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Einleitung.
‘De Hellevaart van Dokter Joan Faustus’ ist im Jahr 1731 in Amsterdam erschienen, aber sowohl Druckort wie Erscheinungsjahr führen, was die Herkunft des Stückes betrifft, auf falsche Fährte. Die Vignette auf dem Titel, mit den Wappen der Provinz Holland, der Städte Haag und Leiden und der Devise ‘Nulla Quies’, stellt das Buch in eine Reihe von Veröffentlichungen, welche im ersten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts von den sogenannten ‘Haagsche en Leidsche Schouwburgen’ ausging, von denen dies die einzige in Amsterdam gedruckte ist; Jan van Hoven, der sich im Widmungsgedicht selbst als Herausgeber nennt, war damals Schauspieler im Haag; und der Mann, aus dessen Nachlass er das Stück zum Druck beförderte, war sein vor elf Jahren verstorbener früherer Prinzipal, der Direktor der Haagsche en Leidsche Schouwburgen, Jacob van Rijndorp.
Um den Mutterboden des Stückes kennen zu lernen, ist es daher nötig einen Blick auf die Haager Schaubühne in einer Zeit, die bisher als einigermassen vorgeschichtlich angesehen wird, zu werfen.
Ehe Corver im Jahre 1766 in der Assendelftstraat sein Theater eröffnete, hatte der Haag schon zwei stehende niederländische Bühnen gehabt, ganz abgesehen von den Aufführungen der Rederijkers, der reisenden Schauspieler und der öfters von den Statthaltern besoldeten französischen Truppen. Die erste derselben ist an einen Namen geknüpft, der in der Theatergeschichte längst einen besondern Klang hat, an Jan Baptist van Fornenbergh.
Jan Baptist van Fornenbergh, etwa 1620 geboren, war der Sohn des
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bisher noch nicht wiederentdeckten Malers Jan Baptist van Fornenbergh, der 1620 in Amsterdam, von 1629 an jedoch im Haag nachweisbar ist. Schon als unmündiger Jüngling war er bei herumziehenden Schauspielern in der Lehre, anfang der vierziger Jahre spielte er kurze Zeit auf der Amsterdamsche Schouwburg, und seit etwa 1645 begegnet er als Mitprinzipal verschiedener Truppen, die anfangs unter der Bezeichnung ‘Englische Komödianten’, allmählich immer mehr als ‘Niederländische Komödianten’ auftreten. Fürwahr ein interessanter Moment: der junge Haager, herumziehend mit Shakespeare's Genossen oder Jüngern, mittätig bei der Erstaufführung Vondelscher Stücke, der Glorie von Hollands Litteratur und Schauspielkunst, und selbst einer jener Amsterdamer Schauspieler, die Rembrandt mit flottem Stift aufs Papier geworfen hat (Sammlung Hofstede de Groot).
Die Bühne, auf welcher Fornenbergh mit seinen Freunden Jillis Noozeman, Triael Parker, Bartholomeus van Velzen und Salomon Fino während dieser Jahre im Haag (wie es scheint nicht nur während der Kirmes) spielte, war zuerst eine Scheuer auf der Prinsegracht, dann eine ‘Kaetsbaan’ auf dem Blyenburg, die zu seinen Zwecken gemietet und hergerichtet wurden. Im Jahre 1658 aber kaufte er im äussersten Nordosten der Stadt ein grosses Grundstück, auf dem vorn am Denneweg ein Wohnhaus stand, hinter welchem bis zur Hooigracht hin reichlicher Platz für sein Theater war. Wann er dies baute und wie es aussah, ist noch nicht hinlänglich ermittelt, doch sind auf einem Stadtplan vom Jahr 1665 auf dem mit Sicherheit festzustellenden Platz zwei grosse nebeneinander stehende Schuppen abgebildet, die ohne Zweifel Fornenbergh's Theater andeuten sollen.
Hier spielte nun Fornenbergh solange er überhaupt Truppenführer war, von hier aus unternahm er seine regelmässigen Reisen durch das Land, von hier aus jene grossen Reisen nach Deutschland, den Ostseeprovinzen, Dänemark und Schweden, die seinen Namen in der Theatergeschichte berühmt gemacht haben. Seit etwa 1681 spielte er selbst nicht mehr, sondern vermietete sein Theater, für das er von der städtischen Regierung ein Monopol bekommen hatte, an andre Truppen. Er starb 1696 als ein reicher Mann, der mit seiner Familie aus dem alten Kreise herausgewachsen war.
