| |
| |
| |
Entzauberte Bücher
Von Walter Krieg, Universitätsbuchhändler in Wien
Dankbar machen wir von der wohlwollenden Genehmigung des Verfassers und des Verlegers Gebrauch, den folgenden Aufsatz hier abzudrucken. Der Aufsatz erschien zuerst in einem dem ‘Buch und Verlag’ gewidmeten Sonderheft der Zeitschrift ‘Atlantis’ (1954 Heft 7). Dort leitete der Herausgeber die Ausführungen des Herrn Krieg folgendermassen ein:
Der Verfasser wertvoller Beiträge zur Geschichte des Verlagsbuchhandels spricht in diesem bekenntnishaft persönlichen Aufsatz aus seiner reichen Erfahrung als Verlags-, Sortiments- und Antiquariatsbuchhändler über die Kulturkrise, die heute jeden verantwortungsbewuβten Verleger beschäftigt. Herr Krieg geht bei seinen Betrachtungen von den Verhältnissen in Deutschland und österreich aus, wo zwei Weltkriege und zwei Geldentwertungen eine besondere Lage geschaffen haben. Wenn daneben auf gewisse ‘amerikanische’ Formen des allgemeinen ‘Zivilisationsverderbens’ (diesen Ausdruck prägte schon Pestalozzi) hingewiesen wird, so können wir freilich auch jene Kulturkatastrophe nicht mit Schweigen übergehen, die das Dritte Reich heraufbeschworen hat; denn durch den Hitlerschen totalitären Staat wurde eine jahrhundertealte Tradition des freien Kuturaustausches zerstört, die in der Buchstadt Leipzig ihre besondere Pflegestätte hatte. Vielleicht wird es erst von jenseits der deutschen Grenze her gesehen deutlich, wie tief dadurch insbesondere die Weltgeltung der deutschen Sprache und das früher so selbstverständliche Zusammengehörigkeitsgefühl des ganzen Sprachgebietes erschüttert worden sind. Die nachfolgenden Ausführungen verlieren durch diese überlegung freilich nichts von ihrer Aktualität für alle europäischen Länder.
Der Buchhandel gehört wie die Theater, die Sinfonieorchester, Museen und wissenschaftlichen Vereine zu den Kultureinrichtungen der menschlichen Zivilisation, nur lebt er, zum Unterschiede von ihnen allen, lediglich vom Verkaufe seiner ‘Ware Buch’ und muss sich den unerbittlichen Gesetzen der Wirtschaft fügen. Denn auch seine Existenz ist abhängig von wohldurchdachter Planung, von genau kalkulierten Produktions-, Werbe- und Verteilungsmethoden. Zwar leisten auch Theater und Orchester
| |
| |
nichts umsonst; sogar die Museen fordern - wenigstens auf dem europäischen Kontinent - Spesen mittragende Eintrittsgelder, und die wissenschaftlichen Gesellschaften erheben ihren Aufwand deckende Mitgliedsbeiträge. Trotzdem aber können sie alle mit ihr Dasein sichernden Zuwendungen in Gestalt von staatlichen Subventionen, von Stiftungen, Legaten und dergleichen rechnen. Es würde als absurd empfunden werden, wollte ein Finanzamt von der Genossenschaft der weltberühmten Wiener Philharmoniker gewinnausweisende Bilanzen fordern und alle jene Steuern von ihr eintreiben, die es unerbittlich beim kleinsten Buchhändler geltend macht. Wir hören von Millionenzuschüssen, die fast alle Theater jahraus, jahrein erhalten und lesen von - häufig verloren gegangenen - Millionengarantien des Staates bei der Herstellung von Filmen. Und wir lassen uns schließlich auch ein- oder zweimal jährlich davon unterrichten, daß eine Gruppe opferwilliger, einsichtiger Industrieller einen (für sie steuerabzugsfähigen) Betrag von ein paar Millionen aufgebracht hat und zur Förderung von Wissenschaft und Forschung verteilen läßt, wovon dann ein gewisser Prozentsatz auch auf die Drucklegung von solchen wichtigen wissenschaftlichen Werken verwendet wird, die zumeist wegen ihrem eng begrenzten Interessentenkreis sonst einfach nicht vervielfältigt und verbreitet werden könnten.
