Der Christenspiegel
(1954)– Dirk van Munster– Auteursrechtelijk beschermd
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MEINEN ELTERN IN DANKBARKEIT GEWIDMET | |
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EinleitungEs ist das Verdienst von F.A. Groeteken, auf Grund mannigfaltigen Quellenmaterials nachgewiesen zu haben, daß sich die Verehrung des Dietrich Kolde von Münster ununterbrochen und über alle Zeitwirren hinaus in Belgien, am Mittelrhein und in Westfalen bis heute erhalten hatGa naar voetnoot1. Franziskanische Kreise haben die Verehrung Koldes gefördert und das Interesse der Geschichtswissenschaft auf ihn und sein Werk gelenkt; und wie in Belgien schon im Jahre 1875 der Wunsch laut wurde, Dietrich auf die Altäre erhoben zu sehenGa naar voetnoot2, so wies die Diözesansynode des Bistums Münster von 1924 darauf hin, daß die Verdienste Koldes wohl dazu angetan seien, seien Beatifikationsprozeß weiterzuführenGa naar voetnoot3. Die Bedenken, die Bollandus im Jahre 1652 gegen die Verehrung Koldes als Seligen dadurch äußerte, daß er ihn ‘inter praetermissos’ setzteGa naar voetnoot4, wurden schon von Jerôme GoyensGa naar voetnoot5 und nach ihm von Groeteken | |
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entkräftet. Koldes dauernde Verehrung und die legendenhafte Ausschmückung bestimmter Züge an ihm, die schon bald nach seinem Tode zu beobachten sind, deuten auf seine Volkstümlichkeit hin und ermöglichen es zugleich, den ‘Casus exceptus’ von den Dekreten Urbans VIII. auf ihn anzuwenden. Die Erinnerung an Dietrich Kolde wachzuhalten, dazu möge diese Arbeit beitragen. Sie setzt sich zum Ziel, nach genauer Üntersuchung der Uberlieferungsverhältnisse des ‘Christenspiegels’ dieses Hauptwerk Koldes ans Licht zu ziehen, um es in seiner ursprünglichen Gestalt einer breiteren Öfsenslichkeit zugänglich zu machen. | |
1. Dietrichs LebensgangDie Lebensgeschichte Koldes ist schon wiederholt dargestellt worden, so von B. Bockholt, A. Bierbaum, F. Doelle und am umfassendsten von F.A. GroetekenGa naar voetnoot1. Mehr oder weniger gehen sie alle zurück auf die ‘Chronotaxis vitae R.P. Theodorici a Monasterio’ des J. PoliusGa naar voetnoot2, der seinerseits die Vita Koldes von RaisseGa naar voetnoot3 zugrunde gelegt hat. Eine Lebensbeschreibung unter Berücksichtigung neuerer Ergebnisse der Forschung wäre dringend zu wünschen, würde aber über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. - Ein kurzer Überblick mag genügen. Die hervorragende Studie von Karl ZuhornGa naar voetnoot4 hat uns endlich über die Familie Kolde Aufschluß gegeben, die bis dahin von der Forschung völlig unberücksichtigt geblieben war, von einigen zweifelhaften Vermutungen über die Herkunft des Vaters aus Osnabrück abgesehen. - | |
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Dietrich Kolde wurde um 1435Ga naar voetnoot5 in Münster geboren. Sein Vater Hermann Kolde stammte aus dem münsterischen ZweigGa naar voetnoot6 der Familie Kolde und bewohnte ein Haus am Michaelisplatz, welches somit das Geburtshaus Dietrichs gewesen sein mußGa naar voetnoot7. In den Urkunden Münsters aus dieser Zeit wird mehrmals ein ‘Heinrich der Kolde’ genaant, den man wohl mit Sicherheit als den Bruder unseres Dietrich ansprechen darfGa naar voetnoot8. Die Herkunft Dietrichs mütterlicherseits ist bisher leider noch dunkel geblieben. Ob jene Katharina Kolde, die 1477 als ‘borgersche tho Münster’ genaant wirdGa naar voetnoot9, die Mutter