Anlehnung und Abgrenzung
(1976)–Ulrich Bornemann– Auteursrechtelijk beschermdUntersuchungen zur Rezeption der niederländischen Literatur in der deutschen Dichtungsreform des siebzehnten Jahrhunderts
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A. Zum Problem des ÜbersetzensNeben den persönlichen Kontakten und kulturhistorischen Faktoren gehören die Übersetzungen zu den wichtigsten Vorgängen der Vermittlung. Opitz stand im Ansehen eines vorbildlichen Übersetzers. Schottel nennt ihn einen ‘Meister in der Teutschen Sprache... der die Dolmetsch-Kunst gewust,’Ga naar eind1 und Scherffer preist die deutsche Ausgabe der Psalmen Davids als ein ‘löbliches meisterstükk ... daß noch zur zeit man keinen gesehen/ ders Ihme gleich gethan hat.’Ga naar eind2 Opitzens Übersetzungen haben dazu beigetragen, dass die Dichtung von Heinsius in Deutschland grosse Verbreitung fand: Daniel Heinsius ... hat insonderheit in der Niederteutschen Sprache/ was die Poesin zuvoderst betrift/ ein trefliches Meisterstükk zu auspfälung des Grundes verrichtet/ seine Landsleute so wol/ als unsere Hochteutsche angelokket/ die Nachfolge zuversuchen oder das Niederteutsche in das Hochteutsche zuversetzen/ wie ... aus dem Opitio selbst bekant.Ga naar eind3 Es ist bekannt, in welch hohem Grade das Schrifttum des 17. Jahrhunderts auf Übersetzungen beruht. Sie sind ein entscheidender Anstoss auf dem Wege zu einer eigenen nationalen Dichtung, durch sie werden Motive und Formen eingeführt und für das eigene Schaffen nutzbar gemacht. Zu den traditionellen Beweggründen der Übersetzungen in Frühzeiten klassischer Perioden der Literatur gehört der Nachweis der Gleichwertigkeit der eigenen mit anderen Sprachen. Opitz wollte ihn mit den Teutschen Poemata aufstellen: Ihm sey aber doch wie jhm wolle, bin ich die Bahn zu brechen, vnd durch diesen anfang vnserer Sprache Glückseeligkeit zu erweisen bedacht gewesen. Solches auch desto scheinbarer zumachen, hab ich einen zimlichen Theil dieses Büchlins auß frembden Sprachen vbersetzen wollen; daß man auß gegenhaltung derselben die Reinigkeit vnd Zier der vnseren besser erkennen möchte.Ga naar eind4 Darüber hinaus gibt es die Motive der Sprachbeherrschung und der poetischen Übung. Rist begründet seine Übersetzungen damit, dass er ‘in erlernung frembder Sprachen desto fertiger möchte werden,’Ga naar eind5 und Lund bekennt, er habe von Jugend auf eine Zuneigung gehabt, ‘unterschied- | |
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licher Sprachen Kundschafft ze erlangen.’Ga naar eind6 Aber das Erlernen fremder Sprachen geschah nicht um seiner selbst willen, es wurde als Voraussetzung für die Dichtung in der Muttersprache angesehen. Scriverius berichtet, dass Ronsard twaeleff gheheele jaren besich is gheweest om hem inde Griecksche tale te oeffenen ... alleenlicken om zijn eyghen tale te schrijven, ende de maechdekens van Parnassus na sijn vaderlandt te trecken.Ga naar eind7 Opitz übernimmt diese Stelle in die Poeterey und fügt die Mahnung hinzu, dass derjenige, der sich an die deutsche Dichtung ohne Kenntnis der antiken Sprachen mache, vergeblich arbeite, und dass es eine gute Übung sei, aus ihnen zu übersetzen.Ga naar eind8 Diese Forderung findet sich in der Folgezeit in fast allen Barockpoetiken. Opitz erkennt nach dem Beispiel der Leidener Humanisten die Notwendigkeit, aus den klassischen Sprachen zu übersetzen, die Praxis seines ersten Gedichtbandes allerdings sieht anders aus: dem überwiegenden Teil der Übertragungen liegen Vorlagen in den modernen Sprachen zugrunde, unter denen die niederländische am stärksten vertreten ist. In dem bedeutsamen Kapitel seines Lehrbuches ‘Von der Vbung im Schreiben/ und insonderheit von ... dem Vbersetzen’ empfiehlt Titz dem jungen Liebhaber der Poesie, er solle eben diejenigen Sachen/ welche unser Opitz selbst ... aus andern Sprachen in Deutsche Verse gebracht [hat] auch darein überzuset-zen für sich nehmen/ und darnach beyde Vbersetzungen fleissig gegen einander halten und besehen ..Ga naar eind9 Opitz und Titz sprechen von der ‘Gegenhaltung’, und sie beziehen sich damit auf die wörtliche Übersetzung, die am Anfang der neuen Epoche der Übersetzungskunst steht. Die Sprache musste ja erst bereitet und auf ein poetisches Niveau gehoben werden, eine Leistung, die so hoch bewertet wurde, dass Harsdörffer urteilt, ‘es mag vielleicht nicht mindere Kunst seyn/ etwas gründlich zu übersetzen/ als aus seinem Hirn zu erfinden.’Ga naar eind10 Die wörtliche Übersetzung ermöglichte durch den Vergleich beider Texte eine Beurteilung der sprachlichen Möglichkeiten und der eigenen Leistung. So schreibt Lund, er habe manche Gedichte ‘Wort zu Wort’ übertragen,Ga naar eind11 und Opitz widmet seinen Lobgesang auf Bacchus dem Niederländer Verlingen, weil dieser wegen seiner Muttersprache am besten Zeugnis von der ‘trewe’ der Übersetzung geben könne.Ga naar eind12 Man war sich der Schwierigkeiten der Wörtlichkeit durchaus bewusst. Constantijn Huygens fasst sie prägnant in dem Satz zusammen: ‘Neemtmen de ruymte in't Oversetten, soo kan de waerheid niet vrij van geweld gaen: staetmen scherp op de worden, soo verdwijnt de geest vande uytspraeck.’Ga naar eind13 Auch bei Opitz finden sich Klagen über und Entschuldigungen für die Hindernisse, die sich ihm beim Versuch einer wörtlichen Übersetzung in den Weg stellten. In der Vorrede zu Senecas Trojanerinnen heisst es: | |
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ein jegliches Wort aber außzudrucken/ vnd sich an die Zahl der Verse zu binden/ habe ich fast vnmüglich zu seyn befunden ... So hat auch die Lateinische Sprache viel Eygenschafften/ derer vnsere/ vnd vnsere viel/ derer jene nicht fähig ist ...Ga naar eind14 Die Schwierigkeiten erwachsen dem Übersetzer aus der unterschiedlichen Struktur des Deutschen und Lateinischen. Aber auch bei modernen Sprachen kehren die Klagen wieder, so zum Beispiel in der ‘Vorrede deß Dolmetschen’ zur Übersetzung von Sidneys Arcadia: Es versuchs einer ... frembder Sprachen Verß in Teutsche Reymen vnd gleiche Zahl der Sylben/ohn Verstümpelung deß Innhalts/ zubringen; ich weiß/ er wirt/ neben mir bekennen müssen/ daß es nicht so gar leicht zuthun ...Ga naar eind15 Opitz schreibt weiter, er habe nach dem englischen Original und einer französischen Übersetzung gearbeitet. Sein Text wäre ein weit besserer geworden, wenn er nicht ‘in frembder Sprachen Schranken eingesperrt ... vnd an deß Authoris ... Sensum’ gebunden gewesen wäre. Die Schwierigkeiten waren so gross, dass er sogar die von ihm selbst aufgestellte Forderung nach Reinheit der deutschen Sprache verletzte: es werden ‘sich ... viel beschwären, daß so viel frembde Wörter mit eingemischt’, und als Begründung führt er an: ‘weil ich sonst offt vieler Vmbschwaiff von Nöthen gehabt hätte.’Ga naar eind16 Dem Streben nach Wörtlichkeit steht die behauptete Unmöglichkeit einer wörtlichen Übersetzung gegenüber. Es muss aber beachtet werden, dass alle diese Äusserungen im Zusammenhang mit Übersetzungen aus dem Lateinischen und den romanischen Sprachen niedergeschrieben wurden. Sie gelten daher auch nur für diese und dürfen nicht verallgemeinert werden. Es gibt neben der schon zitierten Widmung an Verlingen weitere Bemerkungen von Opitz zu seinen Übersetzungen aus dem Niederländischen. In Bezug auf den Bloem-Hof spricht er allgemein von holländischen Versen, die ihn ‘wegen sonderer bequemigkeit’ zur Nachahmung angeregt hätten, wenn ihn ‘der verdruß schweren Studierens’ befiel,Ga naar eind17 und den Lobgesang auf Bacchus habe er ‘lust halben in Hochdeutsch gebracht.’Ga naar eind18 Der Grund für diese Diskrepanz liegt auf der Hand: es fiel den jungen Dichtern leichter, aus dem verwandten Niederländischen als aus entfernteren Sprachen zu übersetzen.Ga naar eind19 Fast alle begannen mit lateinischer Dichtung, deren Form-, Sprach- und Bildvorrat jedem durch lange Übung verfügbar war. Es war für sie bestimmt einfacher, solche Verse zu verfassen, als sie in die Muttersprache zu übersetzen. Die Ursachen dafür liegen in der mangelnden Übung und Ausschmückung der deutschen Poeterei, im Fehlen einer einheitlichen Sprache und in den Schwierigkeiten der Reimfindung.Ga naar eind19a Beim Übergang von der lateinischen zur volkssprachigen Poesie bot sich die niederländische Literatur als hilfreiches Zwischenglied an. Sie hatte den Prozess bereits vollzogen und eine muttersprachliche Form erhalten, die sich leicht ins Deutsche übernehmen liess. Die Über- | |
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setzungen stehen genetisch am Anfang der neuen Kunstdichtung. Es wird richtig sein, die aus dem Niederländischen denen aus anderen Sprachen voranzusetzen und ihnen somit im Schaffen der jungen Dichter einen bedeutenden Platz zuzuweisen. Die Bevorzugung des Niederländischen zeigt sich auch dann, wenn ein Gedicht in mehreren Sprachen vorlag und die Übersetzung nicht auf den originalen Text zurückgeht. Der Vorgang, den man am besten als vermittelte Übersetzung bezeichnet,Ga naar eind20 hat seinen Ursprung in einem noch unkritischen Verhältnis zum Original. Er gehört zu den weitverbreiteten Praktiken der Zeit, und es ist keine Seltenheit, dass im Titel die ganze Genese angegeben wird.Ga naar eind21 Von der 12. Idylle Theokrits kannte Opitz das griechische Original, darüber hinaus aber auch die lateinische und holländische Übersetzung von Heinsius: so weiß ich doch nicht wie ... [Theokrits] Aites mir sonderlich behaget: inmassen ich denn auch halte/ das Heinsius gleichfals grossen gefallen daran treget/ der dieses Idyllion Lateinisch vnnd Hollendisch gegeben.Ga naar eind22 Von den drei ihm vorliegenden Texten arbeitete Opitz nach dem Niederländischen, in dem das Original durch Paraphrasen und Zutaten um rund ein Drittel erweitert und somit stark verändert ist. Die Verhältnisse liegen hier einfach, da er selbst die vermittelnde Übertragung angibt. Aber wenn statt dessen nur die originale Quelle genannt wird, ist der Zusammenhang nicht mehr so leicht durchschaubar, und es besteht die Gefahr, dass man die Übersetzerleistung falsch einschätzt. So lobt Rubensohn Opitz' ‘Hirtengesang’ (Nr. 17), der in späteren Ausgaben mit ‘Aus Ronsardts Erfindung’ überschrieben ist, als eine Übersetzung die die Vorlage weit übertreffe.Ga naar eind23 Und noch kürzlich hat Berent beide Texte verglichen und daraus Schlüsse für die Liebesauffassung von Opitz gezogen.Ga naar eind24 Aber wiederum liegt der Übersetzung nicht das Original zugrunde, sondern eine Bearbeitung aus dem Boem-Hof,Ga naar eind25 und alle positiven Eigenschaften, die Rubensohn hervorhebt, wie Geschmeidigkeit, Volkstümlichkeit, Selbständigkeit in der Hinzufügung des Schäferkostüms, finden sich bereits in der niederländischen Vorlage. Dass Opitz zur Zeit der Übersetzung neben dem niederländischen Zwischenglied auch die Originale kannte, zeigen die folgenden Beispiele. Das Sonnett Nr. 72 aus den Teutschen Poemata trägt die Überschrift ‘auß dem Latein Adeodati Sebae’, Opitz' Vorlage aber befindet sich ebenfalls im Bloem-Hof. Einige Varianten jedoch deuten darauf hin, dass er auch das lateinische Gedicht zu Rate zog.Ga naar eind26 Die Gedichte, die er aus dem Thronus Cupidinis übersetzte, sind so angeordnet, dass das französische Original auf der linken, die holländischen Übertragungen auf der rechten Seite gedruckt sind. Weevers hat überzeugend nachgewiesen, dass er von den holländischen Texten ausging und nur in einzelnen Fällen auf das Französische zurückgriff.Ga naar eind27 Der gesamte Bestand der vermittelten Übersetzungen lässt sich auch | |
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annähernd nur schwer erfassen. Hierzu wären eingehende Spezialuntersuchungen nötig, die auch noch bei Opitz zu überraschenden Ergebnissen führen könnten. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass zum Beispiel auch die Übersetzungen der Sonette von Veronica Gambara in diesen Bereich gehören. Bei der Beurteilung einer Übersetzung wird stets Vorsicht geboten sein, da zwischen dem Original und der deutschen Version oft ein doppelter oder gar dreifacher Abstand besteht. Die Beispiele haben gezeigt, in welchem Masse die holländische Sprache anderen vorgezogen wird. Die Voraussetzung dafür ist, dass die niederländische Literatur selbst zu einem grossen Teil aus Übersetzungen besteht. An der vermittelten Übersetzung lasst sich ihre Mittlerstellung deutlich erkennen. Um die Mitte des Jahrhunderts wurde die Frage des Übersetzens problematisiert. Das zeigt sich schon rein äusserlich daran, dass es bisher nur verstreute Bemerkungen gab, jetzt aber in längeren Ausführungen in den Poetiken dazu Stellung genommen wird. Die Beschäftigung setzt relativ plötzlich ein. Zwar haben Titz in seinem Lehrbuch und Harsdörffer im ersten Band der Frauenzimmer-Gesprächspiele schon einige in die Zukunft weisende Gedanken, aber erst mit dem Poetischen Trichter kommt es zu einer intensiven Behandlung. In Holland bietet sich nur um weniger Jahre früher ein ähnliches Bild. Mit Vossius und Vondel nimmt Amsterdam hier die wichtigste Stelle ein. Ersterer trat als Theoretiker hervor und veröffentlichte 1647 eine schmale Abhandlung ‘De Imitatione’, die ein Buch der praktischen Unterweisung sein sollte. Sie sei - so schreibt Vossius an den Leser - auf vielfältige Bitten seiner Freunde entstanden. Er habe sich in der Darstellung der Kürze bedient, da er sich vor allem die Jugend zur Leserschaft wünsche.Ga naar eind28 Der Wert des Werkes liegt weniger in der Mitteilung neuer Erkenntnisse, sondern in der fleissigen und übersichtlichen Kompilation, die im Dienste der didaktischen Absicht des Autors steht. In den vier Kapiteln wird darüber gehandelt, was ‘imitatio’ ist, ob sie notwendig sei, welche Dichter und auf welche Art man sie nachahmen solle. Vondel äusserte sich zu diesen Fragen in den Vorworten seiner Werke, an denen sich der Weg von einem wörtlichen Übersetzer zu einem mitgestaltenden Nachahmer ablesen lässt.Ga naar eind29 Bei seiner engen Verbindung zu Vossius ist es nicht erstaunlich, dass dessen Ansichten in seine Darlegungen eingingen. Die Gedanken sind zu einem grossen Teil Allgemeingut. In Deutschland und Holland beruft man sich mit Vorliebe auf das Zeugnis von Seneca, Quintilian und Cicero. Man wird die Übereinstimmungen nicht vorschnell als Abhängigkeiten deuten dürfen, es sprechen aber einige Umstände dafür, dass die deutschen Theoretiker Anregungen von der Amsterdamer Übersetzerschule empfingen.Ga naar eind30 Einen deutlichen Hinweis enthält der Bericht Harsdörffers von Vondels Beurteilung der dichterischen Leistung Opitzens: der berühmte J. van der Vondeln ... [hat] unsern Seel. Martin Opitz für keinen Poeten gehalten/ weil er das meiste aus andern | |
