Documentatieblad werkgroep Achttiende eeuw. Jaargang 1981
(1981)– [tijdschrift] Documentatieblad werkgroep Achttiende eeuw– Auteursrechtelijk beschermd
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Der aufgeklärte Absolutismus als europäisches ProblemDie Frage, wieweit der Aufgeklärte Absolutismus ein europäisches oder ein auf wenige Staaten beschränktes Problem ist, war eine der ersten Fragen, die im Rahmen internationaler Historikertage behandelt wurde. Der Franzose Lhéritier hat 1928 in Oslo die Frage aufgeworfen, ob der Aufgeklärte Absolutismus nicht ein allgemein historisches Problem ist, das in allen europäischen Staaten anzutreffen sei.Ga naar eind1 Diese Fragestellung hat dann auf den Internationalen Historikertagen von Warschau 1933, Zürich 1937 und Rom 1955 zu einer Auflistung und Aufzählung von Erscheinungen geführt, die als Aufgeklärter Absolutismus bezeichnet werden konnten. Diese Aufzeichnung war aber wenig befriedigend.Ga naar eind2 Es entstand ein Nebeneinander, aber es wurde nicht die Frage erörtert, welch' innerer Zusammenhang zwischen den einzelnen Erscheinungen bestand. Eines darf man allerdings als Ergebnis dieser Diskussion festhalten: Der Aufgeklärte Absolutismus ist heute als ein Phanomen anerkannt, das nicht auf wenige Staaten wie etwa Preussen, Oesterreich und Russland beschränkt ist, sondern das gesamteuropäische Dimensionen besitzt. Das Thema ‘Der Aufgeklärte Absolutismus als europäisches Problem’ kann heute aber nicht mehr so behandelt werden, dass man einfach darauf hinweist, wo er überall anzutreffen ist und wie sich Regime dieser Art unterschieden haben. Man wird fragen müssen, welche Stellung dem Aufgeklärten Absolutismus in der europäischen Geschichte zukommt. Dabei müssen wir zunächst davon ausgehen, dass der Aufgeklärte Absolutismus ein in sich widersprüchliches Phänomen ist. Aufklärung und Absolutismus bezeichnen im Grunde Gegensätze.Ga naar eind3 Die Aufklärung will den Menschen mündig mach en und ihn zu eigenen Entscheidungen befähigen. Ein solcher Mensch wird über kurz oder lang die Vormundschaft des Absolutismus abstreifen. Die Aufklärung entwickelt das Ideal des freien, und zwar gerade des politisch freien Menschen. Der Absolutismus kennt zwar die Verpflichtung gegenüber dem Wohlergehen des Untertanen, - Freiheit, sei es nun die ständische oder gar politische, ist aber ein Ideal, das unter ihm keinen Platz hat. Ich will darauf verzichten, noch mehr solcher Gegensatzpaare aufzuzählen. Ich glaube, es ist klar, dass sich hier zwei sehr unterschiedliche, um nicht zu sagen gegensätzliche Phänomene miteinander verbunden haben. | |
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Nun könnte man meinen, dass das Verhältnis von Aufklärung und Absolutismus sich in der Form eines Ablösungsprozesses zueinander ver-halten habe. Am Anfang viel Absolutismus und wenig Aufklärung und am Ende viel Aufklärung und wenig Absolutismus. Das ist aber nicht der Fall. Friedrich der Grosse von Preussen und Joseph II., die beiden Protagonisten des Aufgeklärten Absolutismus, haben einerseits an ihren aufgeklärten Idealen festgehalten, andrerseits aber keinen Zweifel daran gelassen, dass sie an ihrem Absolutismus nicht rütteln liessen. Ja, man wird sogar sagen können, dass bei ihnen, je älter sie wurden, der absolutistische Charakter ihrer Regierungsweise desto stärker in den Vordergrund trat. Man kann daher auch nicht behaupten, dass der Aufgeklärte Absolutismus nur ein Übergangsstadium von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie darstellt. Er ist ein Phänomen eigener Art, das sicher zeitlich insofern begrenzt war, als die fortschreitende Aufklärung auf die Dauer den Absolutismus von innen her auflösen musste. In jüngster Zeit hat Volker Sellin die Frage aufgeworfen, ob es ange-sichts der inneren Widersprüchlichkeit eigentlich sehr sinnvoll sei, vom Aufgeklärten Absolutismus zu sprechen.Ga naar eind4 Sellin übersieht dabei nicht nur, dass es das Phänomen eines von aufgeklärten Ideen bestimmten Absolutismus gegeben hat, er übersieht insbesondere, dass das Problem der inneren Widersprüchlichkeit ja bei den meisten Erscheinungen auf-tritt, bei denen die Aufklärung versucht, Einfluss auf die Praxis zu gewinnen. Ihr theoretischer Ansatz liess sich in der gesellschaftlichen Wirk-lichkeit des 18. Jahrhunderts nur im Kompromiss verwirklichen. Im Kern zielte die Aufklärung auf einen Umsturz aller Verhältnisse, das heisst auf eine Revolution. Da, wo sie zur Stabilisierung der Verhältnisse benutzt wurde, wie im Aufgeklärten Absolutismus oder in dem nicht minder widersprüchlichen Phänomen der katholischen