Eneide
(1964)–Hendrik van Veldeke– Auteursrechtelijk beschermd
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GrundsätzlichesGeleitet durch unser Wissen um die vielfältigen Möglichkeiten des literarischen Altlimburgisch zu Veldekes Zeit haben wir beim Entwurf des kritischen Textes ständig die Gesamtüberlieferung an Hand von Photokopien auf ihren Wert befragt. Sicherster Ausgangspunkt war die Reimstelle, sind doch die Reimgebäude das feste Gerüst einer Reimpaardichtung, zumal wenn schon reiner Reim Geschmacksforderung ist. Hier läßt sich landschaftlich abführende oder zeitlich jüngere Überschichtung in den Handschriften im vergleichenden Verfahren verhältnismäßig leicht greifen. Das Versinnere überzeugend zu gestalten, ist schwieriger, aber gerade bei der Eneide, wie oben dargetan, nicht hoffnungslos. Welche Handschriften bei der Rückgewinnung der altlimburgischen Eneide für uns den größten Wert haben, ist nicht so einfachhin zu entscheiden, da jede Handschrift ihrem besonderen Entstehungsbereich und ihrer Entstehungszeit entsprechend Wichtiges enthalten kann und auch enthält. Gewiß behält Behaghel recht, daß G und h, die Gothaer und Heidelberger Papierhandschriften aus dem 15. Jahrhundert, dazu H, die Heidelberger Pergamenthandschrift aus dem 14. Jahrhundert, wo sie zusammenstimmen, meist den besten und verläßlichsten Text bieten, aber doch auch nicht immer. Wir beobachteten z. B., daß die älteste Berliner Pergamenthandschrift B, auch einige der alten Fragmente aus dem 12./13. Jahrhundert, obwohl diese Überlieferungsgruppe die stärksten Spuren einer Umschrift ins Oberdeutsche zeigt, allein ihres Alters wegen, das sie vor den sogenannten ‘besseren’ Handschriften voraus haben, manches Altertümliche, Veraltende und Absterbende in Veldekes Wortschatz wahren konnten. So z. B. geswaslike ‘heimlich’, swelten ‘verschmachten, dahinsiechen’. Anderseits können auch die jüngsten Handschriften in manchem zu Veldeke stimmen, wenn auch wohl mehr aus Zufall als aus altem Erbe der Überlieferung, vor allem nämlich dann, wenn die allgemeine Sprachentwicklung sich für Formen und Worte entschied, die landschaftlich im Nordwesten oder weiteren Mitteldeutschen schon vorgebildet waren. So z. B. feminines mare, nicht Neutr., waz, nicht swaz. Besonders wichtig sind natürlich die Handschriften, deren Sprache von der mitteldeutschen Landschaft her, in der sie entstanden, in manchem Verwandtschaft mit Veldekes Altlimburgisch zeigen können und z. B. urlof, nicht urloup, logene, nicht luge, boven, nicht oben, bieten. Der Verlust der Eibacher Handschrift E, die ins nördliche Rheinfränkische, vielleicht Hessische gehört, ist deshalb besonders zu beklagen. Ertragreich war vor allem das sorgfältige Abtasten aller Verschreibungen, Entstellungen und Umdeutungen der Schreiber wie das Aufspüren der Gründe für die stellenweise stark auseinanderstrebende Überlieferung im Versinnern | |
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wie gelegentlich sogar an Reimstelle. Wir haben dabei, unterstützt durch die oft allzu hilflosen Versuche der Schreiber, der altlimburgischen Vorlage Verständnis abzuringen, viele schöne Entdeckungen gemacht, gewiß noch längst nicht alle, die zu machen wären. Auch Inhaltliches ist zu berücksichtigen. So beobachteten wir z. B. die Tendenz in einzelnen Handschriften oder Handschriftengruppen, Veldekes gode ‘Götter’ vom christlichen Standpunkt als abgote abzuwerten oder durch den Singular got des einen