De Achttiende Eeuw. Jaargang 40
(2008)– [tijdschrift] Documentatieblad werkgroep Achttiende eeuw– Auteursrechtelijk beschermd
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Ger-manie
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neununddreißigjährig auch in der ‘Monarchie’, wie die österreichisch-böhmisch-ungarische Hausmacht damals im Alltag bezeichnet wurde, die alleinige Nachfolge seiner verstorbenen Mutter angetreten hatte.Ga naar voetnoot2 Fünfzehn Jahre lang hatte das Dreigespann Maria Theresia - Joseph - Kaunitz die habsburgischen Erbländer verwaltet, mal mit, mal auch gegen einander, denn die innere Harmonie hatte oft zu wünschen übrig gelassen.Ga naar voetnoot3 Ein langfristig fester Regierungskurs war wohl in erster Linie dadurch verhindert worden, dass alle drei, die Kaiserin, der Kaiser und der Kanzler, dauernd einem der anderen beiden mit Rücktritt drohten, wenn etwas nicht nach ihrem Willen geschah, wonach dem dritten im Bunde die Vermittlerrolle oblag.Ga naar voetnoot4 Alle drei waren sich ihrer eigenen und der Unentbehrlichkeit der anderen bewusst - Kaunitz von seiner eigenen Unentbehrlichkeit und der Kenntnis, dass auch Mutter und Sohn von seiner Unentbehrlichkeit wussten noch wohl am meisten - und so hielten die drei doch bis zum Tode Maria Theresias am 29.November 1780 schmollend zusammen. Für diese Notwendigkeit sorgte schon ‘der böse Mann aus Berlin’, wie die Königin von Ungarn ihren abgründig verhassten preußischen Kollegen nannteGa naar voetnoot5. Indes, sobald die alte Kaiserin das Zeitliche gesegnet hatte, ergriff Joseph seine Chance. Er hatte sich zu lange immer letztendlich den Vorstellungen seiner Mutter beugen müssen, um seine Eile jetzt bezwingen zu können. Von einem grenzenlosen Tatendrang und Erneuerungswillen beseelt, fing er zu regieren an. Alles sollte einfach anders werden als bisher. Und dieses alles war schon sehr viel, sodass am Ende seiner zehnjärigen Alleinherrschaft, als Joseph mit völlig verbrauchtem Körper am 20.Februar 1790 mit nicht einmal neunundvierzig Jahren starb, viele feststellen mussten, dass der Kaiser sich eben zuviel vorgenommen hatte. Zumindest Kaunitz, der Mutter und Sohn beide überlebte, stellte dies fest. Aber, wie Thomas Mann einmal zum ebenfalls rastlosen Treiben Friedrichs des Großen, Feind und Vorbild des Kaisers, bemerkte: ‘wenn man um drei Uhr aufsteht, und von seiner Frau getrennt lebt, so kann man tagsüber ja mehreres vor sich bringen’.Ga naar voetnoot6 Auch Joseph verbrachte viele Stunden im Büro, war überdies seit 1767 zum zweiten Mal Witwer, also bei ihm ging das auch. Allen üblichen fürstlichen Luxus- und Lotterlebens überdrüssig, hielt er auf Schlichtheit und Dienst am Staat. Es hat wohl kaum einen Monarchen gegeben, der so hart gearbeitet und das Leben sowenig genossen hat. Selber bemerkte er dazu einmal in einem Brief an den russischen Zarewitsch Paul: wer auf französisch das Wort ‘bureau’ versehentlich wie ‘bourreau’ - heisst: Henker - aussprechen würde, hätte Recht.Ga naar voetnoot7 Und in der Tat brachte seine energische Arbeit ihm verfrüht den Tod.
In jenen zehn Regierungsjahren hatte Joseph die gesamte Verwaltung, die gesamte Wirtschaft, die gesamte Gesellschaft, das gesamte Leben auf neue Füße stellen wollen. Die Habsburger Monarchie war eben ein Chaos, das außer von der dynastischen Personalunion nur noch von der Vorsehung zusammengehalten zu sein schien. Das bunte Ländergemisch der Erbländer, diese anachronistische Vielfalt von Territorien mit jeweils anderen Rechten und Regelungen, sollte einem modernen, straff disziplinierten Einheitsstaat - eben einem österreichischen Preußen - weichen. Vor keinen geheiligten Traditionen, vor keinen jahrhundertealten Privilegien von Kirche oder Adel machte er halt, wenn diese ihm bei der Verwirklichung seiner Ideen im Wege standen | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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- ob in Ungarn, Böhmen, Belgien oder Italien. Und eben mit dem Alten, Überlieferten, mit dem Adel und mit der Kirche, sollte der Kaiser in den Österreichischen Niederlanden viel zu schaffen haben. Deren erbitterten Widerstand war ihm jedoch emotional und intellektuell egal. Er, der Enkel Kaiser Karls VI., für den eben die Aufrechterhaltung der fast tausendjährigen Tradition der heilig-römischen Universalmonarchie noch oberstes Gebot gewesen war, hatte sich wohl die Worte Goethes zu eigen gemacht: Es erben sich Gesetz' und Rechte
wie eine ew'ge Krankheit fort:
Sie schleppen von Geslecht bis zum Geslechte
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Pflage:
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist.
Von dem ist, leider! nie die Frage
Das Recht, das nach Josephs eigenem Erachten mit Joseph selber geboren war, war das Naturrecht als Lieferant einer neuen Staats- und Gesellschaftsordnung auf Grundlage der Staatsräson. Die Gleichheit aller Menschen war für ihn erstes Prinzip, und von adliger Überheblichkeit auf Grund ellenlanger Stammbäume hielt er nichts. Als einige Edelleute, nachdem er den kaiserlichen Pratergarten 1766 für alle Bürger Wiens geöffnet hatte, sich darüber beschwerten jetzt gar ihre Freizeit mit dem Pöbel verbringen zu müssen, fertigte Joseph sie mit der schroffen Bemerkung ab, dass er, wenn er selbst darauf bestehen würde, nur unter Gleichen verkehren zu wollen, nur bei seinen Ahnen in der Kapuzinergruft angemessene Gesellschaft finden könne.Ga naar voetnoot8 Als Kind der Aufklärung war ihm vor allem die katholische Beschränktheit und Borniertheit, die seit Ferdinand II. in Österreich herrschte, ein Dorn im Auge. Dieser geistliche Rückstand war auch auswärts immer aufgefallen. Schon in den Tagen Karls VI., als an anderen europäischen Höfen längst religiöse Fahrlässigkeit herrschte, schrieb der französische Gesandte in Wien, der sich seine Dienstzeit gewiss anders vorgestellt hatte, einmal in Panik nach Hause, er habe Ostern mehr als hundert Stunden in den Kirchenbänken zubringen müssen, ‘das hält nur ein Kapuziner aus’.Ga naar voetnoot9 Aber erst recht die Art, wie seine fromme Mutter die kirchliche Zensur gehandhabt und allerlei Bücher verboten hatte, die im Ausland bereits als Klassiker galten, hatte die Erbmonarchie nach Josephs Meinung in den Augen der Außenwelt völlig lächerlich gemacht. Maria Theresia hatte sich sogar nicht gescheut, ihre Zollbeamten auch das Gepäck einreisender Gesandter visitieren und alle indizierten Bücher beschlagnahmen zu lassen, die dann erst wieder mit der Abreise ausgehändigt wurden;Ga naar voetnoot10 der russische Botschafter Goltzin bekam die seinigen sogar mit einem bösen Gekritzel der Kaiserin zurück, er hätte das Mitbringen solcher schäbigen Schriften gefälligst zu unterlassen und möge dies nie, nie wieder tun.Ga naar voetnoot11 Trotzdem hatte sich Österreich auch in ihren vierzig Regierungsjahren nicht völlig von der Zivilisation isolieren können, und wurde in Wien heimlich doch alles Verbotene gelesen. ‘Die Kaiserin wäre zu Boden gesunken’, so hieß es in einem französischen Reisebericht, ‘wenn sie nur eine der tausend Privatbibliotheken entdeckt hätte, worin man die vornehmsten der skandalösen Schriftsteller finden konnte, die sie durch ihr Zensurkollegium und ihren Index auf ewig aus ihren Landen verbannt zu haben glaubte’.Ga naar voetnoot12 Und über das puritanische Schreckensregime der mariatheresianischen Keuschheitspolizei konnte auch Casanova Einiges erzählen.Ga naar voetnoot13 Mit diesem ganzen katholischen Muff hat Joseph II. dann gleich nach seinem Regierungsantritt energisch aufgeräumt. Einer seiner ersten Erlasse betraf die Pressefreiheit;Ga naar voetnoot14 der Kaiser zeigte | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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sich für alle praktischen Vorschläge zur Beseitigung bestehender Missstände aufgeschlossen. Kritiker seiner eigenen Pläne wurden, solange die Kritik nicht in Schimpfereien ausartete, nicht eingekerkert, sondern an den Hof geladen, um ihm ihre Alternativen zu unterbreiten; und wenn der Kaiser sie als sinnvoll empfand, wurde der Kritiker mit Geld entlohnt oder er bekam sogar eine Stelle, um seinen Plan selbst in die Realität umzusetzen.Ga naar voetnoot15 Die enorme Lockerung der Zensur galt auch für religiös-philosophische Themen, was in kirchlichen Kreisen selbstverständlich einen Sturm der Entrüstung hervorrief. Sogar der Trierer Erzbischof und Kurfürst Clemens Wenzeslaus beschwerte sich brieflich wegen der schrecklichen Folgen, die bevorstanden wenn künftig jedermann einfach lesen dürfte, was er wollte. Aber der Kaiser antwortete ihm kurz, ‘er würde sich auch Sorgen machen, wenn er nicht erfahrungsgemäß wüßte, dass es nur wenig Leute gibt, die lesen können, noch weniger, die was sie lesen auch verstehen, und ganz wenige, die sich hernach noch erinnern können, was sie gelesen haben’. Und Joseph konnte es nicht unterlassen, dem noch böshaft hinzuzufügen: ‘Ich kenne sogar einige Leute die nicht einmal wissen, was sie schreiben’.Ga naar voetnoot16 Man würde allerdings einen Fehler begehen, würde man den Kaiser etwa für einen Demokraten halten. Am Ende entschied immer er selbst und er allein. Wohl keiner der Habsburger hat je so autokratisch regiert. Auch Kaunitz, wie oft auch zu Rate gezogen, wurde diese Lektion jetzt mehrfach gnadenlos erteilt. Um selbstständig ein Urteil fallen zu können, hielt der Kaiser es verständlicherweise für angebracht, die Probleme in eigener Person an Ort und Stelle zu studieren. Das führte ihn zu manchen Dienstreisen, einer Tätigkeit, mit der er schon angefangen hatte, kurz nachdem er 1765 Kaiser und somit Mitregent seiner Mutter geworden war.Ga naar voetnoot17 Er hat allerdings in dem folgenden Vierteljahrhundert nicht nur die gesamte Monarchie in allen Richtungen durchquert, sondern sich auch mehrfach außer Landes begeben. Seit Maximilian I. hatte es keinen Kaiser gegeben, der soviel herumgereist ist wie eben Joseph II. Maria Theresia hielt übrigens wenig von der Reiselust ihres Sohnes, denn die ruiniere nur seine Gesundheit.Ga naar voetnoot18