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Mit dem Jahr 1690 betritt eine neue Generation die alte Bühne: Der älteste Sohn von Fornenberghs Genossen und Schwiegersohn Jillis Noozeman, der 21-jährige Jan Noozeman und die beiden ältesten Kinder eines Schauspielers aus Fornenberghs Truppe, Jacob und Anna van Rijndorp. Diese sind die Träger der zweiten stehenden Bühne vom Haag.
Jacob van Rijndorp ist am 8. März 1663 im Haag geboren, wo sein Vater wenigstens seit März 1660 als Mitglied von Fornenberghs Truppe wohnte. Von seiner Jugendbildung wissen wir nichts, er selbst erklärt mehrmals, dass er kein Französisch verstehe; aber seine Theaterstücke, die er mit zwanzig bis dreissig Jahren schrieb, weisen auf Lebens- und Menschenkenntnis, und die schönen Züge seiner Handschrift auf kräftigen und klaren Willen und Gewandtheit mit der Feder. Vermutlich ist er ganz im Schauspielerkreise aufgewachsen. Er war zweiundzwanzig Jahre alt, als er sein erstes Stück ‘De verloope Kwaker’ schrieb, fünfundzwanzig, als er ‘De Geschaakte Bruid of de Verliefde Reizigers’ bei der Amsterdamsche Schouwburg einreichte. Dort wurde es 1690 zum ersten Male aufgeführt. Jacob selbst scheint aber nie Schauspieler in Amsterdam gewesen zu sein, er spielte, während er mit Amsterdam wegen seines Stückes unterhandelte, mit einer wandernden Truppe in Brüssel und andern Städten Brabants und Nordfrankreichs. Als er gegen 1690 nach dem Haag zurückkehrte, associerte er sich mit dem jungen Jan Noozeman, der in derselben Zeit seine Schwester Anna heiratete. Anfangs spielte diese Truppe im Haag, zweifellos auf Fornenbergh's Theater am Denneweg. Bald aber teilte sie sich in zwei Gruppen, Rijndorp mit seiner jungen Frau Anna Catharina de Quintana, die er sich aus Brüssel mitgebracht hatte, zog nach Leiden, der Heimat seiner väterlichen Familie, und gründete dort ebenfalls eine Bühne, ohne jedoch die Fühlung mit der Haager Truppe unter Jan und Anna Noozeman zu verlieren.
Seit 1696, also noch vor Fornenbergh's Tod, ist die doppelte Bühne im Haag und in Leiden unter Rijndorps Oberleitung bezeugt, doch nannte sich die Truppe im Jahr 1697 noch ‘Groote Compagnie Nederduitsche Acteurs’; erst 1699 erscheint zum ersten Mal der Name ‘Groote Compagnie Acteurs van de Haagsche en Leidsche Schouwburg’. Eine Reihe von Festaufführungen, deren Argumente gedruckt wurden, beweisen uns,
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welch lebhaften Anteil Rijndorp mit seiner Truppe an allen Angelegenheiten des Landes nahm, an Wilhelms III Sieg über Irland, seinem Besuch im Haag, der Eroberung von Namur, dem Frieden van Rijswijk, Wilhelms III Tod u.a. Bald nach Wilhelms Tod unternahm Rijndorp, auch hierin den Spuren seines Vorgängers Fornenbergh folgend, eine grosse Reise in's Ausland. Ob er bei dieser Gelegenheit Berlin berührte scheint fraglich, sehr wahrscheinlich ist, dass er in Hamburg, Lübeck, Kiel, Danzig spielte; sicher ist nur, dass er für längere Zeit in Kopenhagen sein Theater aufschlug und dort den Geburtstag des Königs Friedrich IV am 11. Oktober 1703 mit einem Festspiel feierte. Gelegentlich wird auch in einem Aktenstück diese Reise einfach als Reise nach Kopenhagen bezeichnet. Wie sehr auch die Berichte über den Erfolg der Fahrt auseinander gehen, das steht jedenfalls fest, dass Rijndorp nach seiner Rückkehr als ein geachteter, anerkannter Bühnenleiter sowohl in Leiden als im Haag sein Unternehmen für seine ganze übrige Lebensdauer befestigen konnte. In Leiden baute er mit Unterstützung der städtischen Regierung ein eigenes Theater auf der ‘Oude Vest’ (dies blieb bis 1865 das Theater Leidens), für welches ihm, seiner Frau und seinen Kindern das Spielrecht übertragen wurde, und das denn auch bis zum Tode seiner letztlebenden Tochter 1771 im Besitz der Familie blieb. Und im Haag vertauschte er Fornenberghs alte Bühne mit einem Saale auf dem Buitenhof, der sog. Piqueurschuur, die schon seit einem halben Jahrhundert besonders den französischen Komödianten als Theater gedient hatte, und die nach dem Tode Wilhelms III aufs neue vermietet wurde. Dieser im Centrum der Stadt liegende altbeliebte Saal wurde nun dauernd Rijndorps Mietbesitz, sodass der alte Name Piqueurschuur allmählich in Vergessenheit geriet und selbst
auf dem Stadtplan von 1716 dafür ‘Duytsche Comedie’ getreten ist.
