verachtang jedes Rechts der High Commissionner Shepstone, veranstaltet eine geradezu possenhafte Volksabstimmung, erklärt, das Volk habe sich für
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die Annexion durch England entschieden und nimmt Transvaal in Beschlag; mit Gewalt müssen 1880 die Engländer aus dem Lande geworfen werden. Die weiteren Schritte Englands sind bekannt und noch in aller Gedächtnis. England schiebt Zoll für Zoll sich vor und umklammert das Burenland von allen Seiten, um es zu erdrosseln. 1884 nimmt England die Lucia-Bucht, 1887 das Zululand, von 1889 an erobert die Chartered Compagny das Matabeleland, das Maschonaland und das Manikaland, 1890 gelangen die britischen Truppen bis in das Hinterland von Mozambique und stossen mit den Portugiesen im Maschonaland zusammen; Lord Salisbury drahtet nach Lissabon, der britische Gesandte solle ‘am Abend Lissabon verlassen, wenn nicht bis Mittags das portugiesische Ministerium eine befriedigende Antwort erteilt’ habe. Die britischen Kriegsschiffe drohen Lissabon zu bombardieren. Das Ministerium stürzt und der neue Premierminister Serpa Pimentel sagt in den portugiesischen Cortez wörtlich: ‘Wir haben das Recht, aber England hat die Macht.’ Die Portugiesen müssen das Hinterland von Mozambique abtreten. 1894 drängt England den Kongostaat zu einem Vertrag; der Kongostaat muss im Artikel 3 eine Durchgangslinie an England abtreten, 25 km breit von einem Hafen des Tanganikas bis zu einem Hafen des Nyassa, d.h. also England schuf sich den Weg vom Kap zum Nil; der Einspruch Deutschlands, Frankreichs und der Pforte gegen diese Verletzung der Kongoacte brachte das Projekt zum Scheitern. 1894 im November hetzt Rhodes die Eingeborenen gegen die Portugiesen auf, welche in Laurenço Marques belagert werden; britische Kriegsschiffe erscheinen, um die Delagoabucht zu besetzen, deutsche Kriegschiffe kommen im letzten Augenblicke und vereiteln den Plan. Im
Frühjahr 1895 bittet Transvaal das Gebiet zweier Häuptlinge am Pongolaflusse besetzen zu dürfen; es wäre dadurch an das Meer herangekommen; England erscheint mit seinen Truppen und besetzt das Gebiet selbst. Einen Monat später am 29. April nimmt England auch das Amatongaland.
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So ist die niederdeutsche Burenbevölkerung auf allen Seiten umklammert, nur noch die Delagoabucht ist frei. Die Saat scheint reif zu sein und im Dezember des Jahres wagt nun die Chartered Company die gewaltsame Eroberung. Jameson fällt ein, und zwar, wie das Transvaaler Grünbuch mit Hilfe der auf dem Schlachtfelde von Krügersdorp gefundenen und entzifferten Depeschen schlagend nachgewiesen hat, mit vollkommener Billigung von Rhodes und Chamberlain. Noch einmal werden die Buren gerettet, aber Rhodes arbeitet weiter. Sein Gesandter in Lissabon weiss mit den üblichen Mitteln die portugiesische Regierung zu gewinnen. Frankreich liess gleich nach dem Jameson-Einfall Deutschland im Stich in der Hoffnung, es in einen Krieg mit England treiben zu können. Deutschland allein war zur See zu schwach und so kam jener viel beklagte Delagoa-Vertrag zu Stande, welcher in einer gewissen Zukunft den Besitz der Delagoabucht in britische Hände überführt. England hat die burische Bevölkerung von allen Seiten umfasst und wenn nicht Zeichen und Wunder abermals geschehen, so ist die niederdeutsche Bevölkerungin Afrika rettungslos verloren. Sie wird, überschwemmt von dem Strome britischer Einwanderer, in 100 Jahren nur noch dieselbe Rolle spielen wie die niederländische Bevölkerung am Hudsonfluss, ein ehrwürdiges Schauspiel geschichtlicher Erinnerung, wie sie Washington Irving so poetisch geschildert hat.
