De Broederhand. Jaargang 1
(1845-1846)– [tijdschrift] Broederhand, De– Auteursrechtvrij
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[Nummer 4]Johann Peter HebelGa naar voetnoot+ und seine Gedichte in allemannischer MundartGa naar voetnoot1.Iedem Vlaemen, der sich für Sprache und Literatur des deutschen Brudervolkes interessirt, wird Hebel eine höchst anziehendeGa naar voetnoot2 Erscheinung sein; Hebel wird mit Recht zu den Klassikern Deutschlands gerechnet, und doch sind seine berühmtesten Werke nur einige DutzendGa naar voetnoot3 Lieder; kleine Lieder von sehr bescheidenem Inhalt, noch dazu in der allemanischen Mundart geschrieben, die mancher Deutsche eben so wenig auf den ersten Blick versteht, wie er ein vlaemisches Gedicht ohne Anstoss vom BlattGa naar voetnoot4 übersetzen würde. Denn auch das Vlaemsche ist nur eine deutsche Mundart und unterscheidet sich blossGa naar voetnoot5 dadurch von den übrigen Dialekten, dass es zugleich eine besondere Schriftsprache bildet. Ehe wir jedoch ausführlicher von dem allemannischen Dichter sprechen, müssen wir einige Bemerkungen über die nieder-und oberdeutschen Dialekte und über ihr Verhältniss zur hochdeutschen Sprache vorausschicken. Die niederdeutschen Mundarten, die im ganzen alten Sassenland vom Harz bis an die Elb- und Wesermündung, in Holstein und in Pommern, in Mecklenburg und in Westphalen vom Volke gesprochen werden, haben den allgemeinen Name Plattdeutsch. Dieses Platt wechselt von Meile zu Meile, von einem Dorf zum | |
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andern; es gibt keine feste Regel dafür und keine Sprachlehre. Die alten Städtechroniken sind platt geschrieben, aber, seit dem AufschwungGa naar voetnoot1 der hochdeutschen Literatur im vorigen Jahrhundert, denkt niemand mehr daran, das Plattdeutsch zur Schriftsprache zu erheben. Wenige denken ernstlich daran, etwas für seine ErhaltungGa naar voetnoot2 zu thun; aufrichtige Volksfreunde und geistvolle Schriftsteller, wie Ludolf Wienbarg, der Holsteiner, haben sogarGa naar voetnoot3 offen ausgesprochen, dass sie es für ein Glück ansehen würden, wenn das Platt ganz vom Hochdeutschen verdrängt würde; denn es hindere in manchen GegendenGa naar voetnoot4 die Verbreitung grösserer Cultur und AufklärungGa naar voetnoot5. Warum hört man nicht ähnlicheGa naar voetnoot6 Wünsche in BezugGa naar voetnoot7 auf die oberdeutschen Dialekte, die im Süden gesprochen werden? - Die oberdeutschen Dialekte, aus denen sich das Hochdeutsche gebildetGa naar voetnoot8 hat, wie ein mächtiger Strom aus dem Zufluss frischer AlpenquellenGa naar voetnoot9, stehen noch jetztGa naar voetnoot10 in einem lebendigen Zusammenhang mit demselben. Hört man im Süden die Sprechweise der verschiedenen Stände, so kann man den allmäligenGa naar voetnoot11 und stufenweisenGa naar voetnoot12 Übergang aus der Sprache des Volkstammes in die Sprache der Nation beobachtenGa naar voetnoot13; fortwährend gehen noch jetzt in das Hochdeutsche einzelne Provinzialismen über, die eine glückliche Erwerbung für den Dichter und Redner sind, weil sie die Sprache mit treffenden Ausdrücken und anschaulich malenden Worten bereichern. Eben deshalb verräth im Süden oftGa naar voetnoot14 auch der GebildeteGa naar voetnoot15, durch Accent und Aussprache seine fränkische, allemannische oder schwäbische Abstammung. Anders im hohen Norden. In Hannover und Braunschweig, z.b., wird neben dem platten Volksdialekt das reinste Hochdeutsch gesprochen, denn das Platt ist von der Schriftsprache zu verschieden, um auf dieselbe noch einen merklichen Einfluss zu äussern; es ist kein rohes, sondern ein veraltetes Idiom. Der oberdeutsche Dialekt verhält sich zum Hochdeutschen, wie der | |
