Fecunda ratis
(1889)–Egbert van Luik– Auteursrecht onbekend
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EinleitungDie einzige Handschrift, die das Gedicht vollständig überliefert, ist der Cod. 196 (Darmst. 2440, am Kopf von 1a steht die ältere Nummer 168) der Kölner Dombibliothek,Ga naar voetnoot1) membr., 40, saec. XI, in Schweinsleder gebunden. Er umfasst 8 Lagen (ohne Custoden und Reclamanten) von je 4 Doppelblättern, nur die 2te hat deren 5, die 8te ursprünglich 3, von denen der Schluss, f. 64 und die untere Blatthälfte von f. 63, weggeschnitten ist, insgesammt also 62½ Blätter in folgender Gliederung: Lage I f. 1-8, II f. 9-18, III f. 19-26, IV f. 27-34, V f. 35-42, VI f. 43-50, VII f. 51-58, VlII f. 59-63. Die Seite hat in der Regel 20 Zeilen, eine Zahl, die durch Ergänzungen und die Willkür der Nebenhände hie und da überschritten wurde; die Initialen sind hinausgerückt und nicht rubriciert (nur I 1 und 5 gelb übermalt); durch Paragraphzeichen ist nur auf der Strecke I 719-803 die erste Zeile des Zweispruchs regelmässig bezeichnet. Abgeschnitten ist der Rand von f. 19, 23, 30, 34, 40, 46, 52, etwas beschnitten der von f. 6; rescribiert sind Blatt 13 und 14. Die Hs. enthält
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Der Text des Gedichts ist geschrieben von insgesammt zwölf Händen, deren Antheil im einzelnen sich aus folgender Übersicht nach Blatt und Zeile ergibt:
Man sieht sofort: i, k, l, n beschränken sich darauf, einzelne Verse an der Seite, bez. am Fusse nachzutragen; d und e, von f in einem Falle unterstützt, beschreiben die abgeschabten Blätter 13 und 14 und vervollständigen unter Mitwirkung von g und h Bl. 16, e revidiert auch weiterhin den lückenhaften Text; b schreibt nur den Widmungsbrief und I 1; der eigentliche Textschreiber ist der leichtfertig vorwärtseilende und darum so oft zu Nachträgen und Besserungen zwingende a, der in der Hauptsache Bl. 1-50 beschrieb und sich den Rest mit c in der Art theilte, dass dieser den Text aufzeichnete, er selbst auf den leergelassenen Zeilen die Überschriften ergänzte. | |||||||||||||||||||||||||
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Die Fehler von a sind somit durch die verschärfte Aufmerksamkeit, mit der ihm so viele Augen auf die Finger sahen, hinsichtlich des Umfangs bis auf das fehlende Stück II 51-54 ausgemerzt worden. Auch der Wortlaut ist durchgängig mit dem Original verglichen und berichtigt, vorzugsweise von e, demnächst von l. Die Vorlage war auch mit einzelnen Variationen versehen; diese übernahm theils der Schreiber gleichzeitig mit dem Texte, wie I 509, 570, theils l bei Eintragung der Scholien, wie 163, 240, theils und meistens fügte sie e hinzu, freilich ohne eine gleichmässige Bezeichnung derselben durchzuführen: bald setzt er uel, bald nur die Einrückungspunkte dazu, oder er corrigiert sogar, wie I 300, den einen Theil der vorgeschlagenen Umformung in den Text hinein und setzt den anderen mit uel darüber, einzelne Variationen kennzeichnet er auch nur durch textgrosse Buchstaben. Aber e wie l begnügten sich nicht mit der Eintragung der Lesart bez. der Variation, die sie im Originale vorfanden, sondern corrigierten auch, wie unter anderem der Vergleich mit der Quelle zeigt, sicherlich an manchen Stellen ihre eignen Einfälle in den Text hinein, sei es um dem Versbau oder der Prosodie nachzuhelfen, sei es um grammatische Schnitzer oder befremdliche Ausdrucksformen zu beseitigen, vgl. für e II 191 (wo ursprünglich Iuditio superexaltat clementia fratris stand), 242, 277, 343, für l I 159, 1047, 1446, 1451, 1736 (vgl. 475, 1520), 1749, II 57. Und vollends scheint eine weitere, gleichfalls dem XI. Jahrh. angehörige Correctorhand, die wir mit o bezeichnen, meist eigene Conjecturen eingetragen zu haben, vgl. I 3, 477, 486, 754, 767, 770, 798, 1065, 1084 f., 1589. Es bleibt somit bei den vielfachen Ergänzungen durch Nebenhände ebenso die Reihenfolge und Ordnung der Verse, wie an den radierten Stellen bei der Willkürlichkeit der Textrevisoren der Wortlaut unsicher. Die Handschrift ist von e und l (I 364 von n) hie und da auch mit Glossen versehen; namentlich aber sind die ersten 11 Blätter mit Glossen und ausführlicheren Scholien ausgestattet, welche von 1b - 11a, 13 (1-377) die Hand l, von 11a, 14 - 11b, 17 (378-401) m nach der Vorlage eingetragen hat. Fragen wir | |||||||||||||||||||||||||
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nach dem Verfasser dieser Scholien, so wäre es ja an sich möglich, dass der Dichter sein Werk selbst commentiert hätte, wie es Abbo für sein Gedicht De bello Parisiaco und der Anonymus für seinen Panegyricus Berengarii (Ebert III 143) that; in unserem Falle aber müssen wir wegen entschiedener Missverständnisse oder nichtssagender Verlegenheitswendungen (vgl. 20, 22, 39, 69, 242, 276, 319, 359, 369 f., 375, 381), wegen des falschen Citats 54, wegen irriger Verknüpfung selbständiger Sprüche (wie 109) bez. Trennung zusammengehöriger Spruchpaare (wie 148 f.) den Urheber des zum Theil brauchbaren und werthvollen Commentars in einem Anderen suchen, der übrigens wohl die ganze Dichtung kannte (vgl. zu 3 f. und die aus 1377 fast wörtlich entlehnte Erklärung von 360). Sonstige Abschriften unseres Gedichts haben sich schlechterdings nicht ermitteln lassen, nur dass der Cod. 48 Bonauent. Vulc. zu Leiden (s. XIII inc., im XV. Jahrh. im Besitz des Cölestinerklosters zu Paris) zehn Verse desselben, nämlich I 146, 169, 181, 205, 248, 366, 385, 537, 557, 466, auf fol. 42a, 1, Zeile 17-26 als nr. 51-60 der Prouerbia Rustici enthält, vgl. Rom. Forsch. III 639. Da aber diese Excerpte für die Geschichte und Constitution des Textes keinen irgendwie erheblichen Gewinn bringen, so war es die Pflicht des Herausgebers, sich mit einer diplomatisch getreuen Wiedergabe der einzigen Hs. zu begnügen; demgemäss erscheint hier der Kölner Text mit sorgfältiger Angabe sämmtlicher Correcturen und gelegentlichen Vermuthungen über die ausradierte ursprüngliche Lesart, mit allen ScholienGa naar voetnoot1) und Glossen; Emendationen sind nur in den zwingendsten Fällen gewagt. Auch die Orthographie ist in den Scholien und fast durchweg auch im Texte genau beibehalten, auch das dem XI. Jahrh. eigenthümliche Schwanken in der Schreibung des ae und oe (bald ae und oe, bald ę, bald e), auch der zur Bezeichnung der Vocallänge und -Be- | |||||||||||||||||||||||||
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tonung dienende apex, wo immer er sich fand, übernommen. Natürlich mussten die Abbreviaturen aufgelöst und einige aus der Vielheit der Hände entspringende allzugrosse Ungleichheiten in der Schreibweise beseitigt werden, wie z.B. wenn 20mal mihi, 1mal (II 430) michi überliefert ist: nach beiden Richtungen hin war die Orthographie des Hauptschreibers a der leitende Massstab, nach dessen Vorbild tamquam, numquam, quicumque, ti- für ci- bei folgendem Vocal (wie fatiet), die Dissimilation in Zusammensetzungen mit in, die Assimilation in denen mit com- durchgeführt worden ist.
Wenn wir nun versuchen wollen, auf Grund der inneren und äusseren Zeugnisse einen Lebensabriss unseres Dichters zu entwerfen, so dürfte es sich empfehlen, zunächst vorwiegend die biographischen Andeutungen des Widmungsschreibens ins Auge zu fassen und uns an ihrer Hand allmählich in die Welt des Autors einzuleben. Dieser Geleitbrief ist gerichtet ad Alboldum episcopum, und darunter kann, wie Wattenbach richtig gesehen hat, kein anderer verstanden werden als Bischof Adalbold (Adelbold, AlboldGa naar voetnoot1)) von Utrecht. Adalbold, vordem Archidiaconus an der Cathedrale zu Lüttich, wurde im Jahre 1010 der Nachfolger Ansfrieds († 3. Mai) auf dem bischöflichen Stuhle zu Utrecht und hat sich während seiner sechszehnjährigen Regierung als Gelehrter, Staatsmann, Feldherr und Kirchenfürst bewährt. Er sorgte für Kirchen und Klöster, erwarb für sein Bisthum die Grafschaften von Drenthe und vom Teisterbant und hielt treu zu Kaiser und Reich. Früh durch Gelehrsamkeit berühmt und wohlbewandert in der Kunst sich einen Namen zu machen, war er auch als Bischof mehrfach schriftstellerisch thätig, indem er für den Abt Berno von Reichenau eine Abhandlung über die Adventszeit ausarbeitete, dem h. Martin, dem Schutzpatron seiner Cathe- | |||||||||||||||||||||||||
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drale, einen Nocturnalgesang widmete und den Triumph desselben über die Normannen feierte, endlich die Thaten K. Heinrichs II bis zum Jahre 1012 beschrieb, wobei er sich freilich der Darstellung von Thietmars eben (1018) vollendeter Chronik getreulich anschloss und sich, wie Waitz treffend urtheilt,Ga naar voetnoot1) im wesentlichen darauf beschränkte, dass er genere usus culto atque ornato, antithetis, dictis moralibus et philosophicis narrationem uariauit et, cum res negligeret, orationem quam maxime curauit. In seinen letzten Lebensjahren wurde er von dem Geist mönchischer Askese, der von Clugny aus durch Richard von S. Vannes und seinen vortrefflichsten Jünger Poppo von Stablo über die ganzen Niederlande mit Nachdruck und Erfolg verbreitet ward, dermassen ergriffen, dass er dem letzteren nicht bloss das Kloster Hohorst zur Reform übergab, sondern auch selbst - wahrscheinlich bald nach Heinrichs II Tode - in den Benedictiner-Orden eintrat und nur durch Poppos energisches Veto von dem Entschlusse, die Leitung seines Bisthums in dessen Hände zu übergeben, abgebracht werden konnte. Im Februar 1026 schloss er sich dem Gefolge Konrads II auf dessen Romfahrt an, kehrte aber im Sommer mit seinem Metropolitan Pilgrim von Köln wieder heim und starb im Mönchsgewande am 27. November d. J.Ga naar voetnoot2) Damit gewinnen wir für die Entstehungszeit unserer Dichtung als terminus ante quem non das Jahr 1010, als terminus post quem non das Jahr 1026 oder gleich bestimmter gesagt 1024, da der Dichter seinem Jugendfreunde nur das ehrende Beiwort litterarum studiis admodum institutus zuertheilt und sich jeder, auch der geringsten und leisesten Hindeutung auf Adalbolds gewiss auffälligen und ungewöhnlichen Eintritt in den Mönchs-Orden enthält; ja wir dürfen bei der rücksichtlosen Schroffheit, mit der E., wie wir später sehen werden, der cluniacensischen Reform entgegentrat, daran zweifeln, ob | |||||||||||||||||||||||||
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er ihm nach jener ihm gewiss unbegreiflichen und widerwärtigen Wandelung überhaupt noch sein Werk gewidmet und den starren Cluniacenser zum Emendator eines Buches berufen haben würde, das in Bezug auf die Erziehung der Jugend so milden und weitherzigen Anschauungen Ausdruck gibt. Einen weiteren wichtigen Beitrag zur Feststellung des Entstehungsjahres gewährt das Stück I 1746 ff. De malis Francigenis (vgl. I 638), in dem eine kürzlich entstandene, von Westen her vordringende schändliche Ketzerei, deren Wortführer der Dichter seinen Landsleuten dringend räth vom Hause fernzuhalten, in dem Tone stärkster Entrüstung gebrandmarkt wird. Dieser Abschnitt ist nicht auf eine die engeren Kreise der gelehrten Theologen beschäftigende Streitfrage, wie etwa die obenein erst in den vierziger Jahren des Jahrhunderts acut werdende Abendmahlsbewegung Berengars von Tours, zu beziehen, sondern will offenbar vor einer die breiten Volksmassen wie den Clerus mit unheimlicher Schnelligkeit und berückender Gewalt ergreifenden Irrlehre warnen. In der hier in Frage kommenden Zeit existierte aber nur eine Ketzerei dieser Art, und das ist der Neumanichäismus, auf den die Andeutungen des Dichters denn auch passen; natürlich verschweigt er in einem für die Schuljugend bestimmten Werke den dogmatischen Inhalt des haeretischen Systems, sich mit einem wohlverständlichen Hinweis auf Augustins antimanichäische Schriften (1748) begnügend, ja er geht in seiner, sei es absichtlichen Verschleierung, sei es ungenauen Kenntniss so weit, dass er (1750) dieselben auf Dinge schwören lässt, von denen wir wissen, dass sie ihnen nicht heilig waren. Im Anfange des XI. Jahrh. nämlich traten die Manichäer,Ga naar voetnoot1) welche sich in kleinen Resten in Italien erhalten hatten, aus ihrem Dunkel wieder hervor und verbreiteten sich von dort über Frankreich nach den Niederlanden und dem inneren Deutschland: sie werden 1017 in Aquitanien, seit 1019 in Orleans, 1025 in Arras bezeugt. | |||||||||||||||||||||||||
