Pädagogische Schriften
(1894)–Joannes Murmellius– Auteursrecht onbekend
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I.Im Jahre 1384 gründete Geert Groote in seiner Vaterstadt Deventer in Holland das erste ‘Fraterhaus’. Geert Groote hatte eine durch die Lehrweise und die Lehrziele der Zeit beherrschte wissenschaftliche Bildung genossen. Der Abschlusz seiner Berufsbildung hatte ihn auf die Hochschulen zu Paris und zu Köln geführt. Nach kürtzer Lehrthätigkeit in Köln hatte er ein einträgliches Kanonikat zu Aachen erhalten und damit die Sicherung eines sorgenfreien behäbigen Lebens. Er hatte die Freuden, wie sie die Welt dem Genusz der Menschen darbot, ohne die Schranken weiser Mäszigung gekostet; statt erheiternder Befriedigung fand er Überdrusz und Ekel. Andere hatte er durch sein belehrendes Wort im Rahmen der gelehrten Bildung seiner Zeit zum Wissen und zur Erkenntnis führen wollen. Auch diese Thätigkeit, welche ihm den Beifall der Welt einbrachte, fesselte ihn nicht. Das Leben in der Welt erfüllte ihn mit Überdrusz an der Welt. Diese Stimmung führte ihn zur Einkehr in sich selbst. Er gab seine Stellung in der Welt auf und zog sich in das Karthäuser-kloster Monikhusen - Mönchhausen - bei Arnheim zurück, um daselbst, ohne der Ordensgemeinschaft als Mitglied beizutreten, in der stillen Beschaulichkeit der Weltabgeschiedenheit das ernste Werk der Selbstprüfung und der Selbstzucht an sich vorzunehmen. Während der drei Jahre seines Ausenthaltes hierselbst vertiefte er sich unter Leitung des Kathäuserpriors Heinrich von Kalkar in die Durchforschung der heiligen Schrift, um seinen nach Erkenntnis ringenden Geist zum Finden der Wahrheit zu führen. Man legte es ihm nahe, er möge sich | |
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zum Priester weihen lassen; in seinem demutsvollen Sinne indes hielt er sich des Empfanges der Priesterweihe für unwürdig. Von Monikhusen begab sich Geert Groote zu dem hochbetagten Johannes Ruysbroek, Ga naar voetnoot1 der als Prior das Augustinerkloster Groenendael - Grünthal - unweit Waterloo leitete, um sich von ihm in die Lehren der Mystik Ga naar voetnoot2 einweihen zu lassen. Johannes Ruysbroek galt zur Zeit als der bedeutendste Vertreter der Mystik; er hatte den überlieferten Lehren der Mystik eine auf eigene Gedankenarbeit gegründete selbständige Fortbildung gegeben. Ruysbroek lehrte seine Schüler durch freigewählte Abtötung sich den Neigungen zu entfremden, welche den Menschen zur Welt hinziehen und an die Welt fesseln; er hielt sie an, all ihr Denken, Fühlen und Wollen dem innern Leben zuzuwenden und dieses innere Leben in all seinen Bethätigungen Gott hinzugeben; durch Wort und Beispiel leitete er sie zu dem ernstlichen Streben hin, sich auch der Lust an den selbstgeschaffenen Früchten des inneren Lebens zu begeben, um in der Vollkommenheit der Herzensreinheit und des Geistesfriedens der Vereinigung mit Gott entgegenzureifen. In der Entsagung, die bis zur Bedürfnislosigkeit führte; in der friedvollen Einmütigkeit des Zusammenlebens, das sich nach den Grundsätzen der christlichen Liebe regelte; in der Freudigkeit des Opfermutes, der sich in der Werken der Nächstenliebe bekundete, erinnerte die Klostergenossenschaft zu Groenendael an die ersten Zeiten des Christentums. Unter Ruysbroeks Zuspruch reiften hier für Geert Groote die Pläne, deren Verwirklichung er sein weiteres Leben widmete. Seitdem zog er als Volksprediger umher im Umkreise des Bistums Utrecht. Er predigte zum Volke in der Sprache des | |
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Volkes. Er redete ‘gewaltig in der Kraft Johannes des Täufers,’ Ga naar voetnoot1 mild und gewinnend, wenn es galt, die beseligende Macht der Lehre Christi zu erweisen; streng und unerbittlich, wenn es galt, sittliche Verwilderung jeglicher Art zu bekämpfen; überzeugend und erschütternd in jedwedem seiner Worte. Der Zulauf zu seinen Predigten ward so gewaltig, dasz die Kirchen nicht ausreichten, die Hörer zu fassen; so predigte er denn auf öffentlichen Plätzen. Der Freimut, mit welchem er sich gegen das vielfach würdelose Gebaren der Bettelmönche aussprach, wandte ihm die Feindschaft der Bettelorden zu. Diese wuszten von dem Bischofe von Utrecht das Verbot seiner Predigten zu erwirken. Geert Groote beschränkte hinfort seine Wirksamkeit auf einen kleineren Kreis. In seiner Vaterstadt sammelte er jüngere Leute, vornehmlich Schüler der Lehranstalt daselbst, um sich. Durch Lesen guter Schriften suchte er ihre Kenntnisse zu erweitern und ihre Sitten zu veredeln. Das eigene reiche Wissen des Meisters ward ihnen zur Fundgrube neuer Kenntnisse, nicht minder aber die stattliche Bücherei desselben, deren Schätze er von überallher sorglich zusammengetragen hatte. Da seine Anhänger meist unbemittelt waren, hielt Geert Groote sie an, durch eigene Arbeit, vornehmlich durch Abschreiben, sich selbst den Unterhalt zu erwerben. Das herkömmliche Betteln untersagte er ihnen; Bettelei sollte ihnen als eine verächtliche Selbsterniedrigung gelten, solange noch Kraft zur Arbeit vorhanden. Die durch die Arbeit seiner Schüler erzielte Vervielfältigung guter Schriften sollte zugleich dem lehrbedürftigen Volke zur Wohlthat werden. Seitdem Geert Groote mit dem gleichgesinnten Florentius Radewijn Ga naar voetnoot2 zu gemeinsamen Wirken in Verbindung getreten, gewann die Genossenschaft, die sich um ihn sammelte, gröszeren Umfang, aber auch festeres Gefüge. Damit entstand das erste ‘Fraterhaus’. Seine Mitglieder, ‘die Brüder vom gemeinsamen Leben’, Ga naar voetnoot3 führten, ohne durch ein Gelübde gebunden zu | |
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sein, ein beschauliches und doch auch werkthätiges Leben, das in all seinen Äuszerungen von einer ebenso ernsthaften wie prunklosen Frömigkeit durchdrungen war. Und wie sie für sich selbst der Vervollkommnung des Herzens und des Geistes sich dauernd beflissen zeigten, so trugen sie auch für das Volk in unablässigem Bemühen Sorge um die Zucht des Geistes und der Sitte. Geert Groote erlebte nur die Anfänge seines groszen Werkes, das in der Folge für viele Jahrzehnte Unzähligen die Quelle sittlicher und geistiger Erhebung werden sollte. Im Jahre der Gründung des ersten Fraterhauses wurde Geert Groote als das Opfer einer Seuche dahingerafft, am 20. August 1384, vierundvierzig Jahre alt. Seitdem fand Florentius Radewyn einen wackeren Mitarbeider an dem trotz seiner Jugend umsichtigen und thatkräftigen Geert Zeebold Ga naar voetnoot1 (1367-1398),dem es vornehmlich nachgerühmt wird, dasz er die in vielen Zweigniederlassungen verbreitete Genossenschaft einheitlich zu gestalten und einheitlich zu erhalten wuszte. Die Verbreitung der ‘Brüderhäuser’ war eine überraschend schnelle. Fast jede namhafte Stadt Hollands erhielt ihr Bruderhaus.Ga naar voetnoot2 Die Brüderhäuser verbreiteten sich über | |
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Belgien; sie drangen bis nach Frankreich vor; über ganz Norddeutschland, von der Mosel bis zur Weichsel dehnten sich diese Gründungen aus. An vielen Orten entstanden auch Schwesterhäuser, die ähnliche Ziele verfolgten. Überall blieben die Brüder des gemeinsamen Lebens ihrer selbst gewählten Aufgabe getreu. Neben der eignen Vervollkommnung suchten sie ‘rein im Wandel und fest im Glauben’ in unablässigem Bemühen durch das belehrende und ermahnende Wort der Predigt wie durch Verbreitung zweckmäsziger Schriften in der Sprache des Landes, dem Volke für sein Leben einen höheren Inhalt und für seine Sitte uns Zucht einen festeren Halt zu geben. Namentlich lieszen sie es sich angelegen sein, Teile der h. Schrift in der Sprache des Volkes, anfänglich durch Abschriften, später durch Druckwerke, zum Besten des Volkes im Volke zu verbreiten. Sehr früh stellten sie so die Buchdruckerkunst in den Dienst der von ihnen erstrebten Volkswohlfahrt. Aber durch die Erfahrung wurden sie immermehr zu der Erkenntnis hingedrängt, dasz die Jugend der Träger der Geschicke eines Volkes ist, dasz alles Gute, das dem Volke zukommen soll, ihm durch die Schule zuflieszen musz. Ohne jenes unmittelbare Einwirken auf das religiöse und sittliche Leben des Volkes zu vernachlässigen, oder gar auszer acht zu lassen, widmeten sie sich in der Folge immer zielbewuszter und mit stets wachsendem Eifer der Bildung der Jugend. Dieses ihr Bestreben fand Anregung und Förderung bei dem Bürgertum der Zeit nach Weise und Art desselben. Das Bürgertum sah sich dank seiner Schaffenskraft und seiner Schaffenslust allenthalben von behaglichem Wohlstand umgeben. In den staatlichen Bildungen, denen es angehörte, reifte es zur Selbständigkeit heran. Konnte es in den vielfach wildbewegten Kämpfen des Tages auch nicht überall den Sieg erringen, so hatte es doch durch sein Eingreifen in diese Kämpfe seine nachhaltige Kraft bekundet; es hatte seinen Gegnern Achtung abgenötigt und sich selbst freiere Beweglichkeit gesichert. Mit dem wirtschaftlichen Erblühen und dem politischen Erstarken ging Hand in Hand, gefördert und selbst fördernd, das Streben | |
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nach geistiger Bildung. So finden die Brüder des gemeinsamen Lebens an den Orten ihrer Wirksamkeit vielfach schon Schulen vor, in deren Verband sie dann als willkommene Lehrer eintreten. Anderswo wird es ihnen leicht, mit Hilfe des bildungsbedürftigen und bildungsfrohen Bürgertums neue Schulen zu gründen. All diese Schulen beleben sie mit dem ihnen eigenen Geiste. Das Sondergepräge dieser Schulen kennzeichnet sich in der Gesamtheit der inneren und äuszeren Einrichtungen, in der Auswahl und Behandlung der Lehrstoffe, in den Zielen und der Weise des Unterrichts, in dem Inhalt und den Mitteln der Zucht. In all den Schulen der Brüder des gemeinsamen Lebens herrscht der Grundsatz Geert Grootes, dasz Erziehung und Unterricht Bildung des Herzens und des Lebens zunächst und zumeist durch das Wort Gottes anzustreben haben; geltend bleibt allen seine Vorschrift, dasz von dem Unterricht der Jugend wie von der Unterweisung des Volkes alles fern zu halten ist, was nicht zum Guten hinführt oder was nicht vom Bösen ablenkt. Allmählich unterschieden sich die Schulen der Hieronymianer in solche, die der niederen Bildung, und in solche, die der höheren Bildung dienten. Gerade die letzteren kennzeichnen in ihren Besonderheiten die Bestrebungen der Hieronymianer. Wenn sich die Brüder des gemeinsamen Lebens in ihren Schuldbestrebungen auch von der richtigen Erkenntnis leiten lieszen, dasz der Unterricht auf neue Bahnen geleitet werden müszte, so brachen sie doch nicht mit dem Überlieferten; sonderd und sichtend knüpften sie an das Bestehende an, um Gegebenes in ihrem eigenen Sinne auszubauen. Ihre Schulen berühren sich demgemäsz in mancherlei Hinsicht mit den älteren Schulen des Mittelalters: in der Bevorzugung der religiösen Bildung vor der wissenschaftlichen; in der überwiegenden Bedeutung, die dem lateinischen Unterricht gegeben ist; in der Vorliebe für Übungen in Versemachen, durch welche die Zöglinge zur Gewandtheit und Sicherheit in der Handhabung der lateinischen Sprache geführt werden sollen. Nach der bisherigen Weise des grammatischen Unterrichtes an den höheren Schulen wurde die Grammatik um der Grammatik selbst willen betrieben. An der Hand der den Unterricht | |
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beherrschenden Lehrbücher sollten die Schüler hingeführt werden zur Erkenntnis von dem Wesen der grammatischen Begriffe und der vielgestaltigen Möglichkeit ihrer Beziehungen zu einander. Das ganze Rüstzeug der Scholastik ward hierzu aufgeboten; selbst ausgeklügelte Spitzfindigkeiten aller Art blieben nicht ausgeschlossen. Nach einer Reihe von Jahren des grammatischen Studiums wuszte der Schüler freilich das, was er, zumeist wohl ohne eigenes Verständnis, an philosophischen Darlegungen über die grammatischen Formen und ihre Wechselbeziehungen erlernt hatte, herzusagen; die grammatischen Formen selbst indes wuszte er in Wort und Schrift weder mit Geläufigkeit noch mit Anmut zu handhaben. Die Hieronymianer stellten die Grammatik wieder in den Dienst der Spracherlernung. Sie bekämpften die überlieferten Lehrbücher der Grammatik. Die Lehrbücher, welche sie an deren Stelle setzten, sollten Sprachformen darbieten, um die Gesetze der Sprache erkennen zu lassen; sie sollten Sprachstoffe darbieten, um durch dieselben zur Beherrschung der Sprache zu führen; knapp in der Auswahl des Lernstoffes, sollten sie sich in ihrer Darstellungsweise der Fassungskraft der Schüler anpassen. Das grammatische Studium sollte vereinfacht und die Zeit des grammatischen Studiums sollte verkürzt werden, um die Schüler möglichst bald zum Lesen lateinischer Schriftwerke zu befähigen. Den sachlichen Wert der Schriftwerke des Altertums pflegten die Brüder des gemeinsamen Lebens nach den Anschauungen des Christentums zu prüfen und azumessen. Gleichwohl lieszen sie die Schriftwerke der Alten nicht blosz der sprachlichen Übungen wegen lesen, sondern auch ihres sachlichen Inhaltes wegen. Sie erschlossen ihren Schülern den Bildungsschatz, den jene Werke des Altertums für alle Zeiten in sich tragen, in weiser Beschränkung, um jede Gefahr für die Sittlichkeit fern zu halten. Auch war es ihnen bei der Auswahl der Schriftsteller nicht lediglich um die lateinische Sprache schlechtweg zu thun; sie pflegten an Beispielen der mustergültigen Sprache die Schüler zur Feinheit und Anmut in der Handhabung der lateinischen Sprache zu führen. Auch die Werke christlicher Schriftsteller fanden bei den Hieronymianern Beachtung und Verwendung in der Schule. Und nirgendwo nordwärts der Alpen hat dann | |
