Beilage zu Beatrijs
(1901)–Anoniem Beatrijs– Auteursrecht onbekend
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[Beatrijs]
Ga naar margenoot+ Vom Dichten kommt mir kleiner Gewinn:
Die Leute raten mir, dass ich es lasse,
Damit ich meinen Sinn nicht verzehre;
Aber um ihrer Tugend willen,
Die Muteer und Magd ist geblieben,
Hab ich ein schönes Mirakel angehoben,
Welches Gott ohne Zweifel zeigte
Marien zur Ehre, die ihn säugte.
Ich will beginnen von einer Nonne
Ein Gedicht. Gott muss mir gönnen,
Dass Ich zum Ziele geraten möge,
Und es zum gaten Eade führen,
Vollkommen nach der Wahrheit,
Wie mir Bruder Ghisbrecht sagte,
Ein Bruder des St. Wilhelms Ordens:
Er fand es in seinen Bückern;
Er war ein hoen betagter Maan.
Die Nonne, von welcher ich beginne,
War höfisch und subtil von Sitten.
Man findet selbst heute keine,
Die ihr gleicht, ich meine,
An Sitten und an Gestalt.
Dass ich lobete ihre Glieder,
Besoaders ihre Schönheit,
Ga naar margenoot+ Das ist ein Ding, das sich nicht geziemte;
Ich will euch sagen welches Amtes
Sie pflegte zu waken lange Zeit
Im Kloster, wo sie trug das Ordenskleid:
Küsterin war sie dort.
Dies sag' ich euch fürwahr,
Sie war weder spät noch träge;
Weder bei Nacht, noch bei Tage;
Sie war schnell bei ihrem Werk:
Sie pflegte zu läuten in der Kirche,
Sie besorgte das Licht und das Ornament,
Und weckte den ganzen Convent.
Ga naar margenoot+ Diese Jungfrau war nicht ohne
Minne, die gross' Wunder
Pflegt zu wirken in dem Lande.
Bisweilen kommt davon Schande,
Qualen, Zorn und Traurigkeit:
Bisweilen Freudigkeit und Gutes.
Den Weisen auch macht sie so thöricht,
Dass er muss bleiben im Verlust,
Sei es ihm lieb oder leid.
Sie swingt manchen, dass er nicht weiss,
Ob er sprechen soll oder schweigen,
Wofür er Lohn wähnt zu kriegen.
Manchen wirft sie unter den Fuss,
Der nur aufsteht, wenn ihr dünket gut.
Minne macht manchen milde,
Der lieber seine Gaben hielte,
Thät er es nicht durch der Minnen Rat.
Auch findet man Leute so treu,
Dass was sie haben, gross oder klein,
Es für die Minne geben hin:
Reichtum, Freude und Trauer;
Solche Minne nenne ich getreue.
Ich könnt euch nicht sagen alles,
Ga naar margenoot+ Wie viel dei Glücks und Ungefall's
Aus der Minnen Bächen rinnen.
Darum darf man nicht verargen
Der Nonne, dass sie nicht konnte entgehn
Der Minne, die sie hielt gefangen;
Denn der Teufel immerfort begehrt
Den Mensch zu umgarnen, und nie cessirt,
Immer Tag und Nacht, spät und früh,
Gebraucht er seine Macht dazu.
Mir böser List, wie er nur konnte,
Verführte er mit fleischlicher Sünde,
Die Nonne, dass sie zu sterben glaubte.
Zu Gott betete sie und flehte ihn an
Dass er sie tröste durch seine Gnade;
Sie sprach: ‘Ich bin so überladen
Mit starker Minne und verwundet,
Das weiss er, dem all' ist kund,
Dem nichts ist verhohlen,
Dass mich die Krankheit wird irre führen.
Ich muss führen ein anderes Leben,
Dieses Kleid muss ich ablegen.’
Ga naar margenoot+ Nun hört wie es ihr nachher erging:
Sie schickte zu dem Jüngling,
Zu dem sie hatte grosse Liebe,
Demütiglich mit einem Briefe,
Dass er balde zu ihr käme,
Daran lag sein-Interesse.
Der Bote ging, da der Jüngling war.
Er nahm und las den Brief,
Den ihm schickte seine Freundin.
Da war er froh in seinem Sinn!
Er beeilte sich zu kommen dorthin.
Seitdem sie alt waren zwölf Jahr
Zwang die Minne diese zwei,
Dass sie duldeten manches Weh.
Ga naar margenoot+ Er ritt so bald er mochte
Zum Kloster, wo er sie suchte.
Er setzte sich vor's Fensterlein,
Und möchte gerne, konnte es sein,
Sein Lieb sprechen und sehn.
Nicht lange säumte sie nach dem;
Sie kam und wollte ihn finden
Vorm Fensterlein, das mit ehernen Banden
Kreuz und quer beflochten war.
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Manchmal seufzten sie,
Wie er draussen sass und sie drinnen,
Befangen mit so starker Minnen.
Sie sassen so eine lange Stunde,
Dass ich 's nicht sagen könnte,
Wie oft sie die Farbe wechselte.
‘Ach mein, sagte sie, Ach mein!
Erwähltes Lieb, mir ist so weh,
Sprich zu mir ein Wort oder zwei,
Welches mir das Herze confortirt:
Ich bin 's, die Trost von dir begehrt;
Der Minnen Strahl steckt mir im Herzen,
Dass ich dulde grosse Schmerzen:
Ich darf mich nimmermehr erfreuen,
Lieb, bis du ihn hast ausgezogen!’
Ga naar margenoot+ Er antwortete mit Sinn:
Du weisst wohl, liebe Freundin,
Dass wir lange haben getragen
Minne; all' unsere Tage
Wir hatten nie so viel Ruhe,
Dass wir einander mal küssten.
Frau Venus, die Göttin,
Die dies brachte in unseren Sinn,
Soll Gott unser Herr verdammen,
Dass sie zwei so schöne Blumen
Lässt verwelken und verderben.