Der Buchhandel ist ein Teil der Kulturindustrie. Es ist jedermann einleuchtend und auch geläufig, daß ein Unternehmer immer gewisse Artikel hat, die dank der Regelmäßigkeit ihres Absatzes, dank den in langen Jahren erprobten Verkaufsmöglichkeiten gewissermaßen das Rückgrat, die Grundlage seines Betriebes ausmachen: sie sind zu gut eingeführten Bedarfsgegenständen für den Verbraucher entwickelt worden, ihr Hersteller kann ziemlich genau mit ihren Erträgen kalkulieren und seine Tätigkeit nach diesen sich aus ihrem Verkauf ergebenden Einnahmen ausrichten. Diese durch ehrliche Initiatieve erworbene Stabilität erlaubt auch der betreffenden Firma, sich mit gewissen zukunftsträchtigen Dingen abzugeben, bei denen weder von vornherein auf Gewinn geschaut wird noch mit materiellen Erfolgen gerechnet werden muß. Es ist dasselbe, wie wenn zum Beispiel ein chemisches Werk seine Einkünfte aus gutgehenden Präparaten in die Entwicklung neuer Forschungen durch Versuche im Labor investiert. Beim Buchhandel war eine ähnliche Arbeitsbasis das Schulbuchgeschäft in vielen mittleren und
| |
| |
großen Verlagen, das die sichere Grundlage für die übrige verlegerische Arbeit abgab; heute hat dies die öffentliche Hand fast zur Gänze an sich gebracht. Staat, Länder, Gewerkschaften, Parteien und sonstige große Organisationen betätigen sich buchhändlerisch, vornehmlich verlegerisch und haben sich dabei häufig Monopolstellungen geschaffen, die dem freien Buchhandel seine Arbeit auf jenen Interessengebieten nur noch am Rande erlauben.
Es sind aber noch andere außerhalb des Gewerbes liegende schwerwiegende Gründe, die das Schicksal der Bücher nicht erst seit heute und gestern weitgehend beeinflussen. Man hört oft die Meinung vertreten, daß das Buch noch vor fünfzig und sechzig Jahren eine unerschütterte, dominierende Stellung im Dasein des gebildeten Menschen eingenommen habe, weil man damals weder Radio noch Schallplatten kannte und sich das Kino im besten Falie gerade anschickte, ein recht simples Unterhaltungsmittel für Sonntagnachmittage zu werden. Aber die tatsächliche große Krise des Buches hat schon viel früher begonnen, sie reicht zurück in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, in jene Epoche, in der das industrielle Zeitalter mit Macht anbrach. Damals wurden die großen illustrierten Familienzeitschriften ins Leben gerufen: ‘Kladderadatsch / Organ für Bummler’ (1848) - ‘Die Gartenlaube’ (1853) - ‘Westermanns Monatshefte’ (1857) - ‘über Land und Meer’ (1858) - ‘Daheim’ (1865), um nur einige zu nennen, und der Kolportagebuchhandel begann mit seinen Groschenheften nach und nach über die Hintertreppen auch in die Häuser der Gebildeten einzudringen.
Es ist der Beginn des Zeitalters der großen Täuschungen: Simili und Straß und Doublé und tausenderlei andere Imitationen drängen sich mehr und mehr an die Stelle des Echten. Die Industrie ahmt mit Serienanfertigungen schwer geschnitzte Renaissancemöbel nach; man baut in neugotischem Stile, die Fassaden der erstehenden protzigen Häuser sind mit Stuck überladen, Tapeten treten an die Stelle des bisherigen einfachen Anstrichs oder der kostbaren Seidenbespannung der Wände, bunte öldrucke (Reproduktionen!) und sentimentale Wandsprüche, auf Kanavas gestickt, bilden den Zimmerschmuck in Gemeinschaft mit tausenderlei Nippes, imitierten Tanagrafiguren, Abgüssen und billigem Serienprozellan.
Hatte die Mode früher nur einen kleinen Kreis bestsituierter Menschen berührt, machte eine sogenannte kosmetische Industrie gerade ihre allerersten Gehversuche, so wurde das
| |
| |
nun über Nacht anders. Und unablässig wird seitdem in der ganzen Welt an einem konfektionierten Menschentyp gearbeitet. Millionen denken das gleiche, haben genau die gleichen Bedürfnisse, Sehnsüchte, den gleichen Geschmack, sie sehen die gleichen Filme, tragen die gleichen Kleider, verbringen den Tag auf die gleiche Weise, hören durchs Radio die gleiche Musik, nehmen direkt und indirekt Anteil an den gleichen Veranstaltungen des Sports, der Politik und zahlloser anderer öffentlicher, offizieller und inoffizieller Kundgebungen. Sie lesen die gleichen Illustrierten, die gleichen Tageszeitungen, Zeitschriften und Sensations-Wochenblätter, sie essen die gleichen Konserven, rauchen die gleichen Zigarettenmarken; ja selbst ihre Gesten gleichen denen der populären Vorbilder im Film. Sie reisen zu Ferienzeiten in großen Autocars auf den gleichen wohlbekannten und erprobten Routen, schreiben massenhaft kitschig bunte Ansichtkarten mit den gleichen Texten an ihre Freunde zu Hause und haben die gleichen Erlebnisse in den immer wieder gleichen fremden Städten und Ländern. Sie lesen - wenn sie überhaupt noch Zeit zum Lesen finden - alle die gleichen Bücher, die darum zu Bestsellern werden.
Von Jahr zu Jahr ist es in den letzten Dezennien dabei deutlicher geworden, daß der Erfolg eines belletristischen Werkes von der Gewichtigkeit seines Umfanges abhängig ist. Diese Tatsache steht auch nur in scheinbarem Widerspruch zu der Devise unserer schnellebigen Tage ‘Zeit ist Geld’. Da die Käufer häufig ohne alles eigene literarische Beurteilungsvermögen sind, macht ein erzählendes Buch von etwa tausend und mehr Seiten auf seine Erwerber einen absolut vertrauenerweckenden Eindruck: es verspricht ihnen quantitativ den rechten Gegenwert für den verlangten Kaufpreis.