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Während sie aber in Arras bald bekehrt, in Aquitanien geräuschlos beseitigt wurden, musste die Häresie in Orleans die Aufmerksamkeit von ganz Frankreich und den Niederlanden auf sich ziehen, nicht bloss weil ihr die angesehensten Bürger und Geistlichen der Stadt und der benachbarten Ortschaften, selbst der frühere Beichtvater der Königin anhiengen, sondern namentlich weil sie nach längerem Bestand 1022 dem König Robert verrathen und auf einer von ihm ausdrücklich zu diesem Zwecke nach Orleans berufenen Synode, die mit der Verbrennung von 13 Hauptketzern endete, verurtheilt wurde. Da nun mit Bestimmtheit angenommen werden darf, dass gerade die Synode von Orleans, von der nicht, wie bei den beiden anderen Herden der Ketzerei, vereinzelte Berichte, sondern eine ganze Reihe von Chroniken und sonstigen Geschichtsquellen Zeugniss ablegen, die Grösse der Gefahr den weitesten Kreisen klar machte und die Kunde von der von Westen nahenden Pest auch in die Gegenden trug, in denen wir unseren Autor zu suchen haben, so werden wir die Ausarbeitung des Gedichts in die Zeit zwischen 1022 und 1024, also etwa in das Jahr 1023 zu setzen haben. Dies Ergebniss wird durch andere unten zu erwähnende Umstände bestätigt werden; hier mag noch darauf hingewiesen werden, dass das Werk jedenfalls nach der zwischen 1018 und 1022 entstandenen Kaiserbiographie Adalbolds verfasst ist, da nicht abzusehen ist, warum letzterer, der die Thietmarsche Grundlage ja sonst mit Sentenzen und SprichwörternGa naar voetnoot1) verzierte, nicht auch einige Perlen aus der Fecunda Ratis entnommen und zum Schmuck seiner Darstellung verwandt haben sollte. Mit dem vermuthlichen Entstehungsjahr der Dichtung haben wir aber, da der Autor I 1519 von seinem Lebensalter sagt Preteriitque (et eó plus) quinquagesimus annus und folglich, als er dies schrieb, 51-52 Jahr alt gewesen sein wird, zu- | |||||||||||||||||||||||||
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gleich sein Geburtsjahr gefunden: er ist ungefähr 972 geboren. Fragen wir nun weiter, wo er geboren ist und seine gelehrte Bildung empfangen hat, so dürfen wir uns zuversichtlich der Leitung der Worte (Dedic. 1, 8) Ambo olim a pueris apud scolares alas in uno auditorio militauimus anvertrauen und werden dadurch wieder auf den Lebens- und Entwicklungsgang seines gleichalterigenGa naar voetnoot1) Schulkameraden geführt. Von der Histoire littéraire (VII 253) herab bis zu DuteGa naar voetnoot2) wird behauptet, dass Adalbold nicht nur von Notker in Lüttich, sondern auch von Heriger von Lobbes oder Laubach (990-1007) und von Gerbert in Reims unterrichtet sei, eine Annahme, gegen die namentlich HirschGa naar voetnoot3) entschieden und mit überzeugenden Gründen eingetreten ist. Dass er zunächst zu Gerberts Füssen gesessen, wird nirgends bezeugt, nur aus seiner mathematischen CorrespondenzGa naar voetnoot4) mit demselben gefolgert. Aber weder Gerbert in seinem Antwortschreiben an A., noch letzterer in seinem Fragebrief an jenen deuten irgendwie darauf hin, dass sie das gemeinsame Band von Lehrer und Schüler verknüpfe, so nahe es auch dem väterlichen Herzen des Lehrers gelegen hätte, seiner Freude | |||||||||||||||||||||||||
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über den Wissenstrieb und Denkfortschritt des einstigen Sehülers Worte zu leihen, so natürlich es auch anderseits dem ehemaligen Zögling gewesen wäre, dem Meister und einem solchen Meister gegenüber in einem zumal an rhetorischen Floskeln so reichen Briefeingang eine Wendung dankbarer Pietät zu gebrauchen, und wäre es auch nur, um seiner Eitelkeit zu fröhnen und vor den Augen des gelehrten Publicums als Schüler eines Papstes, eines Sylvester II zu glänzen. Aber im Gegentheil: das ist gerade das merkwürdige und einen jeden, der auf eine längere Lehrerthätigkeit zurückblickt, von der Nichtzugehörigkeit Adalbolds zum eigentlichen Zuhörerkreise Gerberts überzeugende, dass er sich nicht als vormaliger Schüler, sondern als College dem berühmten Gelehrten gegenüberstellt, indem er seine Zudringlichkeit mit den Worten eingesteht Pecco, quod tantum uirum quasi conscholasticum iuuenis conuenio. Für Adalbolds Jugenderziehung in Lobbes führt man das Zeugniss Sigeberts De scriptt. eccl. c. 138 an Adelboldus ex clerico Lobiensi episcopus Ultraiectensis. Indessen weist schon Hirsch a.a.O. darauf hin, dass der Fortsetzer von Folcuins Laubacher Klosterchronik ihn gerade an der Stelle, die sonst ganz mit Sig. c. 137 f. übereinstimmt und gewiss daraus geschöpft ist, als clericus Leodiensis bezeichnetGa naar voetnoot1) und dass diese Lesart den Vorzug verdient, weil der Chronist als Mann von Lobbes sich eine Persönlichkeit wie A. nicht würde haben entgehn lassen, wenn er ihn als Lobiensis in seiner Quelle aufgeführt gefunden hätte. Der Schreibfehler Lobiensi für Leodiensi konnte hier um so eher begangen werden, als in den beiden vorausgehenden Capiteln zwei Laubacher, Folcuin und Heriger (und gelegentlich des letzteren auch Adalbold) genannt werden und der Schreiber das Wort Lobiensi noch gleichsam in der Feder hatte. Da ferner urkundlichGa naar voetnoot2) feststeht, dass A., | |||||||||||||||||||||||||
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als er zum Bischof ernannt wurde, Archidiacon von S. Lambert zu Lüttich war, so ist auch das ex, welches doch die unmittelbar vorhergehende Amtsstellung bezeichnet, entschieden falsch, während es mit der Lesart Leodiensi verbunden dem Sachverhalt entspricht. Schliesslich ist es doch wahrscheinlicher, dass man den um 980 das Elternhaus verlassenden und zum Weltgeistlichen bestimmten Knaben einer Domschule als einer Klosterschule übergab, zumal einer Domschule, die eben unter Notker einen ungeahnten Aufschwung genommen hatte. So bleibt nur Anselms unverdächtiges Zeugniss übrig, derGa naar voetnoot1) unsern A. unter den Bischöfen aufzählt, die in Notkers Schule ihre Ausbildung empfangen haben. Und zu einem besseren konnten ihn die Eltern nicht bringen. Denn wenn auch schon Bischof Ebrachar (959-971), der Schüler Brunos von Köln, das Unterrichtswesen in der Diöcese neubelebt hatte,Ga naar voetnoot2) so war es doch erst sein Nachfolger, der Urheber von Lüttichs Grösse überhaupt, Notker, welcher, die Gelehrsamkeit von St. Gallen - wie Bischof Balderich (970-986) nach Speier - hieher überleitend, in Lüttich jenen hohen Glanz der Schulen begründete, dessen Ruf sich bald durch die ganze Christenheit verbreitete.Ga naar voetnoot3) Durch ihn wurde - von den kleineren Schulen in Stadt und Land abgesehen - namentlich die Domschule der Anziehungs- und Sammelpunkt der aufstrebenden jungen Talente nicht nur aus den adligen wie hörigen Geschlechtern des | |||||||||||||||||||||||||
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Bisthums selbst, sondern auch aus fremden Diöcesen.Ga naar voetnoot1) Wie Alcuin und Bruno sich nicht von ihren Schülern und Büchern trennten, wenn sie dem Hoflager Karls bez. Ottos nachfolgten, so nahm Notker auf seinen Reisen in die Nähe wie in die Ferne stets eine Schaar seiner Zöglinge mit den nöthigen Unterrichtsmitteln mit und brachte sie, in Aufsicht und Unterweisung von einem Geistlichen seiner Capelle unterstützt, oft fortgeschrittener wieder heim, als die, welche er im Auditorium zurückgelassen hatte; dieser fröhliche Wettstreit der Fortziehenden und Zurückbleibenden um das Lob eines Mannes, der in seiner Person das sachkundigste Urtheil und die weitreichendste Macht vereinigte, somit also Anerkennung und Beförderung verbürgte, musste die herrlichsten Früchte zeitigen. In einem so hohen Grade war die unmittelbare und stetige Theilnahme an dem gesammten Leben der Domschule ihm Herzensbedürfniss, dass er, wie Fulbert von Chartres, die oberste Leitung der Anstalt während seiner 36jährigen, durch bischöfliche und staatsmännische Pflichten so vielfach in Anspruch genommenen Wirksamkeit nicht aus den Händen gab,Ga naar voetnoot2) vielmehr erst in seinem Todesjahr einem seiner vertrautesten Capläne die ihm so lieb gewordene Stellung eines scholasticus (magister scholarum) zu übertragen über sich gewann. Und dieselbe Sorgfalt widmete er der Ausbildung der Laien in der Aussenschule.Ga naar voetnoot3) So gieng denn eine Reihe der hervorragendsten Männer der Zeit aus seiner Schule hervor: Günther, 1008-1024 Kanzier Hein- | |||||||||||||||||||||||||
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richs II, 1024-1025 Erzbischof von Salzburg, die Bischöfe Ruthard (979-995) und Erluin von Cambrai (995-1012), Heimo von Verdun (991-1024), Adalbold von Utrecht, Hezelo von Toul (1018-1026), Wolbodo (1018-1021), Durand (1021-1025), Wazo (1042-1048) von Lüttich, Lehrer wie Hubald zu St. Genovefa in Paris, Otbert in Aachen u.A. Multi, so schliesst Anselm seine Schilderung,Ga naar voetnoot1) praeterea sub tanto patre enutriti, religione et studiis liberalibus diuersa illustrauere loca, cum in suo quidem loco, quicquid ubiuis studii uel religionis esset, uigere adlaborauerit. Zu ihm also wurde Adalbold um 979 geführt, unter ihm machte er bis etwa 990 den üblichen elfjährigen Schulcursus durch, erstieg dann die einzelnen Sprossen der geistlichen Stufenleiter bis zum Archidiaconus, in welcher Eigenschaft er 1007 die Urkunde von St. Riquier unterzeichnet, wurde auf Notkers Empfehlung für einige Zeit Geheimschreiber Heinrichs II und von diesem zum Bischof erhoben. Während der langen Zeit von 990 bis 1007 wissen wir von ihm nur das eine, dass er in dem mehrfach erwähnten Briefe an Papst Sylvester II sich als scholasticus bezeichnet, folglich zwischen 999 und 1003 Vorsteher einer Dom- oder Stiftsschule gewesen ist. Wenn nun HirschGa naar voetnoot2) ihn in dieser Stellung der Cathedralschule selbst zuweist, so können wir dem nicht zustimmen, da Anselm nichts davon erwähnt; man sieht nicht ein, warum er diese Thatsache unterdrückt haben sollte, da es doch weder für die Domschule verkleinerlich war, von einem nachherigen Bischof geleitet zu sein, noch den Wazo, den Haupthelden der Anselmschen Chronik, irgendwie herabsetzen konnte, der Nachfolger eines Mannes wie Adalbold gewesen zu sein. Wohl aber ist es möglich, dass Notker, der sich das Schulscepter nicht so leicht entwinden liess, den jungen Geistlichen, um ihn in kleinerer Stellung den Schatz praktischer Erfahrung und den Grad wissenschaftlicher wie männlicher Reife gewinnen zu lassen, der zu | |||||||||||||||||||||||||
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einer höheren Stellung im Domclerus erforderlich war, für eine gewisse Zeit mit einem Commissorium in seiner Kirchenprovinz betrauteGa naar voetnoot1) und ihn, wie Moll vermuthet, zum Scholasticus an St. Ursmar zu Lobbes ernannte.Ga naar voetnoot2) Sicherlich hat er eine Zeit lang in regem persönlichen Verkehr mit Heriger, dem vertrautesten Freunde Notkers, gestanden. Denn wenn dieser in seiner oben genannten Schrift über die Adventszeit diese Streitfrage nicht schlechtweg zwischen A und B, zwischen Lehrer und Schüler oder zwischen fingierten Personen erörtern lässt, sondern gerade den Adalbold zum Theilnehmer bez. Opponenten der Discussion wählte, so dürfen wir daraus schliessen, dass er gerade mit ihm wie einem frater das Problem wiederholt und nach den verschiedensten Seiten hin durchgesprochen und in dieser Schrift die Summa der in eingehendem Wechselgespräch gemeinschaftlich gewonnenen Ergebnisse schriftlich niedergelegt habe. Wenn ferner A. nicht direct Schüler von Gerbert gewesen sein kann und sich dennoch in die epochemachenden, den ganzen Quadrivial-Unterricht umgestaltenden Lehren desselben dermassen vertiefte, dass er es wagen konnte, mit dem gefeierten Meister der mathematischen Gelehrsamkeit zu correspondieren, so wird er von einem genauen Kenner persönlich und mündlich in die neuen Theorieen eingeführt sein, und da liegt uns wieder der Gedanke an niemanden näher als an Heriger als einen der frühsten Commentatoren des Gerbertschen Abacus, und es stimmte ja dazu auch recht gut, dass er gerade als scholasticus, also von Lobbes aus, sich an Gerbert wandte, um in solchen Fällen, wo des anwesenden Jüngers Weisheit ihn im Stiche liess, des abwesenden Meisters Aufschluss zu erbitten. Wir kehren nunmehr, wesentlich gefördert, zu unserem Dichter zurück. Bevor wir aber aus den vorhergehenden Erörterungen Schlüsse auf seinen Lebensgang ziehn, wollen wir | |||||||||||||||||||||||||