Josephs Auslandsreisen teilten sich in zwei Gruppen: außenpolitisch motivierte Besuche bei anderen Monarchen und innenpolitisch motivierte Studienaufenthalte. Zur ersten Kategorie gehörten seine zweimaligen Begegnungen mit Friedrich und Katharina. Die Zarin aller Russen empfing ihn das erste Mal auf liebenswürdigste Art in einem Grenzort und wusste ihn sogar nach St.Petersburg zu locken;Ga naar voetnoot19 das zweite Mal trafen sich beide in Cherson am Schwarzen Meer, um sich über einen weiteren Türkenkrieg zu beraten. Auf der Hinreise hatte Katharinas Schützling Potemkin dem Kaiser seine famosen gefälschten Dörfer und Forten vorzuzaubern versucht, aber Joseph hatte sich davon nicht beirren lassen und seinem alten General Lacy unterkühlt geschrieben, dass die Festungsbauten von Cherson aus Sand und Torf gemacht waren, und dass die Russen sich bei seiner Ankunft nicht einmal einen einzigen Salutschuss abzugeben trauten, aus Furcht, dass dann die Stadtwälle zusammenstürzen würden.Ga naar voetnoot20 Mit dem Preußenkönig, dessen Politik - wiesehr sie den Habsburgern auch schadete - vom Kaiser sehr bewundert wurde, gestalteten sich die Gespräche weniger geschmeidig. Ende August 1769 trafen sich beide vier Tage lang im preußisch-schlesischen Neisse, Ende September | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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1770 dann noch einmal für fünf Tage im österreichisch-böhmischen Neustadt.Ga naar voetnoot21 Schon als junger Mann wäre Joseph Friedrich gerne begegnet,Ga naar voetnoot22 aber es dauerte drei Jahre, bevor Maria Theresia dies zugestand, aus Furcht der geriebene Hohenzoller würde ihren noch unerfahrenen Sohn völlig für sich einnehmen.Ga naar voetnoot23 Das zweite Mal ist daher Kaunitz sicherheitshalber mitgereist - oder, um die tatsächlichen Verhältnisse besser wiederzugeben: der Kaiser ist dann mit Kaunitz mitgereist, denn dieser zog die Initiative am Ort völlig an sich. Zur Belustigung Friedrichs wurde Joseph vom Kanzler ziemlich herablassend behandelt, und sobald die Verhandlungen seriös zu werden begannen auf ein Manöver geschickt.Ga naar voetnoot24 Die Belustigung des Preußenkönigs war allerdings schnell vorbei, als der Kanzler, nachdem der Kaiser grollend abgezogen war, auch ihm gegenüber denselben belehrenden Ton anwandte, ununterbrochen sprach, keine Einrede erlaubte und Friedrich überhaupt kaum zu Wort kommen ließ. Auch der verließ am Ende das Treffen innerlich wütend.Ga naar voetnoot25 Doch die zweite Kategorie von Josephs Reisen ist für uns wichtiger: der Kaiser wollte von fortschrittlichen Ländern lernen. Vor allem seine Frankreichreise im Jahre 1777 stand in diesem Zeichen.Ga naar voetnoot26 Wie auch später nach Holland und Belgien reiste er inkognito, als Graf von Falkenstein, in schlichter Reiseuniform mit zwei einfachen Kutschen und in Begeleitung von nur einigen Kammerherren sowie Stabsoffizieren. Er zog nicht bei seiner Schwester Marie Antoinette in den Versailler Palast ein, sondern wählte sich ein privates Hotel Garni vor dessen TorenGa naar voetnoot27. Feste und Bälle interessierten ihm nicht; statt dessen unterhielt er sich mit Necker und Turgot über deren finanziellen Ideen und Pläne, die er vorher eingehend studiert hatte.Ga naar voetnoot28 Er besuchte den | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Tiergarten, die Akademie der Wissenschaften, das Hôtel des Invalides und die Porzellanfabrik in Sèvres. Er besah eifrig Armenhäuser, Krankenhäuser und Waisenhäuser, die ihm nachher zuhause zur Gründung von ähnlichen Einrichtungen veranlassten. Das neue Allgemeine Krankenhaus in Wien - für den aufgeklärten Absolutismus Josephs vielsagend: das wichtigste Gebäude aus seiner Regierungszeit - war 1784 direkt vom Vorbild des Hôtel Dieu in Paris inspiriert.Ga naar voetnoot29 Schon 1779 war das Wiener Taubstummeninstitut von ihm nach französischem Vorbild gegründet worden. Nachdem er sich in Paris ausreichend umgeschaut hatte, bereiste der Kaiser auch ausführlich die französische Provinz, besah deren Häfen, Kanäle, Straßen, Brücken, Festungen und Fabriken. Er tat kurzum alles, was Ludwig XVI. noch nie getan hatte, und besuchte alles, was jener noch nie besucht hatte. Auch Rousseau hatte ihn angeblich zum Gast;Ga naar voetnoot30 nur Voltaire ließ der Habsburger auf seinem Rückweg durch die Schweiz in Ferney vergebens auf sich warten.Ga naar voetnoot31 Politische Probleme zu lösen gab es allerdings auch, jedoch waren die teilweise von anderer Art als die, die mit den Herrschern Preußens und Russlands zu besprechen waren. Dass die Ehe Marie Antoinettes mit dem französischen König nicht zu dem intimen Bündnis zwischen Frankreich und Österreich geführt hatte, das Kaunitz 1756 sich von dem Renversement des Alliances erhofft hatte, war eins. Dass die Ehe wegen sexuellem Versagens Ludwigs XVI. lange kinderlos blieb war ein zweites, und auch darin hat der Kaiser sich energisch eingemischt und seinem fahrlässigen Schwager praktische Vorschläge unterbreitet, um dessen Libido zu vergrößern.Ga naar voetnoot32 Joseph erstattete nachher seinem Bruder Leopold, Großherzog der Toskana, darüber ausführlichen Bericht. Damit man einen Eindruck davon bekommt, womit ein Kaiser sich so zu beschäftigen hatte, sei hier kurz aus seinem Brief vom 9.Juni 1777 zitiert: Im Ehebett, und das ist das Rätsel, wird das Glied des Königs richtig steif, er führt es auch ein, bleibt dann ohne sich zu rühren vielleicht zwei Minuten dort, zieht sich zurück, ohne sich zu entladen, immer noch gespannt, und wünscht gute Nacht. Das versteht man nicht, denn bei dem allen hat er manchmal in der Nacht Pollutionen, doch nie beim Vollzug. Es macht ihm gar nichts aus, und er gesteht ganz friedlich, dass er das überhaupt nur aus Pflichtgefühl tut und kein Vergnügen daran hat. Ach, wenn ich nur ein einziges Mal hätte dabei sein können, den hätte ich auf die Sprünge gebracht. Man müsste ihn wie einen Esel peitschen, damit er sich entlädt. Meine Schwester hat dabei obendrein auch wenig Temperament, und sie sind beide ausgesprochen ungeschickt zusammen.Ga naar voetnoot33 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Dank der Beratung Josephs kam die Sache aber in Ordnung, und einige Monate später konnte Versailles dankbar nach Wien berichten, dass die Königin Frankreichs endlich in anderen Umständen war.Ga naar voetnoot34 Joseph zufrieden an seinen Bruder: ‘Ich hatte vollkommen richtig erkannt, dass Faulheit, Ungeschicklichkeit und Gleichgültigkeit die einzigen Hindernisse waren’.Ga naar voetnoot35
In übertragenem Sinne galt dies seiner Meinung nach auch für die Lage der Dinge, die er vier Jahre später in Belgien vorfand: Faulheit, Ungeschicklichkeit und Gleichgültigkeit standen den notwendigen politischen Reformen im Wege, die auch aus diesem Außengebiet der Habsburger einen modernen Staat machen sollten. Das Land war ein Museum spätmittelalterlicher Freiheiten, vom Kaiser jetzt zur Gleichschaltung auserkoren.Ga naar voetnoot36 Joseph II. war der erste regierende Fürst seit Philip II., der die südlichen Niederlande mit eigenen Augen kennen lernen sollte. Er hätte sie eigentlich schon längst besuchen wollen, aber der bisherige Gouverneur-General, sein Oheim Karl von Lothringen, widerte ihn als leichtlebiger Hohlkopf sosehr an, dass er damit bis zu dessen Hinscheiden im Sommer 1780 wartete.Ga naar voetnoot37 Maria Theresia hatte noch gerade vor ihrem eigenen Tod die Nachfolger - ihre Tochter Marie Christine und deren Ehemann Albert von Sachsen - bestellt, aber bevor das Paar in Brüssel eintreffen sollte, wollte Joseph sich selber an Ort und Stelle umsehen. Auch ohne Kaunitz, und bereits das war gewiss ein Vergnügen. Dank seiner Briefe und eines gleich nach dem Besuch in niederländischer und französischer Sprache herausgegebenen Büchleins wissen wir darüber bis ins Detail Bescheid.Ga naar voetnoot38 Innerhalb von knapp zwei Monaten, vom 31.Mai bis zum 27.Juli 1781, reiste der Kaiser abermals inkognito herum, wie immer unter den Namen Graf von Falkenstein. ‘Ich habe keinem davon erzählt’, schrieb er kurz vor der Abreise noch an Kaunitz, aber sein Reiseplan war in der ganzen Hofburg bekannt, und somit bald auch bei der Presse und in Paris.Ga naar voetnoot39 Als er in Belgien eintraf, wusste also jeder, wer er war. Er studierte abermals Schulen, Märkte, Fabriken, Kasernen und Krankenhäuser, redete mit Bürgern und Bauern, Kaufleuten und Arbeitern, Gelehrten und Studenten, Edelmännern und Pfarrern, kostete Brot und Suppe der Soldaten, und wusste dann am Ende genug: auch die südlichen Niederlande waren höchst reformbedürftig.Ga naar voetnoot40 Die genauen Folgen und seine genauen Plänen interessieren uns hier jetzt weniger - Josephs Eingreifen