Instinktmäßig sucht der landläufige Leser eine Romanhandlung, die ihm bei ihrem Aufnehmen bequemes Genießen verspricht. Das heißt, er will sich wie ein Schwamm mit Wasser, mit Geschehnissen - aus einer fremden Phantasie geboren - vollsaugen. Froh und dankbar empfindet er alle Farbigkeit; je greller und primitiver sie vom Erzähler aufgetragen wird, um so intensiver und erregender verspürt er Wechsel und Unterschied, um so angenehmer ist er unterhalten und schließlich um so wohliger von seiner Lektüre ermüdet. Auf den Seiten des Buches wird ihm, dem Wortblinden, mit größter Deutlichkeit das Milieu und jede, auch die bescheidenste Situation der behandelnden Personen
| |
| |
ausgemalt; nachdrücklichst wird er auf alle Gefühlsregungen und deren Veränderungen hingewiesen, geschäftig werden sie ihm (psycho-) analysiert und zu seinem eigenen, gewöhnlichen und simplen Denken in eindeutige Beziehung gesetzt. So hat ihm der Autor eigentlich alle selbständige geistige Tätigkeit vorsorglich abgenommen. Es ist bei dieser Gattung moderner Romane nicht mehr so, daß man nach aufmerksamem und besinnlichem Lesen das Buch ab und zu aus der Hand legt, wie es etwa bei Werken großer Dichter, zum Beispiel Theodor Fontanes, Wilhelm Raabes oder Adalbert Stifters, geschieht, wo man hin und wieder genußvoll innehält, um das Rosenhaus im ‘Nachsommer’ vor dem geistigen Auge erstehen zu lassen, weil man sich die schöne Melodie in ‘L'Adultera’ zu vergegenwärtigen wünscht oder das Bild von dem Pestkarren des Dörfchens Krodebeck in Raabes ‘Schüdderump’ heraufbeschwören will. Im Gegenteil: in der modernen Belletristik arbeitet allein die Phantasie des Romanschreibers unablässig für seine Leser, allenfalls noch bis in die späte Nacht hinein begleitet von der Geräuschkulisse ihrer Radioapparate, mit der sich die gequälten Zeitgenossen gegen den ohrenbetäubenden Lärm ihrer Umwelt abzuschirmen suchen.
Schon tagsüber, während seiner Berufsarbeit, sehnt sich der Besitzer (oder Ausleiher) solcher moderner Romane nach den leisesentimentalen, beschwörenden Worten seines dicken Schmökers daheim auf dem Nachttische, der ihm eine ferne, fremde Welt vorzaubert und in Gesellschaftskreise Eintritt verschafft, die er sonst nur von der Kinoleinwand her kennt, und in welchem ihm Schicksale ausgemalt werden, seinem eigenen kleinen und dürftigen zum Verwechseln ähnlich. Seine Träume und leidenschaftlichen Wünsche werden vom Verfasser umsichtig mit frommen Lügen genährt, wie eine Mutter dem vom Spielen müden Kinde die Märchen von Prinzessinnen in lockenden, leuchtenden Schlössern voller Wunder erzählt...
Wir Buchhandler haben lange Zeit - gedankenlos - vom Nimbus des Buches gezehrt: ‘Schaff' gute Bücher in dein Haus, / Sie strömen edle Kräfte aus / Und wirken wie ein Segenshort / Auf Kinder noch und Enkel fort.’ - ‘Wissen ist Macht!’ oder ‘Bücher sind wahrhafte Freunde und Gefährten.’
Unser Bildungsideal geht auf den Humanismus zurück. Wer ‘gut belesen’ war, besaß seither die Achtung seiner Mitmenschen und Zeitgenossen: als ‘gelehrt’ zu gelten war eine Auszeichnung, von
| |
| |
der Gesellschaft dem geistigen Arbeiter ehrfurchtsvoll gezollt. Wenigstens einen der Söhne studieren zu lassen, schwebte dem Bauer, Handwerker und Kaufmann gleichermaßen vor. Eine Bibliothek zu besitzen, bedeutete neben dem Eigentum einer Kunstsammlung Ausdruck feinster Repräsentation im Bürgerwie im Adelshause. Ja, die Ehrerbietung für das Buch, der Glaube an seine Bedeutung im ganzen menschlichen Leben und an seinen unantastbaren Wert gingen im Mittelstande so weit, daß ein ‘Herrenzimmer’ mit Schreibtisch und ‘Bücherschrank’ zur Forderung selbst jener jungen Menschen wurde, die zu Hause kaum etwas zu schreiben hatten und ihre 30 bis 40 Bände unterhaltsamer Bücher gewiß bequem in einem kleinen Regal unterbringen konnten. Aber mit jenem Bücherschranke kam dann meist in den neugegründeten Hausstand zugleich auch eine gewisse, kaum zu umgehende Verpflichtung zum Bücherkaufe. Was dabei vielleicht anfangs noch als leiser äußerlicher Zwang empfunden wurde, wuchs sich an Geburtstagen und zum Weihnachtsfeste bald zum gern geübten Brauch aus, und die sich mehr und mehr erweiternde Familienbücherei ward Quell der Freude, Brunnen der Belehrung für jung und alt und so etwas wie ein geistiger Mittelpunkt des ganzen Hauswesens.