Aufklärung, konnte dies nur ein Bündnis auf Zeit sein, in dem bewusst oder unbewusst die Extrempositionen ausgeklammert waren. Nur sagt dies nichts über die Wirksamkeit solcher Kompromisse aus, die sehr viel grösser sein konnte als eine theoretische Diskussion. Konkret gesagt, das von dem Kompromiss bestimmte Regime des Aufgeklärten Absolutismus in Preussen oder Oesterreich hatte um 1785 diese Staaten sehr viel stärker verändert und modernisiert, als das gleichzeitig in Frankreich der Fall war, in dem dieser Kompromiss nicht zustande kam und sich ein sehr viel reinerer Absolutismus und eine theoretisch viel durch-dachtere Form der Aufklärung gegenüberstanden. Es ist zwar richtig, dass da, wo dieser Kompromiss nicht zustande kam, die Aufklärung den Absolutismus zerstörte. Aber beweist das nicht gerade die innere Widersprüchlichkeit der beiden Phänomene, die eben nur einen Teil des Weges zusammen gehen konnten? Man kann diese vorhandene innere Widersprüchlichkeit auch an einem anderen Beispiel zeigen. Ludwig XIV. legte Wert darauf, in Frankreich als Stellvertreter Christi zu gelten. Sein Absolutismus war, wie er mehr-fach betonte, durch sein Gewissen und seine Verantwortung vor Gott | |
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beschränkt. Die Aufklärung erkannte nur den tüchtigen Herrscher an und Friedrich II. war dieser Anschauung durch seine Auffassung vom König als erstem Diener seines Volkes gefolgt, so wie Joseph II. von ‘Wir Beamten’ sprach. Die Person des Herrschers wurde von ihrer reli-giösen Entrücktheit heruntergeholt auf das menschliche Mass der Tüchtigkeit. Die innere Widersprüchlichkeit ist hier evident, denn wenn die Tüchtigkeit des Herrschers ein Mass ist, dann ist eine Erbmonarchie nicht begründbar. Wenn der Aufgeklärte Absolutismus auch ein Mass ist, durch das beide Seiten Abstriche von ihren Idealen machen müssen, dann bleibt immer noch zu erklären, warum in Frankreich dieser Kompromiss nicht zustande kam. Eigentlich möchte man annehmen, dass das Land, in dem sowohl der Absolutismus als auch die Aufklärung ihre eindeutigste Ausprägung erfahren haben, das klassische Land des Aufgeklärten Absolutismus sein müsste. Genau das ist aber nicht der Fall. Frankreich kennt keinen Aufgeklärten Absolutismus.Ga naar eind5 Die kurze Reformepoche unmittelbar nach dem Regierungsantritt Ludwigs XVI. 1774 zeigt vielmehr, dass sich in Frankreich ein solches Regime nur schwer hätte durchsetzen können. Und zwar nicht nur, weil der zaudernde, unsichere König dazu ungeeignet war, sondern weil auch die französischen Auf-klärer Turgot gar nicht die Chancen einer Verwirklichung seiner Ideen liessen. Sie bekämpften den aufgeklärten Reformer Turgot mit allen Mitteln, sie warfen ihm vor, mit seinen Reformen zu zaghaft zu sein und sie haben seinen raschen Sturz am ll.Mai 1776 herbeigeführt.Ga naar eind6 In Frankreich waren Aufklärer und Absolutismus nicht mehr auf einen Nenner zu bringen. Wieso, so muss man fragen, gelang das in anderen Ländern, wo weder der Absolutismus noch die Aufklärung so starke Protagonisten besassen wie in Frankreich? Der eine Grund ist sicher der, dass ein Kompromiss zwischen diesen beiden im Grunde gegensätzlichen Strömungen da leichter zustande kam, wo beide nicht in voller Konsequenz aufeinander trafen. Das französische Beispiel zeigt aber, wie wir noch sehen werden, dass dies bestenfalls ein Grund unter vielen war. Eine ganz andere Erscheinung scheint mir wichtiger: Die französischen Physiokraten haben bei der Entwicklung ihres weit gespannten Reformprogramms in der Mitte des 18. Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass sich die Verhältnisse des Ancien régime und die Reformideen gleichsam unversöhnlich gegenüberstanden. Da sie niemanden erkennen konnten, der in der Lage war, die Reformprogramme durchzuführen, erfanden sie das Ideal des despot éclairé.Ga naar eind7 Das heisst, sie bejahten den absoluten Monarchen, wenn er seine Omni-potenz für die Durchführung aufgeklärter Reformen einsetzte. Wie Heinz Holldack das formulierte: die Physiokraten predigten nicht die Revolution gegen die absolute Monarchie, sondern die Revolution durch die absolute Monarchie.Ga naar eind8 Der absolute Monarch als Revolutions-ersatz, das hiess, zu Ende gedacht, die Überwindung des Absolutismus durch den Absolutismus. War ein solches Modell realistisch? Man wird dies vernemen oder doch | |
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zumindest in Zweifel ziehen müssen. Nur ist mit dieser Idee der Physiokraten dem Aufgeklärten Absolutismus eine historische Aufgabe gestellt, an der er gemessen werden kann.