Dietrichs ist, läßt sich bis heute nicht überzeugend als wahr erweisenGa naar voetnoot10. Wie groß die Bedeutung der Familie Kolde in Münster gewesen sein muß, zeigt die mehrfache Verwandtschaft mit andern Geschlechtern des nach politischem Einfluß strebenden münsterischen Honoratiorentums und vor allem der Umstand, daß sie Eigentümerin, alter patrizischer Besitzungen, des alten Hofes der Erbmännerfamilie Droste im Überwasserviertel und der vor dem Jüdefeldertor gelegenen Kucklenburg’, gewesen istGa naar voetnoot11. Seinen ersten Unterricht erhielt Dietrich wahrscheinlich bei den Augustinereremiten in Osnabrück, deren Kloster im 15. Jahrhundert eine Blütezeit erlebteGa naar voetnoot12. Er wird dem Orden hier schon als Mitglied angehört haben und von hier aus dann zum Universitätsstudium in das Augustinerkloster Köln versetzt worden sein. ‘Damit würde sein Werde- | |
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gang in der Jugend umgekehrt gewesen sein, als man bisher angenommen hatte. Nicht sein Studium ist seinem Ordenseintritt vorangegangen, sondern erst nach seinem Ordenseintritt ist er zu den Studien nach Köln gezogen’Ga naar voetnoot13. Sein Universitätsstudium kann als sicher angenommen werden, obgleich wir ilm in der Kölner Universitätsmatrikel nicht namentlich angeführt findenGa naar voetnoot14. Eben deshalb aber muß Kolde in Köln von Anfang an einem der vier Bettelorden angehört haben; denn im ersten der Statuten über die Immatrikulationsbedingungen vom 6. Dezember 1392 heißt es, alle würden immatrikuliert ‘exceptis tamen fratribus quatuor ordinum mendicantium, quos non oportet intitulari, nisi cum fuerint ordinati ad legendum, aut pro suis privatis usibus voluerint gaudere privilegiis universitatis’Ga naar voetnoot15. Wäre Kolde nach seinen ersten Studien zu Köln in den Augustinerorden eingetreten, so müßten wir wenigstens für diese Zeit seinen Namen in der Matrikel finden. Da dieses, wie gesagt, nicht der Fall ist, erhält die Annahme von der ersten klösterlichen Schulausbildung in Osnabrück den Grad der Sicherheit. Ebenso spricht die Benennung ‘Dietrich von Osnabrück’ dafür, die man auffälligerweise nur in Kölner Kreisen kannteGa naar voetnoot16. Ob schon in dieser Zeit des Studiums in Köln, in der Dietrich mit Männern anderer Orden vielfach in Berührung kam, in ihm der Gedanke wach wurde, zu den Minderbrüdern überzutreten, läßt sich nicht sagen. Zunächst blieb er nach den Weihen AugustinereremitGa naar voetnoot17 und als solcher muß er schon in weitem Umkreis bis in die Niederlande hinein bekannt gewesen sein. Selbst als er schon einige Jahre dem Franzis- | |
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kanerorden angehörte, nannten verschiedene Drucker ihn noch ‘eenen deuoten broeder van sinte augustijns oerden’. - Wann und aus welchem Grunde der Übertritt zu den Minderbrüdern erfolgte, darüber gehen die Meinungen bis heute stark auseinander. - Für den Grund lassen sich bestenfalls nur Vermutungen ausstellen. Auch die auf uns gekommenen Nachrichten über die Zeit des Ordenswechsels beruhen alle auf zweifelhaften Annahmen: Nach den Angaben bei ErnsingGa naar voetnoot18, der sich auf die Archivreste des Brühler KonventsGa naar voetnoot19 stützt, ist Kolde schon als achtzchnjähriger Jüngling, also um 1453, Minorit geworden; und in der Tat bestätigt eine andere Quelle scheinbar diesen VerhaltGa naar voetnoot20. Aber Zuhorn bezweifelt mit Recht, daß es sich bei den Brühler Archivresten