Darum haben wir Buchhändler die erste Runde im Kampfe um das Buch wahrscheinlich schon vor dem Ersten Weltkriege verloren, damals, als die Möbelfabrikanten begannen, einen erheblichen Teil des obligaten, zur gutbürgerlichen Aussteuer gehörigen Bücherkastens als - ‘Likörschrank’ einzurichten. Was wir damals nur als geschmacklos und plebejisch belächelten und apostrophierten, hat sich im nachhinein als erhebliche Niederlage erwiesen.
Nach 1918 hat die Entzauberung des Buches in vollem Umfange eingesetzt: der breite Mittelstand als bester und treuester Buchkäufer mußte angesichts des verlorenen Krieges und der seine wirtschaftlichen Grundlagen völlig zerstörenden Währungsinflationen erkennen, daß Wissen keine Macht mehr bedeutete, die eine in langen Friedensjahrzehnten wohlhabend gewordene Gesellschaft bereit gewesen war, ideell und materiell entsprechend zu respektieren. Seine Jugend - und damit seine Zukunft - demonstrierte ihm dazu außerdem an dem Beispiele eines hungernden, heruntergekommenen akademischen Proletariats den eben eingetretenen Beginn einer endgültigen Umwertung aller Werte mit brutaler Deutlichkeit vor.
| |
| |
Der Buchhandel, der auf einen mehr als vierhundertjährigen Bestand zurückblickt, ist dieser Entwicklung ebenso zum Opfer gefallen wie die Gesellschaftsschicht, aus der sich ausnahmslos seine Träger und Repräsentanten rekrutierten.
Es liegt in der Natur des Kaufmanns, an der ihm überkommenen Tradition festzuhalten und sie zu wahren. Auf Erfahrung baut sich jede seiner Gepflogenheiten auf, sei es nun die Auswahl beim Einkauf, jegliche Gewährung von Krediten, jegliche Methode seiner Absatzwerbung oder sei es die Berechnung von Gewinn und Unkosten. Darum widerstreben dem Kaufmanne auch grundsätzlich revolutionierende Eingriffe innerhalb seines Geschäftes, er versucht, schrittweise und elastisch sich veränderten Zeitverhältnissen und -umständen anzupassen. Weil er gelernt hat, die großen Erfahrungen eines langen Lebens und des womöglich durch Generationen hindurch genau beobachteten, erfolgreich geführten Geschäftsganges als Grundsubstanz und wichtigstes Betriebskapital zu werten, hält er zäh am dem fest, was des Kaufmanns geistigen Besitz ausmacht.
Einen Zusammenbruch derartigen Ausmaßes wie 1918 bis 1923 konnte man nicht nur mit Elastizität und Anpassungsfähigkeit überwinden. Bei all unseren Versuchen, den eigentlich erst seit dieser Zeit ständig rapid wachsenden Schwierigkeiten beizukommen, hat uns nun der Zweite Weltkrieg überrascht, die Scheinkonjunktur während dessen Dauer und nach Kriegsschluß erweckte zuerst den Eindruck, als seien unsere Experimente in zwölfter Stunde schließlich doch noch geglückt. Doch wir haben uns von der Katastrophe von vor dreißig Jahren keineswegs erholt. Und weil wir mit der Ergründung eigener Schuld diese Untersuchung begonnen haben: Von 1939 bis 1947 verteilte der Buchhändler Mangelware, die für alle, die mit ihr zu tun hatten, mehr Wert- und Spekulationsobjekt als Bildungsmittel und geistige Nahrung darstellte. Es rächt sich aber im nachhinein immer bitter, wenn man eine Sache herabwürdigt: auch das hat wohl zur Entzauberung des Buches sein Teil mit beigetragen. Die heranwachsende Buchhändlergeneration hat bei solcher Tätigkeit kaum die grundlegende, systematische, planende und weitausgreifende Arbeit für das Buch auf lange Sicht kennengelernt, denn sie wurde ja nicht erzogen, zu werben und zu verkaufen, sondern nur abgerichtet, mit der knapp zugeteilten Ware ‘hauszuhalten’. Und dann - auch das gehört auf sein Schuldkonto - wurde der Buchhandel sowohl nach dem Ersten wie nach dem
| |
| |
Zweiten Weltkriege zum Tummelplatz für Dilettanten und Konjunkturritter, deren verderblicher Wirksamkeit wir unter anderem in unvorstellbarem Ausmaße den Begriff ‘Ramsch’ (sogenanntes modernes Antiquariat) zu verdanken haben, ein Umstand, der das Buch seines Charakters als bescheidenen, aber beständigen Wertgegenstandes beraubt hat. Denn wenn man, oft nur zwei oder drei Jahre nach der Ausgabe, eine Ware für ein Viertel oder ein Fünftel des ursprünglichen angeblich solide festgesetzten Preises kaufen kann, darf man sich nicht wundern, daß die Interessenten rasch mißtrauisch werden und in den vorgegebenen Warenwet höchste Zweifel setzen.
