Horae Belgicae
(1968)–A.H. Hoffmann von Fallersleben– Auteursrechtelijk beschermd
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und Winter betrüben die Welt. Die Ankunft des Sommers, des Mais, oder wie wir jetzt sagen des Frühlings, wurde nun vor Alters festlich begangen. - Das Eintreffen des Sommers erfolgte aber nicht auf einen bestimmten Tag des Jahrs, sondern wurde nach zufälligen Zeichen wahrgenommen: aufblühenden Blumen oder anlangenden Vögeln. Wer ‘den êrsten vîol’ schaute, zeigte es an; das ganze Dorf lief hinzu, die Bauern steckten die Blume auf eine Stange und tanzten darum. - Ebenso wird die erste Schwalbe, der erste Storch als Frühlingsbote begrüsst und empfangen.’ ‘Diese Sommerverkündigung durch Gesänge der Jugend findet noch jetzt oder fand wenigstens in den letzten Jahrhunderten in deutschen und slavischen Ländern statt. Die Gebräuche und Lieder sind mannigfaltig. Oft wird bloss ein Kranz, eine Puppe, ein Thier im Korb herumgetragen und von Haus zu Haus die Gabe eingefordert. - Oft aber bildet die Einsammlung der Gaben nur den Schluss einer sinnvolleren Handlung, woran auch Jünglinge und Jungfrauen Theil nehmen. Ein vermummter Sommer und Winter, jener in Epheu oder Singrün, dieser in Stroh oder Moos gekleidet, treten auf und kämpfen solange mit einander, bis der Sommer siegt. Dann wird dem zu Boden geworfenen Winter seine Hülle abgerissen, zerstreut, und ein sommerlicher Kranz oder Zweig umhergetragen. Hier ist also wieder die uralte Idee eines Kriegs oder Streits zwischen beiden Jahrsgewalten, aus dem der Sommer siegreich hervorgeht, in dem der Winter unterliegt: das Volk giebt gleichsam den zuschauenden Chorus ab, und bricht in den Preis des Ueberwinders aus.’ ‘Die eben geschilderte Sitte lebt hauptsächlich in Gegenden des mittleren Rheins, jenseits in der Pfalz, diesseits zwischen Neckar und Main, im Odenwald. Aus den gesungenen Liedern theile ich bloss die bezichungsvollen Stellen mit: Trarira, der Sommer der ist da.
Wir wollen hinaus in Garten
Und wollen des Sommers warten.
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Wir wollen hinter die Hecken
Und wollen den Sommer wecken.
Der Winter hats verloren,
Der Winter liegt gefangen,
Und wer nicht dazu kommt
Den schlagen wir mit Stangen. -
An einigen Orten ziehen die Kinder mit weissen, geschälten Stäben, hölzernen Gabeln und Degen aus, entweder in der Absicht dem Sommer zu helfen und mit auf den Feind loszuschlagen, oder es können auch die Stabträger des Winters Gefolge darstellen sollen, weil nach altem Gebrauch Besiegte und Gefangene mit weissen Stäben entlassen werden (Rechtsalterth. 134). Einer aus dem Haufen der Knaben, ein Erwachsener an ihrer Spitze in Stroh gehüllt stellt den Winter, ein andrer mit Epheu verziert den Sommer vor. Erst kämpfen beide mit ihren Holzstangen, bald werden sie handgemein und ringen so lange, bis der Winter niederliegt und ihm das Strohkleid abgezogen wird. Unter dem Kampf singen die übrigen: Stab aus, Stab aus,
Stecht dem Winter die Augen aus!’