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erst eine weitere Andeutung des Widmungsbriefs nutzbar zu machen suchen. Er nennt sich E., seruorum dei humillimus presbiter. Suchen wir nun in den Reihen der Lütticher Geistlichkeit bez. der Zöglinge der dortigen Schule unter Heinrich II und Konrad II - und nur diese Zeit kann in Frage kommen - nach Männern mit dem Anfangsbuchstaben E, so finden wir ausser dem bereits 1012, also vor dem Wiederauftauchen der Manichäer, in Cambrai verstorbenen Erluin nur einen, und das ist Egbert. Und kein geringerer als Sigebert von Gembloux ist es, der von ihm cap. 146 berichtet: Egebertus, clericus Leodiensis, scripsit metrico stilo de aenigmatibus rusticanis librum, primo breuem, sed ampliato rationis tenore scripsit de eadem re metrice alterum librum maiusculum, eine Stelle, die freilich erst dann richtig gewürdigt werden kann, wenn wir die Confusionen Tritheims und seiner NachfolgerGa naar voetnoot1) beseitigt haben. Tritheim nämlich sagt De scriptt. eccl. c. 330 Eckebertus, clericus Leodiensis ecclesiae, natione Teutonicus, in diuinis scripturis eleganter doctus et in secularium literarum disciplinis ad perfectum instructus, scripsit et metro et prosa nonnulla opuscula, quibus nomen suum ad posteritatis notitiam transmisit. E quibus extat uolumeri metro eleganti compositum, quod praenotauit De aenigmatibus rusticanis liber 1. De eadem re alius maior, liber 1. Et quaedam alia. Claruit temporibus Henrici Imperatoris tertii. Anno Domini 1060[!] und Chron. Hirsaug. I 217 unter d.J. 1068 Claruit his quoque temporibus Egkbertus, Leodiensis ecclesiae clericus, in diuinis scripturis eruditus et saecularis philosophiae non ignarus, qui tam metro quam prosa nonnulla synthemata com- | |||||||||||||||||||||||||
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posuit, quibus nomen suum posteritati commendauit. E quibus extat uolumen eleganti metro compositum, quod praenotauit De aenigmatibus rusticanis. Quod opus cum placeret multis, postea rescribendo ampliauit et in maius uolumen extendit. De caeteris eius opusculis nihil uidimus. Tritheim hat also den Sigebertschen Kern mit einigen formelhaften Zusätzen ausgeschmückt und vornehmlich die Datierung des Werkes hinzugefügt. Wir würden auf seine Zahlenangabe bei seiner bekannten Unglaubwürdigkeit kein Gewicht legen, wenn sie nicht von allen späteren litterarhistorischen und bibliographischen Lehrbüchern infolge der Unbekanntschaft mit der Dichtung selbst übernommen wäre und wegen ihres ehrwürdigen Alters wie ihrer Allgemeingültigkeit eine gewisse Berücksichtigung erheischte. Tritheim hat sie entweder erfunden oder aus der Reihenfolge der Autoren bei Sigebert erschlossen, die allerdings irre führen kann. Letzterer ordnet nämlich so: c. 138 Adalbold von Utrecht, 139 Abbo von Fleury († 1004), 140 Aribo von Mainz († 1031), 141 Burchard von Worms († 1025), 142 Olbert von Gembloux († 1048), 143 Alpert von Metz-Utrecht (schrieb De diuersitate temporum um 1022), 144 Guido von Arezzo (Hauptthätigkeit zwischen 1023 und 1036), 145 Chilperich (schrieb 1006 De ratione computi), und kommt nun 146 auf Egbert; dann folgt eine Reihe von Männern, die sämmtlich in die zur Loslösung der morgenländischen Kirche von Rom führenden Streitigkeiten verwickelt waren: 147 f. die Griechen Leo Acridanus und Niceta Pectoratus, 149 Papst Leo IX, 150 f. Cardinal Humbert und sein Dolmetscher Paulus. Da somit Egbert zwischen einem Verzeichniss solcher Schriftsteller, deren Glanzzeit in den Anfang oder doch in die ersten Jahrzehnte des XI. Jahrh. fällt, und einer sich um das weltgeschichtliche Ereigniss von 1054 gruppierenden Autorenreihe mitten inne steht, so konnte er mangels anderweitiger Nachrichten leicht von Tritheim der letzteren Abtheilung zugerechnet werden, während wir ihn mit demselben, oder, wenn der Inhalt des Sigebert-Artikels auf die Fecunda Ratis passt, mit grösserem Rechte der vorhergehenden Gruppe zuzählen dürfen. | |||||||||||||||||||||||||
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Diese Bedingung wird aber hier in einem seltenen Grade erfüllt. Egebertus entspricht dem E., clericus Leodiensis den in unserem Abschnitt über Adalbold rege gemachten Vorstellungen, metrico stilo der angewandten Versform des Hexameters, de aenigmatibus rusticanis dem Inhalt des Werkes in seinem ersten Anlauf (Dedic. 1, 11-17). Freilich ist das nicht der Name des Gedichts in seiner gegenwärtigen Fassung, aber dieser ist ja auch in unserer Handschrift im Scholion zu I 3 f. versteckt, und selbst bei Dichtungen, deren Titel sich handschriftlich länger erhielt und weiter verbreitet war, begnügt sich Sigebert öfter mit der blossen Angabe des sachlichen Inhalts; so sagt er cap. 157 von Arnulf, dem Verfasser der Delicie cleriGa naar voetnoot1), Arnulfus monachus, excipiens de Frouerbiis Salomonis conuenientiores sententias, et litteram et allegoriam metrico lepore scripsit et digessit. In der That wollte der Dichter anfänglich nur die seines Wissens noch nie niedergeschriebenen (Dedic. 1, 16. 2, 9-11), im gemeinen Volke umlaufenden räthselartigen Sprichwörter sammeln, damit die heranwachsende Jugend sich an ihnen die Zähne herausbeisse und den Verstand schärfe (ingeniolum quodammodo acueret Dedic. 2, 5); und dazu boten diese Spruchräthsel eine zwiefache Gelegenheit, indem jedes einzelne einerseits den prägnanten Moment einer längeren Fabel oder Erzählung in sich barg, somit zur Reconstruction des ganzen µṽϑος einlud, anderseits in dieser concreten Form eine Regel der Lebensklugheit sinnbildlich andeutete, folglich zur Auffindung des richtigen έπιµúϑιον anregte und damit zugleich im kindlichen Spiel, in harmlosen Schulübungen jene Gymnastik des Geistes zu entwickeln und bis zu einem gewissen Grade abzuschliessen geeignet war, die zu der späteren allegorischen und ethischen Auslegung der h. Schrift erfordert wurde. Und vollends bezeichnet ja aenigma im Bibel- und Kirchenlatein nicht eigentlich das, was wir ‘Räthsel’ nennen, sondern jedes, wenn auch noch so kurze, einen lehrhaften Kern um- | |||||||||||||||||||||||||
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schliessende Gleichniss oder bispel und wird daher neben parabola und prouerbium abwechselnd in gleichem Sinne gebraucht, vgl. Iob XIII 17, Ev. Johann. XVI 25, 1 Corinth. XIII 12, Augustin. in Psalm. 138, 8 Aenigma id est obscura quaedam figura rerum und danach Gregor. Mor. XI 37, 50 Per hoc, quod aenigmata nominat, figuratas se habere locutiones demonstrat, wie den Titel von Alans Sprichwörtersammlung Liber Parabolarum. Wenn schliesslich der Dichter im weiteren Verlaufe weder die durch den Begriff aenigma gezogene Grenze noch das durch das Attribut rusticanus bestimmte Quellgebiet streng festhielt und mit logischer Consequenz durchführte, so theilt er diesen Fehler mit allen Sprichwörtersammlern des MA ohne Ausnahme, und gerade die Buntscheckigkeit eines aus einheimischem Volksgut, biblischen und patristischen Reminiscenzen wie antiken Lesefrüchten gemischten Spruchbestandes gibt dem Ganzen das eigenartig mittellateinische Gepräge. Der Schluss endlich der Sigebertschen Notiz gewährt uns einen werthvollen Beitrag zur Entstehungsgeschichte des Werkes, der durch den Blick in die vor uns liegende Dichtung vollauf bestätigt wird. Beide von jenem bezeugte Recensionen sind erhalten: die kürzere Urform ist in der ausführlicheren Überarbeitung aufgegangen, aber noch als solche leicht kenntlich. Vers 1-4 bilden den Prolog, 1005-1008 den unverkennbaren Epilog einer Spruchsammlung, die, wie oft in der Poesie des MA, aus rund 1000 Versen bestand; genau derselbe Umfang findet sich in Prospers Carmen de ingratis, beim Anonymus de laudibus Berengarii, bei Hugo Ambianensis Opusc. in PentateuchumGa naar voetnoot1), Rodulfus Tortarius in der Translatio S. Mauri, Heinrich von Melk im Memento mori und vor allem bei Aldhelm in seinem auch im Titel an Egberts ersten Entwurf erinnernden Liber aenigmatumGa naar voetnoot2). Was dann den Dichter später bewog, diese ursprüngliche Fassung zu erweitern, werden wir unten zu untersuchen haben. Jedenfalls trifft der Inhalt von | |||||||||||||||||||||||||
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Sigeberts Egbert-Artikel in seinem ganzen Umfange auf den Autor der Fecunda Ratis zu. Für Zeit und Ort, Namen und Stand ist somit eine feste Grundlage gewonnen: er lebte unter Otto II und III, Heinrich II und Konrad II, unter den Lütticher Bischöfen Notker († 10/4. 1008), Balderich († 29/7. 1018), Wolbodo († 21/4. 1021), Durand († 14/1. 1025) und vielleicht Reginard († 1036). Es ist nicht allzuviel, was wir von seinem Jugend- und Mannesleben wissen. Aus einem deutschenGa naar voetnoot1), adligenGa naar voetnoot2) Geschlechte stammend und für die Laufbahn des Weltgeistlichen bestimmt, wurde Egbert um 979 der Schule Notkers als Alumnus übergeben. Er machte in den nächsten drei Jahren den üblichen Elementar-UnterrichtGa naar voetnoot3) durch, lernte also vorzugsweise lesen und memorierte den Psalter, und widmete sich dann von 982-990 dem Studium der sieben freien Künste, zumal dem Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und der dahin gehörigen Lectüre der römischen Classiker; denn die Kenntnisse, die er in den Fächern des QuadriviumsGa naar voetnoot4) zeigt, sind äusserst spärlich, und bezeugt wird uns nur, dass die mathematischen Studiën in Lüttich unter Zöglingen Herigers, wie Wazo, und Fulberts von Chartres, wie Rodolf und Adelmann, in Blüthe standen. In regem Wettstreit mit begabten Mitschülern, unter denen er namentlich dem Adalbold früh näher trat, nach der Anerkennung des Lehrers ringend und mit Feuereifer alles ergreifend, was ihm die Schule bot (vgl. I 1678-1681), wird er sich auch das Wohlwollen Notkers erworben haben und | |||||||||||||||||||||||||
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von diesem gelegentlich auf seinen Inspectionsreisen mitgenommen worden sein, schwerlich aber auf seinen politischen Missionen, wie er dergleichen nach Italien (989) und nach Paris (1006) unternahm, da solche grösseren Reisen doch wohl nachhaltige, in seiner Dichtung fortwirkende Eindrücke zurückgelassen hätten. Mit welch ausdauernder Hingebung er sich dann seit dem Beginn der 90er Jahre auf die theologischen Fachstudien gelegt hat, dafür bietet seine umfassende Belesenheit und gründliche Kenntniss auf dem Gebiete der Bibel wie der Kirchenväter auf jeder Seite seines Werkes schlagende Beweise. Und in dem Grade wie er unter der persönlichen Leitung seines Bischofs in alle Zweige der Gottesgelahrtheit eindrang und mit den gesammten Obliegenheiten des Kirchendienstes vertraut wurde, muss er auch in der regelrechten Zeit die einzelnen Stufen hinauf zum subdiaconus, diaconus und sacerdos - als presbiter bezeichnet er sich selbst in der Dedication - gestiegen sein und einen festen Platz in der Domgeistlichkeit erlangt haben, was ihm um so mehr erleichtert wurde, als in dem stattlichen Collegium von 60 Canonikern der Cathedrale ein nicht geringer Abgang durch Tod oder Berufung stattgefunden haben wird und Notkers, seines benignus herus (I 1011), wie seines zum Archidiaconus aufgerückten Freundes Adalbold Zuneigung ihm gesichert blieb. Ob er nun im Verlauf dieser Zeit, wie wir bei dem letzteren anzunehmen Grund hatten, eine Reihe von Jahren ein Lehramt ausserhalb der bischöflichen Residenz verwaltet und etwa, wie W. Wattenbach auf Grund von I 1166 ff. vermuthet hat, Scholasticus an einem Stifte der Ardennen gewesen ist, lassen wir dahingestellt; denn wollten wir die wenigen auswärtigen Stätten, welche er erwähnt, auf zeitweise Aufenthaltsorte des Dichters beziehen, so müsste er auch in Aachen (I 876) gelebt haben und den Mons Iouis (I 1054 ff.) überschritten haben. In jedem Falle kehrte er nach LüttichGa naar voetnoot1) zurück, denn er verfasste sein Werk, | |||||||||||||||||||||||||
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wie Sigebert und das Gedicht selbst bezeugt, als clericus Leodiensis, und zwar unter dem Bischof Durand, dem Propst Johannes und dem Decan Wazo. Und ihn fesselte an Lüttich eine Gabe, die nicht jedem verliehen ist, ein Wirkenstrieb, der, zum mindesten in gleicher Stärke und in einer bis in das Greisenalter anhaltenden Intensität, nicht allzuhäufig in dem Kreise der Domherren gewesen sein wird: nicht sich damit begnügend, seinen Sitz im Chor, im Refectorium, im Dormitorium regelmässig einzunehmen, wurde er hier schon in jugendlichen Jahren (I 1681) Lehrer und blieb es ununterbrochen bis in die Tage abnehmender Kraft. Er wurde Schulmann von Beruf, und so mannigfache Nachrichten uns auch über die Lütticher Pädagogen des XI. Jahrh. überliefert sind: keiner von ihnen hat uns ein so hervorstechend für Erziehung und Unterricht bestimmtes Werk hinterlassen und einen so tiefen Einblick wenigstens in eine Periode seines Lehrerlebens gewährt wie Magister Egbert. Bevor wir indessen das Bild des Lehrers und des Greises zeichnen können, müssen wir uns erst über die Frage klar werden, an welcher Anstalt er thätig war und welche Stellung er innerhalb des Lehrpersonals derselben einnahm. Was für Schulen bestanden also damals in Lüttich? Natürlich kommen für uns nur Dom- und Stiftsschulen in Betracht; die Klosterschulen liegen ausserhalb des Kreises weltgeistlicher Wirksamkeit und wurden auch erst nach der Zeit Notkers und Balderichs gestiftet. Denn von den beiden Lütticher Klöstern ist S. Lorenz erst durch Erweiterung aus der gleichnamigen Kirche, die unter dem Beginner des Baues, Ebrachar, wie unter seinen beiden Nachfolgern eine aecclesia canonicae religionis, kein monasterium war,Ga naar voetnoot1) durch Wolbodos Entschliessung und reiche Erbschaft wie Reginards weitere Zuwendungen entstanden; die Abtei wurde erst durch | |||||||||||||||||||||||||