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moderne Dörfler zum modernen Städter: der plattdeutsche Dialekt hingegen wie ein ehrenfester Reichsbürger aus dem 16. Jahrhundert zu dem gebildeten Staatsbürger des 19 Seculums. Wie bei dem Belgier das Vlaemsche, so ist beim Niederdeutschen das Platt überall die Sprache der Vertraulichkeit und gleichsam das bequeme, gemüthliche Hauskleid; mit dem Landvolk oder dem Gesinde muss man es sprechen; am traulichen KaminfeuerGa naar voetnoot1 dagegen, mit guten Freunden und in der Familie, da spricht man es aus Vorliebe. Es liegt die biedereGa naar voetnoot2 Einfalt und die ganze GeradheitGa naar voetnoot3 der alten Zeit darin. Auf plattdeutsch kann man unmöglich sentimental oder affectirt sein: das Idiom ist zu kerngesund und einfach dazu. Freilich ist es auch mehr geeignet, handgreifliche Dinge, als abstracte und ideale Begriffe auszudrücken; es istmehr geschaffen für den derbenGa naar voetnoot4 Humor als für lyrisches Pathos und metaphysische Tiefe der Gedanken. Aber was schadet das? Wenn der Niederdeutsche seine geistige BedürfnisseGa naar voetnoot5 befriedigen und sich in eine höhere Stimmung versetzen will, so schlägt er seinen Göthe und Schiller, seinen Herder und Lessing, oder seinen Körner und Uhland auf. Er brauchtGa naar voetnoot6 das Hochdeutsche nicht erst lang zu studiren; selbst der Ungebildete gewöhnt sich in sehr kurzer Zeit daran. Es ist ja dieselbe Sprache, nur vergeistigt und verklärt, gleichsam ätherischer geworden und beflügelt durch den Fortschritt der Zeiten. Um wie viel glücklicher ist der Niederdeutsche darin als der Vlaeme! Auch dieser spricht seine alte niederdeutsche Mundart, so oft sich ihm das Herz bewegt; wenn er in Liebe oder Freundschaft, in Mitleid oder Freude sich Luft machen willGa naar voetnoot7, da bricht die germanische Natur in ihm hervor, und unwillkürlich fängt er an, Vlaemsch zu reden. Aber wenn er seinen Geist befriedigen, wenn er von den Resultaten der Wissenschaft und den Früchten einer höheren Cultur geniessen will, da hat er die unselige Gewohnheit, eine ganz fremde Sprache zu wählenGa naar voetnoot8; eine Sprache, die zwar seinem WitzGa naar voetnoot9 und Verstand genugthun, aber sein Herz nicht sättigen und den | |
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Durst seines Gemüthes nicht löschen kann; die seiner Einbildungskraft nur matte Farben und seiner Phantasie, stattGa naar voetnoot1 der Flügel, armselige Krücken leiht. Denn die Seele des Französischen stammt aus einer Natur, die der germanischen entgegengesetzt ist; da ist eine andere Denkweise, anderes Gefühl und anderer Charakter. Und doch, wer zwingt den Vlaemen, bei dem Fremdling sich zu Gaste zu ladenGa naar voetnoot2? Die goldenen Schätze der hochdeutschen Literatur sind auch für ihn bestimmt. Der Vlaeme ist kein Ausländer auf dem deutschen Helikon und er lernt das Hochdeutsche eben so baldGa naar voetnoot3 und leicht verstehen, wie irgend ein Niederdeutscher aus Holstein oder Friesland, der bis in sein zwanzigstes Jahr nur den Dialekt seines Dorfes sprach. Der Vlaeme geht am Hause seines Bruders vorbei, ohne es zu wissen; das Thor ist ihm weit aufgethan und er würde mit offenen Armen empfangen werden, aber er weiss es nicht und geht vorbei, um an die fremde verschlossene Thür zu pochenGa naar voetnoot4. Kommen wir auf unser Thema zurück. Die Verschiedenheit in dem Charakter der nieder- und