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Zusammenfassung und ausblick
Wenn wir die Geschichte des Theaters in Limburg in den Perioden, die in diesem Buche behandelt werden, betrachten lässt sich feststellen, dass sich die Schauspielkunst in dieser Provinz zu einer Form von Volkskunst entwickelt hat, an der sich die ganze Bevölkerung beteiligte. Diese Entwicklung beruhte an erster Stelle auf starken Gemeinschaftsbindungen, die nicht nur in den verhältnismässig kleinen Städten, sondern auch auf dem Lande in den Vordergrund traten. Wenn auch hemmende Elemente nicht ganz fehlten, hatte doch die Homogenität dieser relativ isoliert lebenden Gemeinschaften zu Folge, dass die Schauspielkunst, unzertrennlich verbunden mit Tanz- und Festabenden, sich innerhalb der durch das Gemeinschaftsleben gesteckten Grenzen zu einer Quelle von Unterhaltung und Erholung entwickelte. Sie wurde Ausdruck einer Kreativität, die in diesen Gemeinschaften latent vorhanden war.
Es ist wahrscheinlich ein Charakterzug des Limburgers mit seiner Anlage zur Romantik und mit seiner lebendigen Fantasie, dass er eine Vorliebe für die Schauspielkunst hat, vorzugsweise im Zusammenhang mit Musik und Tanz, manchmal auch mit Äusserungen religiöser Art. Es ist daher kein Wunder, dass das Freilichttheater in dieser Provinz einen mächtigen Aufschwung genommen hat und sich zu einer Angelegenheit der ganzen Bevölkerung entwickelt hat.
Diese Vorliebe ist schon Jahrhunderte alt; sie trat hervor in den Zeiten, in denen in den Gebieten längs der Maas die alten Volksspiele aufgeführt wurden, u.a. in Hasselt, Bilsen, Sint-Truiden, Loon, Rutten und Stockem und auch in der heutigen niederländischen Provinz Limburg.
Jahrhunderte lang haben sich die Limburger an dem frommen Spiel und den farbenreichen Aufführungen, an der Musik und dem bunten Schauspiel der Festlichkeiten erfreut, wobei auch die Aufführungen der alten Schauspiele mit ihren traditionellen Texten eine Rolle spielten. Und so ist es geblieben bis zum heutigen Tag bei den vielen Freilichtaufführungen, die in Limburg stattfanden, seit im Jahre 1916 das Freilichttheater in Valkenburg eröffnet wurde. Seitdem sind aus ferneren und
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näheren Umgebung Leute dahingekommen, die heimgingen mit dem festen Vorsatz in der eigenen Stadt oder im eigenen Dorf ebenfalls ein Freilichttheater ins Leben zu rufen.
Die Schauspielkunst war in Limburg nicht nur auf Unterhaltung und Erholung gerichtet, denn auch das religiöse Volksspiel hatte eine alte Tradition, wie die alten Spiele, die anlässlich der Heiligtumsfahrten in Maastricht und in Susteren aufgeführt wurden, zeigen. Noch immer werden viele Passions- und Mirakelspiele aufgeführt, eine Tatsache, welche zeigt, dass die Tendenz des Gemeinschaftsspiels sich durchgesetzt hat. Besonders in den dreissiger Jahren entstand dafür ein grosses Interesse, weil man in diesen Volksschauspielen das sozial-ethische Element erkannte und zur Einsicht kam, dass dieses Spiel für die ganze Gemeinschaft eine wichtige und belehrende Angelegenheit war.
Es wurde aber noch ein weiterer wichtiger Schritt getan, der auf die Dauer Spannungen zwischen dem traditionellen Gemeinschaftsleben und der Entwicklung der Bühne zufolge hatte. Das limburgische Theater, das sich im 19. Jahrhundert den ausländischen Einflüssen entzogen hatte, indem es sich der eigenen Dialektliteratur und den eigenen Bühnendichtern zuwandte, zeigte gegen Ende des Jahrhunderts immer mehr Interesse für das flämische und niederländische Theater. Das zeigte sich in der Verwendung der niederländischen Sprache auf der Bühne, wodurch das limburgische Theaterleben in Verbindung trat mit der nationalen Kultur. Bühnenkünstler von nationalem Niveau bekamen Einfluss auf limburgische Spielleiter, die ihre Auffassungen über Schauspielkunst der Amateur-Bühne weitergaben. So entstand zwar eine Verbindung mit dem professionellen Theater, aber auch eine Entfremdung zwischen diesem und den volkstümlichen Amateuraufführungen.