Könnt ich wohl von dir erwerben,
Und wolltest du das Ordenskleid ablegen,
Und mir eine gewisse Zeit sagen,
Wie ich dich hinausführen könnte,
Ich wollte reiten und besorgen
Gute und teuere wollene Kleider,
Und die mit Bunt ausfüttern lassen:
Mantel, Rock und Ueberrock.
Ich begebe dich in keiner Not;
Mit dir will ich alles wagen,
Lieb, das Süsse mit dem Sauern:
Nimm zum Pfande meine Treue.’
‘Erwählter Freund, sprach die Jungfrau,
Ga naar margenoot+ Die will ich gerne von dir empfangen,
Und mit dir so weit gehn,
Dass Niemand soll wissen in diesem Convent,
Wohin wir beid' gegangen sind.
Heute Abend über acht in der Nacht
Komm' und warte auf mich
Da draussen in dem Obstgarten,
Unter einem Eglantier.
Warte dort auf mich, ich komme heraus
Und will werden deine Braut,
Hin zu fahren, wo du begehrst;
Es sei deno, dass mich Krankheit quält,
Oder Sachen, die mir sind zu schwer,
Ich komme sicherlich dorthin,
Und ich begehre von dir sehr,
Dass du dorthin kommst, lieber Junker.’
Ga naar margenoot+ Dies versprachen sie einander.
Er nahm Abschied und ging wandern,
Wo sein Ross gesattelt stand.
Er setze sich drauf mit Sput,
Und ritt im Schritt von dannen
Stadtwaärts, über ein Feld.
Sein Lieb vergass er nicht:
Am nächsten Tage ging er in die Stadt,
Kaufte dort blau und scharlach Tucht,
Wovon er machen liess
Einen Mantel und grossen Kaprun,
Und einen Rock und Ueberrock,
Jedes nach Rechtem wohl gefüttert.
Niemand sah je besseres Fell
Unter Frauen Kleidern tragen;
Sie lobten es alle, die es sahen.
Messer, Gürtel und Geldbeutel
Kaufte er ihr gut und teuer;
Haube, Ringlein von Golde,
Und Zierat mannigfach.
Um all das Zierat that er Proben,
Die irgend eine Braut brauchen konnte.
Sie lobten es alle, die es sahen.
Messer, Gürtel und Geldbeutel
Kaufte er ihr gut und teuer;
Haube, Ringlein von Golde,
Und Zierat mannigfach.
Um all das Zierat that er Proben,
Die irgend eine Braut brauchen konnte.
Mit sich nahm er fünf hundert Pfund,
Ga naar margenoot+ Und fuhr in einer Abendstund
Heimlich aus der Stadt.
All diese Schätze führte er mit
Wohl geladen auf sein Pferd,
Und fuhr also klosterwärts,
Wie sie sagte, in den Obstgarten,
Unter einen Eglantier.
Er setzte sich in das Kraut,
Bis sein Lieb würde kommen heraus.
Ga naar margenoot+ Von ihm lass ich nun die Geschichte,
Und erzähle euch von der niedlichen
Vor Mitternacht läutete sie die Frühmette.
Die Minne that ihr grosses Weh.
Als die Messe war gesungen
Beide von Alten und von Jungen,
Die dort waren im Convent,
Und sie wieder waren gegangen
Auf den Schlafsaal allgemeine,
Blieb sie in dem Hof alleine,
Und sie sprach ihre Gebete,
Wie sie oft zuvor that.
Sie kniete vor dem Altar nieder
Und sprach mit grosser Furcht:
‘Maria, Mutter, süsser Name,
Jetzt kann mein Körper
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Es nicht länger im Ordenskleid anshalten.
Du kennst wohl zu allen Stunden
's Menschen Hen und sein Wesen:
Ich habe gefastet und gelesen,
Und geübt Disciplin,
Es ist alles umsonst, dass ich Schmerzen leide;
Minne wirft mich unter den Fuss,
Ga naar margenoot+ Dass ich der Welt dienen muss.
Also wahrlich, wie du, lieber Herr,
Gehangen wurdest zwischen zwei Dieben,
Und am Kreuze wurdest gerecket,
Und du Lazarus erwecket,
Als er lag in seinem Grabe tot,
So musst do kennen meine Not,
Und meine Missethat mir vergeben;
Ich muss in schweren Sünden sterben!’
Ga naar margenoot+ Nach diesem ging sie aus dem Chore
Zo einem Bilde, wovor sie
Kniete, und sprach ihre Gebete,
Wo Maria stand zur Stelle.
Se rief: ‘Maria, unverzagt,
Ich hab Dir Nacht und Tag geklagt
Jämmerlich mein Verdruss,
Und es hat mir nichts genützt!
Ich verliere darüber ganz den Verstand
Bleib' ich länger in diesem Kleid.’
Das Ordenskleid zog sie dort aus
Und legte es auf unser Frauen Altar.
Dann that sie ihre Schuhe aus.
Nun höret was sie ihun wird.
Die Schlüssel von der Sakristei
Hing sie vor das Bild Mariens;
Und ich sage euch fürwahr,
Warum sie dieselben dorthin hing:
Wenn man sie zur Primen suchte,
Man sie am besten dort finden würde.
Es ist wol recht zu jeder Zeit,
Wet vor Marien's Bilde liegt,
Dass er seine Augen dort hinaufschläg',
Ga naar margenoot+ Und sage ein Ave eh' er geh',
Ave Maria; darum dachte sie daran,
Um dort die Schlüssel auf co hängen.
Ga naar margenoot+ Nun ging sie durch die Not
In einem Rock ganz bloss,
Wo sie eine Thür wusste,
Die sie aufschloss mit List,
Und ging heimlich hinaus,
Leise, ohne Laut.
In den Obstgarten kam sie mit Furcht.