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Sprachen übersetzet/ und wenig aus seinem Gehirn zu Papier gebracht/ und also mehr nicht/ als das Lob eines guten Dolmetschers ... zu erfordern habe.Ga naar eind31 Die unterschiedlichen Standpunkte treten klar hervor. Vondels Kritik an Opitz richtet sich gegen die wörtlichen Übersetzungen, an denen sich die Diskussion entzündet. Nachdem der Grund einer Dichtersprache gelegt worden war, werden sie zurückhaltender beurteilt. Bei der Übertragung, die Wort für Wort dem Original folgt, besteht die Gefahr, dass sie die Sprachstruktur der Vorlage übernimmt und somit gegen den eigenen Sprachgeist verstösst: Hier ist auch etlicher Latinisirendes Teutschreden zu bemercken/ welche vermeinen/ wann sie Wort von Wort übersetzen/ so haben sie es meisterlich ausgerichtet/ man pflege gleich also zu reden/ oder nicht.Ga naar eind32 Neben diesem Einwand meldet sich das Unbehagen an einer nur sklavischen Nachfolge der Vorlage. Man forderte eine eigene Leistung, denn nur so verdiene jemand den Namen eines Dichters. Für den wörtlichen Übersetzer fand man abwertende Bezeichnungen und behauptete mit J.C. Scaliger, er sei ‘ex aliorum ... ingeniis Poeta, ex suo Versificator.’Ga naar eind33 Die Unterscheidung zwischen Dichter und Versemacher zeigt, dass man sich von der bloss verbalen Erfassung der Vorlage löste und sich zur Sache, zum Inhalt selbst wandte. Man muss ‘den Wortverstand zurucke lassen und die Meinung allein dolmetschen ...’Ga naar eind34 Es wird sich bei der Analyse der Übersetzungen von Opitz zeigen, dass dieser eine solche Vorschrift noch nicht befolgte. Das Streben nach Wörtlichkeit und der enge Anschluss an die Vorlage entstellen zuweilen den Inhalt. Wenn die ‘imitatio’ auch eine eigene Leistung erforderte, so war damit doch kein Originalkunstwerk gemeint. In immer neuen Wendungen versucht man den Schaffensprozess darzustellen. Der Dichter ist derjenige, der viele Bäche zu einem poetischen Fluss zusammenfasst, oder er gleicht nach dem Bilde Senecas den Bienen und trägt das in verschiedenen Büchern Gelesene zusammen, mischt es und gestaltet daraus ein anderes Kunstwerk.Ga naar eind35 Die Bilder drücken aus, dass damit ein einheitliches und geschlossenes gemeint ist. Die eigene ‘inventio’ aber besteht nicht in der Neuartigkeit, sondern in der Andersartigkeit. Wo die Grenze zwischen fremdem Anspruch und eigener Leistung gezogen wurde, zeigt die Auffassung vom Plagiat. Es ist ein verbreiteter Irrtum, dieses sei im 17. Jahrhundert eine unbekannte Norm gewesen. Dagegen sprechen die vielen Vorschriften, die schon im 16. Jahrhundert erlassen wurden. In der jahrelangen Freundschaft zwischen Köler und Tscherning soll es gerade wegen eines Plagiatstreites zum Bruch gekommen sein.Ga naar eind36 Die moderne Definition als eines literarischen Diebstahls, bei dem man fremde Werke vollständig oder auch Teile daraus ohne Angabe des Urhebers als die eigenen bezeichnet, lässt sich allerdings nur unvollständig anwenden. | |
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Übernimmt man ein ganzes Gedicht oder grosse Teile, dann ist es erforderlich, die Quelle anzugeben. Wenn ‘ich aber eines andern Meinung nicht vollkommenlich behalte/ sondern von derselben gleiche Gedanken absihe und denselben nachahme/ von eignem Wolvermögen darzu thue/ und nach meinem Vorhaben richte ...’,Ga naar eind37 dann darf und soll sie sogar fortbleiben. Das geschickte Umstellen, Auslassen und Hinzufügen wird als ausreichende eigene Leistung betrachtet. Das Ziel ist es, dem eigenen Werk eine derart veränderte Gestalt zu verleihen, dass die Vorlage dahinter nicht mehr erkennbar ist: ‘ich will sagen/ dz die beste Dolmetschung ist/ welche man für keine Dolmetschung hält.’Ga naar eind38 Eine solche Stellung zum Original wird durch die ‘aemulatio’ ergänzt. Die andere Farbe und das neue Kleid des eigenen Werkes führten zum Vergleich mit den Mustern. Hatte die Gegenhaltung bei der wörtliches Übersetzung den Zweck, das Können und die Texttreue zu beweisen, so steht sie bei der Imitatio im Dienst eines Wettstreites. Man wollte die Vorlage nicht allein vergessen machen, sondern sie nach Möglichkeit übertreffen. In diesem Sinne schreibt Harsdörffer: Es füget sich auch/ daß diese Nachahmung nicht nur dem urständigen Stücke (Original) gleich/ sondern von dem Meister der Kunst noch wol besser gemacht wird.Ga naar eind39 Findet die ‘imitatio’ in der ‘aemulatio’ eine positive und steigernde Fortsetzung, so hat sie in einem wahllosen Eklektizismus eine negative Entsprechung, die sich in der Gebrauchskunst, namentlich der Hochzeitsdichtung, zeigen wird. | |
B. Die niederländische Sprache in DeutschlandEs ist eine undankbare Aufgabe, über das Ansehen der niederländischen Sprache in Deutschland zu schreiben, da man immer wieder auf eine abweisende und höhnische Haltung stösst. Während des 18. und 19. Jahrhunderts wurde zwischen der niederländischen Sprache und dem deutschen Verständnis eine Schranke von Vorurteilen errichtet, die bis heute nicht aufgehoben wurde. Die Vorwürfe lassen sich in zwei Klassen einteilen. Einmal stösst man sich am Klang. Die gutturalen Reibelaute und die breite Aussprache des ‘ei’ sind keine Musik für an romanischen Sprachen geschulte Ohren. Das Niederländische wird daher als ‘versumpft und in Gurgellaute ausgeartet, misstönend und dumpf’Ga naar eind1 und als ungeeignet für eine poetische Verwendung bezeichnet. Der andere Vorwurf wiegt wesentlich schwerer und hat weitreichendere Konsequenzen. Man begegnet oft der Ansicht, das Niederländische sei lediglich ein Dialekt der deutschen Hochsprache und daher leicht zu lernen, es sei dem Plattdeutschen eng verwandt und daher nicht als eigenständige Sprache anzusehen. Das beruht auf einer vordergründigen Kenntnis, die sich auf den allerersten Eindruck stützt, der einer intensiven Beschäftigung nicht | |
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standhält. In einem Brief von 1875, dessen Absender selbst als plattdeutscher Dichter hervorgetreten ist, werden die Unterschiede betont: Im Holländischen hoff' ich Fortschritte zu machen; ich hoff' es zu lernen, wie das Englische und Französische; aber fühlen werd' ich es nie ... In diesem Sinne hab' ich zwei Sprachen: Hochdeutsch und Plattdeutsch.Ga naar eind2 In diesen Sätzen wird das Holländische vom Plattdeutschen abgehoben und vom Lernenden mit dem Englischen und Französischen gleichgesetzt. Die Bezeichnung als Dialekt enthält die Ansicht, dass die Sprache nur von einer Minderheit benutzt werde. Man konnte dafür auf die geringe Bevölkerungszahl des Landes verweisen. Seine Literatur könne nicht den Anspruch erheben, als vollwertig aufgefasst zu werden, und man wies ihr einen Platz im Bereich des mundartlichen Schrifttums zu, das nicht höheren Ansprüchen genüge und dem eine dörfliche Unbeholfenheit anhafte. In diesem Sinne haben sich immer wieder deutsche Autoren zu Wort gemeldet, und unter ihnen befanden sich die bedeutendsten. Herder legt den zu seiner Zeit strengsten Maßstab an, wenn er schreibt: ‘Man übersetze Homer in's Holländische, ohne ihn zu travestieren.’Ga naar eind3 A.W. Schlegel, der wegen seines mehrjährigen Aufenthaltes in Amsterdam die Stelle eine einflussreichen niederländisch-deutschen Vermittlers hätte einnehmen können, gibt seine Abscheu in drastischen Worten zu erkennen. Die Sprache sei ihm so zuwider, dass ihm davor ekele, ein holländisches Buch auch nur in die Hand zu nehmen, und jedem Deutschen von Geschmack werde es ähnlich gehen. Er räumt aber ein, dass es mit viel Geduld gelingen werde, ‘selbst in diesem Misthaufen vielleicht Perlen zu finden.’Ga naar eind4 Nicht immer war die Kenntnis des Niederländischen in Deutschland so gering und die Bewertung so abschätzig, wie es sich in diesen wenigen Zitaten und noch heute in vielen Äusserungen zeigt. Geht man weiter zurück, so findet man günstigere Urteile. Mehr als ein halbes Jahrhundert vor Schlegel überschritt Albrecht von Haller die Grenze, um sich in Leiden medizinischen Studien zu widmen. Sein erster Eindruck von der Sprache ist durchaus kein negativer: ‘... die unbekannte Spraache ... ware mir neu und machte mich aufmerksam.’Ga naar eind5 Im 17. Jahrhundert war sie in weite Kreise Deutschlands gedrungen. Das kirchliche Leben in den reformierten Gemeinden der Grenzgebiete war weitgehend vom Niederländischen bestimmt. Im Gottesdienst und in den Gesangbüchern hatte es die Muttersprache verdrängt. Der Handel mit den Hansestädten und den Kaufmannszentren im Reich hat zu seiner Verbreitung und zur Wirkung auf die berufsständigen Sprachen beigetragen.Ga naar eind6 Im diplomatischen und gesellschaftlichen Verkehr behauptete das Niederländische einen Platz unter den Weltsprachen. ‘Ein richtiger Hofmann musste die lateinische als diplomatische Sprache verstehen, sodann italienisch und französisch. Sehr häufig kommt spanisch, respect. holländisch hinzu.’Ga naar eind7 Ein Teil von Constantijn Huygens' offiziellem Briefwechsel mit deut- | |
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schen Fürstenhöfen ist holländisch geschrieben. Unter den Gelehrten liesse sich leicht eine stattliche Liste von Professoren und Dichtern zusammenstellen, die das Niederländische beherrschten. Als die Verleger Bonaventura und Abraham Elzevier 1636 mit dem Hamburger Lucas Holstenius, dem damaligen Bibliothekar der Vaticana in Rom, brieflich die Herausgabe eines Werkes erörterten, bedienten sie sich dabei wie selbstverständlich ihrer Muttersprache.Ga naar eind8 Bei den Theologen gehörte sie zum Rüstzeug, wenn man den kirchlichen Kontroversen folgen oder an ihnen teilnehmen wollte. Der Bremer L. Crocius z.B. veröffentlichte eine dogmatische Streitschrift gegen Petrus Bertius, die er in der holländischen Muttersprache seines Gegners verfasste.Ga naar eind9 Wen die ‘peregrinatio’ nicht in die Niederlande geführt hatte, der eignete sich die nötigen Kenntnisse im Selbststudium an. Von Bernegger ist überliefert, dass er mit grossem Eifer nicht nur die romanischen Sprachen lernte, sondern auch eine gründliche Kenntnis ‘der niederländischen Mundart’ erwarb.Ga naar eind10 Als Daniel Georg Morhof auf der Universität Rostock war, widmete er sich neben dem Studium der Jurisprudenz auch dem der modernen Sprachen, in das er das Niederländische einbezog.Ga naar eind11 Sein späteres Urteil über die Eigenständigkeit, dass es ein ‘Ausländer leichtlich vor ganz unterschiedene Sprachen halten könnte,’Ga naar eind12 gründet sich also auf eigene Kenntnis. Durch besonders gute Fähigkeiten zeichneten sich natürlich jene Gelehrten aus, die in Leiden oder an einer anderen Hochschule der Staten studiert hatten. Dafür seien zwei Beispiele aus Buchners Schüler- und Freundeskreis genannt. Henricus von Frisen schrieb 1630 aus Leiden einen Brief an Huygens in fliessendem Holländisch.Ga naar eind13 Die Korrespondenz zwischen Huygens und Fabricius wurde oft in dieser Sprache geführt. Im Jahr 1658, als Fabricius Syndikus der Stadt Danzig war, sandte er Huygens einige Dankeszeilen: Eene maand of acht geleden heeft uw zoon mij de Monumenta desultoria en uw brief ter hand gesteld. Ik ben verrukt over uw boek. En met uw zoon heb ik met groot genoegen kennis gemaakt. Ook hoorde ik veel over u van de gezanten ...Ga naar eind14 Es handelt sich um einfaches, aber korrektes Holländisch. Dass Fabricius zwei Jahrzehnte nach seinem Aufenthalt in den Niederlanden die Sprache noch so gut beherrschte, zeigt, wie gründlich er sie gelernt hatte oder dass er sich in Deutschland weiter mit ihr beschäftigte und in Danzig mit Holländern verkehrte. Der direkteste Zugang zu einer fremden Literatur führt über die Kenntnis der Sprache. Sie gehörte zu den Forderungen, die an einen Übersetzer gestellt wurden: ‘Wer transferiren und verteutschen wil/ muß der jenigen Sprache/ die er zuübersetzen bemühet ist/ recht und gründlich kündig seyn ...’Ga naar eind15 Die beinah vollständige Unbekanntheit der niederländischen Literatur im heutigen Deutschland lässt sich ebenso aus der dürftigen Kenntnis der Sprache erklären, wie sich aus der grossen Wirkung der niederländischen Literatur auf die deutsche des 17. | |
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Jahrhunderts auf eine gute Kenntnis der Sprache schliessen lässt. In die Opitz-Literatur hat sich allerdings seit Muth und Rubensohn die Gewohnheit eingeschlichen, den Finger immer wieder auf grobe Missverständnisse des holländischen Textes zu legen. Noch in jüngster Zeit entdeckte Schönle einen Übersetzungsfehler, mit dessen Hilfe er bei Opitz eine ‘mangelhafte Kenntnis des Niederländischen’ feststellt.Ga naar eind16 Es handelt sich dabei in konkretisierter Form um die schon von Beckherrn vertretene These, in Deutschland sei damals kaum Holländisch gesprochen worden.Ga naar eind17 Betrachtet man die am häufigsten genannten Irrtümer, so wird man sie nicht einer Unkenntnis zuschreiben können. Opitz übersetzt ‘hoop’ (= Hoffnung) mit ‘Haupt’, ‘herssen’ (= Verstand, Gehirn) mit ‘Hertzen’, ‘slijten’ (= verbringen) mit ‘schliessen’. Die Beispiele zeigen einen engen Anschluss an die Vorlage, und wenn man so will, dann stecken Opitz' Übersetzungen voller Fehler, aber sie haben meistens ihren Grund in der klanglich-metrischen Nachahmung der holländischen Vokabel. Opitz folgt häufig nicht dem Wortverstand, sondern der Wortgestalt. Dass dieses Verfahren zu völligen Sinnentstellungen führen kann, zeigt die Übersetzung des 14. Verses im ‘Lobgesang Jesu Christi’ über die Menschwerdung, wo ‘verworven/ Het menschelicke vlees’ mit ‘verworffen vnser Fleisch’ wiedergegeben wird. Aber dieses Versehen verbesserte Opitz selbst handschriftlich im Geschenk-exemplar für Bibran und in seiner eigenen Ausgabe der Teutschen Poemata.Ga naar eind18 Wie gut er das Holländische beherrschte, erkennt man an der Prosaübersetzung der Vorrede ‘Innhalt vnd Nutz dieses Lobgesanges,’Ga naar eind19 die wörtlich aus Heinsius entnommen wurde. Es besteht kein Anlass, an seiner Versicherung zu zweifeln, dass er der Sprache kundig war. In einem Brief bittet er Venator um die holländischen Gedichte aus dem Nachlass Gruters mit der Begründung: ‘cum linguae gnarus sim.’Ga naar eind20 Die Äusserungen des 17. Jahrhunderts über das Holländische verbinden häufig mit dem Lob der Sprache den Preis der Leistungen, die von Dichtern und Theoretikern darin vollbracht wurden. Wenn Harsdörffer fordert, ein Poet müsse neben anderen Sprachen auch im Holländischen erfahren sein,Ga naar eind21 dann hält er es geeignet für eine dichterische Verwendung. Es konnte sogar in Konkurrenz zur deutschen Muttersprache treten, wie aus Arnolds Kunst-Spiegel hervorgeht: Billich aber heissen wir sie Hochteutsch/ wegen ihrer höchsten Liebligkeit/ denn ob schon die Niederländer recht artlich und wol reden/ so müssen sie doch uns Hochteutschen in dem Vortritt zu Rükke weichen ... wie vormals die Attische [Sprache] in Griechenland den Vorzug überkommen.Ga naar eind22 In einem ähnlich einschränkenden Sinne äussert sich Schottel. Es ist aber bemerkenswert, dass er die Qualitäten der holländischen Dichtersprache betont: ... wie gnugsam aus dem Catzio und Heinsio/ Stevino und ande- | |
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ren vornehmen Niederländischen Authoren bekant/ die Holländische Mundart jhre fast liebliche bequeme Eigenschaft darzeiget/ so halten wir dennoch mit fuge dafür/ daß die rechte vollkommene untadelhafte Zier ... zuvoderst dem Hochteutschen verliehen.Ga naar eind23 Der Duisburger Professor Heinrich Christian Henninius, der im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts in Utrecht den Doktorgrad erwarb und ein guter Kenner der Sprache war, lobt die Bemühungen des ganzen Volkes um die Kultivierung des eigenen Idioms. Ihnen sei es zu danken, dass die Gedichte weicher und lieblicher erschienen als die der Deutschen: Germanismo secundus est ejusdem propago Belgismus: qui longe mollior est, et si verum fateri sine invidia liceat, majori industria a Gente ingeniosa excultus. Belgae enim omnia Germanismi duriora emolliverunt, et studiose cavent ferociores consonarum collisiones: unde et Belgarum Carmina (intellego praecipue Batavorum) longe suavioribus deliciis decurrunt, prae illis Germanorum.Ga naar eind24 Die Achtung und Kenntnis der niederländischen Sprache in Deutschland erhielt sich so lange, wie die ‘Staten’ ihre kulturelle und wirtschaftliche Vormachtstellung bewahren konnten. Als der Glanz des ‘Gouden Eeuw’ verblasste, kam das Bedürfnis nach sprachlichen Hilfsmitteln auf. Der Nürnberger Matthias Cramer schrieb zu Anfang des 18. Jahrhunderts eine niederländische Grammatik und ein deutsch-niederländisches Wörterbuch. Als Ziel seiner Arbeiten nennt er: sie seien zum Gebrauch in ‘Staats- und Krieg- als in Kauf und Handelssachen’ bestimmt, denn sehen wir nicht täglich vor Augen, wenn die Niederdeutschen, die nicht hochdeutsch, oder die Hochdeutschen, die nicht niederdeutsch können mit einander Briefe wechseln, oder mündlich reden, daß sie entweder einander nicht verstehen, oder Dolmetscher halten, oder aber, daß sie sich beyderseits mit dem Französischen, so gut als sie können, behelfen müssen.Ga naar eind25 Aber nicht nur in diesen Bereichen, sondern auch in der Gelehrsamkeit trat das Niederländische in den Hintergrund. Bei einer Spezialarbeit über die Geschichte des Landes stand es dem Autor nicht zur Verfügung. Schiller bedauerte, dass er für die Darstellung über den Abfall der Niederlande ein so wichtiges Quellenwerk wie Hoofts Historien nicht im Original lesen konnte.Ga naar eind26 Die bisher genannten Grade der Sprachbeherrschung reichen vom Lesen der Texte bis zum Verfassen eigener Briefe und Schriften. Eine weitere Steigerung bedeutet die Fähigkeit, in der fremden Sprache dichten zu können. Einen jeden Poeten erfüllte von Natur und von Jugend auf ‘eine hertzliche Lust zu frembden Sprachen.’Ga naar eind27 Polyglott gab man sich überall. Vorworte werden mit lateinischen, Briefe mit griechischen Sätzen ausgeschmückt. Nirgendwo findet man eine buntere Vielfalt an Sprachen und Alphabeten als in den ‘alba amicorum’. Der Eintrag von | |