An die deutschen Siedelungen in Afrika wagt sich Rhodes noch nicht heran, aber die Kosten des weiteren Vorgehens scheint Belgien bezahlen zu sollen. Rhodes hat vor kurzem eine Audienz bei dem König der Belgier gehabt; sie kann sich nur auf den Kongostaat bezogen haben. Der Kongostaat soll den Durchgang vom Cap zum Nil freigeben. Es hiesse das den Kongostaat vom Hinterland an den Seen, von Deutsch-Ostafrika und vom Handel zum indischen Ozean abdrängen; aber Belgien ist klein und England ist gross.
Das ist ein kurzer Abriss der germanischen Politik Englands.
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Historia docet! Die Deutschen haben besonderen Grund die Fussspuren der englischen Geschichte auf dem Leibe germanischer Völker mit Aufmerksamkeit zu betrachten. Wir haben leider besondere Ursache, England zu fürchten und uns misstrauisch zur Abwehr zu rüsten. Nächst Russland, das sich in Asien vorschiebt, ist Deutschland das für England gefährlichste Land. Unsere Ströme schliessen Deutschland zur Nordsee auf, unsere ausgedehnte Küste, unsere zahlreichen Seehäfen, unser gewerbfleissiger Volkscharakter machen uns zu natürlichen Wettbewerbern für die Briten.
Aber das entscheidende und bei allen Völkern im tiefsten Grunde die Politik beherrschende Moment, das ist die Bevölkerungs bewegung. 1870 hatten Frankreich und Deutschland je etwa 38,5 Millionen Einwohner. Heute hat Frankreich 38,6 Millionen, Deutschland 55 Millionen. Der Geburtenüberschuss beträgt zur Zeit in Deutschland jährlich rund 800 000 Köpfe, in Frankreich etwa 86 000-100 000. In den 10 Jahren 1887-1897 betrug die Ueberbilanz der Geborenen in Deutschland 6 699 226, in Frankreich 292 315. Diese Bevölkerungsmassen, welche bei uns geboren werden, nach Brot schreien und später Arbeit suchen, können wir, da der Grund und Boden nicht wächst, nur in der ausdehnungsfähigen Industrie beschäftigen oder über die See in Kolonien abschieben. In beiden Richtungen also, in der industriellen wie in der kolonialen, treten wir damit notgedrungen als Wettbewerber Englands in die erste Reihe der Völker.
Allerdings ist noch heute Englands Handel und Schifffahrt der deutschen überlegen. Aber nach England steht doch Deutschland heute an erster Stelle. Der Aussenhandel Englands betrug 1895 16 222 Millionen Mark, dann kommt Deutschland mit 9051, die Ver. Staaten mit 7697, Frankreich mit 7093 Millionen Mark. Wir haben uns dabei gerade in den Gewerbszweigen bethätigt, die auch Englands Kraft bilden: Kohlen, Eisen, Stahl, Gewebe, kurz Massenerzeugnisse. Wohl ist England uns noch in vielem überegen, wohl steht ihm leichter die Erde offen als uns, da wir
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keine eigenen absatzfähigen Kolonien haben. Aber wir schreiten doch rasch vorwärts.
Daher der Durst Deutschlands nach eigenen Kolonien. Wir haben als Völkerdünger Russland, Ungarn und Polen, die Ver. Staaten von Nordamerika, Australien, Neuseeland, kurz die ganze Welt mit unsern Landeskindern gedüngt. Sie sind im Laufe der Jahrzehnte uns entfremdet und verloren. Um jeden Preis will das deutsche Volk dem ein Ende setzen. Wir wollen und müssen eigene Volkssiedelungen über See erhalten. Damit stossen wir aber an die andere, empfindlichste Stelle der Briten, ihre koloniale Grösse.
Wohl ist Platz auf der Erde für alle germanischen Völker, aber in einem gleicht doch England zu sehr Karthago. Neid und Unersättlichkeit beherrschen es so weit, dass es niemand etwas gönnt. Deutschland hat keinen Grund, das zur See mächtigere England anzugreifen, aber des sind wir sicher: England hat keinen Grund, gegen Deutschland anders zu verfahren, als ehedem gegen seine alten Wettbewerber Dänemark, Holland, Frankreich, Spanien, Portugal und die Buren. Es ist ein beklagenswertes Verhängnis, welches hier waltet. Wir Deutsche sind nicht die Friedensstörer, aber wir haben aus der Geschichte Hollands und der Buren gelernt und wir sind gewarnt. Als Freund wie als Feind ist England in jeder Weise gefährlich.