Auf diesem doppelten Schauplatz wirkte nun Rijndorp bis zu seinem Tode, im Dezember 1720, als Theaterdirektor, Schauspieler, Theaterdichter und Publizist.
Der letztgenannten Tätigkeit Rijndorps verdanken wir das Meiste, was wir von dieser zweiten Haager Bühne wissen. Schon aus seiner Frühzeit besitzen wir einige Argumente von Festaufführungen; später, als die
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‘Haagse en Leidse Schouwburgen’ ein festes Unternehmen geworden waren, begann er (nach Muster der Amsterdamsche Schouwburg) eine systematische Veröffentlichung des litterarischen Eigentums seiner Bühne. Er liess sich eine symbolische Vignette mit der Devise Nulla Quies schneiden und veröffentlichte unter dieser Marke zuerst 1710-12 einige seiner eigenen Lustspiele bei seinem Freund und Verleger Gerrit Rammazeyn. Im Lauf der nächsten Jahre folgten auch fremde oder van Rijndorp bearbeitete Stücke und sonstige Kundgebungen der Theaterleitung, Argumente u. dgl., sodass die Reihe der Nulla Quiesdrucke noch während Rijndorps Leben auf über zwanzig heranwuchs. Seit 1715 trat als Redaktor derselben nicht mehr Rijndorp persönlich, sondern eine zweifellos von ihm ins Leben gerufene ‘kunstgenootschap’ unter der Devise Artis Amore Laboramus auf. Von dieser Gesellschaft verliert sich nach Rijndorps Tod 1720 jede Spur, die alte Nulla Quiesvignette dagegen wurde noch für einige Rijndorp nahestehende Veröffentlichungen benutzt; und als J. v. Hoven sieben Jahre nach Rijndorps Tode beschloss, seines Meisters Nachlass herauszugeben, da versah er jeden dieser Drucke ebenfalls mit der alten Vignette. Die letzten Nulla Quiesdrucke erschienen 1733.
Eine zweite, reichfliessende Quelle für unsre Kenntnis von Rijndorp und seiner Bühne sind die Gedichte J.v. Hovens, der seit etwa 1710 Schauspieler bei der Truppe war, und der in gesprächigen, frischen Versen bei verschiedenen Anlässen seiner Liebe und Bewunderung für seinen Meister Ausdruck gegeben hat. Unter diesen befindet sich ein grosses Geburtstagsgedicht auf Rijndorp und einige Gedichte auf seine Töchter; auch in seinem Gedicht auf die Haagsche Kermis 1715 und mehreren Gelegenheitsgedichten, bis lang über Rijndorps Tod hinaus, befinden sich Äusserungen über Rijndorp und die Seinen.
Dank diesen und einigen archivalischen Urkunden können wir uns ein ungefähres Bild von Rijndorps schauspielerischer, dichterischer und dramaturgischer Tätigkeit, von dem Repertoire und dem litterarischen Charakter seines Theaters und somit von dem Nährboden seines posthumen Faust machen.