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Stephanus (1026-1061) mit sechs Mönchen besetzt und hat schwerlich vor dem Einweihungsjahr 1034, wo die Zahl der Brüder auf 30 vermehrt wurde, eine Schule erhalten.Ga naar voetnoot1) Das Kloster S. Jacob anderseits wurde erst im April 1016 begonnen und kann nicht vor 1020, in welchem Jahre Olbert von Gembloux als erster Abt die Leitung übernahm, einen regelmässigen Unterricht eingerichtet und gepflegt haben; der Abschluss des Kirchenbaues erfolgte erst im Jahre 1030. Wohl aber gab es vor 1020 bereits Pfarrschulen. Lüttich besass damals ausser der von Notker völlig umgebauten und unter Balderich 1015 eingeweihten Cathedrale sieben Kirchen: 1. zum h. Martin, 2. zum h. Paul, 3. zum h. Kreuz, 4. zum h. Johannes-Evangelist, 5. zum h. Lorenz, 6. zum h. Dionysius, 7. zum h. Bartholomaeus; 1 und 2 von Ebrachar, 3 und 4 von Notker erbaut, 5 von jenem begonnen, von diesem vollendet, 6 vom Domcustos Nithard unter Notker begründet, 7 vom Dompropst Godeschalk in der Vorstadt gestiftet und 1015 eingeweiht; 1 zu 30, 2 zu 20 (durch Notker 30), 3 zu 15 (durch Wazo 30), 4 zu 30, 6 zu 20 (später 30), 7 zu 12 (durch Reginard 20, durch Wazo 30) Canonikern. Selbstverständlich waren an diesen sieben Pfarrkirchen niedere Schulen eingerichtet, schon um das für den Gottesdienst erforderliche Hülfspersonal der ostiarii, lectores, exorcistae, acolythi und namentlich einen leistungsfähigen Kirchenchor auszubilden; und wenn über S. Johannes-Evangelist ausführlich berichtet wirdGa naar voetnoot2) Ipse Notgerus ecclesiam beati Ioannis Euangelistae in exemplum eruditionis et operis, secundum claustralem disciplinam, bonis personis initiauit: nam praepositum et decanum de ipsa congregatione fratrum elegit, custodem et magistrum scholarum et cantorem, attributo unicuique dignitatis suae officio et laboris solatio, constituit, et dispositis omnibus, quae in usus canonicorum uel secundum canonicam | |||||||||||||||||||||||||
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diligentiam pertinent, principale altare in honore beati Ioa. Euang. manu sua consecrauit, so dürfen wir dies, insbesondere die den Schulunterricht betreffende Stelle, auch auf die übrigen Gotteshäuser übertragen, wissen wir doch aus dem Urkundenbuch der Cathedrale, dass zu ihr an den höchsten Festen der Christenheit omnes de septem canonicis ecclesiis conuenire debent cum scholis suis, ut nullus desit.Ga naar voetnoot1) Es verschlägt dabei nichts, dass Scholastici derartiger Schulen nur vereinzelt bezeugt sind, nämlich ausser für S. Johann selbstGa naar voetnoot2) nur noch für S. MartinGa naar voetnoot3), nicht aber, wie Bittner p. 27 annimmt,Ga naar voetnoot4) auch für S. Paul. Nirgends hingegen findet sich ein zuverlässiges Zeugniss dafür, dass diese Anstalten über das Niveau kirchlicher Vorschulen hinausgegangen sind; auch für die Schule zu S. Bartholomaeus, die sicherlich im Jahre der Kirchenweihe 1015 entstand und deren Scholasticat schon wenige Jahre nachher mit einem besonderen beneficium ausgestattet wurde,Ga naar voetnoot5) darf dies | |||||||||||||||||||||||||
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bezweifelt werden.Ga naar voetnoot1) Es ist nicht glaublich, dass die Mutterkirche, die doch sonst ihre Privilegien eifersüchtig behütete und jede Verletzung derselben unnachsichtlich bestrafte, sich | |||||||||||||||||||||||||
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in einer Tochter eine gefährliche Concurrentin erzogen haben würde.Ga naar voetnoot1) Unser Ergebniss ist: um 1020 gab es in Lüttich nur eine höhere Lehranstalt, welche das, was wir Gymnasium und theologische Akademie nennen, in sich vereinigte und deren alter Lehrer von sich sagen konnte Stamina quondam sciolis subtilia neui (I 1507), und das war die Domschule. Freilich sind die Aussichten, unseren Egbert hier unterzubringen, von vorn herein äusserst gering. Denn in der Liste der Lütticher ‘Domscholastiker’ des XI. Jahrh. war schon zu Bittners Zeit (p. 26) kein Platz mehr frei, und nun hat man neuerdings gar noch einen ‘Leiter der Schule’ gefunden, so dass alles vollbesetzt zu sein scheint. Versuchen wir trotz des Zurück!, das uns von allen Seiten entgegenschallt, Raum zu schaffen und in diesem Sinne das Lehrpersonal der Hochschule zu prüfen. Welches sind also die Scholastiker, d.h. die Rectoren der Schule von St. Lambert? Die Reihe eröffnet Wazo, der, von Heriger vorgebildet und an Notker empfohlen, nach längerer Thätigkeit in der bischöflichen Capelle im Jahre 1008 mit der Leitung der Anstalt betraut wurde.Ga naar voetnoot2) In ihm hatte sich Notker einen würdigen Nachfolger für seine auf Hebung des Schulwesens gerichteten Bestrebungen ausersehen: wie die Bienen von den verschiedensten Stöcken und Ständen her zu dem duftenden Blüthenbaum | |||||||||||||||||||||||||
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zusammenschwärmen, so strömten von allen Seiten her die Schaaren der Wissensdurstigen nach seinen Hörsälen, dermassen dass er durch strenge Aufnahmeprüfungen unberufene Elemente abzuschrecken und fernzuhalten gezwungen war, wenn anders er seinen auserlesenen Kreis rein erhalten wollte. Im Jahre 1017 zum Decan des Domcapitels befördert, behielt er sein Schulamt bei,Ga naar voetnoot1) das ihm so ans Herz gewachsen war, dass er später noch als Bischof (1042-1048) gern den Magister herauskehrte. Über den Zeitpunkt, wann er das Rectorat niederlegte, gehen die Meinungen aus einander, zwischen 1021Ga naar voetnoot2) und 1031Ga naar voetnoot3) schwankend; Anselm gibt das Jahr nicht an, leitet aber doch die unverkürzte Wiedergabe eines von Wazo an den Propst Johannes gerichteten Briefes mit den Worten einGa naar voetnoot4) Seripsit itaque sic memorato Ioanni, nouiter concessa sibi missione a scolaris studii amministratione. Wann ist also der Brief geschrieben? Der Adressat desselben ist als Archidiacon schon im Jahre 1007Ga naar voetnoot5) und in gleicher Stellung noch im April 1021 nachweisbar, wo Wolbodo auf dem Sterbebette sich an Ioannem archidiaconum, postea praepositumGa naar voetnoot6) wendet, und wurde der Nachfolger des Propstes Godeschalk, der noch bei der Einführung Bischof Durands zugegen war; wie lange darüber hinaus er gelebt und wann er somit dem Johannes Platz gemacht hat, wissen wir nicht. Soweit wäre die Möglichkeit, dass der Brief schon 1022 abgefasst sei, nicht ausgeschlossen; indessen sind die Verhältnisse, die er schildert, und die Folgen, die er für den Absender gehabt hat, von der Art, dass wir alle Ursache haben, ihn weit später anzusetzen. Es ist ein offener Fehdebrief, in dem der Decan eine grundsätzliche Verletzung der seinem Amte zustehenden Rechte beklagt und den | |||||||||||||||||||||||||
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Gegner der ärgsten Übergriffe beschuldigt, da er sich als praepositus potens, als unumschränkter, bevollmächtigter Verwalter des Kirchenguts betrachte und jede collegialische Mitwirkung wie des Capitels überhaupt so insbesondere des Decans ausschliesse. Was beide Männer trennt, ist somit zunächst eine Rangfrage,Ga naar voetnoot1) damit aber zugleich eine MachtfrageGa naar voetnoot2) wie eine Geldfrage, insofern der Propst ohne Anhörung der Domherren über die gesammten Einkünfte verfügte und seine Finanzverwaltung der scharfen Controle so vieler und so guter Augen entzog,Ga naar voetnoot3) ja eine Frage des ganzen sittlichen und geistigen Lebens, da Johannes, indem er ganz in seinen wirthschaftlichen Interessen aufgieng und nur einmal wöchentlich oder gar monatlich seinen Chorherrnsitz einnahm, durch sein schlechtes Beispiel die guten Sitten verdarb und ebenso die Ordnung des canonischen Lebens wie den Eifer für die gelehrten Studien zu vernichten drohte.Ga naar voetnoot4) Nun liegt es in der Natur der Sache, dass erst eine geraume Zeit verflossen sein muss, ehe der Gegensatz zweier Amtsgenossen und ehemaligen Freunde sich bis zu einem solchen Grade zuspitzen konnte: Johannes muss erst fest im Sattel geworden sein, sich allmählich von der collegialischen Mitbestimmung des Domclerus, der unter seinem selbstlosen und bescheidenen VorgängerGa naar voetnoot5) obenein gewiss verwöhnt war, freigemacht und zur selbstherrlichen Dictatur auf- | |||||||||||||||||||||||||
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geschwungen haben; Wazo anderseits muss von Stufe zu Stufe die gelinderen Mittel versucht, namentlich aber die Vermittlung eines ihm übelwollenden Bischofs vergeblich angerufen haben, und das kann nur der durch Simonie auf den Bischofsstuhl gelangte, als Geldmann dem Johannes ebenso nah wie als Gegner der Klosterreformer dem Wazo fern stehende Reginard gewesen sein; denn bei dessen vier Vorgängern, dem Notker, der ihn so hoch erhoben, dem freundlichen, herzensguten Balderich, dem Reformfreunde und ehemaligen Scholasticus Wolbodo wie bei seinem einstigen Mitschüler und Collegen Durand, stand Wazo in Gunst.Ga naar voetnoot1) Anderseits lässt sich voraussehen, dass, wo zwei Männer, wie diese, beides harte, unnachgiebige, selbstbewusste Naturen, so scharf zusammengerathen, die Katastrophe vor der Thüre steht und dass einer von beiden weichen muss; und dementsprechend berichtet Anselm unmittelbar darauf: der Propst hetzt die Bauern und Winzer des Decanatgutes gegen ihren gestrengen Herrn auf, sie umzingeln in der Nacht sein Haus und stecken es in Brand, nur mit knapper Noth rettet er sein Leben; seine Freunde von der Reformpartei bewegen ihn, schleunigst die Stadt zu verlassen, zumal Abt Poppo, der gleichfalls durch Reginard (1026) aus Lüttich vertrieben war, dieser nimmt den Fliehenden in Stablo gastlich aufGa naar voetnoot2) und bewirkt seine Berufung in die kaiserliche Capelle, der Reginard selbstverständlich gern zustimmt. Alles dies muss in das Jahr 1031 fallen, denn in diesem unterzeichnet er noch als Zeuge die Urkunde für S. Bartholomaeus und um den Herbst des folgenden Jahres ist er bereits nach neunmonatlichem Aufenthalt am kaiserlichen Hofe wieder in Lüttich, wo inzwischen Propst Johannes gestorben und Wazos Freund Lambertus gefolgt war.Ga naar voetnoot3) | |||||||||||||||||||||||||
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Darf somit Absagebrief, Hausbrand, Flucht zu Poppo, Reise und Ankunft am Hofe in das Jahr 1031 gesetzt werden, so wird die kurz zuvor erfolgte Niederlegung seines Schulamtes dem Jahre 1030 zuzuweisen sein. Leicht ist ihm dieser Schritt jedenfalls nicht geworden, denn einerseits verliess er damit die liebgewordene Stätte einer langen und gesegneten Wirksamkeit, anderseits verlor er damit die aus dem Scholasticat ihm zustehenden Einkzünfte so vollständig, dass ihm nicht einmal ein Emeritenantheil belassen wurde.Ga naar voetnoot1) Aber ebensowenig konnte er verkennen, dass unter der Herrschaft dieses Geistes das Leistungsmass wie die Disciplin der An- | |||||||||||||||||||||||||
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stalt immer mehr zurückgehn musste, und in wie hohem Grade dies am Ende der Zwanziger wirklich der Fall war, lehrt eine Stelle seines Briefes ganz unwiderleglich.Ga naar voetnoot1) Den Niedergang der Anstalt während dieses Jahrzehnts ersehen wir auch daraus, dass eine Anzahl Lütticher Kinder sich darauf beschränkte, die unteren Classen der heimischen Domschule durchzumachen, und dann zur Erwerbung einer höheren Bildung zu auswärtigen Lehrern, namentlich zu Fulbert nach Chartres gieng, der in einem Briefe an ReginardGa naar voetnoot2) ausdrücklich bezeugt, wie dieser seine dispersas oues sollicite ac longi itineris labore zurückzuholen suchte. Und ebendasselbe Jahrzehnt ist es, auf das sich Adelmanns Klage beziehtGa naar voetnoot3)
Legia, magnarum quondam artium nutricula,
Non sic, o!, nunc, dominante uirtuti pecunia!