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die griechische Sprache so früh ihren Einzug in die Schule gehalten als bei den Hieronymianern. Neben dem Sprachunterrichte räumten sie auch dem Sachunterricht eine wenngleich bescheidene Stelle ein. Die Schüler wurden über die Dinge nicht an den Dingen selbst unterwiesen, sondern an der Hand von sprachlichen Darstellungen über die Dinge. Die Schulen der Brüder des gemeinsamen Lebens waren in Klassen eingeteilt. Schon die grosze Menge der Zöglinge, die sich bei einzelnen dieser Schulen einfanden, liesz dies notwendig erscheinen. Ga naar voetnoot1 In den untern Klassen war der Unterricht in sämtlichen zur Behandlung kommenden Unterrichtsgegenständen Klassenlehrern anvertraut. Dieselben wählten sich Zöglinge der oberen Klassen als Helfer beim Unterricht. In den oberen Klassen lagen die verschiedenen Unterrichtsgegenstände in der Hand von Fachlehrern. Der Unterrichtsstoff war in seiner Gesamtheit in Stufen gegliedert unter weiser Berücksichtigung der sich allmählich steigernden Fassungskraft der Zöglinge und unter umsichtiger Wahrung des inneren Zusammenhanges der einzelnen Unterrichtsgegenstände. Die Zucht in den Schulen der Hieronymianer war streng und hart; sie stand unter der Herrschaft der Rute. Die Hieronymianer lieszen sich von dem Bestreben leiten, die Eigenartung ihrer Zöglinge genau zu erforschen, um die erziehliche und unterrichtliche Einwirkung auf dieselben der Besonderheit ihres Wesens anzupassen. Das Mittel, welches sie zur Beobachtung und Überwachung ihrer Zöglinge anwandten, würde von unserer Zeit nicht gebilligt werden. Durch geheime Aufpasser, welche sie der Mitte der Zöglinge selbst entnahmen, übten sie diese Beobachtung und Überwachung aus. Damit säeten sie Misztrauen und Miszgunst unter die Zöglinge; damit zogen sie Angeberei und Heuchelei grosz. Den Lerneifer aller suchten sie anzupornen durch öffentliche Auszeichnungen, die sie den Strebsamen zu teil werden lieszen. Am Jahresschlusse und bei anderen paszlichen Gelegenheiten wurden Bücher als Geschenke unter die Fleiszigen verteilt. | |
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Damit regten sie den Ehrtrieb der Zöglinge an, ohne der Gefahr zu gedenken, dasz damit der Ehrgeiz derselben allzuleicht in Ehrsucht ausarten könne. Aus den Schulen der Hieronymianer sind begeisterte Anhänger und hervorragende Träger des Humanismus hervorgegangen. Die Brüder des gemeinsamen Lebens sind für Deutschland nicht die Schöpfer und Erwecker des Humanismus gewesen; wohl aber haben sie als Vorläufer demselben die Wege bereitet. Sie haben nicht die erste Saat des Humanismus ausgestreut, wohl aber haben sie den Boden bereitet für diese erste Aussaat. Ihre Bestrebungen waren verwandt mit denen des Humanismus, ohne die Wurzel zu denselben zu sein. Aus ihrem Wirken ist der Humanismus freilich nicht hervorgegangen; aber ohne ihr Wirken vor den Tagen wie in den Tagen des Humanismus würde derselbe in Deutschland nicht so rasch Verständnis und Pflege gefunden haben. Unter den vielen rühmlichen Schulen der Brüder des gemeinsamen Lebens hatte lange Zeit hindurch die Schule zu Deventer den gröszten Ruf. Die Schule zu Deventer ward hochbedeutend durch die Lehrer, welche an ihr wirkten; sie ward hochbedeutend durch die stattliche Anzahl wissenschaftlich geschulter Männer, die dort ihren Ausgang nahmen; dieselben trugen in ihrem eignen Wirken die Weise dieser Schule hinaus in die Welt, und die Anregungen dieser Schule führten sie in selbständigem Schaffen zur Entwicklung zum Gedeihen der deutschen Schule und zur Ehre der deutschen Wissenschaft. Die Schule zu Deventer erhob sich zu ihrer höchsten Blüte unter Alexander Hegius, Ga naar voetnoot1 welcher dieselbe von 1474 bis 1498 leitete. In den Darstellungen der Zeitgenossen wird derselbe als ein ‘gelehrter, heiliger und beredter Mann’, als ein Mann von ‘wunderbar anregender Kraft’ geschildert, der des Lateinischen wie des Griechischen in gleicher Weise mächtig war, ‘der aber aus Verachtung des Ruhmes nichts Groszes ausführte.’ ‘Schrieb er etwas, so that er's, als wär's ein Spiel, | |
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kein Ernst, obgleich seine Schriften der Art sind, dasz sie nach dem Urteil der Gelehrten die Unsterblichkeit verdienen.’ Sein Streben, sich und andere zu bilden, war von dem Grundsatze beherrscht: ‘Alle Gelehrsamkeit ist verderblich, die mit Verlust an Frömmigkeit erworben wird.’ Nach dem Tode des Alexander Hegius sank die Schule zu Deventer von ihrer Höhe herab. Der Ruhm, die bedeutendste Schule, im Sinne, der Brüder des gemeinsamen Lebens zu sein, ging seitdem über auf die Domschule zu Münster, an welcher hervorragende Schüler des Alexander Hegius als Lehrer wirkten. Ein Zögling der Schule zu Deventer und ein Lehrer an der Domschule zu Münster ist Johannes Murmellius. | |
II.Zu Roermond, der schmucken, behäbigen Stadt im Gelderlande, ward Johannes Murmellius im Jahre 1480 als das einzige Kind seiner Eltern geboren. Sein Vater, Dietrich Murmellius, wird als ernst und gottesfürchtig, als ein Mann klaren Verstandes und ruhiger Denkart geschildert. Es konnte sich derselbe wissenschaftlicher Bildung nicht rühmen. Dasz er indes Sinn und Verständnis für wissenschaftliche Bestrebungen, für ihre Bedeutung bei der Geistesbildung des einzelnen wie für ihren Wert im Leben der Menschen hatte, erhellt zur Genüge deraus, dasz er seinem Sohne wissenschaftliche Ausbildung angedeihen liesz. Wie richtig er hierbei die Eigenart des Sohnes erkannt hatte, wie sehr er von der Überzeugung durchdrungen war, dasz sein Sohn Johannes in der Pflege der Wissenschaften das Glück seines Lebens finden werde, dürfte aus der Thatsache erschlossen werden, dasz er auf dem Sterbebette noch sich von seinem Sohne das Versprechen geben liesz, der Wissenschaft dauernd treu zu bleiben. Die Zusage des Sohnes musz um so löblicher erscheinen, als schwerlich die Lehrer, welche ihn bis dahin zu Roermond unterrichtet hatten, es gewesen sein können, die durch ihre Kenntnisse oder durch ihre Unterrichtsweise in ihm die Liebe zur Wissenschaft entzündeten oder ihn in seinem Lerneifer ermunterten und förderten. Als später Johannes Murmellius als Lehrer der | |
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Jugend eigene Erfahrungen gesammelt hatte, hat er über diese seine ersten Lehrer das herbe Urteil gefällt, dasz sie des Lateinischen unkundig und im Unterrichten unerfahren gewesen seien, dasz er unter ihrer Leitung lange Zeit nutzlos verbracht habe. Ein günstiges Geschick führte den Johannes Murmellius vielleicht schon im Jahre 1492 nach Deventer. Es ist nicht bestimmbar, ob er lediglich nach eigenem Ermessen in die Schule zu Deventer eintrat, oder ob seine Verwandten ihn zu diesem Schritte vermocht haben. Die Schule zu Deventer stand damals dank den Verdiensten des Alexander Hegius auf der Höhe ihres Ruhmes. Um so gröszer der Abstand zwischen dem zum verknöcherten Formelkram entarteten Unterricht, wie ihn Johannes Murmellius zu Roermond an sich erfahren hatte, und der geisterfüllten und geistbildenden Weise zu Deventer: um so gedeihlicher die Rückwirkung auf den Geistesbildung ersehnenden Murmellius. Hatte die Schule zu Roermond ihm nur schwerfällige Formen des Wissens geboten, welche selbst nie geistiges Leben erwecken konnten, so bot sich ihm zu Deventer in anmutig anregender Form reicher Wissensinhalt, welcher nicht in unerbittlicher Einseitigkeit nach dem Maszstab einer engbegrenzten Berufsbildung ausgewählt und abgemessen war, welcher vielmehr - wenn auch nicht gerade ausgesprochener Maszen - der Menschenbildung diente. Dazu kam nun die besonderartige Anregung, welche in dem Unterrichtsverkehr mit einem so vorzüglichen Lehrer wie Alexander Hegius lag. Alexander Hegius war eben ‘eine jener geborenen Lehrernaturen, welche unwillkürlich durch Wesen, Erscheinung, Behaben und Leben belehren, bilden und erziehen, welche in den verschiedensten Schülern die geistige und sittliche Kraft wecken und stärken, auf jeden seiner Art gemäsz einwirken und in dieser Thätigkeit ihre volle Befriedigung finden.’ In der Schule zu Deventer wurden die Keime gelegt, bei deren Entfaltung Johannes Murmellius zu einem begeisterten Anhänger der humanistischen Bewegung heranreifte, welcher mitunter auch als streitbarer Vorkämpfer für den Humanismus auf den Plan trat. Hier schlosz er als Jüngling Freundschaften, die, gegründet auf Gleichheit der wissenschaftlichen Schulung und gekittet durch Übereinstimmung der wissen- | |
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schaftlichen Überzeugung, dem Manne einen stattlichen Kreis werkthätiger Gesinnungsgenossen sicherten. Im Jahre 1496 zog Johannes Murmellius zur Hochschule nach Köln. Am 14. April ward er daselbst immatrikuliert. Die Aufnahmegebühren im Gesamtbetrage von sieben Weiszgroschen wurden ihm rücksichtlich seiner Dürftigkeit erlassen. In der Folge trat er in die Burse der Laurentianer ein, welche der Obhut des Arnold von Tongern unterstellt war. An manchen Hochschulen Deutschlands hatte um die damalige Zeit der Humanismus schon seinen siegreichen Einzug gehalten. Die groszen Lehrer der Scholastik, Albertus Magnus, Thomas van Aquin und Duns Scotus, welche ehedem zu Köln lehrten, hatten dieser Hochschule sowohl für den Lehrinhalt wie für die Lehrweise gewissermaszen ein zu festes Gepräge gegeben, als dasz der Humanismus mit seinen neuen Lehrgegenständen und seiner in Form und Ziel veränderten Lehrweise daselbst leicht und zeitig hätte Eingang finden können. Aus der Reihe der Kölner Gelehrten erwuchsen dem Humanismus und seinen Vertretern ebenso hartnäckige wie kampfesfreudige Gegner. Allein der das wissenschaftliche Leben jener Tage beherrschende Zug erwies sich stärker als die ehrfurchtsvoll gepflegten Überlieferungen aus alter Zeit. So fand denn auch an der Kölner Hochschule der Humanismus Eingang, wenngleich er auch dann noch seine Daseinsberechtigung daselbst zu erweisen und selbst zu erkämpfen hatte. Zu damaliger Zeit hatten sich an der Hochschule zu Köln etwa 2000 Studenten zusammengefunden; aus allen Gauen Deutschlands, selbst aus Schweden und Dänemark, aus Livland uns Schottland hatten sie sich eingestellt. Dieser Zulauf schon rechtfertigt die Annahme, dasz die Kölner Hochschule, wenn freilich nicht aus eignem Antriebe, sich angeschickt hatte, den Forderungen der wissenschaftlichen Bewegung jener Tage Rechnung zu tragen. Denn dem Drängen der wissensbegierigen Jugend, welche auch damals stets dem Neuen sich zuwandte und welche sich angelockt und gefesselt sah durch die Schönheiten des klassischen Altertums, das ihr der Humanismus erschlosz, wäre nicht zu widerstehen gewesen. Selbst ein Gelehrter wie Arnold von Tongern, welcher späterhin wegen seiner Stellungnahme zu den wissenschaftlichen | |
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Streitfragen jener Tage von den Anhängern des Neuen unversöhnlich befeindet und schonungslos verschrieen wurde, wird nicht eben grundsätzlich alles und jedes, was der Humanismus an Neuerungen forderte oder anempfahl, zurückgewiesen haben. Es wäre sonst nicht zu verstehen, dasz der ‘Humanist’ Murmellius in seinen späteren Jahren seine Lehrer an der Hochschule zu Köln und insonderheit gerade diesen Arnold von Tongern ihrer Gelehrsamkeit und Weisheit wegen in gebundener und in ungebundener Rede rühmt und verherrlicht. Es wäre weiterhin unbegreiflich, warum Johannes Murmellius späterhin eine seiner Schriften, in welcher er mit der Begeisterung und Zuversicht der Überzeugung für die Pflege der Humanitätsstudien eintritt, gerade jenem Arnold von Tongern gewidmet haben sollte. Ga naar voetnoot1 Schwerlich werden mithin die Kölner Studienjahre für die humanistische Weiterbildung des Johannes Murmellius ohne Bedeutung gewesen sein. In seinen philosophischen und theologischen Studien machte er erfreuliche Fortschritte: er ward Baccalaureus und später, im Jahre 1500, Licentiat. Ga naar voetnoot2 Unmittelbar nachdem er in herkommlich feierlicher Weise mit der Würde eines Licentiaten bekleidet worden, verliesz er die Hochschule zu Köln, um sich als Lehrer eine Lebensstellung zu sichern. Die Unzulänglichkeit seiner Geldmittel wird aller Wahrscheinlichkeit nach für ihn zur Nötigung zu diesem Entschlusse geworden sein. Er selbst berichtet uns, dasz er unter dem Drucke eines ungünstigen Geschickes sich dahin entschieden | |