Fragen wir nach dem Grund, der den aufgeklärten Monarchen veran-lasst haben konnte, das Abenteuer aufgeklärter Reformen einzugehen. Da ist einmal das Motiv genannt worden, man habe durch Reformen einer Revolution zuvorkommen und dem Zeitgeist huldigen wollen. Die Reformen wären nur zur Täuschung der Untertanen vorgenommen worden und hätten im Grunde nicht der Veränderung, sondern der Stabili-sierung der bestehenden Verhältnisse gegolten.Ga naar eind9 Diese Behauptung ist immer wieder gerade von sozialistischer Seite vor-getragen worden.Ga naar eind10 Dieser Ansicht ist der sowjetische Historiker Avrech mit dem überzeugenden Argument entgegengetreten, der Aufgeklärte Absolutismus besässe ein solches Eigengewicht, dass eine rein opportunistische Haltung ausgeschlossen sei.Ga naar eind11 Ein weiteres Argument zielt auf die Eitelkeit der Fürsten, die sich mit Philosophen umgeben und in ihren Reformen einem Modernismus ge-huldigt hätten. Dieses Argument ist in Einzelfällen sicher nicht ganz falsch. Friedrich genoss es, als ein Philosoph auf dem Thron bezeichnet zu werden, er pflegte Freundschaft mit Voltaire und hat durch eigene Beiträge seine Verbundenheit mit den philosophischen Ideen seiner Zeit betont. Man könnte auch Katharina II. von Russland nennen, die mehrere französische Philosophen an ihren Hof rief. Sieht man sich aber die Reformen an, so wird man feststellen, dass der Einfluss der französischen Aufklärungsphilosophie doch nur begrenzt war. Eine ganze Reihe anderer Faktoren kam hinzu: Vorlieben und Ambi-tionen des Herrschers, politische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse des Landes und vieles andere. Auch hat Joseph II. zum Beispiel seine tiefe Verachtung gegenüber den französischen Philosophen klar zum Ausdruck gebracht. Andere, wie Karl III. von Spanien, Gustav III. von Schweden oder Ferdinand von Neapel haben mit philosophischen Ideen wenig im Sinn gehabt. Trotzdem haben Ideen der Aufklärung aber eine wichtige Rolle gespielt. Zu nennen wären die Toleranz-gesetze in Preussen und Oesterreich. Auch bei der Agrarreform Josephs II. ist ein direkter Zusammenhang zwischen den Vorstellungen der Physiokraten und den Massnahmen des Kaisers festzustellen.Ga naar eind12 Ebenso sind bei anderen Reformen, bei denen der Zusammenhang nicht so klar ist, von den Ideen der Aufklärung entscheidende Impulse ausgegangen. Nur muss man sich von der Vorstellung lösen, der Aufge-klarte Absolutismus gehe von einem vollständigen Reformprogramm aus, an dessen Verwirklichung er sich gemacht hat. Man wird bei einer so dominierenden Strömung, wie sie die Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts darstellt, mehr von einer allgemeinen Stimmung reden müssen, der sich niemand entziehen konnte, der an Reformen ging, als von einer bestimmenden Vorliebe für aufklärerische Ideen. Damit sind wir aber an einem der wesentlichsten Motive für die Reformen des | |
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Aufgeklärten Absolutismus: Die Steigerung der Effektivität des Staates. Hier war das Preussen Friedrichs des Grossen das grosse Beispiel schlechthin. Preussen ist über die enorme Steigerung seiner Finanzkraft zur Grossmacht geworden. Dasselbe gilt für Oesterreich, das von dem Rivalen Preussen zu Reformen gezwungen wurde. Das gilt sicher auch für Russland und Schweden und bis zu einem gewissen Grad auch für Spanien und Portugal. Ohne diesen Zwang wären viele Reformen unterblieben. Man wird den Aufgeklärten Absolutismus also aus verschiedenen Motiven erklären müssen. Die Überzeugung von der Notwendigkeit der Reformen ist in der Mehrzahl der Fälle politisch bedingt. Nur in weni-gen Fällen steht das aufgeklärte Reformprogramm am Anfang. War man aber einmal von der Notwendigkeit der Reformen überzeugt, so boten sich die Ideen der Aufklärung als diejenigen an, von denen aus Reformen am schlüssigsten erklärt und Programme am leichtesten entwickelt werden konnten. Ein Sonderfall war die italienische Staatenwelt. Hier standen sich zwei Rivalen gegenüber: Das Haus Habsburg, das in Mailand und Toskana weitgespannte Reformprogramme entwickelte, und das Haus Bourbon, das in Parma-Piacenza und in Neapel-Sizilien Reformen durchführte. In beiden Dynastien stand die Machtsteigerung des Staates aber nicht so eindeutig im Vordergrund wie etwa bei den deutschen Grossmächten. In den besonderen Verhältnissen der italienischen Staatenwelt is daher sowohl in der Toskana beim Grossherzog Leopold und seinen Mitarbei-tern, als auch in Neapel, hier allerdings mehr in der Umgebung des Reformministers Tanucci als bei Hofe, eine engere Verbindung zur Aufklärungsphilosophie festzustellen.Ga naar eind13 Allerdings war eine Steigerung der Einnahmen des Staates unumgehbar. Ihr galten die antikirchlichen Massnahmen. Sie waren in Ländern unabdingbar, in denen bis zu 60% des anbaufähigen Bodens in der Hand der Kirche waren. Habsburger und Bourbonen standen in Italien in einem edlen Wettstreit. Die Mög-lichkeit, den Untertanen mehr Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, bildete bei ihren Reformen ein wichtiges Element.