Grimm's deutsche Mythol. 438-441. Diese Frühlingsfeier, welche in allen deutschen Ländern bis in den Norden hinauf (vgl. Olaus Magnus bei Grimm 448) verbreitet erscheint, mag auch in uralter Zeit in den Niederlanden heimisch gewesen sein und sich vielleicht auch jetzt noch in einzelnen Spuren erhalten haben. Dennoch möchte ich bezweifeln, trotzdem dass in ihr schon das Dramatische selbst liegt (vgl. Grimm 455), dass sie unserem Dichter zu seinem Kampfe des Winters und Sommers Anlass und Stoff gegeben habe. Bei ihm ist die Grundidee: Sieg des Sommers und Niederlage des Winters, durch eine modernere, aus der Naturnothwendigkeit abgeleitete, ganz verdrängt: Winter und Sommer müssen einmal sein, so hat es der liebe Gott eingerichtet. Auch hat der Dichter ein Element hineingebracht, welches dem deutschen Kampfe der Jahrszeiten ganz fremd ist, er lässt beide Kämpfe | |
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besonders wegen der Liebe streiten: jeder behauptet, dass unter seiner Herrschaft am meisten Liebe gepflegt werde. Zuletz* tritt nun noch die Liebe selbst als Frau Venus auf, und diese Wendung berechtigt uns zu der Annahme, dass der Dichter nicht aus dem Leben, sondern aus einer anderen Quelle schöpfte. Diese Quelle sinde ich in dem alten lat. Gedichte, dem Wettstreite des Frühlings und Winters vom Kuckuk. Der Cuculus, der Frühlingsverkünder ist der Frühling selbst. Das Gedicht wird gewöhnlich dem Beda oder Alcuin zugeschrieben, auf jeden Fall gehört es dem 9. Jahrh. an. Ich theile es hier mit nach den mir zugänglichen Hülfsmitteln und füge die bedeutendsten Lesarten hinzu: C. cod. Colbertinus, F. ed. Francofurtana, L. cod. Lugdunensis, R. cod. Ratisbonensis. | |
Conflictus Verbis et Hiemis.Conveniunt subito cuncti de montibus altis
Pastores pecudum vernali luce sub umbra
Arborea, pariter laetas celebrare Camenas.
Adfuit et iuvenis Daphnis seniorque PalaemonGa naar voetnoot1),
5[regelnummer]
Omnes hi Cuculo laudes cantare parabant.
Ver quoque florigero succinctus stemmate venit,
Frigida venit Hiems rigidis hirsuta capillis.
His certamen erat Cuculi de carmine grande.
Ver prior adlusit ternos modulamine versus:
V.
10[regelnummer]
Opto meus veniat Cuculus carissimus ales,
Omnibus iste solet fieri gratissimus hospes
In tectisGa naar voetnoot2), modulans rutilo bona carmina rostro.
H.
Tum glacialis Hiems respondit voce.Ga naar voetnoot3) severa:
Non veniat Cuculus, nigris sed dormiat antris.
15[regelnummer]
Iste famem secum semper portare suescit.
V.
Opto meus veniat Cuculus cum germine laeto,
Frigora depellat, Phoebo comes almus in aevum.
Phoebus amat Cuculum crescenti luce serena.
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H.
Non veniat Cuculus, generat quia forte labores:
20[regelnummer]
Praelia congeminat, requiem disiungitGa naar voetnoot4) amatam,
Omnia disturbat, pelagi terraeque laborant.
V.
Quid tu, tarda Hiems, Cuculo convicia cantas?
Qui torpore gravi tenobrosis tectus in antris,
Post epulas Veneris, post stulti pocula Bacchi.
H.
25[regelnummer]
Sunt mihi divitiae, sunt et convivia laeta,
Est requies dulcis, calidus est ignis in aede.
Haec Cuculus nescit, sed perfidus ille laborat.
V.
Ore feret flores Cuculus et mella ministrat,
Aedificatque domus, placidas et navigat undas,
30[regelnummer]
Et generat soboles, laetosGa naar voetnoot5) et vestiet agros.
H.
Haec inimica mihi sunt quae tibi laeta videntur.
Sed placet optatas gazas numerare per arcas,Ga naar voetnoot6)
Et gaudere cibis, simul et requiescere semper.
V.
Quis tibi, tarda Hiems, semper dormire parata,Ga naar voetnoot7)
35[regelnummer]
Divitias cumulat, gazas vel congregat ullas,
Si ver autGa naar voetnoot8) aestas ante tibi nulla laborat?
H.
Vera refers: illi, quoniam mihi multa laborant,
Sunt etiam servi nostra ditione subacti,
Iam mihi servantes domino quaecumque laborant.
V.
40[regelnummer]
Non illis dominus sed pauper inopsque superbis,Ga naar voetnoot9)
Nec te iam poteris per te tu pascere tantum,
Ni tibi qui veniet Cuculus alimonia praestet.
Pal.
Tum respondit ovans sublimi e sede PalaemonGa naar voetnoot10)
Et Daphnis pariter, pastorum et turba piorum.