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Martin Ruarus in das von Petrus Scriverius hat folgende Reihenfolge: ein Spruch in arabischen Buchstaben, eine Übersetzung in griechischen und ein lateinischer Gruss. Heinsius schrieb sich in das Album von Vigelius mit lateinischen, hebräischen und griechischen Worten ein.Ga naar eind28 Oft kommen moderne Fremdsprachen wie Italienisch oder Französisch hinzu. Das ist ein geselliges Spiel der Gelehrten untereinander: man verschlüsselt nur vordergründig, denn man weiss sich sofort verstanden. Das Interesse richtet sich weniger auf den Inhalt des Eintrags als auf die sprachliche Form. Ähnliche Motive gelten für die polyglotte Dichtung. Man schrieb lateinisch, übersetzte die eigenen Verse in die Muttersprache, die muttersprachliche Dichtung wird ins Lateinische übertragen, und man versuchte sich in den modernen Fremdsprachen. In die Anmerkungen zum Lobgesang auf Bacchus nahm Scriverius ein bis dahin ungedrucktes griechisches Gedicht von Heinsius auf, und er lässt gleich die lateinische und holländische Übersetzung des Autors folgen.Ga naar eind29 Huygens verfasste Gedichte in sieben Sprachen, Epigramme zu Emblemata sind häufig zwei- oder dreisprachig. Die polyglotte Übersetzertätigkeit kann sich auch auf mehrere Autoren erstrecken: Opitz übersetzte Heinsius' Christus-Hymne ins Deutsche, Martin Nessel aus dem Deutschen ins Lateinische. Die Freude an fremden Sprachen ist zugleich eine Freude am eigenen Können. Sie dient aber auch der poetischen Übung, die der Dichtung in der Muttersprache zugute kommen soll.Ga naar eind30 Fremdsprachige Dichtung entspringt häufig einem galanten Anlass, der die Sprache der Bewidmeten erfordert. Eine reichhaltige Produktion holländischer Verse an Utrechter und Amsterdamer Damen hat Zesen hervorgebracht. Er hielt sich so lange in den Niederlanden auf, dass er dort seine zweite Muttersprache fand. Einen ähnlichen Anlass haben die holländischen Gedichte, die Vincentius Fabricius auf der Rückfahrt von Holland nach Hamburg schrieb. Er schickte sie an Zacharias Lund, der sie in seinen deutschen Gedichtband aufnahm.Ga naar eind31 In einem Begleitbrief erklärt Fabricius die Umstände der Entstehung. Er habe ‘ob varia navigationis incommoda’ nichts anderes tun können, als Verse zu schreiben, und das sei ihm umso leichter gefallen, als sie ihm ‘imaginem dulcissimi temporis’ vor Augen geführt hätten. Einige sind an die Töchter von Heinsius und Vossius gerichtet, und es handelt sich um Liebesklagen, wie sich aus der Abreise leicht erklären lässt. Mit Elisabeth Heinsius war Fabricius durch die zahlreichen Besuche bei ihrem Vater verbunden. ‘Filium fratrem mihi, filiam sororem esse iussit [Heinsius].’Ga naar eind32 Sie hat eine ‘Elegia ... Fabricii nondum edita’ ins Holländische übersetzt,Ga naar eind33 deren Handschrift sie vom Autor selbst erhalten haben wird. In der letzten Strophe will er seiner sonst besungenen Merilla entsagen, ‘om by Selia te seyn,’ die man mit Elisabeth identifizieren darf. Nicht alle niederländischen Gedichte hat Fabricius auf der Seereise geschrieben; das an Cornelia Vossius ist mit ‘Amstelodami’ unterzeichnet, und es zeigt, dass im Umkreis der Leidener und Amsterdamer Gelehrten der Austausch landessprachlicher Verse üblich war. | |
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Die Kenntnis des Holländischen erwarb sich Fabricius während eines dreijährigen Aufenthaltes in Leiden und Noordwijk. Die Gedichte zeigen eine Vielfalt an Vers- und Reimformen, und sie sind Zeugnis von Fabricius' intensiver Beschäftigung mit der zeitgenössischen Literatur in Holland. Unter den sechs Gedichten befinden sich paargereimte Alexandriner, trochäische und jambische Verse mit Kreuz- und umarmendem Reim. Die Alexandrinergedichte sind an Heinsius geschult, die anderen zeigen Anklänge an die Amsterdamer Lieddichtung. Zur Verdeutlichung soll hier ein Beispiel folgen: Aen Me-ioffrous, Me-ioffrous Clara
Spexs ende Elisabetha Heinsia
Tvvee Godinnen, van myn leven,
Tvvee bewaersters van myn siel,
VVilt my desen vrydom geven,
Dat ik voor u nederkniel.
Laet op uvven altar komen
Giften van u slaven een,
Uyt een slechte kas genomen,
En noch minder als gemeen.
T'zyn de suchies die ik sonde
Daer de vveg naer Hollant gaet,
T'zyn de droppels van de vvonde,
De my Galatea slaet.Ga naar eind34
Lund hat eines der Gedichte ins Deutsche übertragen, und ein Vergleich zeigt, wieviel Mühe es ihn kostete, die Leichtigkeit und Formbeherrschung der holländischen Vorlage zu erreichen.Ga naar eind35 Fabricius war seiner Zeit ausschliesslich als neulateinischer Dichter bekannt, die vereinzelten Verse in den modernen Sprachen verdienen daher besondere Beachtung. Ausser den niederländischen enthält der Band von Lund ein deutsches, an August Buchner gerichtetes Gedicht. Es besteht aus 56 paargereimten Alexandrinern, die bis auf wenige metrische Verstösse vollkommen sind und nicht auf einen Autor schliessen lassen, der das Dichten in deutscher Sprache nur nebenbei betrieb.Ga naar eind36 Die niederländischen Gedichte lassen sich nach ihrem Inhalt und dem Begleitbrief auf die erste Hälfte des Jahres 1634 datieren, das deutsche ist mit Sicherheit später, wahrscheinlich 1636, als Lund seine Gedichte veröffentlichte, entstanden. Diese Chronologie legt die Vermutung nahe, dass Fabricius die Fähigkeit, fliessende deutsche Verse zu schreiben, den vorangegangenen Übungen in der niederländischen Poeterei verdankt. Die Bedeutung des Dichtens in der fremden Sprache lässt sich an einem weiteren Beispiel belegen. Die Gratulationsschrift zu Caspar Kirchners Hochzeit enthält ein makkaronisches Gedicht seines Studienfreundes Daniel Crombein, der das gemeinsame Leben in Leiden beschreibt. Witkowski hat es 1901 wieder abgedruckt unter der Überschrift ‘Ein unbekannter Vorläufer Martin Opitzens.’ Der Titel zeigt, in wel- | |
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che Richtung die begleitenden Bemerkungen gehen: man sehe wie leicht es gewesen sei, an Hand der niederländischen Vorgänger den richtigen Weg zu finden.Ga naar eind37 In dem Gedicht stehen deutsche und holländische Verse nebeneinander, und das fordert zu einem Vergleich auf. Zwar bemerkt auch Witkowski, dass das Versgesetz einige Male verletzt worden ist, aber er sagt nichts zu den holländischen Versen. Obwohl der Text durch den Drucker orthographisch entstellt wurde, lässt sich soviel feststellen, dass in ihnen die neuen Regeln besser beachtet sind als in den deutschen: ... al die soo bijster draven
Naer Ryckdom en gewin, en acht ik niet dan slaven,
In vreden met het myn, ben'k rycker, dan die leefft,
Besitter van veel goets, en niet genoech en heeft.
Den ryckdom en licht niet in Landen ende Steden,
Maer die nit veel en heeft, en iß nochtans te vreden,
Trotst al dat wat er leeft, de kroonen en' gewelt,
De scepters en het goet iß onder hem gestelt.Ga naar eind38
Die Hochzeit Kirchners fand ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Holland statt. Das Gedicht Crombeins ist das einzige der Gratulationsschrift, das nicht in lateinischer Sprache abgefasst ist. Aber weder für die deutschen, noch für die holländischen Verse wird eine Erklärung gegeben. Sie stellten für Kirchner also nichts Aussergewöhnliches dar. Es hat den Anschein, als wolle Crombein den Freund nicht nur inhaltlich, sondern auch in sprachlicher Hinsicht an die Leidener Studienzeit erinnern. Tatsächlich hat auch Kirchner holländische Gedichte verfasst. In einer an ihn gerichteten Widmungsvorrede von Opitz heisst es, er habe im ‘Niederländischen ... zu zeiten auch selber geschrieben.’Ga naar eind39 Von den Gedichten ist nichts erhalten, man wird sie aber den deutschen im Anhang von 1624 voranstellen und deren Vollendetheit auch auf die vorhergehenden Versuche zurückführen dürfen. Das Dichten in holländischer Sprache scheint im deutschen Schülerkreis von Heinsius gebräuchlich gewesen zu sein. Man sollte angesichts der wenigen Beispiele bedenken, dass sie häufig für den Augenblick und als Übungen verfasst und daher nur selten gedruckt wurden. Für die Dichtung in der Muttersprache waren sie eine hilfreiche Schulung.Ga naar eind40 Die holländische Sprache erforderte auch für den Deutschen im 17. Jahrhundert ein regelrechtes Studium. Schottel schreibt: wenn ein Hochteutscher solte ein Holländisches Buch lesen/ im fall er der Oerter nie gewesen oder solche Teutsche Mundart nicht gelernet/ wird er schwärlich eine Ziel recht vernehmen können/ da es dennoch gar ohn Zweiffel/ daß es im Grunde fast einerley Wörter/ und eine einige Teutsche Sprache ist.Ga naar eind41 Und Morhof hebt hervor, dass den Bewohnern der süddeutschen Regio- | |
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nen beim Erlernen des Holländischen besondere Schwierigkeiten erwachsen: Würde man einen Schwaben in Niederland bringen/ es würde grosse Mühe kosten/ daß er des Landes Sprache ohne Anstoß in langer Zeit reden lernete.Ga naar eind42 Der Weg, das Verständnis übers Plattdeutsche zu erreichen, stand nur wenigen offen. Johann Laurembergs Scherzgedichte wurden schon zwei Jahre nach dem Erscheinen von C.C. Dedekind ins Hochdeutsche übertragen.Ga naar eind43 Und auch dem Kundigen stellten sich Hindernisse in den Weg, die den Gebrauch lexikalischer Hilfsmittel erforderlich machten. Gerade die Ähnlichkeit der beiden Sprachen barg Gefahren, die sich vor allem im Bedeutungsunterschied gleichlautender und stammverwandter Wörter zeigen. Zudem bildete sich im 17. Jahrhundert eine eigene holländische Schriftsprache, die sich zwar schwer als einheitlicher Stil beschreiben lässt, die sich aber deutlich von der Umgangssprache abhob. Die Orthographie war keineswegs festgelegt. Dialektbedingte Varianten und individuelle Rechtschreibung eines Autors erschwerten oft die Identifizierung einer Vokabel. Und die beiden Lobgesänge von Heinsius zum Beispiel enthalten an manchen Stellen einen so ausgefallenen Wortschatz, der weit über den von einem Ausländer beherrschten hinausgeht. Da das erste deutsch-niederländische Wörterbuch erst im 18. Jahrhundert erschien, musste man nach anderem Rüstzeug suchen. Die Gesprächsbücher waren für das literarische Übersetzen von nur geringem Nutzen. Das weitverbreitete, in zahllosen Auflagen in allen Ländern Europas erschienene Werk Colloquia et Dictionariolum Septem Linguarum bestand aus drei Teilen, die Gesprächsvorbilder, Briefmuster und Redewendungen, ein Glossar und Anleitungen zur Aussprache enthielten. Die erklärte Absicht war es, bei ‘Coopmanschap’ und ‘reyse’ zu dienen.Ga naar eind44 In Schottels Ausführlicher Arbeit findet sich ein Hinweis auf das Erlernen fremder Sprachen, der den richtigen Weg zeigt: Es ist an dem/ daß bishero kein recht völliges Lexicon der Teutschen Sprache herauskommen/ darüber sich nicht unbillich auch die Ausländer beklagen/ die denn ja so wenig/ als die Teutschen selbst/ im Fall sie die Teutschen Wörter recht verstehen/ oder die teutsche Sprache gründlich lernen wollen/ einig ander Hülfmittel haben/ als etwa ein Lateinisches oder Frantzösisches Lexicon aufzuschlagen/ und daselbst das Teutsche aufzusuchen.Ga naar eind45 Wenn die Ausländer zur Erlernung des Deutschen lateinische unf französische Lexika gebrauchten, dann werden die Deutschen beim Studium und Nachschlagen in der holländischen Sprache einen ähnlichen Weg beschritten haben. Von beschränktem Nutzen dafür, aber wegen seiner grossen Verbreitung erwähnenswert, ist der Nomenclator omnium rerum des Haarlemer Gelehrten Hadrianus Junius. Er erschien 1567 in Antwerpen, erlebte in der Folgezeit eine Fülle von Auflagen in Holland und | |
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Deutschland und wurde in beiden Ländern in einer bearbeiteten Version im Schulunterricht eingeführt.Ga naar eind46 Der Nomenclator ist nach Sachgruppen aufgebaut. Dem Stichwort folgt eine lateinische Umschreibung, dann die Übersetzungen ins Griechische, Deutsche, Niederländische, Französische, Italienische und Spanische. Er wäre aber nur dann ein praktikabeles Hilfsmittel für Studierende und Übersetzer gewesen, wenn er ein Register der holländischen Vokabeln enthalten hätte. Im Jahr 1537 erschien in Strassburg in dritter Auflage ein Dictionarium Latinogermanicum, et vice versa Germanicolatinum des Schulmeisters Petrus Dasypodius, das am Anfang einer neuen Periode der Lexicographie steht.Ga naar eind47 Das Werk erlebte im 16. und 17. Jahrhundert weit über 30 Ausgaben - darunter solche mit einer Auflage von 3000 Exemplaren -, die ihm in Deutschland eine Vormachtstellung bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts sicherten. Antonius Schorus veröffentlichte 1542 in Antwerpen eine niederländische Bearbeitung, von der allerdings nur eine Ausgabe bekannt ist. Er hat aber Nachfolger gefunden, und aus dem 16. Jahrhundert sind zusammen acht Ausgaben des niederländisch-lateinischen und lateinisch-niederländischen Wörterbuches nachgewiesen. Verdeyens Untersuchung hat ergeben, dass es getreu dem Aufbau von Dasypodius folgt und dass die holländischen Übersetzungen sich eng ans Deutsche anschliessen. Die beiden Werke eigneten sich also nach Anlage und Verbreitung zum Zweck der Übersetzung. Man konnte für das unbekannte holländische Wort bei Schorus die lateinische und bei Dasypodius dann die deutsche Entsprechung aufsuchen. Das Verfahren hat zwar gegenüber dem Nomenclator gewisse Vorteile, aber es ist immer noch allzu umständlich. Geeigneter war Stevins weithin bekannte Zusammenstellung der einsilbigen Wörter.Ga naar eind48 Sie verfolgte zwar einen sprachpatriotischen Zweck, konnte aber dennoch hilfreich bei einer Übersetzung sein. Stevin geht vom holländischen Wort aus und nennt die französischen und lateinischen Entsprechungen. Das Dogma der Einsilbigkeit führt natürlich zu Beschränkungen, aber immerhin verzeichnet Stevin noch weit über 2000 Wörter. Den Ansprüchen einer holländisch-deutschen Übersetzung genügten am besten zwei Werke, die bei Christopher Plantijn in Antwerpen erschienen. Im Jahr 1573 wurde der Thesaurus Theutonicae Linguae. Schat der Nederduytscher spraken ... veröffentlicht, der dem ausführlichen Titel zufolge nicht nur ‘de Nederduytsche woorden/ maar ook verscheyden redenen en manieren van spreken’ mit den Übersetzungen ins Französische und Lateinische enthielt.Ga naar eind49 Zur Verdeutlichung seien hier zwei Beispiele angeführt. Der niederländische Text ist in gotischen, der französische in romanischen Buchstaben und der lateinische kursiv gedruckt: Ick en achtes niet. Je n'en tien compte. Nihilopendo, huius non facio, floccifacio. | |