Diese Komponente ist bei den behutsam durchgeführten Reformen des Grossherzogs Leopold von Toskana am deutlichsten zu spüren. Aber auch bei anderen, wie bei den Ministern Firmian in Mailand oder Tanucci in Neapel, ist dieses Motiv deutlich erkennbar. Leopold von Toskana war es auch, der als einziger die Konsequenz des Aufgeklärten Absolutismus, nämlich die Überwindung des Absolutismus, erkannte. In seinem nach 1779 entwickelten Verfassungsprojekt zog er im Sinn des despot éclairé die Konsequenz. ‘Die gegenwärtigen Regierungs-systeme’, schrieb er, ‘können nicht mehr länger fortbestehen... Die be-grenzte Monarchie, wo die exekutive Gewalt in den Händen eines Einzi-gen frei ist und die gesetzgebende Gewalt in denen der Repräsentanten der Nation, ist die beste von allen.’Ga naar eind14 Leopold war durch zwei Überlegungen von der Notwendigkeit einer | |
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Verfassung überzeugt worden. Einmal befürchtete er - und mit ihm viele Aufklärer -, ein Nachfolger könne seinen Absolutismus miss-brauchen und alle Reformen wieder rückgängig machen. Zum anderen aber hatte ihn das rücksichtslose Vorgehen seines Bruders davon überzeugt, dass der Untertan auch vor der Reformwut seines Herrschers geschützt werden müsse. Dieses war eine richtige Erkenntnis. In einem nämlich treffen sich Absolutismus und Aufklärung. Alle Herrscher des Aufgeklärten Absolutismus, und wo es die Herrscher nicht waren, da waren es die lei-tenden Minister wie Pombal, Tanucci und Turgot, besassen auch die Absicht, das Leben ihrer Untertanen zu verbessern. Hier trafen sich die Absichten von Absolutismus und Aufklärung. Beide waren aber auch fest überzeugt, den Menschen zum Glück zwingen zu müssen. Insofern ist die Idee der Physiokraten vom despot éclairé, die den absoluten Herrscher braucht, um den Staat im Sinne der Aufklärung umzugestal-ten, mit der Vorstellung des absoluten Monarchen nah verwandt, so viel an Reformen durchzuführen, wie der absolute Monarch für seine Untertanen für notwendig hielt. Beide haben in diesem Fall nichts von dem mündigen Bürger gehalten, der selbst darüber entschieden hatte, wieviel Reformen er eigentlich haben wollte. Dieses Element ist den Aufklärern bis heute geblieben. Ihre Anhänger können und wollen in ihrer unausstehlichen Pädagogik nicht einsehen, dass ein Leben in Freiheit, süssem Nichtstun und weniger Kenntnissen durchaus seine ange-nehmen Seiten haben kann. Ja, sie, die absoluten Herrscher am Ende des 18.Jahrhunderts, waren sich mit den Aufklärern einig, dass das Volk erzorgen werden müsse. Damit haben sie am Ende des 18.Jahrhunderts zwei Typen von Revolutionen ausgelöst, die Palmer in seinem grossen Buch ‘Das Zeitalter der demokratischen Revolution’ unter dem Begriff der ‘Atlantischen Revolution’ zusammengefasst hat. Denn: Nur nach der Unterscheidung der beiden Typen von Revolutionen kann die Frage beantwortet werden, wieweit nach der Französischen Revolution ein Aufgeklärter Absolutismus möglich war. Erst dann kann die Stellung Wilhelmsl. der Vereinigten Niederlande innerhalb des Spektrums des europäischen Aufgeklärten Absolutismus näher untersucht werden. Die Niederlande haben ja erst unter Wilhelm I. einen Aufgeklärten Absolutismus erlebt. Vorher war ein solches von oben bestimmtes Reformmodell in den Niederlanden nicht notwendig. Hier war die Aufklärung zu Hause und das Haus Oranien hütete sich, absolutistisch zu regieren. Schon unmittelbar nach dem Sturz Turgots hat sein Freund Condorcet der Überzeugung Ausdruck verliehen, dass nun eine Revolution, das heisst ein vollstandiger Umsturz aller bestehenden Verhältnisse, unver-meidlich sein werde.Ga naar eind15 Condorcet war damals der Überzeuging, der Sturz Turgots habe tiefgreifende Reformen in Frankreich für lange Zeit unmöglich gemacht. Mit dieser Meinung stand er nicht allein. Für uns erhebt sich aber die Frage, ob das stimmt, das heisst, ob überhaupt ein | |