45[regelnummer]
Desine plura Hiems, rerum tu prodigus, atrox,
Et veniat Cuculus pastorum dulcis amicus.
Collibus in nostris erumpant germina laeta,
Pascua sint pecori, requies et dulcis in arvis,
Et virides rami praestent umbracula fessis,
50[regelnummer]
Uberibus plenis veniantque ad mulctra capellae,
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Et volucres varia Phoebum sub voce salutent.
Quapropter citius Cuculus nunc ecce venito.
Tu iam dulcis amor, cunctis gratissimus hospes:
Omnia te exspectant, pelagus tellusque polusque.
55[regelnummer]
Salve dulce decus, Cuculus per secula salve.
Es wurde zuerst gedruckt als B. Bedae Venerabilis Cuculus in Ovidii Nasonis Erotica et amatoria opuscula (Frcf. 1610. 8.) p. 190-192. Dann aus einer Hs. der Colbertschen Bibl. mit der Ueberschrift: MILONIS SANCTI AMANDI ELNONENSIS MONACHI CONFLICTVS VERIS ET HIEMIS in Cas. Oudinus de scriptt. cccl. T. II. p. 326. Ferner in P. Burmanni Anthologia veterum latinorum poematum T. II. p. 356-358 mit Benutzung eines Cod. Voss. und Leidensis. Endlich in Wernsdorf, Poetae latini minores T. II. p. 239-244 nach dem Texte der Frkf. Ausgabe mit den Varianten aus dem Burm. Apparate. Ausserdem steht es noch unter den Gedichten Alcuins in Alcuini opp. ed. Frobenii T. II. p. 613 aus einer Regensburger Hs., welche auf Befchl des Salzburger Erzbischofs Liuphram (836-859) geschrieben wurde. Weniger hieher gehört ein anderes ähnliches und gleichzeitiges Gedicht, ein Klagewettgesang de morte cuculi, der ebenfalls bald dem Beda, bald dem Alcuin zugeschrieben wird, gedruckt in der Frkf. Ausgabe der Ovid. Erotica p. 192. 193, in Mabillonii Analecta I, 369 und in den Opp. Alcuini ed. Frobenii T. II. p. 237. 238. Unter Cuculus ist doch wol nur der Frühling zu verstehen, s. Grimm's Myth. 389. Anm. 2. Frobenius hingegen hat eine andere Ansicht: ‘De cuculo nihil aliud succurrit, nisi quod existimo eum esse filium prodigum, cuius intemperantiam et casum etiam plangit in Epistolis CLVII. CLVIII. et CLIX.’ Auch in der altdeutschen LitteraturGa naar voetnoot*) ist der Krieg der Jahrszeiten dargestellt, aber mährchenartig und der ganzen Anlage | |
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und Ausführung nach viel poetischer. Der Mai hat durch die Lande verkündigen lassen: wer sper wolte brechen
durch vrouwen unde durch hübescheit,
dem waere von im widerseit.
Scine Rüstung und Waffen sind Gras und Klee und lauter Blumen; er vüeret in sînre hende
ein sper was michel tinde lanc,
daz was îtel vögellînesanc.
Der Herbst sehickt darauf einen seiner Dienstmannen, den Schlemmer (luoderer), dem Mai die Fehdc anzusagen. Unterdessen rüstet er sich. Der Dichter beschreiht nun sehr ausführlich jedes einzelne Stück seiner Rüstung: er wird mit lauter Würsten, Schinken, Sulzen, Fladen, gebratenen Gänsen und Hühnern u. dergl. bedeckt, geschmückt und bewaffnet; sein Ross ist ein grosses Weinfass. So reitet er auf den Mai los: er stach den meigen ûf die brust
daz sîn sper in driu zerspranc:
dô gelac der vögellîne sanc
unde zuo der selben stunt
wart dem herbest wunt
sîn ros zuo dem schopfe în,
dar ûz sô spranc ein möstelîn
daz was raeze unde blanc,
dâ von der meige gar ertranc,
und allez sîn gesinde
daz vlôch dô gar geswinde.
Des Frühlings Herold ‘daz minnerlin’ steht betrübt mit Blumen in der Hand, der Schlemmer aber macht sich über seines Herren Rüstung und Waffen her: ‘ich waer ungerne dîns herren kneht,
solt ich bî lichten bluomen rôt
von hunger lîden grôze nôt:
ich izze mîns herren îserîn hose.’