um eine originäre Quelle handeltGa naar voetnoot21. Doelle hat bezüglich des frühen Übertritts aus gewichtigen Gründen Bedenken erhoben; denn ‘der erste Ort seiner Wirksamkeit nach Beendigung des Noviziats war das Kloster Bodendaal bei Brüssel’Ga naar voetnoot22. Da dieses aber 1467 gegründet wurdeGa naar voetnoot23, kann Dietrich, auch wenn man das Noviziatsjahr berücksichtigt, nicht vor dem Ende der 60er Jahre das Ordenskleid gewechselt haben. - Der Christenspiegel enthält nur einige bisher zu wenig beachtete Vermerke, die in dieser Frage hinreichend Aufschluß geben. Ein Vergleich der verschiedenen Rezensionen des Werkes ergibt, daß Dietrich bei der ersten Abfassung noch Augustiner gewesen sein muß. Als | |
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solchen bezeichnen ihn die ältesten erhaltenen Inkunabeln dieses Büchleins. Ausdrücklich wird die Abfassung im Augustinerorden mit dem Hinweis auf den späteren Übertritt bezeugt in einem Druck aus dem Jahre 1489, wo es heißt: ‘Dit hantboichelgyn hait gemacht... Dederich... van sent Augustinus orden tzo Coellen in dem cloister desscluen ordens. Mer naemals gegangen in sent Franciscus orden.’ Der Drucker Johann Koelhoff der Ältere, der von 1472 bis 1492 in Köln seine Presse betätigte, dürste sich im Jahre 1489 kaum so genau an den Ordenswechsel erinnert und ihn der Erwähnung für wert gehalten haben, wenn Kolde ihn als 18-20 jähriger Jüngling vollzogen hätte. - Eben jene Ausgaben des Christenspiegels, die Kolde Augustiner neunen, enthalten nun einen Hinweis auf die zu Köln eingesetzte Rosenkranzbruderschaft, die 1475 gegründet und am 10. März 1476 von Rom bestätigt wurdeGa naar voetnoot24. Kolde muß deshalb sein Werk nach 1476 geschrieben haben und bei der Abfassung noch Augustiner gewesen sein. Damit wäre der terminus post quem gegeben. Der Terminus ante quem für den Übertritt läßt sich nicht so unbedingt sicher ermitteln. Raissius berichtet in seiner VitaGa naar voetnoot25, daß Kolde mit Wort und Tat erfolgreich in den Parteihader zwischen den Hoeken und den Kabeljauen eingriff. 1444 hatte Philipp der Gute die Streitigkeiten noch einmal beilegen können, bis sie 1479 erneut losbrachen. Nach der Vita von Raisse griff Kolde mit erschütternden Worten in die Händel ein, erfolgreich an die Vernunft und an das Gefühl der Menschen appellierendGa naar voetnoot26. - Da uns der erfolgreiche Prediger Dietrich in der Überlieferung aber nur als Minderbruder bekannt ist, liegt die Annahme nahe, daß der Übertritt zu den Observanten im Jahre 1479 bereits erfolgt war. Das aber würde bedeuten, daß Kolde in der Zeit von 1476 bis 1479 das Ordenskleid gewechselt hat, was sich zeitlich ganz zwangslos mit der Gründung Bodendaals und Dietrichs erster Wirkungsstätte in Zusammen- | |
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hang bringen läßt. - In Bodendaal wird Kolde auch sein Noviziatsjahr verbracht haben. Es liegt keine Veranlassung vor, mit DoelleGa naar voetnoot27 und GroetekenGa naar voetnoot28 - offenbar im Anschluß an PoliusGa naar voetnoot29 - zu glauben, Dietrich habe zunächst in einem deutschen Franziskanerkloster, etwa in dem 1455 erbauten Kloster zu Hamm, um Ausnahme gebeten, weil er sich in einem deutschen Kloster am leichtesten in den Geist des Ordens habe einarbeiten können. Die verhältnismäßig geringen sprachlichen Unterschiede zwischen den deutschen und niederländischen Klöstern können schwerlich ein Hindernis für den Übergang in die Niederlande