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habe, andere zu lehren, wo er es doch vorgezogen hätte, von andern zu lernen, und Sprachstudien zu betreiben, wo er sich doch zu theologischen Studien hingezogen gefühlt hätte. Von Köln aus begab sich Johannes Murmellius nach Münster. Ob er schon vorher mit Münster Verbindung angeknüpft hatte, ob er dem Rate wohlmeinender Freunde in Köln folgte, ob er lediglich der eigenen Wahl nachging, läszt sich heute nicht bestimmen. In Münster traf Murmellius ein in weiten Kreisen verbreitetes Streben zur Hebung der Jugendbildung an. Schon im Jahre 1400 war von Deventer aus ein Fraterhaus in Münster gegründet worden. Bei ihrem in gleicher Weise umsichtigen und unermüdlichen Eifer für Jugenderziehung und Volksbildung werden die Fraterherrn in ihrem hundertjährigen Wirken daselbst erfreuende Ergebnisse gewonnen haben. Die dem Humanismus verwandten Bestrebungen der Hieronymianer haben dann auch frühzeitig den humanistischen Studien in Münster eine Stätte gesichtert. Um die Wende des Jahrhunderts war in Münster der bedeutsamste Förderer des wissenschaftlichen Lebens im Sinne der Hieronymianer der Domherr Rudolf von Langen (1439-1519). Derselbe liebte es trotz seines hohen Alters durch seine eigene jugendliche Frische jüngere Leute an sich zu ziehen, um ihnen in ihren Studien ein Berater und Förderer zu sein. Sein eigenes reiches Wissen und Können, wie es ihm eine langjährige Erfahrung an die Hand gab, verwandte er stets wohlwollend und bereitwillig zum Nutzen der lernbedürftigen Jugend. Seine stattliche Büchersammlung, die bedeutsame Schätze des Wissens umschlosz, ward seinen Freunden jung und alt eine schier unerschöpfliche Quelle der Belehrung. Seine freigebige Hand ermöglichte manchem, dem Dürftigkeit hemmend entgegentrat, die Fortsetzung der liebgewonnenen Studien. Doch nicht in der Förderung des einzelnen in den Wissenschaften erkannte er seines Lebens höchste Aufgabe. Thatkräftig und zielbewuszt erstrebte er für Münster eine verbessernde Umgestaltung des höheren Schulwesens im Sinne der neuen Richtung, welcher er für die Zukunft die Herrschaft beimasz. Und als nach langjährigem Bemühen alle Schwierigkeiten und Hemmnisse beseitigt waren, als die seinerseits in Vorschlag gebrachte | |
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Umgestaltung der Domschule zu Münster verwirklicht werden sollte, da wandte er sich an den zur Zeit berühmtesten Schulmann der Hieronymianer, an Alexander Hegius, um ihn zur Übernahme des Rektorats an der Domschule zu Münster zu bewegen. Doch dieser versagte sich seinen Bitten; er empfahl ihm indes einen seiner fähigsten Schüler, Timann Kemner, für dieses Amt. Im Jahre 1500 wurde dann auch Timann Kemner Rektor an der Domschule zu Münster. An Rudolf von Langen wandte sich Johannes Murmellius bei seiner Ankunft in Münster. In dem Jünglinge, welcher sich bei seiner Bewerbung um eine Lehrerstelle von dem zuversichtlichen Vertrauen zu der eigenen, freilich kaum erprobten Kraft leiten liesz, erkannte Rudolfs Scharfblick den wissenseifrigen und wissenstüchtigen Gelehrten und den seines Berufes sicheren und in seinem Berufe treuen Bildner der Jugend. Seiner Fürsprache hatte Murmellius die Berufung zum Lehrer an die Domschule zu verdanken. Auch für die Folge blieb Rudolf von Langen dem Johannes Murmellius ein allezeit wohlwollender Helfer und Berater, selbst als späterhin nicht ohne des Murmellius eigenes Verschulden trübe Tage über denselben hereinbrachen. Die Bücherei des Rudolf von Langen stand dem Murmellius stets offen; vornehmlich ihren Schätzen verdankte er, wie er selbst gesteht, seine vielseitigen, gründlichen Kenntnisse. Und nicht nur der im freundschaftlichen Verkehr mit einem Manne wie Langen gebotenen Anregung, sondern auch der unmittelbaren Belehrung durch Langen muszte sich Murmellius für seine eigene wissenschaftliche Ausbildung wie für seine wissenschaftlichen Arbeiten zu Dank verpflichtet fühlen. ‘Fast alles, was er las und schrieb, geschah nach Langens Rat; nie unterliesz er, über neu zu beginnende Werke seine Vorschläge, über schon ausgeführte sein Urteil zu vernehmen und zu benutzen. Langen liesz es sich nicht verdrieszen, auch über einzelne Gegenstände des Versbaues oder der Kritik des Textes alter Autoren mit ihm die genauesten Untersuchungen einzugehen und mit ihm über solche Gegenstände Briefe zu wechseln.’ Auch nach ihrer Umgestaltung behielt die münstersche Domschule in ihrer Verfassung das Gepräge, welche sie als eine kirchliche Gründung kennzeichnete. Die oberste Leitung der Domschule lag in der Hand des Domkapitels. Dieses betraute | |
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eines seiner Mitglieder, den Scholastikus, zur Zeit den Domherrn Wennemar von der Horst, mit der Ausübung dieser Aufsicht und Leitung. Auch die Berufung des Rekors war dem Domkapitel anheimgegeben. Dem Rektor blieb, natürlich unter Voraussetzung der Zustimmung des Domkapitels, die Anstellung der anderen Lehrer überlassen. Durch den Rektor Timann Kemner ward Johannes Murmellius als Konrektor an die Domschule zu Münster berufen. Als solcher übernahm er den Unterricht in der zweiten Klasse derselben. Die Domschule zählte zur Zeit vier Klassen, aufsteigend von Quarta bis Prima; im Jahre 1510 traten zwei neue Klassen hinzu: Sexta und Quinta. Der Unterricht erstreckte sich über Religion, Latein, Philosophie, Poetik, Rhetorik, Dialektik; später, seit dem Jahre 1512, wurde auch das Griechische in den Unterrichtsplan aufgenommen. Auszer Kemner und Murmellius wirkten damals noch zwei andere Lehrer, Johannes Pering und Ludolf Bavink, an der Domschule zu Münster. Der Unterricht war Klassenunterricht. Für den einzelnen Schultag waren sechs Unterrichtsstunden, welche für den Lehrer auszerdem eine entsprechende häusliche Arbeit voraussetzten oder nach sich zogen, aus der Mannigfaltigkeit der dem einzelnen Lehrer anvertrauten Unterrichtsgegenstände erwuchs für Johannes Murmellius gleichwie für seine Genossen im Amte eine mächtige Fülle von Berufsarbeit. Vornehmlich musz die Schaffenskraft des Murmellius als eine schier unerschöpfliche und feine Schaffenslust als eine unermüdliche erscheinen. Neben der Ableistung der Pflichten, die ihm sein Lehramt an der Domschule auferlegte, fand er noch Musze zu schriftstellerischen Arbeiten, in denen er sich als Gelehrter, als Schulmann, als Dichter bewährte. So besorgte er Ausgaben älterer und jüngerer Schriftsteller und begleitete dieselben mit sprachwissenschaftlichen und sachlichen Erläuterungen; er verfaszte Schulbücher, welche teils dem Unterrichte unmittelbar zu Grunde gelegt werden sollten und teils dem Lehrer sachliche und methodische Belehrung über Unterricht und Erziehung darbieten sollten; er veröffentlichte mancherlei gröszere und kleinere Dichtungen, bald weltlichen bald geistlichen Inhaltes. | |
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Aber trotz der hohen Anforderungen, welche in dieser Weise an die Arbeitskraft und die Arbeitsfreude der Lehrer der Domschule gestellt wurden, erlahmte weder ihre Kraft noch minderte sich die Wirksamkeit derselben. Die Domschule zu Münster zeitigte erfreuende Ergebnisse für Schüler wie Lehrer. Der Ruf der Schule nahm zu und verbreitete sich in die Lande; die Zahl der Schüler mehrte sich; auch aus entlegeneren Gegenden, vom Oberrhein und von dem Gestade der Ostsee fanden sich Schüler ein. In Auswahl und Behandlung der Lehrstoffe stellte sich die Domschule zu Münster auch nach ihrer Neuordnung nicht etwa sofort in einen unvermittelten Gegensatz zu der bisherigen Weise. So wurde der Unterricht in der lateinischen Sprache noch nach der die mittelalterlichen Schulen beherrschenden Grammatik des Alexander Gallus Ga naar voetnoot1 erteilt. Timann Kemner, der Rektor der Schule, hatte selbst eine neue Ausgabe dieses Lehrbuches veranstaltet, nich ohne neben dem herkömmlichen Lobpreis des Werkes selbst auch mit der den Gelehrten jener Zeit geläufigen Selbstgefälligkeit ruhmrednerisch der Vorzüge der von ihm besorgten Ausgabe zu gedenken. Allmählich indes bahnte sich ein Umschwung an. Lehrbücher, welche eine von der bisherigen Weise abweichende Handhabung des lateinischen Unterrichtes voraussetzten und welche die Verwendung des lateinischen Unterrichtes für die Gesamtbildung der Zöglinge in andere Bahnen lenkten, wurden eingeführt, darunter wohl vornehmlich die von Murmellius selbst verfaszten Schulbücher. Wie viel von dieser inneren Umgestaltung der Domschule auf die Anregung des Johannes Murmellius zurückzuführen ist, läszt sich nach dem heutigen Stande des Wissens um jene Vorgänge nicht ermessen. Dasz indes Johannes Murmellius für diese Umgestaltung ein Anreger und Förderer, vielleicht gar der Anbahner und Leiter gewesen, läszt sich aus den in seinen Schriften niedergelegten Ansichten erschlieszen. Im Jahre 1512 gab der Kölner Gelehrte Cäsarius von Heisterbach die Anregung, an der Domschule zu Münster, das | |
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Griechische als Unterrichtsgegenstand einzuführen. Als die Verwirklichung dieses Planes sich verzögerte, da wandte sich Cäsarius gerade an Johannes Murmellius, bei welchem er neben einem vollen Verständnis für die Berechtigung und die Tragweite dieses Vorhabens auch die thatkräftigste Förderung desselben voraussetzen durfte. Im Jahre 1508 legte Murmellius seine Lehrerstelle an der Domschule nieder. Vorgänge wenig erfreulicher Art waren die Veranlassung geworden. Diese Veranlassung war aus dem persönlichen Verhältnisse zwischen Johannes Murmellius und seinem Rektor Timann Kemner erwachsen. Kemner fand als Leiter der Domschule die Anerkennung seiner Zeitgenossen; es wird ihm im besonderen nachgerühmt, dasz er eine strenge und heilsame Zucht an seiner Anstalt handhabte. Er war in seinem Wandel ein durchaus ehrenwerter Mann; vollauf tadelfrei stand er da. Timann Kemner war indes nicht demütig und bescheiden genug, um sich zur Selbsterkenntnis durchgerungen zu haben. Als Gelehrter und Schulmann überschätzte er sich bei weitem; seinen schriftstellerischen Arbeiten legte er einen Wert bei, welcher denselben nicht gebührte. Und er war dabei dünkelhaft genug, die gleiche Wertschätzung auch von allen andern zu erwarten und selbst zu verlangen. Johannes Murmellius war ihm als Gelehrter und Schulmann überlegen. Die wissenschaftlichen Arbeiten des Murmellius wie die Schulschriften desselben fanden, wie dies die Zahl der Auflagen darthut, einen sich stets erweiternden Freundeskreis. Auch die Dichtungen des Murmellius wurden gerühmt. Als Kenner der lateinischen Sprache und ihrer Schriftwercke aus alter und neuer Zeit stand Murmellius höher da, desgleichen in der Erkenntnis der Bildungsziele und der Bildungsmittel für die Jugend jener Tage. Bei dem Stolze und der Überhebung, die nun einmal Kemners Wesen kennzeichneten, muszte sich dieser mit Groll und Bitterkeit erfüllen gegen seinen Untergebenen, der sich ihm mannigfach überlegen erwies und dessen Überlegenheit von solchen, die auszerhalb der Schule standen, auch offenkundige Anerkennung gefunden haben mag; trotz des gemeinsamen Arbeitsfeldes, das sie zur Verständigung hätte führen müssen, trat Entfremdung ein, in welcher sich Kemner in seinen Gedancken in eine gewisse Gegensätzlichkeit zu Murmellius hineingelebt haben wird. | |
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Diese Gegensätzlichkeit wird sich dann der Lage der Verhältnisse nach in mancherlei persönlichen Reibereien kundgethan haben. Murmellius nun hat in den ersten Jahren des Zusammenwirkens nichts gethan, was diesen Gegensatz hätte verschärfen müssen. Im Gegenteil! Er hat Kemners Ausgabe des Alexander empfehlende Verse vorangeschickt; er hat eine seiner Hauptschriften: ‘Das Handbuch’ Timann Kemner gewidmet und in der Widmung seiner mit lobenden Worten gedacht. Eine solche zarte Rücksichtnahme war wohl imstande, den vorhandenen Gegensatz zu verdecken; sie war aber nicht imstande, denselben auszugleichen. Die Schuld an dem Aufkommen dieses Gegensatzes musz dem Rektor Timann Kemner beigemessen werden. Von der Schuld, diesen Gegensatz zum Bruche getrieben zu haben, kann Murmellius nicht freigesprochen werden. Im Jahre 1506 verliesz Murmellius infolge einer Seuche, welche in Münster ausgebrochen war, auf einige Zeit die Stadt. Die drei Monate seiner Abwesenheit verbrachte er zu Hamm, woselbst er anfänglich in der Herberge, später bei Hermann Gockelen, dem Pfarrherrn der Hauptkirche daselbst, Wohnung nahm. Durch diesen ward er in einen Kreis von Männern eingeführt - Geistliche, Gelehrte, Schulmänner waren es -, deren wissenschaftliche Regsamkeit ihn anzog. Desgleichen fesselte ihn die zwanglose Heiterkeit ihrer geselligen Zusammenkünfte, bei welchen dem Becher selbst ein häufiger Rundgang nicht verwehrt ward. In dem Verkehr mit diesen Männern, die ihn das Leben auch von seiner heiteren Seite erfahren lieszen, erfrischte sich Murmellius; in dem Umgange mit ihnen, die seinen Wert rückhaltlos anerkannten, wuchs er bei dem gesteigerten Bewusztsein der eigenen Bedeutung zu gröszerer Selbständigkeit heran. Es ist nicht zu ermessen, in wie weit es der ausdrücklichen Anregung dieser seiner neuen Freunde bedurfte, um den Murmellius den Gelehrtenstolz seines Rektors Kemner in seiner ganzen Dünkelhaftigkeit erkennen zu lassen und um ihn mit nachhaltigem Unwillen zu erfüllen gegen die Zurücksetzungen und Kränkungen, die ihm aus dieser Überhebung Kemners bisher erwachsen waren. In diesen Tagen des Aufenthaltes zu Hamm hat Murmellius Gedichte verfaszt, die er im Jahre 1507 im Druck | |