in die festgefügte kirchliche und weltliche Ordnung, die die führenden Schichten in Belgien mit ihren alten Privilegien, 1648 und 1715 bestätigt, für ewig abgesichert glaubten, endete bekanntlich mit einem regelrechten Aufstand, der sogenannten Revolte Brabançonne, die erst Josephs Nachfolger Leopold II. mit allergrößter Mühe zu überwinden wusste. Wichtig für uns ist, dass der Kaiser auch einen Abstecher in die nördlichen Niederlande machte: während einer guten Woche, vom 7. bis zum 16.Juli, bereiste Joseph die Vereinigte Republik.Ga naar voetnoot41 Zur Reise wurde zwar angeblich erst in Brüssel definitiv beschlossen, aber sie stand schon mindestens seit dreizehn Jahren auf dem Programm. Wenn er doch einmal in Belgien wäre, so | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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ließ sich einer Notiz aus dem Jahre 1768 entnehmen, wäre Holland ja auch nicht weit: ‘Unter Wahrung eines genau genommenen Inkognitos wird eine Reise von vierzehn Tagen durch dieses Land mir ermöglichen, seine einmaligen Schönheiten zu bewundern, den Wert der Freiheit zu schätzen und einen Eindruck von seinen kommerziellen und maritimen Aktivitäten zu bekommen’.Ga naar voetnoot42 Schon als er im Herbst 1780 Leopold gebeten hatte auch nach Belgien zu kommen, hatte er von Holland als einem der gewünschten Reiseziele gesprochen und ihm vorgeschlagen, u.a. gerade diesen Ausflug zusammen zu machen.Ga naar voetnoot43 Am liebsten hätte er daher auch gleich England einen Besuch abgestattet,Ga naar voetnoot44 aber dazu ist es Zeit seines Lebens nie gekommen. Dies gewiss zur erheblichen posthumen Zufriedenheit Maria Theresias, die im protestantischen Inselgroßreich die Verkörperung alles Bösen erblickte, speziell nachdem im Juni 1780 in London antikatholische Krawalle ausgebrochen waren.Ga naar voetnoot45
Holland - denn auf diese eine der sieben Provinzen der Republik beschränkte sich in der Praxis seine Reise - jedoch war für den Kaiser schon interessant genug: es galt dem Reisebericht zufolge noch immer als ein sehr reiches und modernes Land, von dem man vieles lernen konnte.Ga naar voetnoot46 Wie Zar Peter vor ihm lehnte auch er hier alle großangelegten öffentlichen Empfänge ab; ohne offiziellen Aufwand und ohne begleitenden Staatsapparat wäre ein Besuch viel sinnvoller, und die Holländer wussten dies zu schätzen. Der Gesandte der Republik in Brüssel, Hendrik Hop, hatte Joseph bereits Ende Juni versichert, dass man seine Wünsche in dieser Hinsicht völlig respektieren würde.Ga naar voetnoot47 Abermals bestand er deshalb auf seinem Inkognito und übernachtete als anonymer Tourist in Herbergen und Hotels; aber abermals war seine Ankunft irgendwo immer innerhalb weniger Stunden stadtbekannt. Vor seinem Zimmerfenster versammelten sich dann die vielen Neugierigen, die hofften, ihn irgendwann kurz zu Gesicht zu bekommen. Neugierig jedoch war auch der Kaiser selbst. Er wollte nicht nur Würdenträgern begegnen, sondern, genau wie auf seinen anderen Reisen, auch private Bürger kennenlernen, um sich einen guten Eindruck von Land und Leuten zu verschaffen. So kam er auch nach Broek in Waterland - als Inbegriff des sprichwörtlichen holländischen Sauberkeitswahns schon damals ein beliebtes Ausflugsziel.Ga naar voetnoot48 Der zeitgenössische badische Schriftsteller Heinrich Sander, Professor der Naturgeschichte und Beredsamkeit am Gymnasium Illustre in Karlsruhe, 1776 im Lande, schrieb, schon ohne nach Broek zu gelangen, fassungslos zum Thema: ‘Die Reinlichkeit der Holländer geht erstaunend weit, oft weis man nicht, wo man hinspucken soll’.Ga naar voetnoot49 Die daraus resultierende Putzmanie gehörte seit dem sechzehnten Jahrhundert unter Touristen zu den festen Klischees, für die diese auf ihrer Hollandreise immer Bestätigung suchten und daher auch fanden.Ga naar voetnoot50 Aber, wie fast immer bei Klischees, so galt auch hier: ganz ohne Grund existierten sie nicht, und die meisten Ausländer stießen schon auf Auswüchse hygienischer Art, die sie staunen ließen. Noch einmal Sander, zu Besuch bei einem Bauern in Leidschendam: ‘Er wies mir seinen Kuhstall, eine Stube, viel saubrer und reinlicher, als tausend Wohnstuben in Deutschland’.Ga naar voetnoot51 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Dass dieses Suchen und Finden dann 1781 auch auf Joseph zutraf, ist daher nicht verwunderlich. Der Kaiser begehrte in dem Dorf, das auf die meisten Besucher überdies einen auffallend stillen und verlassenen Eindruck machte, eine Wohnung von innen zu sehen, fand aber bei den ersten vier, wo er klopfen oder klingeln ließ, niemanden zuhause.Ga naar voetnoot52 ‘Endlich’ - und ich folge hier jetzt wörtlich dem Reisebericht - ‘klopfte General von Reischach [das war einer seiner wenigen Begleiter] bei einem fünften Haus an, dessen Bewohner zur Tür kam. Der General bat um Eintritt für sichselbst und zwei anderen Herren, davon einer vom höchsten Rang. Der Dörfler sagte, ich habe gehört, dass der Kaiser durch den Ort kommen sollte, ist er hier, wo ist er? Zeig ihn mir! Der General antwortete, es ist eben ein großer Herr dabei; und der Bauer fing wieder an: dann ist es also der Kaiser, zeig ihn mir! Er ist um die Ecke, wo er Ihre Antwort auf meine Frage abwartet, sagte der General; aber bevor ich ihn Ihnen zeige, müssen Sie mir erst sagen, ob wir Ihren Haus sehen dürfen. Darauf sagte der Landmann endlich: auch wenn Sie selber der Kaiser wären, ich kann Ihnen nicht mein Haus zeigen ohne Einwilligung meiner Frau, wenn Sie bitte warten, werde ich sie fragen. Nach einem Augenblick war er wieder zurück, sagte, dass seine Frau jetzt niemanden empfangen möchte, und warf die Tür zu’.Ga naar voetnoot53 Es war gewiss eine einmalige Erfahrung für den Habsburger, der sich bei aller aufgeklärten Politik doch durch und durch als Kaiser fühlte. Allerdings war es für Hollandbesucher sicherlich keine einmalige Erfahrung an sich. Davor, dass Frauen hier zulande im Haus die Hosen anhätten, warnte ein Vierteljahrhundert früher bereits wörtlich der britische Reiseführerautor Thomas Nugent.Ga naar voetnoot54 Das war eben ein zweites Element im Standardrepertoire der nationalen Eigentümlichkeiten der Vereinigten Republik.Ga naar voetnoot55 Auch der Mangel an Förmlichkeit und anständigem Untertanengeist der Niederländer wanderte in Reiseberichten als ein fester Topos durch die Zeilen. Sander dazu verdutzt: ‘Den Statthalter nennen die Leute nur, ihren Wilhelm, ihren Prinz; sie sprechen sehr ungeniert mit ihm, setzen den Hut auf, setzen sich zu ihm, erkundigen sich, wie er und Frau und Kinder fahre, und rauchen ihre Pfeifen fort’.Ga naar voetnoot56 Oder der spätere Göttinger Philosophieprofessor Johann Beckmann, 1762 als Student in der Republik: ‘Wie ich einst mit meiner Wirthinn im Haag spatziren gieng und ein Laufer uns auf einer kleinen Brücke die Ankunft des [damals vierzehnjährigen, TvdD] Stadthalters meldete, antwortete sie, so laut, dasz es auch der Prinz hören konte, hier sey Platz genug für einen jungen Stadthalter; wenn er erst älter sey, wolle sie mehr Platz machen’.Ga naar voetnoot57 Selbst scheint Joseph übrigens den ganzen Vorfall in Broek mit einem Lächeln hingenommen zu habenGa naar voetnoot58; der offizielle Berichterstatter, dem wir das Zitat entnehmen, kommentierte dagegen empört: Das war ohne Zweifel das erste Mal, dass man dem Kaiser etwas verweigerte, das man überall anderswo als höchst ehrenvoll empfinden würde, Ihm anbieten zu dürfen. [...] In Deutschland gibt es keinen Einwohner, der nicht von Sinnen ist, der nicht weiß, was ein Kaiser ist. Aber diese friedfertigen Christen in Broek meinten wohl, dass dieser Fremde, von welchem hohen Rang auch, nicht gekommen war, um etwas zu kaufen, und sich wohl nicht dem Reinheitsgesetz unterwerfen würde, seine Schuhe oder Stiefel auszuziehen, um barfuß die Wohnung zu betreten, und das reichte für ein Nein.Ga naar voetnoot59 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Gottseidank begegnete unsere Reisegesellschaft im nächsten Ort einer Frau, die sich dem Kaiser entschlossen in den Weg stellte und ihn bat, doch unbedingt die Güte zu haben, sich ihr Haus anzusehen, und damit war die Welt wieder in Ordnung.Ga naar voetnoot60 Insgesamt über sein Holland-Ausflug sehr zufrieden schrieb Joseph, schon auf der Rückreise, am 16.Juli 1781 aus Utrecht an Kaunitz: ich habe nicht allein einen unvergleichlichen und unglaublichen Gewerbereichtum vorgefunden, sondern auch eine Treuherzigkeit und Gefälligkeit [sic!] von Seiten der Einwohner, die für mich vollkommen unerwartet war.Ga naar voetnoot61 Josephs Reise führte von Antwerpen über Bergen op ZoomGa naar voetnoot62 nach Rotterdam, dann über Delft, Den Haag, Haarlem, Den Helder und Zaandam nach Amsterdam, und schließlich über Utrecht, 's-Hertogenbosch und Maastricht heim ins Heilige Römische Reich. In Rotterdam nahm er für zwei Nächte Quartier in ‘Het Zwynshoofd’, in Den Haag abermals für zwei Nächte in ‘Het Parlement van Engeland’, in Haarlem für eine Nacht in ‘De Gouden Leeuw’, in Amsterdam für zwei Nächte in ‘Het Wapen van Amsterdam’, in Utrecht schließlich für eine Nacht in ‘Het Kasteel van Antwerpen’.Ga naar voetnoot63 Spektakulär einfach waren seine Unterkünfte übrigens nicht; so galt ‘Het Parlement van Engeland’, in Den Haag nahe dem sogenannten Plein befindlich, als eines der vornehmsten Hotels der Residenz wo sich damals die beau monde traf, wenn