gewesen sein. Die ersten Christenspiegel-Ausgaben bezeugen Dietrichs Bezichungen zu den Niederlanden schon für die Zeit, als er das Augustinerkleid trug. Unsere Quellen verlassen uns leider bei der Frage nach dem Aufenthaltsort Koldes vor seinem Ordenswechsel. Da aber der sogenannte Vorläufer des Christenspiegels hervorhebt, daß ‘Broeder Dyerick van munster... dese simpele leer den deuoten borgheren te Loeuen gaf’, darf man vielleicht annchmen, daß Kolde vor seinem Übertritt in dem 1256 gegründeten Augustinerkloster zu Löwen seine Bleibe hatte. Der Weg Dietrichs von Köln in die Niederlande ist übrigens keineswegs verwunderlich, wenn man berücksichtigt, daß ganz Nordwestdeutschland und die Niederlande damals zu der nach ihrem Zentrum Köln benannten, seit 1299 bestehenden Augustinerprovinz gehörten. Die Brüsseler Pestjahre 1488 bis 1489 machten Kolde weithin berühmt und sicherten ihm seine Verehrung. Spätere Berichte wollen wissen, daß er 32000 gefährdeten Menschen die Sterbesakramente gereicht habe. Scheint diese Zahl auch übertrieben zu sein, so sagt sie doch immerhin, daß sie beträchtlich gewesen sein mußGa naar voetnoot30. Wir haben Zeugnisse dafür, daß diese Tat Koldes noch im 19. Jahrhundert im Volksbewußtsein lebendig warGa naar voetnoot31. Von seinen westfälischen Landsleuten wird Dietrich gerühmt, während der Pestjahre viele Wunder gewirkt zu habenGa naar voetnoot32. | |
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Um diese Zeit muß auch die Begegnung mit dem Herzog Albrecht III. stattgefunden haben, den Maximilian, der Sohn Friedrichs III., als Generalstatthalter der Niederlande im Februar 1489 zurückgelassen hatteGa naar voetnoot33. Zusammen mit den Äbten von Park und Vlierbeck trat Kolde ihm als Unterhändler des Friedens entgegen. Zwar führte die Unterredung nicht unmittelbar zum Erfolg, doch müssen Dietrichs Worte einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen habenGa naar voetnoot34. Zu Anfang der 90er Jahre finden wir Kolde wieder in Köln in der Nähe des Erzbischofs Hermann IV. von Hessen, der die Observanten wegen ihres Ansehens und ihrer Zucht gerne um sich hatte. Besonders Dietrich Kolde und sein westfälischer Landsmann Antonius von Raesfeld standen ihm sehr nahe. Mit päpstlicher ErlaubnisGa naar voetnoot35 hatte Hermann IV. in Brühl das Kloster und die Kirche zu bauen begonnen, wo in der nächsten Zeit Dietrichs Heim sein sollte. Wenn dieser im Jahre 1492 vom Kölner Kirchenfürsten zum Praedicator generalis für Rheinland und Westfalen ernannt wurde, so ist das für uns die offizielle Bestätigung dessen, was Trithemius, dem Kolde in dieser Zeit begegnete, mit den Worten sagt: ‘declamator sermonum popularium famosissimus, cuius vitam omnes qui eum noverunt sanctam et religiosissimam praedicant.’ Trithemius nennt Kolde einen Prediger ‘ut similem inter Germanos habuerit neminem’Ga naar voetnoot36. - Als 1495 der Brühler Guardian Hektor Hassels starb, übernahm Kolde das Amt des Vikars in seinem Konvent. 1497 wählte man ihn zum GuardianGa naar voetnoot37. Es ist anzunehmen, | |