Das ‘Königreich der Niederlande’ ist vorläufig dem Kreis britischer Kolonialpolitik entrückt und ziemlich ausser Gefahr. Die alte koloniale Grösse hat es verloren und steht nicht mehr als gleichberechtigter Nebenbuhler neben England; seine Bevölkerung wächst langsam und ist absolut gering, hat also geringes Auswanderungsbedürfnis; sie treibt Ackerbau und schiebt sich nicht mit der Industrie auf den Weltmarkt neben England. Die Briten fühlen sich von dort nicht bedroht.
Ganz anders steht Belgien. Ein Land mit dichter, rasch wachsender Bevölkerung, starkem Auswanderungstrieb, hoch
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entwickelter Industrie und bedeutendem Ausfuhrhandel. Die belgischen Erzeugnisse bedrängen und verdrängen die britischen an allen Ecken und Enden der Welt. Belgien ist ein natürlicher Nebenbuhler Englands. England muss, sobald es die älteren Kolonien mit seinen Landeskindern und Waren gefüllt hat, immer wieder neue Kolonien suchen und auf dieser Suche wird es nach Ueberwältigung der Buren zuerst auf Niemand Andern stossen als auf den Kongostaat.
Vom Mittelalter ab haben die Briten es verstanden, ihre festländischen Kriege ausfechten zu lassen durch die Festländer selbst. Im Mittelalter waren es vorzugsweise die Vlamen und die Herzöge von Sachsen, welche, von England gewonnen, die Geschäfte Englands besorgten und für dasselbe gegen Frankreich die Schlachten schlugen. Im spanischen Erbfolgekriege waren es die Niederländer und die Brandenburger. Im siebenjährigen Kriege waren es die Preussen und die Hannoveraner, im nordamerikanischen Befreiungskriege die Hessen, Braunschweiger und Württemberger, in den napoleonischen Kriegen wiederum die Niederländer, Preussen und die Hannoveraner. Bei Waterloo standen im Gefecht unter Blücher 75 000 Preussen, unter Wellington 30 000 Hannoveraner und Braunschweiger, 13 000 Holländer und nur 24 000 Mann in britischen Regimentern, von denen aber wieder ein Drittel etwa deutsche Söldlinge waren. Es standen also ungefähr 16 000 Briten und 126 000 Deutsche bezw. Niederdeutsche im Feuer. Das hindert die Engländer natürlich nicht, stets von ihrem Siege bei Waterloo zu reden. Das deutsche Volk von heute weigert sich, Söldnerdienste und Knechtesdienste für England zu thun; wegen solcher Weigerung hat England s. Z. Dänemark und Holland den Krieg erklärt; gegen uns begnügt man sich vorläufig mit Hass und Schmähung.
Aber dieser Hass sitzt tiefer; er glüht zugleich heraus aus dem Pfuhl neidischen Wettbewerbes; jede Ausgabe der ‘Times’ zeugt davon.
Die festländischen Germanen haben nicht die ge- | |
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ringste Ursache, einen Krieg gegen Grossbritannien heraufzubeschwören, sie werden froh sein, wenn England sie in Ruhe lässt. Allein sie müssen zweierlei unabänderlich verlangen: 1) die Erhaltung der festländischen Germanen in ihren gegenwärtigen Sitzen. England kann infolge Mangels einer bedeutenden Landmacht und wird infolge seiner Selbstsucht niemals etwas dafür thun; es wird nur suchen, wie bisher die festländischen Germanen gegen seine jeweiligen Gegner auszuspielen. 2) die Ausdehnung über See durch gewerbliche Ausfuhr und durch Gründung von Siedelungen für den Geburtenüberschuss. Nach allen bisherigen Erfahrungen wird England diese Beseitigung seines Monopols auf die Dauer nicht dulden.
Stärkung durch Vermehrung der eigenen Seemacht und durch Bündnisse ist darum Gebot der Selbsterhaltung. Hat Grossbritanien erkannt, dass es allein zu schwach ist, allen Mächten die Spitze zu bieten; so ist vielleicht der Tag gekommen, den mein verehrter und gelehrter Freund Herr Prayon von Zuylen herbeisehnt: der Tag des allgermanischen Bündnisses.
Essen, 15. Februar
Dr. Reismann-Grone.
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