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Das ‘minnerlîn’ giebt scinen Herren auf und beide Herolde fangen nun an tüchtig zu schmausen und zu zechen: ‘waz uns der meige bringe -’
sprach daz selbe minnerlîn,
‘diz mac wol daz paradîs sîn.’
ez az unde tranc
daz ez einhalp hine sanc
rehte als ein tôter man.
der luoderer eins brunnen nan
unde goz im an die stirne.
er sprach zuo des wirtes dirne:
‘helfent mir in gehalten tragen.’
siu sprach: ‘wer hât in erslagen?’
‘daz hât unser möstelîn.’
siu sprach: ‘ist daz ein minnerlîn!
haet ez den wînstein gevangen,
ez waere im niht alsô ergangen.’
8, 46: die verken criten achter straten. Schweinefleisch war in den Niederlanden ein sehr beliebtes und gewöhnliches Essen (vgl. zu Floris 1847) urid es wurden deshalb überall auf dem Lande wie in den Städten viele Schweine gehalten, jedoch ohne alle Aufsicht und sonderliche Pflege; sogar in den Städten liess man sie frei herumlaufen und sich ihre Nahrung suchen. Darum in der Brüsseler Ordonn. von 1342 (Willems, Belg. Museum I, 253): ‘Item. Dat niement en ghene verkene opt strate sal laten gaen binnen der stat. Item. Wie verkene hout te Brussele binnen sinen huus, hi en salse niet laten gaen opt strate tuschen beide de clocken, dats te verstane tuschen de clocke smerghens te werke te gaen ende de clocke savonts van den werke te gane; waer mense vonde opt strate, si waren verboort.’ 8, 149: moedernaect. Das war wol früher ziemlich allgemein. Nach Patje in seinem: Wie war Hannover? (1817) gehörte zu den Sitten der Vor- | |
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zeit d.h. des 18. Jahrh. (S. 152): ‘Geringe Leute schliefen nicht selten ganz nackend, um das Leibzeug zu schonen.’ In der Grafschaft Glaz geschieht das hinundwieder auch noch heute. 8, 304: tuschen twe sonneschijn, die Zeit welche zwischen zweimaligem Sonnenaufgang liegt, oder, wie wir jetzt zu sagen pflegen: binnen 24 Stunden; vgl. Haltaus Gl. 1696. - Grimm (Rechtsalterth. 540. Anm. 2) scheint es zu verstehen von dem Gleichtheilen des Sonnenscheins beim gerichtlichen Zweikampfe. 8, 311: ontfaet den hantscoe. Isegrim zu Reinaert (6761): siet hier, ic biede u den hant scoe. Im ganzen Mittelalter wurde die Herausforderung zum Kampfe durch Auswerfen eines Handschuhs, und das Annehmen des Kampfes durch Aufheben des Handschuhs angezeigt, s. Grimm Rechtsalterth. 154. vgl. 8, 478. 481. Reineke 6125: de ûtbut den kamp, dat is dat recht, enen hantschen deme anderen to dônde plecht. 8, 394: na der campen recht so wordic borghe, vgl. Reinaert 6784-6794. Die in diesem Stücke vorkommenden Kampfgenossen sind auf Seiten des Winters Lojaert und Clappaert, auf Seiten des Sommers Mojaert, Bollaert und der Cockijn. Der Dich ter hat absichtlich diese Namen gewählt, um zugleich dadurch die Personen zu charakterisieren. Clappaert bedeutet einen Schwätzer, bollaert ebenfalls; lojaert ist ein Faulenzer (luiaert, ledichaert, flandrisch legaert) und mojaert un élégant, ein Zierling, Schniepler (Plantin: ‘moyaert, frayaert. Bragard, ou bragueur. Bullatus, clegans homo.’), kurzum ein feiner Mann, der nachher schr passend dazu verwendet wird, bei Frau Venus die Beilegung des Streits zu erbitten. Der Dichter konnte um Namen für dergleichen Charaktere nicht verlegen sein; so giebt es z. B. zu bollaert und clappaert noch manche Synonyma: babeler, drijver, cakeler, keker, cleppenter, snapper, snaterer, lanctonghe. |
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