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Im Vorwort berichtet Plantijn über die Entstehung des Werkes. Er selbst habe die Vorarbeit geleistet und dann vier seiner Mitarbeiter mit der Weiterführung beauftragt. Das Ergebnis ist der erste Versuch, den niederländischen Wortschatz so vollständig wie möglich zu erfassen.Ga naar eind50 Einer der Autoren des Thesaurus, Plantijns Korrektor C. Kiliaan, verfasste ein Dictionarium Teutonico-Latinum (1574), das später unter dem Titel Etymologicum Teutonicae Linguae: sive Dictionarium Teutonico-Latinum berühmt wurde.Ga naar eind51 Es geht ebenfalls von der holländischen Vokabel aus und gibt die lateinische und manchmal anderssprachige Übersetzungen. Der Zweck des Wörterbuches war es, wie Kiliaan im Vorwort schreibt, bei der Erlernung beider Sprachen behilflich zu sein. Ihrem Aufbau nach haben der Thesaurus und das Etymologicum in Zusammenhang der niederländisch-deutschen Übersetzungen eiae besondere Bedeutung, die dadurch bestätigt wird, dass sie auf der Frankfurter Buchmesse verkauft wurden. Es ist dafür kein anderer Grund als der der Übersetzung ersichtlich. In Draudius' Verzeichnis ‘Bibliotheca Exotica’ finden sie sich unter der Rubrik ‘Philosophische Bücher/ und von allerhand Künsten.’Ga naar eind52 | |
C. Die deutschen Übersetzungen aus den ‘Nederduytschen Poemata’ von Daniel Heinsius | |
a. Allgemeine VorbemerkungenDie Bedeutung, die Heinsius für die Dichter des Frühbarock hatte, lässt sich an der Fülle der deutschen Übersetzungen aus den Nederduytschen Poemata ablesen. Bei der Feststellung eines gesicherten Bestandes ergeben sich jedoch Schwierigkeiten, da die Grenzen zwischen wörtlicher Übersetzung, Paraphrasierung und freier Nachahmung oft schwer zu ziehen sind. Zu den Übersetzungen werden hier nur solche Gedichte und Gedichtpassagen gezählt, die einen gewissen Umfang haben und die die Vorlage von Heinsius noch deutlich erkennen lassen. Damit scheiden die Übernahmen einzelner Verse und Wendungen - wie sie sich bei allen Dichtern dieses Zeitraumes finden - aus und auch solche Gedichte, in denen trotz einer deutlichen Abhängigkeit die Aussage von Heinsius stark verändert oder parodiert wird. Hier handelt es sich weniger um Übersetzungen als um Auseinandersetzungen. Die meisten Übertragungen enthalten die Teutschen Poemata von Opitz, wie aus den Quellenarbeiten von Weevers und Gellinek und der Ausgabe Witkowskis bekannt ist. Opitz berücksichtigt thematisch die ganze Breite der Nederduytschen Poemata : Liebes- und Gelegenheitsdichtung, geistliche und weltliche Hymnik, und er macht sich auch einige Stellen aus der patriotischen und biographischen Dichtung zu eigen. Andere Autoren trafen eine einseitigere Auswahl. Fleming und Homburg übersetzten jeweils fünf Gedichte der petrarkistischen Liebeslyrik, bei Kirchner, Köler, Lund und Plavius steht die Gelegenheitsdichtung im | |
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Vordergrund. Zwar finden sich auch hier petrarkistische Übersetzungen, aber sie werden oft auf die Hochzeitsdichtung übertragen. In den Bänden von Michael Schneider und Sibylle Schwarz finden sich neben Übersetzungen der Liebeslyrik auch Beispiele aus Heinsius' Spiegel Vande Doorluchtige Vrouwen .Ga naar eind1 Damit ist der tatsächliche Bestand nur zum Teil erfasst. Es haben weitere Übersetzungen in Handschriften und Einzeldrucken bestanden, die aber nur durch glückliche Zufälle entdeckt werden können. So hat z.B. ein Anonymus Heinsius' ‘Elegie, ofte Nacht-klachte’ schon 1614 vor dem Erscheinen der Nederduytschen Poemata übersetzt und auf 5 Blättern selbständig veröffentlicht.Ga naar eind1a Von Opitz scheint es noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts ungedruckte Übersetzungen gegeben zu haben. In der umständlichen Nachricht von ... Martin Opitz berichtet Lindner, Opitz habe ‘unterschiedene kurze und lange Gedichte von diesem Heinsio übersetzt, davon ich ein paar gesehen habe, welche in den Sammlungen seiner Ged[ichte] nicht stehen.’Ga naar eind2 Es ist möglich, dass sich diese Übersetzungen im Besitze von Georg Christian Gebauer befanden, einem gebürtigen Breslauer, der in Göttingen die Jurisprudenz lehrte und der eine grosse Sammlung von Opitz-Drucken und Handschriften besass. Sie war Lindner zugänglich, und er pries sie als die umfangreichste seiner Zeit. Rubensohn kündigte 1899 an, er werde ‘eine handschriftlich erhaltene deutsche Übersetzung Nikolaus Rittershausens’ eines Hochzeitsgedichtes von Heinsius veröffentlichen, aber er hat diese Absicht nicht ausgeführt.Ga naar eind3 Es muss weiterhin angenommen werden, dass Übersetzungen Heinsiusscher Gedichte in die grosse Anzahl zum Teil verschollener Gelegenheitsschriften aufgenommen wurden. Rist empört sich über einen anonymen ‘Reimemacher’, der Heinsius' ‘Aen de Ionckvrouwen van Hollandt’ in unzulänglicher und fehlerhafter Übersetzung als Epithalamium drucken liess, obwohl Opitz dasselbe Gedicht schon längst übersetzt hatte.Ga naar eind4 Eine annähernd vollständige Liste der Übersetzungen wird sich nicht aufstellen lassen, da die Überlieferung mangelhaft ist. Aber auch ohne die verschollenen Texte zeigt sich, dass Heinsius zu den am meisten übersetzten Autoren des frühen 17. Jahrhunderts gehört. Der überwiegende Teil der Nederduytschen Poemata lag in deutscher Sprache vor, und es wird sich mit geringen Ausnahmen kaum ein bedeutender Dichter des Frühbarock finden, der sich nicht an ihnen versucht hätte. Der Grund dafür ist nicht allein in den Gattungen zu suchen oder in der Thematik, sondern auch in der Verwandtschaft der Sprachen. Die Übersetzung kann sich eng an die Vorlage anschliessen, häufig den Satzbau übernehmen und ihr Wort für Wort folgen. Die weitgehende Übereinstimmung ist mitverantwortlich dafür, das man bisher nur die Gemeinsamkeiten sah und eine genauere Prüfung der Übersetzungen von Opitz nicht unternommen hat.Ga naar eind5 Ein solches Unternehmen verspricht umso erfolgreicher zu sein, je stärker sich die zu vergleichenden Glieder unterscheiden, je mehr ein jedes eigene Konturen aufweist. Hier muss von denkbar ungünstigen Bedingungen ausgegangen werden. Die Übersetzun- | |
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gen sind nur wenige Jahre später als ihre Vorlagen und aus demselben Geist heraus entstanden, beide weisen ähnliche Merkmale auf, und die Gleichheit der Sprachen ist dazu geeignet, etwaige Ansatzpunkte zu verdecken. Die Schwierigkeiten werden durch das Streben nach Wörtlichkeit vermehrt. Die Problematik der Übersetzung stellt sich auch als ein Quantitätsproblem dar. Grundsätzlich fällt sie umfangreicher aus als das Original.Ga naar eind6 An dem Mass der Diskrepanz lässt sich der Grad der Umgestaltung erkennen. Wie sehr Opitz an der Wörtlichkeit gelegen war, zeigt die peinliche, bis auf den Vers genaue Einhaltung des Umfangs der beiden Lobgesänge. Das bürgt bei der Beurteilung von Änderungen dafür, dass diese nicht in der Willkür des Übersetzers, sondern in seiner Kunstauffassung begründet sind. Bei unverwandten Sprachen, dem Deutschen und Lateinischen etwa, deren Syntax und Ausdrucksmittel verschieden sind, muss die Analyse das Detail verlassen, um aus einer Gesamtbetrachtung Erkenntnisse zu gewinnen. Bei so ähnlichen Sprachen wie dem Deutschen und dem Niederländischen muss man gerade auf das Detail sehen,Ga naar eind7 und dann erschliessen sich dem genauen Lesen Änderungen, die im Folgenden systematisch erfasst werden sollen. Die umfassende Gleichheit wird durch die jeweiligen Stilvorstellungen von Autor und Übersetzer teilweise eingeschränkt. In den Alexandrinergedichten von Heinsius dominiert die ‘harmonia austera’ oder, allgemeiner ausgedrückt, das ‘blockhafte Sprechen’. Zur Verdeutlichung ein Textbeispiel aus dem ‘Lof-Sanck van Iesus Christus’: Naer dat den schoonen hof van Eden was gesloten,
Met allerhande vreugt en lusten overgoten,
Dat Adam met zijn vrou door haer moetwilligheyt
Het liefelick prieel van Oosten was ontseyt,
Heeft hy, van God verjaecht, den segen moeten derven,
Begonnen quaet te doen, begonnen quaet te erven,
Een vyant van het goet, besoetelt, ongesont,
Verandert en vervalst, bedorven inde gront.
De doot wort in den mens en met den mens geboren,
Verlaten van hem self, en van hem self verloren:
Door Adam sonder God: door Adam en zijn zaet,
Met Adam en door hem, gestelt in Adams staet.
Noch was de groote God soo vol bermertigheden,
Dat Adam niet soo haest de wet hadd' overtreden,
Of heeft hem op de plaets, alwaer hy was verleyt,
Een vaste medecijn en hulpe toegeseyt.
Als dat hy niet en sou in eeuwigheyt verdreven,
Gebannen en verjaecht met zijn geslachte leven:
Maer dat des vrouwen saet, sijnd' eenmael opgestaen,
Den vyant met gewelt sou breken en verslaen;
Vermorselen den kop, verteeren en vernielen,
Den vader van de doot, den moorder van de sielen.
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Dit heeft altijt gestaen als eenen grooten schat
In Godes sin bewaert, besloten, en vervat,
Geteyckent, vast gemaeckt, beset aen alle kanten,
Gesegelt, toegedaen, met seven diamanten,
Gegeven God den Soon: geleyt in zijnen schoot,
Als sleutel van der Hel, als middel voor de doot.Ga naar eind8
Der Abschnitt enthält drei Teile. Der erste behandelt die Verstossung Adams und Evas, der zweite stellt den Tod und seine Vererbung als Folge der Sünde dar, um dann wie in der Bibel Gottes Barmherzigkeit zu schildern. Eine solch klare Gliederung durchzieht den ganzen Lobgesang und trotzdem ist er nicht leicht verständlich. Sein Stil ist gekennzeichnet durch asyndetische Fügungen und Wiederholungen, durch die scharfe Trennung des Alexandriners und den zahlreichen Gebrauch von Partizipien und Appositionen, die Ersparung gemeinsamer Glieder und durch den Bruch der regulären Satzstellung. Es ist ein Stil von syntaktischer Ökonomie und Konzentration, aber von rhetorischer Aufschwellung. Zeitliche und modale Abstufungen werden nur sparsam verwendet. Inhaltlich bewegt er sich zwischen zwei Extremen: als ‘insistierende Nennung’ (Conrady) verweilt er bei einem Gegenstand, bei der Schilderung eines Geschehens lässt er die Ereignisse in rascher Reihe einander folgen. Dieser Stil schafft logische Spannungen und strapaziert die Aufnahmefähigkeit des Lesers.Ga naar eind9 Bei der Übertragung der beiden Lobgesänge setzte sich Opitz zum erstenmal intensiv mit ihm auseinander. Ein grosser Teil seiner Änderungen lässt sich als der Versuch deuten, das blockhafte Sprechen aufzuheben. Keine Erscheinung wird man ausschliesslich konstatieren können. Für die angeführten Beispiele lassen sich manchmal auch Gegenbeispiele finden. Die Achtung vor dem Original verbietet oft Umformungen, und der praktische Vorteil des leichten Übersetzens hat häufig den Vorrang vor den eigenen künstlerischen Anschauungen. Daher ist schon eine relativ geringe Anzahl von Änderungen aussagekräftig. Was festgestellt werden kann, das sind nicht streng befolgte Regeln, sondern Tendenzen der Übersetzung. Aus der Zahl der Belege wird jeweils nur eine Auswahl der besonders deutlichen angeführt.Ga naar eind10 | |
b. Die Übersetzungen von Martin Opitz.Die einfachste Art des blockhaften Sprechens ist die asyndetische Wortreihung. Opitz übernimmt sie zwar oft in seine Übersetzungen, an einigen Beispielen aber lässt sich zeigen, dass er bemüht ist, sie aufzuheben und den Vers geschmeidiger zu machen. Dabei gibt es in der Hauptsache zwei Wege: die Zwischenschaltung eines einfachen und:
LB 511 Maer Evan heeft hem self, zijn dochter, zijnen hont
Doch, Evan, es ward jhm, der Tochter, vnd dem Hund'
oder die Verwendung des Bindewortes und einer Präposition: | |
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LJ 570f. Het aerderijk, de zee, tien hondert duysent paeren/
Van engelen ...
Das erdtreich vnd die see mit hundert tausendt paren/
Der Engel ...
Die asyndetische Satzreihung wird durch die Struktur des Alexandriners begünstigt, der mit seinen beiden Hälften dazu einlädt. Sie kann die Grenzen des Langverses sprengen und über mehrere Halbverse fortlaufen. An zahlreichen Fällen erkennt man, dass Opitz versucht, die Blöcke miteinander zu verbinden und Übergänge zu schaffen:
LB 196 Ist met de min gedaen, tijt Venus op de vlucht
Ists mit dem lieben nichts, vnd Venus giebt die flucht
LJ 784 Deelachtig van uw' vreugt, gevoelen uwe smert
Theilhafftig deiner frewd'/ vnd fühlet deinen schmertz
Der blockartige Charakter tritt umso mehr hervor, je stärker der Alexandriner geteilt ist. Heinsius bedient sich verschiedener Mittel, die Schärfe der Zäsur herauszuarbeiten: beide Halbverse beginnen mit demselben Wort, wobei die jeweils erste Hebung auf dasselbe Wort fällt. Häufig ist es so, dass die Halbverse dieselben syntaktischen Elemente enthalten und sogar parallel gebaut sind: Verb + Objekt/ Verb + Objekt; Subjekt + Objekt/ Subjekt + Objekt etc. Der Alexandriner besteht also aus einer symmetrischen Viergliedrigkeit, die auch dann nicht wesentlich geändert wird, wenn die Parallelität leicht variiert wurde und die Reihenfolge von Subjekt und Verb in beiden Halbversen nicht dieselbe ist. Metrisch wird dieser Bau dadurch unterstützt, dass die vier Glieder sich auf die jeweils ersten und letzten Hebungen einer jeden Halbzeile verteilen: xẋxxxẋ/xẋxxxẋ(x). Der Leser kann den Alexandriner nur schwer als eine Einheit erfassen, er muss bei jedem Halbvers neu einsetzen. In solchen Fällen ist die Verbindung der Blöcke mit ‘und’ nicht mehr ausreichend. Opitz überbrückt die Trennung, indem er eines der vier Glieder - meist ein verbales - auslässt und die nominalen zu einem doppelgliedrigen Ausdruck verbindet. Die starre Symmetrie wird damit aufgehoben und der Vers als Ganzes leichter durchschaubar:
LB 152 V stillen met zijn doot, versoenen met zijn bloet
Daß du gestillet wirst durch seinen Tod vnd Blut
LB 352 Lach haren rock in't sant; de borstlap lach daer by
Lag jhr zudrückter Rock vnd Brusttuch in dem Sand
LJ 222 Zy vieren haren lust, aenbidden haer gebreken
Sie feyren jhre sünd' vnd eigene gebrechen
LB 4f. ô Vader van de vreucht/ ô vinder van de wijn
o Vater aller frewdt,/ Vnd auch deß süssen
Weins
LB 559 Die meesters van de doot, en meesters van den tijt
Die ware Meister sind des Todes vnd der Zeit
LJ 675f. Die Sidrach met de zijn' int midden van de vlam,
Int midden van het vier, met krachten daer uyt nam
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Der Sidrach vnd mit jhm die andern auß der flamm'
Vnd grossen fewergluet mit gantzen kräfften nam.
In diesem Zusammenhang sei vorläufig auf die Wiederholung von Satzteilen hingewiesen, die unten mit einem Beispiel anaphorischer Reihung ausführlich besprochen werden wird. Heinsius verwendet sie sparsam, aber die Behandlung der wenigen Beispiele durch Opitz lässt Charakteristisches erkennen. Bei der Beschreibung der Eigenschaften und Attribute von Bacchus finden sich im holländischen Text die Verse:
LB 101ff.
Dat selve komt u toe, ô beyde soon en
swager
Des grooten Iupiters, ô grooten hoorendrager,
Dat selve komt u toe; een nieu-gebout autaer
In't midden van uw' kerck, van hoorens groot en swaer
Dat selve komt u toe ...
Opitzens Übersetzung lautet:
Vnd das gehöret dir, o beide Sohn vnd
Schwager
Deß grossen Jupiters, o grosser Hörnertrager,
Vnd das gehöret dir, ein new-gebawt
altar
In deiner Kirch' vmbschrenckt mit hörnern gantz vnd gar:
Nun das gehöret dir.
Opitz versucht, die Härte der dreimaligen Wiederholung abzuschwächen, indem er vor die ersten beiden Glieder ein ‘und’ setzt und das letzte mit einem abschliessenden ‘nun’ einleitet. Die angeführten Beispiele zeigen, wie sehr Opitz darum bemüht ist, eine leichtere Überschaubarkeit des Verses und damit eine bessere Verständlichkeit zu erreichen. Die Verbindung der Blöcke durch ‘und’ bedeutet oft lediglich eine Milderung und keine Aufhebung des strengen Baus. Das Streben nach logischer Gliederung kommt vielmehr in einem vermehrten Gebrauch der Hypotaxe zum Ausdruck. Sie hat gegenüber der Nebenordnung den Vorzug der Straffung und der grösseren gedanklichen Bestimmtheit. Opitz fügt wenig Subjekt- und Objektsätze hinzu. In der Regel sind es Relativsätze, die auf ein nominales Glied des übergeordneten Satzes bezogen sind und es näher bestimmen, und Final- und Konsekutivsätze, die Folge und Absicht einer Handlung angeben und die von seiner Vorliebe zeugen, zwischen Haupt- und Nebensatz einen kausalen Zusammenhang herzustellen:
LB 38 Om dat ghy scherpt de tong, doet vloeyen onse reden
Weil du die zunge schärffst daß vnsre reden
fliessen
LB 355f. ... en met een wijngaert blat
... wiesch af het droeve nat
... vnd nahm ein Rebenblatt,
Das Wasser weg zuethun ...