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erscheinen liesz. Eines von diesen Gedichten nun wendet sich mehr scharf als fein, mehr boshaft als witzig gegen einen Schriftsteller, welcher ohne höheren Beruf lediglich dem Ruhme und dem Gewinn nachjagt; welcher selbst kaum Latein versteht, gleichwohl aber andere im Lateinischen zu unterweisen sich erkühnt; welcher vorgiebt, durch seine Schriften das Lernen zu erleichtern, in der That aber es durch dieselben erschwert; welcher dem Fabeldichter Äsop Veranlassung gegeben haben würde zur Abfassung der Fabel von der Krähe, die sich mit fremden Jedern schmückt. Jedweder, dem die Verhältnisse an der Domschule bekannt waren, erkannte auch das Urbild dieses von Murmellius entworfenen Bildes eines Schriftstellers; jedweder bezog diese Schilderung auf keinen andern als auf Timann Kemner. Dasz Murmellius selbst diesem Gedichte nicht die Bedeutung gegeben hat, die es thatsächlich erlangt hat; dasz er nicht etwa absichtlich gerade durch dieses Gedicht es zum offenkundigen Bruche mit Timann Kemner treiben wollte, erhellt daraus, dasz er in eine unmittelbar darauf erscheinende Gedichtsammlung ein Lobgedicht auf Kemner aufnahm. Gleichwohl kam es zum Bruche. Die Einzelheiten dieses Vorganges sind uns unauffindbar. Murmellius trat aus dem Verbande der Domschule zu Anfang des Jahres 1508 aus. In wie weit er hierin eigner Entschlieszung folgte, in wie weit er einer Nötigung, die von andern ausging, nachgab, läszt sich nicht erkennen. Dasz man ihm nicht Unrecht gab, dasz er darüber insonderheit das öffentliche Vertrauen nicht einbüszte, läszt sich daraus erschlieszen, dasz er unmittelbar darauf als Rektor die Leitung der St. Ludgeri-Schule zu Münster übernahm. Über die Wirksamkeit des Johannes Murmellius an der Ludgeri-Schule können genauere Nachrichten nicht erbracht werden. Es läszt sich nicht einmal mit Sicherheit ermessen, ob er bis zu seinem Abzuge aus Münster diese Stellung innegehabt hat. Es liegen nämlich Andeutungen vor, welche der Annahme Raum geben, dasz er um das Jahr 1512 noch einmal als Lehrer in den Verband der Domschule eingetreten sei. Es wäre dies immerhin nur dann möglich gewesen, wenn zuvor eine Annäherung zwischen ihm und Kemner stattgefunden hätte. Nachdem Johannes Murmellius aus dem Lehrkörper | |
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der Domschule geschieden, hat er freilich noch das eine und andere Mal in Streitgedichten seines Widersachers mit Bitterkeit gedacht. Der Urheber einer solchen Annäherung würde dann wohl Rudolf van Langen gewesen sein, dem das Gedeihen der Domschule und das Geschick beider Männer, die ihm nahe standen, in gleicher Weise am Herzen lag. Die Annahme einer solchen Annäherung gewinnt an Wahrscheinlichkeit durch den Umstand, dasz Timann Kemner auf die Vermittlung des Murmellius hin den Cäsarius von Heisterbach im Jahre 1512 behufs Abhaltung von Vorlesungen über die griechische Sprache nach Münster berief. Murmellius hatte selbst eine Reise nach Köln nicht gescheut, um entgegenstehende Hemmnisse zu beseitigen. Murmellius war nicht unversöhnlich; er war selbst bereit, seinen Anteil an der Schuld des Zwistes mit Kemner einzugestehen und für sein Unrecht Genugthuung zu leisten. Als er sich im Jahre 1513 anschickte Münster zu verlassen, richtete er an Timann Kemner unter dem 27. März 1513 ein Schreiben, in welchem er denselben um Verzeihung bittet für das Gehässige und Verletzende, was er in den letzten Jahren gegen ihn geschrieben; er hebt hervor, er werde seiner stets ehrenvoll gedenken, wie er auch in einem gerade erscheinenden Schriftwerke Ga naar voetnoot1 seiner rühmende Erwähnung gethan habe. Dieses Entschuldigungsschreiben ist späterhin nach dem Tode des Murmellius als Beilage zu einer seiner Schriften in Abdruck gekommen unter einleitenden Begleitworten, welche das Andenken des Gestorbenen schmälerten, gleichwie sie der Verherrlichung Timann Kemners dienten. Man darf wohl annehmen, dasz der in seinem gekränkten Ehrgeize unversöhnliche Timann Kemner der Urheber dieser Veröffentlichung gewesen ist. In der Fastenzeit des Jahres 1513 verliesz Johannes Murmellius die Stadt Münster für immer und begab sich, einem an ihn ergangenen Rufe Folge gebend, nach der holländischen Stadt Alkmaar, um daselbst die Leitung der Lateinschule zu übernehmen. An derselben hatte der Humanismus schon seinen Einzug gehalten mit einem seiner frühesten Vorkämpfer: Antonius Frei (Frye) aus Soest. Auch der unmittelbare | |
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Vorgänger des Murmellius in der Leitung der Anstalt, Bartholomäus aus Köln, war der neuen Richtung zugethan. Unter der Leitung des Bartholomäus aus Köln und des Johannes Murmellius hob sich die Schule zu Alkmaar auf ihren Höhepunkt. Die Zahl der Schüler stieg zuletzt auf 900. Dieser Erfolg ist der Lehrtüchtigkeit des Murmellius zuzuschreiben und dann auch wohl in demselben Grade seiner Erziehungsweise, deren Grundzüge sich in der von ihm für die Schule zu Alkmaar entworfenen Schulordnung aussprechen. Hier in Alkmaar gründete sich Johannes Murmellius einen eigenen Hausstand. Woher die Gattin, welche er daselbst heimführte, stammte, wissen wir nicht. Vier Jahre lang hatte er zum Segen der Jugend und zur eigenen hohen Genugthuung daselbst gewirkt, da brach im Sommer des Jahres 1517 - am Donnerstage nach Johanni war es - das Unheil über die Stadt und ihre Schule herein. Kriegsscharen aus Gelderland nahmen die Stadt mit stürmender Hand. Plünderung und Verheerung war das Los der Stadt; Gewaltthat und Verjagung war das Geschick ihrer Bürger; auch die Zöglinge der Lateinschule wurden vertrieben. ‘In dreiszig bis vierzig Jahren - so klagten später die Ratsherren der Stadt vor Kaiser Karl V. - werden wir den unermeszlichen Schaden kaum verwinden können, den unsere Stadt durch die Verjagung der “Klerken” (Lehrer und Schüler) und durch Plünderung und Brandstiftung hat erleiden müssen.’ Auch Murmellius verlor fast seine ganze Habe. Flüchtend wandte er sich mit Weib und Kind nach Zwolle. Er ist der letzte Rektor der Schule zu Alkmaar gewesen. In Zwolle hoffte er durch Vermittlung des Rektors Gerhard Listrius eine Lehrerstelle zu erhalten; seine Hoffnung erwies sich eitel. Er knüpfte von hieraus Verhandlungen mit dem Rate der Stadt Wesel an in betreff Übernahme der Rektorstelle an der Stadtschule zu Wesen; die Verhandlungen blieben erfolglos. Schlieszlich wurde ihm das seltene Glück zu teil, an diejenige Schule, welcher er die Grundlage seiner gelehrten Bildung verdankte, als Leiter berufen zu werden. So kam er nach Deventer. Nachweisbar ist Johannes Murmellius im September des Jahres 1517 Rektor der Schule zu Deventer gewesen. | |
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Schon am 2. Oktober desselben Jahres setzte der Tod seinem Leben ein Ziel. Die Lehrer seiner Anstalt trugen ihn zu Grabe. Das junge Weib des Johannes Murmellius und das unmündige Söhnlein desselben blieben in Dürftigkeit zurück. Unmittelbar nach seinem Tode fand das Gerücht Verbreitung und Glauben, dasz zwei unbekannte Männer, die als Jünger des Humanismus bei Johannes Murmellius Aufnahme gefunden, ihm vergifteten Wein eingeschenkt und dasz er bald darauf verblichen sei. Der Verdacht, dieses Verbrechen angestiftet zu haben, wandte sich auf Gerhard Listrius, den Rektor der Schule zu Zwolle. Dieser soll - so viel scheint fest zu stehen - aus unlauteren Gründen die Anstellung des Murmellius zu Zwolle hintertrieben haben. Murmellius hatte ihn daraufhin in einem Gedichte, ohne freilich seinen Namen zu nennen, mit scharfen Worten angegriffen und ihn schonungslos in seinen Schwächen an der Pranger gestellt. In Gerichtsakten aus dem Jahre 1559 wird ein Johannes Murmellius aufgeführt, welcher in Lüttich zum Priester geweiht geworden und später als Priester zur neuen Lehre übergetreten war. Derselbe gab sich als ehelichen Sohn des älteren Murmellius aus, ‘welcher ein frommer, weitbekannter Gelehrter gewesen’. Dieser jüngere Murmellius ist späterhin General-Superintendent zu Öhringen in der Grafschaft Hohenlohe geworden. Weitere Kunde über das Geschlecht des Humanisten Johannes Murmellius ist nicht auf uns gekommen. | |
III.Von den ersten Jahren seiner Lehrthätigkeit an bis zu den letzten Tagen seines Lebens hat Johannes Murmellius eine ebenso vielseitige wie ergiebige schriftstellerische Thätigkeit entfaltet. Ga naar voetnoot1 Dieses regsame Schaffen war vornehmlich dem | |
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Berufe und der Wissenschaft gewidmet. Doch huldigte er auch der Muse der Dichtkunst zeitlebens in unvermindertem Schaffensdrange. Neben einer stattlichen Reihe gröszerer und kleinerer Einzeldichtungen hat er in den Jahren 1507 bis 1517 neun Sammlungen von Gedichten veröffentlicht.Ga naar voetnoot1 In seinen Dichtungen besingt Johannes Murmellius Städte, die für sein Leben besondere Bedeutung haben: Roermond, die Vaterstadt; Ga naar voetnoot2 Münster und Alkmaar, die vornehmlichsten Orte seiner Lehrerwirksamkeit. Männer der eignen Zeit, die ihm als Freunde nahestanden, die ihm als Berater und Helfer teuer geworden, die ihm durch Wissen und Können Bewunderung abnötigten, verherrlicht er rühmend im Liede. Gegen diejenigen indes, die er als Gegner seines Werkes und als Widersacher seiner Person erkennt, wendet er sich streitfroh im Kampflied. Er richtet seine Dichtungen an den jugendlichen Erzherzog Karl - den spätern Kaiser Karl V., - von dem Wunsche beseelt, des jungen Fürsten Tugenden zu mehren und seinen Ruhm zu künden. Auch hervorragenden Gestalten vergangener Jahrhunderte, die da die Träger und Leiter des Geisteslebens ihrer Zeit gewesen, weiht er seinen Gesang. In das Gewand der Dichtung kleidet er Betrachtungen ein über das Elend des menschlichen Lebens, über die Würde der menschlichen Natur, über die Waffen im Kampfe des Geistes, über die Tugend und über den Zweck der Güter auf Erden. Hier schildert er den Krieg mit seinen grausigen Plagen, das Grab der Wohlfahrt des Landes und der Gesittung seiner Bewohner; hier preist er die Armut, die den Menschen zur Genügsamkeit führt und ihn unwandelbares Glück in der Selbstzufriedenheit finden lehrt; er besingt die Weisheit, die getreue Führerin zu | |
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unvergänglichem Besitz; er mahnt mit ernstem Wort an den Tod, der dem Sterblichen stündlich sich nahen kann. Mit ermunterndem Wort wendet er sich an die Jugend, Ga naar voetnoot1 auf dasz sie durch Arbeit zum Wissen, durch Zucht zur Sitte sich führen lasse. Volltönender und weihevolle erkingt seine Weise, wenn er, zumeist in odenartigem Lied, den Preis des Erlösers und der h. Jungfrau Ga naar voetnoot2 ehrfurchtdurchdrungen singt oder heilige Männer und Frauen der Vorzeit in ihrem Werke und Wandel verherrlicht. Die Dichtungen des Murmellius bewegen sich zumeist in Hexametern oder in Distichen; doch auch kunstreichere Formen, Strophen nach der Weise des Horaz, sind ihm geläufig. Mit diesem lateinischen Dichtungen des Murmellius hat es gleichwie mit den dichterischen Erzeugnissen der Humanisten fast durchweg eine eigentümliche Bewandtnis. Die Humanisten sind durch das Studium des klassischen Altertums zur Erkenntnis, Durchdringung und Anempfindung der Schönheit der Dichtwerke jener Zeit geführt worden. Die Vorliebe, mit der sie sich in diese Schönheiten versenken, lehrt sie an diesen Kunstwerken auch die Mittel der künstlerischen Darstellung durch die Sprache erfassen. So machen sie sich allgemach die Weise der Darstellung bei den klassischen Dichtern zu eigen, ihre sprachlichen Wendungen, ihre dichterischen Bilder. Es wird ihnen geläufig, die eignen Gedanken und Anschauungen in das dichterische Wort und das dichterische Bild des Altertums einzukleiden. So erscheint dann ihre Dichtung im Gewande des klassischen Altertums. Allein der Inhalt solcher Dichtungen entspricht nicht der glänzenden Auszenseite derselben. Überlieferten, entlehnten, fremden Formen hat der Dichter seine Gedanken und Empfindungen anpassen müssen. Eine innerliche Entfremdung zwischen Form und Inhalt liegt vor, wie überall da, wo der Künstler Form und Inhalt seines Kunstwerkes nicht als etwas untrennbar Zusammengehöriges aus seinem eigenen Innern geschöpft hat. Gegenüber der wissenschaftlich geschulten Abmessung der schönen Form hat der Schwung der Gedanken und die Wärme der Empfindung nicht zur Geltung | |