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wie immer gearteter Aufgeklärter Absolutismus eine Revolution, ge-brauchen wir hier ruhig den Ausdruck bürgerliche Revolution, über-flüssig machen kann. Das Scheitern Turgots war ja nicht zuletzt darin be-gründet, dass eine ganze Reihe von Aufklärern den Absolutismus gar nicht mehr in aufklärerischem Sinn verändern oder reformieren wollte, sondern über die Monarchie hinweg zur Revolution drängte. Das mag 1776 noch nicht so klar gewesen sein, kristallisierte sich aber in den achtziger Jahren bei Mably, Holbach - um nur diese Namen zu nennen - klar heraus. Mablys posthum 1788/89 erschienenen ‘Observations sur l'histoire de France’ wirkten in diese Richtung, obwohl sie konkret die Revolution für kein taugliches Mittel für eine wirkliche Umgestaltung der Verhältnisse hielten. Anders ausgedrückt: Ein Teil der Aufklärer vertrat schon in den 70er Jahren Ziele, die im Rahmen eines Aufgeklärten Absolutismus nicht mehr zu verwirklichen waren. Turgot ist daher nicht zuletzt auch daran gescheitert, dass weder er noch der König jenes Mass an Aufklärung bestimmen konnte, das in den Reformen verwirklicht werden sollte. Der Zwiespalt zwischen den Zielen der Aufklärung und dem Absolutismus trathier offen zutage. Mit anderen Worten: In Frankreich konnte ein noch so fortschrittlicher Aufgeklärter Absolutismus die Revolution nicht ersetzen, denn die Aufklärung hatte hier inzwischen das Ideal des politisch freien Menschen entdeckt, das in keiner absoluten Monarchie zu verwirklichen war. Das heisst aber, der eine Typ der grossen Revolution, wie er in Amerika und Frankreich verwirklicht wurde, besass zwar im Ansatz mit dem Aufgeklärten Absolutismus Gemeinsamkeiten, die letzte Konsequenz des aufgeklärten Denkens freilich, der politisch freie Mensch, der Bürger, war kein Ideal des Aufgeklärten Absolutismus. Er hatte mit diesem Ergebnis aufgeklärten Denkens nichts zu tun. Die Revolution wäre in Frankreich auch mit Turgot und mit einem aufgeklärten Reformprogramm, wenn auch vielleicht etwas später, ausgebrochen. Die bürgerliche Revolution und der Aufgeklärte Absolutismus haben nichts miteinander zu tun. Die Welt wurde durch die Französische Revolution in einer Weise verändert, die sich radikal von dem unterschied, was ein Aufgeklärter Absolutismus erstreben konnte. Ganz anders verhält es sich mit dem anderen Typ der Revolution, der von der Französischen verdeckt wurde und mit dem Palmerschen Begriff von der Atlantischen Revolution nichts zu tun hat. Jene andere Revolution, die sichgegen die Reformen richtete und 1789 in Frankreich die Einberufung der Stände erzwungen hatte, die hinter der Belgischen Revolution von 1789/90 und den Aufständen in der Toskana nach dem Fortgehen Leopolds II. stand, war ein Ergebnis des Aufgeklärten Absolutismus. Sie hat einen anderen Ursprung. Wenn in Frankreich der Aufgeklärte Absolutismus deswegen unmöglich war, weil der Herrscher nicht mehr das Mass an Aufklärung bestimmen konnte, das er seinen Reformen zugrunde legen wollte, dann müsste im Aufgeklärten Absolutismus der Herrscher oder sein leitender Minister festlegen können, welches Mass an Aufklärung er seinen Reformen geben wollte. Das würde auch erklären, weshalb der absolute Herrscher | |
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im Aufgeklärten Absolutismus notwendig ist. Es ist der Typ des despot éclairé der Physiokraten. In diesem Sinn entsprachen Friedrich II., Joseph II., Katharina, Gustav III., Leopold von Toskana, Karl III. von Spanien und die Minister Pombal, Tanucci und Turgot diesem Ideal. Das heisst, sie bestimmten das Mass an Aufklärung in ihren Ländern und damit auch das Ausmass an Reformen. Das hiess aber auch, dass diese Reformprogramme sich nicht nur wie die Französische Revolution nach den Idealen der Aufklärung richteten, sondern dass sie auch von den Vorlieben des Herrschers und seiner Erkenntnis bestimmt waren, wo seine Reformen seinen Absolutismus bedrohten. Das bedeutete aber auch, dass die Reformprogramme im Sinne der Aufklärung unvollstan-dig waren und vor der letzten Konsequenz zurück scheuten. Das absolute Element erwies sich als stärker als das aufklärerische. Von daher erklärt sich die Tatsache, dass die Länder des Aufgeklärten Absolutismus schon wenige Jahre später den Angriffen der Französischen Revolution nicht standhalten konnten. Allerdings war das aufklärerische