Ein weiterer Anlass zur Bildung von Nebensätzen sind die Partizipien. | |
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Als infinite Form stehen sie zwischen Verb und Nomen und müssen nach ihrer Funktion befragt werden. Wenn in den Grammatiken der Zeit von den Partizipien die Rede ist, dann vor allem in formaler Hinsicht. Es werden lediglich die Bildungs- und Flexionsweisen behandelt, von der sprachlichen Leistung aber erfährt man nichts.Ga naar eind11 Erst Schottel hat sie erkannt und die grammatische und gedankliche Ambivalenz dieser Form erörtert: Das Mittelwort (Participium) ist/ welches vom Zeitworte entspringet/ bedeutet zwar eine Zeit/ dennoch aber behält es die Eigenschaft und Abwandelung des Nennwortes; und darum heisset es Mittelwort.Ga naar eind12 Und an einer anderen Stelle der Ausführlichen Arbeit heisst es: So haben die Mittelwörter in Teutscher Sprache einen grossen Nutzen/ zieren wol die Rede und befoderen durch wollautende Kürtze den Verstand.Ga naar eind13 Wegen der ‘Kürtze’ eignen sich die Partizipien für das blockhafte Sprechen, und Heinsius gebraucht sie reichlich. Allgemein lässt sich feststellen, dass Opitz die ‘Participia Praeteriti’ häufig, die ‘Participia Praesentis’ hingegen nur in wenigen Fällen übernimmt. Unproblematisch ist bei beiden die attributive Verwendung. Als Verbalform bezeichnet das Praesens-Partizip einen Vorgang, der mit dem des ‘verbum finitum’ gleichzeitig verläuft. In einigen Fällen ist es nur eine nähere Bestimmung und daher für den Kontext entbehrlich. Opitz kann es bei der Übersetzung fortlassen, ohne ihn zu zerstören:
LB 407f. ... hy riep in sulcker voech
Al sittend' op de beest, dat Iupiter self loech
... Er schrey so grausam wild,
Daß Jupiter sich selbst deß lachens nicht
enthielt
Ionck.87 Hem keerde drymaels om al lachend', ende sprack
Sich drymahl vmbgekehrt vnd zu sich selbst geredt
Oder aber er hebt das Nebeneinander der beiden Handlungen auf, indem er die durch das Partizip ausgedrückte ihrer Bewegung beraubt und in einen adverbialen Ausdruck presst:
LB 197f. ... want sonder uwe gaven
Al levend' sijn wy doot, al levende begraven
... wir seind ohn deine gaben
Schon vor dem Tode Todt, vnd lebendig begraben
In der überwiegenden Anzahl der Fälle wird das Partizip in den syntaktischen Zusammenhang eingeordnet. Es wird entweder mit ‘und’ an einen Hauptsatz angehängt, in einen Relativ- oder Temporalsatz ausgebreitet. In jedem Fall ist das Ergebnis ein Verlust an syntaktischer Prägnanz und sprachlicher Dichte: | |
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LB 250 Liep dadelick van daer, inspannend' haren wagen
Lieff eylend da hinweg, vnd setzte sich zue Wagen
LB 221f. ... daerom hebt ghy gevonden
Een wonderlicke plant, versoetende de wonden
... darumb hast du erfunden
Die wunderliche pflantz, mit welcher man die wunden
Der noth vnd kummers heilt
LJ 450f. ... [Herodes] niet wetende te vinden
De gene die hy soeckt, brengt al de kinders om
Vnd als er innen wird es wolle nicht gelingen
Erwürgert der Tyrann die Kinder gross vnd klein
In ähnlicher Weise werden manchmal die ‘Participia Praeteriti’ behandelt, so dass sich eine gesonderte Besprechung erübrigt. Die Partizipialgruppe wird unten genannt werden. Der reichliche Gebrauch von Epitheta wird in den meisten Poetiken empfohlen: Ihrem nutzen vnd gebrauch nach dienen sie nicht nur die Rede zu zieren/ sondern auch vornehmlich ein Ding eigentlicher auszudrücken vnd zu erläutern. Worin der Poet so genaw auf alles gehet daß er offt auch das jenige/ was in freyer Rede keinen sonderlichen nachdruck haben/ sondern vielmehr übel stehen würde/ nicht vorbey lesset. So saget er/ Die weisse Milch ... der kalte Schnee.Ga naar eind14 Dieser weitläufigen Anweisung stehen strenge Bestimmungen über die Stellung im Satz gegenüber. Opitz schreibt, es habe ein ‘vbel außsehen ... wenn [die Epitheta] hinter ihr substantivum gesetzet werden,’Ga naar eind15 und Tscherning hat diese Vorschrift mit allem Nachdruck wiederholt.Ga naar eind16 Wird das Adjektiv aus seiner normalen Stellung zwischen Artikel und Substantiv herausgelöst, dann erhält es eine grössere Selbständigkeit und stärkere Betonung. Dabei ist nicht an die volksliedhafte Verwendung gedacht, bei der Substantiv und Adjektiv trotz der Nachstellung eine enge Verbindung eingehen können, sondern an den bewussten Gebrauch, der im Dienst des blockhaften Sprechens steht. Opitz tut sich schwer mit dieser Erscheinung. Die Fälle, in denen er das Adjektiv auslässt oder einfach voranstellt, sind in der Minderheit:
LB 467 toomen heet - heissen zaum
LB 531 En met autaren rijck - an köstlichen Altaren
Das nachgestellte Adjektiv kann Anlass zur Bildung eines ganzen Satzes werden:
LJ 241 Athenen wijt vermaert
Athen das weit vnd breit mit seiner Kunst erschollen
Heinsius verwendet die Nachstellung zuweilen zum Ausdruck göttlichen | |
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und olympischen Zorns oder einer starken Gefühlsempfindung, die bei Opitz in der Regel abgeschwächt werden:
LJ 90f. Te dencken op uw werck, des Vaders hert gewonnen;
Verbolgen en verstoort, onstuymich ende fel
Zue dencken auff dein werck/ des Vaters sinn gewonnen/
Der über Adams schuld ergoß des eyfers meer
LB 400 Van Iupiter verstoort - Vom grimmen Jupiter
LB 169f. Wy laten staen de kool, geboren van de tranen
Lycurgi wreet en dol ...
Ich lasse stehn den Kohl der von Lycurgus thränen
Soll her gebohren sein ...
Die Apposition bedeutet eine Steigerung des nachgestellten Adjektivs insofern, als die den Fluss des Satzes nachdrücklicher hemmt. Das bewirkt auch die Partizipialgruppe, deren blockhafter Charakter durch den Platz innerhalb des Verses hervorgehoben wird. Sie steht oft am Anfang oder nach der Zäsur und erstreckt sich meist über eine Alexandrinerhälfte:
LJ 297 De vromen Ioseph sit verslagen van gedachten
Der frome Ioseph sitzt in hohen tieffen sinnen
LB 225f. Ghy past altijt seer wel op Iupiters geboden,
Om die te volgen naer, bemint van d'ander Goden
Deß Jupiters befehl dir jederzeit gefallen,
Folgst ihm, vnd wirst geliebt auch von den Göttern
allen
LB 249 Maer Ceres hooch van moet - Die stoltze Ceres
LJ 389 De groote Capiteyn, onwinbaer in het stryen
Der grosse Capiteyn für dem sich alle schewen
Was hier an einigen hervorstechenden syntaktischen Merkmalen dargelegt wurde, das lässt sich in beiden Lobgesängen durchgehend beobachten: die Tendenz zur Glättung der Sätze und Verse im Sinne einer ausgewogenen Tektonik. Dabei müssen jene Erscheinungen als hinderlich empfunden werden, die dem Verständnis im Wege stehen. Die Wortstellung wird reguliert, Ausrufe, die ausserhalb des syntaktischen Zusammenhanges stehen, werden oft fortgelassen oder stark abgeschwächt, doppelte Verneinungen aufgehoben und Wiederholungen um wenigstens ein Glied gekürzt:
LB 471f. ... maer aen uw' slincker sy/ Ginck Oorloch en Gewelt
... Gewalt vnd Tyranney/ Gieng dir zur lincken hand
LJ 496 In liefelicken wijn veranderen zijn kracht
Verwandelt seine krafft in angenehmen wein
LB 13f. De vreesselicke vlam (ô groot, ô schricklick
wonder!)
Omringde gans uw' lijf: de suster van den donder
Deß Donners Schwester kam, der loh der heissen flammen,
Vmbringte deinen leib, schlug vber dir zusammen
LB 297 ô moorder, ô verrader - Du
Mörder
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LB 92 niemant niet en mijt
niemand kan/ Vor dir versichert sein
LB 253ff. Haer kooren wort gesoon, haer kooren wort geschoncken,
Haer kooren wort gesoon, haer kooren wort gedroncken
Haer kooren klimt in't hooft ...
Ihr Koren wird gekocht, wird von den Fewerfuncken
Vnd glut zu recht gebracht, ihr Koren wird getruncken,
Ihr Koren steigt ins Haupt ...
Die bisher besprochenen Änderungen haben gezeigt, in welchem Masse Umstellungen und Auslassungen nötig waren. Der Alexandriner bewirkt dabei, dass jeder Fortfall einer Stelle des Originials eine Hinzufügung des Übersetzers erfordert und umgekehrt jede Hinzufügung eine Stelle der Vorlage verdrängt. Opitz musste sie vorsichtig verwenden, wenn er nicht von der angekündigten ‘trew’ im Übersetzen abweichen wollte. Mit der Partikel als der kleinsten syntaktischen Einheit stand ihm ein wirksames Mittel zur Verfügung, in den Charakter der Vorlage einzugreifen, und er hat es umso lieber angewandt, als es sich leicht handhaben liess. Er brauchte nicht mehr über ganze Halbverse zu verfügen. Die Partikeln sind oft einsilbig und lassen sich nahtlos in den Vers integrieren. In der deutschen Stilistik werden die Partikeln oft als Flickwörter abgewertet, und schon Titz wendet sich gegen den unüberlegten Gebrauch: Der Flickwörter/ die sonst gantz nichts nütze sind/ als daß sie den Vers stützen vnd außfüllen/ ... sollen wir vns gäntzlich enthalten. Solche sind vornehmlich/ fein/ wol/ schon/ und dergleichen andere worte/ mit welchen der Poeten unzeitige Nachäffer alle ihre Lücken zustopffen ... Doch ist dieses nicht so gemeinet/ als wenn vmb solches mißbrauchs willen diese vnschuldige Worte gantz vnd gar aus allen Versen solten verstossen werden.Ga naar eind17 Tscherning übernimmt diese Vorschrift und stellt einige Flickwörter im Werk von Opitz fest. Wie ein Jahrhundert später A. von HallerGa naar eind18 tadelt er die häufige Verwendung von ‘thun’ in den Lobgesängen. Er führt aber als Entschuldigung an, dass sie sich in der Hauptsache in Übersetzungen befänden und in Gedichten, die Opitz ‘in seiner Jugend/ und zu Anfange seines Poetisierens geschrieben’ habe.Ga naar eind19 Der Gebrauch von Partikeln ist also ein Zeichen für einen unreifen und unselbständigen Dichter. Dieser rigorose Standpunkt mag bei Partikelhäufungen berechtigt sein, die lediglich der Füllung des Verses dienen, so wenn Opitz ‘maer niet te min’ (LJ 35) mit ‘doch ob wol nicht vorhin’ übersetzt. Ihre Bedeutung jedoch überschreitet in vielen Fällen diese rein formale Funktion. Die Partikeln glätten den Stil, sie sind in der Lage, differenzierte Nuancierungen zu schaffen. Ihr Fehlen macht den Text ‘abgehackt, barsch ... schroff’Ga naar eind20 und steht im Dienst des blockhaften Sprechens. Heinsius verwendet sie sparsam, Opitz aber vermehrt in seinen | |
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Übersetzungen den Partikelgebrauch um ein Vielfaches, was ein weiteres Zeugnis für sein Bestreben ist, das blockhafte Sprechen aufzuheben. Die Orts- und Zeitadverbien brauchen nur erwähnt zu werden, da hier die Verhältnisse ziemlich klar sind. Sie dienen dazu, die Perspektive des Lesers festzulegen und verschiedene Geschehen zueinander in Beziehung zu bringen. Sie haben demonstrativen Charakter und sind ein Mittel der inhaltlichen Gliederung. Wo alles auf einer Ebene verläuft, greift die ordnende Hand von Opitz ein und schafft lokale und temporale Abstufungen. Auffallend häufig findet sich in den Übersetzungen die Partikel ‘auch’, deren Funktionen nicht immer genau zu bestimmen sind. Am leichtesten lässt sich der Gebrauch als nebenordnende Konjunktion erkennen, vor allem dann, wenn sie mit einer anderen Konjunktion zur präziseren Bezeichnung des logischen Aufbaus verbunden ist (‘und auch’.). Es gibt aber viele Fälle, in denen es im Dienste der Abtönung steht, ähnlich wie ‘nur’, ‘gar’, ‘doch’, ‘wohl’ etc. Statt vieler Einzelbeispiele sei hier eine Passage aus dem Lobgesang auf Bacchus angeführt, in der es um die bildliche Darstellung des Gottes geht. Auf die Frage, weshalb dieser oft mit Hörnern abgebildet werde, gibt Heinsius sieben Antworten, die anaphorisch angeordnet sind und die den Leser wegen ihrer unvermittelten Fülle verwirren:
LB 81ff. Maer waerom is het toch dat zy dy hoorens geven?
Ist om dat ghy ons geeft de nootdruft van het
leven,
De volle volheyt schenckt? en brengt in ons gemoet,
Als ghy ons maer geraeckt, een hóóp van
overvloet?
Of ist om dat de wijn, als hy eerst wiert
gedroncken
Van het ghemeyne volck, in hoorens wiert geschoncken,
Eer datmen wist van gout? of ist om dat de wijn
Ons dertel maeckt, gelijck de hoorenbeesten sijn?
Of ist om dat ghy sijt van Ammon voort gekomen?
Of ist om dat ghy eerst de ossen hebt genomen,
En in den ploech gevoecht? of ist om dat ghy sijt
Seer stout en onversaecht, en niemant niet en mijt?
Dit maken zij ons wijs, maer mach ick u wat vragen?
Ist niet om dat ghy doet de mans de hoorens dragen?
Doch worvon kömpt es her, daß sie dir
hörner geben?
Ists dannher, weil du giebst den vnterhalt zu
leben,
Schenckst reichlich vnd vollauf, daß alles da sein
muß,
Wann du vns nur berührst mit grossem vberfluß?
Ists wol von dem gebrauch der alten Welt geflossen,
Dieweil sie nur den Wein in hörner eingegossen,
Eh als man Goldt gekent? mehr oder das der Wein
Vns wilde macht, wie sonst die hörner-thiere sein?
Ists ferner auch daß du von Ammon her
bist kommen?
Vnd daß du allererst die Ochsen hast
genommen,
Vnd an den pflug gefügt? ists dann
daß niemand kan
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Vor dir versichert sein, leuffst alle Menschen an?
Diß alles gibt man vor. doch, mag ich dich was fragen,
Ists nicht, dieweil du machst die männer
hörner tragen?
Tscherning will die Partikeln nur dort zulassen, ‘wo sie nicht müßig stehen/ sondern etwas bedeuten.’Ga naar eind21 In diesem Beispiel müsste er sie streichen, denn sie geben keine zusätzliche Information. Heinsius' Text ist auch ohne sie verständlich. Seine Antworten sind ein teilnahmsloses Referat aus antiken Schriftstellern, das mit den Worten ‘Dit maken zij ons wijs’ abgeschlossen wird. Bei der letzten Antwort verlässt er diese Ebene und bietet eine persönliche Lösung an. Die Partikeln bei Opitz leisten mehr als die Milderung der anaphorischen Reihung. Sie spiegeln eine grössere Beteiligung des Übersetzers, der zögernd, nachdenkend und zweifelnd die verschiedenen Möglichkeiten gegeneinander abwägt. Und sie bewirken den Fortlauf der Rede, gliedern sie und erleichtern dem Leser das Verständnis. Es muss noch einmal betont werden, dass es sich bei den angeführten Änderungen nicht um streng befolgte Regeln handelt. In ihrer Gesamtheit aber zeugen sie von Opitz' Streben nach Ausgewogenheit und Verständlichkeit, das sich auch an einigen inhaltlichen Hinzufügungen zeigt. Es lässt sich die Neigung konstatieren, alles nur Angedeutete, aber vom Leser aus dem Kontext zu Erschliessende, ‘in extenso’ darzulegen. Dazu gehören einmal prägnante Formulierungen, deren Inhalt wie im folgenden Beispiel auf einen ganzen Langvers ausgebreitet wird:
LJ 38f. ... Siet aen de klare stralen,
De stralen van de Son. zy sijn noch voor noch naer
... Sieh' an der Sonnen stralen
Sie scheinen nicht zuevor/ sie sein auch nicht nach jhr
Zum anderen sind es Zusätze, die den Grund für einen Zustand oder ein Geschehen angeben:
LB 320 En smeten vast het hooft al roepend' in de locht
Vnd schmeist den kopff empor auß trunckenheit, vnd
rufft
Ionck.71f. ... de liefde kan ons voen,
Ia sonder spijs of kost of yet daer by te doen
... Ohn alle Speiß vnd Kost
Ernehret vns die Lieb vnd nur von blosser Lust
Im Lobgesang auf Christus heisst es, der Sohn Gottes habe das Herz des Vaters gewonnen, das als ‘verbolgen en verstoort, onstuymich ende fel’ bezeichnet wird. Das ist ein Hinweis auf den Sündenfall, der bei Opitz ausdrücklich erwähnt wird:
LJ 90f. ... des Vaters sinn gewonnen/
Der über Adams schuld ergoß des eyfers
meer.