oberdeutschen Volksdialekte äussert sich auch in der nieder- und oberdeutschen Volkspoesie. Jene ist voll von ergötzlichemGa naar voetnoot5 Spass, von einer gesunden Komik und frischen Satyre; der niederdeutsche Geist versteht es, wie die niederländische Malerei, die Wirklichkeit mit Saft- und kraftvollen Farben, mit sicherem Auge und treuem Griffel wiederzugeben; wie in der Kunst das Plastische, so ist in der Literatur das Dramatische seine Sache. Als Beweis dienen die Possen und Komödien der Hamburger und Berliner Volkstheater, und die witzigen Impromptüs der Kölner Carnavals. Die Wiener Volksstücke von Raimund und Nestroï haben schonGa naar voetnoot6 eine andere Färbung. Im Allgemeinen neigen die oberdeutschen Volkdialekte mehr zur Lyrik; reizende Naivetät, zarte EmpfindungGa naar voetnoot7 und feurige Phantasie, das sind ihre Vorzüge. Der Süden Deutschlands hat eine liebliche Flora von Volksliedern; täglich entstehen sie zu Hunderten in den Thälern Tyrols, Oberösterreichs, in der bairischen Alp | |
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und im Schwarzwald, am Oberrhein und in Steiermark u.s.w. Viele leben im Munde des Volks fort, ohneGa naar voetnoot1 dass man den Namen des VerfassersGa naar voetnoot2 kennt, denn sie verrathen meist keine andere Individualität, als die allgemeine des Volksstammes, bei dem sie entstanden sind. Das Volk hat sie gedacht, kein einzelner, besonderer Mensch. Sehr selten wird ja ein umfassender Geist, eine vom Genie gezeichnete Persönlichkeit in den engen Schranken der provinziellen Mundart bleiben, statt die Sprache der Nation zu seinem Herold zu machen. Dieser seltene Fall hat sich aber doch bei Johann Peter Hebel ereignetGa naar voetnoot3, und die Ursachen davon lassen sich vielleicht in seinen Lebensverhältnissen finden. Hebel ward in Jahre 1760 zu Basel geboren. Seine Eltern, arme Landleute aus dem fastGa naar voetnoot4 angrenzenden Grossherzogthum Baden, pflegten den Frühling und Sommer in der Stadt Basel, im Dienst eines reichen Hauses, zu verbringen, und da kam auch unser Dichter zur Welt. Den Winter über waren sie auf dem Dorf und arbeiteten mit andern Bauern. Im zweiten Lebensjahr verlor Hebel seinen Vater; seine Mutter aber hatte viel natürlichen Geist und ein sanftes Gemüth. Man weiss von vielen Dichtern, dass sie die Erweckung ihres Genius grossentheils dem Einfluss der mütterlichen ErziehungGa naar voetnoot5 verdanken; Göthe erbte von seinem Vater, einem ehrlichen steifen Patrizier, den Geist strenger Ordnung und Klarheit, die schöpferische Phantasie aber von einer Mutter, deren elbenhafterGa naar voetnoot6 Humor und naive Laune sich selbst in ihren Briefen an die Grossherzogin von Weimar abspiegeln. Auch Schiller hat nieGa naar voetnoot7 den Eindruck vergessen, den die Erzählungen seiner Mutter, einer Frau von tiefer Empfindung, in seinem Herzen zurückgelassen. Hebel's Mutter, obgleich eine arme Bäuerin, that alles Mögliche, um ihrem geliebten Kinde, welches schon in zarter Jugend grosse Anlagen verrieth, eine bessere Erziehung zu geben. Glücklicherweise nahm sich ein Dorfschulmeister des wissbegierigen Knaben an, der die wenigen Stunden, wo er nicht im Wald und auf dem Feld sein musste, dem eifrigsten Studium widmete. Dieses, zwischen Stadt und Land, zwischen | |