Element doch so stark, dass die Zielgruppe der aufgeklärten Herrscher nicht mehr der Adel, sondern das Bürgertum war. Das gilt auch für Preussen, obwohl Friedrich den Adel bevorzugte. Hans Rosenberg hat in seinem Buch über Bürokratie, Aristokratie und Auto-kratie in Preussen den Prozess geschildert, wie das bürgerliche Ideal der in Prüfungen nachgewiesenen Ausbildung als Voraussetzung für den Dienst im Staat die preussische Verwaltung verändert hat.Ga naar eind16 Nicht anders war es in Österreich, in Schweden, in Russland, in der Toskana und sogar in Neapel, auch wenn das Ideal des tüchtigen, gut ausgebildeten Beamten in jedem Land verschieden weit verwirklicht wurde. Josephs II. Agrarreform richtete sich gegen den Adel und bevorzugte die Bauern. Gerade hier zeigte sich aber auch wieder die Zwiespältigkeit des Aufgeklärten Absolutismus. Seine Verwirklichung hätte ein selbst-bewusstes Bürgertum gebraucht, das wiederum zum Totengräber des Absolutismus geworden wäre. Er zielte auf eine Schicht, die bestenfalls im Entstehen begriffen war. Er gewann eine Schicht aufgeklärter Beamter. Aber sein Ideal, den Staat nach rationalen Gesichtspunkten im Sinn der Aufklärung neu zu gestatten, war, wie sich in der Zeit der preussischen und der Rheinbundreformen zeigte, im Grunde auf die Schicht der Reformbeamten beschränkt. Anhänger unter der Bevölke-rung in einer grösseren Zahl hat er nicht gewonnen. Die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft, die das grosse Problem des Absolutismus war, ist im Aufgeklärten Absolutismus nicht kleiner, sondern noch grösser geworden. Von daher erhielt der andere Typ der Revolution seinen Antrieb. Der Aufgeklärte Absolutismus hatte nämlich noch eine Gemeinsamkeit mit der Aufklärung: Beide waren ausgesprochen unhistorisch. Die Bewahrung von Traditionen war weder das Ideal des Absolutismus noch der Aufklärung. Daher waren auch die historischen Vorrechte und Privilegiën vom Absolutismus und von der Aufklärung gleichermassen bedroht. Insbesondere aber hatte der Absolutismus, und besonders der | |
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Aufgeklärte Absolutismus, die ständischen Freiheiten beseitigt, ohne ein anderes Ideal der Freiheit an deren Stelle zu setzen. Dazu kamen die vielen Reformen, die mehr Feinde als Freunde schufen. Der Aufgeklärte Absolutismus stand in Oesterreich, der Toskana und in Schweden vor der Revolution, als die grosse Französische Revolution alles über den Haufen warf. Nur richteten sich diese Revolutionen gegen die aufgeklärten Reformen. Ihnen war nicht zu wenig, sondern zu viel reformiert worden. Sie wollten die ständischen Freiheiten, nicht die politische Freiheit gegen den Absolutismus erkämpfen. Aber es war kein Zweifel, dass auch sie ein Mehr an Freiheit auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Die Revolution in Belgien, Schweden und Ungarn war eine Folge davon, dass der Aufgeklärte Absolutismus kein eigenes Ideal der Freiheit entwickelt hatte. Er hielt diese Frage in der Schwebe, ohne sich vom aufklärerischen Ideal der politischen Freiheit ausdrücklich zu distanzieren. Nur an einer Stelle ist so etwas wie die Revolution durch den Herrscher, also das erfolgt, was die Physiokraten mit dem despot éclairé erreichen wollten: in Polen. Die Verfassung vom 3.Mai 1791 war das Ergebnis einer in Polen nach der ersten polnischen Teilung in Gang gekommenen breiten Bildungsreform. In keinem andern Land wurden die Gymnasien in dieser Form den Ideen und Vorstellungen der Aufklärung geöffnet. Stanislaus Poniatowski, der letzte polnische König, der über die Vorgänge in Paris durch seinen Vertrauten Philipp Mazzei genauestens informiert war, wagte, was seine Kollegen nicht in Angriff nahmenGa naar eind17: Er brach in der von ihm mitgestalteten Verfassung die verkrusteten Strukturen seines Landes auf. Ein Vergleich der verschiedenen polnischen Verfassungsprojekte zeigt den starken Einfluss des Königs.Ga naar eind18 Die Verfassung und insbesondere der Freiheitsbrief der Städte vom 14.April 1791 haben die Verhältnisse in Polen ohne Revolution erheblich verändert. Wie Ignaz Potocki, einer der an der Ausarbeitung der Verfassung Beteiligten, schrieb, ging noch nicht einmal eine Fensterscheibe zu Bruch.Ga naar eind19 Burke hat die polnische Verfassung daher als eine Tat gepriesen, in der ‘alles unverändert und in voller Ordnung aber in dieser unveränderten Ordnung alles gebessert worden ist’ und sie als eine ‘noch nie dagewesene Verbindung von Weisheit und Glück’ bezeichnet.Ga naar eind20