Die Anmerkungen, die Scriverius für beide Lobgesänge verfasste und | |
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über die noch ausführlich zu handeln sein wird, sollten die zahlreichen Anspielungen theologischer und mythologischer Art erläutern. Opitz hat sie zunächst nicht ins Deutsche übertragen. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, einige Erklärungen in den dichterischen Text hineinzunehmen. Heinsius beruft sich bei der Frage nach dem Geburtsort von Bacchus auf antike Schriftsteller und führt ‘Nysen’ als eine Möglichkeit an. In den Anmerkungen beschäftigt sich Scriverius eingehend mit der Lage der Stadt: ‘Stadt van Arabien... Nysa op Cithaeron’ und ‘Nysa, wesende een stadt van Indien.’Ga naar eind22 Die letzte Möglichkeit erfährt die ausführlichste Erläuterung, und Opitz übernimmt sie in seinen Text:
LB 21f. ... viel von den alten sagen
Es habe Nisa dich in Indien getragen.
Der von Theseus verlassenen Ariadne bereitet Bacchus ein Bett mit einem ‘gespickelt vel’, das Scriverius unter Berufung auf Euripides als ‘hindevel’ bestimmt, und Opitz folgt ihm darin wörtlich:
LB 375f. ... Hast jhr ein Bett bedeckt
Von deinem Hindenfell ...
Im Zusammenhang der inhaltlichen Klärung sei auf die Behandlung dichterischer Bilder hingewiesen. Sie sind nicht zahlreich im Werk von Heinsius. Die Anwendung ist beschränkt auf einige, wiederkehrende Formeln mit fester Bedeutung. Von der trauernden Ariadne wird gesagt, ‘haer klare bruyne oogen/ Die waren noch bedaut’ (LB 342f.), bei Opitz findet sich die Erklärung: ‘Die braunen Augen waren/ Von zehren noch genetzt.’ Im Lobgesang auf Bacchus ist nicht nur die Rede über den ‘gebruyck ende misbruyck vande Wijn’, es wird auch der mundigste Wein angegeben. Er stammt aus Bacharach am Rhein. Heinsius verlegt den Geburtsort des Gottes dorthin, und Scriverius kann dies auch begründen: etymologisch leitet er den Namen der Stadt von ‘Bacchi ara’ ab. Es handele sich einmal um eine alte Kultstätte, zum anderen werde dort ‘de uytgelesentste ende besten dronck, nae't oordeel van de leckerste tongen vande werrelt gevonden.’Ga naar eind23 Er selbst verfasste ein Gedicht ‘Prijs van de Baccharachse wijnen’.Ga naar eind24 Die Bezeichnung des Weines als ‘rijnschen geur’ (Duft) oder einfach als ‘rijnschen’ ist damit genügend motiviert, Opitz setzt aber jedesmal ‘wein’ hinzu, um jedes Missverständnis auszuschalten. Das unergründbare Meer mit all seinen Gefahren wird oft als Gleichnis für das Leben und besonders für die Liebe bemüht. Je nach Verwendung erscheint es als ‘het woeste blauwe veld’, ‘het blauwe diep’ oder als ‘ongetemde baen’. Opitz löst diese Bilder auf, indem er das Bezugswort hinzusetzt oder nur den Inhalt angibt: ‘Deß Meeres blawe Feld’ (LB 394), ‘Die auff dem Wasser sein’ (LB 481). Für menschliche Ängste und Wünsche werden folgerichtig konkrete Bilder der Seemannssprache entnommen, die Opitz oft in allgemeine Wendungen überträgt. Christliche Lebensweise, den Unterschied | |
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zwischen Vermessenheit und Bescheidenheit, drückt Heinsius als den Unterschied zwischen Segeln und Rudern aus:
LJ 41f. ... ick bidde laet ons strijcken,
En loopen met den riem
Bei Opitz wird die Bildlichkeit aufgelöst: ... ich bitte laßt vns reichen
So weit es sicher ist.Ga naar eind25
Das menschliche Herz soll ‘met kabels ende touwen’ dem Himmel verbunden werden, in der Übersetzung findet sich dagegen das viel schwächere:
LJ 689f. ... bind' vnser hertz' vnd sinnen
Steiff an den Himmel an...
Und sogar in dem Hochzeitsgedicht (Nr. 70), in dem das Leben als Schiffahrt und der Bräutigam als Seemann dargestellt werden, versucht Opitz, die allegorische Bildlichkeit zu vermeiden:
Tr.D. 4 Soo strijcken sy het seyl, soo strijcken sy den schoot
So fahren sie zu Port in Lust vnd Frölichkeit
Zuweilen werden die Bilder unverständlich, wenn er sie nur teilweise übernimmt. Gott und sein Wort sind bei Heinsius ein Ankerplatz, ohne den der Mensch in der See des Lebens ertrinken muss. Opitz lässt das erste Glied fort und schreibt:
LJ 727f. ... verlassen Gottes wort/
Ertrincken in der See/ vnd kommen nicht zue port.
Alewyn hat die ‘Enteignung der Verben’ bei Opitz im Vergleich zur griechischen Vorlage der ‘Antigone’ untersucht, und Conrady ist ihm darin für Übersetzungen aus dem Lateinischen gefolgt.Ga naar eind26 Wenn die Verben hier wiederum betrachtet werden, so aus dem Grunde, weil die sprachlichen und technischen Schwierigkeiten bei Übersetzungen aus dem Holländischen geringer sind als bei denen aus antiken Sprachen. Ein grosser Teil lässt sich wörtlich ins Deutsche übertragen, und wenn Opitz sie dennoch abschwächt, dann ist das der beste Beweis für seine klassizistischen Bestrebungen. Allgemein lässt sich feststellen, dass präzis bezeichnende Verben des holländischen Textes im Deutschen durch allgemeinere und ungenauere wiedergegeben werden. Ein geläufiger Weg, das Verb seiner Kraft zu berauben, ist die Übertragung seines Inhalts auf andere Satzglieder. Am häufigsten findet man die Verbindung von mattem Verb oder Hilfsverb und adverbialer Bestimmung oder Objekt:
LB 52 omdat gy leugens haet
Weil du den lügen gram
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Ionck.25 Hij woonde vast by my
Er hielt sich bei mir auf
LB 73 past u wonder - ist gut für deine wunder
Dabei kann es in extremen Fällen zu Erweiterungen kommen wie im folgenden Beispiel:
LB 532 ... maer ghy woont in de kan
Du aber hast erwehlt die Kanne für dein
Hauß
Ein weiteres Mittel zur Dämpfung ist die Verneinung des Gegenteils:
LB 361 Slaet toch maer eens om hooch u oogen
Schlag doch dein angesicht nicht nieder
LB 3 Wy zullen sijn verheucht
Wir wissen nichts von Leid
LB 408 ... dat Iupiter self loech
Daß Jupiter sich selbst deß lachens nicht
enthielt
Umgekehrt kann eine doppelte Verneinung oder ein Zusatz wie ‘nichts anderes als’ zur Stärkung der Affirmation beitragen, die dann aufgehoben wird, wenn eine einfache Aussage daraus gemacht wird. Überaus zahlreich sind solche Fälle, in denen das holländische Verb durch ein unvergleichlich farbloseres deutsches ersetzt wird:
LJ 419 Verdrijven uyt het lijf
Und aus dem Leibe thun
LB 356 ... wiesch af het droeve nat (= Tränen)
Das Wasser weg zue thun
LB 185 ... naer datmen heeft gesopen
... nach dem man viel gehoben
Es fällt vor allem die Entsinnlichung auf. Alles, was gefühlt und geschmeckt werden kann, wird empfindungslos und schal. Der Nordwind, der ‘bijt’ weht schärfer als der, der ‘streicht’ (LJ 412), der Schmerz, von dem man ‘klaecht’, ist stärker als der, den man ‘fühlt’ (LB 188), und seinen ‘dorst te leschen’ ist erfrischender als seine ‘Brust zu kühlen’ oder ‘sich zu laben’ (LB 331, 485). Dieselbe Erscheinung trifft man bei den Nomina an. Auch hier ist Heinsius bestimmter, farbiger, Opitz abstrakter und unsinnlicher. Es sei nur auf die zahlreichen Doppelformen verwiesen, mit denen er die Kraft der holländischen Substantiva zu erreichen versucht, die aber meist ein schwächeres Resultat hervorbringen, vor allem dann, wenn sie aus Synonymen bestehen. In den Hochzeits- und Liebesgedichten sind es Liebesglück und -not, die durch diese Umschreibungen entkräftet werden:
Tr.D. 31 Vaert wel en als ghy zijt in dijnen meesten staet
Adieu, vnd wann jhr dann in Lust vnd freuden steht
Ionck.11f. ... Ick sweere by de pijn
Daer sonder ick niet sou in vreuchden konnen sijn
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Ich schwere bey der Pein
Vnd schmertzen ohne die ich nicht kan frölich sein
Auch bei Heinsius finden sich viele Doppelformen. Aber Opitz vermehrt den Gebrauch um rund ein Drittel, und man hat den Eindruck, dass er mit der Vorlage wetteifert. Doppelfonnen übersetzt er manchmal durch einen dreifachen Ausdruck und diese durch reihende Mehrgliedrigkeit:
Ionck. 116 Met vreuchten en geneucht
Genüge, Frewd vnd Lust
Ionck. 113 Haet tooren, ende nijt en sou men daer niet smaecken
Man müst Vneinigkeit, Neid, Zancken, Zorn vnd hassen
Die Abschwächung vom Konkreten zum Allgemeinen lässt sich am besten an Hand genauer Angaben beobachten, an denen die Gedichte von Heinsius reich sind. Bei ihm kommt Venus ‘naer Hollands rijcke steden’, während Opitz von ihr an ‘einem grünen Ort in meinem Vatterlande’ (Ionck. 18) besucht wird.Ga naar eind27 Der deutlichste Beweis dafür sind bestimmte Zahlenangaben, gegen die Opitz eine offensichtliche Abneigung hegt und die er entweder übergeht oder durch unbestimmte zu ersetzen versucht. Gerade für das Thema der Liebe sind sie wenig geeignet. Bei Heinsius benötigt Cupido zur Erlernung des Holländischen ‘tien of twellef weken’; Opitz schreibt dafür: ‘Vnd kont er ohne müh sich in die Sprache finden.’ (Ionck. 26). Weitere Beispiele:
Ionck. 45f. Dat ick de Sonne waer, of dat ick haren wagen
Een dach mocht ofte twee doen gaen naer mijn behagen
O daß ich Sonne wer, vnd jhren hohen wagen
Einmahl regierete nach meinem wolbehagen
Aites 19 Daer sijnder twee geweest
Es ist ein liebes paar
Und sogar bei den sogenannten runden Zahlwörtern, die nicht mehr den Eindruck der algebraischen Nüchternheit erwecken, ändert Opitz. Im folgenden Beispiel wird ein grosser Zeitraum angegeben:
Aites 24 En dat my wirdt gebracht naer menich duysent jaer
Wann ich nach langer zeit schon lieg' in meiner rhue.
Jan van Dam, ein intimer Kenner beider Sprachen, bestimmt den Unterschied zwischen dem Niederländischen und dem Deutschen als den zwischen einem bildhaften, anschaulichen Ausdruck und einem abstrakten und distanzierten.Ga naar eind28 Labroisse ist der These mit einer Fülle von Analysen deutsch-niederländischer und niederländisch-deutscher Prosaübersetzungen nachgegangen.Ga naar eind29 Er charakterisiert das Niederländische als konkret, individuell, realistisch, das Deutsche als allgemein im Ausdruck und blass. Das weist auf dieselbe Tendenz hin, die bei Opitzens Wortgebrauch festgestellt wurde. Dennoch lassen sich die Änderungen nicht hinreichend mit den Eigentümlichkeiten der beiden Sprachen erklären. | |
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Van Dams und Labroisses Ergebnisse stützen sich auf modernere Texte, und zum andern finden die verbalen Abschwächungen eine Entsprechung auf der inhaltlichen Seite. Opitz ist bemüht, einen zu schrillen odes das Zartgefühl verletzenden Ton auf ein ausdrucksloseres Niveau abzustimmen. Im Lobgesang Jesu Christi berichtet Heinsius über die unbefleckte Empfängnis Marias:
LJ 167f. Tot dat de maeght een soon, een vrouw van onsen aert,
Een dochter van een mens, haer vader heeft gebaert
Der dreimalige Hinweis auf die Menschlichkeit und die Jungfräulichkeit Marias hat die Kritiker seit jeher als ‘afstotend sensualisme’Ga naar eind30 erregt, und selbst Warners, der Heinsius vor jedem Vorwurf zu bewahren versucht, schreibt zu dieser Stelle, dass er manchmal zu realistisch sei und hier ein Thema behandele, ‘dat realisme slecht kan verdragen.’Ga naar eind31 Dieser Eindruck wird auch durch die Anmerkung von Scriverius nur wenig gemildert, und Opitz hat ihn empfunden. Seine Änderung ist ebenso behutsam wie wirkungsvoll: Biß einen Sohn die Fraw so eine Jungfraw war/
Vnd jhren Vater selbst ein Menschenkindt gebahrGa naar eind32
Grausamer Realismus findet sich in der von Liebesleid erschütterten Klage Ariadnes. In krassen Worten wünscht sie, dass ein wildes Tier über sie herfalle und ihren Leib zerfetze oder ein Blitz des Himmels ihre Seele verschmore. Bei Opitz bleibt davon wenig mehr als der blosse Ausdruck von Todessehnsucht:
LB 290ff. Daß doch ein grimmig Thier abhülffe meinem
leben,
So nun beflecket ist. Ach daß der Hagel kem
Gefallen auß der lufft, vnd mich von hinnen nem.
Die grösste Anzahl der Beispiele entstammt der erotischen Sphäre, in die Opitz seinem Vorbild nur in wenigen Fällen mit gleicher Aufmerksamkeit folgt. Wie die Wirkung einer für ihn anstössigen Formulierung durch einen doppelglieddgen Ausdruck gemildert werden kann, zeigt der folgende Vers aus den ‘Ionckvrouwen’. Heinsius bezeichnet es als das grösste Glück, ‘in den schoot van zijn vriendin te sterven.’ (V. 134) Opitz setzt dafür: In seiner Freundin Schoß und zarten Armen sterben
Den Gegenstand seiner Verehrung nennt Heinsius ‘ionckvrouw’, ‘meysken’, ‘dochter’ oder ‘dier’. Opitz kennt für die verschiedenen Grade des erotischen Interesses meist nur die teilnahmslose Übersetzung ‘Jungfraw’, die nicht ‘de soete maechdom’ verliert, sondern die ‘werthe kron’. (LB 280) Überall scheint Opitz bestrebt, die Würde der Frau zu wahren. Heinsius warnt sie vor allzu reichlichem Weingenuss:
LB 95f. Want als de vrouwen sijn bestoven van uw' kruyt,
Dan sijnse bly van sin, en slaen van achter uyt
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Der Vergleich mit einem bockenden Tier hat Opitz gestört und er übergeht ihn: Dann wann die Frawen sind durch diß dein kraut erfrewt,
So sind sie bey der lust, vnd gehen was zu weit
In der 12. Idylle Theokrits geht es um einen Kusswettstreit unter Knaben, der alljährlich am Grabe von Diocles stattfindet. Auch hier verundeutlicht Opitz die Verhältnisse, in dem er die Zeile
Aites 36 Diocles, die soo veel met minnaers heeft verkeert
übersetzt mit Dioclem der sich auch im lieben sehr geübt.