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daß Kolde in Brühl blieb, bis man ihn auf dem Ordenskapitel vom 22. Juli 1502 zum Guardian von Bodendaal ernannte. - In Bodendaal wie in Brüssel richtete Dietrich sein Augenmerk besonders auf die Reform der Lebenshaltung. Innerhalb und außerhalb der eigenen Klostermauern suchte er die Ordenszucht zu heben. Noch im gleichen Jahre gingen die Angehörigen des Konventualenklosters in Brüssel geschlossen zur strengen Regel der Observanz über, wohl nicht ohne Einfluß DietrichsGa naar voetnoot38. Die Franziskanerinnen nach der Regel des Dritten Ordens in der Laekenstraße zu Brüssel nahmen auf eigenen Wunsch die strenge Regel des Zweiten Ordens an und verwandelten ihr Haus in ein Klarissenkloster. Auch hier stand Kolde als der spiritus rector im Hintergrund; denn er selbst ‘erbat und erhielt dann vom Ordinarius und Kapitel der St. Gudula-Kirche, in deren Bereich das Kloster lag, die Genehmigung zur feierlichen Votivmesse zu Ehren des Heiligen Geistes für jenen denkwürdigen Tag (15. September 1503), an dem die Umwandlung vollzogen wurde’Ga naar voetnoot39. Auf dem Provinzialkapitel zu Gouda vom 6. Mai 1507 wurde Kolde das Guardianat von Bodendaal erneut bestätigt; darüber hinaus wählte man ihn zum Definitor der Ordensprovinz. Dadurch vergrößerte sich für Dietrich die Möglichkeit, sich für die Reform einzusetzen. Im folgenden Jahr, am 29. August 1508, wählte ihn das Ordenskapitel in Düren dann zum Guardian für das Kloster AntwerpenGa naar voetnoot40. Die Legende spricht ihm von hier ab sogar Prophetengabe zuGa naar voetnoot41. - Als sich im Jahre 1510 der Konvent zu Löwen der Observanz anschloß, fand Kolde hier sein letztes Wirkungsfeld. Er sollte als Oberer die strengere Regel einführenGa naar voetnoot42. Hier beschloß er am 11. Dezember 1515 sein LebenGa naar voetnoot43, nachdem er kurz vorher von der Kanzel aus auf seinen herannahenden Tod hingewiesen haben soll. Erasmus von Rotterdam, der für Ordensleben und Ordensgeist oftmals spitze und abfällige Bemerkungen findet, kann nicht umhin, Dietrich zu | |
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bewundernGa naar voetnoot44. Von Erasmus erfahren wir Einzelheiten über Koldes TodGa naar voetnoot45. Dietrich wurde im Chore der Kirche beigesetzt. Seine Grabplatte erhielt die Inschrift: ‘Hic iacet sepultus venerabilis et devotus P.F. Theodoricus a Monasterio eximius praedicator verbi Dei, quondam huius conventus et aliorum guardianus.’ Die Gebeine waren wechselvollen Schicksalen unterworfen. Nachdem sie 102 Jahre lang ungestört geruht hatten, erbat sich ein Bruder namens Georg Ruyter die Erlaubnis zu ihrer Erhebung. Am 12. September wurden sie aufgenommen und fortan in einem Holzsarg mit dem Bilde Dietrichs in der Krankenkapelle des Hauses aufbewahrt. In den Wirren der Französischen Revolution fand der Sarg im Hause des Löwener Lizentiaten der Medizin, Wilhelm van den Dale, Schutz gegen Verunehrung. Nach dessen Tod kamen die Gebeine Dietrichs am 11. Februar 1820 wieder ins Kloster. Pater Teurlincx, der letzte Bewohner des Hauses, vermachte sie dem Konvent in Sint Truiden, wo sie bis 1926 ruhten. Im Beisein von Vertretern der belgischen und der sächsischen Ordensprovinz wurde der Schrein geöffnet. Beträchtliche Teile der Reliquien erhielt der sächsische Provinzial, der sie in die Franziskanerkirche von Münster überführteGa naar voetnoot46. So fand ein Teil der Gebeine den Weg in die Heimat zurück. | |
