Wie ich mich schäme!
Maurer - Maler - Zimmerleute.
Sonnengebräunte Gesichter unter weiBleinenen Mützen, muskulöse Arme, Nacken - gut durchwachsen, nicht schlecht habt ihr euch in eurer Republik ernahrt, man konnte es sehen.
Vierschrötig kamt ihr daher. Ihr setztet euch in Marsch, um dem Ministerium zu sagen, daß etwas nicht stimmt. Es stimmte etwas nicht, nämlich im Lohnbeutel: dagegen setzt man sich zur Wehr, das ist richtig. Dazu hattet ihr euer gutes, durch Gesetze festgelegtes Recht auf freie Meinungsaußerung.
Ein wenig wachsamer hättet ihr zwar sein können. Was hat schließlich ein amerikanisches Auto bei einer Demonstration Berliner Bauarbeiter zu suchen?
Aber sonst? Gut saht ihr aus, besser als die, welche sich unter euch mischten. Die freilich sahen nicht gut aus, reichlich bunt zwar, aber nicht gut!
Sie waren auch viel schlechter genährt als ihr. Halbstarke waren es, mit spitzigen Ellenbögchen, ein häBlicher Anblick - ihr mit denen!
Bis zum Alex waren es die Normen - richtig. Dann aber sagten die anderen einige Dinge, die hätten euch stutzig machen sollen.
Domme, gefiahrliche Dinge!
Die Volkspolizei aber ließ euch ziehen. Sicher hitte die Volkspolizei eingreifen können. SchlieBlich hat sie Waffen! Sie schoB nicht! Warum wohl nicht? Die Volkspolizei, das sind Maurer, Maler, Zimmerleute; Kollege auf Kollege schieBen, schlecht wäre das gewesen. Versetzt euch einmal in die Lage eurer Genossen Volkspolizisten: von Halbstarken angegeifert, zwischen solch einer Meute. Eine kleine Bewegung mit dem Zeigefinger hätte genügt, um dem ganzen Schwindel ein jähes Ende zu bereiten. Diese kleine Bewegung mit dem Zeigefinger unterblieb. Unterblieb, nicht weil die Volkspolizei Angst hatte, sondern weit sie sehr, sehr mutig war. Für dienen Mut wird man der Deutschen Volkspolizei künftig nicht nur in Deutschland, sondern überall, wo Menschen wohnen, die den Frieden lieben, sehr dankbar sein.
Denn ihr marschiertet, damit die Volkspolizei gerade diese kleine Bewegung mit dern Zeigefinger machen sollte. Ihr wuBtet nicht, daB ihr dafür marschiertet, ihr hättet es aber wissen müssen. Hättet ihr nur gleich zu Beginn jenem stinkfeinen amerikanischen Omnibus mehr Beachtung geschenkt.
Bauarbeiter sind doch helle!
Ihr zogt in schlechter Gesellschaft durch die Stadt. Ihr zogt mit dem Gesindel, das, von den groBen Weltbrandstiftern gedungen, schon die Benzinflaschen in der Tasche trug, mittels denen sie morgen eure Baugerüste anzünden würden.
Das wolltet ihr nicht.
Aber als es geschah, lieBt ihr es zu.
Den zweiten Weltkrieg wolltet ihr auch nicht, und als er geschenen war, sagtet ihr, wir waren doch machtlos, wir konnten doch nichts dagegen tun!
Gegen die Bubis konntet ihr auch nichts tun? Bedenkt: Baugeriiste, Häuser, Autos gingen in Flammen auf.
GroBe Kriege haben oft scheinbar kleine Ursachen. Freilich, ihr ragt, ihr hättet das nicht gewuBt. Nach dem zweiten Weltkrieg sagten auch viele, sie hätten es nicht gewuBt.
Aber diesmal hättet ihr es wissen können.
Zwischen euch standen tapfere Freunde der Freien Deutschen Jagend, Mánner und Frauen eurer Partei, der Partei der Arbeiterklasse, die euch alles sagten. Wieso wolli ihr es nicht gewuBt haben? Vielleicht habt ihr nur nicht hingehört? Vielleicht habt ihr zugelassen, daB eure einzigen und wahren Freunde an diesem Tag niedergeschrien wurden?
Es gibt keine Aasrede!
Und es gab keine Ursache dafür, daB ihr an jenem, für euch - euch am allermeisten - schändlichen Mittwoch nicht Häuser bautet.
Der Tischler Walter Ulbricht hatte alle berechtigten Ursachen zum Zorn am Abend oorher beseitigt. Ministerpräsident Grotewohl hatte vor der gesamten Nation offen Rechnung gelegt.
Nur eiven Tag lang, nur so lang, wie ein Bierrausch währt, folgtet ihr einem anderen. Einem Zimmermann, einem von euch, wie ihr glaubtet.
Das war schon ein Zimmermann. Der Hut zünftig! Sammetweste und Jackett. Kndpfe - da war alles dran. Die Hose weit ausladend, wie es sich gehört.
Hättet ihr nur unter den Hut geguckt, nur unter den Hut - an der Frisur hättet ihr erkannt, was das für ein Zimmermann war.
Ein Sargmacher fuhrte euch - ein Totengräber.
Als wenn man mit der flachen Hand ein wenig Staub vom Jackett patat, fegte die Sowjetarmee die Stadt rein.
Zum Kämpfen hat man nur Lust, wenn man Ursache dazu hat, und solche Ursache hattet ihr nicht. Eure schlechten Freunde, das Gesindel von drüben strich auf seinen silbernen Fahrradern durch die Stads wie Schwälbchen vor dem Regen.
Dann wurden sie weggefangen.
Ihr aber dürft wie gute Kinder um neun Uhr abends schlafen gehen. Für euch und für den Frieden der Welt wachen die Sowjetarmee und die Kameraden der Deutschen Volkspolizei.
Schämt ihr euch so, wie ich mich schäme?
Da werdet ihr sehr viel und sehr gut mauern und künftig sehr klug handeln müssen, ehe euch diese Schmach vergassen wird.
Zerstörte Hauser reparieren, das ist leicht. Zerstörtes Vertrauen wieder aufrichten ist sehr, sehr schwer.
Kuba
Ein Aufruf von Kuba (von 1951 bis 1953 Generalsekretär des Deutschen Schriftstellerverbandes) an die Arbeiter, die sich an den Unruhen vom 17. Juni beteiligt halten
Die Lösung
Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen,
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Brechts Text zum 17. Juni ist zugleich eine Antwort auf Kubas Aufruf. Auch in einem Brief an Ulbricht nahm er damals zu den Verhältnissen in der DDR kritisch Stellung