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kommen können. Es ist nicht der Künstler, sondern der Gelehrte gewesen, der diese Dichtungen verfaszt hat. Ähnlich verhält es sich mit den Dichtungen des Murmellius. Mit Recht wird ihnen Klarheit des Entwurfes, Anmut des Versbaues, Feinheit des Ausdruckes, mit einem Wort: Vollendung der Form nachgerühmt. Als gelehriger Schüler seiner klassischen Lehrer verdient er hohes Lob. Allein es fehlt seinen Dichtungen das eigenartige Gepräge, welches der Künstler seinen Werken auszudrücken versteht und durch welches er seine Werke als Schöpfungen gerade seiner eignen Kunst zu kennzeichnen weisz. Die menschlichen Dinge und die Menschen seiner Zeit betrachtet und beurteilt Murmellius nach der Weise, die er den alten Dichtern abgelauscht hat. So preist er zum Lobe seiner Vaterstand Roermond die Tapferkeit der Bürger derselben; Ga naar voetnoot1 ‘mächtig durch die Ehren des Mars und gefürchtet in schimmernden Waffen’ haben dieselben stolze Könige, Herzöge, Grafen niedergeworfen; oft in winziger Schar schlugen sie nieder unzählige Krieger; die Parther, welche die Scharen des Crassus vernichtet, die Griechen, welche die Völkerflut des Xerxes abgewehrt, sind nicht tapferer gewesen als Roermonds streitbare Bürger. Die Üppigkeit Tarents, der Reichtum Milets können Roermond in seiner Genügsamkeit nicht in Schatten stellen. Da läszt sich der Eindruck kaum abwehren, dasz Murmellius lediglich durch die Nachahmung klassischer Vorbilder zu einer Überschwenglichkeit hingedrängt worden ist, die, wie sie in der gegebenen Wirklichkeit nicht zu kennzeichnen imstande ist. Solchen Dichtungen des Murmellius fehlt die lebensvolle Frische, wie sie einer unmittelbaren Anschauung, die nicht durch Vorbilder geleitet worden ist, entspringt; es fehlt ihnen die packende Gewalt innerer Wahrheit. In seinen Dichtungen hat Murmellius der Echtheit seiner Freundschaft und der Treue seiner Dankbarkeit ein ehrendes Denkmal gesetzt. Die Lebensauffassung, die sich in denselben ausspricht, wird den höchsten sittlichen Anschauungen für das Leben in all seinen Verhältnissen gerecht. In seinen geistlichen | |
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Dichtungen spiegelt sich eine vertrauensvolle Hingabe an alles Göttliche und Heilige, wie sie nur einem frommgläubigen, kindlich reinen Herzen eigen ist. Allein seine Dichtungen wenden sich mehr an den Verstand als an das Gemüt; sie belehren statt zu erheben; sie überzeugen statt zu begeistern. Neben seinen Streitgedichten, welche wegen der Unmittelbarkeit der Rückwirkung der veranlassenden Verhältnisse selbständigeren und echteren Gedankenausdruck zeigen, find dem Murmellius die geistlichen Dichtungen am besten gelungen. Wenn er aber in einer derselben Ga naar voetnoot1 die Jungfrau Maria ‘des heiligen Olymp gewaltige Königin’ (regina sacri potens Olympi) und ‘Mutter des Donnerers’ (parens Tonantis) nennt, wenn er für die alles Irdische überstrahlende Schönheit der Gottesmutter das veranschaulichende Dichterwort hat: ‘alle Nymphen übertrifft sie an Schönheit’ (omnes exsuperans decore nymphas), so erhellt daraus zur Genüge, dasz Murmellius auch in seinen geistlichen Dichtungen als echter Humanist der humanistischen Weise den Zoll zahlt. Eine Reihe philologischer Werke des Johannes Murmellius ist auf uns gekommen. Hierzu gehören seine Ausgaben und Erklärungen zu Persius, zu Juvenal, zu den Briefen Ciceros, zu Ciceros Cator major, seine Auslese aus den römischen Dichtern Tibull, Properz, Ovid. Ga naar voetnoot2 Er hat sich nach seiner eigenen Angabe bei diesen philologischen Arbeiten von dem Streben leiten lassen, ‘die zahlreichen Irrtümer der gewöhnlichen Erklärer aufzudecken und dem Leser zu einem richtigen Verständnis der Schriftsteller zu verhelfen.’ Vor allem hat seine Ausgabe des Persius besondere Anerkennung gefunden und sie verdient dieselbe bis auf den heutigen Tag. Seine lichtvollen, feinsinnigen Bemerkungen gründen sich auf die Beherrschung der lateinischen Sprache und auf das Verständnis des Dichters und seines Werkes. Die Auslese aus Tibull, Properz, Ovid ist weit über die Zeit des Murmellius hinaus ein vielverbreitetes Schulbuch geworden. Die bis zum | |
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Jahre 1789 veranstalteten Ausgaben, 77 an der Zahl, bezeugen seine Trefflichkeit. Auch christliche Dichter aus den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeit, Cyprian, Prudentius, Avitus, haben an ihm einen hingebenden und verständnisvollen Erklärer gefunden. Ferner sind lateinische Schriftwerke, welche jüngerer Zeit angehören, Dichtungen der italienischen Humanisten Antonius Mancinellus, Baptist von Mantua, Angelus Politanus von Murmellius, der die Anregung hierzu seiner eigenen Lehrthätigkeit entnahm, für die Hand der Schüler mit gleicher Beherrschung des sprachlichen und sachlichen Stoffes und mit gleichem Erfolge für die Sicherung und Vertiefung des Verständnisses erläutert worden. Selbst Werke der Kirchenlehrer hat er in den Bereich seiner philologischen Arbeiten hineingezogen. So hat er einzelne Briefe des hl. Hieronymus herausgegeben und erklärt. Ga naar voetnoot1 Von philosophischen Werken hat Murmellius die Tröstungen der Philosophie von Boethius unter Benutzung von handschriftlichen Aufzeichnungen des Rudolf Agricola herausgegeben. Ga naar voetnoot2 Noch heute wird ihm nachgerühmt, dasz er sich wenn irgendwo so in diesen Erklärungen zu Boethius als ‘scharfsinnigen Kritiker, als gründlichen Kenner des Altertums, als vollendeten Philologen’ zeige. Zudem hat er zwei philosophische Lehrbücher verfaszt, welche beide in der Weise eines Handbuches die Grundzüge der Philosophie zum Gebrauch für Studierende zur Darstellung bringen, das eine Ga naar voetnoot3 in knapperer, übersichtlicherer Form, das andere Ga naar voetnoot4 unter eingehenderer Darlegung des Stoffes. In besonderen Schulschriften hat Murmellius die Formenlehre der lateinischen Sprache, insonderheit die Deklinationen und Konjugationen behandelt. In diesen Werken fand der Schüler die nach sprachlichen Gesichtspunkten geordnete Zusammenstellung der Formen in dem ganzen Reichtum der der lateinischen Sprache | |
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eignen Bildungen. Durch die den mustergültigen Schriftstellern des römischen Altertums entnommenen Beispiele, deren zutreffende Auswahl sich der umfassenden Belesenheit des Murmellius gewissermaszen von selbst dargeboten, ward dem Schüler der Beweis erbracht, dasz jene Formen und Bildungen der lebendigen Sprache der Römer angehörten. Andere Schulschriften hatten die Verslehre der Alten zum Gegenstande, sei es um den Schüler die Erscheinungen und Gesetze der Verskunst erkennen zu lassen, so weit dies zur Lesung lateinischer Dichtungen erforderlich war, sei es um den Schüler an der Hand dieser Erkenntnis zur Nachbildung lateinischer Verse zu befähigen. Die erste grosze pädagogische Schrift des Johannes Murmellius ist das ‘Handbuch für Schüler’ aus dem Jahre 1505. Dasselbe ist eine Art Pflichtenlehre für Schüler, insonderheit für solche, welche der Erziehung seitens der Eltern entwachsen oder entlassen sind. Die Schüler sollen an der Hand desselben in den Stand gesetzt werden, die Pflichten, welche ihnen in Sachen ihrer eigenen Ausbildung obliegen, zu erkennen und zu erfüllen, auf dasz nicht das Erziehungsgebäude, welches die Eltern bis dahin für sie aufgeführt und ausgestattet haben, nunmehr durch die Sorglosigkeit der sich selbst überlassenen Jünglinge in Verfall gerate, verwittere und zusammenstürze, auf dasz nicht die Tugenden, welche kaum ihren Einzug in diese ihnen bereitete Wohnstätte gehalten, nunmehr entweichen und ihren Platz dauernd dem Laster einräumen. Es richtet sich das Handbuch indes nicht ausschlieszlich an die Schüler. Es wendet sich namentlich in seinen einleitenden Abschnitten an diejenigen, welche vornehmlich dazu berufen sind, die Erziehung der Jünglinge anzubahnen und zu leiten: an die Eltern. Aus dem Verhältnisse, in welchem die Eltern von Natur aus zu ihren Kindern stehen; aus den Obliegenheiten, die ihnen als Mitgliedern der bürgerlichen Gemeinschaft erwachsen; aus den hochheiligen Aufgaben, welche Gott gerade den Eltern zugewiesen hat: wird für die Eltern die unabweisbare Notwendigkeit hergeleitet, für die Erziehung ihrer Kinder Sorge zu tragen. Diese allgemeine Erziehungspflicht schlieszt für die Träger derselben auch noch besondere Verpflichtungen in sich gegenüber den Künsten und Wissenschaften, diesen vornehmlichsten | |
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Mitteln der Bildung, und gegenüber den Lehrern, welche die Handhabung dieser Bildungsmittel beherrschen. Erziehung und Unterricht sollen aus innern und äuszern Gründen so früh wie möglich beginnen. Der Hauserziehung ist die Schulerziehung vorzuziehen überall da, wo die Schule eine gute genannt werden darf. Die Bildung des einzelnen ist zu einem gewissen Grade abhängig von Umständen, über welche der einzelne nicht Herr ist: von den geistigen und körperlichen Anlagen, von der Gesamtgeartung der Verhältnisse, in die Gottes Ratschlusz ihn gesetzt hat. Wenn nun das Ergebnis der Bildungsarbeit bei den einzelnen auch ein ungleiches sein wird, so ist doch für alle die Bildungspflicht dieselbe. Weder Adel noch Schönheit, weder Reichtum noch Armut, weder Fülle der Begabung noch Beschränktheit der Geisteskraft dürfen den Menschen bestimmen, aus Überhebung oder Verzagtheit sich seiner Bildung ganz und gar zu begeben. Die Schönheit des Körpers soll nicht durch Gebrechen des Geistes in Schatten gestellt werden. Häszlichkeit und Miszgestalt dagegen werden durch Bildung des Geistes aufgewogen und in Vergessenheit gebracht. Der Arme soll reich werden an Tugenden und Kenntnissen. Auch der schwach Begabte wird beit gutem Willen und mit Gottes und der Heiligen Beistand, der sich seinem vertrauungsvollen Flehen zuwendet, Gräszeres leisten, als er selbst erhofft hat. Die Pflicht des Lernens ist allen gemeinsam. Der fruchtbare Acker, welcher unbebaut bleibt, wird unfruchtbar; der Geist, welcher keine Belehrung findet, bleibt fruchtlos. Der angeborene Wissenstrieb soll von früh auf genährt und gemehrt werden. Der natürliche Lerneifer wird sich mindern und erkalten, wenn die Einbildungskraft aus Abwege gerät und verderbt wird. Geistiger Trägheit wird dann der Mensch anheimfallen. Der Bildungstrieb soll beherrscht werden von der Überzeugung, dasz des Menschen Glück sich gründet auf Tugenden und Kenntnisse, deren Krone die Weisheit ist. Die Lehren der Wissenschaften entgegennehmen, ohne sie zu behalten, ist fruchtloses Bemühen. Das Gedächtnis bedarf deshalb besonderer Pflege, namentlich bei denen, die leicht und schnell auffassen, aber gerade wegen der Mühelosigkeit ihres Auffassens die Vorstellungen weniger verarbeiten und nicht so | |
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dauerhaft aufnehmen als diejenigen, in deren Geist die Vorstellung mit derselben Mühe, aber auch mit derselben Dauerhaftigkeit Eingang findet, wie das Zeichen, welches dem Felsblock eingegraben wird. Auch Zustände des Gemütes und des Körpers sind von Bedeutung für das Gedächtnis und für die Weise und den Erfolg seiner Arbeit. Hierüber hat der Schüler zweckmäszige Vorschriften zu beherzigen. Die Arbeit des Geistes ist abhängig von der Gesundheit des Körpers. Die Erhaltung der Gesundheit ist nur in einem gewissen Grade dem fürsorgenden Ermessen des Menschen anheimgegeben. Eine zweckmäszige Lebensweise, vor allem indes Enthaltsamkeit, ist die unerläszliche Grundlage und der beste Schutz der Gesundheit. Enthaltsamkeit wehrt markverzehrenden Sinnengenusz ab und mehrt dem Körper die Kraft. Wenn auch besonders edle Naturen sich trotz aller Dürftigkeit und Not des Lebens zum höchsten Gipfel der Weisheit durchgerungen haben, so sind doch gemeiniglich denjenigen, die sich den Studien widmen, äuszere Mittel in bescheidenem Masze unentbehrlich. Derjenige Zögling, welchem sich bei dem Reichtum der Eltern des Lebens äuszere Güter in Fülle darbieten, hat indes zu bedenken, dasz die Wissenschaften die Genossinnen des Hungrigen und nicht des Gesättigten, des Mäszigen und nicht des Verschwenders sind. Ein anderer, dem der Eltern mühsame Tagesarbeit den Weg zu den Studien bahnt, darf von den durch den Schweisz der Eltern erworbenen Mitteln nur soweit es not thut und nur im Sinne der Eltern Gebrauch machen. Und es ist nicht unmöglich, dasz selbst der völlig Mittellose durch eigne körperliche Arbeit sich die Mittel erwirbt, den Studien obzuliegen. Bei der Wahl eines Schulhauses soll man sich nicht bestechen lassen durch die Groszartigkeit des Bauwerkes oder durch den künstlerischen Schmuck desselben. Für die Lage des Schulhauses soll auch nicht die durch landschaftlichen Reiz fesselnde Umgebung bestimmend sein. Ein einsamer Ort, fern vom Verkehr der Menschen, begünstigt die Sammlung des Geistes und erschwert den sinnlichen Verlockungen den Zugang. Ist der Schüler darauf angewiesen, in einer fremden Stadt bei fremden Leuten Wohnung zu nehmen, so wähle er ein ruhiges Haus, dessen Infassen in der Furcht des Herrn leben und | |