Das fabrikationsmäßige, völlig traditionslose Herstellen einer innerlich und äußerlich uniformen, oftmals dupierenden ‘Produktion’ und die raffinierte Lancierung dieser ‘Bücherfabriken am laufenden Band’ durch Tausende von Vertriebskanälen hat den größten Teil der ohnehin schon sehr zusammengeschmolzenen Kaufkraft des am Buche interessierten Publikums absorbiert, zum Schaden neuer gehaltvoller, wichtiger Publikationen. Man überprüfe in diesem Zusammenhange auch einmal die langen Reihen der von manchen Buchgemeinschaften fabrizierten Bände, wieviel unnützes, dritt- und fünftklassiges Geschreibe ist da auf Hunderttausende wehr- und urteilsloser Mitglieder losgelassen worden! Der billige Lederrücken, das bunte überzugspapier und eine geschickte Reklame haben es zuwege gebracht, daß diese überproduktion mit den Markt verstopfte und ein normal arbeitender Verleger, der solchen ‘Produktionsapparat’ nicht besaß (und auch verabscheute), unter dieser Vermassung durch Edelschund schwer zu leiden hat. Was auch daneben hier und dort vielleicht an Wertvollem herausgekommen sein mag, kann den für das Buch aufgezeigten vielfältigen Schaden kaum wettmachen.
Es ist nämlich gar nicht so wesentlich und es kommt für den Absatz gar nicht so darauf an, daß Bücher besonders billig sind, genau so wie es auch falsch ist anzunehmen, die geistige Wirkung eines Schriftstellers sei der Auflagenhöhe seiner Werke gleichzusetzen. Sondern es muß wohl oder übel mit viel größerer Behutsamkeit verlegt werden; man müßte viel strengere Maßstäbe bei der Annahme von Manuskripten anlegen, und an Stelle des nach dem Bestseller jagenden Lektors sollte wieder der kenntnisreiche, verantwortungsbewußte, geschmacksichere Verleger treten, der sich Urteil genug zutraut, um zu entscheiden, wofür er sein
| |
| |
gutes Geld - oder seinen Kredit - riskiert. Man müßte den großtuerischen buchhändlerischen Fabrikationsprozeß aller Mätzchen entkleiden und zu solider handwerksmäβiger Gebarung im Verlage zurückkehren.
Es ist auch überaus erstaunlich, daß zwischen dem Verleger als dem Hersteller einer Ware und dem Sortimenter als deren Einzelverkäufer kaum noch die alten wechselseitigen geistigen Beziehungen bestehen. Ein glänzendes, vielversprechendes Prospekt- und Anzeigenfeuerwerk prasselt auf den Sortimenter nieder und zwingt ihn, ein - für die Verhältnisse eines mittleren Detailkaufmannes - übergroßes Lager zu halten, das seine finanzielle Beweglichkeit erstickt, ihm die Möglichkeit nimmt, seinen guten Kunden wie früher Kredit zu geben und eigentlich ihm allein die Folgen eines ganz unsinnigen, planlosen Büchermachens aufbürdet. Ein Buch ist ‘lanciert’, der Sortimenter hat es sich hinlegen müssen, die Auflage ist damit ausverkauft, nun soll er auch zusehen, wie er mit den eingekauften Exemplaren zurecht kommt; denn schon drängt Neues nach und das Spiel beginnt von vorne. Darum stellen die Sortimentslager schon seit langem kein solides Geschäftskapital mehr dar, sie sind keine Warenreserven, auf die in flauen oder schweren Zeiten einmal zurückgegriffen werden kann, und die einer Bank als anständige Sicherheit geiten, sondern es verhält sich mit ihnen wie mit den Lagern der Modistinnen: was nicht in einer Saison an die Frau gebracht wurde, muß zur Gänze abgeschrieben werden.