Der Jüngling wurde sie gewahr;
Er sagte: ‘Liebchen, fürchte nicht,
Es ist dein Freund, den du hier siehst.
Als sie beide zusammen kamen,
Fing sie an sich zu schämen;
Weil sie In einem Rocke stand
Mit blossem Haupte und barfuss.
Da sagte er: ‘So schönen Körper
Passten wohl besser
Schöne Gewänder und gute Kleider.
Verarge es mir nicht,
Ich werde sie dir bald geben.’
Dann gingen sie unter den Eglantier,
Und alles was sie nötig hatte,
Davon gab er ihr genug.
Er gab ihr zwei Paar Kleider.
Blau war es, was sie dort anzog,
Ga naar margenoot+ Wohl geschnitten und passend.
Freundlich lachte er ihr zu
Er sagte: ‘Lieb, dies Himmelsblau
Steht dir besser als das Grau’
Zwei Strümpfe zog sie an,
Und zwei lederne Schuhe,
Die ihr viel besser standen,
Als Schuh', die waren gebonden.
Hauptkleider von weisser Seide
Gab er ihr zur gleichen Zeit,
Die sie auf ihr Haupt hing.
Dann küsste sie der Jüngling
Freundlich auf ihren Mund.
Ihm dünkte, wie sie vor ihm stand.
Dass sich der Tag verklärte.
Schnell ging er zu seinem Pferde;
Er setzte sie vor sich in den Sattel.
So ritten sie beide von dannen
So weit, bis es zu tagen anfing,
Dass sie ihnen niemand folgen sahen.
Als es im Osten zu leuchten begann,
Sagte sie: ‘Gott, der Tröster aller Welt,
Jetzt möge er wis bewahren,
Ich sehe den Tag aufklären!
Wär ich nicht mit dir hinaus gegangen,
Ga naar margenoot+ Ich hätte jetzt für das erste Gebet geläutet,
Wie ich früher war gewohnt
Ia dem Kloster der Religion.
Ich fürchte diese Fahrt soll mich reuen;
Die Welt hält so kleine Treue,
Obgleich ich mich jetzt zu ihr hab' gekehrt;
Sie gleicht dem schlauen Kaufmann,
Der nachgemschte Ringlein
Für goldene verkauft.’
Ga naar margenoot+ Ach, was sagst du, meine Reine,
Wenn ich dich jemals verlasse,
So soll Gott mich zu Schanden bringen!
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Wohin wir auch gehn,
Ich scheide von dir in keiner Not,
Uns trenne allein der bittre Tod.
Wie magst du an mir zweifeln?
Du hast doch nicht an mir gesehn,
Dass ich böse war oder schlau.
Seit ich dich zuerst erwählte,
Hätte ich nicht in meinen Sinn
Gethan eine Kaiserin;
Auch nicht, wenn ich ihr würdig wär,
Lieb, ich liess dich nicht für sie,
Darüber darfst un sicher sein.
Ich führe mit uns auserlesen
Fünf hundert Pfund weiss Silber fein,
Darüber Lieb, sollst du Herrin sein.
Obgleich wir fahren in fremdes Land,
Wir brauchen zu verzehren kein einziges Pfand
Innerhalb dieser sieben Jahre.’
So kamen sie heran geritten
Morgens an einen Wald,
Wo die Vöglein hatten Fest.
Ga naar margenoot+ Sie machten so gross Geschall,
Dass man es hörte überall:
Jedes sang nach seiner Weise.
Dort standen die schönen Blümelein
Auf dem grünen Felde aufgeblüht,
Die schön waren und süss dufteten.
Die Luft war klar und schöne.
Dort standen recht viele Bäume,
Die mit reichem Laube prangten.
Der Jüngling blickte auf die Reine,
Der er fortwährend Minne zutrug;
Er sagte: ‘Lieb, sollte es dir passen,
Wir wollten absteigen und Blumen lesen:
Es scheint mir hier schön zu sein;
Lasst uns spielen der Minne Spiel.’
‘Was sagst du, sprach sie, roher Bauer,
Sollte ich absteigen in das Feld,
Wie ein Weib, das gewinnet Geld
In gemeiner Weise mit ihrem Körper,
Gewiss so hätte ich geringe Scham!
Dies wäre dir nicht in den Sinn gekommen,
Hättest du nicht eines Bauern Natur.
Ich muss mit Betrübniss daran denken.
Gottes Hass treffe dich, der es suchte!
Schweig' mir jetzt von solchen Reden,
Ga naar margenoot+ Und hör' die Vöglein in dem Thale,
Wie sie singen und sich freuen,
Die Zeit wird dich nicht verdriessen.
Wenn ich bei dir bin ganz nackt
in einem Bette wol gemacht,
So thue all', was dir genügt,
Und was deinem Herzen fügt;
Ich habe Zorn in meinem Herzen,
Dass du es mir heute vorstellst.’
Ga naar margenoot+ Er sagte: ‘Liebchen, zürne nicht,
Venus that es, die es mir riet.
Gott gebe mir Schande und Plage,
Wenn ich je wieder davon spreche.’
Sie sagte: ‘Ich vergeb's dir dann:
Du bist mein Trost vor allen Mann,
Welche leben unter dem Throne.
Auch wenn der schöne Absalon noch lebte,
Und ich davon wohl sicher wäre,
Mit ihm zu leben tausend Jahre
In Ueppigkeit und in Ruhe,
Ich liess es mir nicht gefallen;
Lieb, ich hab dich so auserkoren,
Man könnte mir nichts vorstellen,
Dass ich dein vergessen könnte;
Wär ich im Himmelreich gesessen,
Und du hier auf dem Erdreich,
Ich käme sicherlich zu dir.
Ach Gott lass es ungerochen,
Dass ich thöricht hab gesprochen!