Christengottes zu ersetzen. Häufig kann der Roman d'EneasGa naar voetnoot29, den wir mit dem nötigen kritischen Blick auf dessen immer noch nicht befriedigend bewältigte Überlieferung ständig verglichen haben, Entscheidungen stützen.Ga naar voetnoot30 Wertvolle Hilfe bieten auch Beobachtungen zum Stil. Es läßt sich z. B. feststellen, daß Veldeke in seinen so beliebten Doppelformeln formalen und inhaltlichen Gleichlauf anstrebt. Das erlaubt z. B. 4777 mit G für beide gewunt ende erslagen zu entscheiden gegen wunt der andern Handschriften, umgekehrt 6799 mit den meisten Handschriften für beide dot ende wunt. Ähnlich lesen wir 2663 mit H dat versweich'er ende verhal, konjizieren 9867 aus verderbter Überlieferung vermerren ende vermiden, lesen 10510 gegen ersufzte der Gesamtüberlieferung di maget suchte ende sweich. Auch auf den üblichen präpositionalen Gleichlauf ist zu achten, daher z. B. 12919 mit M van sange ende van seidenspele. Inhaltlicher Gleichlauf fordert 5052 Entscheidung mit G für kune ende werehacht gegenüber warhaft der andern Handschriften, 6218 mit h für genuch ende vele gegenüber sonst seltsene und vil, 13161f. mit G für die Gruppierung pipen ende singen, dansen ende springen. Wir wissen, daß Unsicherheiten genug bleiben. Die größten Schwierigkeiten liegen dort, wo die Handschriften für unser Wissen gleichwertige Lesarten anbieten. Das ist besonders häufig der Fall, wenn Hh auf der einen Seite und GBMw auf der andern Seite gegeneinander abgewogen werden müssen. Hier stoßen wir an Grenzen des kritischen Verfahrens. Es läßt sich auch nicht sicher angeben, wieweit die Handschriften in gewissen Fällen den östlichen Einschlag der Sprache verstärkt haben, so z. B. bei bidden mit dem Akk. d. Pers. neben nordwestlich möglicher Verbindung mit dem Dat. d. Pers. Das gilt auch für eine Reihe von Präfixverben wie für das Einführen bestimmter Flickwörtchen. Hier muß von Fall zu Fall vorsichtig entschieden werden. Schwer ist auch der Entscheid zwischen möglichen Doppelformen. Was der Reim mit seinen eigenen Traditionen sichert, braucht nicht für das Versinnere gültig zu sein. Auch neigen wir dazu, trotz gelegentlicher Mehrformigkeit im Reim im Versinnern eine Form durchzuführen. So entschieden wir z. B. im reimbezeugten Nebeneinander von danne, dannen, dane im Versinnern für danne. Es kann sogar so sein, daß unser Wissen uns dazu | |
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veranlaßte, gegen z. B. reimbezeugtes weist ‘du weißt’ im Versinnern wetes zu setzen. Wir haben uns bemüht, keiner allzugroßen Normierung der Formen und Fügungen zu verfallen, zu der die Verantwortung eines kritischen Textes verführen könnte. Wir hoffen, Veldekes Fassung der Dichtung so nahe gekommen zu sein, wie der Stand der Überlieferung und unserer Kenntnisse es erlaubt, d.h. die Dichtung in der Form wiederhergestellt zu haben, wie sie aus Veldekes eigenem Munde altlimburgisch erklungen sein kann. Bei allem, was wir über die Varianten beim Vortrag und in schriftlicher Überlieferung mittelalterlicher Dichtung wissen, die sich zwar beim höfischen Epos mit seinen bekannten und berühmten Verfassern in engeren Grenzen hielten als bei andern epischen Gattungen, ist anzunehmen, daß Veldeke selbst, weltoffen seinem wechselnden Publikum zugewandt, keine zu starren Forderungen an den Wortlaut seiner Dichtung im einzelnen stellte. Schon seine eigene Wandlung vom Torso zum thüringischen Schluß legt dies nahe. Auch haben wir wohl anzunehmen, daß er nicht selbst niederschrieb, sondern diktierte. Absolute Treffsicherheit bleibt dem Kritiker aus der Natur der Sache verwehrt. Wir meinen unser Ziel erreicht zu haben, wenn unser Text der Eneide den Wert einer guten altlimburgischen Handschrift vom Ende des 12. Jahrhunderts hat. | |