Im kritischen Schrifttum sind die Meinungen über den Weg des Versgesetzes und des Alexandriners zu Opitz und den Anteil der Holländer keineswegs einheitlich.Ga naar eind33 Die Verwirrung geht zum Teil auf die zeitgenössischen, theoretischen Äusserungen zurück. Roemer Visscher und van Duym sprechen noch ausschliesslich von langen und kurzen Silben, van Mander gebraucht neben ‘langh’ die Bezeichnung ‘hardt’, deren zu ergänzende Entsprechungen ‘kort’ und ‘sacht’ wären. In den Schriften der Rederijker stehen quantitative und akzentuierende Versbehandlung nebeneinander. Man spricht von ‘het hoogh en laegh, kort ende langh uytspreken der silben’ oder von ‘lange ende korte voeten, van dubbel en enkel gheklanck’. Van Hout sagt in einer undeutlichen Wendung, er habe den Silben das ‘juiste gewichte’ gegeben, und Hooft erwähnt ihren ‘bijklanck’, was eine Übersetzung von Akzent ist.Ga naar eind34 Erst bei Abraham van der Mijle findet sich dann der Unterschied zwischen antikem und holländischem Vers deutlich herausgearbeitet: ... leges poesis Belgicae difficiliores sunt, quam aut Graecae, aut Latinae. Nam caesurae accuratior debet esse in carmine Belgico observatio ... accentum enim non curant Graeci Latinique eo loco, ubi syllaba longa requiritur: sat habent, si ad leges alias quantitatem suam servent ... In accentus tamen decoro consistit praecipua carminis virtus & elegantia: is facit, ut mollius fluat, ut genuina sit modulatio.Ga naar eind35 Van der Mijles Einsicht spiegelt auch die Auffassung der Leidener Gelehrten wieder. Wie weit sie im frühen 17. Jahrhundert in Deutschland bekannt war, lässt sich schwer entscheiden, später hat man sie immer wieder zitiert, wenn man den Vorzug des deutschen vor dem antiken und romanischen Vers beweisen wollte.Ga naar eind36 Die Vielzahl und Unbestimmtheit der Benennungen sind weniger das Zeichen einer sachlichen Unklarheit als eines terminologischen Unvermögens. Die Dichter scheinen alle zu fühlen, das ‘kort en lang’ nicht die ihren Versen entsprechenden Kategorien sind, sie dringen aber noch nicht zu einer unmissverständlichen Formulierung und Abgrenzung durch. Auch in Deutschland zeigt sich diesel- | |
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be Unfähigkeit. Noch 1652 spricht Rist im Vorwort zum Teütschen Parnass von kurz und lang.Ga naar eind37 Hat man das vor Augen, dann wird man die folgenden Worte von Scriverius als eine erstaunlich klare Fassung des neuen Versgesetzes verstehen können: Daer wy nochtans konnen toonen, dat jae self de voornaemste Francoysen inde hare [i.e. Sprache] veel fauten begaen hebben niet lettende op den Toon ende mate vande woorden, die zy merckelicken ghewelt doen. Gelijck oock meest de onse...Ga naar eind38 Die Zeilen stehen in der Vorrede zu den Nederduytschen Poemata . Wenn Scriverius schreibt, dass auch die meisten Holländer gegen die Regel verstossen, dann heisst das indirekt, dass Heinsius sie befolgt. Die Gedichte sind also als Illustration dieser Vorschrift anzusehen. ‘Toon’ bedeutet hier Akzent, ‘mate’ Metrum, d.h. die Aufeinanderfolge von betonten und unbetonten Silben. ‘Toon’ und ‘mate’ beachten, das heisst Wort- und Versakzent in Übereinstimmung bringen. Die erste Äusserung zum Versgesetz bei Opitz steht in der Vorrede ‘An den Leser’ zum ‘Lobgesang Jesu Christi’. Sie besteht in einer fast wörtlichen Übersetzung der Stelle von Scriverius.Ga naar eind39 Und auch die umfangreichere Besprechung in der Poeterey lehnt sich inhaltlich und terminologisch an die Holländer an. Sie erscheint zu einem grossen Teil als eine Ausführung der gedrängten Zeilen von Scriverius. Opitz spricht von den ‘accenten vnnd dem thone’, von ‘hoch vnnd ... niedrig’. Er grenzt wie van der Mijle den deutschen vom antiken Vers ab, und in Anlehnung an Scriverius findet sich auch hier der Hinweis auf die Ungebräuchlichkeit der Regel im eigenen Land und auf das Versagen der Franzosen.Ga naar eind40 Die Übereinstimmungen sind so offensichtlich, dass J.P. Titz, einer der besten Kenner der damaligen Literatur und treuer Statthalter von Opitz, schreibt: Die Quantität der Sylben aber hat er [i.e. Opitz] / nach dem exempel der gelehrten Holländer/ nach jhrem Accent oder Laut abgemessen.Ga naar eind41 Theoretische Einsicht und praktische Anwendung sind keine gleichzeitigen Vorgänge. Die Fähigkeit zu fliessenden Versen musste in einer Zeit der Übung erworben werden. Den Beispielen im Aristarch zufolge hat auch Opitz anfänglich unter dem Einfluss des französischen Alexandriners gestanden. Seine Beschreibung deckt sich mit dessen Einfachheit: Observandus saltem accurate syllabarum numerus, ne longiores duo versus tredecim, breviores duodecim syllabas excedant: quarum in his ultima longo semper tono; in illis molli et fugiente quasi producenda est. Et [diligenter] attendendum, ut ubique sexta ab initio syllaba dictione integra claudatur, et versus ibi veluti intersecetur.Ga naar eind42 Der französische Alexandriner besteht nicht notwendig aus sechs Hebungen. Erforderlich sind nur zwei auf der 6. und 12. Silbe, da die französische Sprache sich nach dem finalen Satzakzent richtet, der dem Ende | |
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der Halb- und Langverse zustrebt.Ga naar eind43 Aber schon das Adverb ‘saltem’ zeigt, dass Opitz damals bereits eine ausführlichere Vorschrift kannte. Der niederländische Alexandriner, den er in Beuthen, dem Entstehungsort des Aristarch, kennenlernte, ist gekennzeichnet durch eine streng durchgehaltene Alternation des Jambus. Der regelmässige Bau und die genaue Gliederung durch die Zäsur hatten für den Übersetzer den Vorteil der leichten Durchschaubarkeit und Nachahmung. Die meisten Gedichte der Nederduytschen Poemata sind in diesem Versmass geschrieben. An ihnen vollzog sich Opitzens Prozess der Aneignung, der mit der Übersetzung der beiden Lobgesänge abgeschlossen ist. Wichtiger als die beliebte und mit Hilfe von datierbaren Gelegenheitsgedichten abgehandelte Frage, von welchem Zeitpunkt an Opitz diesen Vers beherrsche - die Ergebnisse unterscheiden sich nur nach Monaten -, ist es festzustellen, welche Bedeutung die Übersetzungen aus Heinsius für seine eigene Versgestaltung hatten. Weevers hat in einer minuziösen, statistisch ausgewerteten Analyse drei Textstellen zu je hundert Versen aus dem Bloem-Hof , dem Lobgesang auf Bacchus und aus ‘sententious passages’ nach der Häufigkeit der Betonungen, die auf jede Silbe fallen, aufgeschlüsselt. Er vergleicht sie mit entsprechenden, auf dieselbe Weise ausgewerteten Stellen bei Opitz und kommt zu dem Ergebnis, dass dieser ‘mainly imitated Heinsius in his sententious passages, and it is by them he was most influenced.’Ga naar eind44 Der Einfluss zeigt sich auch dann, wenn Opitz Gedichte übersetzt, deren Verfasser keine Anhänger der strengen Alternation waren. P.C. Hooft wollte aufgrund von Beobachtungen an französischen und italienischen Werken den Jambus auflockern. Das eine Sonett, das Opitz von ihm übersetzte, enthält eine solche Ausnahme: Vriendlijcke vrolijcheyt, de min met al zijn treecken
Opitz hätte die Möglichkeit gehabt, die Daktylen der ersten Halbzeile wörtlich zu übersetzen, aber er glättet die Unregelmässigkeit: Vnd lieblich hoheit: Ihr, jhr könnt alleine gebenGa naar eind45
Opitz' Reaktion gegenüber einer freieren Versgestaltung wird völlig deutlich bei seinen Übersetzungen von Roemer Visscher aus dem Thronus Cupidinis, dessen Gedichte nicht im Stil der Leidener Schule verfasst sind. In der niederländischen Versgeschichte gilt Roemer als ein Vertreter jener Richtung, die sich der strengen Regelung widersetzte. Seine Verse wechseln in der Länge von 9 bis 14 Silben und entziehen sich einer metrischen Schematisierung. Opitz überträgt sie in den Alexandriner, den er bei Heinsius kennengelernt hatte. Das erforderte eine Entfernung von der wörtlichen Übersetzung und eine grössere Zahl von Umstellungen, Auslassungen und Umschreibungen.Ga naar eind46 Opitz' Reform war wegbereitend, aber kein voraussetzungsloser Anfang. Forster hat an Hand von Flugblättern und Einzeldrucken gezeigt, in welchem Grade sie vorbereitet und das Publikum für die Aufnahme | |
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von Alexandrinern geübt war.Ga naar eind47 Die Bevorzugung des alternierenden Metrums ist nur zum Teil durch die Quellen bedingt. Sie ist auch eine Selbstbeschränkung, um die Reform wirkungsvoll vertreten zu können. Erst nachdem der Grund gelegt und gesichert war, geht Plavius über das alternierende Metrum hinaus und schreibt nach dem Vorbild von Starter daktylische und anapästische Verse.Ga naar eind48 Abraham van der Mijle versuchte 1612 mit Berufung auf Petrarca und durch eigene holländische Beispiele, die Herrschaft des Reims zu brechen. Sein Ziel war nicht die völlige Abschaffung, sondern reimlosen Versen Eingang in die Poetik zu verschaffen. Die Reichheit der Muttersprache benötige ebenso wenig wie das Griechische und Lateinische übereinstimmende Versschlüsse, der Gedankengang werde häufig durch sie gehindert.Ga naar eind49 In Deutschland finden solche Versuche keine Nachfolge. Titz' Frage ‘Ob ein Lied ohn den Reim seyn könne’ wird negativ beantwortet, und Hannman, der van der Mijles Vorhaben bespricht, entscheidet sich dagegen.Ga naar eind50 Noch Morhof, der ein reimloses Gedicht aus der Lingua Belgica zitiert, verwirft diese Art des Dichtens: wenn einer die ungereimbten Verse höher/ als die andern halten/ wollte/ wäre es eben/ als wenn jemand einer Strohfiedel vor einer wohlgestimmeten Geige den Vorzug gäbe.Ga naar eind51 Die Herrschaft des Reims dauert während des ganzen 17. Jahrhunderts an. Lediglich bei den Nürnbergern finden sich vergleichbare Aussagen. Gegen eine bedenkenlose Reimabnutzung richtet sich der Satz von Klaj: ‘das man hinten zwey Reime aneinander bakken kan/ ist das geringste’, denn die deutsche Sprache sei auch ohne den Reim aussagekräftig genug.Ga naar eind52 Harsdörffer stellt für die Reimworte die Regel auf: ‘Der Poet muß solche meistern können/ und sie ihm zu seinem Behuf dienen machen/ denselben aber nicht unterworffen seyn.’Ga naar eind53 Wird hier der Reim wenigstens theoretisch in Frage gestellt, so zeigt sich in anderen Schriften eine unproblematische Einstellung. Die Reime sind die Riemen, die das Gedicht zusammenhalten, und in den vielfältigen Möglichkeiten des Deutschen sah man einen Vorzug vor anderen Sprachen und eine enge Verwandtschaft mit dem Hebräischen.Ga naar eind54 Die ausführliche Behandlung in fast allen Poetiken spricht für die Selbstverständlichkeit des Reims, sie zeigt aber ebenso die Schwierigkeit der richtigen Anwendung, die ‘auch einem ziemlich geübten zum öffteren viel mühe und beschwerligkeit verursachet.’Ga naar eind55 Titz erteilt daher einen Rat, der charakteristisch für die Auffassung des Reimes ist. Für den jungen Dichter werde es erstlich nicht undienlich seyn/ daß man allerley Sachen ... Versweise/ doch ohn die gleiche Endung oder Zusammenreimung/ fürzubringen sich bemühe ... Nachmahls/ wenn man in stellung der Verse schon ziemlich ohn anstoß fortkommen kan/ mag man auch anfangen/ die Verse gleich zu schlissen/ und den Reim dazu zu thun.Ga naar eind56 | |
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Der Reim ist kein organischer Bestandteil des Verses oder des Gedichtes, dem ein bestimmter und bedeutsamer Platz innerhalb des Ganzen zukommt, sondern ein mechanischer, der nach Belieben weggelassen oder angefügt werden kann. Die Schwierigkeiten der Findung liessen sich denn auch durch handwerkliche Hilfsmittel beseitigen. Zesen und Titz waren die ersten, die durch lexikalische Zusammenstellung der Reimworte den Weg zur richtigen Anwendung erleichterten.Ga naar eind57 Diese Auffassung lässt natürlich keine tieferen Deutungen zu, dass zwischen den reimenden Worten eine innere Beziehung bestehe oder das der Betonung am Ende des Verses eine gehaltliche entspreche. Der einzige Gesichtspunkt bei der Beurteilung der Reime ist der lautliche Gleichklang. Es wird viel geschrieben über Vokalqualitäten, die richtige Aussprache von Konsonanten und mundartliche Besonderheiten. Die Schriften anerkannter Autoren mass man an den aufgestellten Lautgesetzen und durchforschte sie nach Fehlern und Vorbildern. Als handele es sich um deutsche Reime zitiert Titz in diesem Zusammenhang aus den Nederduytschen Poemata von Heinsius.Ga naar eind58 Er unterstreicht damit die enge Verwandtschaft von deutschen und niederländischen Versschlüssen. Die Beliebtheit der holländischen Dichtung bei jungen deutschen Autoren, die sich auf dem Wege der Übersetzung ihre poetische Fertigkeit erwerben wollten, beruht sicherlich auch auf der Möglichkeit, den Reim leicht ins Deutsche übernehmen zu können. Opitz' Verständnis des Reims entspricht genau dem hier geschilderten. Alewyn hat seinen Vorrat als sehr beschränkt bezeichnet und das Vorherrschen der verbalen Formen bei männlichen und weiblichen Schlüssen hervorgehoben.Ga naar eind59 Auf ähnlich anspruchslosen, immer wiederholten Formeln baut sich der Bestand bei Heinsius auf. Bei der Gleichheit der Konjugations- und Deklinationssysteme beider Sprachen war es für den Übersetzer leicht, die Vorlage ins Deutsche zu bringen. Ausserdem liessen sich einige Schlüsselwörter wie ‘sinne-minne’, ‘hertz-schmertz’ etc. wörtlich übernehmen. In beiden Lobgesängen folgt Opitz rund der Hälfte der Reime des holländischen Textes. Dabei lassen sich verschiedene Verfahrensweisen feststellen. Entweder übernimmt er sie wortgetreu oder er versucht, sie durch stamm- oder klangverwandte Entsprechungen zu verdeutschen. Beide Wege können zu inhaltlichen Verstössen führen. Das klangverwandte, jedoch einer anderen Wurzel angehörige Wort ist nur in den seltensten Fällen bedeutungsgleich, das stammverwandte - und dies ist eine der grössten Schwierigkeiten bei Übersetzungen aus dem Holländischen - hat sehr oft einen anderen Inhalt. Am häufigsten treten Fehler dann auf, wenn sich das Reimpaar nicht vollständig übertragen lässt und Opitz nur ein Glied übernimmt. Das zweite muss dann durch ein ‘inhaltsfremdes’ Wort ergänzt werden. Zur Verdeutlichung einige Beispiele:
LI 37f. ... Waer souden wy wat halen
Om dit te meten af? Siet aen de klare stralen
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... Wie wolten wir doch mahlen
Die tieffe heimligkeit? Sieh' an der Sonne stralen
LJ 361f. Laet Caesar in zijn goet en moedigheyt verwerren
Aentrekken zijnen rock van purpur, met de sterren
Laß Caesar in sein guet vnd hoffart sich verwerren
Laß jhm den purpurrock/ als aller länder
Herren
LJ 1f. Het woort was voor den tijt by God, uyt God geresen
De selve God, met God den Vader, in het wesen
Das Wort war vor der Zeit bey Gott/ von Gott erlesen
Vnd selber Gott/ mit Gott dem Vater/ in dem wesen
Opitz hat den Fehler des letzten Beispieles selbst erkannt und ihn in einer späteren Ausgabe begründet: uyt Gott geresen. Also setzt Heinsius: welches sich aber ohne verruckung der wichtigen meinung des andern verses in den reim nicht bringen leßt: darumb der dolmetscher sich des wortes Erlesen gebrauchen mußen/ vndt zwar hoffentlich auch nicht übel ...Ga naar eind60 Das zeigt deutlich seine Arbeitsweise. Er übernimmt eine Hälfte des Paarreims und muss ihr die andere ohne Rücksicht auf den Inhalt anpassen. Wenn auch in diesem Beispiel der Unterschied nicht wesentlich ist und Opitz die inhaltliche Richtigkeit seiner Version mit Bibelstellen belegen kann, so führt dieses Verfahren doch oft so weit, dass der Text von Heinsius in der deutschen Übersetzung bis zur Unverständlichkeit entstellt wird. Um nach dem Fortgang von Theseus ihre völlige Vereinsamung auszudrücken, klagt Ariadne, der treulose Geliebte habe ihr als Hochzeitsgeschenk eine Insel ohne Hafen hinterlassen: LB 305f. ... dit sijn de bruyloft gaven
Die Theseus my verleent; een eylant sonder haven
Unter Opitzens Hand wird dies zu einem wahrhaft fürstlichen Geschenk: ... diß sind die Hochzeit gaben
Die Theseus mir verehrt; ein' Insel soll ich haben
Die Beispiele liessen sich um ein Vielfaches vermehren, sie zeigen aber immer nur dasselbe: einen Vorrang der Form vor dem Inhalt. Eine kritische Beurteilung von Opitz' bewundernswerter Leistung bei der Übersetzung der beiden Lobgesänge müsste an diesem Punkt ansetzen. Allzu oft gewinnt man durch die Behandlung des Reims den Eindrack einer hörigen Nachfolge und dass Opitz den Vorteil des leichten Übersetzens höher stellte als die inhaltliche Folgerichtigkeit. Schon Tscherning übte vorsichtige Kritik an der genauen Reimübernahme aus dem Niederländischen - allerdings in metrischer Hinsicht: ‘Es steht zumal häßlich/ wann ein Trochaeus für einen Iambum, und ein Iambus für einen Trochaeum gesetzt wird.’Ga naar eind61 Als Beispiel führt er eine Stelle aus Opitz' Lobgesang auf Christus an, deren Reimworte im Holländischen abweichend vom Deutschen nicht auf der Stammsilbe betont werden: | |
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‘Noch Romulus wölfinn
O menschliche göttin’
Er entschuldigt jedoch dieses Vergehen mit dem Hinweis auf den Zwang einer Übersetzung durch die Vorlage und schreibt, Opitz habe ihm dies im persönlichen Gespräch auch zugestanden.Ga naar eind62 Für Opitz' eigenes Schaffen war die Übersetzung aus dem Niederländischen dennoch von Bedeutung. Der Reimbestand im ‘Trostgedicht’ besteht zu einem beträchtlichen Teil aus jenen Formeln, die er bei Heinsius kennengelernt hatte. Bei der Prüfung einiger Schichten von Opitz' Übersetzungen ergibt sich ein Verhältnis von Anlehnung und Abgrenzung, das sich in der weiteren Betrachtung der deutsch-niederländischen Beziehungen noch mehrere Male zeigen wird. Die Anlehnung findet sich nicht nur im formalen Bereich, sie ist hier nur besonders stark ausgeprägt. Wenn bei der Rationaliserung und Abschwächung des Textes die zu beobachtenden Tendenzen nicht durchgängig verwirklicht werden, so ist das eine Manifestation dieses Verhältnisses. Die geringen sprachlichen Schwierigkeiten gestatten dem Übersetzer keine grössere Freiheit, sie üben in Wirklichkeit einen stärkeren Zwang auf ihn aus. Aus diesem Grunde werden Übersetzungen aus dem Holländischen oft zu den schwierigsten gezählt. Auf der anderen Seite ist gerade die Überwindung des Zwangs ein Zeichen für die dichterische Konzeption des Übersetzers. Das Schwergewicht lag auf den beiden Lobgesängen, die seit je in der literarischen Kritik eine unterschiedliche Beurteilung gefunden haben. Schon Albrecht von Haller lobt zwar die Bacchus-Hymne als ‘sinnreiches und sehr Poetisches Gedichte’, er tadelt aber formale und sprachliche Mängel in der Übersetzung.Ga naar eind63 Die moderne Wertung bedient sich häufig moralischer Kriterien und zielt mehr auf den Inhalt. Der akademische Stoff der Bacchus-Hymne zeige zwar die spröde Hand des ‘poeta doctus’, aber - so Van Es - es fänden sich auch Stellen, die in dem ungekünstelten und jauchzenden Ton, im dynamisch gespannten Rhythmus, der durch die heftige Bewegung der syntaktischen Formen vorangetrieben werde, eindeutig Heinsius' leidenschaftliche und sinnliche Natur offenbarten; der Hymnus sei ein Lob des animalischen Lebens.Ga naar eind64 In einer Reaktion darauf versucht Warners, ihn als ein Produkt der Gelehrsamkeit darzustellen.Ga naar eind65 Die Urteile sind zu einseitig, da der Lobgesang in Wirklichkeit beide Aspekte enthält: Passagen der Gelehrsamkeit wechseln mit solchen meist erotischen und sinnlichen Inhalts, die auf ein inneres Engagement des Autors schliessen lassen. Man könnte hier auf die lebensbejahenden Abschnitte seiner Biographie verweisen und daran erinnern, dass er den Hymnus 1614 an Sciverius schickte und ihn wahrscheinlich nicht für den Druck, sondern einen privaten Kreis bestimmt hatte. Opitz nähert sich dem Werk von der gelehrten Seite. Aus der Diskrepanz zwischen dem Gesamt-charakter von Heinsius' weltlicher Dichtung und Opitz' partieller Rezeption lassen sich viele Änderungen erklären, und es ist eine Bestätigung dieser Folgerung, dass unter seiner Hand von der manchmal übermüti- | |
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gen Lebensfreude nur ein blasser Schein bleibt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Schilderung der wilden musikalischen Begleitung beim Einzug von Bacchus mit seinen trunkenen Gefolge. Heinsius stattet sie mit onomatopoetischen Effekten aus:
LB 337ff. Veel bommen grof geluyt, gemengelt met cymbalen
En hamers groot gebons, omringde gans de palen
Van Naxus onbewoont ...