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geistiger und körperlicher Arbeit getheilte Jugendleben hat gewiss nicht wenig zur eigenthümlichen Entwickelung Hebel's beigetragen. Der Aufenthalt in der Stadt, wie er einerseits die Bildung des Knaben förderte, lehrte ihn anderseits den Verkehr mit der Natur, die er ein halbes Jahr entbehrteGa naar voetnoot1, besser würdigen, und jeden Herbst kam er mit geschärfteren Sinnen und mit gereifterem Beobachtungsgeist nach der ersehntenGa naar voetnoot2 Einsamkeit des Dorfes zurück. Als Hebel im 12. Jahre auch seine Mutter verlor - er hatte den Schmerz, sie unter seinen Händen, auf dem Wege von Basel nach Hause, sterben zu sehen - ging er auf das Gymnasium nach Karlsruhe. Wohlwollende Bürger gaben ihm Freitische und so viel Unterstützung, dass er auch die Universität besuchen konnte. Sein liebenswürdiger Charakter, der milde Ernst seines Geistes und seine ungesuchte Bescheidenheit machten ihn zum Gegenstand allgemeiner Theilnahme. Er studirte Theologie und als er sein Examen mit dem glänzendsten Erfolg überstanden hatte, erhielt er eine Stelle als Erzieher im Hause eines Pfarrers auf dem Lande. SpäterGa naar voetnoot3 wurde er Lehrer am selben Gymnasium, welches er selbst als Schüler besucht hatte, uud zugleich Vicar in der Hofkapelle. In seinem höhern Alter übernahm er die Leitung des ganzen badischen Schulwesens, hatte dabei den Rang eines Ministerialraths und sass, als Prelat und VertreterGa naar voetnoot4 des protestantischen Clerus, in der ersten Kammer des Grossherzogthums. Dass der Jüngling Hebel ein vortrefflicher Erzieher gewesen sein muss, werden sich unsere Leser von selbst denken. Allein wir glauben, dass die Kindererziehung auch nicht ohne Einfluss auf seine Poesie war. Jean Paul vergleicht einmal das Amt eines Erziehers von unverdorbenen Kindern mit der BeschäftigungGa naar voetnoot5 eines Künstlers, der sinnige Engel und Heiligenbilder aus Rosenholz schneidet; der DuftGa naar voetnoot6 des edlen Holzes belohnt ihn jeden Augenblick für die Anstrengung und versetzt seine Seele fortwährend in einen süssen Rausch. Gewiss hat Hebel auf seiner pädagogischen Laufbahn - und dies war die Zeit, wo er seine ersten Gedichte | |
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schrieb - sich die Kunst angeignet, auf eine poetische Weise zu belehren. Hebel ist ein didaktischer Dichter, aber man hört nie den Schulmeister, nie den Sittenprediger in seinen Versen; die Erfindungen selbst, und nicht die Worte des Dichters, sprechen die Lehre aus. Er hat das Gemüth seines VolkesGa naar voetnoot1, wie eine harmlose Kinderseele zu behandelen gewusst; er fesseltGa naar voetnoot2 die Phantasie, regt die Empsindung auf, bis sich alle Tiefen des Herzens öffnenGa naar voetnoot3, und die Erinnerung an die Bilder, die er dem Geist gezeigt hat, fällt als ein Keim des. Guten in diese Herzenstiefen. Er selbst hütet sich zu ermahnen, zu warnenGa naar voetnoot4 oder Moral zu sprechen: er giebt vielmehr den Aussendingen Leben und menschliche Gestalt, dann lässt er sie reden. Unter seiner Zauberhand verwandelenGa naar voetnoot5 sich Sonne, Mond und Sterne, Blumen und Kräuter, Bäume und QuellenGa naar voetnoot6 in eben so viele menschliche Wesen, und Alles auf die sinnreichste, natürlichste Weise; alle haben sie ihre Sorgen und Arbeiten, ihre Wünsche und Freuden, wie das gute Landvolk, zu dem sie reden. Wer in Deutschland kennt nicht das liebliche Gedicht vom ‘Haferbrei?’ Es wäre kaumGa naar voetnoot7 möglich, den Reim des Originals in einer Übersetzung zu erreichen; wir begnügen uns daher, durch einige Andeutungen von der Composition des Liedes einen Begriff zu geben. Die Grossmutter ruft die Kinder zum FrühstückGa naar voetnoot8, und währendGa naar voetnoot9 sie von Zeit zu Zeit die Kleinen ermahnt, sich nicht das Mäulchen zu verbrennen, sich nicht die ÄrmelGa naar voetnoot10 zu beschmutzen, u.s.w. - was die anmuthigsten Refrains und in einzelnen feinen ZügenGa naar voetnoot11 ein idyllisches GemäldeGa naar voetnoot12 gibt erzählt sie gleichsam in purer Geschwätzigkeit die SchicksaleGa naar voetnoot13 der Haferähre. Da ist das Haferkorn erst ein armer Säugling, der unter der Erde, wie ein Kind an der Mutterbrust, liegt und saugt; endlich steekt es das Köpfchen aus den WindelnGa naar voetnoot14; und besieht sich zum ersten Mal die Welt, die ihm gar gut gefällt. Der liebe Gott schickt ihm einen Engel und sagt: Bring ihm ein Gläschen Thau und einen guten Morgen von mir. Dann kommt die Frau Sonne über die Berge, | |
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kämmt ihr goldenes Haar, geht, Wolken strickend, über den Himmel, und lächelt dem kleinen Haferkind zu, wie eine gute Mutter; nun will es nie mehr in seine Wiege unter die Erde, nein, es will draussen bleiben. Da bricht der Winter herein und böses Gewölk. Das arme Kind friert und zittert; es fragt, ob die Frau am Himmel gestorben sei oder sich vor der KälteGa naar voetnoot1 fürchteGa naar voetnoot2; es weint, wie eine arme Waise in der Fremde. Aber der Mai kommt und Alles ist wieder gut. Mein Haferkind wächst, wie ein hübsches Mädchen, so schlank wiegt es sich auf seinem Stängel; die Engel machen ihm über Nacht die schönsten Kleider aus grünen Blättern und seidenen Fäden; die Bienlein raunenGa naar voetnoot3 ihm schöne Geschichten ans Ohr und Abends um neun kommt der Johanniskäfer mit seiner Laterne und wünscht ihm gute Nacht. So lebt es lustig und wohlgemuth, bis es das Dasein satt hat, denn die Gerste ist fort, ebenso Korn und WaizenGa naar voetnoot4; es fühlt, dass es grau wird. Meine Zeit ist um, sagt es, die armen Kinder laufen barfuss zwischen den FurchenGa naar voetnoot5 und lesen die hren auf; was soll ich hier allein zwischen RübenGa naar voetnoot6 und Kartoffeln? - So geht die Erzählung fort; die Entstehung des Haferbreis ist gerade zu Ende erklärt, wie er selbst zu Ende gegessen ist, und die Kinder in die Schule müssen. Die Moral des Liedes braucht man wohl nicht erst auszusprechen? - In dieser Weise hat Hebel viele Lieder geschrieben, und manche behandeln mit derselben Einfachheit die erhabensten GegenständeGa naar voetnoot7; zu den grossartigsten Gemälden braucht er oft keinen grössern Rahmen, als die Thür einer Dorfhütte, oder ein Scheunenthor. Es ist unmöglich, mit ergreifendern Zügen die Vergänglichkeit des Irdischen zu erklären, wie dies Hebel in einem kurzen Gespräch zwischen Vater und Sohn thut. Es ist Nacht und die WandererGa naar voetnoot8 gehen auf der Strasse nach Basel. Der Kleine beginnt mit der Frage: Wird denn unser Haus auch einmal aussehen wie die Schlossruine da oben? Gewiss, sagt der Alte. Sieh mich nurGa naar voetnoot9 an. Einst war ich klein und jung wie du; jetzt mag ich mich wenden wohin ich will, jeder meiner Schritte | |
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führt zum Kirchhof. Bald werden die ZiegenGa naar voetnoot1 auf meinem Grabe weiden, und du wirst erwachsen sein. Auch unser Haus wird altern. Die Sonne schwärzt es jeden Tag, der Wurm nagt an seinen Balken, der Regen wird zum Dach hineinkriechen, der Wind durch die SpaltenGa naar voetnoot2 pfeifen. Dann wirst du die Augen schliessen, und deine Kinder werden das Haus zu stützen suchen, aber vergebens. So von dem kleinen Bauernhause kommt der Alte auf das Dorf, über welches einst der Pflug hingehen wird, dann auf die mächtige Stadt Basel, die auch einst zu Grabe gehen