Vor allem als Schauspieler, im ernsten wie im komischen Fach, ausübend
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und Schule machend ist Rijndorp bei seinen Zeitgenossen berühmt gewesen. Er spielte im Heldenstück durchweg die Hauptrollen also z. B. Polyeucte, Augustus in Cinna, Orestes in der Iphigenie; im Lustspiel die wirkungsvollsten, wie Jourdain im Bourgeois Gentilhomme, Krispijn in der Geschaakte Bruid. In den weiblichen Rollen standen ihm vor allem seine Töchter zur Seite. Und so kräftig machte er sich seiner Mitwelt Meister, dass noch mehrere Generationen hindurch sein Name als Schauspieler weiterlebte, und dass noch Corver nach Leiden pilgerte um von seiner letzten überlebenden Tochter, einer Greisin, die Diktion von Rijndorps Schule zu hören.
Als Dichter pflegte Rijndorp fast ausschliesslich das Lustspiel und die Posse. Acht Komödien von ihm sind gedruckt, eine neunte ist verschollen. Künstlerisch unbedeutend wie die ganze Epoche, zeugen einige derselben doch von einem frischen Blick in das umgebende Leben. Ob diese Stücke auch von andern Bühnen übernommen wurden, wissen wir nicht; nur von der ‘Geschaakte Bruid’ ist bekannt, dass sie noch 1765 in Amsterdam Repertoirestück war. Damit ist jedoch Rijndorps litterarische Tätigkeit lange nicht erschöpft. Abgesehen davon dass er seine Publikationen mit Vorreden, Argumenten u. dgl. reichlich versah, dichtete er für seine Bühne die allegorisierenden pantomimischen Festspiele, die er bei politischen oder sonstigen Gedenktagen aufführte, und bei denen er seiner Neigung, durch Reigen und Tänze d.h. durch Ballett seinen Schaustellungen sinnlichen Reiz zu verleihen, freien Lauf lassen konnte. Endlich aber war Rijndorp auch als Bearbeiter fremder ernster Stücke tätig, und auf diese Arbeit scheint er gerade den grössten Fleiss verwendet zu haben. Doch ehe dieser für uns wichtigste Teil seiner litterarischen Tätigkeit näher ins Auge gefasst werden kann, ist es nötig einen Blick auf das litterarische Material, aus dem er als Theaterdirektor überhaupt zu schöpfen hatte, zu werfen.
Die nachvondelsche Periode des holländischen Theaters - als feste Bühne kommen nur Amsterdam und Haag in Betracht - kennzeichnet sich durch einen geradezu prinzipiellen Mangel an Originalität. Es herrscht einerseits das rhetorische, strenge Drama der grossen Franzosen, andrerseits, von der vorigen Generation her, das leidenschaftliche auch
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äusserlich wilde der Spanier, denen sich einiges Englische - von den englischen Komödianten mitgebrachtes - anreiht. Daneben das Molièresche Lustspiel mit seinen Nachahmungen. In allen verhielten sich die vaterländischen Dichter durchaus rezeptiv. Die Verarbeitung des fremden Materials war durch gelehrte litterarische ‘kunstgenootschappen’ wirklich organisiert, es lieferten z. B. Sprachkundige oder solche Gesellschaften wörtliche Übersetzungen in Prosa an Leute, die bereit waren diese zu ‘bereimen’ (vgl. z. B.P. Verlage's Vorrede zu Steiloorige Egbert, Amst. 1690). Ganz ehrlich war diese Produktion freilich nicht, denn in den Fällen, wo es nicht weltberühmte Dramen betraf, wurde gerne jede Spur, die zum Original zurückführte, sorgfältig verwischt, der Name des Dichters verschwiegen, der Titel verändert - eine Gepflogenheit, die uns heutzutage die Untersuchung jeweils nicht wenig erschwert. Die eignen Dichter der vorigen Generation, Vondel, Hooft, treten stark zurück. Mehr Ursprüngliches bietet das Nachspiel, die tolle Posse, die nachbildend oder selbständig die kindischsten Motive in unzähligen Variationen witzig aber grob verarbeitete. Ist doch der gemeine Witz der holländischen ‘klucht’ noch lange für ausländische Besucher ein Charakterzug der Nation geblieben, der in den Reisebeschreibungen nicht leicht vergessen wird.