Hand in Hand mit der Heranbildung einer nur vom politischen Handwerke lebenden Menschenkaste geht bei allen Kulturvölkern eine sich ebenso lawinenartig ausbreitende Entwicklung des selbständigen Schriftstellerstandes: literarische Agenten und Lektoren sind ständig auf der Jagd nach erfolgversprechenden Produktionsfutter für ihre Auftraggeber, die Buchkonfektionäre. Von ihnen werden Bücher bestellt nach berühmten Erfolgsmustern, wie Anzüge beim Schneider und eine Hausbar beim Möbeltischler. Auf diesem Wege ist zum Beispiel der unglaubliche Wust biographischer Tatsachenromane entstanden. Filmstories, Magazintratsch und ähnliches werden laut Bestellung in jedem beliebigen Umfange bearbeitet und umgearbeitet, breitgewalzt und aufgarniert. Daß bei solchem überangebote der Schreibenden gar nicht mehr daran zu denken ist, ihnen allen ein auskömmliches Einkommen zu verschaffen, von dem sie gut und bequem leben können, sollte sich eigenlich von selbst verstehen. Daß sie sich
| |
| |
oft in Selbstüberschätzung als verkannte, unterdrückte Genies betrachten, die, ausgebeutet und miserabel bezahlt, unter der Unfähigkeit oder dem Geiz und der mangelnden Initiatieve der bösen Verleger zu leiden haben, hören wir täglich. ‘Der Verlagsbuchhandel muß unbedingt neue Wege finden, das Buch in das Volk und an den Leser heranzubringen! Darin, daß er sie findet, ist nicht zum geringsten Teil seine verlegerische Fähigkeit zu suchen.’ Solcher Unsinn stammt aus der Rede eines bekannten deutschen Romanciers. Alle nennen sich ‘Dichter’ - und sie wollen doch ganz real wie ein Kaufmann von ihrer ‘Arbeit’ leben. Das Gesetz, nach dem man nur durch jene Leistung leben kann, die den Mitmenschen erwünscht ist, von diesen gebraucht wird und die sie einem daher abzukaufen bereit sind, ist ihnen jedoch fremd.
In dem Augenblicke, da man für eine angebliche künstlerische Leistung (und ein Buch oder Bild ist genau so eine künstlerische Darbietung wie eine Arie oder ein Ballett) Geld verlangt, sie also verkaufen will an Leute, die mehr oder weniger hart arbeiten müssen, um sich den hierzu benötigten Betrag zu verschaffen, darf man sich nicht wundern, wenn der Käufer - zumal bei dem großen derzeitigen Angebote - wählt. Uns will es dünken, daß jene, die auf dem Gebiete der Kunst wirklich etwas leisten, keine Ursache haben, sich über mangelnde Resonanz oder einen ausbleibenden Ertrag ihrer ehrlichen Arbeit zu beklagen, wenn auch gerade der künstlerisch Schaffende meist länger braucht, um sich innerhalb unserer Gesellschaftsordnung durchzusetzen, als jeder anders Tätige.
Der Buchhändler berät den Kunden bei der Auswahl auf Grund eigener Kenntnisse: er ‘bemüht sich’, denn er wäre sonst ein miserabler Kaufmann. Er hat ein brennendes Interesse daran, seine Kunden zufriedenzustellen, damit diese dem Buche treu bleiben ihr Leben lang; das ist primitivstes kaufmännisches Selbsterhaltungsgesetz. Es beruht auf unserem Fingerspitzengefühl, wem wir einen Band Rilke oder einen Band Ringelnatz anbieten. Für einen neuen und noch unbekannten Dichter können wir nur behutsam werben, denn das liegt in der Natur der Sache, unsere Kundschaft ist meist konservativ, wie es eben ein Publikum ist, das über einen gewissen Fundus an Bildung verfügt (die zweifellos Modeströmungen unterliegt) und das sein Urteil durch Studium und Erfahrung geschult, geläutert und verfeinert hat. Die Vorzüge des Buches eines jungen unbekannten Autors
| |
| |
etwa liegen nicht so klar auf der Hand wie jene einer neuen amerikanischen Waschmachine. Der Erwerb eines Buches durch Bezahlung des Ladenpreises ist ja auch außerdem, vom Geistigen her betrachtet, nur eine Teilleistung des neuen Besitzers; er muß nach dem Kaufe seine Zeit und eigene Denkarbeit in das Buch investieren, um wirklich von ihm Besitz zu ergreifen und mit ihm vielleicht für den Rest seines Lebens zusammen zu leben. Unser Kunde wäre ungehalten, würden wir ihn verleiten, nicht nur sein Geld, sondern auch diesen oft viel wesentlicheren und kostbareren Aufwand an Zeit und Denkkraft einzusetzen, wenn dies die Sache nicht wert ist.
Darum sind Bücher keine Sache großen Reklamegeschreis. Wie für den Buchhändler ist auch für den Schriftsteller die Art des Buchabsatzes, wie sie sich zum Beispiel in Amerika herausgebildet hat und immer mehr in anderen Ländern Platz zu greifen droht, kein nachahmenswertes Beispiel. Die Mode der Bestseller in den Buchklubs ist längst reines Lotteriespiel geworden, das nichts mehr mit dem normalen Buchhandel (und mit der Würde des Buches als geistige Leistung) zu tun hat. Mit ein paar Riesenzahlen wird herumjongliert; wie es aber um den Großteil des Buchhandels wirklich aussieht, wissen wir genau aus Berichten, zum Beispiel über die Krise im amerikanischen Verlagswesen.