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auch bei ihrem Schützling wie auf Gesundheit des Lebens so auf Gesundheit der Sitten bedacht sind. Die Kürze des menschlichen Lebens, welche - so klagen die Menschen - das Masz der Ausbildung beeinträchtigt, findet in etwa einen Ausgleich in der weisen Ausnutzung der dem Menschen kärglich zubemessenen Lebenszeit. Jede Musze, die der Unlust an Arbeit entspringt, ist abzuweisen. Das Tagewerk darf der Zögling nur unterbrechen, um sich der genuszreichen Musze stiller Gedankenarbeit zu überlassen. Der Zögling, welcher dem Laster keine Gewalt über sich einräumt, wahrt sich mit der Ruhe des Gewissens auch die Heiterkeit des Gemütes. Diese Heiterkeit des Gemütes läszt ihn leichter die Lehren der Weisheit beherzigen und mehr, denn andere, sich mit Ehrsurcht erfüllen vor allem, was Ehrfurcht erheischt. Eingehende Erwägung finden sodann die mancherlei Eigenschaften, welche den Lehrer zieren sollen, und die Pflichten, wie Unterricht und Erziehung sie ihm auferlegen. Nichts darf dem Schüler zu schwer erscheinen, wenn es gilt, der Unterweisungen eines guten Lehrers teilhaftig zu werden. Gleichwohl ist davon abzuraten, die Kinder der Ausbildung wegen in eine fremde Stadt zu schicken, wenn die Vaterstadt den Wissenschaften eine Pflegestätte bereitet hat. Willkürlicher Wechsel des Lehrers und des Lehrortes fördert nicht. Die erste Gegenleistung, zu welcher der Schüler dem Lehrer gegenüber sich verpflichtet fühlen soll, ist die Liebe. In dieser Liebe liegen für den Schüler wie für den Lehrer die Wurzeln gedeihlicher Arbeit. Bei der Auswahl der den Studien dienenden Bücher und für die Verwendung derselben soll der Schüler sich an die Weisungen des Lehrers halten, auf dasz die Bücher für ihn in Wahrheit eine Quelle der Erkenntnis werden. Den freundschaftlichen Verkehr mit Alters- und Studiengenossen regele die Überzeugung, dasz der Mensch vol solchen, die sich eifrig um das Beste bemühen, auch immer das Beste lernen wird. Das Studium der Sitten, welches den Menschen mit Tugenden ausstattet, wird durch das belehrende Wort des Erziehers, aber auch durch besondere Schriften gefördert, welche einen Schatz von Lebenserfahrung und Lebensweisheit in Formen | |
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darbieten, die in ihrer ungekünstelten Anmut gerade dem Sinne der Jugend zusagen. Unter den Wissenschaften soll an erster Stelle die Grammatik, ‘die Quelle und der Ursprung der freien Künste’, gepflegt werden. Die Handbücher, welche als Hilfsmittel in Vorschlag gebracht werden, entstammen der Zeit des Humanismus und treten mehr oder minder absichtlich und schroff für eine von den Lehrbüchern des Mittelalters abweichende Weise des Sprachunterrichtes ein. Die Gestaltungen der Formenlehre wie die Gebilde des Satzbaues sollen an Beispielen, welche mustergültigen Schriften entnommen sind, vorgeführt werden. An diesen Beispielen erkenne der Schüler die Regel; nach diesen Beispielen übe er sich in Nachbildungen. So bald wie möglich führe der Lehrer den Schüler zum Lesen der Dichtwerke aus alter Zeit. Er wähle dabei solche Dichter aus, ‘welche schamhaften Sitten keinen Eintrag thun, welche vielmehr ebenso sehr dem Sinn des Jünglings durch Lehren edler Menschlichkeit Nahrung geben als seinen Geist durch die Dialektik; die übrigen Künste des Triviums und Quadriviums schlieszen sich an; so wird der Schüler in den Stand gesetzt, auf der Hochschule sich dem Studium der Rechtswissenschaft oder der Arzneikunde, der Philosophie oder der Theologie unter der Gewährleistung erfreuenden Erfolges zu widmen. Ein ungeregelter Wechsel in den Lehrstoffen führt zur Zerstreuung des Geistes und zur Zersplitterung der Kraft. Alles Neue und Unbekannte soll solange Gegenstand des Unterrichtes sein, bis ein volles Verständnis desselben erreicht worden; sonst wird dasselbe eben etwas Unbekanntes bleiben. Nicht versuche der Lehrer die Kraft seiner Schüler an Schwierigkeiten, die dem Geiste des Jünglings zunächst noch unüberwindbar sind. Angemessene Spiele dürfen mitunder den Ernst des Studiums unterbrechen, auf dasz dann der Jüngling mit erfrischter Kraft die wissenschaftliche Arbeit wieder aufnehme. Wie der Jüngling sich bei den einzelnen wissenschaftlichen Fragen mit Beharrlichkeit zur Lösung derselben durchdringen soll, so soll er auch für die ganze Dauer seines Lebens mit gleicher Beharrlichkeit an seiner stetigen Weiterbildung arbeiten in der Überzeugung, dasz der Mensch zum Lernen bestimmt ist, so lange er lebt. | |
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Wie der gekennzeichnete Gedankengang darthut, bietet das Handbuch des Murmellius kein vollständiges Lehrgebäude der Erziehung und des Unterrichtes. Einzelne Fragen aus dem Gebiete der Erziehungs- und Unterrichtskunst werden erwogen, erläutert und zu Schluszfolgerungen geführt, welche sich verpflichtend bald an die Erzieher bald an die Zöglinge wenden. Es ist das Handbuch nicht für solche berechnet, die, ausgehend von dem Wesen und der Bestimmung des Menschen, die Gesetze der Erziehungs- und Unterrichtslehre kennen lernen wollen, um dann ihr Wissen um diese Lehre an der Bildung anderer im Können zu bethätigen. Es richtet sich diese Schrift vielmehr an diejenigen, welche die Erziehung anderer veranlassen und überwachen, ohne selbst Ausüber dieser Erziehung zu sein. Vornehmlich indes wendet sich dieselbe an diejenigen, an denen andere die Kunst der Geistesbildung und der Sittenzucht bestätigen, auf dasz die Zöglinge den Lehren ihrer Erzieher einen empfänglichen Sinn entgegenbringen und mit zielbewusztem Willen an dem Werke ihrer Bildung mitarbeiten. Diesem besonderen Zwecke hat sich der Inhalt des Buches angepaszt. Solche Fragen sind ausgewählt, die auch dem Laien in der Erziehungskunst sich aufdrängen. Daher wird denn auch besonderes Gewicht auf die äuszeren Verhältnisse in der Jugendbildung: Zeit, Ort, Schulhaus, Lehrer, Bücher gelegt. Die solchen Fragen gewidmeten einzelnen Abschnitte gliedern sich zum Teil nicht in strenger Gedankenfolge an einander. Der Zusammenhang zwischen solchen Abschnitten wird mitunter nur gewahrt durch die Beziehung derselben auf den allen gemeinsamen Hauptgedanken. Seine Darlegungen stützt Johannes Murmellius durch innere Gründe mancherlei Art. Er entnimmt dieselben der Weise des wissenschaftlichen Erkennens und der Besonderheit der Schulstudien in ihren Mitteln und Zielen. Bei seiner Begründung greift er zurück auf das Wesen des Menschengeistes und auf die durch innere und äuszere Verhältnisse bestimmte Eigenart des Zöglings. Die Beweiskraft seiner Gründe erhöht er durch Beispiele, welche er der Geschichte des klassischen Altertums entnimmt. Die Geschichte der Griechen und Römer liegt wie ein offenes Buch vor seinen Augen; er ist vertraut mit dem Leben der Dichter und Denker, der Künstler, Staats- | |
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männer und Feldherren jener Zeiten; daher dann die Fülle von kennzeichnenden Einzelheiten aus dem Leben jener Tage, die er, fern von aller Wissensprahlerei, lediglich im Dienste der Menheit in seine Darstellung verwoben hat. Seine Aufstellungen belegt er mit Aussprüchen hervorragender Männer jener Zeit. Die Lehrmeinungen der Philosophen, die in die Weise des Sinnspruches eingekleideten Kernworte der Redner, die schwungvolle Bildersprache der Dichter: alles bietet sich ihm in gleicher Weise dar. Auch die Worte der kirchlichen Schriftsteller und der christlichen Dichter bis zu der eignen Zeit hin stehen ihm zur Erhärtung der eignen Ansichten zur Hand. Diese Weise der Darstellung des Murmellius erbringt den Beweis seiner umfassenden Belesenheit; es liegt darin das Zeugnis, dasz er den Werken des Altertums für sich selbst nicht nur Sprachkenntnisse entnommen hat; er ist in den Geist dieser Werke eingedrungen; er hat die Menschen jener Zeit zu erkennen getrachtet, um als echter Humanist aus dieser Erkenntnis sich für sein eigenes Bildungsstreben ein möglichst edles Vorbild menschlicher Würde und menschlicher Tüchtigkeit zu gestalten. Es ist dies zugleich der Nachweis, dasz er auch seinen Schülern diese Schriftwerke nicht nur als Quelle und Tummelplatz sprachlicher Studien verlegte; er liesz sie vielmehr daselbst die durch die Geistesarbeit vieler Jahrhunderte geförderten Bildungsschätze erkennen; er suchte trotz der sittlichen Bedenken, wie sie einzelnen dieser Schriftwerke anhaften, seinen Schülern diese Schätze zu den Zwecken der eignen Bildung zugänglich zu machen. In seinem Handbuch bekundet sich Johannes Murmellius als Mann der Wissenschaft, der an sich die Arbeit wissenschaftlicher Bildung und die Bildungskraft wissenschaftlicher Erkenntnisse erprobt hat. Es bekundet sich darin Murmellius als hochstrebenden Schulmann, welcher der eignen Unterrichtsthätigkeit die höchste Aufgabe für Geistes- und Sittenzucht der Zöglinge setzt. Es bekundet sich darin Murmellius als einen durch Selbstbeobachtung und Lebenserfahrung geschulten Menschenkenner, welcher die Eigengeartung seiner Zöglinge zu ergründen trachtet, um Unterricht und Erziehung auf psychologischer Grundlage aufzubauen. Aus dieser Schrift spricht zu uns der edle Menschenfreund, welcher durch die seinem Wirken | |
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entsprieszende Förderung des Erziehungswerkes das Heil des einzelnen und die Wohlfahrt der Gesamtheit mehren und festigen möchte. Es spricht daraus zu uns der überzeugungstreue Christ, welcher bei aller Vorliebe für das klassische Altertum in all seinen Bildungsbemühungen den christlichen Anschauungen über den Menschen und seine Bestimmung gerecht wird. Die Ansichten des Handbuches sind im Vergleich zu den Lehrmeinungen anderer Schulmänner jener Zeit nicht als neue zu bezeichnen. Inwieweit dieselben gleichwohl für Murmellius als ursprünglich anzusehen sind, ist schwer zu ermessen. Insonderheit wird es schwierig zu unterscheiden sein, ob Murmellius seine Ansichten über Erziehung und Unterricht den Anschauungen anderer, wie dieselben in der Überlieferung aus alter und neuer Zeit vorlagen, angepaszt oder gar entlehnt hat; oder ob er jene Aussprüche und Beispiele hervorhob, weil dieselben ihrem Lehrinhalte nach mit seinen durch Nachdenken und Erfahrung selbständig gewonnenen Meinungen übereinstimmten. Mitunter wird man sich versucht fühlen, sich für das erstere zu entscheiden. So hat Murmellius den Abschnitt über Eigenschaften und Pflichten des Lehrers bis auf das Wort getreu der berühmten Schrift des Quintilian - ohne Angabe der Quelle - entnommen. Ga naar voetnoot1 Die Ansichten, welche Murmellius im ‘Handbuch für Schüler’ niedergelegt hat, entsprechen den Forderungen einer vernünftigen Erziehung, welche im Sinne des Christentums Geistesbildung und Sittenzucht der Jugend anstrebt. Es werden diese Ansichten zudem der unter der Herrschaft des Humanismus stehenden neuen Richtung im Geistesleben der Zeit gerecht. Mit leiser Hand ändert Murmellius an der überlieferten Weise des Unterrichtes. Fehlerhaftes wird beseitigt; Hergebrachtes, das sich als hemmend oder zweckwidrig erwiesen, wird durch Neues ersetzt: jede Umwälzung wird fern gehalten. Die Verbesserungsvorschläge des Murmellius bewegen sich alle in den Grenzen der Möglichkeit; sie tragen für ihn, den erfahrenen Schulmann, die Sicherheit des Gelingens und des Gedeihens in sich. | |
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Die Darstellung des Johannes Murmellius ist schlicht und fesselnd: der Ausdruck ist prunklos und zutreffend; der Gedankenbau ist durchsichtig und wohlgefügt; die Beweisführung ist gründlich und vielgestaltig. Die anmutende Klarheit seiner Darlegung wirkt überzeugend; die ruhige Bestimmtheit seiner Ansichten stimmt vertrauungsvoll; die belebende Wärme der eignen Überzeugung, die aus den Worten des Murmellius auf den Leser eindringt, wirkt begeisternd. Damit sichert Murmellius seinem an heilsamen Lehren reichen Handbuch volle Wirksamkeit. Dieses Verdienst wird dem Verfasser des Handbuches unbestreitbar bleiben. Im Jahre 1517 liesz Murmellius den ‘Scoparius’ - Auskehrer - im Druck erscheinen. Der Scoparius, welcher weit unfangreicher ist als das ‘Handbuch für Schüler’ giebt gleich diesem ein Bild von den pädagogischen Ansichten und Bestrebungen des Murmellius. Seiner Bestimmung nach unterscheidet sich der Scoparius gar wesentlich von dem ‘Handbuche’. Er ist nach den Worten des Murmellius selbst als eine Art von Streitschrift ‘gegen die Vorkämpfer der Unbildung und die Verächter der humanistischen Studien’ gerichtet. Nach seiner Entstehung und nach dem Gewande, in welchem er sich darstellt, ist der Scoparius eine Schrift absonderlicher Art. Es ist im wesentlichen eine reichhaltige Sammlung von kleineren und gröszeren Abschnitten aus Schriftwerken verschiedener Zeiten. Schriftsteller aus alten und jungen Tagen, Heiden und Christen, Weltliche und Geistliche, Philosophen und Dichter, Schulmänner und Gottesgelehrte, Lehrer der lateinischen Sprache und Kenner des bürgerlichen und kirchlichen Rechts, gotterleuchtete Männer des Alten und des Neuen Bundes: alle haben sich gewissermaszen in dieser Schrift als Gewährsmänner des Murmellius ein Stelldichein gegeben; sie erheben ihre Stimmen zu Gunsten der Lehrmeinungen des Murmellius; durch die Wucht ihrer Lehrhoheit drücken sie alle Gegenmeinungen nieder. Bald sind es Darstellungen in ungebundener Rede, bald Dichtungen in vielgestaltiger Form, die hervorgehoben werden; bald einzelne kurze, kerhafte Aussprüche, bald gröszere Abschnitte, die in Gedankenaufbau und Beweisführung sich als wissenschaftliche Abhandlungen darthun. Zwischen diesen Auslassungen anderer Dichter und Denker erscheinen in verhältnismäszig geringer | |