Der kleinsten Freude im Himmelreich
Ist hier keine Freude gleich;
Dort ist die Geringste so vollkommen,
Ga naar margenoot+ Dass den Seelen nichts schmeckt,
Als Gott zu lieben ohne Ende;
All irdisch Ding ist elend,
Es tauget nicht ein Haar
Gegen die geringste Freude, de man dort findet.
Die danach verlangen, sind weise:
Und ist es, dass ich irren muss,
Und mich zu grossen Sünden wenden
Durch dich, lieber, schöner Junker.’
Ga naar margenoot+ So unterhielten sie einander.
Sie ritten über Berg und Thal.
Ich kann euch nicht wohl sagen,
Was zwischen den Beiden geschah.
Sie fuhren also fort,
Bis sie kamen an eine Stadt,
Welche schön in einem Thale stand.
Da war es ihnen so wohl,
Der Jahre sieben sie dort blieben,
Und waren in einem verwöhnten Leben
Mit körperlichen Freuden,
Und gewannen zwei Kinder zusammen.
Da, nach sieben Jahren,
Als die Pfennige aufgezehrt waren,
Mussten sie zehren von den Pfanden,
Die sie mitgebracht hatten aus ihrem Lande.
Kleider, Zierat und Pferde
Verkauften sie für den halben Wert,
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Und brachten alles bald durch.
Da wussten sie nicht was zu thun;
Sie konnte keinen Rocken spinnen,
Womit sie etwas konnte gewinnen.
Die Zeit ward teuer in dem Lande
An Speisen, Wein und Bier,
Ga naar margenoot+ Und an all' dem, was man essen konnte.
Darum wurde innen trüb zu Mut:
Sie wären viel lieber tot,
Als dass sie hätten gebattelt Brot.
Die Armut verursachte eine Scheidung
Zwischen den beiden, obschon 's ihnen leid war.
Der Mann brach zuerst die Treue;
Er liess sie dort in grosser Reue,
Und fuhr zu seinem Lande wieder.
Sie sah ihn nie mit Augen wieder.
Es blieben mit ihr dort
Zwei übermassen schöne Kinder.
Ga naar margenoot+ Sie sprach: ‘Es ist mir kommen zu,
Was ich fürchtete spät und früh.
Ich bin in grossem Jammer geblieben:
Derjenige hat mich verlassen,
Auf den in Treuen ich mich verliess.
Maria, Fraue, ob du es gebietest,
Bete für mich und meine zwei Kinder,
Damit wir nicht sterben vor Hunger.
Was soll ich thun, elendes Weib?
Ich muss beide, Seele und Leib
Beflecken mit sündigen Thaten.
Maria, Fraue, hilf mir!
Könnte ich auch einen Rocken abspinnen,
Ich konnte damit nicht gewinnen
In zwei Wochen ein Brot;
Ich muss gehen durch die Not
Ausser der Stadt auf das Feld
Und gewinnen mit meinem Körper Geld,
Wofür ich kann kaufen Speise.
Ich darf in keiner Weise
Meine Kinder nicht begeben.’
So ging sie in ein sündiges Leben;
Denn man saget uns fürwahr,
Ga naar margenoot+ Dass sie sieben Jahre lang
Als gemeines Weib in die Welt ging,
Und manche Sünde empfing,
Was ihr wohl unbequem war,
Die sie that mit ihrem Körper,
Obgleich sie geringe Freude dran fand,
Sie that es um ein klein Gewinn,
Womit sie ihre Kinder ernährte.
Was würde es helfen, ob ich erzählte,
Die schändlichen Sünden schwer,
Worin sie war vierzehn Jahr?
Aber niemals liess sie nach,
Hatte sie Freude oder Verdruss,
Sie las alle Tage getreue
Die sieben Gebete unser Frauen;
Die las sie ihr zu Lob und Ehren,
Dass sie sie sollte bekehren
Von den sündigen Thaten,
Womit sie war beladen
In einer Anz ahl von vierzehn Jahr.
Dieses sag ich euch führwahr,
Sie war sieben Jahr mit einem Mann,
Der zwei Kinder bei ihr gewann,
Dieser verliess sie im Elend,
Ga naar margenoot+ Wodurch sie grosses Betrübniss erfuhr.
Von den ersten sieben Jahren habt ihr gehört,
Vernehmet wie sie lebte fort.
Ga naar margenoot+ Als die vierzehn Jahre waren verronnen
Sandte Gott ihr bald in 's Herze
Solch grosse Reue,
Dass sie mit einem blossen Schwerte
Lieber ihr Haupt hätte abschlagen lassen,
Als dass sie noch mehr Sünde gethan hätte
Mit ihrem Körper, so als sie war gewohnt.
Sie weinte Nacht und Tag,
Dass ihre Augen selten trockneten;
Sie sagte: ‘Maria, die Gott säugte,
Gnadenbrunnen, erhaben über alle Weiber,
Lass mich in der Not nicht bleiben!
Fraue, ich nehme dich zur Zeugin,
Dass mich reuen meine Sünden,
Und sind mir von Herzen leid:
Es sind deren so viele, dass ich nicht weiss,
Wo ich sie that, oder mit wem!
Ach leider, was wird mir geschehn?
Ich mag whol wegen des Urteils sorgen
(Die Augen Gottes sehen im Verborgnen),
Wo alle Sünden sind offenbar
Beid' von Armen und von Reichen,
Und alle Missethat wird gerächt,
Ga naar margenoot+ Wovon sie zuvor nicht Beichte gesprochen
Und Penitenz gethan;
Das weiss ich wohl ohne Zweifel,
Deshalb bin ich in grosset Furcht.
Trüg ich auch jeden Tag ein härenes Kleid
Und kröch damit von Land zu Lande
Auf Füssen und Händen,
Im Büssergewande, barfuss, ohne Schuh,
Dennoch könnte ich nichts thun dazu,
Dass ich von Sünden werde frei,
Maria, Fraue du tröstest mich!