Vielleicht gehen wir aber auch im Buch- und Kunsthandel viel zu umständlich zu Werke? Gewiß stellen wir oftmals weitaus zu hohe Ansprüche, was vor allem für den Antiquariats- und Kunsthandel gilt. Das Geschäft mit den Spitzenstücken, die Forcierung der nur ganz großen Qualitäten auf Kosten des gesamten Restes ist ein weiterer der Entzauberungsgründe. Wir kommen damit zu einem ganz wichtigen und entscheidenden Problem unserer Schwierigkeiten. Wo sind die großen Sammler?, wird immer wieder in unseren Kreisen gefragt. Die großen Sammler gibt es, bis auf wenige Ausnahmen, nicht mehr. Die Ursachen dafür sind recht einleuchtend: über dem Geschäft mit den verhältnismäßig wenigen großen Sammlern in der Alten und Neuen Welt, auf die sich alles gestürzt hat, ist ganz vergessen worden, neue kleine Sammler heranzuziehen, aus denen mit der Zeit erfahrungsgemäß auch gelegentlich große Sammler werden.
Bleiben wir noch einen Augenblick bei diesem Thema: beim jungen Menschen, manchmal schon beim Studenten, beginnt etwa die Bücherliebhaberei in bescheidenem, geringen Einkünften angepaßtem Umfange. Die Frage ist nun, ob wir uns nicht viel
| |
| |
zu wenig mit diesen Anfängern unter den Sammlern abgeben, ob wir die notwendige Geduld für sie aufbringen und das Herz haben, in unseren Angeboten und Katalogen auch auf ihren bescheidenen Geldbeutel genügend Rücksicht zu nehmen. Wenn einer beginnt, Autographen zu sammeln, kann er nicht mit dem Erwerb von Goethe-Briefen und Beethoven-Manuskripten anfangen. Wenn sich jemand für Graphik zu interessieren beginnt, ist's ihm meist nicht gleich möglich, Blätter von Munch, Rembrandt und Dürer zu erwerben. Beobachtet aber der Anfänger den Markt, liest er die Auktionsberichte usw., so muß er den Eindruck gewinnen, daß er als Sammler eigentlich nur ernst genommen wird, wenn seine Mappen wenigstens das OEuvre von Schongauer und Mozart-Handschriften bergen. Die Folge davon ist, daß viele von vorneherein von solchen ihnen unerschwinglich dünkenden Liebhabereien absehen.
Nun klagt aber der internationale Handel, daß es gerade für die gute Mittelware kaum Absatz gibt. Fasziniert starrt alles auf die paar Spitzenstücke mit ihren phantastischen Preisen, die oft im Tresor eines Spekulanten oder internationalen Kunstschiebers verschwinden, aber schon beim nächsten Börsen- oder Währungskrach plötzlich wieder auftauchen; niemand jedoch kümmert sich darum, die gute mittlere Ware, die billig und in großen Mengen vorhanden ist, irgendwie zu kultivieren. Natürlich müßte damit Hand in Hand auch eine vernünftige Bewertung gehen für den Fall, daß der mittlere Sammler etwas abstößt.
Dabei ist kaum eine Liebhaberei so vielseitig beglückend wie das Sammeln von Büchern und Graphik. Diesem Umstande wird bei der Werbung noch viel zu wenig Rechnung getragen. Und - noch nie ist es so billig gewesen, Kultur in Haus und Heim zu tragen, wie heute! Das ist beileibe keine rhetorische Wendung. Für einen Platz bei einer sportlichen Großveranstaltung zahlen Zehntausende, ohne mit einer Wimper zu zucken, einen Betrag, der zum Erwerb eines sehr guten Buches, eines wertvollen graphischen Blattes ausreichen würde, wofür aber angeblich kein Geld vorhanden ist. Was wird verplempert mit vielerlei modischem Kleinkram? Welche Riesensummen werden jährlich von jedem Volke für Alkohol und Tabak ausgegeben! Bruchteile davon, wirklich bescheidene Prozentsätze würden genügen, Literatur und Kunst sich nach allen Seiten hin voll entwickeln und aufblühen zu lassen.
Hier ist noch eine Frage wichtig: Sind wir Buchhändler über- | |
| |
haupt befähigt, mit einfachen Menschen, Handwerkern, Fabrikarbeitern usw. von diesen unseren Dingen zu reden und sie dafür zu interessieren?
Wir verkennen keineswegs, daß der ja noch gar nicht beendete Zweite Weltkrieg, eine Elementarkatastrophe im wahrsten Sinne des Wortes, die Menschen in jeder Hinsicht arm gemacht hat, arm an Geldmitteln, an Wohnraum und an innerere Ruhe und Gelassenheit, also gerade an jenen Dingen, welche die eigentlichen Voraussetzung für den Erwerb und den Genuß von Werken der Kunst und Literatur bedeuten. Wenn man auf Schritt und Tritt sehen muß, wie alles darauf angelegt wird, daß wir von einem Unheil in das andere treiben, ist es kaum zu verlangen, daß der durch Zeitung, Sensationsjournale, Kino und Radio aufgescheuchte und eingeschüchterte Mitbürger den Mut finden solle, ein gehaltvolles Buch zu lesen, sich der andächtigen Betrachtung eines Bildes hinzugeben und sich an dem Besitze solcher Kostbarkeiten in seinem so einfachen Leben zu erfreuen.