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Anzahl auch solche, die aus der Feder des Murmellius selbst geflossen sind: Darstellungen in ungebundener Rede und Dichtungen, sei es dasz er die letzteren seinen Gedichtsammlungen, die bereits erschienen waren, entnommen, sei es dasz er sie für die besonderen Zwecke dieses Sammelwerkes eigens verfaszt hatte. Die Entstehungsweise der Schrift schlieszt es aus, dasz der Gedankengang derselben sich streng geordnet nach einem in all seinen Teilen von ein und demselben Gesichtspunkte beherrschten Plane gestaltet. Der Gedankenaufbau entbehrt weder der Lücken und Sprünge, noch ist er frei von Wiederholungen. Die Darstellungsweise ist gemäsz der vielgestaltigen Eigenart der Schriftsteller, die zu Worte kommen, eine ungleichartige. Dem einen ist es um Ergründung und Sicherstellung der Wahrheit zu thun; dem andern gilt es mehr, seinen wirklichen oder vermeintlichen Gegner des Irrtums zu überführen oder in seiner Unwissenheit blosz zu stellen. Hier bewegt sich die Darstellung gemessen, leidenschaftslos; mit Ernst und Nachdruck tritt sie auf; sie sucht zu beweisen und zu überzeugen. Dort ist die Darstellung lebendiger und packender; die sachllichen Gründe weichen den persönlichen; auch Hohn und Spott werden zum Beweismittel; selbst verletzende und beschimpfende Worte, die nur in der Derbheit des Umgangstones der damaligen Zeit eine swache Entschuldigung finden könnten, werden nicht verschmäht. Einige Abschnitte begnügen sich damit, Forderungen aufzustellen für den Betrieb wissenschaftlicher Studien und für die Handhabung des Unterrichtes, gleichsam als Ausflusz der Erfahrung oder als Ergebnis prüfender und sichtenden Gedankenarbeit; andere führen in die Gedankenarbeit, welche jene Ergebnisse erzielt hat, selbst ein; sie sichern damit bei dem Leser mit dem Verständnis auch die Überzeugung von der Richtigkeit dieser Forderungen. Das eine Stück läszt die nackten Thatsachen der Geschichte, denen unwiderstehliche Überzeugungskraft innewohnt, sprechen; das andere führt den Erfahrungsinhalt und die Lebensweisheit eines Zeitalters in dem gestaltenreichen Bilderschmuck einer Dichtung aus dieser Ziet vor. Wenn auch durch diese Vielgestaltigkeit die Darstellung insgesamt einen unruhigen Zug annimmt, so liegt doch in diesem Wechsel auch wieder ein eigenartiger Reiz. Der Scoparius enthält einen groszen Reichtum der Gedanken, | |
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welche eine Fülle fruchtbarer Anregungen in sich tragen. Eine erschöpfende Darlegung der Ansichten und Bestrebungen, wie sie dem Humanismus eigen sind, dürfen wir von dieser Schrift des Murmellius nicht erwarten; auch nicht eine Kennzeichnung aller der Forderungen, welche der Humanismus an Studien und Unterricht stellte; beides verbietet schon die Entstehungsweise der Schrift. In derselben werden vielmehr einzelne Fragen berücksichtigt, wie sie in dem Streite der Meinungen zwischen den Anhängern des Alten und den Vorkämpfern der neuen Richtung im Vordergrunde standen. Vornehmlich lebhaft war der Streit über die Frage des grammatischen Studiums und des Unterrichtes in der Grammatik entbrannt. Zu dieser Frage nimmt der Scoparius Stellung. Manche der zur Zeit vorliegenden Lehrbücher der Grammatik, darunter solche, die während der letzten Jahrhunderte des Mittelalters die Schule beherrschten, werden verworfen. Mit scharfen Strichen wird das Unzulängliche und Schädliche gekennzeichnet, das die bisherige Weise des lateinischen Unterrichts in Auswahl und Behandlung des Sprachstoffes an sich trägt. Er verlegt den Schwerpunkt in die Deutung und Abgrenzung grammatischer Begriffe. Das vielgestaltige Rüstzeug der mittelalterlichen Philosophie wird bei solchen Begriffsbestimmungen aufgeboten, wenngleich diese Beweisführung in ihren Mitteln wie in ihren Zielen zu hoch ist für die schwache Geisteskraft der im Knabenalter stehender Zöglinge. Jahre vergehen über dem grammatischen Studium dieser Art; gleichwohl kommt der Schüler trotz andauernder Antstrengung nicht dazu, lateinisch zu sprechen. Wohl ist er imstande, auf Grund des genossenen Unterrichts über grammatische Erscheinungen in ihrem Wesen und in ihrem Verhältnis zu einander weitläufige Darlegungen vorzubringen; selbst auf philosophische Spitzfindigkeiten und scharfsinnige Wortklaubereien nimmt er dabei Bedacht. Aber er sagt eben auf, was er mühsam unter des Lehrers strenger Hand lediglich gedächtnismäszig sich eingeprägt hat. Es sind Kenntnisse, die er dem Gedächtnisse entnimmt, nicht ist es Wissen, das in seinem Verständnis Wurzel und Halt gewonnen hat. Die lateinische Sprache beherrscht er trotz dieser prunkenden Kenntnisse, die den Unerfahrenen bestechen | |
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können, weder im mündlichen und schriftlichen Gebrauch, noch genugsam zum Lesen und Verstehen lateinischer Schriftwerke. Die Grammatik soll nicht um der Grammatik willen betrieben werden. Der grammatische Unterricht soll zur Beherrschung der lateinischen Sprache, zum Lesen, Sprechen, Schreiben in der lateinischen Sprache führen. Dunkle, umständliche Vorschriften dienen nicht dieser Ausgabe. An Beispielen aus den besten Schriftwerken soll der Schüler klare, kurze, wirksame Regeln kennen lernen. Er darf nichts lernen, was er späterhin mit gröszerer Mühe vielleicht wieder verlernen müszte. Beispiele und Belegstellen, welche auswendig gelernt werden sollen, müssen in Form und Inhalt zum Besten gehören, was die lateinische Sprache bietet. Nur solches, was notwendig und nutzbringend ist für die Geistesbildung des Zöglings, darf zum Auswendiglernen vorgelegt werden. Sonst wird das Auswendiglernen eine unnütze Arbeit; der Zögling verlernt das Auswendiggelernte, ohne davon Gebrauch gemacht zu haben. Es wird sonst das Auswendiglernen eine abschreckende Arbeit; es verleidet dem Zögling Schule und Unterricht. So soll sich der grammatische Unterricht kurz und knapp in seinem Lehrstoff, leicht und faszlich in seiner Weise gestalten. Auch das Griechische soll in den Bereich der Schulstudien gezogen werden. Wo aber griechische Grammatik betrieben wird, soll dieselbe neben und nicht nach der lateinischen Grammatik betrieben werden. Dieses Handinhandgehen der grammatischen Belehrung über beide Sprachen fordert auch den Schüler zum Vergleiche der Erscheinungen und der Gesetze beider Sprachen auf. Der Schüler erkennt Ähnliches und Übereinstimmendes, Verschiedenartiges und Gegensätzliches an diesen Sprachen. Damit erleichtert er sein Verständnis und vertieft sein Wissen um diese Sprachen. Frühzeitig sollen die Schüler zum Lesen der alten Schriftsteller angeleitet werden. Durch Lesen üben und vervollständigen sie ihre Sprachkenntnisse; durch Lesen dringen sie ein in die Weisheit der Alten. Die Schriften, welche zum Lesen vorgelegt werden, sollen in ihrer Redeweise sprachlich rein, in ihrem Inhalte fesselnd sein. Schriften, die den Keim sittlicher Fäulnis in sich tragen, sind fernzuhalten. Gute Sitten ohne Kenntnisse sind besser als Wissenschaft ohne Sittenzucht. Die | |
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griechischen und lateinischen Schriftsteller, die in Vorschlag gebracht werden, haben zum Teil sich ihren Platz in der Schule erobert und bis heute behalten; zum Teil müszten dieselben von uns aus sprachlichen Rücksichten und nicht zum mindesten auch aus sittlichen Bedenken zurückgewiesen werden. Nicht nur die Verschiedenartigkeit der Ergebnisse der beiderseitigen Unterrichtsweise soll dahin bestimmen, der neuen Richtung den Vorzug zu geben. Auch den Beweggründen, welche die Anhänger des Alten sich abwenden lassen von den Verbesserungsvorschlägen der Humanisten, wird nachgegangen. Bei den einen ist es die Unlust an der Arbeit, die ihnen erwachsen würde, wenn sie sich die Weise der Neuerer aneignen wollten; bei andern ist es Miszgunst gegenüber den jüngeren Leuten, welche den Weg zu den Studien nicht etwa mühelos zurücklegen sollen, während sie selbst Schwierigkeiten aller Art auf demselben zu überwinden gehabt haben. Hier wirkt fromme Scheu vor dem Hergebrachten, dort Überhebung, welche der Meinung anderer nicht grözseres Gewicht einräumen will, als der eignen Ansicht. Die Haltlosigkeit fällt denn auch die innere Berechtigung zum Widerstande gegen die von dem Humanismus empfohlene Umgestaltung der Studien. Manche der Verteidiger des Alten sprechen sich gegen die Beschäftigung mit den Werken der Dichtkunst und insonderheit gegen das Lesen der heidnischen Dichter aus. Andere, welche diese unversöhnliche Einseitigkeit bereits abgestreift haben, wenden sich gegen den Umfang und die Auswahl, wie sie von den Humanisten bezüglich der alten Dichtungen für die Zwecke des Unterrichtes für notwendig und heilsam erachtet werden. Dem gegenüber wird hervorgehoben, dasz manche Stücke des Alten Testamentes in dem Gewande der Dichtung erscheinen. Das Verständnis der Heiligen Schrift setzt also Vertrautheit mit den Werken der Dichtkunst voraus. Und wenn die Kirchenlehrer zum Lesen und Lernen gerade dieser poetischen Abschnitte der Heiligen Schrift anhalten, so fordern sie damit zur Beschäftigung mit Dichtwerken auf. Feierlich erhabene und schwungvoll hinreiszende Lieder haben seit jeher auch in den Zeiten des Christentums den Gottesdienst verherrlicht. Eine würdige Feier des Gottesdienstes, die jedwedem Christen Pflicht sein soll, | |
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erheischt mithin die Pflege der Dichtkunst. Christliche Sänger in stattlichster Anzahl haben zum Preise Gottes und seiner Werke unsterbliche Dichtungen verfaszt. Dichtungen als solche können also nichts Gefährliches oder Verwerfliches an sich haben. Doch auch die Dichtungen der Heiden dürfen nicht eben grundsätzlich verworfen werden. Vieles läszt sich unter ihnen ausfindig fährdung in sich trägt, das dagegen in der sinnigen Schönheit der Sprache und in der erhebenden Hoheit des Inhaltes für den studierenden Jüngling wie für den durch wissenschaftliche Erkenntnisse gereiften Mann unvergleichlichen Wert hat. Mit noch gröszerer Entrüstung, wie sie das Bewusztsein gekränkten Rechtes in ihm erzeugt hat, wendet sich Murmellius gegen diejenigen, die nur Worte der Miszbilligung und des Tadels dafür haben, dasz an dem Gymnasium zu Münster den Schülern auch Abschnitte der Heiligen Schrift beim Unterricht in der lateinischen Sprache vorgelegt wurden. Der Lehrinhalt der Heiligen Schrift ist hochwichtig für jedweden Menschen. Die Lehrweise der Schrift hat ihre besonderen Vorzüge; sie ist deutlich und leicht, mild und anziehend. Die sprachliche Darstellung hat unvergleichliche Schönheit; sie vereinigt Anmut des Ausdruckes, Fülle der Kraft und Schärfe der Rede. Hervorhebungen solcher Art dienen Murmellius zur Abwehr der Gegner. Auch gegen unbrauchbare Erklärungsschriften zu den klassischen Schriftstellern, wie sie den Büchermarkt überschwemmten, zieht der Scoparius zu Felde. Das Gebaren ihrer Verfasser, die nicht sowohl der Wissenschaft als dem eignen Geldbeutel dienen, wird an den Pranger gestellt; die Mängel und Schäden ihrer Machwerke werden blosz gelegt. Überflüssiges ziehen sie heran; Fragen kleinlicher Art spinnen sie in weitschichtigen Zergliederungen aus; selbstgeschaffene Einwendungen widerlegen sie in spitzfindigem Schluszverfahren; mit geflissentlicher Umständlichkeit erklären sie solches, was der Erklärung nicht bedarf; bei wirklicher Schwierigkeit versagt ihre Kunst. Damit verwirren sie, wo sie entwirren sollten; damit schaffen sie Dunkelheit, wo sie Licht verbreiten sollten; sie überladen den Geist mit Nebensächlichem und Kleinlichem, während sie ihm den Kern des Wissens vorenthalten. | |
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In einigen Abschnitten giebt dann Murmellius seine eignen Erklärungen zu einzelnen Wörtern und Redewendungen des Lateinischen. Er will damit den Beweis erbringen, dasz die bisherige Erklärungsweise eine unzureichende ist; er läszt zugleich die Unmöglichkeit erkennen, in den bisher üblichen Lehrbüchern Aufschlüsse zu erhalten, welche das eigene Sprachgefühl befriedigen und den Sprachgebrauch der Alten für sich haben. Die Begründung seiner besonderen Deutungen giebt ihm Gelegenheit, seine Belesenheit in den Alten, seine Sprachgewandtheit, sein scharfes und richtiges Urteil in sprachwissenschaftlichen Dingen darzuthun. Die grammatischen Lehrbücher alter und neuer Zeit, griechische und lateinische Wörterbücher, die vorhandenen Erklärungsschriften zu den Schriften der Griechen und Römer und auch zu manchen Schulschriften der christlichen Zeit werden in einem bis an Vollständigkeit grenzenden Umfange aufgezählt. Brauchbares und Unbraucbares wird allenthalben gesondert. Murmellius beherrscht eben als ein wissenschaftlich geschulter Sprachkenner die Hilfsmittel des Sprachstudiums durchaus. Und dieses unser Urteil wird auch dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt werden, dasz Murmellius einige Werke aufführt, die damals wie heute nur bruchstückweise in vereinzelten Anführungen in den Werken anderer vorlagen, die ihm also nur dem Namen, nicht indes dem Inhalte nach bekannt geworden sein werden. Der Scoparius eifert gegen solche, die sich erkühnen, Lehrer zu sein, ohne in Wissen und Können, in Sitte und Zucht berufen zu sein, andere zu belehren. Berufslehrer sind allen andern vorzuziehen, tüchtig in Kenntnissen, gewandt in der Weise, vertrauenerweckend im Wandel. In gleicher Weise zieht der Scoparius gegen gewisse Rechtsgelehrte, die besser Rechtsverdreher und Gesetzkrämer hieszen, zu Felde. Es erscheinen dieselben verächtlich in ihrer ebenso unbegründeten wie maszlosen Überhebung. Als Kenner und Hüter des bürgerlichen und geistigen Rechts vermeinen sie auf jedwede andere Wissenschaft geringschätzend herabsehen zu dürfen, während sie doch in der Gesamtheit des Wissens wie an Bildung des Geistes den Vertretern anderer Wissenschaften gegenüber nur zu oft zurückstehen müssen. Aber auch unter einander | |
