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Luxemburger Zustände.
‘Mir welle bleiwe, wat mir sin.’
Als der Sturmdämon Wode durch Germaniens Gauen zog, war das heutige an Wald, Wasser, Wiesen und Wild reiche Ardennenland bereits den Kelten entrissen. Germanische Stämme hatten sich angesiedelt; Sagen und Märchen, heute noch im Munde des Volkes, beleben die Erinnerung an die graue Vorzeit. Ein reicher Schatz, in deutscher Mundart überliefert, hat sich bis auf die heutige Zeit erhalten und legt beredtes Zeugnis ab von mehrtausendjährigem Band, das dieses romantische Wald- und Hügelland an die alte Mutter Germania fesselt. Der wilde Jäger, das wütende Heer, Schimmelreiter stürmen allnächtlich daher, während Riesen und Zwerge drohen und necken und dem noch ganz deutsch gebliebenen kernigen Bauernvolk Grauen und Gruseln in dämmernder Stunde und zur Nachtzeit bereiten. Ein Ueberbleibsel aber, ein in Fels gehauenes uraltes Götterbild, blickt schweigsam Jahrtausende hindurch in's Land hinein, fernhin über Kronen von Eichen und Buchen, ein Wahrzeichen aus grauer Vorzeit. Unweit von Altlinster beinahe in der Mitte des Grossherzogthums steht ein von Felsen durchsetzter Wald. Das blasse Gestein wirkt in der Abenddämmerung gespensterhaft. Spukgestalten in langen grauen Mänteln scheinen umher zu hocken. Aus einem dieser Steine treten zwei übermenschliche Gebilde hervor. Das eine in weiblicher Kleidung schaut hoheitsvoll gebietend auf das andere, einen Mann, in demütiger unterwürfiger Haltung. Nach allen Anzeichen die heilige Nerthus, die besonders von germanischen Stämmen der Nordsee verehrte Göttin der fruchttragenden Erde. Der sie an der Hand haltende
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Mann scheint der Priester zu sein, der die im Frühling wieder erwachte Göttin zum Wagen führt, um sie inmitten der jubelnden Menge zum Bade, im heiligen stillen See zu geleiten. Im Volksmunde heisst der merkwürdige Stein ‘Herthesschrein oder auch Herthesley’. Weit nach vorn geneigt bot er selbst dem Götterbild Schutz gegen die Unbilden der Witterung und erhält es so Jahrtausende hindurch. Ganz in der Nähe trägt ein zweiter Fels den Namen ‘Freyley’, sich auf den nordischen Freyr oder, und dies scheint annehmbarer, durch Ablautung auf Frija, die Gemahlin des Tiuz, beziehend. Jedenfalls finden wir dort eine uralte Cultusstätte aus der germanischen Vorzeit.-
Eindringlinge aus dem fernen Süden entweihten die heiligen Haine und machten sich das Land dienstbar; weitere Jahrhunderte hindurch gedieh es zu Nutz und Frommen des mächtigen Roms. Dann brachen wiederum Zeiten der Gewalt und Vernichtung herein, die Herren des Landes erlagen dem wiederholten furchtbaren Ansturm der blondbärtigen Männer aus dem Norden. - Das fränkische Zeitalter bricht an und erreicht den Höhepunkt in der Person des ersten mächtigen Kaisers, des grossen Karl, dessen Urenkelin Irmgart die Ahnfrau des alten ardenner Grafengeschlechts wurde. Der erste luxemburger Graf war ihr Enkel Siegfried, der im Jahre 980 Otto den Grossen als Oberlehnsherrn anerkennt. Nun wird das Land durch die engsten Bande an das deutsche Reich geknüpft. Sein erster Sohn wird Baiernherzog, der zweite, Friedrich, ist Nachfolger in Luxemburg, ein dritter wird Bischof von Metz, die Tochter Kunigunde (die Heilige) heiratet Kaiser Heinrich II. und schliesslich bemächtigt sich sein jüngster Sohn des Erzstuhls von Trier in widerrechtlicher Weise. Er verteitigt sich, unterstützt von seinen Brüdern, in langwierigen Krieg mit wechselndem Erfolg gegen seinen Schwager, der, als Oberhaupt des Reiches, das verletzte Recht rächen wollte. Das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, ein treffliches Erbteil des luxemburger Stammes, zeigte sich hier in glänzender Weise. Oft uneinig im eigenen Hause, stehen sie wie ein Mann dem äussern Feind geschlossen gegenüber: Sie wollen bleiben was sie sind!
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Mächtige Dynasten von glänzender Vasallenschaar umgeben, ziehen über die Grenzen und streiten ruhmvoll, wohin ihre und deutsche Interessen sie rufen. Unzählige, teils prächtige Ruinen erzählen noch jetzt dem staunenden Wanderer von der Kraft und dem Reichtum der damals herrschenden Kaste. Burgtrümmer, wie die von Vianden und Beaufort werden selten in andern Ländern anzutreffen sein.
