Rudof G. Binding
aan
Menno ter Braak
Berlijn, 15 december 1933
Dr. h. c. Rud. Binding
z. Zt. Berlin den 15. Dezember 33.
Herrn Dr. Menno Ter Braak
Rotterdam
Beukelsdijk 143 B
Sehr geehrter Herr ter Braak!
Wenn Ihre Ausführungen im Nieuwe Rotterdamsche Courant halb so änstandig gewesen wären wie Ihr Brief vom 12. Dezember so würden Sie Wahrscheinlich mich geradezu bezwungen haben. Ich muss gegenüber Ihrem Briefe zunächst feststellen dass nicht ich mich an Sie gewendet habe, sondern dass Sie sich an mich wenden - was vielleicht erlaubt Ihnen zu antworten. Diese Antwort freilich kann nur kurz sein und möchte Sie zunächts nur darüber aufklären, dass Ihre Kritik keineswegs meinen Zorn geweckt hat. Ich kann ja nicht hindern dass Sie sich blamieren.
Wenn ich gesagt habe: Sie können kein deutsch lesen (wie es in dem Brief an Ihren Freund Maurice Roelants geschehen ist), so sage ich eben damit heutzutage nichts für uns Verwunderliches. Sie haben keine Ahnung von mir. Kein Mensch in der ganzen Welt - auch in Holland nicht - glaubt von mir das was Sie von mir gesagt haben, wenn er mich überhaupt kennt. Sie bilden sich ein dass mein Stil oder meine Gefühle etwas mit der neuen deutschen Romantik zu tun hätten und dass infolgedessen die deutschen Zeitschriften und Zeitungen mich aus diesem Grunde nicht ‘zerreisen’. Sie wissen einfach nichts von mir. Sie wissen einfach nicht dass mir deutsche Zeitschriften und Zeitungen ebenso gleichgültig sind wie holländische Zeitschriften und Zeitungen oder irgendwelche Zeitschriften und Zeitungen. Sie wissen ja garnichts von meiner Anhängerschaft. Sie kümmern sich auch gar nicht darum ob ich Humor habe oder nicht sondern nehmen an dass ein holländisches Publikum denselben in meinen Büchern vermisst. Das holländische Publikum vermisst ihn gar nicht; nur Sie kennen die Büchern nicht in denen der Humor spielt. Und ich habe keinen Grund Ihnen diese Bücher zu verehren. Wenn Ihnen darum zu tun ist können Sie sich ja dieselben selber suchen.
Sie haben vollständig recht dass ‘schöner Stil’ - wie Sie ihn auffassen - eine Toilettenangelegenheit ist; aber Sie können nicht genug deutsch lesen um eine Toilettenangelegenheit die keine ist, von ‘Substanz’ zu unterscheiden die einen Stil fordert. Denn Sie können mir doch nicht beibringen was Stil ist und ich kann Ihnen offenbar nicht beibringen was Substanz ist.
Die ganze Situation ist die dass ich eine bessere Meinung von holländischen Lesern habe und haben darf als Sie, der Sie voraussetzen dass holländische Leser an diesen meinen Dingen nichts von Reiz oder auch nur von Substanz finden. Die unzähligen - oder sagen wir nicht unzähligen sodern die vielfachen - Anerbietungen von Uebersetzungen ins Holländische, die jedesmal daran scheiterten dass die besten Bemühungen die Schwierigkeiten nicht überwanden, beweisen mir nur dass es schwer sein muss meinen Dingen gerecht zu werden. Ihnen nehme ich das nicht übel, Sie verstehen deutsche Dinge nicht und geben sich ja auch nicht Mühe das Werk eines Autors kennen zu lernen und aus dem deutschen Wesen heraus zu verstehen sondern Sie machen Kritiken - wie Sie selbst mir schreiben fur ein holländisches Publikum. ‘Rien au monde ne me semble, bête que la gravité’ - das ist genau das was auch ich als Bêtise bezeichne. Aber nicht einmal das werfen Sie mir ja vor sondern eine Philosophie Houbigant und dergleichen - wie ich ja überhaupt nach ihrem Brief den Eindruck habe dass Sie gar nicht mehr wissen wie unanständig - nicht für mich - sondern für die Holländer, für Ihr land, für Ihre Nation, für Ihre bedeutendste Zeitung, für Sie selbst als einen Schriftsteller von Rang die Ausführungen waren wegen deren ich mich bewogen fühlte an einen so anständigen Mann wie Ihren Freund Maurice [Roelants] - allerdings unter der Unkenntnis dieser Freundschaft -einen Brief zu schreiben.
Sehr geehrter Herr Ter Braak! Wenn Sie in diesen Ausführungen nichts von einem Friseurparfüm entdecken, nichts von einem Houbigant, nichts von Glacéhandschuhen, u. dergl., so werden Sie sich ja nicht wundern. Im Gegenteil: es muss Ihnen ja nur gefallen.
Ich würde auch nicht Ihren Brief einer Antwort wertgehalten haben wenn mich nicht eine Achtung vor Ihrer Nation dazu veranlasst hätte an Herrn [Roelants] zu schreiben. Dass dieser Herr Ihnen meinen Brief mitgeteilt hat und Sie von sich aus an mich geschrieben haben hat es mir erlaubt Ihnen auf Ihren brief zu erwidern.
In vorzüglicher Hochachtung
Rudolf G. Binding
Origineel: Den Haag, Letterkundig Museum