Aber freilich, Bittner p. 8 meint, um 1021 sei das Regiment über die Lütticher Domschule wahrscheinlich auf Alestan übergegangen: ‘denn dass Alestan Lehrer zu Lüttich war, geht aus Adelmanns Rhythmus hervor, dieser nennt da drei Lütticher: Warinus, Alestan und Odulf, die alle drei unter Durand in Lüttich wirkten. Alestan erlag nach wenigen Jahren auf einer Reise nach Italien den dort herrschenden Fiebern. Odulf, sein Nachfolger, starb auch kurz darauf.’ Das angezogene Gedicht Adelmanns ist in zwei Hss. erhalten, einer Brüsseler und einer Kopenhagener,Ga naar voetnoot4) die zwei verschiedene Recensionen von des Verfassers eigner Hand darstellen: jene, die | |||||||||||||||||||||||||
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jüngere (A2), hat er nach 1040, wo der in K 1 erwähnte Sigo noch lebte, ja nach 1047, wo er Lüttich verliess, und vor seiner Ernennung zum Bischof von Brescia, die zwischen 1055 und 1057 erfolgte,Ga naar voetnoot1) in Speier verfasst; diese, die ältere (A1), in LüttichGa naar voetnoot2) vor seiner Erhebung zum Domscholasticus nicht eben lange nach dem Tode des Bischofs Fulbert von Chartres (10. April 1028), genauer gesagt, da alle darin erwähnten Freunde nach Y 2 innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren verstorben sind, nicht vor 1023 und nicht nach 1033 gedichtet. Der Mabillonsche Titel ‘Rhythmi alphabetici de uiris illustribus sui temporis’ ist willkürlich und in keiner Hs. überliefert: es ist ein Klagegesang auf die summos uiros, litterarum lumina, Quos recenti recordatur mens dolore saucia (A 2 f.), in Wirklichkeit aber nict, was es verspricht, eine Trauerode auf die in diesem Zeitabschnitt heimgegangenen grossen Geister des Abendlandes oder auch nur Deutschlands und Frankreichs, sondern eine im engsten Local- und Pennalpatriotismus befangene Todtenliste der Schule von Chartres, sodass Berengar von Tours, dem A2 gewidmet ist, sein Urtheil darüber mit Recht in die Worte Nascitur ridiculus mus zusammenfassen und den Namen des Verfassers spöttisch zu Aulus Mannus, zu deutsch etwa ‘Aujust Ross’, verdrehen konnte. Es besingt 12 Freunde, zunächst Fulbert selbst (C-F), geht in G zu seinen verschiedenen Orten entstammten Schülern über, deren 7 genannt werden, und gelangt schliesslich in Q, wie in A2 noch deutlicher hervortritt,Ga naar voetnoot3) zu einer bescheiden ans Ende gestellten | |||||||||||||||||||||||||
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zweiten Gruppe seiner Schüler,Ga naar voetnoot1) die nach Lüttich hingehören, sei es dass sie sich dort länger aufgehalten haben und bestattet sind (9), sei es dass dort ihre Heimath war (10-12); denn wir wissen ganz bestimmt,Ga naar voetnoot2) dass Ragimbold (9) ein Schüler Fulberts war, und wo bliebe die Einheit des Gedichts, wenn nun plötzlich als nro 9-12 Lütticher Gelehrte genannt würden, die nicht zum Schülerkreise des Bischofs von Chartres gehörten? Diese nro 10-12 enthaltenden Strophen sind es, die Bittner im Auge hat, sie lauten nach A1
Tres michi, Camena diues,Ga naar voetnoot3) memora de pluribus:
Illum, quem proculGa naar voetnoot4) extinctum transalpinis febribus
Lugent arces,Ga naar voetnoot5) lugent urbes cum uiris illustribus;Ga naar voetnoot6)
Vix amissum quereremus,Ga naar voetnoot7) Odulfo superstite,
Alestanum, quamuis essetGa naar voetnoot8) ueteris scientiae,
Sicut hi, quos enutriuit,Ga naar voetnoot9) satis florentGa naar voetnoot10) hodie;
Xerampelinos ornatus cum paucis iugeribus
Presul durusGa naar voetnoot11) denegarat: at tu, MettisGa naar voetnoot12) profugus,
Multas illic opes nactus, GerardeGa naar voetnoot13) es et conditus.
Daraus ergibt sich: alle drei sind gleich Adelmann in Lüttich geboren und in Chartres gebildet; für Alestan speciell, dass er Lehrer - nicht Scholasticus des Domes - war, aber nicht, wo er das war, dass er einen Kreis hervorragender Schüler bis zur Reife ausgebildet hat, was wohl auf eine längere Wirksamkeit (etwa in Chartres selbst), aber nicht auf die paar Jahre seines vermeintlichen Lütticher Scholasticats passt; für Odulf | |||||||||||||||||||||||||
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speciell, dass er, nach der Richtung und der Tiefe seines WissensGa naar voetnoot1) dem Alestan ähnlich, falls er noch lebte, vollen Ersatz für diesen bieten und das Bild des Verewigten über das Grab hinaus lebendig erhalten würde. Weiter nichts; wer mehr daraus schliesst, der irrt. Und dennoch erfahren wir den wirklichen Nachfolger Wazos gerade aus diesem Gedichte: in A2 tilgt dessen Verfasser nämlich den in S 3 ausgesprochenen scharfen Tadel gegen die Lütticher Domschule und füllt die Zeile damit aus, dass er den neuen Domscholasticus nennt; er bezeichnet aber als solchen nicht den von ihm so hochgeschätzten Alestan oder Odulf, sondern - sich selbst:
Legia magnarum quondam artium nutricula,
Sub Wathone, subque ipso, cuius haec sunt rithmica.
Den Zeitpunkt seines Amtsantritts setzt Bittner in die Jahre 1025-1028, weil nämlich Fulbert in einem zweifellos innerhalb dieser Zeit an Bischof Reginard gerichteten BriefeGa naar voetnoot2) sich bereit erklärt, den aus Lüttich gebürtigen Subdiaconus A. in seine Vaterstadt zurückzusenden; aber einerseits lässt der Anfangsbuchstabe A. mit gleichem Rechte eine Deutung auf Alestan zu, anderseits erfüllt Fulbert diese Bitte nur in der Voraussetzung, dass der Beurlaubte bald nach Chartres zurückkehren werde. Ist Adelmann damit gemeint, so kann es recht wohl sein, dass Reginard in Voraussicht eines über kurz oder lang eintretenden Rectoratswechsels diesen als Nachfolger ins Auge fasste und einer persönlichen Prüfung unterzog, und dass sich dann der Urlaub durch den inzwischen erfolgten Tod Fulberts über die verabredete Zeitgrenze ausdehnte; in jedem Falle aber ergibt sich aus unseren obigen Ausführungen, dass Adelmann erst um 1030 die Leitung der Anstalt übernommen haben | |||||||||||||||||||||||||
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kann. Wir erhalten somit für die Glanzzeit der Lütticher Domschule folgende Scholastikertrias: Wazo 1008-1030, Adelmann 1030-1047, Franco 1047-1084.Ga naar voetnoot1) Man könnte nun einwenden, wir hätten unseren Egbert nicht etwa bloss vergessen, sondern wollten ihn aus dem Kreise, zu dem er ersichtlich gehört, geradezu hinausstossen. Indessen muss manchen noch heute herrschenden irrthümlichen Anschauungen gegenüber entschieden darauf hingewiesen werden, dass eine bischöfliche Domschule nicht wie eine einclassige Dorfschule der ausschliesslichen Thätigkeit eines einzigen Mannes anvertraut gewesen sein kann. Vielmehr waren für die zwischen dem 7ten und 18ten Lebensjahre stehenden Zöglinge je nach Alter und Bildungsstufe verschiedene Abtheilungen nöthig, zumal bei einer starkbesetzten,Ga naar voetnoot2) weit und breit berühmten Domschule, die ebenso die gründlichste innere Durchbildung wie die ehrenvollste äussere Laufbahn versprach, und die Aufgabe, diese alle zu leiten, hätte die körperliche und auch die geistige Kraft eines Einzigen überschritten; denn gerade in dieser Zeit und gerade in den lothringischen und nordfranzösischen Schulen traten die mathematischen Studien so sehr hervor, dass wir uns unmöglich immer die höchsten Spitzen des philologischen und des mathematischen Wissens in derselben Person vereinigt | |||||||||||||||||||||||||
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denken können. In der That fehlt es nicht an ZeugnissenGa naar voetnoot1) dafür, dass, wie in den Klöstern unter der Leitung des magister principalis eine grössere oder geringere Anzahl von Lehrern wirkte, so an den Domschulen unter dem magister scholarum (scholasticus), zumal wenn derselbe, wie in unserem Falle, durch seine Decanatsgeschäfte vielfach anderweitig in Anspruch genommen war, mehrere Magister thätig waren; und wenn wir im XII. Jahrh. in Toul neben dem Scholasticus drei Lehrer des höheren Unterrichts, die mit einer Canonicatspfründe bedacht waren, vorfinden, so dürfen wir hier, wie öfter, ähnliche Verhältnisse in früheren Zeiten vermuthen. Der stellvertretende Vorsteher hiess adiutor scholarum, proscholus, und der in Adelmanns Rhythmus erwähnte Rainald von Tours zeichnet urkundlich als Raginaldus sacerdos submagister scholae,Ga naar voetnoot2) die sonstigen Hülfslehrer hiessen meist kurzweg magistri. Sehr lehrreich ist die Titulatur in dem mathematischen Briefwechsel zwischen dem Domscholasticus Ragimbold von Köln und dem Dommagister Rodolf in Lüttich,Ga naar voetnoot3) der in die Zwanziger vor Fulberts Tod fällt: letzterer bezeichnet seinen Kölner Freund als Schulgeneral (Coloniensis aecclesię generalissimus scholasticus), sich selbst als magister particularis et infimus und wird von ihm als Leodiensis ecclesiae magister specialis angeredet, daneben findet sich die kurze Bezeichnung Ragimbolds als scholasticus, Rodolfs als magister; dieser war also nicht Leiter der Domschule, sondern quadrivialer Fachlehrer, wie die früher erwähnten Gozechin und sein Nachfolger Walcher die Fächer des Triviums daselbst gelehrt haben werden. Und ein solcher sacerdos submagister scholae war auch unser Dichter. Auch sein Gebiet waren die Fächer des Triviums: er lehrte Grammatik und Wortschatz der lateinischen Sprache,Ga naar voetnoot4) | |||||||||||||||||||||||||
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Rhetorik,Ga naar voetnoot1) DialektikGa naar voetnoot2) und übte deren Gesetze bei der Lectüre der altclassischen wie der christlichen Autoren ein, in denen er, durch die besten CommentareGa naar voetnoot3) in seinem Verständniss gefördert, wohl zu Hause war und deren Gedanken und Ausdrucksformen in zahlreichen Sprüchen und Wendungen seines Werkes wiederklingen. Dass aber nicht bloss einzelne Stellen, sondern die ganze Prora im wesentlichen zu dem Zwecke einer Erweiterung und Ergänzung des trivialen Profanunterrichts geschrieben ist, werden wir unten nachzuweisen haben. Denn, um dies gleich hier vorwegzunehmen, hatte er früher auch begabte und hochstrebende Jünglinge in das philologische Studium einführen dürfen, so wurde er allmählich, da die kleine Zahl wirklicher Oberschüler, die seit dem Niedergang der Anstalt in Lüttich verblieb, sich doch wohl Wazo für seine Selecta reservierte, mehr und mehr auf die Mittel- und Unterstufe, den eigentlichen Tummelplatz des trivialen Elementarunterrichts, herabgedrückt, und wenn ein bejahrter Lehrer für diese Altersstufen, die formidolosi adhuc sub disciplina pueri, die inpuberes (Ded. 2, 1 ff., vgl. I 348, 364), die exigui mures (I 349), ein umfangreiches Lehrbuch schreibt, so werden diese es gerade sein, die seiner täglichen Fürsorge und Verantwortung anvertraut sind. Er sagt es selbst I 1507 ff.:
Stamina qui quondam sciolis subtilia neui,
Torqueo nunc stuppas, rem debilitatis anilem,
Prima elementa docens brutę pecuaria plebis,
Archadicos iuuenes in rusticitate moratos.