Der Mensch unserer Tage ist auch - mit gutem Rechte - hinsichtlich der Stabilität aller Werte mißtrauisch geworden. Je mehr ererbtes Vermögen zerstört wurde und nun nur das vom Arbeitsertrag Ersparte vorhanden ist, um so energischer wird die Forderung des einzelnen nach Sicherheit des von ihm für diese Ersparnisse Erworbenen. Es heißt bei ihm nicht ‘Wie gewonnen, so zerronnen’, und gerade die jüngste Vergangenheit hat es zweimal kurz hintereinander bewiesen, daß man leichteren Herzens ein großes ererbtes Vermögen von Zehntausenden verliert als ein paar tausend selbstersparte Mark. Da wir nun gelernt haben, daß die Versprechungen eines Staates bezüglich der Unerschütterlichkeit seiner Währung genau so eitel blauer Dunst sind wie die Beteuerungen von Versicherungsanstalten und der Banken über die eingelegten Spargelder (der Verfasser lebt in Deutschland und österreich!), darf es uns nicht wundern, wenn der Interessent von heute auch dem Kaufmann und Händler nicht unbefangen gegenübertritt und versucht, gibt er schon Geld für Bücher und Bilder aus, dabei so sicher wie nur irgend möglich zu gehen. Ja, aus Verantwortungsbewußtsein seiner Familie gegenüber trachtet er danach (und muß es tun), wenn er ‘ins Sammeln kommt’, den für seine edle Leidenschaft aufgewendeten Betrag wertbeständig anzulegen.
Wir haben bereits festgestellt, daß die sich häufenden Schwierigkeiten, in denen wir stecken, keineswege von heute und gestern
| |
| |
sind. Darum wäre es auch falsch, ein besonderes einzelnes Ereignis oder gar einige unfähige Menschen dafür verantwortlich machen zu wollen. Das System, das der sogenannten ‘öffentlichen Hand’ in den vergangenen Jahrzehnten alles Mäzenatentum als verpflichtendes Erbe überheblich zuschob, hat grauenhaft versagt. Die Verpolitisierung hat selbst hier, und hier erst recht nicht halt gemacht. Kunst wird nur gefördert, wenn das Parteibuch in Ordnung befunden wird. Der ‘unpolitische’ Künstler hat weder bei Links noch bei Rechts Aussicht, einen Auftrag von der öffentlichen Hand zu erhalten, und allein schon dadurch hat diese, haben also Staat und Gemeinde ihre Unfähigkeit bewiesen, sich auch nur in bescheidenster Weise kunstfördend zu betätigen. Und dabei wäre es doch so einfach für jeden Staat, seinen Kulturwillen unter sichtbaren Beweis zu stellen und die Schwierigkeiten mit einem Federstriche zu beseitigen: Man lege das Amt des Kunstkäufers und -förderers wieder in die Hände des einzelnen zurück, wohin es allein gehört, denn jede Bürokratie zerstört, besonders in einem solch empfindlichen und individuellen Bereiche.
Der Staat möge erklären, daß jeder Steuerzahler, ob Einzelperson oder Firma, bis zu 10% des Einkommens für Erwerbungen auf dem Gebiete der Literatur und Kunst, also für Bücher, Bilder und Plastiken steuerfrei aufwenden darf. Das wäre man eigentlich ‘der Kultur’ schuldig. Es ist niemand gezwungen, das auszunützen, aber wie gerne würden Millionen Gebrauch davon machen. Die korrekt quittierte Rechnung des Buch- und Kunsthändlers, des Malers und Bildhauers genügten als Beleg für den geforderten steuerfreien Abzug. Eine einfache Kontrolle könnte seine Rechtmäßigkeit erweisen. Millionen würden der Literatur und Kunst zufließen. Man erlaubt den steuerfreien Abzug der Lebensversicherungsprämie und begünstigt damit zweifellos das gesamte Versicherungsgewerbe erheblich - ob zu Recht, soll hier unertörtert bleiben - wie viel mehr haben der Gelehrte, der Künstler und der Schriftsteller Anspruch darauf, ähnliche lebenswichtige Förderung zu erfahren; man denke nur an die Hunderttausende, die durch eine derartige Maßnahme allein im graphischen Gewerbe Beschäftigung fänden, an die Repräsentation, die ein Staat durch die künstlerische und wissenschaftliche Arbeit seiner Angehörigen in der ganzen Welt erringt. Man führt in einem fort das Wort ‘Kultur’ im Munde, man macht mit Kultur die wirksamste Reklame, aber man sieht ruhig zu, wie diese Kultur systematisch
| |
| |
zugrunde gerichtet wird und vor die Hunde geht.
In langen Reihen schaven die entzauberten Bücher - und Bilder - von den Wänden herab. Sie wissen sehr wohl, daß diejenigen, die ihr Schicksal in der öffentlichkeit und vor aller Welt am lärmendsten beklagen, in Wahrheit die größten Benausen und Kunstverächter, ja ihre eigentlichen Totengräber sind.
|
|