muss, und zuletzt auf den Weltuntergang. Die Übergänge sind so natürlich und die Bilder so ganz der Anschauungsweise des Bauernknaben entlehnt, dass man zugleich von der Naivetät der Einkleidung ergötzt und von der Macht der Gedanken ergriffen wird. Das Gedicht ist eine tragische Idylle; der Dichter erscheint uns darin als Milton und Theokrit in einer Person. Wir können uns nicht enthalten, auch den erhebenden Schluss dieses Lieds anzudeuten: ‘Weine nicht, mein Kind. So ungefähr sagt der Alte; wenn der Weltbrand im ErlöschenGa naar voetnoot3 ist, dann werden die guten Menschen alle geborgen sein. Siehst du, wie am hellen Himmel sich ein Stern an den anderen drängt. Jedes Sternlein ist ein goldenes Dorf, wo die guten Kinder wohnen. Hoch oben aber, unsichtbar von hier, ist die geheimnissvolle, goldene Himmelsstadt. Und wenn du auf der Milchstrasse nach dieser Stadt wandern wirst und herabsehen auf die Erde, die todtenstille, ausgebrannte Wüste, dann wirst du sagen: Dort hab ich einst gelebt und gearbeitet, dort weidete ich meine Kühe, und sammelte mein Reissigholz, dort hab ich manches Spiel getrieben bis an den Tod. Jetzt aber möchte ich nicht mehr dahin zurückkehren.’ Was Hebel bewogen hat in der Mundart des Volks zu schreiben, war wohl nicht bloss die Absicht unmittelbarer und sicherer auf das Volk zu wirken, sondern auch der Zauber, der für sein eigenes Gemüth in der Mundart seiner Heimath lag. Die Sprache der Allemannen, die so reich ist an liebkosenden Verkleinerungsworten, herzigen Epitheten, kindlichen Wendungen und kräftigen Ver- | |
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kürzungen, versetzte den Dichter lebhafter in seine Jugendzeit, frischte schneller die tiefen Eindrücke der Kindheit in ihm auf und vergegenwärtigte ihm getreuer die Denkweise des Volkes. Seine Gedichte verlieren wenig von ihrem Werth, wenn man sie in's Hochdeutsche übersetzt, aber den Reiz der Naivetät muss die Übertragung nothwendig verwischen. Seit dem Jahre 1803, wo die allemannischen Gedichte zum erstenmal erschienen und von Kunstrichtern, wie Göthe und Jean Paul, die begeistertste Anerkennung erfuhren, sind vier Versuche gemacht worden, die Hebelsche Muse zu verhochdeutschen. Den Nutzen solcher Arbeit sehen wir nicht recht ein; für den deutschen Leser war sie wenigstens überflüssig. Wenn man hübschen Bauernkindern städtische Kleider anziehtGa naar voetnoot1, so werden sie dadurch nicht hübscher, sondern nur feiner und artiger; eine saubere Bauerntracht kleidet sie dafür malerischer und passt besser zu den gesunden rothen Wangen, zu dem Glanz der blauen Äuglein und der ungeordneten Fülle der blonden Ringellocken. Vielleicht hat einer oder der andere unserer flämischen Leser Gelegenheit und Lust Hebel's Gedichte zu durchblättern, und dann empfehlen wir als besonders charakteristisch folgende Liedchen seiner Beachtung: ‘Der Morgenstern’ (die MähderGa naar voetnoot2 auf dem Felde sprechen mit ihm). - ‘Sonntagsfrühe;’ ein wahrhaft niedeiländisches Gemälde, aber mit südlichem, warmem Farbenton. - ‘Das Kindlein vom Kirschbaum.’ - ‘Der Storch,’ ‘das Gewitter,’ ‘das Spinnlein,’ ‘der Sommerabend,’ ein schönes Seitenstück zu ‘Sonntagsfrühe,’ ‘die Mutter am Christabend’ und andere mehr. Als Probe von dem Klang und der Verständlichkeit des Allemannischen mögen hier die schönen Strophen der ‘Sonntagsfrühe’ einen Platz finden: Der samstig het zum Sunntig gseit;
‘Jez hani alli schlofe gleit;
Sie sin vom Schaffe het und hi
Gar sölli müed und schlöfrig gsi,
Und 's gothmer schier gar selber so,
I cha fast uf ke Bei meh stoh.’