Mag immerhin in der herben Fassung dieses Urtheils die Verdriesslichkeit des Alters zum Ausdruck gelangen und auch einige Selbsttäuschung mitunterlaufen, insofern jüngere Lehrer das Begriffsvermögen und die Leistungsfähigkeit ihrer Schüler zu überschätzen, ältere zu unterschätzen geneigt sind: in jedem | |||||||||||||||||||||||||
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Falle zeigt uns die Stelle den auf eine gegen früher niedrigere Bildungsstufe angewiesenen Schulmann, der bei minderwerthigem Menschenmaterial hinter den vordem erreichten Resultaten zurückbleibt. Wenn anderseits der Dichter in den darauf folgenden Versen 1511 ff. seine eigene zunehmende Altersschwäche zum eigentlichen Grunde dieses Niederganges macht, so legen wir darauf kein zu grosses Gewicht, da sich erfahrungsmässig ein alter Schulmann, der bisher wenig oder gar nicht litterarisch thätig war, nur sehr selten zu jener Concentration aller Kräfte entschliesst, die zur Abfassung eines grösseren Werkes erforderlich ist; und wenn Egbert in den beginnenden Fünfzigern dieses Buch schrieb, so liegt darin ein Beweis rüstiger Schaffenskraft. Eher kann in den offenbar übertriebenen Worten eine ironische Concession an seine Neider gesucht werden, die nicht nachliessen, ihn als eine verbrauchte Kraft (confectum uile talentum 1744) aus dem Amte zu wünschen. Auch über die Art seines Unterrichts bietet die Dichtung einige Andeutungen. Er wirkte in gewissenhaftem Diensteifer für seine Kirche und in herzlicher Zuneigung zu seinen strebsamen Alumnen. In feierlichster Form weist er (I 1514 f.) den Gedanken von sich, dass er je aus seiner Lehrthätigkeit in gemeiner Habsucht Geld herausgeschlagen habe: mit dem beneficium seines Amtes zufrieden, hat er, wie Wazo selbst,Ga naar voetnoot1) allezeit jedes, gewiss auch das freiwillig angebotene Honorar verschmäht, und diese Uneigennützigkeit verdient in einer Zeit, in welcher die Zahlung von Schulgeld oder wenigstens die Darbringung eines Abgangsgeschenkes mehr und mehr Sitte wurde,Ga naar voetnoot2) volle Anerkennung. Was ihn leitete, war in der That ideale Begeisterung für seinen Beruf. Allerdings gehörte er nicht zu jenen gewaltigen Naturen, die, von der Alternative | |||||||||||||||||||||||||
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‘Biegen oder Brechen ausgehend, mit nie erschlaffender Energie und zähestem Nachdruck schliesslich auch die Widerstrebendsten wie die Trägsten sich unterwürfig und gefügig zu machen verstehen. Wohl vermochte er die ihm entgegenkommenden, sich seiner Lehre gern und freudig erschliessenden Geister zu befruchten;Ga naar voetnoot1) aber wo Dummheit und Trägheit ihm gegenübertraten, da bekannte er bald seine Ohnmacht und gab seinem Ärger in Seufzern und Klagen Ausdruck,Ga naar voetnoot2) tröstete sich auch mit manchem schönen Sprache,Ga naar voetnoot3) der ihn die individuellen Mängel seiner pädagogischen Befähigung nicht als solche empfinden und das in seinen Lehr-Erfolgen hervortretende Deficit nicht aus der Schwäche des erziehenden Subjects, sondern aus der natürlichen, folglich unüberwindlichen Beschränktheit des zu erziehenden Objects erklären liess. Auch den sonstigen Unarten der Jugend stellt er nicht den vernichtenden Ernst einer starken, ihres Sieges gewissen Persönlichkeit, sondern Klage und Spott entgegen, wie I 1684-1703 in dem Gedicht auf den geschniegelt und gebügelt einherstolzierenden Stutzer, der sich seines Vaters schämt, weil er nicht Herzog, seiner Mutter, weil sie nicht königliche Prinzessin ist. So konnte es leicht kommen, dass ihm begabte ehemalige Schüler über den Kopf wuchsen und ihn als einen überlebten alten Herrn zur Zielscheibe ihrer Angriffe machten, die ihn dann freilich verdrossen und zu einem Streit- und Spottgedicht veranlassten | |||||||||||||||||||||||||
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(I 1199-1220), aber ihm doch bei seinem grundgutmüthigen Wesen bald wieder in milderem Licht erschienen und einen scherzhaft übertriebenen Panegyricus auf den doch wohl zu hart getroffenen Alumnus entlockten (I 1221-1247). Aber trotz derartiger betrübender Erfahrungen hält er an seinem Vertrauen (I 552 f.) auf den Segen des erziehenden und belehrenden Wortes und an seiner wahrhaft väterlichen Liebe zur Jugend fest, und so verwirft er (I 1253-1280, vgl. 442) rückhaltlos die barbarische Strenge, mit der in seiner Umgebung, zumal seit der Zeit Wolbodos und dem Eindringen der cluniacensischen Reform, die Schulzucht gehandhabt wurde. ‘Es regieren’, so etwa äussert er sich, ‘nur noch Ruthe und Stock. Alles - auch was er nicht gelernt hat - soll jetzt der Schüler wissen und können; wo nicht, so wird er unmenschlich zerbläut. Aber nicht Erz und Stein, der behauen, nicht Haut und Fell, das gewalkt wird, ist der Mensch, sondern Geist und Wille, und den jetzigen Lehrern fehlt ganz die Lust und das Geschick, auf die Seele des Kindes einzuwirken, obwohl doch den Bildungsfähigen nur das Wort des Geistes erzieht, nicht der Schlag der Ruthe. Das habe ich früher unter den grossen Meistern der Schule anders machen sehen und machen gelernt: damals galt es, nicht den Leib und mit ihm die Seele in der ersten zarten Blüthe zu knicken und zu vernichten, sondern durch schonende Nachsicht, durch unerschöpfliche Langmuth, die denselben Gegenstand wohl hundertmal zu wiederholen und in immer neuen Einkleidungsformen dem kindlichen Verständniss nahe zu rücken nicht müde wird, allmählich den schlummernden Geist zu wecken, in fester Zuversicht der Stunde zu harren, wo bei jedem einzelnen die Goldader des Geistes an das Tageslicht trete (I 975 f.), und sich bei allem Streben nach den höchsten Unterrichtszielen immer die Thatsache gegenwärtig zu halten, dass das Ideal der Vollkommenheit in unerreichbarer Ferne bleibt und dass ein schlechterdings tadelloser Schüler so wenig zu finden ist, wie ein weisser Rabe oder ein schwarzer Schwan.’ Und wenn wir sehen, wie er den Rest seiner Kraft in treuem Ausharren | |||||||||||||||||||||||||
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seinem sich immer weniger erfreulich gestaltenden Amte widmet (I 1516 ff.), so kann uns dies in unserer herzlichen Theilnahme für den wohl durchgreifender Willenskraft baaren, aber doch so verständigen, so humanen, so liebenswürdigen Schulmann nur bestärken. Je weniger er den von Reims und Chartres, wie von Clugny und Verdun ausgehenden wissenschaftlichen und ascetischen Reformbestrebungen Begeisterung und thatkräftige Nachfolge entgegenbrachte, desto mehr setzte er sich bitteren Enttäuschungen aus: Jahrzehnte mühseligen Schuldienstes sind ihm nutzlos verstrichen (I 297 f., 635 f.), und die Ehre, die sonst den Meistern der Schule erwiesen wurde (I 1139), ist ihm nicht zu Theil geworden: nicht ist er, wie Adalbold und Durand, vom Katheder auf den Bischofsstuhl gestiegen, kein Kaiser hat ihn in seine Capelle berufen, kein Bischof zum Decan oder Propst befördert - er hat, gerade wie Gozechin,Ga naar voetnoot1) nur noch den bescheidenen Wunsch, die demnächst höhere Amtsstufe des Custos zu erreichen (I 1521). Aber trotz alledem: seinen wohlverdienten Antheil an dem Ruhme der Lütticher Domschule wird ihm niemand verkümmern wollen; und wenn man alles, was die Wazo, die Adalbold und Andere seiner Genossen an Denkmälern ihres Wissens und Könnens hinterlassen haben, zusammenstellt, so wiegt das leicht gegen die eine Fecunda Ratis. Nun ist er ergraut: Runzeln durchfurchen die Stirn, spärliches Haar bedeckt das Haupt, und den erkalteten Körper erwärmt der Pelz (I 1049 f., 1063 ff, 1682, 392 f., 450). Er ist ein Greis geworden (I 1200, 1497, 1508, 1517-1520) und vergleicht sich dem vom Alter gebeugten Lastpferd und mit Vorliebe dem durch langes Pflügen entkräfteten Stiere (I 474 f., 1162, 1206, 1676, 1683). Und damit ist er auch ein laudator temporis acti geworden: im verklärten Lichte der Vollkommenheit steht die gute alte Zeit vor seinen Augen, während er die zunehmende Verschlechterung der Welt und die Abirrungen der Mode beklagt (I 67, 254 f., 399 f., 469, 502 f., 515, 547, | |||||||||||||||||||||||||
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679 f, 949 f., 1051 ff., 1066-1071, 1097-1100, 1105-1113, 1158-1161, 1253 f., 1684-1703, II 567-571), namentlich aber das immer mehr um sich greifende Laster des Geizes und der Habgier (I 520 f., 669 f., 696, 819 f., 903 f., 981 f., 1152-1157, 1248-1252, 1334-1339, 1599-1611, 1658-1663). Er ist vereinsamt: alle seine einstigen Gönner hat er zu Grabe getragen (I 1114-1119, 1011) und möchte nun seine letzten Tage in Ruhe verleben und die für seine bescheidenen Bedürfnisse völlig ausreichende, ehrlich erarbeitete Pfründe geniessen (I 1170-1173, II 588 ff.), aber er kann es nicht; denn abgesehen von dem unvermindert fortdrückenden Joch des Amtes wird er von zwei Sei ten bedrängt, einerseits von oben: der Propst nimmt für sich den Löwenantheil aus dem Ertrag der Capitelgüter und vertheilt unter die Amtsbrüder nur eine winzige Dividende (I 781, 857 f., 1162-1165, 1178 f.), und der Bischof Durand zieht eine - geschichtlich nur für S. Lorenz zweifellos bezeugte, aber, wenn man die lebhafte Klage des Dichters (I 1075-1078) subjectiv deuten darf, weitere Kreise und ihn selbst treffende - Tafelsteuer ein; anderseits von unten: jüngere Streber und Neider können seinen Tod nicht abwarten und missgönnen ihm das, für dessen Erwerbung er die Kraft seines Lebens eingesetzt hat, sein Amt und das damit verbundene, in einem Hause und einer Anzahl Äcker bestehende beneficium, ja sie schwärzen ihn heimlich an, da sie sich offen mit ihren unbegründeten Beschuldigungen nicht hervorwagen (I 1497-1506, 1675-1683, 1741-1745).
Inmitten so vieler amtlichen und persönlichen Verdriesslichkeiten, in denen das Lebensschifflein so leicht Anker und Steuer verliert, bedurfte der alte Herr einer neuen Quelle herzlicher Freude, die ihn verjüngte, musste er sich, wenn anders er nicht dahinsiechen wollte, ein für seine schwachen Füsse bequem erreichbares Strebeziel stecken, das ebenso an seinem Endpunkte selbst wie in jedem Punkte der Bewegung und allmählichen Annäherung Genuss und Erquickung versprach. Sollte er nicht in dem kalten, unfreundlichen Winter erstarren, | |||||||||||||||||||||||||
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der ihn draussen von allen Seiten umgab, so musste in seinem Inneren ein Frühling erwachsen, der rastlos frische Blätter und Blüthen trieb und mit jedem Tage die neue Welt herrlicher und beglückender entfaltete. In dem unmittelbaren Worte fand er nicht mehr die Genugthuung wie vordem - so griff er zur Feder; der Zuhörerkreis, an den er es richtete, entsprach nicht mehr seinen verwöhnten Anforderungen - so wandte er sich an den grossen Kreis der gelehrten Leser überhaupt. Und wenn dem ernsten Manne auf der Höhe des Lebens die Frage so nahe liegt: Was hast du dem herangewachsenen und dem werdenden Geschlechte geleistet, was hinterlässt du dem künftigen?, so durfte er sich die zuversichtliche Antwort geben, dass der Kern dessen, was er erlesen, erfahren und erdacht, nicht bloss vielen hinter ihm liegenden Generationen genützt habe, sondern auch dem kommenden Geschlechte zum Segen gereichen werde. So kam der alte Meister des grammatisch-rhetorischen Unterrichts zu dem Entschlusse, ein Lehr- und Lesebuch für die Trivialstufe abzufassen. Es steht fest, dass man in den Kloster- und Stiftsschulen des MA die Lectüre der Alten mit Catos Distichen und den Fabelbüchern des Avian (I 812)Ga naar voetnoot1) wie sicherlich auch des Romulus, der bekannten Prosaauflösung des Phaedrus, begann: jene boten die Gesetze des vernünftigen Lebens in abstracto, diese in concretem, dem jugendlichen Fassungsvermögen angepasstem Bilde. Entsprachen aber auch diese Bücher ihrem Zwecke, so konnte man sich doch auf die Dauer unmöglich verhehlen, dass sie weder den Umfang der Lebensklugheit sachlich irgendwie erschöpften, noch den einzelnen Lehren derselben jedesmal die vollkommenste Fassung gaben. Es musste immer mehr die Erkenntniss Platz greifen, dass in den übrigen Schriften der Alten, in der Bibel und den Kirchenvätern, in der spät- und mittellateinischen Litteratur und in der klösterlichen Tradition wie endlich im einheimischen Volksmunde ein weiterer reicher Spruch- und Fabelschatz verborgen sei, der | |||||||||||||||||||||||||