Aus diesem Material bestand Rijndorps Repertoire also ebensogut wie das der Amsterdamsche Schouwburg. Und zwar lieferte letztere ihm unfreiwillig einen Hauptteil seines Bedarfs. Indem nämlich in Amsterdam kein Stück zur Aufführung angenommen wurde, das der Dichter nicht gedruckt einreichen konnte (um die Wende des Jahrhunderts musste es bei Lescaille's Erben gedruckt sein), und andrerseits die so gedruckten Stücke andern Bühnen gegenüber frei gewesen zu sein scheinen - ich finde wenigstens in dieser Beziehung weder Anfragen noch Anklagen - so liegt auf der Hand, dass Rijndorp unter den Hunderten von Amsterdamer Drucken eine reiche Auswahl für seine Bühne fand.
Dass er wirklich die Amsterdamer Drucke als Regiebücher benutzte, lässt sich zufällig am Malade Imaginaire nachweisen, zu dem Rijndorp ‘Versieringen’ veröffentlichte, die stillschweigend auf die Seitenzahlen des Amsterdamer Drucks Bezug nehmen.
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Neben diesem allgemeinen Besitz verfügte Rijndorp aber auch über spezielles Eigentum seiner Bühne. Hier sind natürlich in erster Linie seine eignen und die von seinen Schauspielern in seinem Auftrag ‘bereimten’ Stücke zu nennen. Ausserdem aber kommt eine andre Art Besitz in Betracht. Theaterdirektoren sowie ‘kunstgenootschappen’ - und beides stellte ja Rijndorp vor - kauften Manuskripte von Dichtern oder ‘kunstgenootschappen’, augenscheinlich meist mit beschränkten Rechten, Aufführungsrecht ohne Veröffentlichungsrecht, oder erwarben den Nachlass eines verstorbenen Dichters oder gar eines verstorbenen Komödianten, über dessen Regiebücher sie dann frei verfügten. So wissen wir, dass Ysbrand Vincent den Nachlass von Thomas Arentsz für 400 fl. kaufte und diesen zur Bearbeitung seinen Kunden überliess. Je nach dem Namen eines solchen Dichters oder der Qualität seines Werkes konnte ein derartiges Theatermanuskript nun pietätvoll bewahrt und gelegentlich intakt veröffentlicht, oder aber als Rohstoff zu erneuter Bühnenbearbeitung, ‘verschikking’ wie man es nannte, benutzt werden. Letzteres galt ausser für ältere Stoffe, die ‘den neueren Ansprüchen angepasst werden mussten’, vor allem für die Regiebücher der wandernden Komödianten. Diese kleinen Unternehmer, die häufig zeitweilig oder schliesslich Mitglieder grösserer Bühnen waren und so mit diesen in steter Berührung blieben, führten natürlich allerhand ‘Tooneelboeken’ mit sich, in welchen die grossen bestehenden Theaterstücke für ihren Zweck verkürzt, verflacht oder vergröbert waren. Denn ihre Vorstellungen durften nicht lange dauern, sie mussten mehrmals an einem Tage Geld einsammeln können.
Auf all diese Arten Besitz und Besitzverwertung stösst man auch bei Rijndorp resp. Nulla Quies oder Artis Amore Laboramus. Bezeichnend ist Rijndorps Vorrede zum Bekeerde Kwaaker 1710, wo er seine Lustspiele zur Wahrung seines geistigen Eigentums aufzählt, von einer Nennung seiner ernsten Stücke aber ‘aus gewissen Gründen’ Abstand nimmt. Bald darauf gab Nulla Quies die Amarillis von Lingelbach und einige andre Stücke ohne irgend welche Verfasserbezeichnung heraus; erst 1720 wurden die Verfasser derselben genannt und einige Stücke mit zur Schau gestellter Gewissenhaftigkeit bezüglich der Verfasserbezeichnung publiziert. Diese Vorsicht und diese Schwankungen des litterarischen
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Gewissens haben ihren Grund zweifellos in der lauernden Eifersucht und Feindseligkeit andrer ‘kunstgenootschappen’ besonders der Amsterdamer Nil Volentibus Arduum und der Amsterdamsche Schouwburg, da trotz der allgemeinen Stehlerei doch immer noch Blössen des Gegners mit kühner Stirn an den Pranger gestellt wurden.