Aller Tugend Brunnen,
Du hast manchen so erhöhet,
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Wie es Theofilen geschah,
Er war der schlimmsten Sünder einer;
Und hatte dem Teufel übergeben
Beide Seele und Leben,
Und war geworden sein Mann;
Fraue, demungeachtet erlöstest du ihn.
Und bin ich auch ein sündig' Weib,
Und eine trostlose Unglückliche,
In welchem Leben ich je war,
Fraue, gedenke, dass ich las,
Zu deiner Ehren ein Gebet!
Erbarm dich meiner,
Ga naar margenoot+ Ich bin eine die betrübt ist
Und deiner Hilfe wohl bedarf,
Darum wage ich es, mich zu erkühnen,
Es bleibt einem nie unvergolten,
Der dich grüsset, freie Magd,
Alle Tage mit einem Ave Maria.
Sie, die dein Gebet gerne lesen,
Sie dürfen dessen wohl sicher sein,
Dass ihnen das wird frommen;
Fraue, es ist dir so angenehm.
Auserwählte Gottes Braut,
Dein Sohne schickt dir einen Gruss
Zu Nazareth, wo der dich suchte,
Der dir eine Botschaft brachte,
Die nie von Boten war gehört;
Darum sind dir dieselben Worte
Ohne Zweifel, so angenehm,
Dass du sagst einem jeden Dank,
Der sie dir gerne bringt;
Obgleich er in Sünden gefangen war,
Du würdest ihn zu Gnaden bringen,
Und vor deinem Sohne verteidigen.’
Diese Gebete und diese Klagen
Trieb die Sünderin alle Tage.
Sie nahm ein Kind an jede Hand
Ga naar margenoot+ Und ging mit ihnen durch das Land
In Armut von Stadt zu Stadt,
Und lebte von der Bettelei.
So lange irrte sie durch das Land,
Bis sie ihr Kloster wieder fand,
Wo sie Nonne gewesen war;
Und kam Abends nach Sonnenuntergang
Spät an einer Wittwe Haus,
Wo sie um Obdach bat durch Gnade,
Dass sie Nachts dort bleiben durfte.
‘Ich würde kaum wagen dich zu vertreiben,
Sprach die Wittwe, mit deinen Kindlein;
Mich dünket, dass sie müde scheinen.
Ruh dich aus, und setz dich nieder,
Ich will teilen mit dir wieder
Was mir verleihet unser Herr,
Zur Ehren seiner lieben Mutter.’
Also blieb sie mit ihren Kindern,
Und möchte gern erfahren,
Wie es in dem Kloster stand.
‘Sag' mir, sprach sie, Gute Frau,
Ist dies ein Convent für Jungfrauen?’
‘Ja, das ist es, sagte sie, bei meiner Treuen,
Er ist prachtvoll und reich.
Nirgend ist seinesgleichen bekannt:
Ga naar margenoot+ Die Nonnen, die dort das Ordenskleid tragen,
Ich hörte niemals erwähnen
Von ihnen irgend ein Gerüchte,
Wofür man sie tadeln möchte.’
Ga naar margenoot+ Die dort bei ihren Kindern sass,
Sie sprach: ‘Warum sagst du das?
Ich hörte in den letzten Wochen
So viel von einer Nonne sprechen;
Wie ich verstand in meinem Sinn,
So war sie hier Küsterin,
Der es mir sagte log nicht:
Est ist innerhalb dieser vierzehn Jahren geschehn,
Dass sie aus dem Kloster strich,
Man wusste nie, wohin sie wich,
Oder in welchem Lande sie ihr Ende fand.’
Da wurde die Wittwe gram
Und sagte: ‘Du scheinst mir zu fantasieren:
Solche Geschichten sollst du aufhören
Zu erzählen von der Küsterin,
Oder du darfst hier nicht länger bleiben.
Sie ist hier Küsterin gewesen
Vierzehn Jahre den Termin,
Dass man ohne sie nicht konnte
In all der Zeit eine Stunde,
Es sei denn, dass sie war ungesund.
Er wäre schlimmer wie ein Hund,
Der von ihr sagte irgend etwas al gutes;
Sie hat einen so guten Ruf
Ga naar margenoot+ Als irgend eine Nonne nur haben kann.
Wer alle Klöster durchsuchte,
Die stehn zwischen Elbe und Geronde,
Ich glaube dass man nicht finden könnte
Eine, die geistlicher lebt.’
Ga naar margenoot+ Die also lange gefallen war,
Diese Geschichte dünkte ihr Wunder,
Und sagte: ‘Fraue, thue mir kund,
Wie heissen ihre Mutter und ihr Vater?’
Da nannte sie sie beide zusammen.
Da wusste sie wohl, dass man sie meinte.
Ach Gott, wie sie Nachts weinte
Heimlich vor ihrem Bette!
Sie sagte: ‘Ich hab' keinen anderen Lohn
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Als von Herzen grosse Reue;
Komm mir zu Hilfe, Maria, Fraue,
Meine Sünden sind mir so leid,
Säh ich einen Ofen heiss,
Der in so grosser Glut stünde,
Dass ihm die Flammen gingen aus dem Munde,
Ich verkröch mich drin mit grossem Fleiss,
Könnte ich meine Sünden werden los.
Herre, du hast einen Abscheu von Verzweiflung,
Darauf will ich mich verlassen.
Ich bin's, die immer auf Gnaden hofft,
Ist es auch, dass mich die Angst nötigt,
Und mich bringt in grosse Furcht.
Ga naar margenoot+ Es gab nie einen so grossen Sünder,
Seit du auf das Erdreich kamst
Und menschliche Form annahmst,
Und du am Kreuze wolltest sterben,
So einen Sünder liessest du nicht verderben;
Der in Reuen suchte Gnade,
Er fand sie wohl, käm er auch spät,
Wie es wohl wurde offenbar
Dem einen Sünder von den zwein,
Der zu deiner Rechten hing.