auch im Verhältnis zur Qualität erstaunlich billig.Ga naar voetnoot64 Seiner zentralen Lage wegen war der dortige Aufenthalt für den Kaiser auch aus politischen Gründen sehr praktisch; der Statthalter sowie der österreichische und der französische Botschafter wohnten gleich um die Ecke, alle drei nur wenige hundert Meter von seinem Logis. ‘Het Zwynshoofd’ am Hauptmarkt in Rotterdam wurde ebenfalls von der eingesessenen Elite für feierliche Veranstaltungen favorisiertGa naar voetnoot65 und hatte viele hohe ausländische Reisende zu Gast, darunter zwei von Josephs Brüdern, Maximilian - den späteren Kölner Kurfürsten - 1776 und Ferdinand 1786.Ga naar voetnoot66 Auch Josephs Utrechter Hotel war laut einem zeitgenössischen Besucher ‘ein ausgezeichnetes Haus’.Ga naar voetnoot67 Besonders aber das Amsterdamer Hotel, ab 1758 vom bekannten Kaufmann und Kunstsammler Gerard Braamcamp auf die Ecke vom Kloveniersburgwal und Rusland als imposanter Neubau errichtet, soll als vornehm gegolten haben.Ga naar voetnoot68 Es umfasste dreißig großartige Zimmer, und viele Räume waren mit Marmorboden, schönen Gemälden und aufwendigen Kaminen ausgestattet. Als Unternehmen allerdings nicht erfolgreich, wechselte es nach dem Tod Braamcamps 1771 mehrfach den Besitzer, und musste dann 1861 definitiv schließen. Schon 1773 musste der damalige Wirt, Reinier Welters, den Eigentümern berichten, er habe im letzten Sommer an vielen Tagen nur zwei oder drei Gäste im ganzen Haus gehabt, ‘was dem fehlt, weiss ich nicht, ich habe es meine bisherigen Kunden, die mir jetzt abspringen gefragt, und die sagen dann nur einstimmig, sie würden wiederkommen falls ich einen anderen Gasthof hätte, aber nicht mehr ins Wapen van Amsterdam übernachten’.Ga naar voetnoot69 Leider ist unbekannt, ob das Hotel dem Kaiser gefallen hat; als | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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der Statthalter neun Jahre später anfangs mit einem Gefolge von fünfzehn Personen dort einkehren wollte, hat sich die hohe Gesellschaft letztendlich doch anders entschieden.Ga naar voetnoot70 In den holländischen Städten fand der Kaiser allerhand öffentliche Einrichtungen ziviler und militärischer Natur vor, die ihm maßlos interessierten. In der lebendigen Hafenstadt Rotterdam, wo am 7.Juli auf dem Kai bereits eine unübersehbare Menschenmenge auf seine Ankunft wartete, wohnte er am nächsten Tag - einem Sonntag - erst morgens in der nagelneuen katholischen Rosaliakirche (1778-'79 vom italienischen Immigrantenarchitekten Giovanni Giudici nach dem Muster der Versailler Schloßkapelle erbaut) der Messe bei.Ga naar voetnoot71 Anschließend besuchte er die Werften und Lagerhäuser der Admiralität, die gerade kurz darauf zum Teil von imposanten Neubauten nach Entwürfen Giudicis ersetzt werden sollten.Ga naar voetnoot72 Auffallend genug bleibt die bekannte Erasmusstatue Hendrick de Keysers (1622) fast von jedem Touristen besehen, im Reisejournal unerwähnt, obwohl Josephs Hotel nur wenige Schritte vom Denkmal entfernt lag.Ga naar voetnoot73 Ein geplanter Ausflug zum Marinehafen Hellevoetsluis musste, nachdem man bereits mit einer Schaluppe abgefahren war, des stürmischen Wetters wegen abgebrochen werden. Statt dessen sah sich der Kaiser auf einer Kutschenfahrt einige Polder in der Nähe Rotterdams an, und frühstückte bei seinem Finanzagenten, dem katholischen Bankier Jan Karel Osy - dem Bauherrn der Rosaliakirche -, auf dessen Landsitz Palenstein in Zegwaart (heute Zoetermeer) den er später am Tag, nach einem Kurzausflug nach einem ausgestorbenen Delft - ‘man kann dort hundert Schritte machen ohne zwei Menschen zu begegnen, es scheint als sei die Stadt in Trauer versetzt oder ein einziges großes Kloster, es ist dort mäuschenstill, kein Haus ist offen’ - nochmals, wie Erzherzog Maximilian vor ihm, auf dessen Rotterdamer Landsitz Rosenhof einen Besuch abstattete.Ga naar voetnoot74 Mit einem Abendspaziergang entlang der Maas auf dem stattlichen Boulevard ‘De Boompjes’, 1615 als Rotterdamer Vorläufer der Berliner Prachtpromenade Unter den Linden - tatsächlich samt Lindendoppelreihe! - angelegt, seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts beliebte Wohnstätte der Rotterdamer Kaufmannselite, und seitdem sowohl von den Einheimischen für ihre sonntägliche Pantoffelparade als von den Touristen für ihren Freizeitbummel favorisiert, wurde der Tag beschlossen.Ga naar voetnoot75 Am Morgen des 9.Juli wurde ein zweiter Versuch unternommen, nach Hellevoetsluis zu segeln, aber ein von neuem plötzlicher Sturm zwang die kleine Reisegesellschaft, der sich Osy einstweilen angeschlossen hatte, die Fahrt bereits in Schiedam zu beenden und - anstatt wie geplant von Hellevoetsluis übers Wasser an Den Briel, Maassluis, Vlaardingen und eben Schiedam vorbei - über Land nach Den Haag zu reisen.Ga naar voetnoot76 Dort wurde am nächsten Tag, nachdem der Kaiser in der Kapelle seines Botschafters der Messe beigewohnt hatte, ein zu der Zeit angeblich fast obligatorischer Ausflug ins Fischerdorf Scheveningen unternommen, und wurden ferner das berühmte Naturalienkabinett des Statthalters sowie zwei Waisenhäuser - das städtische und das katholische - besucht, die reichlich mit Gaben bedacht wurden.Ga naar voetnoot77 1756 war im ersten der beiden, dem Burgerweeshuis, die Haager Niederlassung der neuen Fundatie van Renswoude untergebracht, die es dank des großzügigen Vermächtnisses der zwei Jahre vorher verstorbenen Gründerin Maria Duyst van Voorhout, Freifrau von Renswoude, mittels einer Art internen Berufsausbildung talentierten Wai- | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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senknaben ermöglichte, ein Handwerk zu lernen, was den Kaiser sicherlich interessierte.Ga naar voetnoot78 Die Stiftung verfügte laut Bericht des schwedischen Gelehrten Bengt Ferrner aus dem Jahr 1759 dank dem Lektor Jacob Baart de la Faille bereits früh über eine stattliche Sammlung von physikalischen Instrumenten, die sich mit der besten im Lande messen konnte. Ga naar voetnoot79 Im Naturalienkabinett wurde Joseph über zwei Stunden lang vom Direktor, Arnout Vosmaer, herumgeführt, der über die physikalischen Kenntnisse des Kaisers gestaunt haben soll - was kein Wunder wäre, wenn der berühmte britische Naturhistoriker Thomas Pennant 1765 recht hätte mit seiner Bemerkung, der Autodidakt Vosmaer sei bloß ‘a frenchified Dutchman, extremely ignorant’.Ga naar voetnoot80 Diese harte Abkanzelung wird allerdings wohl vor allem der so kurz nach dem Siebenjährigen Krieg für Briten empfindliche Tatsache zuzuschreiben sein, dass Vosmaer nur über sehr beschränkte Kenntnisse der englischen Sprache verfügte.Ga naar voetnoot81 Aber auch Heinrich Sander zeigte sich 1776 kritisch: ‘Die Ordnung ist eitel Unordnung und bestätigt mir das, was andre Gelehrte mir von Vosmaer gesagt haben’Ga naar voetnoot82. Den Herrn Direktor selbst traf er nicht, weil der nach Deventer verreist war, aber ‘nachher hatte ich auch keine grosse Ursache, seine Abwesenheit zu bedauren’.Ga naar voetnoot83 Pennant und Sander waren keineswegs die bisher einzigen Besucher der statthalterlichen Naturaliensammlung gewesen, die 1751 von der Witwe Wilhelms IV., Anna von Hannover, für ihren erst vierjährigen Sohn, den späteren Wilhelm V., gegründet und 1756, bald durch dessen eigene Sammlung vermehrt, unter die Obhut Vosmaers gestellt worden war. Neben Ferrner (1759) und Beckmann (1762) fanden sich vor Joseph auch der schwedische Orientalist Jakob Jonas Björnstähl (1773) und Carl Heinrich Titius (1777) Inspektor des kurfürstlich-sächsischen Naturalienkabinettes in Dresden, dort ein.Ga naar voetnoot84 Das Kabinett, das ursprünglich bloß auf fünf kleine Zimmer im zweiten Stockwerk des statthalterlichen Palastes auf dem Binnenhof verteilt worden war und zumindest seit 1759 an jedem Wochentag von zwölf bis dreizehn Uhr besucht werden konnte,Ga naar voetnoot85 musste 1766 mit den anderen Sammlungen des Statthalters wegen ständigen Wachstums in ein gesondertes Haus am Buitenhof umziehen. Es besaß einen internationalen Ruf, und speziell Titius, obwohl wie Sander von der wegen Raummangel unordlichen Aufstellung schockiert, lobte den unschätzbaren Reichtum und großen wissenschaftlichen Wert der Sammlung: ‘Es wird in ganz Europa nicht seines gleichen haben, und zur Aufklärung der noch so dunkeln Naturgeschichte könnte es unendlich viel beytragen’.Ga naar voetnoot86 Und noch 1790 äußerte sich der bekannte Mainzer Bibliothekar Georg Forster sehr positiv: ‘Die Pracht, die Seltenheit, die Auswahl, der Aufputz und die sorgfältige Unterhaltung der Naturalien des Erbstatthalterlichen Kabinets fallen nicht nur beim ersten Anblick auf, sondern die Bewunderung steigt, je länger und genauer man es untersucht’.Ga naar voetnoot87 Dem stimmten dann 1795 auch die Franzosen zu, als sie das Naturalienka- | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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binett mit allen anderen statthalterlichen Sammlungen nach Paris entführten, wo die Direktoren des neugegründeten Musée Nationale d'Histoire Naturelle schon sich die Hände reibend auf die Kriegsbeute des Generals Pichegru warteten. Erst zwanzig Jahre später sollte es den Niederländern gelingen den Großteil der Sammlung zurück zu bekommen; sie wurde dann im Leidener Rijksmuseum voor Natuurlijke Historie aufgestellt.Ga