Bau der VerseUnsicherheiten bleiben auch in der Gestaltung des Verses, gerade deshalb, weil wir erkannten, daß sich Veldeke hier keinen engen Gesetzen fügt. Seine gewöhnlich schmal gebauten, eleganten Verse westlich-französischer Form und Strenge zeigen nämlich zugleich gewisse Freiheiten der Füllung, die deutscher Art gemäß sind, so daß mit großen Unterschieden der Spannweite der Verse im einzelnen gerechnet werden muß. Neben so schmal gebauten, schwach gefüllten Versen wie 4783 dú hédde Tírús, 3709 gínder óver mére, 5610 éndẹ den rát dáde, 4708 dát he nínè genás stehen so stark gefüllte mit mehreren Silben in den Senkungen wie 7625 dát'ẹr ḥemẹ drúmbẹ te dóde slúch, 11140 nu wéit ịch walẹ wát sị gedún mách, 13331 alsẹ dạt réine wíf dut ḥerẹn líven mán, wo die Überlieferung natürlich häufig entlastend eingegriffen hat. Wir haben in den letzten Beispielen angegeben, wie wir uns die lebendige Wirksamkeit der Satzlautung vorzustellen haben. Trotz starker Füllung fügen sich die Verse festen metrischen Grundtypen. Zu ihnen gehören vor allem der 4-hebig stumpfe, z. B. 8884 véle wále mén erkós, und der 3-hebig klingende Vers, z. B. 4340 tút sínen mánnen. Da aber bei Veldeke die in offener Silbe gedehnte Kürze der alten Länge nach mittelniederländischer Art metrisch gleichwertig ist, ergeben sich einige Abweichungen von der mittelhochdeutschen Praxis, worüber wir schon Veldeke XII S. 212-216 gehandelt haben. Als 3-hebig klingend sind bei Veldeke also auch zu fassen z. B. 57 éndẹ ḍen líf bewáren, 3111 véle ná verlóren. Das führt nun bei ihm in Entsprechung mittelhochdeutsch 4-hebig stumpfer Verse mit aufgelöster letzter Hebung, z. B. trắgen gleichwertig trúoc, zum 4-hebig klingenden Vers, so 8 níne wólde'r dáre | |
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kṓmen. Er begegnet mitunter am Abschnittsende, um diesem besonderes Gewicht zu verleihen, z. B. 5960 des súlt ir álle vlítech wḗsen, 13252 dat noch állet is verhólen blḗven. Zurückzuhalten scheint sich Veldeke bei Reimwörtern mit -k- und -t-, die im Mittelhochdeutschen wegen der Lautverschiebung keinen stumpfen Vers bilden können, aber neben üblich z. B. 163 dat Tróie wárt tebrṓken begegnen doch auch vereinzelte Fälle wie 9873 roúwe kómẹt van úngemā́ke. Alte Länge scheint aber in diesem letzten Typ kaum zugelassen. Im vereinzelten Fall 12265f. ein míchel deil dés di mére. war úmbe ne gedáchte ích's nit êre, ähnlich 13253, könnte man erwägen mêre : êre durch die auch reimbezeugte Nebenform mê : ê zu ersetzen. Veldeke steht mit dem Bau seiner Verse zwischen Niederländisch und Deutsch, wie die Rheinländer. Beliebt ist metrische Hervorhebung durch Fehlen der Senkung zwischen zwei Hebungen. Welchen Vortragswert diese ‘beschwerte Hebung’ haben kann, hat U. PretzelGa naar voetnoot31 gezeigt. Es gilt metrischer Gleichlauf im Reimpaar. Wo die Überlieferung zwei ungleiche Typen im Reimpaar vereint, ohne daß der Unterschied satzlautend aufgehoben werden könnte, mußte vorsichtige Kritik einsetzen. Es bleibt zu beachten, daß Redeeinführungen, auch Anreden, im Wechselgespräch metrisch überzählig sein können. Wir haben sie gelegentlich im Text gelassen, um die Eindeutigkeit nicht zu gefährden, z. B. 4955f. Túrnus der édele vúrste. [he sprac] ‘vróuwe, of ích gedúrste...’, 9499ff. nu hóret dát gedíchte... [het sprac] ‘hi lígget vróuwe Kamílle.’ Das gleiche gilt für die Anreden vrouwe, muder, dochter u. ä. Hier wird beim Vortrag von Fall zu Fall nach Gutdünken verfahren worden sein. | |