Das ist uns ein tröstreich Ding,
Dass du ihn empfingst unbescholten.
Wahre Reue kann alles überwinden;
Das mag ich merken an diesem.
Du sagtest: ‘Freund, du sollest sein
Heut mit mir in meinem Reiche,
Das sag ich dir führwahr.’
Noch, Herre, war es offenbar,
Dass Gisemast, der Mörder,
Zuletzt um Gnaden bat:
Er gab dir weder Gold noch Schätze,
Nur dass ihn reuten seine Sünden.
Dein Erbarmen ist nicht zu ergründen
Nicht mehr als man das Meer
Ausschöpfen mag an einem Tag
Ga naar margenoot+ Und austrocknen bis auf den Grund.
Ebenso gab es nie so grosse Sünde,
Herr, deine Gnade geht darüber:
Wie sollte ich dann ausgeschlossen sein
Von deinem Erbarmen,
Wenn meine Sünden mir so leid sind?’
Ga naar margenoot+ Wie sie in diesem Gehete lag
Kam eine Schläfrigkeit in all' ihre Glieder,
Und sie fiel in einen sauften Schlummer.
In einer Vision schiep es ihr,
Wie eine Stimme sie rief,
Als sie dort lag und schlief:
‘Mensch, du hast so lange gestöhnt
Dass Maria sich deiner erbarmt;
Denn sie hat für dich gebeten.
Geh' schnell in das Kloster:
Du findest die Thüre weit offen,
Woraus du gingst zur selben Zeit
Mit deinem Lieb, dem Jüngling,
Der dich in der Not verliess.
All deine Kleider findest du wieder
Liegen auf dem Altar nieder:
Schleier, Kappe und Schuh
Darfst du kühnlich anthun,
Deshalb danke höchlich Marien.
Die Schlüssel von der Sacristei,
Die du vor dem Bilde aufhingst
Nachts, wenn du hinaus gingst,
Die hat sie so lassen bewahren,
Dass man in vierzehn Jahren
Ga naar margenoot+ Dich nie vermisste,
So dass niemand davon wusste.
Maria ist so wohl deine Freundin,
Sie hat immer für dich gedient
Mehr oder wenig, wie du es gewohnt warst.
Das hat die Frau vom Himmelreich,
Sünderin, für dich gethan.
Sie heisst dich, in das Kloster gehn;
Du findest Niemand auf deinem Bette.
Es ist von Gott, dass ich zu dir spreche.’
Ga naar margenoot+ Nach diesem währte es nicht lang,
Dass sie aus ihren Schlaf aufsprang;
Sie sagte: ‘Gott, gewalt'ger Herr,
Gestatte dem Teufel nimmermehr,
Dass er mich bringe in mehr Verdruss,
Als mir jetzt geschehen ist.
Wenn ich jetzt in 's Kloster ginge,
Und man mich als eine Diebin finge,
So wär ich noch mehr geschändet,
Als wenn ich zuerst verliess den Convent.
Ich mahne dich, Gott den Guten,
Bei deinem köstlichen Blute,
Das aus deiner Seite lief,
Wenn die Stimme, die mich rief,
Hier ist gekommen zu meinem Nutzen,
Dass sie es nicht lassen soll,
Sie komme ein ander Mal zu mir,
Und offenbare sich ein drittes Mal,
Damit ich mag, ohne Wahn,
Wieder in mein Kloster gehn.
Ich will darum benedeien
Und loben immermehr Marien.’
Ga naar margenoot+ Die nächste Nacht, sollt ihr hören,
Kam zu ihr eine Stimme,
Welche sie aufrief und sagte:
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‘Weib, du zögerst zu lange,
Geh' wieder in dein Kloster,
Gott wird sein dein Tröster.
Thue was dir Maria gebietet:
Ich bin ihr Bote, zweifle nicht.’
Jetzt hat sie andermal vernommen
Die Stimme zu ihr kommen,
Und hiess sie in das Kloster gehn;
Doch wagte sie nicht, es zu bestehn.
Die dritte Nacht zögerte sie noch
Und sagte: ‘Werde ich von einem bösen Geist betrogen,
Der zu mir kommt,
So muss bald aufhören
Des Teufels Gewalt und seine Kraft.
Und wenn er hier wieder kommt zu Nacht,
Herr, so mache ihn so confus,
Dass er fahre aus dem Haus,
Dass er mir nicht soll schaden.
Maria jetzt steh' mir bei,
Die eine Stimme zu mir sendet,
Und heisst mich gehen in den Convent;
Ga naar margenoot+ Ich beschwöre dich, Fraue, bei deinem Kinde,
Dass du sie mir zum dritten Male schicken willst.’
Ga naar margenoot+ So wachte sie die dritte Nacht:
Eine Stimme kam von Gottes Kraft
Mit einem übergrossen Lichte,
Und sagte: ‘Es ist Unrecht,
Dass du nicht thust, was ich dich heisse;
Denn Maria fordert dich auf durch mich.
Du könntest säumen all zu lang;
Gehe in 's Kloster ohne Zögern,
Du findest die Thüre weit aufgethan;
Wo du willst, darfst du gehn,
Dein Kleid findest du wieder
Liegen auf dem Altar nieder.’
Als die Stimme dies hatte gesagt,
Konnte die Sünderin, die dort lag,
Die Klarheit mit ihren Augen sehn.
Sie sagte: ‘Jetzt darf ich nicht zweifeln,
Diese Stimme kommt von Gott,
Und ist der Magd Marien Bote,
Dessen bin ich jetzt gewiss:
Dieselbe kommt mit einem so schönen Lichte.
Jetzt will ich nicht länger warten:
Ich will mich nach dem Kloster begeben;
Ich will 's auch thun in guter Treuen,
Ga naar margenoot+ Im Vertrauen auf unsere Frau,
Und will beide meine Kinder
Empfehlen Gott unsserem Vater:
Er wird sie wohl bewahren.’