Von kurzen Stücken wandernder Komödianten in Rijndorps Besitz, die von der Gesellschaft für ihre Bühne eingerichtet wurden, erzählt uns die Vorrede des Nulla Quiesdrucks ‘Arteminia’. Von diesem der deutschen Bühne entnommenen Stücke besass Rijndorp drei Manuskripte, eines von Adriaan Peys, eines von Floris Groen, eines von Harmanus Koningh. Man wählte die Bearbeitung Harm. Koninghs (eines bekannten Schauspielers unter Fornenbergh, der später zur Amsterdamsche Schouwburg übergegangen war), welche dieser für seinen Schwager, einen herumziehenden Komödianten, also kurz, verfertigt hatte, man arbeitete sie auf und fügte sogar einen ganzen Verskomplex aus einem englischen Stück ein, um sie auf die nötige Länge zu bringen. Die gleiche oder doch eine ähnliche Geschichte haben die Nulla Quiesdrucke ‘De Gestrafte Vrygeest’ und ‘De Visscher door Liefde’, bei beiden dieselbe Sorgfalt und Ausführlichkeit der Versifizierung. In dem Gestrafte Vrygeest scheint des obengenannten Adriaan Peys Bearbeitung des Festin de Pierre benutzt worden zu sein, ‘De Visscher door Liefde’ aber ist, wie die Vorrede berichtet, die Bearbeitung und Erweiterung eines Stückes von Floris Groen, ‘De Prinselyke Visscher’.
Von Floris Groen besass Rijndorp also eine Arteminia und einen ‘Prinselyke Visscher’, deren Bearbeitung für seine Bühne ihm am Herzen lag; und es lässt sich nachweisen, dass er zu ihm noch nähere Beziehungen hatte, d.h. zu seinen Regiebüchern: denn Fl. Groen selbst war bereits 1689 gestorben. Wir wissen wenig mehr von diesem Mann, als dass er ein armer reisender Schauspieler war, der wenigstens zuletzt in Amsterdam wohnte, und die Kirmessen des Landes besuchte. Aber er muss besonders geschickt oder fruchtbar in Bearbeitungen für seine Zwecke gewesen sein; denn ausser den vier Stücken, die während seines Lebens herauskamen, sind eine ganze Reihe anonymer Stücke mit mehr oder weniger Sicherheit ihm zuzuschreiben, und ausserdem kursierten noch in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts gegen zehn ungedruckte Stücke unter seinem
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Namen in den Sammlungen der Liebhaber. Rijndorp besass ausser den beiden genannten Manuskripten noch einige Stücke von ihm, wie wir aus seinem Repertoire wissen. Auch die Tartuffebearbeitung, die Rijndorp nachweislich viele Jahre hindurch auf seiner Bühne benutzte, war, das lehrt uns eine zufällige Notiz, von Floris Groen. Und zwar war sie ebenfalls von Rijndorp ‘verschikt’: denn als J. v. Hoven sie 1731 aus Rijndorp's Nachlass herausgab, setzte er sie unter Rijndorps Namen und begnügte sich mit einer leisen Andeutung, dass dieser nicht allein daran gearbeitet habe, Floris Groen's Namen aber verschwieg er gänzlich.
Unzertrennlich von diesem holländischen Tartuffe ist nun die ‘Hellevaart van Dokter Joan Faustus’. Beide Stücke fand J. v. Hoven ungedruckt in Rijndorps Nachlass; von beiden deutet er gleicherweise an, dass Rijndorp nur grösstenteils ihr Dichter ist, was dahinter steckt wissen wir bei Tartuffe: eine kurze Bearbeitung Floris Groen's war die Vorlage Rijndorps. Nun berichtet eine Notiz aus dem Jahre 1713, also 24 Jahre nach Floris Groen's Tode, in der Blütezeit Rijndorps, dass dieser selbe Floris Groen noch genugsam bekannt sei durch ‘Schundstücke wie der Dokter Faust.’ Floris Groen hatte also einen Faust auf seinem Repertoire, ein Faust-manuskript in seinem Besitz. Und dieser Faust war der in Niederland bekannte, das will sagen, die einzige niederländische Fassung. Und Rijndorp, der so manches aus Floris Groen's Nachlass besass, hinterliess neben Groen's ‘Tertuffe’ einen Faust, an dem er gerade soviel Anteil hatte als an diesem Tartuffe. Da darf man wohl als sicher annehmen, dass Rijndorps Faust die Bearbeitung des Dr. Faustus ist, den Floris Groen vor 1689 bereimt und vielfach in Holland aufgeführt hat. Wann Rijndorp diese geschrieben hat, verrät uns die Anspielung auf Jan Baptist van Fornenbergh in Pekels erstem Monolog (II 8), die man zweifellos Rijndorp und nicht Floris Groen zuschreiben muss. Aus dieser sehen wir, dass sie vor Rijndorps dänischer Reise 1703, noch zu Lebzeiten Fornenbergh's, also vor 1697, verfasst ist. Sie rückt somit in den Anfang der neunziger Jahre zurück, in jene speziell Leidener Zeit Rijndorps, in welcher die meisten seiner Stücke entstanden sind. Zu dieser Annahme passen vortrefflich die Schilderungen aus dem Studentenleben im Vorspiel, deren Bezug auf Leiden ich (leider vorläufig ohne direkten Beweis) als sicher
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ansehe. Ob Rijndorp das Stück auch später auf seinem Repertoire behielt scheint zweifelhaft, von einer Aufführung ist bis jetzt kein Beleg gefunden. J. v. Hoven nennt es zum ersten Mal 1727, wo er vom Nachlass Rijndorps spricht, und seine vage Mitteilung in der Widmung ‘'t is dikwijls met vermaak gezien op 't Schoutooneel’ kann sich auch auf Floris Groen's Aufführungen oder auf eine Angabe von Rijndorps Wittwe beziehen. Ebensowenig hat von dem Weiterleben des Stückes irgend eine Spur aufgedeckt werden können. Die Notiz über Groen's Faust und die Publikation von Rijndorp's Bearbeitung stehen völlig isoliert.
Die Bedeutung des holländischen Faust liegt darin, dass er dem Stück, das in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts durch Zuzammenschweissung des Marlowischen Faust mit Scenen und Motiven aus Dekkers ‘If it be not well, the Devil is in it’ nebst einigen andren Veränderungen, zweifellos bei einer Truppe Englischer Komödianten auf dem Festland, hergestellt wurde, zeitlich und inhaltlich näher steht als alle andere Überlieferung. Floris Groen führt in die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts zurück, in die Zeit wo die englischen Truppenführer mit holländischem oder deutschem Schauspielerbestand das Land durchzogen. In solchen Truppen sehen wir den jungen Fornenbergh in den vierziger Jahren, bei einer solchen Truppe lernte vermutlich Floris Groen das englisch-kontinentale Stück kennen. Dass die Kontaminierung nämlich etwa sein eignes Werk sei, kann als ausgeschlossen gelten, da schon 1669 Paulsen das sogestaltete Stück in Danzig spielte. Die Entstehungszeit desselben weiter zurück zu bestimmen, fehlen noch die Daten. Die Verse in Jan Vos' Klucht van Oene 1642:
Schoon dat me van Dokter Faustus wel ier groot wonder zag,
So is hy by jou niet mier as ien veest by ien donderslag
beweisen doch nur für die allgemeine Bekanntheit der Faustsage in Holland, die durch die Übersetzungen der Volksbücher (Engel, Bibl. Faust. Nr. 278 ff. 302 f.), durch die Erwähnungen bei Voetius (Tille, Faustsplitter Nr. 91) und durch die, wenn auch späte, Lokalisierung der Sage auf dem Schloss Waardenburg längst feststeht; aber sie beweisen kaum etwas für das Bühnenleben derselben, und gar nichts für die Entstehung des kontinentalen Stückes.
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Floris Groen überlieferte Rijndorp also den Inhalt des Stückes, wie es zur Zeit seiner Entstehung gespielt wurde, vielleicht mit Kürzungen oder Änderungen; Rijndorp konnte an dieser Überlieferung wiederum kürzen und hinzudichten, aber was beide Holländer auch mit dem Stück angefangen haben mögen, mir scheint, dass sie von der lebenden Sage selbst unbeeinflusst geblieben sind, dass ihre Änderungen sich als isoliert herausstellen werden, und dass also der Realinhalt von Rijndorps Stück das alte Stück, welches Creizenach schon grossenteils rekonstruiert hat, darstellt. Durch genaue Untersuchung von Floris Groen's und von Rijndorps Schaffensweise wird es gewiss gelingen, ihre Zutaten mit mehr Schärfe herauszuschälen, als mir im Folgenden möglich war.
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