naar voetnoot88 Am 11.Juli wurde die Reise fortgesetzt. Hinter Den Haag hielt Joseph sich, nach einem kurzen Blick auf das vor allem wegen seiner kleinen Menagerie von Reisenden frequentierte statthalterliche Landhaus ‘Loo’,Ga naar voetnoot89 zwei Stunden lang auf dem ‘Zuidwijk’ in Wassenaar auf, dem Landsitz des Grafen Carel George van Wassenaer-Obdam, dessen schöne Gärten einen guten Ruf hatten und dessen landschaftliche Aussichten 1759 bereits von dem Schweden Ferrner als die schönsten Hollands gelobt worden waren.Ga naar voetnoot90 In Leiden wurde Joseph, nach einer kurzen Rast im Gasthof ‘De Gouden Leeuw’ am Fuße der Burg, von den bekannten Professoren Pestel und Allamand in der 1575 gegründeten Universität und dem ab 1594 angelegten Hortus - einem der ältesten botanischen Gärten Europas, berühmt wegen Boerhave - herumgeführt,Ga naar voetnoot91 und der Kaiser besuchte darauf mit den beiden die wegen Scaligers (meist sorgfältig hinter Schloß und Riegel versteckter) orientalischer Handschriftensammlung bekannte Universitätsbibliothek, wo er von Professor Ruhnkenius und einigen Kollegen empfangen wurdeGa naar voetnoot92 - man darf in seinem Fall dabei auch von einem höflichen Empfang ausgehen, was keineswegs selbtsverständlich gewesen zu sein scheint; der Frankfurter Bibliophile Zacharias Conrad von Uffenbach klagte jedenfalls 1711: Allein die Herren Professores stellen sich so albern, wenn man zu ihnen kommt, daß uns die Lust, mehrere zu besuchen, vergienge. Ihre erste Frage ist gemeiniglich: Is er iets van myns Heeren dienst? Wann man ihnen dann sagt, daß man ihnen aufwarten, oder sie zu sprechen die Ehre gaben wollen, lachen sie entweder, oder sehen saur.Ga naar voetnoot93 Wie dem auch sei, der Kaiser besah dann unter Führung von Professor Sandifort und dem Lektor | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Le Francq van Berkhey den Seziersaal beziehungsweise das Naturalienkabinett,Ga naar voetnoot94 das auch einige Altertümer - die sogenannten Marmora Papenburgica- aus dem Vermächtnis von weiland dem Amsterdamer Stadtschöffen Gerard van Papenbroeck enthielt, die 1745 im Mittelbau der eigens dazu von Daniel Marot neugebauten, bis heute erhaltenen Orangerieim Hortus aufgestellt wurden; die Naturalien fanden im westlichen Flügel ihr Zuhause.Ga naar voetnoot95 Darunter befand sich ein großer Stein, der einmal vor vielen Jahren in der Nähe von Leiden gefunden worden war und eine kurze Inschrift aufwies, deren für den Kaiser wohl schmeichelhafter Text lautete: Gens Batavorum amici et fratres Imp.Rom. - also: ‘das Volk der Bataver, Freunde und Brüder des Römischen Reiches’.Ga naar voetnoot96 Der Stein ist später allerdings als eine Fälschung aus dem Anfang des 17.Jahrhunderts entlarvt worden.Ga naar voetnoot97 Schließlich besah Joseph die Gemäldesammlung der Witwe von Jan Tak sowie die des Kunsthändlers und langjährigem Direktors der Zeichenakademie ‘Ars Aemula Naturae’ Abraham Delfos,Ga naar voetnoot98 und er ging mit seinem Professorengefolge am Haus der Witwe Schuurmans Stekhoven vorbei, der Tochter des Gartendirektors in Schönbrunn - und eine Vorfahrin mütterlicherseits von mir.Ga naar voetnoot99 Nachdem er ihr die Grüße ihres Vaters bestellt hatte, ließ er sich in ihrer Gärtnerei ‘De Dadelboom’ unter anderen die berühmte hundertdreißig Jahre alte amerikanische Aloë zeigen, mit einem Umfang von fünfzehn und einer Höhe von vier Metern wohl die größte ihrer Art, und daher bei einem größeren Publikum eine beliebte Attraktion.Ga naar voetnoot100 Noch am selben Abend des 11.Juli fuhr der Kaiser weiter nach Haarlem, wo er sich am nächsten Morgen um fünf Uhr in der Früh zusammen mit dem Badener Kommerzienrat Wiedman die schöne spätgotische Bavokirche ansah und sich dort wie viele vor und nach ihm ein Konzert des Organisten und Komponisten Johannes Radeker auf der berühmten Müller-Orgel anhörte, die sich als eine der wenigen einer kleinen - von Radeker selbst verfaßten - zeitgenössischen Monographie rühmen konnte und bereits von Händel und Mozart bespielt worden war.Ga naar voetnoot101 Zu den Zuhörern im vorigen Jahren gehörten 1768 Statthalter Wilhelm V und seine Gattin, sowie der dänische König Christian VII..Ga naar voetnoot102 Die Orgel besaß allerdings einen besseren Ruf als der Organist; von letzterem hieß es 1772 im Reisetagebuch des englischen Musikhistorikers Charles Burney, dass er ‘kein so grosser Spieler ist als er von sich selbst glaubte’, während der deutsch-niederländische Musiktheoretiker Jacob Wilhelm Lustig, von 1728 bis zu seinem Tod 1796 Organist der Groninger Martinikirche, Radekers sechs Sonaten für Klavier und Violine als ‘ausgebrütet’ und ‘lauter gemaustes Werk’ herabwürdigte, Ga naar voetnoot103 nachdem er vorher schon einmal ein Musikstück von | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Johannes' Vater Hendrik Radeker als ‘Olipodrigo voll abscheulicher Katzensprünge’ in den Mülleimer verbannt hatte.Ga naar voetnoot104 Die Haarlemer Orgel war insbesondere berühmt aufgrund der Tatsache, dass es möglich war, alle Naturlaute, die man sich wünschen konnte, nachzuahmen, vom rauschenden Wind bis zum Donnerknall, vom plätschernden Wasserfall zum prasselnden Hagel, sogar die menschliche Stimme miteingeschlossen.Ga naar voetnoot105 Radeker galt wie sein Vater und Vorgänger, der fünfzehn Jahre früher Mozart eingeladen hatte, bei Kennern angeblich als ein Effekthascher, der vor allem die frommen Kirchengänger mit seinen Orgeltönen zerschmettern wollte. Als die Orgel dann 1789 dem ruhmvollen Mannheimer Kapellmeister Georg Joseph Vogler für einen Tag in die Hände fiel, standen bei jenem sogar Werke mit für empfindliche Ohren beängstigenden Themen wie ‘die durch ein Donnerwetter unterbrochene Hirtenwonne’, ‘der Tod des Herzogs Rudolph’ und ‘der Einsturz der Mauern Jerichos’, sowie ganze Seeschlachten und ähnliches auf dem Programm.Ga naar voetnoot106 Falls sich Radeker zum Kaiserbesuch 1781 ebenfalls an derartiges herangewagt hat, muss Joseph die Bavokirche völlig betäubt verlassen haben. Bevor er sich am Nachmittag nach Den Helder begab, fuhr der Habsburger noch ins südliche Nachbardorf Heemstede, wo er kurz für eine Erfrischung im Landhaus ‘De Hartekamp’ des Amsterdamer Bürgermeisters Peter Clifford anhielt, und danach, wieder in Richtung Haarlem umgekehrt, im Vorbeigehen auch das Landhaus ‘Meer en Berg’ des Amsterdamer Seidenfabrikanten Aarnout David van Lennep besah. Auf dem Weg in den Norden überholte er dann später den Vize-Admiral Andries Hartsinck, der gerade nach Den Helder eilte, um dort den Kaiser zu empfangen. Bei ungestümem Wetter begaben beide sich für einige Seemanöver zusammen mit dem gerade im Februar 1781 zum Konteradmiral ernannten Jan Hendrik van Kinsbergen an Bord des Admiralsschiffs,Ga naar voetnoot107 mit dem letzterer schon kurz darauf, am 5.August, bei Doggerbank den bekannten Pyrrhus-Sieg über die englische Flotte erringen sollte.Ga naar voetnoot108 Am 13.Juli fand dann, auf Josephs Weg von Den Helder über Zaandam nach Amsterdam, die oben erwähnte Episode in Broek in Waterland statt; in Zaandam trat der Kaiser selbstverständlich wie viele andere Touristen in die Fußstapfen Peters des Großen und besah das winzige Wohnhäuschen samt Werkstatt, wo der Zar 1697 gelebt und als Zimmermann gearbeitet hatte, wobei der Wirt der Herberg ‘Den Otter’, wo der Kaiser angehalten hatte, ihn als Reiseführer begleitete.Ga naar voetnoot109 Am frühen Abend dann mit der normalen Treckschute unauffällig in Amsterdam eingetroffen, gelang es ihm nicht einmal einige Stunden, inkognito zu bleiben; nach einem kurzen Spaziergang in seinenen Gasthof ‘Het Wapen van Amsterdam’ eingekehrt, hatte sich dort schon auf das Gerücht seiner an diesem Tag bevorstehenden Anreise hin eine riesenhafte Menschenmenge versammelt, die ihm wie ein undurchdringlicher Wall den Weg versperrte. Noch unerkannt gelangte er mit Mühe hinein um dann, als seine Anonymität nicht länger mehr gegeben war, in seinem Zimmer Otto Willem Johann Berg zu empfangen, den Schwiegersohn seines Bankiers Johann Goll, mit dem die Habsburger schon seit den fünfziger Jahren ein recht mühsames finanzielles | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Verhältnis mit vielen Aufs und Abs unterhielten - das Bankhaus Goll besaß einen keineswegs tadellosen Ruf, und auch in Wien meinte man ‘berechtigte Gründe für Misstrauen wegen dessen Finanzverwaltung’ zu haben.Ga naar voetnoot110 Als Berg dann wieder hinaustrat, hatten sich vor der Zimmertür mittlerweile schon viele Amsterdamer ersten Ranges versammelt, darunter der Bürgermeister Joachim Rendorp, der dann sofort für ein längeres Gespräch herein gebeten wurde. Nachdem Rendorp fortgegangen war, stillte Joseph die Neugier des Amsterdamer Publikums, indem er sich eine Weile an seinem Fenster zeigte, aber auch nachdem er sich von dort zurückgezogen hatte, ließ die Aufmerksamkeit nicht nach. Ganz im Gegenteil sollte sich die Anzahl der draußen Wartenden im Laufe der Nacht nur noch vermehren, und zwar sosehr, dass die Behörden sich genötigt sahen, einige Wächter auf dem Gehsteig aufzustellen, damit der Zugang zum Gasthof nicht völlig von der Menschenmenge versperrt wurde, deren Umfang die beim Besuch des Schwedenkönigs Gustav III. an Amsterdam im letzten Winter bei weitem übertraf.Ga naar voetnoot111 Am Morgen des 14.Juli musste der Kaiser sich dann erst zwischen einigen zudringlichen Bittstellern