Dan zog sie aus ohne Zögern
Ihre Kleider, womit sie sie deckte
Leise, damit sie sie nicht weckte.
Sie küsste sie beide auf ihren Mund;
Sie sagte: ‘Kinder, bleibt gesund:
Im Vertrauen unserer Frauen
Lass ich euch hier in guter Hut;
Und hätte Maria mich nicht aufgerufen,
Ich hätte euch nicht verlassen
Für all' das Gut, das Rom hat inne.’
Ga naar margenoot+ Höret, was sie soll beginnen.
Jetzt geht sie mit grossem Gewein
Zum Kloster hin, eine einsame Mutter.
Als sie in den Obstgarten kam,
Fand sie die Thüre weit offen.
Sie trat hinein ohne Zögern:
‘Maria, habe Dank,
Ich bin gekommen in diese Mauern,
Gott gebe mir gute Abenteuer.’
Wohin sie kam, fand sie die Thüren
Alle weit für sie geöffnet:
In die Kirche sie dann zog.
Heimlich sie dann sprach:
‘Herre Gott, ich bitte dich mit Fleiss,
Hilf mir wieder in mein Ordenskleid,
Das ich, vierzehn Jahre her
Liegen liess auf unser Frauen Altar,
Nachts, als ich von dannen schiep!’
Dieses ist nicht gelogen,
Ich sage es euch ohne Betrug,
Schuhe, Kappe und Schleier
Fand sie zur selben Stelle wieder,
Wo sie sie nieder hatte gelegt.
Ga naar margenoot+ Sie zog alles schnell an
Und sagte: ‘Gott vom Himmelreich,
Und Maria, Maged fein,
Gebenedeiet sollst du sein;
Du bist aller Tugend Blume!
In deiner reinen Jungfräulichkeit
Trugest du ein Kind ohne Weh,
Welches Herr soll bleiben immermehr.
Du bist ein auserwählter Schatz;
Dein Kind machte Himmel und Erde.
Diese Gewalt kommt dir von Gott,
Und steht allzeit zu deinem Gebot.
Den Herrn, der ist unser Behüter,
Darfst du gebieten als seine Mutter,
Und er dich nennen liebe Tochter:
Deswegen ist mir das Leben um so wiel leichter.
Wer bei dir Gnaden sucht,
Er findet sie, kommt er auch spät.
Deine Hilfe ist so gross;
Habe ich auch Verdruss und Not,
Es ist bei dir so verwandelt worden,
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Dass ich jetzt froh darf sein;
Mit Rechten mag ich dich benedeien.’
Die Schlüssel von der Sakristei
Sah sie hangen, ein wahres Ding,
Ga naar margenoot+ Vor Marien, wo sie sie hing.
Die Schlüssel nam sie mit
Und ging zum Chore, wo sie klare
Lampen sah brennen an allen Ecken.
Danach ging sie zu den Büchern
Und legte jedes an seine Stelle,
Wie sie oft zuvor that;
Und sie bat die Magd Maria,
Dass sie sie vom Uebel wollte befrein
Und ihre Kinder, die sie liess
In der Wittwe Haus in schwerem Verdruss.
Währenddem war die Nacht vergangen,
Und die Uhr fing an zu schlagen,
Wo man Mitternacht an kannte.
Sie nahm das Glockentau beim Ende
Und läutete die Metten so wohl zur Zeit,
Dass sie es hörten an allen Seiten.
Die oben auf dem Schlafsaal lagen
Die kamen alle ohne Säumen
Von dem Schlafsaal allgemeine.
Sie wussten hierum gross noch kleine.
Sie blieb im Kloster ihre Zeit
Ohne Spott oder Vorwurf;
Maria hatte für sie gedient
Gleich als ob sie sellbst es wäre.
Ga naar margenoot+ So wurde die Sünderin bekehrt
Marien zum Lobe, die man ehrt,
Die Magd vom Himmelreich,
Die immer getreulich
Ihren Freunden steht zu Gebot
Wenn sie verlassen sind in Not.
Ga naar margenoot+ Diese Jungfrau, wovon ich las,
Ist Nonne wie sie zuvor war.
Jetzt will ich nicht vergessen
Ihre zwei Kinder, die sie liess
In der Wittwe Haus in grosser Not.
Sie hatten weder Geld noch Brot:
Ich konnte euch nicht sagen,
Als sie ihre Mutter nicht fanden,
Welch grosse Trauer sie erfasste.
Die Wittwe setzte sich neben sie;
Sie hatte Mitleid mit ihnen.
Sie sagte: ‘Ich will zu der Aebtin
Gehn mit diesen zwei Kindern,
Gott wird ihr in 's Herze geben,
Dass sie ihnen soll Gutes thun.’
Sie that ihnen Kleider an und Schuh,
Sie ging mit ihnen in den Convent.
Sie sagte: ‘Fraue, jetzt erkenn
Die Not dieser zwei Waisen:
Die Mutter hat sie mit Furcht
Nachts in meinem Haus gelassen
Und ist ihres Wegs gegangen,
Ich weiss nicht, nach Westen oder nach Osten;
Also sind die Kinder ungetröstet.
Ga naar margenoot+ Ich hülfe ihnen gerne, wüsste ich wie.’
Die Aebtin sprach zu ihr:
Verwahr sie wohl, ich will 's dir lohnen,
Dass du es nicht sollst bereuen
Nachdem sie dir gelassen sind.
Man gebe ihnen Almosen
Jeden Tag um Gottes Willen.
Schicke hier täglich einen Boten,
Der ihnen Trinken hole und Essen.
Fehlt ihnen etwas, lass es mich wissen.’
Die Wittwe war froh,
Dass es ihr also gegangen war.