Echt und UnechtSeit den Anfängen der Veldekephilologie bemüht man sich um die Frage von Echt und Unecht wie der Entstehungsgeschichte der ersten vollständigen Fassung der Eneide. Man kam, den schwierigen Gegebenbeiten und den unklaren Angaben im Epilog entsprechend, zu sehr schwankenden Ergebnissen. Die wichtigsten sind die von E. SchröderGa naar voetnoot32 und G. BaeseckeGa naar voetnoot33. Beide neigen zwar der Auffassung zu, daß Veldeke allein die vollständige Fassung der Eneide, wie sie uns die Überlieferung darbietet, geschaffen habe, daß aber der Weg vom limburgischen Torso bis dorthin über drei Stufen erfolgte. E. Schröder meint scheiden zu können 1. Niederschrift des Torsos vor März 1174, der Klever Hochzeit; 2. erster vorläufiger Abschluß 1183/84 unter dem Mäzenat Hermanns von Thüringen, im wesentlichen in der gleichen Sprachform wie der Hauptteil, im Epilog nur Nennung Hermanns; 3. nach dem Mainzer Fest 1184 und dem Hinzutreten Friedrichs als weiteren Mäzens 1188/89 sprachliche Überarbeitung des | |
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Ganzen und Schlußredaktion unter Einarbeit von Hinweisen auf das Mainzer Pfingstfest und den Grafen Friedrich in Schlußpartie und Epilog. Ähnlich G. Baesecke, der aber vorsichtiger seine Stufen 2 und 3 (2. Umschreiben des Alten und Hinzufügung des Schlußteils, 3. Durchsicht und Überarbeitung, einzelne Zusätze) zeitlich nicht so starr festlegt, sondern sie in langsamer Entwicklung zwischen 1183 und 1190 ansetzt. Auch unsere Auffassung hat sich im Laufe der Arbeit mehrfach gewandelt. Unser Vertrauen in die Güte der Überlieferung wuchs mit der Verfeinerung unseres methodischen Zugriffs und dem Wachsen der Kenntnisse um die reichen Möghchkeiten des älteren literarischen Limburgisch. Die Entdeckung von Spuren nordwestlicker Sprache in der Überlieferung nicht nur des Torsos sondern auch des ‘thüringischen’ Schlusses sichert der Gesamtdichtung eine limburgische Grundkonzeption, also auch Veldeke als Dichter. Unser vorliegender Versuch einer Rückschrift des Ganzen ins Altlimburgische stößt nirgends auf grundsätzliche Schwierigkeiten. Eine sprachliche Umschrift durch Veldeke in Thüringen als Grundlage unserer Überlieferung entfällt. Die mitteldeutschen und oberdeutschen Fassungen der Handschriften lassen sich, wie die Durcharbeit gezeigt hat, kritisch als Varianten einer limburgischen Eneide, kaum als Varianten einer thüringischen Eneide begreifen. Trotzdem bleiben, abgesehen von der bekannten Tatsache, daß der ‘thüringische’ Schluß kräftigere hochdeutsche Zuschüsse zeigt als der ältere Hauptteil, Bedenken einzelnen Abschnitten gegenüber. Wir halten daran fest, daß die Epilogverse 13429-13490 über den Dichter und sein Werk nicht von Veldeke sein können. Die Forschung hat schon lange ihre Echtheit bezweifelt. Mit der guten Handschrift G haben wir sie, gegen die sonstige Überlieferung, an den Schluß der Dichtung gestellt, abgesetzt vom Echten. Nicht nur, daß sich Veldeke nicht selber meister (13430 und 13465) nennen kann, das uns in 13432 in dutschen he't uns lerde schließt ihn als Verfasser aus. Dazu treten die schon in den Drei VeldekestudienGa