hindurchschlängeln, die ihm mit eigenen Erfindungen und Projekten zu schmeicheln versuchten, bis er seine Droschke erreichen konnte, die ihn mit seinen Begleitern zur Werft der Admiralität auf der Insel Kattenburg bringen sollte, wo er sich die Bauarbeiten an verschiedenen Schiffen anschaute und sich in den großen Lagern umsah. Am selben Tag standen ferner das als ‘Oost-Indisch Buitenhuis’ bezeichnete, 1661 errichtete riesige Lagerhaus der Vereinigten Ostindischen Compagnie mit seinen Werften auf der Insel Oostenburg und das städtische Krankenhaus - unser Reiseberichterstatter zieht sofort einen Vergleich mit dem Kaiserbesuch des Pariser Hôtel Dieu - auf dem Programm.Ga naar voetnoot112 Mit letzterem ist wohl das 1579 nach einem Umbau in den Gebäuden des ehemaligen Alten und Neuen Nonnenklosters errichtete St.Pietersgasthaus am Grimburgwal gemeint, das unter dem Namen ‘Binnengasthuis’ in Neubauten aus der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts seine Existenz bis 1981 dehnen sollte. Es folgten das Raspelhaus für Männer und das Spinnhaus al Frauenzuchtanstalt, die beide - aber vor allem das erstgenannte - als von Touristen nicht zu verschmähende Sehenswürdigkeiten galten, und daher seit ihrer Gründung 1596 von vielen Besuchern frequentiert wurden;Ga naar voetnoot113 das Raspelhaus war dabei einmal weltbekannt wegen der besonderen Strafmethode für faule Insassen, des Pumpen-oder-Ersäufens, die zur Zeit Josephs allerdings längst der Geschichte angehörte, nachdem ein Gefangener, der Arbeit überdrüssig, tatsächlich einmal dem Ersäufen den Vorzug gegeben hatte.Ga naar voetnoot114 Die Einrichtungen galten bis weit ins 18.Jahrhundert als vorbildlich,Ga naar voetnoot115 und als der bekannte englische Gefängnisreformer John Howard zu dieser Zeit in Europa herumreiste, widmete er in seinem bekannten Buch zum britischen und europäischen Zuchthauswesen 1784 selbstverständlich auch dem Amsterdamer Raspelhaus und Spinnhaus eine ganze Reihe von Zeilen.Ga naar voetnoot116 Danach kamen das Almosenierswaisenhaus, das Alte Männer- und Frauenhaus, und das als | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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‘Binnenhuis der O.I.Compagnie’ bezeichnete Ost-Indische-Haus am Kloveniersburgwal an die Reihe.Ga naar voetnoot117 Im Krankenhaus hat der Kaiser angeblich das Menü für die Kranken studiert, im Waisenhaus sogar das Essen der Kinder gekostet, ‘wobei er zu einigen der Umstehenden sagte, dass dies in Ordnung war’, und sich im Altenheim die Zimmer der Bewohner angesehen.Ga naar voetnoot118 Der geräumige, imposante Neubau, 1754-'57 nach den Plänen des damaligen Amsterdamer Bürgermeisters Pieter Rendorp und des Stadtbaumeisters Gerard Frederik Maybaum errichtet, glich mit seinem symmetrischen Aufbau sowie vornehmen klassizistischen Fassaden eher einem königlichen Palast als einer Bürgeranstalt, und hat damals schon viele Ausländer beeindruckt.Ga naar voetnoot119 Sander, überhaupt vom nationalen Putzwahn fasziniert: ‘In solchen öffentlichen Häusern steigt nun die Reinlichkeit der Holländer aufs höchste’.Ga naar voetnoot120 Das Interesse, das Joseph jedoch vor allem für die V.O.C. an den Tag legte, machte allerdings einige Personen misstrauisch; sie meinten Grund zu der Befürchtung zu haben, dass er seine Erfahrungen für die Gründung einer eigenen konkurrierenden Ostindischen Kompagnie im südniederländischen Ostende benutzen wolle.Ga naar voetnoot121 Wohl kennzeichnend für das auf nützliche Einrichtungen ausgerichtete Interesse des Kaisers war, dass erst nachdem er - es muss freilich im Eiltempo geschehen sein! - all diese wirtschaftlichen und öffentlichen Einrichtungen auf seinem Rundgang kreuz und quer durch die Stadt besucht hatte, noch kurz bevor dem Mittagessen erstmals die Kunst an die Reihe kam: das Kabinett der chinesischen Möbel eines gewissen Herrn Ryk.Ga naar voetnoot122 Danach fuhr er in seiner Droschke in die Plantage, begab er sich nach Zeeburg, um von der dortigen Wirtschaft aus den schönen Blick auf das IJ und die Wiesen zu genießen, kehrte in die Stadt zurück, um sich die 1671-'75 von Elias Bouman erbaute schlichte portugiesische Synagoge anzusehen,Ga naar voetnoot123 und setzte sich dann schließlich in der wegen ihrer kleinen Menagerie mit seltenen Säugetieren und besonders vielen, aus allen Erdteilen stammenden Vögeln bekannten Wirtschaft ‘Blauw Jan’, die in der Nähe seines eigenen Hotels lag, nämlich auf der anderen Seite des Kloveniersburgwals.Ga naar voetnoot124 Dieser Gasthof galt für Touristen als eine interessante Attraktion, wo man für ein geringes | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Eintrittsgeld im Innenhof beim Genuss eines Glases Bier oder Wein neben jenen Vögeln, Hufund Nagetieren, Affen, Bären, Löwen und anderen Raubtieren gelegentlich auch Riesen und Riesinnen, Ungeheuer und Fehlgeburten, Gaukler und Possenreißer, oder gar einen echten Tataren, Eskimo oder Mohawk-Indianer bewundern konnte; so wurde der ehrwürdige sächsische Gelehrte Titius 1777 dort nach eigener Aussage mit einem ‘besonders hässlichen Zwerg’ konfrontiert.Ga naar voetnoot125 Mit einem Faltblatt samt Kupferstich wurde sogar Werbung für die Tiersammlung gemacht,Ga naar voetnoot126 die bis weit ins Ausland einen Namen hatte und von vielen Wissenschaftlern besucht wurde,Ga naar voetnoot127 speziell als der Gründer Jan Westerhoff den Tiergarten mit einem Tierhandel zu kombinieren begann. Von einem späteren Inhaber, Anthony Bergmeijer, wurden um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts sogar Versailles und der Hof in Stockholm beliefert - billig war er allerdings nicht: ‘er hat ganz hübsche Tiere, aber die Haare auf meinem Kopf richten sich auf und die Läuse nagen an deren Wurzeln, wenn ich mir den Katalog ansehe’, dämpfte Linnaeus 1753 einmal die hochgespannten Erwartungen seines Landsmanns Abraham Bäck, der sich als Oberhofarzt des schwedischen Königs Adolf Friedrich einmal in dessen Auftrag bei ihm informierte.Ga naar voetnoot128 Dennoch, als Josephs Eltern 1752 bei Schönbrunn eine kleine Menagerie gründeten - die älteste noch erhaltene Europas - wurden zwei Niederländer, der Hofarzt Gerard von Swieten und der obengenannte Botaniker Adrianus Stekhoven, von Maria Theresia zum Einkaufen nach Amsterdam geschickt.Ga naar voetnoot129 Und 1774 musste Johann Friedrich Carl Grimm, Leibarzt des Herzogs von Sachsen-Coburg-Gotha, anlässlich seines Besuches an ‘Het Loo’ in der Nähe von Voorburg berichten, dass er leider nur relativ wenig Tiere in der damaligen Menagerie angetroffen hatte, weil eben eine ganze Menge an den Hof in Wien verschenkt worden waren.Ga naar voetnoot130 Ob der Kaiser auch deshalb, wegen eigener zukünftiger Kaufpläne, dem Blauw Jan einen Besuch abstattete? Damals war Bergmeijer bereits seit zweiundzwanzig Jahren tot, aber seine Witwe Maria Sobbe lebte gerade noch. 1781 ging das Blauw Jan allerdings schon seinem Ende entgegen - denn wegen des Krieges mit England, der die gesamte Einfuhr aus Indien lahm legte, war der exotische Tierhandel schon vor einem halben Jahr eingestellt worden. 1784 sollten auch Wirtschaft und Menagerie für immer die Tore schließen, und die Betriebsräume in ein Tonwarenlager umgewandelt werden.Ga naar voetnoot131 Dann endlich ins ‘Het Wapen van Amsterdam’ zurückgekehrt, stieß der Kaiser abermals auf eine unübersehbare Menschenmenge - die einfacheren Leute wartend und glotzend auf der Straße, die mehr bedeutenden schon drinnen im Hotel. Der Kaiser geriet dabei mit einem vornehmen katholischen Herrn ins Gespräch, der ihm zu Josephs Verwunderung auf seine Frage, wo er morgen - Sonntag - am Besten der Messe beiwohnen könne, die Antwort schuldig bleiben musste, weil er selber nie hingehe. Abermals musste der Habsburger bei dieser Gelegenheit versuchen, Bittsteller loszuwerden; ein junger Mann, der sich mit irgendeinem Gesuch an ihn herandrängen wollte und sich als kaiserlicher Untertan bekannt gab, bekam auf seine Mitteilung - als Antwort auf die Frage Josephs, was er dann wohl in Amsterdam zu suchen habe -, dass er hier als Sprachlehrer tätig sei, rundweg, und bevor er irgendetwas erwidern konnte, zu hören, er solle dies dann einfach ruhig weiter machen.Ga naar voetnoot132 Der Sonntagmorgen fing dann gleich um die Ecke mit einer Messe in der Versteckkirche ‘De | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Star’ in dem Spinhuissteeg an; dann begab der Kaiser sich, nach einem kurzen Abstecher in das Gotteshaus der Quäker an der Keizersgracht,Ga naar voetnoot133 zu seinem Bankier Goll. Dessen Wohnhaus an der Herengracht - heute No.174, in der Nähe der Leliegracht - wurde wegen seines Kunstkabinettes, das mit fünf- bis sechstausend Blättern zu den größten jener Zeit gehörte, regelmäßig von ausländischen Touristen besucht;Ga naar voetnoot134 es ist anzunehmen, dass Goll auch seinen hohen Gast herumgeführt hat. Anschließend besah der das benachbarte Haus (No.182) von Arnout Jan van Brienen,Ga naar voetnoot135 sowie Wohnung und Firmensitz des steinreichen Bankiers John Hope in den Häusern Keizersgracht 444-448, wo er ebenfalls sich dessen Gemäldekabinett ansah.Ga naar voetnoot136 Ob der Kaiser auch versucht hat, ihn für finanzielle Beziehungen mit dem Habsburger Hof zu interessieren, ist unbekannt.Ga naar voetnoot137 Es folgte eine Rundfahrt über die Herengracht - auch damals der ansehnlichste aller Kanäle Amsterdams - bis zum