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wohl verdiene gehoben und den Zwecken der Schule dienstbar gemacht zu werden, dass noch zahlreiche Proverbien vorhanden wären, welche, wie OtlohGa naar voetnoot1) urtheilt, sunt multo breuioris et planioris sententiae quam illa fabulosa Auiani dicta, sed et utiliora quam quaedam Catonis uerba, quae utraque omnes pene magistri legere solent ad prima puerorum documenta. Die natürliche Folge war, dass man für diese Bildungsstufe an eine Vermehrung der Unterrichtsmittel zu denken begann, welche, da jede der obigen, für diesen Zweck fast unerschlossenen Quellen eine Fülle neuen Stoffes an die Hand gab, der Eigenart des Sammlers und Verarbeiters den weitesten Spielraum offen liess. Otloh z.B. sah sehr wohl ein,Ga naar voetnoot2) dass man tam ex saecularibus quam ex sacris litteris, tum etiam ex nostris prouerbia aliqua ad aedificationem fidelium congrua schöpfen könne, benutzte aber nur spärlich die Profanlitteratur und gar nicht die eigentliche Volksweisheit, sondern stützte sich im wesentlichen auf die biblisch-patristischen Denkmäler. Und da ist es nun das Verdienst unseres Egbert, dass er zuerst den Gedanken ergriff und ausführte, eine pädagogischen Zwecken dienende Blüthenlese zusammenzustellen, in der sämmtliche oben angegebene Quellen und namentlich auch, wie er selbst wiederholt hervorhebt (Ded. 1, 16. 2, 9-11), zum ersten Male die einheimische Spruch- und Beispielpoesie in ausgedehntem Masse berücksichtigt wurde. Je sicherer wir wissen, dass in den geistlichen Kreisen des MA classische Gelehrsamkeit und volksthümlicher Sinn meist in umgekehrter Proportion gestanden haben, um so mehr müssen wir es ihm zum Ruhme anrechnen, dass er über den erhabenen Schöpfungen der Alten, über den ewigen Werken der göttlichen Offenbarung und ihrer kirchlichen Erklärer nicht sein Volk vergessen und den köstlichen Born echter Lebenswahrheit und Menschenkenntniss hintenangesetzt hat, der uns aus seinem Munde entgegenquillt. Durch diesen Vorzug ist er für die didaktische Dichtung der sächsi- | |||||||||||||||||||||||||
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schen Kaiserzeit dasjenige geworden, was der Dichter des Waltharius für die epische ist. Ja, von allen seinen Fundgruben zog ihn von vorn herein keine mächtiger an als das verständige Wort, das den Nagel auf den Kopf treffende Beispiel des gemeinen Mannes, an dem die aufgeblähte Schulweisheit so gern nichtachtend vorübergeht, und erst allmählich und in dem Masse, als diese Hauptquelle für ihn spärlicher floss und versiegte, treten die übrigen Factoren als gleichberechtigt ein. Aus allen diesen entnahm er nun Sprüche und Fabeln, jene als ergänzendes Seitenstück zu Cato, diese zu Avian, und so war er theils durch das Raummass dieser Vorgänger, theils durch die pädagogische Rücksicht auf das anfangs mässig anzustrengende, erst mit der Zeit stärker zu belastende Gedächtniss der Schüler, welche den Lehrstoff in angemessenen Tagespensen auswendiglernen, nach den Scholien des Lehrers wie durch eigenes Nachdenken sich klar machen und mit zunehmender Einsicht und Erfahrung in das volle Verständniss desselben hineinwachsen sollten, zu einer bestimmten Beschränkung des Umfangs gezwungen: für die Catogruppe (A), die in der Hauptsache nur Proverbien und Sentenzen enthielt, wählte er, hierin über die Anlage seines Vorbildes hinausgehend, zunächst den einzeiligen (bis 596), dann, diesem folgend, den zweizeiligen Spruch (bis 1008), indem er nur ausnahmsweise innerhalb dieser Gruppen die Einzelglieder zu Paaren verband. Da aber die Fabel, jenes zweite Element des Primärunterrichts, in diesem engen Raum nicht anschaulich erzählt, vielmehr nur in einer ihrer Pointen angedeutet werden konnte, so entschloss er sich zu einer zweiten Hauptgruppe (B), die in drei-, dann vier-, dann mehrzeiligen Gedichten (bis 1768) den Wettstreit mit der römischen Fabelpoesie aufhehmen, zugleich aber ein buntes Allerlei, das von A wegen seiner räumlichen Ausdehnung, von C wegen seines weltlichen, vorherrschend biographischen Characters ausgeschlossen werden musste, vorführen sollte; da endlich der Trivialunterricht nicht Selbstzweck, sondern nur Vorläufer und Grundlage der theologischen Studien war, so | |||||||||||||||||||||||||
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fügte er eine dritte Hauptgruppe (C) hinzu, welche Katechismusstücke und sonstige ethische, allegorische, legendäre Abschnitte umfasste, die zur Vorbereitung und Einführung in die geistliche Gelehrsamkeit dienten; und nun machte er die dem profanen Lehrstoff im wesentlichen gewidmeten A und B zum ersten Buche, die theologische Gruppe C zum zweiten Buche der Dichtung und nannte das Ganze, das wie die Arche Noah die ganze Welt im Kleinen umschloss, das ‘vollbeladene Schiff’ und dementsprechend seine beiden Bücher ‘Bug’ und ‘Spiegel’. Der nun folgenden Quellenübersicht und Analyse legen wir die obige Dreitheilung zu Grunde und besprechen, vom Geringeren zum Grösseren aufsteigend, in umgekehrter Folge zuerst die Puppis, dann die jüngere und schliesslich die ältere Prora. Die Puppis bietet Stücke von dreierlei Art, 1. unverkennbare blosse Versificationen einzelner Abschnitte zumal von Gregors des Grossen Homilien über das Evangelium und seinen Moralien, ferner von Augustins Predigten und seinem Psalmencommentar; vereinzelt sind auch Stellen aus Ambrosius, Gregor von Tours, Beda und Haymo in Verse gebracht; 2. Stücke, die sich als aus der Bibel und den Kirchenvätern vom Dichter selbst zusammengefügtes Mosaik erweisen, wobei freilich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass bei weiterem Suchen noch eine directe patristische Prosaquelle ermittelt wird; 3. Stücke, die aus ganz unbekannten Quellen (402-405, 581-587) bez. aus mündlicher Überlieferung (472-485) geschöpft sind oder welche die persönliche Stellung des Dichters, sei es zu seinen beiden Hauptquellen, Gregor und Augustinus (221-230), sei es zu Gott, dessen väterliche Güte er dankend anerkennt und dessen Gnade er reumüthig anfleht (588-605), zum Ausdruck bringen. Im einzelnen muss ich, um diese Gruppe nicht über Gebühr anschwellen zu lassen, auf die Anmerkungen verweisen, welche erschöpfende Nachweise vorzuführen streben. Auch die jüngere Prora zerlegt sich ohne Zwang in drei Hauptbestandtheile. Sie bietet, von vereinzelten Glossen | |||||||||||||||||||||||||
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(1036 ff., 1054 ff), grammatisch - rhetorischen Erörterungen (1101-1104, 1131-1139, 1545-1548), einer Grussformel (1042-1044) und einem theologischen Stück (1120-1125) abgesehen, 1. spruchartige Betrachtungen, die a. aus der Bibel (1009 ff, 1033 ff, 1039 ff, 1060 ff, 1084-1087, 1587 ff, 1737-1740), b. aus den Kirchenvätern, nämlich Augustinus (1024 ff, 1549-1553), Gregorius (1021 ff, 1027 ff, 1030 ff, 1057 ff, 1063 ff.) und den Vitae Patrum (1190-1193), c. aus den römischen Classikern, wie Sallust (1487-1491), Horaz (1015 ff., 1088-1092), Lucan (1012 ff.), Persius und Juvenal (1109-1113, 1072 ff., 1079-1083, 1624-1634), d. aus dem einheimischen Spruch- und Formelschatz (1045 ff., 1194-1198, 1481-1486, vgl. 1204, 1206, 1213, 1278) entnommen sind; auf a und c beruht 1581-1586; als selbständig werden wir 1152-1157 und auch wohl 1048 ff. hinzustellen haben. Auch in den stets einzeiligen Epimythien der lehrhafton Erzählungen begegnen wir regelmässig der Sentenz, wie denn überhaupt der ganze Stil zur Anwendung dieses Schmuckmittels neigt. Hieher dürfen wir auch die Beschreibungen rechnen, die zum Theil nach antiken Vorbildern (1170-1173 nach Horaz, 1414-1418 nach Terenz) oder den Überlieferungen der Schule (1575-1580, 1765-1768) gearbeitet, zum Theil (1166-1169, 1294-1302, 1526-1534) im wesentlichen selbständig sind. Bei der ernsten, sentimentalischen, durch Alter und Lebenserfahrung noch mehr niedergedrückten Grundstimmung des Dichters (1108) war es natürlich, dass sich diesen lehrhaften Reflexionen eine Reihe von Stücken anschloss, welche 2. seine individuelle Empfindung gegenüber den Zuständen der Zeit in fast durchweg selbständigen Gedichten zum Ausdruck bringen, seien es nun elegische Klagen über die zumal den Greis, der auf eine glückliche Jugend- und Manneszeit zurückblickt, tief verstimmende Verschlechterung der Welt (1051 ff., 1075-1078, 1093-1096, 1105-1108 [nach Horaz und Schol. zu Juvenal], 1114-1119 [Variation zu Horaz, wie 1079-1083 zu Juvenal], 1253-1280, 1507-1521, 1612-1617), seien es satirische Epigramme (1066 ff., 1069 ff., 1145-1151, 1158-1161, | |||||||||||||||||||||||||
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1162-1165, 1248-1252, 1334-1339, 1535-1544, 1684 bis 1703, 1746-1764) und Allegorieen (1599-1611) oder geradezu direct an seine Gegner gerichtete Episteln (1199-1220, 1497-1506, 1675-1683, 1741-1745); scherzhafter, bez. versöhnlicher Natur sind die Briefe 1704-1716 und 1221-1247. Den letzten und wichtigsten Bestandtheil der jüngeren Prora bilden endlich 3. Fabeln und Fabelelemen te, in denen Thiere, ganz vereinzelt auch Pflanzen handelnd eingeführt werden, und zwar a. blosse Versificationen des Physiologus (1591 f., 1635-1647) und des Phaedrus-Romulus (1018 ff., 1097-1100, 1340-1360, 1592-1598, 1618-1623, 1648-1657); oder b. eigenartige Umformungen einiger Romulusfabeln (1126-1130, 1174-1189, 1311-1327, 1361-1373, 1444-1454) bez. eines alten Sprichworts (1374-1377); auch 1288-1293 wie 1328-1333 scheinen eine Umbildung einer Horaz-Anecdote, bez. des Eingangs von Ouidius de nuce zu einer Fabel zu sein; schliesslich c. nicht-antike Fabeln, die zum kleineren Theil auf älteren Schriften des MA beruhen (wie 1303-1310 auf Fredegar, 1502 f. auf Gregor), sonst aber und somit fast ausschliesslich hier zum ersten Male aufgezeichnet sind (1240 ff., 1281-1287, 1392-1397, 1419-1426, 1427-1443, 1455 bis 1465, 1522-1525, 1554-1567, 1568-1574, 1669-1674) und, ebenso wie die unter b. aufgeführten, den deutlichsten Beweis von der lebendigen und fruchtbaren Fabelproduction des MA liefern. Hieran schliessen sich die lehrhaften Erzählungen und Schwänke, in denen Menschen die Träger der Handlung sind (1140-1144, 1378-1384, 1385-1391, 1398 bis 1403, 1404-1413, 1466-1470, 1471-1480, 1492-1496, 1658-1663, 1664-1668, 1717-1736), auch bei diesen ist es kaum einem Zweifel unterworfen, dass sie selbständige Erfindungen des MA sind, bez. wirkliche Begebenheiten desselben wiederspiegeln. Die Bedeutung der jüngeren Prora liegt somit darin, dass sie unsere Kenntniss des einheimischen Spruch- und Beispielschatzes wie unseren Einblick in die gelehrten Studiën des Dichters erweitert, mannigfache Aufschlüsse über sein äusseres | |||||||||||||||||||||||||
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und inneres Leben gibt und uns die Fabel der Alten nicht in todter Erstarrung, sondern in ihrer ganzen fortzeugen den Kraft, speciell auch in jener eigenthümlichen satirisch-humoristischen Fortentwicklung zeigt, die in dem Schwankkreise von Wolf und Fuchs ihren Abschluss für alle Zeiten gefunden hat. Je ärmer gerade das XI. Jahrhundert an Zeugnissen und Denkmälern des Reinhartcyclus ist, desto wichtiger ist jedes Wort, das die jüngere Prora in dieser Richtung bietet, und desto mehr ist es zu beklagen, dass dem Dichter die Gabe versagt war, eingehend und anschaulich zu erzählen. Auch die ältere Prora gewährt durch die Mannigfaltigkeit ihrer Bestandtheile und ihrer Quellen ein überaus buntes Bild und führt darum mit Recht das Beiwort uario distincta colore. Sie enthält a. triviale (vgl. p. XXXIX, Anm. 4, p. XL, Anm. 1, 2) und quadriviale (vgl. p. XXIII, Anm. 4, ferner 259, 392 f., 450) Elementaria, b. Formeln des Schullebens, wie Schulwitze, Sticheleien, anderseits Stossseufzer, Zornausbrüche und Zurechtweisungen des geplagten Lehrers (vgl. p. XLII, Anm. 2 und 3, ferner 59, 68, 207, 232, 348 f., 374, 554 f., 569, 841 f., 923 f.), c. überhaupt subjective, vornehmlich elegische oder satirische Gefühlsäusserungen und Reflexionen (67, 86, 255, 311, 354, 399 f., 515, 520 f., 547 f., 638, 679 f., 687 f., 689 f., 696, 819 f., 829 f., 859 f., 949 f., 981 f.), auch Gebete (298, 489, 857 f., 917 f., 945 f.), vor allem aber d. Sprüche und Sentenzen, einschliesslich einzelner sprichwörtlichen Wendungen des häuslichen, geselligen und amtlichen Lebens (wie 209, 362, 512 ff., 590, 721 f.), und e. Beispiele, worunter wir Sprichwörter in bildlicher Einkleidung, in lebendiger Veranschaulichung an einem einzelnen Falle verstehen, dahin gehören auch die Apophthegmata uulgi (wie 713 f.), die ChrieenGa naar voetnoot1) (wie 120) und die Fabelpointen (wie 251). Nach dieser Skizze des Inhalts stellen wir, von den einzelnen Arten | |||||||||||||||||||||||||
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absehend, die gesammten Quellen der älteren Prora übersichtlich zusammen, wobei wir minder sichere Ursprungsbestimmungen in Klammern einschliessen. | |||||||||||||||||||||||||
A. Römische Litteratur. 1. Prosa.
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2. Poesie.
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B. Die Bibel.
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C. Die Kirchenväter.