De Saterdag heeft tot den Sondag gefeid:
‘Nu heb ik allen slapen geleid;
Sy syn van 't werken hier en daar
Seer moed en slaperig geweest,
En 't gaat my schier al selven soo,
Ik kan schier op geen been meer staan.’
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So seit er, und wo's Zwölfi schlacht,
Se sinkt er aben in d'Mitternacht.
Der Sunntig seit: ‘Jez ischs an mir.’
Gar still und heimli b'schliesst er d'Thür.
Er düselet hinter de Sterne no,
Und cha schier gar nit obsi cho.
Doch endIi ribt er d'Augen us,
Er chunnt der Sunn an Thür und Hus;
Sie schloft im stille Chämmerli;
Er pöpperlet am Lädemli;
Er rüeft der Sunne: ‘d'Zit isch do!’
Sie seit: ‘I chumm enanderno.’
Und lisli uf de Zeche goht,
Und heiter uf de Berge stoht
Der Sunntig, und 's schloft alles no;
Es sieht und hört ihn niemes goh;
Er chunnt ins Dorf mit stillem Tritt,
Und winkt im Guhl: ‘Verroth mi nit!’
Und wemme endli au verwacht,
Und gschlofe het die ganzi Nacht,
Se stoht er de im Sunne-Schi'.
Und luegt eim zu de Fenstern i
Mit sinen Auge mild und gut,
Und mittem Meyen uffem Hut.
Drum meint ers treu, und was i sag,
Es freut en, wemme schlofe mag,
Und meint, es seig no dunkel Nacht,
Wenn d'Sunn am heitere Himmel lacht.
Drum isch er au so lisli cho,
Drum stoht er au so liebli do.
We glitzeret uf Gras und Laub
Vom Morgenthau der Silberstaub;
Wie weiht e frische Mayeluft,
Voll Chriesi-Bluest und Schleche-Duft!
Und d'Immli sammle flink und frisch,
Sie wüsse nit, ass 's Sunntig isch.
We pranget nit im Garte-Land
Der Chriesi-Baum im Maye-Gwand,
Gel-Veieli und Tulipa,
Und Sternblume nebe dra,
Und gfüllti Zinkle blau und wiiss.
We meint, me lueg ins Paradies!
Soo segt hy, en toen 't twelve slaagt,
Versinkt hy in den middernacht.
De sondag segt: ‘Nu is 't aan my.’
Heel stil en heimelyk sluit hy de deur;
Hy duiselt achter de sterren na,
En kan bykans niet staande komen.
Doch eindlyk vryft hy de oogen uit,
Hy komt aan de deur en het huis der son;
Die slaapt in 't stille kamerlyn,
Hy klopt al aan het luikelyn;
En roept der son: ‘De tyd is daar!’
Sy segt: ‘Ik kom achtereen.’
En sachtjens op de teenen gaat,
En vrolyk op de bergen staat
De sondag, en 't slaapt alles nog;
Er siet en hoort hem niemand gaan.
Hy komt in 't dorp met stillen trêe
En winkt den haan toe: ‘Verraad my niet!’
En wen men eindlyk ook ontwaakt,
En geslapen heeft den ganschen nacht,
Dan staat hy daar in den sonneschyn,
En kykt u door de vensters in
Met synen oogen mild en goed,
En met den mei op synen hoed.