Das polnische Beispiel hat auf die konstitutionelle Entwicklung Europas über Zar Alexander I. einen wichtigen Einfluss ausgeübt, der an der französischen Charte von 1814 ebenso einen wichtigen Anteil hatte, wie er der Verfassungsbewegung in Süddeutschland 1818-1820 Schützenhilfe leistete.Ga naar eind21 Hier wird der Übergang vom Aufgeklärten Absolutismus zur konstitutionellen Monarchie sichtbar, an dem Wilhelm I., König der Vereinigten Niederlande, gescheitert ist. Er setzte in einer Zeit auf die Form des Aufgeklärten Absolutismus, als die konstitutionelle Monarchie bereits ihre ersten Bewährungsproben hinter sich hatte. War sein Versuch, Belgien und die Niederlande zu vereinen von vornherein aussichtslos, weil beide Länder zwar eine sehr unterschiedliche | |
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Entwicklung durchgemacht hatten, zu Beginn des 19.Jahrhunderts aber bereits zu weit in ihrer Eintwicklung zum ‘modernen Staat’ waren, um im Stil des Aufgeklärten Absolutismus regiert werden zu können? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir versuchen, aus dem bisher Gesagten ein Fazit zu ziehen. Fassen wir das bisher Gesagte zusammen, so wird, glaube ich, eines klar: Der Aufgeklärte Absolutismus war nicht eine Erscheinung der in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht fortgeschrittenen Staaten. Er gehört vielmehr zu den Phänomenen, in denen in der Entwicklung zurückgebliebene Staaten versuchten, gegenüber anderen aufzuholen. Das Wort Entwicklungsdiktaturen gibt den Sachverhalt nicht ganz wieder. Aber es ist kein Zweifel, dass der Aufgeklärte Absolutismus als europäische Erscheinung die Länder, in denen nach seinen Maximen regiert wurde, in ihrer Entwicklung zum modernen Staat, was immer das heissen mag, um einen grossen Schritt vorwärts brachte. Daher ist aber auch klar, dass jene Länder, die in ihrer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung weit vorangeschritten waren, keinen Aufgeklärten Absolutismus kannten. Dies waren zunächst Grossbritannien und die Vereinigten Staaten der Niederlande. Dies war aber auch aus Gründen, die wir bereits erörtert haben, Frankreich. Diese Länder besassen ein Bürgertum, die wirtschaftliche Entwicklung war bei ihnen so weit fortgeschritten, dass die Steigerung der Effektivität des Staates kein dringendes Problem war. In ihnen hatte aber auch die Diskussion der Staatstheorien der Aufklärung einen Stand erreicht, der das Entstehen des Aufgeklärten Absolutismus nicht zuliess. Bleibt die Frage: Hat es nach 1800 noch einen Aufgeklärten Absolutismus gegeben und wie ist die Regierung Wilhelms I. einzuordnen? Ich glaube, hier ist noch eine Unterscheidung notwendig. Die in den Rheinbundstaaten und in Preussen nach 1806 eingeführten Reformen unterschieden sich insofern von denen des Aufgeklärten Absolutismus, als ihnen nicht mehr die Vorlieben eines absoluten Herrschers, sondern sehr genau ausgearbeitete Reformprogramme zugrunde lagen. Es waren die im Aufgeklärten Absolutismus geschulten, zum Teil bürgerlichen Beamten, die ihre Programme mitunter gegen den Willen ihrer Herrscher durchführten. Nicht mehr die Vorlieben und Einsichten standen im Vordergrund, sondern sorgfältig formulierte Regierungsprogramme, wie sie Montgelas 1796 in Ansbach, Stein 1807 in Nassau und Hardenberg in Riga zu Papier gebracht hatten. Man muss daher hier von einem bürokratischen Absolutismus sprechen. Man würde den Beamten unrecht tun, wenn man ihnen die Absicht unterstellen wollte, sie hätten mit ihren Programmen nur eine Revolution nach Art der Französischen Revolution verhindern wollen. Bei Herrschern wie dem unbegabten, törichten Friedrich Wilhelm III. war das sicher das Motiv. Die Schicht von Reformministern und ihre Mitarbeiter erstrebten jedoch einen nach den Maximen der Aufklärung neu gestalteten Staat. Sie stehen insofern in der Tradition des Aufgeklärten Absolutismus, als sie die Reformen oft gegen den Willen der Bevölke- | |