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Ausserdem findet sich noch eine ganze Reihe patristischer Sprüche, die aber entweder von so vielen Sei ten bezeugt sind, dass es bei ihnen wie bei geflügelten Worten schwer zu sagen ist, ob sie dem Dichter durch mündliche Überlieferung zugetragen bez. welcher der zahlreichen früheren Niederschriften sie entnommen sind - (62), 113, 316, 398, 481, 522, 545, 555, 603 f., 765 f., 853 f., 863 f., 924, 951 bis 954 - oder bei denen trotz ersichtlichen Ursprungs aus dem Gedankenkreise der Väter eine genau entsprechende ältere Prosafassung, die sich mit Wahrscheinlichkeit als Quelle bezeichnen liesse, bisher nicht nachgewiesen werden kann: 75, 97, 121, 373, 471 f., 577, 588, 625 f., 645 f., 677 f., 749-752, 813 f., 817 f., 861 f., 865 f., 867 f., 869 f., 881 f., 899 f., 934, 945 f. Wir schliessen hier den Hinweis auf Regimen schol. Salern. an, dem bez. dessen älteren und kürzeren Fassungen 726 entlehnt ist. Aber nicht bloss diejenigen Autoren, welche mit würdevollem Ernst die biblischen Gedanken entwickelt und fortgesponnen haben, gehören hierher. Auch die dem allezeit schlagfertigen und treffenden Schulwitze entsprungenen Karikaturen der Salomonischen Weisheitslehren müssen hier in Betracht gezogen werden; denn es steht festGa naar voetnoot1) und ist nur zu natürlich, dass der in weisen Sprüchen so unerschöpflicheGa naar voetnoot2) und doch schliesslich in seinen Thaten so unweise Salomo schon im frühsten Mittelalter eine gnomische Gegenbewegung hervorrief, die sich in spöttischen Widerreden und derben Übertreibungen seiner Lehren gefiel und als deren fingierter Wortführer schon von Notker Labeo der Bauer Markolf bezeichnet wurde. Stammt | |||||||||||||||||||||||||
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nun auch die uns überlieferte Recension des Dialogs zwischen diesem und Salomo erst aus den letzten Jahrhunderten des MA, so darf doch überhaupt und gerade auf Grund unseres Gedichtes mit Sicherheit angenommen werden, dass schon weit früher, speciell während des X. Jahrh. eine Anzahl derartiger Sprüche in den Kloster- und Stiftsschulen theils von Mund zu Mund verbreitet und durch die glücklichen Einfälle witziger Köpfe vermehrt wurde, theils bereits in kürzeren Aufzeichnungen vorhanden war (vgl. namentlich 599). Auf einer derartigen Contradictio Salomonis scheinen folgende Verse zu beruhen: 7, (9), 21, 100, 107, (113), 147, 174, (180), 189, (191 f.), 206, (244 f., 285, 334), 570, 599 f., 723 f. Diese Übersicht der gelehrten Quellen kann in einzelnen Punkten bemängelt und berichtigt werden, bietet aber im allgemeinen zuverlässige und unanfechtbare Auskunft sowohl über den Umfang der ausgezogenen Autoren wie über den Grad der Benutzung jedes besonderen Werkes. Der Gefahr, äusserliche Anklänge, nach Einkleidung oder Sachgehalt, Schale oder Kern anklingende Analogieen zu Quellstellen zu stempeln, entgeht niemand, der dem Zusammenhange jüngerer Gelehrtenproducte mit ihren älteren Vorgängern nachspürt; und je länger man sich mit der Litteratur des MA beschäftigt, desto vorsichtiger wird man in der Annahme wirklicher Ursprünglichkeit. Wenn wir nun die Frage aufwerfen, ob der Sammler in jedem einzelnen Falle aus der Quelle selbst geschöpft hat oder ob er schon Excerpte und Florilegien, wie er deren für die Alten in den alphabetisch geordneten ‘Prouerbia Senecae’, für die Kirchenväter in dem Liber scintillarum, ja in der ganzen jüngeren Patristik vorfand - deren namhafteste Werke oft kaum etwas anderes sind als Compilationen älterer Originale -, für seine Zwecke ausbeutete, so müssen wir uns für den weitaus grössten Theil der Prora dahin entscheiden, dass er unmittelbare Früchte umfassender, auf die Quellen zurückgehender Lectüre in einer durch die Einfälle des Gedächtnisses, hic und da auch durch wiederholtes Nachlesen des bezüglichen Autors (425-443, 961-968) bestimmten Reihenfolge bietet, und | |||||||||||||||||||||||||
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halten nur da, wo höchstens ein oder ein paar Sprüche auf einen in den Listen aufgeführten Schriftsteller zurückgeführt werden können, die Annahme der Entlehnung aus einer vermittelnden Blüthenlese oder Compilation für zulässig. Die sichere Quellbestimmung wird auch dadurch erschwert, dass der Versificator seinen Prosa-Originalen gegenüber nicht immer die gleiche Stellung einnimmt, vielmehr bald den Wortlaut der Quelle fast sklavisch festhält, bald ihn dem Geschmacke der Lütticher Schule gemäss mit allerhand rhetorischem Zierath und poetischen Floskeln ausschmückt, wie er denn auch sachlich den Inhalt einzelner Sprüche, sei es in bewusster Kritik (140, 257), sei es infolge von Verwechselung (657 f.) verändert. Jeder gewissen Ursprungsangabe entziehen sich endlich diejenigen Sprüche, welche mehr oder minder vielseitig bezeugtes Gemeingut der Gnomik, Gemeinplätze der Lebenserfahrung und Naturbeobachtung bez. Verkehrsformeln aller hier in Betracht kommenden Völker sind und zum Theil der gelehrten Tradition überhaupt, zum andern Theil dem Volksmunde zugewiesen werden dürfen; wir verweisen auf 12, 14, 30 f., 52, 104, 110, 133, 153, 161 f., 191 f., 198, 209, 226, 260, 275, 285 f., 288, 296, 299, 383, 419, 469, 526 ff., 587, 667-670, 707 f., 763 f., 795-798. Die Auswahl, welche der Dichter trifft, ist sowohl in den manchmal seltsamen Glossen wie in den Sprüchen und Beispielen eine willkürliche und nirgends erschöpfende; alle seine Quellen gestatten noch eine beträchtliche Nachlese, wie schon ein Blick in die Sammelwerke von Vannucci, C. Schulze und Novarini ergibt. Vergeblich sucht man so früh volksthümlich gewordene Bibelsprichwörter wie ‘Niemand kann zween Herren dienen’ und Sprüche der Alten, die heute in aller Munde sind, wie das Wort Juvenals Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano; und was nun vollends die Kirchenväter anbetrifft, welch reichen Schatz von Sprüchen und Beispielen hat da der Sammler unbenutzt gelassen! Sätze wie Vinum et adolescentia duplex incendium uoluptatis est (Hieron. Epist. 22), Malo arboris nodo malus cuneus requirendus est (ebenda 69, 5), | |||||||||||||||||||||||||
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Radicis amaritudinem dulcedo fructuum compensat (ebenda 125, 12), Non illi euellis consuetudinem, quam suxit cum lacte nutricis (Aug. in Psalm. 30, 2, 8), Ideo te quaerit maior aquila, quia prior cepisti leporem (ebenda 123, 10), Sol tangit stercora, non tamen stercoribus inquinatur (Petr. Chrysol. Sermo 35) würden eine Zierde jeder Sammlung bilden. Aber freilich, zu allen Zeiten sind die Florilegisten ihrem Geschmack und ihrer Laune gefolgt, und dann waren doch hier speciell die gelehrten Lesefrüchte nur dazu bestimmt, den einheimischen Sprichwörtern als Folie zu dienen; nur für diese strebte der Dichter, Tag und Nacht sein Gedächtniss anstrengend, nach möglichster Vollzähligkeit. Auch in der Durchführung des Planes tritt eine gewisse Willkürlichkeit hervor: innerhalb des Gebiets der einzeiligen Sprüche trifft man auf zwei-, selbst dreizeilige, innerhalb des der zweizeiligen auf vierzeilige, sei es dass die Entwicklung des Spruchgedankens bez. dessen völlige Aufhellung durch den Gegensatz einen grösseren Raum beanspruchte, sei es dass zwei parallele Fassungen desselben vorgeführt werden. Aber nicht bloss dicht neben einander, auch durch kleinere (200 = 220) und grössere (128 = 845 f.) Zwischenräume getrennt, werden öfter dieselben Sprüche in verschiedenen oder gar (294 f. = 775 f.) übereinstimmenden Versionen wiederholt und tritt uns somit das Bild des gedächtnissschwachen alten Herrn vor die Seele, der uns heute gleichsam zum ersten Male eine Geschichte erzählt, die er uns erst gestern ausführlich mitgetheilt hat. Wenn wir aber auch diese Dupla einfach ansetzen und alles zweifellos, wahrscheinlich oder auch nur anscheinend fremde Gut in Abrechnung bringen, so bleibt uns doch immer noch ein Kern von über 200 einheimischen Sprichwörtern und Beispielen übrig, welcher, wenn wir die entspreohenden Stücke der jüngeren Prora und aus den Sammlungen und CitatenGa naar voetnoot1) des XI. und der nächstfolgenden Jahrhunderte | |||||||||||||||||||||||||
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auch aus den so oft volksthümlich redenden Kirchenvätern wie dem h. Bernhard und Bonaventura,Ga naar voetnoot1) nach hinlänglich strenger Aussonderung der gelehrten und geistlichen Zuthaten die wirklich nationalen Bestandtheile hinzufügen, einen stattlichen und achtunggebietenden Schatz altdeutscher Volksweisheit darstellt, einen Schatz, der freilich, mit den Augen der heute noch recht zahlreichen Dilettanten, die unseren gesammten Sprichwörter-reichthum möglichst unverkürzt der germanischen Urzeit zuweisen möchten, betrachtet, gering und winzig erscheinen muss, von jedem Kenner der Volkskunde aber im Vergleich mit der Gnomik anderer Nationen als ebenso gross und mannigfach wie sinnig und poetisch bewundert werden wird und hinter dem alle neueren Sammlungsversuche, speciell derjenige Zingerles, geradezu verschwinden. Wie gross oder wie klein er aber auch erscheinen mag, das eine ist sicher: er ist unser, er ist unser ureigner nationaler Weisheitshort, den uns niemand entreissen kann, und von dem auch nur vereinzelt wenige Sprüche als indogermanisches Gemeingut angesehen werden können; und während so viele andere dichterische Schöpfungen altdeutschen Geistes nur in Trümmern und Bruchstücken oder in späterer Metamorphose auf uns überkommen sind, besitzen wir in diesen Sprichwörtern und Beispielen eine bedeutende Anzahl unzweifelhaft einheimischer Dichtungsatome, die durch | |||||||||||||||||||||||||
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ihre prägnante Kürze und bildliche Einkleidung fast durchweg vor jenen Umgestaltungen bewahrt geblieben sind, welche sich die umfangreicheren Dichtungsstoffe haben gefallen lassen müssen. Und so wenig wir gesonnen sind, die offenliegenden Mängel und Schwächen der Egbertschen Dichtung, auch die der Darstellung und des Versbaues, zu verschleiern und zu bemänteln: der Ruhmestitel wird ihm ungeschmälert bleiben müssen, dass er zuerst eine möglichst erschöpfende Codification der in Formeln, Sprichwörtern und Beispielen ausgeprägten Volksweisheit ins Auge gefasst und durchgeführt hat und dass erst dadurch für eine historisch-kritische Untersuchung dieses Zweiges der Poesie die rechte Grundlage gewonnen ist. Es ist hier, wie öfter bei mittelalterlichen Werken, infolge des Mangels an bestimmten Nachrichten und zweifellosen Benutzungsspuren schwer zu sagen, in welcher Weise unsere Dichtung auf ihre wie auf die folgende Zeit gewirkt hat. Nur in einer Handschrift und in einem Excerpt überliefert, von denen jene die Verbreitung nach dem Norden, diese aus Paris stammenden Auszüge die nach dem Süden anzudeuten scheinen, konnte sie gewiss von dem Verfasser selbst, der nicht lange nach ihrer Vollendung gestorben sein wird, nicht in dem erwünschten Grade an die Amtsgenossen im Westen und Osten vertrieben werden und wird sich später, weil für ein Schulbuch zu umfangreich und formell den steigenden Anforderungen immer weniger genügend, nur einen bescheidenen Markt erobert haben. Hugo von Trimberg erwähnt in dem stattlichen Verzeichniss von Schulbüchern, das er im dritten Abschnitt seines Registrum multorum auctorum aufführt, die Fecunda Ratis nicht, und die Handschriftencataloge durchsucht man nach Abschriften oder Auszügen derselben vergeblich. Sicher ist sie aber wenigstens vereinzelt im Unterrichte benutzt worden, nämlich einerseits von dem Dichter selbst, anderseits von dem Urheber der für die Zwecke der Schulerklärung niedergeschriebenen Scholien, und walirscheinlich wird ihr Sigebert von Gembloux zuerst in seiner Eigenschaft als Schulmann näher getreten sein. Dass aber überhaupt ein Mann wie dieser und gerade an dieser | |||||||||||||||||||||||||
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Stelle ihr einen litterarhistorischen Platz anwies, ist eine ehrende Auszeichnung, die den Mangel manches Zeugnisses aufwiegt und von dem Ansehen Kunde gibt, deren sie sich während des XI. Jahrh. zum mindesten in den Niederlanden erfreute. Auch dürfen wir bei dem Verkehr, in dem die Lütticher Domschule durch ihre Lehrer und Schüler mit den entsprechenden Lehranstalten in Utrecht, Köln, Speier und anderen stand, der Vermuthung Raum geben, dass Egberts Vorbild Nacheiferung fand und dass von Lüttich aus der allerdings im Zeitgeiste überhaupt begründete Gedanke, die antike Spruch- und Beispiel-Litteratur für pädagogische Zwecke zu erweitern, neue Ermunterung und kräftige Impulse erhielt. In diesem Sinne dürfen wir wie zugleich zur Orientierung die Spruchdichtungen des XI. Jahrh. hier aufführen: zunächst Arnulfs auf biblischen, zumal Salomonischen Quellen beruhende, spärlich mit antiken und patristischen Einschältlingen durchsetzte Delicie cleri,Ga naar voetnoot1) wie den im wesentlichen biblisch-patristischen, weit weniger die Gnomik der Alten ausbeutenden Liber Prouerbiorum Otlohs;Ga naar voetnoot2) ferner die wegen ihrer vorwiegend abstracten Spruchform und ihres auffälligen Mangels an Beispielen schwer bestimmbaren, in der Hauptsache wohl biblisch-einheimischen Prouerbia Wiponis; endlich diejenigen, in denen das nationale Element weitaus überwiegt und nur gelegentlich Citate aus der geistlichen wie antiken Vorlitteratur eingewoben werden, die Scheftlarer SprücheGa naar voetnoot3) und vor allem die Prouerbia Heinrici.Ga naar voetnoot4) An | |||||||||||||||||||||||||
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diese schliessen sich die lateinischen Spruchsammlungen des XII. und XIII. Jahrh. an: das Florilegium Vindobonense,Ga naar voetnoot1) die in den Hss. 115 und 710 von St. Omer überlieferte alpha- | |||||||||||||||||||||||||
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betische Blüthenlese,Ga naar voetnoot1) die Prouerbia RusticiGa naar voetnoot2) und das Florilegium Gottingense,Ga naar voetnoot3) die durch die in den Nationalsprachen abgefassten, theils mit, theils ohne lateinische Version erscheinenden deutschen und französischen Spruchwerke vervollständigt werden. |
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