naar voetnoot34 und nun in den Anmerkungen zum Text in Bd. II ausgebreiteten sprachlichen und stilistischen Bedenken. Auf den Versuch einer Umschrift ins Altlimburgische hätten wir verzichten können. Er erleichtert aber den Vergleich. Die in diesem Schlußstück enthaltenen wichtigen Sachangaben bleiben vertrauenswürdig. Wenn sie auch von einem andern und nicht von Veldeke stammen, so reichen sie doch in dessen Zeit zurück. Sie sind in allen vollständigen Handschriften enthalten. In diesem Stück stehen auch die berühmten Verse 13461.62Ga naar voetnoot35, | |
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die immer wieder herangezogen wurden, mit denen aber wegen des Auseinanderstrebens der Überlieferung wenig anzufangen ist. H unterstreicht nur die Katastrophe, daß durch den Diebstahl der Handschrift Veldekes Lebenswerk vernichtet wurde, E spricht von einer Abschrift, die man in Thüringen anfertigte. Ob G mehrere Abschriften oder aber Zusätze meint, die der Torso erfuhr, bleibt unklar. Deutlich von Veränderungen bei Abschrift und Vollendung sprechen nur Mw. Dabei bleibt unausgesprochen, wer die Veränderungen vornahm oder die Zusätze anfügte. SeinerzeitGa naar voetnoot36 haben wir auch die sogen. beiden ‘Stauferpartien’ Veldeke absprechen wollen, die Heranziehung des Mainzer Hoffestes Friedrich Barbarossas von 1184 zur vergleichsweisen Würdigung der Prachtentfaltung bei Eneas' und Lavinias Hochzeit in den Versen 13221-13254 (= 1. Stauferpartie) und den Bericht über die Auffindung des Pallasgrabes anläßlich Barbarossas erster Romfahrt in den Versen 8375-8408 (= 2. Stauferpartie). Die Echtheit der 1. Stauferpartie bezweifelten schon Heinzel und Schwietering, Jungbluth hielt die 2. Stauferpartie für später hinzugedichtet, allerdings vom Dichter selbst. Er war damit vermutlich auf dem rechten Wege. Auch wir sind vorsichtiger geworden. Cordes' BedenkenGa naar voetnoot37 gegen Unechtheit bestehen zu Recht. Wir vermuten jetzt, daß beide Stauferpartien vom Dichter selbst nach Abschluß der Dichtung als wirkungsvolle Vortragszusätze zu besonderer Gelegenheit eingefügt wurden, wohl auf Wunsch seines Gönners, des späteren Landgrafen Hermann von Thüringen. So nehmen auch Judy Mendels und Linus SpulerGa naar voetnoot38 an. Vielleicht sogar anläßlich eines Vortrags in Anwesenheit Barbarossas, Hermanns kaiserlichem Onkel, oder wenigstens hoher Persönlichkeiten aus dem staufischen Lager. Hermann war damals sehr von Barbarossa abhängig. Dieser hatte ihn nicht nur aus der Gefangenschaft losgekauft, er war auch daran beteiligt, daß ihm sein Bruder Ludwig die Pfalzgrafschaft von Sachsen abtrat. Die Stauferpartien verleihen der Eneide eine politische Färbung, die wohl mehr im Interesse des Mäzens als dem des Dichters lag. Beide Partien haben, wie zu erwarten, keine Entsprechung in der französischen Vorlage. Die erste schöpft aus eigenem Erleben oder Hörensagen, die zweite überträgt in kühner Fälschung die Auffindung des Pallasgrabes auf den Kaiser, die in den chronikalen Quellen, die Fr. Kauffmann Zs.fdA. 33 (1889), 251 ff. nachwies, Kaiser Heinrich II. oder III. zugeschrieben wird. Wohl ein besonders schmeichelhafter Einfall. Die erste Stauferpartie ließe sich, da sie einen geschlossenen Abschnitt umfaßt, leicht wieder herauslösen. Trotzdem haben wir sie im kritischen Text nicht besonders gekennzeichnet, da wir schon den gesamten ‘thüringischen’ Schluß mit seinen besonderen sprachlichen Gegeben- | |