Weespertor, von dort außen herum bis zum Muidertor, dann entlang dem IJ-Ufer bis zum Haarlemertor. Vor allem diese letzte Strecke war wegen der unzähligen Schiffe, die sich dort vor Anker liegend bis zum Horizont aneinander reihten, unserem - allerdings positiv voreingenommenen - Berichterstatter zufolge für den Kaiser ein einmalig großartiges Erlebnis.Ga naar voetnoot138 Erst dann, nachdem er also die halbe Stadt im Überblick gesehen hatte, begab die Kutsche des Kaisers sich am Ende des Tages vom Haarlemertor aus den Singel entlang zum Hauptplatz der Stadt, dem Dam, mit dem berühmten Rathaus Jacob van Campens, wo die Stadtregierung bereits versammelt war um ihm einen herrlichen Empfang zu bereiten. Bei keiner anderen Sehenswürdigkeit der Stadt hat Joseph mehr Zeit verbracht als hier, er ließ sich alle bedeutende Räume mit ihren Kostbarkeiten zeigen.Ga naar voetnoot139 Es bildete den Schlussakkord und - zumindest künstlerischen - Höhepunkt seines Hollandbesuches; nachdem er zu seinem Gasthof zurückgefahren war, folgte alsbald die Abreise aus Amsterdam, und noch am selben Abend traf er, ziemlich spät, in Utrecht ein. Obwohl, wie der Reiseberichterstatter beteuert, die Domstadt an sich vieles zu bieten hätte, was für den Kaiser von Interesse gewesen wäre, war sie nur Durchreisestation. Joseph speiste und ging zu Bett, um nach einer kurzen Nachtruhe am 16.Juli bereits um 4 Uhr morgens die Reise fortzusetzen, über 's-Hertogenbosch - wo er nur kurz Pause machte, nachdem seine Kutsche abermals in einer neugierigen Menschenmenge gestrandet war - nach Maastricht.Ga naar voetnoot140 Es war die letzte Stadt der niederländischen Republik, die er zu sehen bekam; wenige Kilometer weiter erreichte er wieder habsburgisches Territorium, und einige Tage später war er zurück in Brüssel. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Wenn man das Fazit der Reise zieht, fällt wiederum das vor allem auf nützliche Einrichtungen ausgerichtete Interesse des Kaisers auf: Häfen, Werften und Lagerhäuser, Strafanstalten, Waisenund Krankenhäuser, die Leidener Universität mit ihren wissenschaftlichen Wundern. Es war für die Zeit kein unübliches Reiseprogramm - viele Sehenswürdigkeiten finden wir auch in den Reisejournalen anderer Touristen in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erwähnt, die meist viel mehr Zeit als nur eine gute Woche für ihren Hollandbesuch einräumen konnten.Ga naar voetnoot141 Die Kunst kommt (deshalb?) allerdings, wie immer bei Joseph, im Vergleich zu anderen Touristen ein wenig zu kurz. Natürlich, die Reise dauerte nur etwas über eine Woche, aber trotzdem. Katholische Kirchen sind nur zum Beiwohnen der Messe da, protestantische werden - mit Ausnahme der Haarlemer Bavokirche bei einem Orgelkonzert - nicht erwähnt, allein die portugiesische Synagoge wird als Gebäude gewürdigt. Nur wenige Privatsammlungen stehen auf dem Programm; nicht die statthalterliche Gemäldegalerie, sondern das statthalterliche Naturalienkabinett wird besucht. In Delft hatte er sich allerdings bereits die von Hendrick de Keyser angefertigte große Tumbe Wilhelm von Oraniens und den etwas bescheideneren Kenotaph für Hugo de Groot angesehen, freilich wohl eher ihrer historischen als ihrer künstlerischen Bedeutung wegenGa naar voetnoot142 - das Gleichgewicht zwischen beiden politischen Lagern, dem statthalterlichen und dem antistatthalterlichen, die sich in der sogenannten Patriotenzeit immer mehr verfeindeten, blieb in dieser Hinsicht bewahrt. Joseph nochmals nachher aus Utrecht an Kaunitz, freilich nicht ganz zu Recht: ‘Ich glaube in dieser Zeit der Wirren die Mitte gehalten zu haben, indem ich keines der beiden Lager schockiert habe’.Ga naar voetnoot143 Und das bringt uns schließlich zu einem andere Aspekt dieser Hollandfahrt, der für Joseph wohl kaum weniger wichtig gewesen sein mag. Denn die aktuelle Politik konnte auf kaiserlichen Auslandsreisen, wie ‘privat’ und inoffiziell auch, selbstverständlich nicht außer Acht bleiben. Und in Anbetracht der angespannten inneren Lage der niederländischen Republik, die allmählich einem Bürgerkrieg entgegensteuerte und die darüberhinaus seit dem 20.Dezember 1780 in einen Krieg mit Großbritannien verwickelt war, war dann jeder getane oder nicht getane Schritt bereits ein Politikum. Joseph traf sich in Den Haag bald mit seinem inzwischen uralten und etwas verschlafenen Botschafter Reischach, dem Vater des bereits in Beziehung zu Broek genannten Generals, dann mit dem französischen Gesandten De la Vauguyon, um über die große Politik zu sprechen (am nächsten Tag würden sie einander noch einmal treffen) und erst später am Nachmittag mit dem letzten Statthalter Wilhelm V. und dessen Ehefrau Wilhelmine, einer Nichte Friedrichs des Großen, um in deren ‘Huis ten Bosch’ zu speisen und ins Konzert zu gehen. Am nächsten Tag wurde zusammen mit dem Statthalter die Militärparade abgenommen, und abermals in Huis ten Bosch gegessen, und zwar dreißig Honoratioren eingeschlossen, darunter verschiedene Mitglieder der niederländischen ‘Regierung’ und einige ausländische Diplomaten.Ga naar voetnoot144 Dem Vormund Wilhelms, Ludwig von Braunschweig-Wolffenbüttel, der als ‘Der dicke Herzog’ in die Geschichte eingegangen ist, der lange an Wilhelms Statt eigentlich das Sagen hatte und der auch jetzt noch bei den meisten Zusammentreffen mit dem Habsburger zugegen war, würdigte der Kaiser jedoch - obwohl er ihn schon gleich nach seiner Ankunft noch vor Reischach besucht hatte - in diesen Tagen kaum ein freundliches Wort.Ga naar voetnoot145 Dessen Stern war freilich schon im Sinken begriffen, da ihm und seinem Mündel von den anti-statthalterlichen Patrioten eine heimliche Parteinahme für England nachgesagt wurde; in wenigen Jahren würde der Herzog ver- | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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bittert das Land verlassen. Dessenungeachtet war diese offen-ablehnende Haltung des Kaisers so auffallend, dass sie von den politischen Gegnern Ludwigs, die ihren Hauptsitz in Amsterdam hatten, als eine demonstrative Handreichung in ihre Richtung verstanden wurde. Sie betrachteten die kaiserliche Demütigung ihres Hauptgegners jedenfalls mit Vergnügen.Ga naar voetnoot146 Tatsächlich war dies auch wohl Josephs Absicht: er wollte das tiefsitzende Misstrauen seiner Absichten gegenüber lindern und mit seiner Reise betonen, dass er keineswegs so england-freundlich war, wie ihm nachgesagt wurde - was angesichts der Kriegslage in der Tat beruhigend wirkte und ihm bei der niederländischer Bevölkerung sogar zu einiger Popularität verhalf. Vauguyon, der für sein Land selbstverständlich auf der Seite der Gegner der Oranier stand, konnte nach zwei langen Unterredungen mit dem Kaiser dem französischen Außenminister Vergennes zufrieden berichten, dass der Habsburger ihm gegenüber ‘nachdrücklich seine Hochschätzung für die Patrioten geäußert hat, und speziell für die Stadt Amsterdam. Er hat sogar eine derartig charakteristisches Wohlwollen entwickelt und dadurch so klar betonen wollen, dass die heutige Lage des Prinzen Ludwig von Braunschweig ihm überhaupt kein Interesse einflöße, dass ich geglaubt habe, ihm zeigen zu müssen, dass ich keineswegs durch geheime Intrigen daran beigetragen habe’.Ga naar voetnoot147 Auch die Meinung des Habsburgers, die Generalstaaten sollten keineswegs mit London einen Sonderfrieden schließen, traf bei Vauguyon auf offene Ohren.Ga naar voetnoot148 Besonders die Tatsache, dass Joseph sich gerade kurz vor seiner Abreise nach Holland in Brügge mit dem Herzog von Gloucester - dem jüngeren Bruder des englischen Königs - getroffen hatte, hatte die Franzosen ja misstrauisch gemacht und Gerüchte in die Welt gesetzt, der Kaiser neige angeblich zu den Engländern;Ga naar voetnoot149 hier waren kaiserlicherseits sicherlich einige Kompensationsmaßnahmen samt diplomatischer Seelenmassage vonnöten. Vor allem aber ein eindringliches Gespräch mit dem bereits fünfundachtzigjährigen Reischach war wohl von größtmöglicher Dringlichkeit gewesen, weil dieser, wie der Kaiser am 10.Juli beunruhigt an Kaunitz schrieb, seines hohen Alters und eines ziemlich dauerhaften Krankheitszustandes wegen Den Haag nicht mehr verlassen konnte und daher völlig unter den Einfluß der Oranierpartei geraten war: er mache einfach alles, was der Braunschweiger und der Kanzleichef der Generalstaaten, Hendrik Fagel, ihm sagten.Ga naar voetnoot150 Wie ungeschickt der Gesandte gelegentlich operierte, hatte sich schon vor der Ankunft Josephs herausgestellt, als Reischach einen kaiserlichen Brief aus Brüssel, in dem der Kaiser noch wegen einer unverschämten Denkschrift scharfe Kritik an der Überheblichkeit der Amsterdamer Bürgermeister übte, die moderate Reaktion des Herzogs lobte und den Adressaten nur beiläufig gebeten hatte, Ludwig seine Grüße zu bestellen, einfach im Ganzen dem Herzog vorgetragen hat, der darauf die Tendenz des kaiserlichen Schreibens begierig der Öffentlichkeit bekannt machte. Joseph empört zu Reischach: ‘Es gibt Dinge, die ich einem Botschafter schreiben kann und die trotzdem nicht gedacht sind, um auch noch anderen mitzuteilen’.Ga naar voetnoot151 Der Kaiser hatte daher, als er in Den Haag war, einiges zu korrigieren, sowohl Reischach als Vauguyon gegenüber, und der in den letzten Jahren bereits sosehr in Bedrängnis geratene Braunschweiger musste dafür bezahlen. Als er, der dank Reischachs Geschwätzigkeit