Filmliga
(1927-1931)– [tijdschrift] Filmliga– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdFritz RosenfeldGa naar voetnoot1):
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bringen, oft deutsche, französische und amerikanische Originalplakate, deren fremdsprachiger Text mit deutschen Aufschriften überklebt wird. Die Lichtfanfaren, die von den Riesenkinos New-Yorks, Chikagos, San Franciscos, Berlins und vieler andrer Städte die Namen von Filmen, Regisseuren und Darstellern in die Nacht hinaustrompeten, haben den Wiener Nachthimmel noch nicht in seiner Ruhe gestört. Es ist alles bescheiden in Wien, und wickelt sich in verhältnismässig altertümlichen Formen ab. Nur ab und zu wird das Interesse des Publikums durch irgendeinen geschickten Reklametrick auf einen Film gelenkt. Gespielt wird in den Wiener Kinos nur nachmittags; in der Stadt schon um halb vier, in den Vororten erst um halb sechs; wenn die Menschen aus ihren Fabriken und Buros kommen, füllen sich die Kinosäle langsam. Sonntags folgen die Vorstellungen schneller. Im algemeinen sind sie sehr kurz. Eineinhalb Stunden ist der Durchschnitt; zweistundige Vorstellungen sind schon selten. Geboten wird eine Naturaufnahme oder eine amerikanische Groteske und ein grosser Film. Doppelprogramme findet man nur im Sommer, wenn die Kinos slecht gehen und das Publikum durch besondere Reichhaltigkeit der Darbietungen angelockt werden soll. Da die Vorführungsdauer so kurz ist, müssen grössere Filme gekürzt werden. Diese Filmverstümmelungen sind das traurigste Kapitel der Wiener Kinokultur. Einmal schneidet der Verleiher den Film, ein zweites Mal der Kinobesitzer. Manche Filme wurden durch diese Kürzungen um ihre ganze Wirkung gebracht; der grosse französische Film ‘Der Schachspieler’ zum Beispiel, der bis zur Unverständlichkeit und Sinnlosigkeit zusammengeschnitten worden ist. Das Publikum ist gegen diese Barberei wehrlos. Es ist in Wien nicht gewöhnt, durch Klatschen oder Zischen seine Meinung zu äussern. Es sitzt still, geht schweigend aus dem Kino, und schimpft erst hinterher, wie schlecht der Film war, die Musik, die Vorführung. Könnte man das Wiener Publikum dazu bringen, einen Film, der ihm nicht gefällt, auszupfeifen, dann stünde es besser um unsre Kinospielpläne. Denn das Publikum ist weit besser, als die Kinobesitzer glauben. Diese Wiener Kinobezitzer sind ein Typ für sich. Es gibt wenige unter ihnen, die guten Film von einen schlechten unterscheiden können. Sie kennen nur eins: ihren Kassenrapport. Hat ihnen ein Film ein Geschäft gebracht, so werden sie immer wieder Filme der gleichen Art spielen, weil sie hoffen, mit ihnen das gleiche Geschäft zu machen. Für gut halten sie den Film, der ihnen gefällt. Da sie nun meist aus kleinbürgerlichen Schichten stammen, und ihre Allgemeinbildung nichts weniger als vollkommen ist, gefällt ihnen meist der grösste Schund; also muss das Wiener Publikum den grössten Schund sehen. Im Laufe der Jahre konnte der Verfasser dieser Zeilen eine lange Liste ausgezeichneter Filmwerke zusammenstellen, die den Wiener Kinobesitzern gezeigt wurden und nicht oder fast nicht gespielt wurden. Die Filme waren zu gut. Wenn eine einflussreiche Tageszeitung in ihrer Filmrubrik einen Krach schlägt, auf diese Filme hinweist und fordert, dass man sie dem Publikum nicht unterschlage, dann setzt man sie im Hochsommer an, zu einer Zeit, in der die Kinos leer sind, was immer auch gespielt wird, und sagt dann mit schlecht verstecktem Hohn: seht ihr, ihr Kinoreformer, kein Mensch will die guten Filme sehen, das Publikum geht nur zu den schlechten! Filmwerke, die auf der ganzen Welt nicht nur künstlerische, sondern auch geschäftliche Erfolge waren, wie der Afrika-Film ‘Das schwarze Geschlecht’, wurden in Wien überhaupt nur gespielt, weil die ‘Arbeiter-Zeitung’ sich in ihrer Filmrubrik mit allem Nachdruck für sie einsetze. Sondervorstellungen guter Filme hat bisher noch niemand zu veranstalten gewagt. Die wenigen guten Filme, die durch Starnamen ein sicheres Geschäft verheissen, und von den Kinobesitzern gern gespielt werden, kommen oft erst ein Jahr nachdem sie in allen andren Städten Europas waren, nach Wien. Meist sehen die österreichischen Provinzstädte die neuen Filme früher als die Hauptstadt. Das Wiener Publikum ist eben geduldig; es wartet schön brav, bis man es gnädigst nach allen andren auch mal diese Filme ansehen lässt. Im Spielplan finden sich sehr viele schlechte deutsche Filme, alle die leidigen Operettenverfilmungen, Militärschwänke, amerikanische Gesellschafts und Wildwestfilme, verhältnismässig viele russischen Filme (doch war das eine Mode, die im Abflauen begriffen ist) und fast keine franzözischen. Die hochwertigen Schöpfungen der französischen avant garde sieht man in Wien fast überhaupt nicht; ‘Rien que les Heures’ hat noch niemand für Oesterreich gekauft, und wenn einmal ein Film von Marcel L'Herbier oder René Clair im Repertoire erscheint, dann ohne alle Aufmachung, so dass ihn das Publikum gar nicht von den landläufigen Schablonenfilmen unterscheiden lernt. Es fehlt an Unternehmungsgeist, ja an Geist überhaupt im Wiener Kinowesen wie auch in der österreichischen Filmerzeugung. Der Wiener ist eben phlegmatisch. Er ist an die kleinen, schlecht ventilierten Kinos mit ihren blitzschnell heruntergehaspelten kärglichen Programmen gewöhnt. Erst wenn er in einer andren Stadt andre Kinos | |
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MAN RAY: EMAK BAKIA
kennen lernt, beginnt er einzusehen, dass es auch anders sein kann als in Wien. Die Kinomusik ist in einigen Wiener Kinos in guten Händen; im Busch-Kino, dessen Orchester Kapellmeister Fritz Zeilinger leitet, und im Central-Kino, in dem Kapelmeister Karl Krall dirigiert. Beide sind ausgezeichnete Illustratoren. Von ihnen lernen die andren Kapellmeister; manche gehen aber eigene, schlechte Wege, und so haben nicht wenige Kinos eine miserable, einer Grosstadt unwürdige und ganz unverständige Begleitmusik. Doch ist es in Wien nicht allein um das Kinowesen so bestellt. Auch vieles andre ist erst auf dem Weg einer grösstädtischen Entwicklung. Durch die furchtbaren Entbehrungen der Kriegsund Nachkriegsjahre in seinem Wachsen und seiner Ausgestaltung gehemmt, muss Wien jetzt in kurzer Zeit grosse Aufgaben nachholen. Es wird auch mal zu einer grosstädtischen Kinokultur gelangen; einmal schon. Nur ist noch die Frage wielange das dauert. |
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