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heiten als zu einer jüngeren Arbeitsperiode gehörig in eckige Klammern gesetzt haben und wir uns scheuen, noch innerhalb dieses ‘thüringischen’ Schlusses Schichten anzugeben. Die zweite Stauferpartie, innerhalb des Torsos, ist der alten Fassung enger verschmolzen. Die Verse 8375-8398 und 8401-8408, die wir ihr zuweisen, haben wir durch eckige Klammern abgehoben. Auch sonst bedeuten eckige Klammern innerhalb des Torsos, daß wir der Zugehörigkeit der durch sie umschlossenen Verse zu Veldekes erster Fassung nicht sicher sind. Die einzelnen Handschriften schwanken im Versbestand der Dichtung. Gewöhnlich ist es nicht schwer, Plusverse einzelner Handschriften als unecht zu erkennen. Meist handelt es sich nur um ein Reimpaar, selten um zwei, die sich schon durch die Reimgestaltung oder durch bewußtes Umgehen veldekescher Reimtypen verraten. Nicht selten wird zu diesem Zweck ein Reimpaar in zwei aufgespalten, z. B. 1911 brulocht : untocht in den oberdeutschen Handschriften BMw in hochzit : wit, lande : schande oder 9129 rouwe : vrouwe in den gleichen Hss. in riwe(n): triwe(n) und frǒwen: schǒwen. Häufig lassen auch einzelne Handschriften Verse einfach fort, h und besonders w kürzen stellenweise ganz bewußt. Wir haben sorgsam beobachtet. Umgekehrt zum oben angeführten Typ können gelegentlich zwei Reimpaare zu einem zusammengezogen sein, z. B. 2239 Troiaren: entmaren, ane: dane in G zu mannen: dannen oder 6703 dit: nit, antworden: horden in BMw zu diet: antwrte niet. Schwieriger ist es, Plusverse einzelner Handschriften als zum echten alten Bestande der Dichtung gehörig zu erkennen. Wir vermuten solche Verse z. B. h 322a. b mit dem Reimtyp vergat: scat, der eine Besonderheit der Eneide ist, auch h 66a. b, G 3974a. b, h 5610a-d, die Entsprechungen im Roman d'Eneas haben, G 13360a-d, um die inhaltliche Übereinstimmung mit einer früheren Stelle in der Eneide zu wahren. Nun gibt es auch Verse, die zwar in allen Handschriften überliefert sind, bei denen sich aber wegen der Lautgestalt oder Form des Reimwortes, gelegentlich wegen des verwendeten Reimwortes überhaupt, Bedenken einstellen. Oft sind diese Verse inhaltlich entbehrlich. Wo uns Unechtheit sicher scheint, haben wir die Verse im kritischen Text gestrichen, so 1135-38 mit dem thür. Reim sâlden: behalden und 9521.22 (in Gh fehlend!) mit wieche ‘Docht’. Anderes, das unsicher bleibt, haben wir, um unsere Bedenken deutlich zu machen, im kritischen Text in eckige Klammern gesetzt, so die Verse 357.58, 4579.80, 5171.72, 6975.76. Ein Wort muß noch dem Bericht über die windgezeugten Rosse des Mesapus 5085-5118 gelten. Der Versbestand der Handschriften schwankt hier besonders. 5105-5118 fehlen in G, 5101-5118 in H, den wichtigsten Textzeugen, so daß der Verdacht eines Zusatzes naheliegt. Von unserm seinerzeitGa naar voetnoot39 allzu kühnen Vorschlag des Zusammenstreichens nehmen wir jetzt Abstand. Manche Stelle | |
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läßt sich, mit dem Blick aufs Ganze, heilen, ohne daß man sie verwerfen müßte. Aber gegen 5105-5118, fast ohne Entsprechung im Roman d'Eneas und ohne Schaden herauslösbar, bleiben die geäußerten Bedenken, obgleich die Reime in Ordnung sind. Wir schwanken, ob es sich um eine alte aufgegebene Partie oder umgekehrt um einen gelegentlichen Vortragszusatz handelt. Wir setzen die Verse trotz Umschriftversuch in eckige Klammern. |
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