in Joseph einen in seiner Not heißersehnten Verbündeten zu erkennen meinte, den Habsburger bat, den Amsterdamern seine Unzufriedenheit über deren Benehmen einzuprägen, sah sich der Kaiser gezwungen, die Seite zu wechseln und durch seine distanzierte Haltung zum Herzog jedem öffentlich zu zei- | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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gen, dass er sich keinesweg für solidarisch mit ihm erklärt hatte: ‘Man müsse’, so schrieb Joseph seinem Botschafter Mercy in Versailles, durch den Schnitzer von Reischach vorsichtig geworden und forthin darauf bedacht, sich nicht mehr an internen niederländischen Querelen die Finger zu verbrennen, ‘jede falsche Idee wegnehmen und vor allem jedem falschen Schritt zuvorkommen’.Ga naar voetnoot152 Er stattete daher auch, wie gesagt, den Amsterdamer Bürgermeistern am 15.Juli in ihrem Rathaus einen Besuch ab und lobte in einer kurzen Anrede, die die Anhänger des Herzogs beunruhigen musste, ihre Haltung als diejenige echter Patrioten.Ga naar voetnoot153 Schon am Vortag hatte er sie bei sich ins Hotel zum Mittagessen eingeladen.Ga naar voetnoot154 Über alles unterhielt er sich ausführlich, wie oben bereits kurz angeführt, schon wenige Stunden nach seiem Eintreffen in Amsterdam in einem gesonderten Zweigespräch mit dem mächtigsten Bürgermeister, Joachim Rendorp, dem Sohn des obengenannten Bauherrn des großartigen Amsterdamer Alten Männer- und Frauenhauses. Viel mehr als die ungefähren Themen - geschweige denn er genaue Inhalt - läßt sich dem veröffentlichten Reisebericht nicht entnehmen, aber dank der erhaltenen Korrespondenz und den Memoiren Rendorps wissen wir einigermaßen Bescheid.Ga naar voetnoot155 Selbstverständlich stand, wie in den Haager Gesprächen mit Vauguyon, der Krieg mit England zentral, wobei der Kaiser die Generalstaaten wegen Nichtvorhandensein irgendeines verlässlichen Bundesgenossen als Kampfpartner zum baldigen Friedensschluss riet, dabei allerdings abermals versicherte, keineswegs von Anglomanie heimgesucht zu werden.Ga naar voetnoot156 Aber es war wohl mehr zu besprechen, auch wenn wir darüber keine Bestätigung haben, geschweige denn, dass wir etwas Konkretes über die Einzelheiten wissen. Zwei Themen bildeten seit langem einen Zankapfel zwischen Den Haag und Brüssel. Das eine war der Barrieretraktat von 1715, der Holland auf Kosten der Habsburger Garnisonen in einer ganzen Reihe von Festungsstädten an der südniederländisch-französischen Grenze zugestand. Seit dem französisch-österreichischen Bündnis von 1756 war dies von den politischen Entwicklungen überholt. Indem die protestantische Besatzung inmitten katholischer Orte wegen notorischer Betrunkenheit und allgemein fehlendem Respekt vor den örtlichen religiösen Gepflogenheiten zu viel Ärger Anlass gabGa naar voetnoot157 und der Kaiser die Barriere als eine Kränkung seiner Souveränität auffassen musste, war ihm alles an deren Beseitigung gelegen, die allerdings in der Praxis inzwischen nicht mehr allzuviel bedeutete, weil Maria Theresia schon die Bezahlung eingestellt hatte und die Niederländer sich daher aus Geldmangel seitdem auf eine nur symbolischen Besatzung beschränkten. Aber immerhin: Joseph war gewillt die Garnisonen ganz los zu werden, hat gewiss mit Rendorp (vergebens) darüber geredet, aber entschied dann 1782 einfach einseitig selbst in diesem Sinne. Alle Verträge, deren Gegenstand fehle, so ließ Kaunitz schlichtweg den empörten neuen niederländischen Gesandten in Wien, Carel Georg van Wassenaer-Obdam, mit dem der Kaiser sich noch im Vorjahr so nett auf dessen Landsitz in Wassenaar unterhalten hatte, wissen, sind eben ohne Zweck und damit automatisch erledigt.Ga naar voetnoot158 Eine in der Praxis viel wichtigere Souveränitätsfrage, der der Kaiser schon aus wirtschaft- | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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lichen Gründen wesentlich mehr Bedeutung beimessen musste, betraf die Schelde: 1648 und nochmal 1715 bestätigt, war der Zugang seit 1585 gesperrt, was den Niedergang Antwerpens bedeutet hatte. Die Kaufleute dieser Stadt hatten sich, als Joseph zu Besuch war, vom ehemaligen englischen Gesandten in Den Haag Joseph Yorke angestachelt, mit Unterstützung der Stände Brabants in mehreren Bittschriften an den Kaiser gewandt, um die Wiederöffnung der Schelde zu bewirken.Ga naar voetnoot159 Dieser hatte dies damals noch ablehnen müssen, schon weil ihm dies aus Versailles klar gemacht wurde: er sei einfach den Bestimmungen des Westfälischen Friedens verplichtet, und könne daran nichts ändern.Ga naar voetnoot160 Die Unruhe, die in der niederländischen Republik dennoch unvermeidlich wuchs, als man dort von dem Ersuchen der Antwerpener erfuhr, veranlasste den Kaiser erst in Den Haag Reischach, dann in Amsterdam Rendorp zu versichern, dass er jede Bitte, etwas an der Scheldesperre zu ändern, abgewiesen hatte, und Rendorp hielt diese kaiserliche Garantie dann in seinen Memoiren fest.Ga naar voetnoot161 Joseph war einer Öffnung der Schelde an sich jedoch sehr wohlgesonnen; als ein großes Makel seiner Monarchie hatte er bereits früh erkannt, dass sie sich in Hinblick auf den Handel in physisch-geographischer Hinsicht im Vergleich mit den wirtschaftlich moderneren Westmächten in einer sehr nachteiligen Lage befand. Zwei Drittel der Gesamtfläche Österreichs, Böhmens und Ungarns bestand aus Bergen und Wäldern, konnte also schlecht bewirtschaftet werden. Zwar hatte man die Donau, aber die war unberechenbar, sumpfig, felsenreich und floss über alles in die falsche Richtung, also hatte man auch davon nicht viel. Nur einen einzigen anständigen Hafen besaßen die Habsburger in ihrem Kerngebiet, das italienische Triest, von Wien nur über schwer zugänglichen Alpenpässe erreichbar. Nichts, so erklärte der Kaiser 1783 einmal lapidär, wäre daher an sich günstiger als ein riesenhaftes Erdbeben, das sämtliche türkische Balkanprovinzen ins Meer verschwinden lassen und so eine durchgehende Küste von Dalmatien bis zum Dnjestr kreieren würde.Ga naar voetnoot162 Dieses sehnlich herbeigewünschte Erdbeben trat jedoch bekanntlich nie ein, und deshalb mussten andere Lösungen her. Der Kaiser fing an, sein Heil auswärts zu suchen, in den südlichen Niederlanden, wo es neben dem gesperrten Antwerpen als verwendbaren Hafen nur noch Ostende gab. Als dann, als Folge des niederländisch-englischen Krieges, sich ein Großteil des englischen Kontinentalhandels von Amsterdam und Rotterdam tatsächlich nach Ostende verlagerte, erklärte er diese Stadt bei seinem Belgienbesuch sofort zum Freihafen, in der Hoffnung, diesen Handel auch nach Friedensschluß festhalten zu können.Ga naar voetnoot163 Josephs Versuch, abermals eine eigene österreichische Ostindische Kompagnie zu gründen, nachdem ein früherer ein halbes Jahrhundert vorher fehlgeschlagen war, stand damit in Verbindung.Ga naar voetnoot164 Als die Engländer ihm dann auch noch ihre Hilfe zusagten (oder zumindest Andeutungen in diesem Sinne machten) für ein Versuch, Antwerpen zu befreien, stand sein Vorhaben fest. Schon allein aufgrund des Naturrechts sollte die Scheldesperre verschwinden.Ga naar voetnoot165 Allerdings sollte sich herausstellen, daß es zwischen Vorhaben und Ausführung doch noch einige Hindernisse gab. Nicht umsonst hatte Kaunitz zur Vorsicht gemahnt, indem der Vorteil ‘einige Privatmänner in Antwerpen zu bereichern’ das Risiko eines allgemeinen Krieges nicht aufwog,Ga naar voetnoot166 und damit behielt der greise österreichische Staatsmann Recht. Erstens zeigten die Holländer sich, Naturrecht hin, Naturrecht her, wenig geneigt. Eventuelle Gespräche mit Rens- | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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dorp führten in dieser Hinsicht jedenfalls zu nichts. Zweitens bekamen sie dafür von Seiten der Engländer unerwartet Unterstützung, sobald der Krieg zwischen beiden vorbei war. Und drittens versagte Frankreich Wien die erhoffte Einwilligung. Der Kaiser ließ zwar 1784 ein Schiff provokativ die Schelde hinuntersegeln, aber als die Holländer dann zu seinem Entsetzen einfach zu schießen begannen, musste er nachgeben, und ging im nächsten Jahr bei den Verhandlungen in Fontainebleau zur Schlichtung des Streits faktisch leer aus. Gewiss, die Generalstaaten willigten formell ein, für die Beleidigung kaiserlicher Majestät Schadenersatz zu leisten, aber die vereinbarten neuneinhalbmillion Gulden wurden dann letztendlich für einen Großteil nicht vom holländischen Übeltäter, sondern vom französischen Vermittler und Bundesgenossen bezahlt.Ga naar voetnoot167 Diese persönliche Niederlage in der Scheldefrage war Josephs letzter Kontakt mit der eigenwilligen niederländischen Bürgerrepublik. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Over de auteurThomas von der Dunk (1961) studeerde kunstgeschiedenis en archeologie aan de Universiteit van Amsterdam. Hij promoveerde op Das deutsche Denkmal. Ein Abriss in Stein (1994; handelseditie 1999) over de politieke en ideologische aspecten van de monumentencultus in het Heilige Roomse Rijk van de veertiende tot de achttiende eeuw. Van zijn hand verschenen onder meer De schaduw van het Teutoburgerwoud (2000), Een kathedraal voor Amsterdam (2003) en Een Hollands heiligdom (2007). | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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