Das professionelle Theater richtete sich hauptsächlich an die bürgerlichen Kreise. Es gewährte bürgerliche Belustigung, die der Lebenssphäre der kleinbürgerlichen Kreisen mit Einschluss von deren Unaufrichtigkeit, Sprödigkeit, sexuellen Tabus und Engherzigkeiten wiederspiegelten und zeigte dass es nützlich war sich den geltenden sozialen Auffassungen anzugleichen und anzupassen. So bewahrte das professionelle Theater bürgerlichen Charakter; leidenschaftliche, revolutionäre und kritische Elemente fehlten. Man kletterte sozusagen nicht auf die Barrikaden. Die aufgeführten Stücke waren keineswegs radikal, sondern stimmten mit dem bürgerlichen Anstand, mit dem bürgerlichen Mode überein, sie waren vielfach borniert, und ihnen fehlte jeden Versuch einer Sozialkritik. Dazu kam noch, dass man es sich nicht erlauben konnte, in einer so soliden katholischen Gesellschaft, wie sie in Limburg vorhanden war, dem Bürgertum eine amoralische und religionsfeindliche Lebensweise vorzuführen.
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Diese Situation bedingte ohne weiteres, dass die Bühne sich den in der bürgerlichen Gesellschaft geltenden Auffassungen anpasste, zumindest mit ihnen keine Konflikte entstehen liess. Die katholischen ethischen Normen sollten dabei richtunggebend sein. Diese Situation beeinträchtigte die Teilnahme des limburgischen Berufstheaters an der internationalen Kultur um so mehr, als das Theaterpublikum sich bis zum zweiten Weltkrieg auf die begüterte Mittelklasse, nach deren Auffassung das Volk nicht im Theater gehörte, beschränkte, eine Auffassung, die von der Geistlichkeit geteilt wurde weil ‘Besuch des Theaters eine weltliche, dem innerlichen Leben schädliche Angelegenheit war’.
Auch die limburgische Amateurbühne zeigte einige von den oben zum Berufstheater gehörenden Zügen, aber sie war doch wesentlich anders geartet. Sie richtete sich in starkem Masse auf das Volk, und war eingebettet in die Fest- und Freizeitssitten der ziemlich abgeschlossenen, beschrënkten Gesellschaft jener Zeit, wo spontane Spielfreudigkeit und Äusserungsdrang eine Rolle spielten. Das Spielprogramm beruhte Jahrhunderte lang auf der weitaus uniformen religiösen und sozialen Gesinnung der oben angedeuteten Gemeinschaft. Die Konflikte der aufgeführten Stücke waren der altbekannten und vertrauten Gemeinschaftswelt entliehen: Familieverhältnisse, Heiratsprobleme, die Stelle des Vaters und der Mutter, das Verhältnis zur geistlichen und weltlichen Autorität, sowie zum Gesinde. Das natürliche Vergnügen für Schauspieler und Zuschauer wurde noch erhöht, als eine Reihe von limburgischen Theaterdichtern wie Olterdissen, Jac. Schreurs, Baarts, Hollewijn, Malherbe und Haimon, Theaterstücke für ihre eigenen Theatergesellschaften schrieben oder bearbeiteten. Sie zeigten den Zuschauern, wie schön das Leben sein konnte, wenn man sich nur möglichst weitgehend den Normen der Gemeinschaft in der man lebte, anpasste. Sie stärkten das Volk in dem Gefühl, dass Änderungen in der Gemeinschaft überflüssig waren und dass die Schwierigkeiten, die man im täglichen Leben erfuhr, nur die Folgen einer fehlerhaften Anpassung waren.
Von Bedeutung war es ferner, dass aus diesem in mancher Stadt und in vielen Dörfern hervortretenden aktiven und passiven, lebendigen Interesse für das Volksschauspiel, eine Erhöhung der künstlerischen Begabung erwuchs, die tüchtigen Spielleitern die Möglichkeit eröffnete, ihre Theatergruppen zu inspirieren. Wenn man diese künstlerische Begabung umschreibt als eine Kombination von lebendiger Begeisterung und technischer Fähigkeit, dann stellt sich in Bezug auf die limburgische Amateurbühne aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg heraus, dass die Begeisterung vorhanden war, dass es den meisten Amateurschauspielern aber an technischen Fähigkeiten fehlte. Gabriël Beckers erzählt, dass Albert van
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Dalsum in den Kriegsjahren einer Amateuraufführung in Beek (in der Nähe von Maastricht) beiwohnte. Er war tief beeindruckt durch das Gebotene, aber - fügte er hinzu - ‘Theater konnte keiner’.
Doch allmählich erreichte die limburgische Amateurbühne eine gewisse Volljährigkeit, unter Führung einiger fähiger Spielleiter, die durch ihre Verbindungen mit der beruflichen Bühne imstande waren, dem Mangel an technischer Begabung abzuhelfen.