Sie nam die Kindlein mit sich
Und hatte grosse Sorge für sie,
Die Mutter, die sie hatte gesäuget,
Und Schmerzen um sie gelitten,
Ihr war wohl zumut,
Als sie sie wusste in guter Hut,
Ihre Kinder, die sie verliess
In grosser Not und schied von ihnen,
Sie hatte weder Furcht noch Sorge
Fortan um ihre Kinder,
Sie führte fortan ein heilig' Leben;
Manchen Seufzer und Beben
Hatte sie Nacht und Tag;
Ga naar margenoot+ Weil ihr die Reue im Herzen lag
Wegen ihrer bösen Sünden,
Die sie nicht wagte zu verkünden,
Keinem Menschen zu entdecken.
Noch in einem Gedichte auszusprechen.
Ga naar margenoot+ Nachher kam an einem Tage
Ein Abt, der sie zu besuchen pflegte,
Einmal im Jahre,
Um zu vernehmen, ob dort war
Irgend eine üble Nachrede,
Worüber man sie tadeln konnte.
Am Tage, als er dorthin gekommen war,
Lag die Sünderin und las
Im Chore ihr Gebet,
Sie war in grosser Ungewissheit.
Der Teufel verwirrte sie mit Scham,
Dass sie ihren sündhaften Wandel
Vor den Abt nicht sollte bringen.
Als sie in ihrem Gebete lag,
Sah sie, wie an ihr vorbeiging
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Ein weiss gekleideter Jüngling;
Er trog in seinem Arme ganz bloss
Ein Kind, welches ihr tot schien zu sein.
Der Jüngling warf auf und nieder
Einen Apfel und fing ihn wieder
Vor dem Kinde, und machte Spiel.
Dieses sah die Nonne wohl,
Wie sie in ihrem Gebete lag;
Ga naar margenoot+ Sie sagte; ‘Freund, wenn's sein kann
Und wenn du gekommen bist von Gott,
So beschwöre ich dich bei seinem Gebot,
Dass da mir sagst und nicht verhehlst,
Warum du für das Kindlein spielst
Mit dem schönen Apfel rot,
Und es liegt in deinem Arme tot:
Dein Spiel hilft ihm nicht ein Haar.’
‘Sicher, Nonne, du sagst wahr:
Es weiss nichts von meinem Spiel,
Weder wenig noch viel:
Es ist tot, und hört nicht, noch sieht.
Eben desgleichen weiss Gott nicht,
Dass du liest und fastest;
Das hilft dir nichts,
Es ist all' vergebliche Müh,
Dass du nimmst Discipline.
Du bist in Sünden so versunken,
Dass Gott deine Gebete nicht hört
Dort oben in seinem Reiche.
Ich rate dir: schnell
Gehe zum Abt, deinem Vater
Und erzähle ihm all zusammen
All' deine Sünden ohne Lügen.
Lass dich vom Teufel nicht betrügen.
Ga naar margenoot+ Der Abt wird dich absolviren
Von den Sünden die dich quälen;
Ist es, dass du von denselben nicht willst sprechen,
Gott wird, sie schwerlich an dir rächen.’
Der Jüngling ging aus ihren Augen
Und wollte sich ihr nicht mehr zeigen.
Was er sagte, hat sie verstanden,
Am Morgen ging sie also balde
Zum Abte, und bat ihn, dass er höre
Ihre Beichte von Wort zu Wort.
Der Abt war sehr verständig,
Er sagte: ‘Tochter, meine liebe,
Dies will ich nicht unterlassen.
Besinne dich wohl und offenbare
Vollkommen deine Sünden.’
Und sie ging zur selben Stunde
Und setzte sich neben den heiligen Abt
Und entdeckte ihm ihr ganzes Leben,
Und ihren Lauf vom Anfang an:
Wie sie von einer thörichten Liebe
Verführt worden war so übermassen,
Dass sie musste liegen lassen
Ihr Ordenskleid in grosser Furcht
Nachts auf unser Frauen Altar,
Und verliess das Kloster mit einem Mann,
Ga naar margenoot+ Der zwei Kinder bei ihr gewann.
Alles was ihr je geschehen war,
Verbarg sie nicht;
Was sie wusste in ihres Herzen Grund,
Machte sie all' dem Abte kund.
Als sie alles gebeichtet hatte,
Sprach der Abt, der heil'ge Water:
‘Tochter, ich werde dich absolviren
Von den Sünden, die dich belasten,
Welche du mir jetzt gestand en hast.
Gelobet und gebenedeit
Soll die Mutter Gottes sein.’
Zugleich legte er ihr auf's Haupt
Die Hand, und gab ihr Pardon.
Er sagte: ‘Ich werde in einer Predigt
Deine Beichte offenbaren,
Und es so weise überlegen,
Dass du, sammt deinen Kindern
Nimmermehr an keiner Stelle
Verspottet werden sollst;
Es wäre Unrecht sollte man es verschweigen
Das schöne Mirakel, welches unser Herr
That zu seiner Mutter Ehr'.
Ich werde es verkünden überall;
Ga naar margenoot+ Ich hoffe, dass sich dadurch soll
Mancher Sünder noch bekehren
Und unsere liebe Frau ehren.’
Ga naar margenoot+ Er machte es dem Convente kund,
Eh' er wieder nach Hause ging,
Wie einer Nonnen war geschehn;
Aber sie wussten nicht,
Wer sie war; es blieb verhohlen.
Der Abt schied Gott erfüllt von dannen.
Der Nonnen Kinder nahm er beide
Und führte sie in seinem Geleite.
Graue Gewänder that er ihnen an,
Und sie wurden zwei gute Männer.
Ihre Mutter hiess Beatrijs.
Lob Gotte und Preis,
Und Marien, die Gott säugte,
Und dieses schöne Mirakel zeigte.
Sie half ihr aus all' ihrer Not.
Jetzt beten wir alle klein und gross,
Die dieses Mirakel lesen hören,
Dass Maria sein möge
Unsere Fürsprache im süssen Thal,
Wo Gott die Welt richten soll!
Amen.
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