2. Der Name ‘Dietrich Kolde von Münster’Um den Namen Koldes und seine Schreibung ist im Laufe der Zeit viel gerätselt worden. Darum sei exkurshaft einiges dazu bemerkt: In der niederländischen Literatur wird der Vorname durchweg Dyerick, Dieric, Dierick, Dirck, Derick, Dirick oder Dijrijk geschrieben. Nur in einer Christenspiegel-Ausgabe von Amsterdam aus dem Jahre 1564 finden wir die Schreibung Diederich. In den Kölner Christenspiegel-Ausgaben wird Kolde meistens Dederich, 1514 einmal Diderich, 1498 und 1526 je einmal Diedrich genannt. Vermutlich nannte er sich selbst Diderick oder Diederich, wie der Name in seiner Heimat geläufig war. Vielleicht hat man ihn kurz auch Dirk gerufen. Die Namensform Dierick wird ihm erst während seines Aufenthaltes in den Niederlanden beigelegt worden sein. Man könnte fragen, ob Kolde den Vornamen Dietrich erst bei seinem Eintritt ins Kloster bekommen hat oder ob man ihn auch später bei | |
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seinem Taufnamen ries. Zwar ist es nicht verwunderlich, daß Dietrich als Ordensmann keinen biblischen Namen trägt, da das Mittelalter teilweise den germanischen Namen in der Geistlichkeit dem fremden vorzichtGa naar voetnoot1. Der Annahme, Dietrich habe seinen Vornamen ‘zum Zeichen geistiger Wiedergeburt’ bei seinem Eintritt in den Orden angenommenGa naar voetnoot2, läßt sich entgegenhalten, daß der Vorname Dietrich in der Familie Kolde, ‘wenigstens in der Generation Heinrich Koldes, gebräuchlich’ ist. Dietrich wird somit seinen Namen ‘höchstwahrscheinlich schon als Familienvornamen getragen und ihn... in der Taufe bekommen haben’Ga naar voetnoot3. In der Literatur hat sich Dietrich hin und wieder eine Änderung seines Vornamens gefallen lassen müssen. Nordhoff behält die Form Dederich beiGa naar voetnoot4. Mit einigen Ausnahmen verwenden die Biographen die nhd. Form Dietrich. - Wie man auf die Form ‘Friedrich Kölde’ kommen kannGa naar voetnoot5, bleibt unverständlich, aber auch ‘Theodorich’ oder gar ‘Theodor’, wie Evelt, Parmet, Schlager und Bockholt wollenGa naar voetnoot6, müssen als Mißgriff angesehen werden. ‘Theodorich’ soll offenbar eine Ubersetzung des lateinischen ‘Theodoricus’ sein. Diese Bezeichnung ist aber ihrerseits schon die Latinisierung von Diderick. Die hochdeutsche Entsprechung zu Diderick ist weder Theodorich noch Theodor, sondern DietrichGa naar voetnoot7. | |
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Über den Zunamen Dietrichs sind wir nachweislich zuerst durch Rudolf von Langen unterrichtet. Kolde selbst nennt seinen Familiennamen nicht. Im Gegensatz zu den münsterischen Urkunden, die fast ausschließlich die Schreibung ‘Kolde’ aufweisen, steht bei Rudolf von Langen: ‘Coelde’. Auch Jacques Neefs schreibt im Sockel seines Kupferstichs mit dem Bildnis Dietrichs: ‘R.P. Theodorici Coelde Monasterio’Ga naar voetnoot8. Das ‘C’ in ‘Coelde’ bei Langen wie bei Neefs ist rein graphischer Natur; denn im lateinischen oder auch im niederländischen Orthographiesystem ist der Gebrauch des ‘K’ nicht geläufig. In ciner Predigthandschrift der Württembergischen LandesbibliothekGa naar voetnoot9 findet sich der Vermerk: ‘Enne Collacie Broder dirick Colde.’ Ob Dietrich selbst seinen Namen später mit ‘C’ geschrieben hat, ließe sich hieraus nur erweisen, wenn diese Handschrift als Autograph Dietrichs nachgewiesen würde. Dafür sind aber vorläufig keinerlei Kriterien bekannt. - Das hinter dem -o- eingeschobene -e- ist ebenfalls in der mittelniederdeutschen und mittelniederländischen Schreibweise begründet, die den langen Vokal in geschlossener Silbe gern durch Doppelschreibung oder durch nachgeschriebenes e oder i kennzeichnet. Es hat nun aber die Konsonantengruppe -ld- von sich aus schon die Tendenz, den voraufgehenden Vokal zu dehnen, so daß allein aus diesem Grunde das -o- in Kolde schon lang gesprochen worden ist und die Längebezeichnung