Diese Entwicklung wurde in Limburg markiert durch das Auftreten von einigen Gestalten, die in den Jahren vor und nach dem zweiten Weltkriege mehrere bekannte Bühnengruppen von Amateurschauspielern geleitet haben: Jef Schillings, bis zu seinem Tode im Jahre 1949, Gabriël Beckers in den fïnfziger Jahren, Jef Baarts auf dem Gebiet von Operette, Oper und Massenschauspielen und Piet Malherbe auf dem Gebiet von Volksschauspielen. Sie haben die limburgische Bühne aus ihrer Absonderung heraus geführt und in die Gemeinschaft integriert. Ermöglicht wurde das durch gemeinschaftliches Wirken, das der limburgischen Bühne eine Identität verschaffte und eine Grundlage, auf der auch berufsmässig weiter gearbeitet werden konnte. Es entstand als Schlussstein einer langjährigen Entwicklung eine spezifisch limburgische professionelle Bühne, welche der Vorbote einer regionalen Bühnenkultur und eine Bereicherung der flämischen und der niederländische Bühnenkultur zu werden schien.
Gerade in dem Augenblick in dem die Erwartungen hochgespannt waren, trat jedoch der Umschlag ein. Die auf eine vielversprechende Zukunft gerichteten Erwartungen wurden nicht erfüllt. In wenigen Jahren entstand eine ganz andere Situation, die einen Rückgang des Amateurtheaters zufolge hatte. Das Interesse für die Amateurbühne nahm ab, anfänglich infolge des Aufkommens des Films, später in verstärkten Masse infolge der allgemeinen Verbreitung des Fernsehens, das mit seiner grossen Aufmachung dem Publikum zeigte, wie weit die dörfliche Bühne, deren innerliche Schwäche man jetzt erkannte, von dem Idealtheater entfernt war. Die bisherigen Zuschauer waren nicht mehr dazu bereit, die jetzt erkannten Fehler der Amateurbühne zu akzeptieren und begnügten sich auch nicht mehr mit dem bisher gebotenen traditionellen Spielprogramm, mit der engen Begrenzung des Schauplatzes der Handlung, seitdem man erkannt hatte, dass das Fernsehen die ganze Welt zum Schauplatz machte. Dazu kam, dass die Sozialverhältnisse der örtlichen Bühnenkultur nicht mehr so günstig waren wie vorher, weil viele Gemeinschaften aus ihrer früheren Begrenzung traten und ihren Gesichtskreis ausweiteten, wobei sich auch andere Erholungsmöglichkeiten boten. Die Bühnengruppen gerieten in finanzielle Schwierigkeiten und das geringe Interesse des Publikums beeinträchtigte auch den Enthusiasmus der Spie- | |
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ler. Die Aktivitäten beschränkten sich auf einige kleine Gruppen, die unter Leitung erfahrener Spielleiter entgegen der herrschenden Tendenz noch einiges zu retten versuchten, manchmal nicht ohne Erfolg. Die Qualität der aufgeführten Stücke und die verbesserte Technik zeigten, wie sehr die Amateurbühne in Limburg noch Lebenskraft besass.
Bemerkenswert ist die Wiederbelebung der Gemeinschaftsspiele, welche die Aufführungen der Symphonia Ruremondia (Roermond, 1973), die Heiligtumsfahrt (Susteren, 1974), die Passionsspiele (Tegelen, 1975) und die Burgfeste (Noorbeek) zeigen. Erwähnenswert ist auch die Wiederbelebung der Dialektbühne, wie sie nicht nur in dem ‘Streektheater’ in Heerlen, sondern auch in anderen Orten in Erscheinung tritt.
Das Berufstheater ging inzwischen einen anderen Weg. Nicht mehr gestützt durch die sozialen Entwicklungen in der Landschaft selber verkümmerte es. Das traurige Ende von dem, was vor noch nicht langer Zeit als die bewundernswerte Darbietung einer spezifisch limburgischen Bühnenkultur betrachtet wurde, ist noch in so frischer Erinnerung, dass man die darauf bezüglichen Vorgänge besser mit Stillschweigen übergeht; fehlt zu ihrer Behandlung doch noch der dazu nötige innere Abstand.
Es ist merkwürdig, dass das Ende der Aktivitäten des limburgischen Berufstheaters mit einer umfangreichen Verbesserung der Bühnenakkomodation in den limburgischen Schauspielhäusern zusammentrifft. Nicht weniger als sieben gut eingerichtete Schauspielhäuser, teils brandneu, standen zur Verfügung für Aufführungen verschiedener Art: für das klassische und moderne Theater, und für Oper, Operette, Kabarett, Revue, Ballet und Musical, wo heutzutage nur das vorgeführt wird, was ausserhalb der Provinz Limburg entstanden ist. Zwar ist die Zahl der Besucher nicht unbefriedigend, aber ein breites Interesse fehlt, besonders wenn die aufgeführten Stücke Neuerungen verschiedenen Charakters befürworten. Deshalb werden experimentale Aufführungen nur wenig besucht. Die Verbreitung von den unterschiedenen Formen des experimentalen Theaters in Limburg ist nicht zu erwarten, weil sie zu wenig inneren Anschluss haben an die Traditionen der im Lande selbst erwachsene Volks- und Amateurbühne.
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