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begegnen sie sich mit gleicher Überhebung. Jeder hat nur Gefallen an seinen eignen Worten; die Worte seiner Berufsgenossen erklingen ihm misztönig. Vornehmlich aber verdienen sie Tadel wegen der Gewalt, die sie der lateinischen Sprache anthun, sei es in der willkürlichen Verwendung der überlieferten Wörter für die im Rechtsverfahren notwendigen Begriffsbezeichnungen, sei es in der eigenmächtigen Umbildung und Neubildung lateinischer Wörter. Die Rechtswissenschaft aber ist die Kenntnis aller menschlichen und göttlichen Dinge. Für rechtskundig dürfte also nur derjenige gehalten werden, welcher einen Inbegriff aller Erkenntnisse sich zu eigen gemacht hat, welcher mithin auch alle Künste und Wissenschaften, wie sie im Gymnasium gelehrt werden, beherrscht. Die Würde der Wissenschaft und das Wesen seines Amtes fordern also von einem Rechtsgelehrten auch vollgültige Kenntnis der lateinischen Sprache. Mit besonders scharfen Worten wendet sich der Scoparius gegen gewisse Lehrer der philosophischen Wissenschaften, gegen die ‘sophistischen Dialektiker’, die da vermeinen und vorgeben weise zu sein, während sie doch von der wahren Weisheit weit entfernt sind. Kaum sind ihnen die Formen des logischen Schluszverfahrens geläufig geworden, so wähnen sie im Besitze der Weisheit zu sein. In ihrem Dünkel täuschen sie sich selbst über ihren eignen Wert; mit ihren Trugschlüssen täuschen sie andere über das Wesen des Wissens und der Weisheit. Sie sind die denkbar untauglichsten Führer der Jugend; ohne das Ziel und die Wege zum Ziele zu kennen, unterfangen sie sich, die Jugend zum Gipfel der Weisheit hingeleiten zu wollen. Ihrem Wirken entspringt, trotz des prunkvollen Gebarens desselben, nur Unheil. Der Scoparius trägt seinen Namen: ‘Auskehrer’ mit Fug und mit Recht: er räumt auf mit mancherlei Mängeln und Schäden, wie sie den wissenschaftlichen Studien und der Unterweisung der Jugend von alters her anhafteten; er räumt auf mit solchen Vertretern der Wissenschaft und der Jugendbildung, welche die Forderungen des Humanismus, die zu Besserem hinführen sollen und können, nicht anerkennen oder annehmen wollen; er räumt auf mit mancherlei Gebrechen, wie sie Männer der Wissenschaft und der Schule für ihre Person oder für ihre Berufsthätigkeit an sich tragen. Die Forderungen, | |
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für welche der Scoparius eintritt, sind wohl begründet, insofern sie lediglich bestehende Übelstände bekämpfen; sie sind vollberechtigt, da sie die Pflege der Wissenschaft und die Bildung der Jugend zu fördern imstande sind; sie sind durchaus maszvoll, denn sie schlieszen nicht die zersetzende Umwälzung, sondern die verbessernde Umgestaltung des Bestehenden ein. Murmellius selbst spricht verhältnismäszig selten in dem ‘Scoparius’; vornehmlich läszt er andere sprechen, und zwar durchweg Männer, deren Lehransehen ein allgemeines ist. Damit tritt das rein Persönliche zurück, das solchen Meinungsstreitigkeiten so oft zu Grunde liegt und das ihm für sein Eintreten in diesen Streit zum Vorwurf gemacht werden könnte; damit wahrt er seiner Schrift die Bestimmung, lediglich der Wissenschaft und der Jugendbildung zu dienen. Viele und vielerlei Zeugen führt Murmellius vor; er entnimmt sie den verschiedensten Zeiten und Völkern. Damit mehrt er die Beweiskraft des Zeugnisses, für welches er sie aufgerufen; damit erhöht er seiner Schrift die Rückwirkung auf die Zeitgenossen. Eine dritte pädagogische Schrift des Murmellius ist die ‘Pappa’. Ga naar voetnoot1 Dieselbe ist ein Lernbuch für die Hand der Schüler. Sie zerfällt in ihrer ursprünglichen Gestalt in vier Kapitel. Das erste Kapitel bietet eine Zusammenstellung ‘lateinischer Namen für mancherlei Dinge mit deutscher Bedeutung oder Auslegung.’ Die in diese Sammlung aufgenommenen Wörter sind nach Begriffsreihen in 52 Gruppen geordnet. Ausgehend von ‘Gott und den himmlischen Dingen’ und mit den ‘vier letzten Dingen’ endigend, benennen dieselben die mannigfaltigen Dinge der verschiedenen Naturreiche, Einrichtungen und Erscheinungen im häuslichen und öffentlichen Leben der Menschen, in Kunst und Wissenschaft, in Religion und Sitte. Von grammatischen Begriffswörtern werden Zahlbezeichnungen und Zahlhauptwörter, darunter auch die weniger häufig auftretenden, nach ihren Arten geordnet vorgeführt. Den einzelnen Hauptwörtern ist durch kennzeichnende Buchstaben die Bezeichnung des grammatischen Geschlechtes und der Deklinationszugehörigkeit | |
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beigefügt. Einzelne der vorgeführten Wörter sind auch ihrem Begriffe nach erklärt. Sinnverwandte und sinngleiche Wörter sind mitunter zusammengestellt. Der zweite Abschnitt führt ‘mancherlei Redensarten für den Gebrauch der Knaben’ - lateinisch und deutsch - vor. Die Darstellung bewegt sich zum gröszeren Teile in der Weise des Gespräches zwischen zwei Schülern oder - freilich selten - zwischen Lehrer und Schüler. Berücksichtigung finden Einrichtungen und Forderungen der Schule, Vorkommnisse am Schulorte, die persönlichen Verhältnisse der Schüler und ihr Gebaren auszerhalb der Schule; selbst des Lebens kleinere Züge, wie der einzelne Tag sie im Verkehr der Menschen heibeiführt, werden nicht übergangen. Einzelne Schlaglichter streifen die wirtschaftlichen Verhältnisse am Schulorte, welche das äusere Leben der Schüler bestimmen. Wir erfahren, dasz die Schüler auch des Lebens heitere Seiten kannten. Die Weise aber, wie sie sich das Leben genuszreich gestalteten, kennzeichnet in einzelnen Zügen auch wieder den Übermut der Jugend, dem Maszhalten fremd ist. Der Gesprächston schlägt mitunder eine Derbheit an, die uns Roheit dünken würde. Manches Lehrhafte flieszt unter: Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten; Lehrsätze und Sinnsprüche aus den Schriften der Alten; Wahrheiten, wie die tagtägliche Erfahrung sie nahegelegt hat. Alles dieses wird dem Schüler in mustergültigem Latein dargeboten. So wird er in den Stand gesetzt, sich auch über die mannigfaltigen Vorkommnisse, wie der einzelne Tag sie bringt, in der Unterhaltung mit seinen Genossen in gewählter Sprache lateinisch, sowie die strenge Ordnung der Schule es forderte, auszulassen. Das Buch des Murmellius muszte dem Schüler umso dankenswerter erscheinen, als er an der Hand des grammatischen Unterrichtes oder durch das Lesen der lateinischen Schriftsteller schwerlich Gelegenheit gefunden hätte, sich einen ausreichenden Vorrat von Ausdrücken und Redewendungen gerade für diese Verwendung der lateinischen Sprache anzueignen. Durch die ‘Lebensregeln und Sittenlehren’ des dritten, wenig umfangreichen Abschnittes wird der Zögling an seine Obliegenheiten als Christ und Schüler erinnert. Die Pflichten der eignen sittlichen und geistigen Vervollkommnung, Satzungen einer der Erfahrung entsprungenen und durch die Erfahrung | |
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bestätigten Lebensweisheit, Vorschriften eines freundschaftlichen und geselligen Verkehrs, welcher sich nach den Gesetzen der Höflichkeit und Schicklichkeit gestaltet, werden in kurzen, wirkungsvollen Sätzen vorgeführt. In gleicher Weise werden die ‘mancherlei Sprichwörter’, welche der letzte Abschnitt in freilich beschränkter Auswahl darbietet, auf Führung und Leistung des Schülers gedeihlich eingewirkt haben.
Unsere Betrachtung der pädagogischen Wirksamkeit des Johannes Murmellius führt zu folgendem Endergebnis. Johannes Murmellius hat nicht neue Wege für Studien und Unterricht angebahnt; aber er hat die neuen Wege, welche von andern erschlossen worden, als einer der ersten und mutigsten betreten. Er hat wieder andere zu diesen Wegen hingeführt; mit sicherer Hand hat er dabei die Hemmnisse, welche aus dem bisherigen Denken und Meinen derselben entsprongen, beseitigt; mit starker und kühner Hand hat er die Angrisse abegwiesen, welche ihn und seine Schützlinge von diesen neuen Wegen abzudrängen sich unterfingen. Auch über seinen Tod hinaus hat er durch seine Schriften die Anleitung gegeben, diese Wege zu finden; in seinen Schriften hat er das Rüstzeug geboten, diese Wege zu wandeln, ohne auf Umwege oder auf Irrwege zu geraten. Auf diese Weise hat er der Wissenschaft und der Menschenbildung im Sinne des Humanismus gedient. Seine pädagogischen Schriften entrollen uns durch das, was sie fordern, und durch das, was sie bekämpfen, ein Bild des Geisteslebens und der Schulzustände seiner Zeit. Aber nicht allein dieser geschichtliche Wert wohnt ihnen inne. Sie bergen eine Fülle von allgemeinen Gedanken und Anregungen, welche für immer einem jeden, dem nur Erziehung und Unterricht der Jugend wertvoll sind, hochbedeutsam erscheinen müssen; sie enthalten eine Menge von Regeln und Mahnungen, die ein hervorragender Schulman aus seiner eigenen reichen Erfahrung geschöpft hat, und die jedem Lehrer und Erzieher, welcher an der Erfahrung anderer die eigne Erfahrung mehren möchte, willkommen und dankenswert sein werden. Murmellius hat seine vielseitige Kraft auf den Gebieten des Unterrichtes, der Philologie, der Dichtkunst versucht; auf | |
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allen Gebieten hat er nicht Unbedeutendes geleistet; er hat sich damit bei seinen Zeitgenossen Bewunderung und bei den Späterlebenden Nachruhm erworben. Aber im Kern seines Wesens ist er doch immer der Bildner der Jugend gewesen. Seine Berufsthätigkeit war der Schule geweiht; auch die meisten seiner philologischen Arbeiten dienen der Schule in ihren näheren oder entfernteren Zwecken; und viele seiner Dichtungen haben eine unmittelbare Bedeutung für Erziehung und Unterricht. Ein sittlich ernster Zug durchweht des Murmellius Meinen und Wirken. Murmellius ist durchdrungen von der Bedeutung der Wissenschaft für den Menschen wie für die Menschheit. Aber höher noch als alle Wissenschaften stellt er die Sittlichkeit; in ihr erst bekundet sich der wahre Wert des Menschen. ‘Nicht wissen ist besser als mit Schuld lernen’, so lautet sein Grundsatz. ‘Nichts ist verderblicher als ein gelehrter und dabei schlechter Mensch,’ so tönt uns sein Mahnwort entgegen. Und diese Sittlichkeit erblüht für ihn, den begeisterten Berehrer der Alten, nur auf dem Boden des Christentums. Er findet sich nicht mit dem Christentum wegen seiner menschenbeglückenden Sittenlehre priesen, ohne sich durch die Glaubenssatzungen desselben verpflichtet zu fühlen. Murmellius ist streng kirchengläubig; in seinen Schriften billigt er ‘nichts, was nicht von der römischen Kirche beschlossen und angenommen sein wird’. Als Lehrer hat Murmellius bei der höchsten Würdigkeit zum Berufe auch den gröszten Erfolg im Berufe erzielt. Überall, wo er wirkt, hebt sich die Schule, mehrt sich die Schülerzahl, entbrennt edelster Bildungseifer. Sein Amt als Lehrer legte ihm eine gewaltige Arbeitslast auf, die umfassender war, als die Gepflogenheit unserer Tage es ahnen läszt. Ein Jüngling von 20 Jahren übernahm er seine erste Lehrerstelle. Als er als 37 jähriger Mann starb, hinterliesz er eine Menge von Schriften; ihre Anzahl musz im Hinblick auf die Leistungen, die sein engerer Beruf ihm auferlegte, und in Berücksichtigung der kurzen Zeit seiner Wirksamkeit geradezu erstaunlich grosz genannt werden. Bis zum Jahre 1513 hatte er bereits 400 Briefe von seinen Freunden und Gönnern erhalten; nach seinem eignen Geständnis hatte er bis dahin ebenso viele selber verfaszt. Unerschöpflich musz ihm die Arbeitskraft und die Arbeitslust | |
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gewesen sein. Und um so rühmlicher erscheint sein unverwüstlicher Fleisz, als äuszere Güter ihm durch seine vielseitige Thätigkeit nicht zu teil wurden. Selbstgenügsam lebte er bis zu seines Lebens Ende in Dürftigkeit. Sein hochideales Streben und Schaffen ist ihm des Glückes genug gewesen. Als Johannes Murmellius aus diesem Leben abberufen wurde, stand er inmitten des regsamsten Schaffens. Groszes hatte er als Lehrer und Schriftsteller geleistet; Gröszeres noch liesz er erhoffen. Sein Tod wurde von seinen Freunden als ein herber Verlust empfunden. Schwer litt unter seinem Dahinscheiden die Schule zu Deventer, an welcher er zuletzt gewirkt; mit ihm sank ihre Blüte für immer dahin. Aber auch das Schulwesen insgesamt, dem er sein Leben geweiht, hatte seinen frühzeitigen Heimgang zu beklagen. | |
IV.Die pädagogischen Schriften des Johannes Murmellius erscheinen in der vorliegenden Ausgabe zum ersten Male in deutscher Übersetzung. Es werden im Folgenden in Übersetzung vorgelegt: ‘Das Handbuch für Knaben’, der ‘Scoparius’, die ‘Pappa’. Von der letztgenannten Schrift gelangt das erste Kapitel nur mit Auswahl, die drei folgenden dagegen vollständig zur Wiedergabe. Die den einzelnen Schriften beigefügten Anmerkungen sind Zusätze des Herausgebers. |
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