durch das -e- an sich nicht nötig wäre (vgl. holden ‘halten’ 97, 8). Groetekens Ansicht, Dietrich habe seinen Zunamen später selbst ‘Coelde’ geschrieben, weil er auch goet, roet, noet und doet schriebGa naar voetnoot10, ist aus dem vorgenannten Grunde nicht stichhaltig. Wir tun somit gut daran, die Schreibung ‘Dietrich Kolde’ festzuhalten, wobei das -o- in Kolde lang zu sprechen ist. Die im Mittelalter übliche Herkunftsbezeichnung ‘Dietrich von Münster’ oder ‘Dietrich von Osnabrück’ hat zuweilen Verwirrung hervorgerufen, da nämlich sowohl von Münster als auch von Osnabrück je ein anderer namhafter Mann mit dem Vornamen Dietrich bekannt istGa naar voetnoot11. Der ältere ‘Theodoricus a Monasterio’ gehörte dem Dominikanerorden an, war Professor der Kölner Universität und nahm als deren Deputierter am Konzil von Konstanz teilGa naar voetnoot12. Ein Theodoricus von Osnabrück, | |
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mit dem Kolde verwechselt werden konnte, trug den Zunamen Vrie und gehörte dem Augustinerorden an. Die älteren Arbeiten über Kolde haben die Doppelheit der Herkunftsbezeichnung einmütig so erklärt: Dietrich trage die Namen ‘Dietrich von Osnabrück’ und ‘Dietrich von Münster’, weil sein Vater aus Osnabrück stamme und nach Münster zugezogen seiGa naar voetnoot13. Zuhorn betont mit Recht das stark Konstruktive dieser Theorie und legt die Gründe dar, die gegen die bisherige Annahme sprechenGa naar voetnoot14. M.E. ist diesen Gründen beizutreten. Schon Strunck ist - wie Zuhorn hervorhebt - sich seiner Sache nicht ganz sicher, wenn er sagt: ‘...et forte ab eadem urbe cognomen illud adeptus fuerit.’ Zum Glück sagt uns Strunck auch, woher er diese Kenntnis genommen hat: ‘a patribus eiusdem ordinis ex provincia Coloniensis tabulario nuperrime ad me perscriptum est’Ga naar voetnoot15. Er meint damit die Ordensannalen der Kölner Provinz, deren Reste uns aus dem Brühler Archiv bekannt sind. Ihre Zuverlässigkeit ist schon oben (S. 5*) angezweifelt worden. Es ist nun sicherlich kein Zufall, daß sich die Bezeichnung ‘Dietrich von Osnabrück’ nur in der Gegend von Köln findet oder bei Leuten wie Trithemius, denen Dietrich aus seiner Tätigkeit in und um Köln bekannt war. Das erklärt sich leicht, wenn man bedenkt, daß Kolde ja nur für seine Kölner Klosterbrüder und Gelehrtenkreise aus der Klosterheimat Osnabrück kamGa naar voetnoot16. Alle anderen Zeugnisse aus den Niederlanden und aus der Geburtsheimat Dietrichs nennen ihn nämlich nicht ‘von Osnabrück’, sondern ‘von Münster’. Unter diesem Namen ist er in dem weiten Bereich seines Wirkens dem Volke aus Predigt und Scelsorge bekannt gewesen, was eine Bemerkung Gisberts von Rutenberg (gest. 1557) in einer handschriftlichen Chronik seiner Kartause aus- | |
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drücklich belegt: ‘...per praedicationes deuotissimas Beati Theodorici Osnabrugensis siue ut vulgo vocabatur Monasteriensis...’Ga naar voetnoot17. In diesem Zusammenhang bestätigt sich noch einmal die Annahme, daß Kolde schon in Osnabrück den Augustinern beigetreten und als Angehöriger dieses Ordens nach Köln gekommen ist. Wäre Dietrich von seinen Eltern von Münster nach Köln geschickt worden, so hätten die Kölner Autoren keinerlei Ursache gehabt, die familiären Beziehungen Dietrichs nach Osnabrück zu erwähnen. Die Bezeichnung ‘von Münster’ würde in diesem Falle ja viel näher gelegen haben. |
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