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rung durchführten. Sie gingen aber weit darüber hinaus, da sie das Ideal des politisch freien Bürgers vertraten. Daraus ist die konstitutionelle Monarchie entstanden, wie sie die französische Verfassung vom Juni 1814 entwickelte. In Preussen scheiterte die Absicht, eine Verfassung zu erlassen, an Friedrich Wilhelm III. Trotzdem sind auch die preussischen Reformen weit über das hinausgegangen, was man als Aufgeklärten Absolutismus bezeichnen kann. Die Zeit nach 1815 kann daher in Deutschland nicht mehr unter die Maxime Aufgeklärter Absolutismus gestellt werden. Ist das woanders möglich? Alexander I. hielt es für unmöglich, weshalb er in Spanien auf die Anerkennung der Cadizer Verfassung drang, Ludwig XVIII. überredete, die Charte von 1814 zu erlassen und selbst 1815 für Polen eine Verfassung erliess. Aber war dies nicht ein Trugschluss und hat der sogenannte Vormärz nicht bewiesen, dass es ging? Wir sind ja ausgegangen von der These, der Aufgeklärte Absolutismus als europäische Erscheinung sei mehr als eine Summierung ähnlicher Erscheinungen in mehreren Staaten. Das bisher Gesagte lässt sich wie folgt zusammenfassen. Der Aufgeklärte Absolutismus ist eine Erscheinung sehr widersprüchlichen Charakters, weil Aufklärung und Absolutismus zwar Berührungspunkte haben, sich aber in letzter Konsequenz ausschliessen. In den rückständigen und insbesondere wirtschaftlich nicht voll entwickelten Staaten kam dem Aufgeklärten Absolutismus insofern eine wichtige Funktion zu, als hier nur mit Hilfe des Absolutismus aufgeklärte Reformen eingeleitet werden konnten. Hier hat der Aufgeklärte Absolutismus mehr oder weniger weitgehend jene Aufgaben erfüllt, die ihm die Physiokraten zugedacht hatten. Diese Reformen waren jedoch freiwillig und gingen auch nur so weit, wie die aufgeklärten Monarchen es wollten. Mit der Französischen Revolution änderte sich die Situation grundlegend. Es war unübersehbar, dass mit dem revolutionären Ideal der persönlichen politischen Freiheit etwas ganz Neues in der Geschichte aufgetreten war. Ihm konnte der Absolutismus nichts entgegensetzen. Das heisst aber, jeder Versuch in der Art des Aufgeklärten Absolutismus, nach 1815 weiter zu regieren, musste sich mit dem Problem der politischen Freiheit auseinandersetzen. In Preussen hat es eine auf rechtsstaatlichen Prinzipien aufgebaute hervorragende Verwaltung bis 1848 geschafft, dieses Problem in der Schwebe zu halten. Die Entscheidungen lagen aber nicht mehr beim König, sondern bei einem Gremium hoher Beamter, dem Staatsrat. Nun war Friedrich Wilhelm III. sicher einer der unbegabtesten Hohenzollern auf dem preussischen Thron. Sein Vetter Wilhelm I. der Niederlande, der dem preussischen König dieses neu geschaffene Königreich verdankte, war von anderer Statur. Er besass Willenskraft und Geist genug, um in der Art des Aufgeklärten Absolutismus zu regieren. Trotzdem war es ein Anachronismus. Die Aufgabe war mit den Mitteln des Aufgeklärten Absolutismus nicht zu lösen. Um Reformprogramme zu verwirklichen, war der despot éclairé über- | |
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flüssig geworden. Die Völker waren nicht nur bereit, sondern auch entschlossen, ihren Anteil an der Veränderung und Weiterentwicklung des Staates zu leisten. Der Absolutismus nach der Französischen Revolution lebte nicht mehr aus sich selbst, aus seiner Verpflichtung, die Untertanen im Sinne der Aufklärung zu einer höheren Aufgabe, nämlich dem Dienst am Staat, zu erziehen. Er war nicht mehr naiv. Er wollte mit seinen Reformen eine Revolution verhindern. Insofern hatte Wilhlem I. etwas von einer tragischen Figur. Das heisst nicht, dass es unter ihm keinen Aufgeklärten Absolutismus gegeben hat. Aber es heisst, dass die Probleme mit dessen Mitteln nicht mehr gelöst werden konnten. In der Geschichte war die Zeit des Aufgeklärten Absolutismus abgelaufen.
Karl Otmar Freiherr von Aretin |
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