Verschwunden sind die von Kampf-, Herrsch-, Ehr- und Ruhmsucht erfüllten Zeiten und von all diesen streitbaren Geschlechtern leben heute nur gar wenige noch im Lande. Die Nassauer, ehemals auf Vianden sitzend, sind heute auf dem Thron. Die Grafen von Ansenburg sind hinabgestiegen in's Thal zu Füssen der alten Stammburg, und die einst mächtigen Barone de Waha, deren Altmutter dem französischen Königshaus entspross, sind in Luxemburg wenigstens des reichen Besitzes und Glanzes entkleidet. In meiner Kinderzeit begegnete mir oft ein Bettler in blauem Kittel, begleitet von zwei barfüssigen Knaben, um Almosen bittend, nach seinen Verhältnissen gefragt, gab er die bedeutsame Antwort: ‘Ich bin der Baron de Waha de Grummelscheid’.
Die späteren Grafen und Herzöge von Luxemburg, die häufig französischen Interessen dienten, spielten in der deutschen Geschichte eine grosse Rolle: Erzbischöfe, Kurfürsten, Könige und Kaiser entstammten dem mächtigen Hause. Mit Kaiser Sigismund stieg, der letzte Sprosse des alten Grafenstammes in die Gruft.
Die Herzöge von Burgund gebieten im Lande. Fremdherrschaft und endlose verwüstende Kriege sind die Folge; eine Hauptrolle aber in der nun folgenden und spätern Zeit spielen die Franzosen, den luxemburger Boden mit Blut und Asche düngend. Das spanisch-östreichische Haus erbte das Land zugleich mit den Niederlanden; sein Geschick ist nun eng mit diesen verknüpft in guten und bösen Tagen. Dann aber kamen die Revolutionsjahre 1792-94 und am 31. August 1795 werden die Luxemburger Franzosen. Sie blieben nun nicht mehr was sie einst waren! Die Wohlthat der Einverleibung in die
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französische Republik bezahlte das Land mit drei Millionen, dem Verlust der alten Freiheiten, Rekrutenaushebung, schweren Steuern in Geld und Natura, der Kontinentalsperre und unaufhörlichen Kriegen. Der Fall Napoleons brachte wieder Anschluss an's deutsche Reich und territoriale Selbständigkeit unter den holländischen Königen von Oranien-Nassau. Durch den Londoner Vertrag 1867 wurde das Land gänzlich unabhängig, nachdem durch die Wachsamkeit Bismarcks ein französischer Anschlag auf Luxemburg vereitelt worden. Mit der Selbständigkeit war nun das höchste Ideal erreicht. Nun konnte der freie Luxemburger wieder aus tiefstem Herzen singen: ‘Mir welle bleiwe wat mir sin.’
Dieser im Nationallied tausendfach wiederholte Ruf ist politisch wohl gerechtfertigt: das Land, finanziell vortrefflich regiert, kennt keine Armut.
Die leitende Klasse aber thut Alles um das höchste Ideal der Bevölkerung zu gefährden. Die Luxemburger sind, wie wir sehen, von uralten Zeiten her Germanen gewesen und das müssen sie bleiben.
Durch falsche Erziehung und durch ihre Lebensweise sind die höhern Stände Bastarde geworden, die sich je länger je mehr von der ländlichen Bevölkerung und den Stammesgenossen abscheiden. Ihr Auge ist starr nach Westen gerichtet, und so sehen wir in diesem germanischen Land das Ungeheuerliche, dass eine fremde Sprache in Verwaltung und Gesetzgebung die führende geworden ist.
Das Französische erklingt in den Kammern, es wird von den Behörden gebraucht. Jede offizielle Aeusserung dem ganz deutschen Landesfürsten gegenüber geschieht in der fremden Sprache. Die vortreffliche Volksschule ist notwendiger Weise deutsch geblieben, nur in zwei oberen Klassen wird das Französische betrieben. Der mittlere Unterricht aber wird in deutscher und französischer Sprache erteilt. Die höhere luxemburgische Gesellschaft liebäugelt fortwährend mit Frankreich, obgleich ihr von dorther keine oder doch nur geringe wirkliche Vorteile geboten werden. Paris und Brüssel bilden die
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Anziehungspunkte der tonangebenden Kreise. Dies ist der Zustand im sogenannten germanischen Grossherzogtum.
Ungleich schlimmer aber sieht es im wallonischen Teile, im Lande der Deutsch-Belgier aus. Hier herrscht in allen Schichten der Bevölkerung der französische Geist unbedingt vor. Ausgenommen kann höchstens in ganz letzter Zeit ein verschwindend kleiner Bruchteil werden.