Daarom meent hy 't goed, en lyk ik seg,
't Verheugt hem, wen men slapen kan,
En meent, het is nog duister nacht,
Wen de son aan den heldren hemel lacht;
Daarom is hy ook soo sacht gekomen,
Daarom staat hy ook soo lieflyk daar.
Hoe blinkt niet op het gras en 't loof
Het silveren stof van den morgendauw!
Hoe waait de frische mailocht
Vol kerssenbloei en sleeëngeur!
En de ymkens famelen flink en frisch,
Sy weten niet, dat 't sondag is.
Hoe pronkt niet in het gaardenland
De kerssenboom in het maigewaad,
Gel' viooltjes en geel tulpen,
En sterrebloemen daar neven,
En dobbelde hiacinten blauw en wit,
Men meent, men schouwt in 't paradys!
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Und 's isch so still und heimli do,
Men isch so rüeihig und so froh;
Me hört im Dorf kei Hüst und Hott!
Egute Tag und Dank der Gott,
Und 's git gottlobe schöne Tag,
Isch alles, was me höre mag.
Und 's Vögeli seit: ‘Frili io!
Potz lausig, to, de isch er scho!
Er dringt to in si'm Himmels-Glast
Dur Bluest und Laub in Hurst und Nast!’
Und 's Distelzwigli vorne dra
Het 's Sunntig-Röckli au scho a.
Si lüte weger 's Zeiche scho.
Der Pfarrer, schint's, well zittli cho.
Gang, brech mer eis Aurikli ab,
Verwüschet mer der Staub nit drab,
Und Chüngeli, leg di weidli a,
De muesch derno me Meie ha!
En 't is soo stil en heimelyk daar,
Men is soo rustig en soo vrolyk,
Men hoort in 't dorp geen har noch hot;
Een ‘goeden dag!’ en ‘adank uw God!’
En ‘'t is godlof een schoonen dag,’
Is alles, wat men hooren kan.
En 't vogelyn segt: ‘Seker ja!
Potz duifend, ja, daar is hy al!
Hy dringt ja in syn' hemelglans
Door bloei en loof in struiken en boomen!
En 't disteltakje voren aan
Heeft syn sondagsrokjen ook al aan.
Sy luiden immers het teeken al,
De pastoor, soo schynt het, wil tydig komen:
‘Ga en breek my een aurikelken af,
Wasch echter niet het stof daaraf!
En Kunigondeken, trek dy gauw aan,
Du moets daarna me een' ruiker halen.’
Wir wolten hier nur auf Hebel's allemannische Gedichte aufmerksam machen; seine übrigen Werke in hochdeutscher Sprache, wie die Bearbeitung biblischer Geschichten für das Volk und sein Kalender: ‘der Hausfreund,’ gehören nicht in den Rahmen dieses kleinen Bildes. Der allemannische Volksdichter starb im 66 Lebensjahre, nicht weit von Mannheim, anno 1826. Die Wahrheit seiner Poesie besiegelte er durch sein Leben. Er war im Umgange eben so offenherzig, einfach und wohlwollend, wie im seinen Liedern. Obwohl unverheirathet, war er doch von zahllosen geselligen Banden umschlungen; das Volk und die Poesie ersetztenGa naar voetnoot1 ihm Haus, Familie und Verwandtschast. Seine geistige ÜberlegenheitGa naar voetnoot2 liess er niemand fühlen; obgleich voll wissenschastlichem Eifer und reich an Kenntnissen, sprach er doch stets populär und ländlich, nicht nach der Art schulstaubiger Gelehrten. Die Strenge seiner Grundsätze machte er mehr gegen sich als gegen Andere geltend; die Ehrfurcht, die sein Charakter, sein Benehmen und sein edles | |
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Aussere einflössten, ward stets durch das Lächeln gemildert, das, wie ein Abglanz seiner kindlichen Seele ihm um die Lippen spielte. Diejenigen aber, die, wie der Verfasser dieser Skitze, das Glück hatten, seine Schüler zu sein, werden seine natürliche Erscheinung gewiss nie aus dem Gedächtnifs verlieren.
LEBERMUTH,
Prosi der hochdeutschen Sprache an dem Athenaeum zu Brūssel. |
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