Von einer freundschaftlichen Verbindung der Deutsch-Belgier mit den Vlamen, keine Spur, im Gegenteil, den Vlamen erstanden grade aus Deutsch-Belgien von jeher die heftigsten Gegner. Den Beweis lieferte in letzter Zeit die Stellungnahme der Luxemburger zum vlämischen Gleichheitsgesetz De Vriendt-Coremans. Durch ihre Quertreibereien wäre dasselbe beinahe zum zweiten Male zu Fall gebracht worden. Der schlaue Abgeordente Lorand, der den luxemburgischen Wahlkreis Virton vertritt, stellte den Antrag, der deutschen Sprache dieselben Rechte zuzuerkennen wie den beiden andern Landessprachen. Demnach sollten in den gesetzgebenden Versammlungen in Belgien die drei Sprachen gleichzeitig gebraucht und alle Gesetze in denselben beraten und gestimmt werden. Das hiesse ungefähr dasselbe als dem deutschen Reichstag zumuten neben der deutschen Sprache französisch, polnisch, wendisch, masurisch und Gott weiss was noch zu gebrauchen. Solchem Unsinn erklärte die Mehrheit des Hauses und das Ministerium die Zustimmung zu versagen. Man warnte den Abgeordenten De Vriendt Propaganda für denselben zu machen, anders müsse das ganze vlämische Gesetz verworfen werden. Die geschickt gelegte Falle wurde glücklich vermieden. De Vriendt aber stimmte seinen Gleichheitsgrundsätzen zufolge für den Lorand'schen Antrag, obgleich er denselben für unzeitgemäss hielt. Die Vlamen mussten aus Selbsterhaltungsgründen die Deutsch-Belgier ihrem Schicksal scheinbar überlassen. Scheinbar, denn in Wahrheit lag diesen Deutsch - Belgiern eigentlich spottwenig an der deutschen Sprache, sie wollten, wie stets die stammverwandten Vlamen gemeinsam mit den doktrinären Wallonen bekämpfen. Ganz unverfroren erklären sie das im Senat, sagend,
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dass nach dem Grundsatz der Billigkeit, die Vlamen den Antrag Lorand annehmen müssten, geschähe dies aber, so entstände heillose Verwirrung. Man wollte einfach das so heiss ersehnte vlämische Gesetz durch Zusätze derartig verschlechtern, dass es dem Senat und dem König unmöglich gewesen wäre dasselbe anzunehmen.
Die Vlamen kämpfen über sechzig Jahre für ihre Sprachrechte mit einer Hartnäckigkeit, die endlich zum Siege führte. In Gemeinden, Provinz und Schulen eroberten sie schrittweise, unter unglaublichen Anstrengungen, das natürliche Recht ihre Sprache zu gebrauchen. Was thun aber in dieser Zeit die Deutsch-Belgier? Nichts! Nichts! Bis heute wurde in den Gemeinde-und Provinzialräten Belgisch-Luxemburgs vergebens auf ein deutsches Wort gehofft. Verwaltung, Justiz und Schulen unterliegen vollständig dem französischen Sprachgebrauch. Erst in ganz letzter Zeit entstand ein deutsch-belgischer Verein und an der Spitze desselben der verstorbene Staatsminister Nothomb, der heftigste Gegner der Vlamen. Eine einzige Wochenzeitung, ‘Die fliegende Taube’ verficht deutsch-belgische Interessen, während wohl tausend vlämische Vereine und hunderte von Zeitungen und Zeitschriften die germanischen Bestrebungen in Flandern stützen. Was nun gar das Deutsche in den Schulen der Deutsch-Belgier anbelangt, so lassen in dieser Beziehung die Zustände Alles zu wünschen übrig. Kein Kind der belgischen Volksschulen, das in's Arloner Gymnasium aufgenommen wird, ist imstande deutsch zu lesen, geschweige zu schreiben, das Französische aber parlieren alle. Auf dem Gymnasium wird dann gleichsam wie zum Hohn diesen Deutsch-Belgiern das Deutsche mit Hülfe des Französischen notdürftig eingepaukt. Die Reichsdeutschen sind schlecht unterrichtet, welche glauben, dass der Antrag zu Gunsten der deutschen Sprache an der Feindschaft der Vlamen scheiterte. Nur die bitterste Notwehr zwang dieselben zur Ablehnung, zumal von deutsch-belgischer Seite unerhörte Heuchelei und Hinterlist im Spiel war.
Der Streit ist zu Ende, hoffen wir nun, dass Vlamen und Deutsch-Belgier Mittel und Wege zur endgültigen Verständigung
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finden. Dem germanischen Elemente gehört die Zukunft in diesem Lande, darüber kann kein Zweifel walten. Bereits die nächste Zeit wird manche Ueberraschung bringen.
Wenn aber die intelligenten luxemburgischen Elemente eingesehen haben, dass ihnen durch das vlämische Gesetz bedeutende Vorteile erwachsen, weil sie imstande sind die beiden andern Landessprachen mit Leichtigkeit zu erlernen, so werden sie freudig zugreifen, dann aber ist ihrer Verwendung in dem von ihnen so sehr bevorzugten Verwaltungsdienst Thor und Thür geöffnet.
Hand in Hand müssen sie mit den Vlamen vorgehen um völlige Gleichstellung in allen Zweigen zu heischen. Die vlämische Sprache, die erobernd vordringt, bringt dem sprachgewandten Deutsch-Belgier stets neue materielle Vorteile. Möge die luxemburgische Losung: ‘Mir welle bleiwe wat mir sin’ auch die hohe Bedeutung haben: Wir wollen bei voller politischer Unabhängigkeit Germanen sein und bleiben, wie unsere Voreltern es von Alters her stets gewesen sind.
Brüssel.
Baron von Ziegesar.
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