Bei Opitz dagegen gewinnt man den harmonischen Eindruck konzertierten Musizierens: Viel Paucken hörte man weit vber alle Felder,
Viel Cimbeln klungen sehr durch Naxos wüste
Wälder.
Der Lobgesang auf Christus ist weniger persönlich geprägt. Die Gelehrsamkeit breitet sich ohne merkliche Beteiligung des Verfassers aus. Die biblische Geschichte war objektives Gut und bot weniger Anlass zu inhaltlichen Änderungen. Auch seine Beurteilung in der literarischen Kritik ist zwiespältig. Van Es sieht in ihm das Höchste, was Heinsius erreichte, und einen Markstein in der Geschichte der protestantischen Literatur der Niederlande,Ga naar eind66 während ter Horst ihn voller Geschmacklosigkeiten findet.Ga naar eind67 Max, der Opitz' Religiosität an Hand der geistlichen Werke untersuchte und dem Dichter die Fähigkeit zu einem tiefempfundenen Glauben absprach,Ga naar eind68 legt an die Christus-Hymne moderne Maßstäbe an und befragt sie nach Originalität und Einfühlungsgabe. Auf diese Weise muss er zu dem abwertenden Urteil kommen, dass es sich um ein ‘gereimte[s] Machwerk’ handele, das seine ‘Herkunft, die Theologenstube und Schulluft’, verrate.Ga naar eind69 Ähnliche Urteile sind keine Seltenheit. Was hier negativ vermerkt wird, das sieht sich mit den Augen der Zeit als der grösste Vorzug der Dichtung an; es war gerade der immense Wissensstoff, den man bewunderte. Die schon zitierten Urteile von Köler und Buchner mögen als Belege dienen. Sie zeigen aber auch, dass die Zustimmung nicht nur auf einem polyhistorischen Fundament beruhte. Die Gelehrsamkeit ging eine enge Verbindung mit der Religiosität ein, die sich oft nur in diesem Gewand äussern konnte und zuweilen von ihm verdeckt wurde (s.u. S. 202ff.). Die Beschäftigung mit gelehrter geistlicher Dichtung war ein Weg, in den christlichen Glauben einzudringen. Am 28.12. 1634 lud der Rektor der Rostocker Universität, Petrus Lauremberg, für die neunte Stunde des folgenden Tages zu einer öffentlichen Lesung ein über Danieli Heinsii Hymnus Jesu Christo, Unico Et Vero Dei Filio Belgice Conscriptus, postea Germanicè redditus à Martino Opitio ... nunc Latinè ... Der Vortragende, Martin Nessel, hatte Opitz' Übersetzung der Christus-Hymne ins Lateinische gebracht,Ga naar eind70 ein Unternehmen, das zunächst widersinnig erscheint. Die Vorlage war in Deutschaland so stark verbreitet, dass es der Unterstützung durch einen lateinischen Text nicht bedurfte. Und es konnte auch nicht Nessels Absicht sein, der Hymne eine über die Gren- | |
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zen des deutschen Sprachbereichs hinausgehende Wirkung zu verschaffen, da sein Name zu unbekannt war und der Einzeldruck wahrscheinlich nur in kleiner Auflage erschien. Er hat sie auch tatsächlich nicht erreicht. In der Widmungsvorrede bekennt Nessel, er habe sich nicht mit Opitz messen wollen, und die poetische Übung nennt er erst an untergeordneter Stelle. Als Motiv für seine Übersetzung führt er die ‘pietas’ an, ‘quae hoc in carmine abunde inest’.Ga naar eind71 In der Ankündigung schreibt Lauremberg über Nessel: Hic ipse sedulitatem suam dicavit piis meditationibus, & erudito carmine ex Martini Opitii Germanico in Latinum sermonem translato, pueri Jesu naturam, nativitatem, vitam, benefacta comptè delineavit.Ga naar eind72 Eine ähnliche Haltung erkennt man in Opitz' Vorrede ‘An den Leser’ vor seiner Übersetzung: Es ist hier nichts ohne außerlesene worte/ ohne tieffen verstand/ ohne anleitung zue der Gottesfurcht... nichts das wir Christen nicht alle miteinander bekennen.Ga naar eind73 Dieses Verständnis der Heinsiusschen Dichtung hat seinen Niederschlag in der Übersetzung gefunden. An einigen Stellen lässt sich der Einfluss der Bibelsprache konstatieren, und zwar am deutlichsten bei konkreten Anspielungen. So wird David bei Heinsius als Redender bezeichnet, bei Opitz hat er ‘manch schönes liedt gesungen’ (V.198), im holländischen Text befindet sich Daniel ‘in't midden van de leeuwen’, im deutschen ist von der ‘Löwengruft’ (V.674) die Rede, und Christus wird nicht geboren ‘in een hut, verdruckt tot in het stof’, sondern ‘geleget in die kripp'/ erkältet/ arm vnd bloß’ (V.355), die Übeltat der Menschen schliesslich besteht nicht darin, ‘dat zy gaen haeren God vast maken aen een hout’, sondern ‘Das sie den creutzigen der sie liebt jederzeit’ (V.508). Für den Leser entsteht auf diese Weise der Eindruck, dass die Lehrhaftigkeit zugunsten einer Verinnerlichung eingeschränkt wird. Das war sicherlich Opitzens Absicht, denn in seiner ganzen Übersetzung findet man die unaufdringlichen Spuren christlicher Demut. Sie lassen sich schon in den ersten Zeilen bei einem Vergleich der Schilderung der Menschwerdung Christi feststellen:
LJ 11ff. Hy was het ware licht: het licht, dat onverwacht
Gekomen tot de mens, ginck lichten in de nacht
Geboren door zijn kracht, en door zijn kracht verworven
Het menschelicke vlees: geleden en gestorven.
Er war das wahre Liecht: das Liecht so vnverwacht
Kam in die finsternüß/ kam
leuchten in der nacht
Aus eigentlicher krafft in dieses elendt kommen
Erworben vnser fleisch/ vor vns
den todt genommen.
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Das zweimalige Hinzufügen des Personalpronomens betont den humanen Aspekt, ‘finsternüß’ und ‘elendt’ bezeugen seine Auffassung von der Sündhaftigkeit der Welt, die sich an weiteren Stellen belegen lässt. Sie wird als ‘schnöde’ bezeichnet (V.210), und es mangelt ihr an Gott. Entsprechend häufig wird die verführerische Gewalt des Teufels stärker hervorgehoben ebenso wie Gottes Liebe und Allmacht. Am klarsten erkennt man das sich hier Abzeichnende an der Gestalt Marias (Vv. 301-344). Die Beschreibung von Mutter und Kind im Stall zu Bethlehem gerät in der Übersetzung zu einem Bild feierlicher Beschaulichkeit, und Maria wird zu einer Gestalt vorbildlicher Demut und mütterlicher Liebe. Die fromme Gefühlsvertiefung erreicht Opitz durch die Hinzufügung von Substantiven wie ‘heiligkeit’, ‘engel schar’, ‘himmelskrafft’, ‘muth vnd sinn’, ‘freundlichkeit’, ‘huldt’, ‘mutterhertz’ und Adjektiven wie ‘gläntzend’, ‘dankbar’, ‘lieblich’, ‘schön’, ‘freundlich’, hoch’ und ‘edel’. Alewyns Feststellung, dass Opitz ‘eine sichtliche Abneigung’ habe, ‘das Nomen attributiv zu behängen’,Ga naar eind74 kann man für den ‘Lobgesang Jesu Christi’ nicht bestätigen. Hier dienen die Adjektive der preisenden Ausschmückung der Gestalt Marias. In seinen eigenen ‘Lobgesang Vber den frewdenreichen Geburtstag vnseres HErren vnd Heylands...’ hat Opitz wesentliche Elemente des Marienbildes übernommen, wenn auch die Verinnerlichung verhaltener wirkt als in der Übersetzung.Ga naar eind75 Neben das Interesse an der Sprach- und Formgewandtheit tritt die Haltung der Frömmigkeit als weiteres Motiv der Übersetzung. Mit beiden ist es zu erklären, dass Opitz das inhaltsbezogene Beiwerk der Vorreden zu einem Teil und die gelehrten Anmerkungen zunächst vollständig unberücksichtigt liess. Die zeitgenössische Religionsproblematik spielt bei ihm keine Rolle. Der Lobgesang von Heinsius war ja auch ein geschickter Schachzug in dem mit Bitterkeit geführten Streit zwischen Remonstranten und Kontraremonstranten.Ga naar eind76 Wie wenig Opitz sich von einer Stimmigkeit seiner literarischen Tätigkeit Rechenschaft ablegte, zeigt die Tatsache, dass er einige Zeit später das Lehrgedicht der Remonstranten, Grotius' Bewijs van den waren Gods Dienst , ebenfalls übertrug.Ga naar eind77 Stilistische und inhaltliche Tendenzen der Abschwächung und Rationalisierung werden durch gehaltliche Umgestaltungen ergänzt: die Bacchus-Hymne erscheint in der Übersetzung weniger bacchisch, die Christus-Hymne dagegen erhält christlichere Züge. Das Nebeneinander von heidnischem und christlichem Götterpreis ist nicht unvereinbar, obwohl es immer wieder Gegenstand der Kritik war. Die Frage, in welchem Verhältnis beide zueinander stehen besonders im Hinblick auf die antike, mythologische Bildlichkeit, die auch im Lobgesang auf Christus vorkommt, überschreitet den Rahmen einer Untersuchung der Übersetzungen. Sie fällt in den Problemkreis der Gelehrtendichtung und wird dort ausführlich erörtert werden. | |
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c. Vergleichende Betrachtung mehrfach ins Deutsche übersetzter Gedichte aus den ‘Nederduytschen Poemata’.Ga naar eind78Der glückliche Umstand, dass einige Gedichte von Heinsius mehrfach ins Deutsche übersetzt wurden und auch im Druck erhalten sind, fordert zu einem Vergleich der verschiedenen Fassungen geradezu heraus. Die Übersetzer sind Dichter, die mit Opitz bekannt waren oder unter seinem Einfluss standen. Sicherlich ist es daraus zu erklären, dass sie keine Gedichte wählten, die dieser bereits übersetzt hatte. Zunächst seien zwei Beispiele besprochen, die von Schneider, Homburg und Fleming übertragen wurden. Alle drei halten sich im Rahmen einer wörtlichen Übersetzung. Wie Opitz übernehmen sie eine Anzahl von Reimen, wobei sich Fleming einfallsreich in der Erfindung neuer Versschlüsse zeigt. Die hämmernde Alternation des Alexandriners wurde leise gedämpft und die Zäsur weniger scharf gesetzt. ‘Solvi non possum nisi magis constringar’ und ‘Vilius est aurum. Op den gouden tantstoker’ stehen in der Tradition des Petrarkismus.Ga naar eind79 Im ersten Gedicht handelt es sich um eine Klage, in der die Liebesbeziehung unter dem Aspekt des Krieges gesehen wird, um so die verwundende Wirkung auszudrücken. Anmutende Körperteile, wie Gesicht, Augen, Arme, werden zu spitzen Waffen. Der Dichter fühlt sich von der Geliebten angezogen und will sie zugleich fliehen. Das antithetische Lebensgefühl findet seinen Ausdruck in dem Oxymoron ‘O vriendelijck gewelt!’ (V.13). ‘Vilius est aurum’ ist eine ‘Pretiosen-Ausdeutung’,Ga naar eind80 in der Gegenstände, die in irgendeiner Verbindung mit der Geliebten stehen, die sie besessen oder benutzt hat, Anlass geben zu einer Klage über die Trennung oder zum Preis der Liebe. In Schneiders Übersetzung fallen zunächst einige Mängel auf. ‘Vberkommen’ (V.5) ist wahrscheinlich ein Druckfehler, ‘das’ (V.8) ein falscher Anschluss, der das Verständnis erschwert. Unerklärlich bleibt die umständliche Übersetzung von V.13f., da Schneider hier wörtlich hätte verfahren können. Der Krieg wird bei Heinsius mit wenigen typischen Attributen gezeichnet. Schneider hebt den Doppelausdruck Schwert und Lanzen auf und setzt statt dessen ‘Gebadt in todtes blut’, was nicht durch ein Missverständnis von ‘bloot’ hervorgerufen wurde, denn auch die Hinzufügung des Zahlwortes ‘tausendt’ zeigt, dass ihm an der Hervorhebung der Kriegsqual gelegen war. Das bringt aber keine Verstärkung der petrarkistischen Aussage mit sich. Im Gegenteil: Hier bleibt Schneider weit hinter seiner Vorlage zurück. Die allegorische Ausdeutung des Liebreizes zu Waffen übernimmt er nur zum Teil und ersetzt den Rest durch einen Vergleich und eine schwerfällige Genitivfügung. Die zweite Hälfte des 12. Verses entspricht nicht der petrarkistischen Aussage von Heinsius. Wahrscheinlich ist Schneider hier den Schwierigkeiten der Reimfindung erlegen. Er übernimmt das erste Glied des Paares und setzt an die zweite Stelle ein Wort, das zwar mit dem Klang übereinstimmt, aber nicht dem Inhalt (sie - zieh). Bei Heinsius wird ohn- | |
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mächtige Liebesverfallenheit ausgedrückt, bei Schneider dagegen erhält man den Eindruck, dass der Liebende seiner Sinne mächtig und einer Entscheidung fähig ist. Heinsius bedient sich einer genau bezeichnenden Sprache, die Schneider - wie alle Dichter, die aus den ‘Nederduytschen Poemata’ übersetzten - abschwächt. ‘Lief’ wird zu ‘zier’, ‘gesicht’ zu ‘antlitz’, ‘woorden’ zu ‘zungen klang’, ‘oogen’ zu ‘der Augenglantz’ und ‘gewelt’ zu ‘übelthun’. Man vergleiche nur die beiden Fassungen des 14. Verses: Daer ick gebonden ben met sulcke soete knoopen
Do ich so angenehm gebunden solte leben.
Schneider war kein Petrarkist. Das gedankliche Spiel und die Sageweise der Liebesdichtung hat er nicht völlig beherrscht. Das zeigt der Vergleich mit der Vorlage ebenso wie der mit den anderen Übersetzungen desselben Gedichtes. Fleming folgt Heinsius so wörtlich wie möglich, Homburg hingegen verfeinert das petrarkistische Spiel: Qual und Auswegslosigkeit des Liebenden werden eindringlicher und kunstvoller hervorgehoben. Zunächst soll die Frage geklärt werden, ob Fleming die Gedichte Homburgs kannte und benutzte. Chronologisch wäre das möglich, da die erste Ausgabe der Clio, die bereits alle Übersetzungen aus Heinsius enthält, 1638 erschien, Flemings Teütsche Poemata jedoch erst posthum 1642. Für eine Kenntnis scheint auch die wörtliche Übereinstimmung ganzer Halbverse zu sprechen. Aber bei Flemings ausgedehntem Reiseleben zu jener Zeit ist es fraglich, ob ihm der Band Homburgs zu Augen gekommen ist. Die Übereinstimmungen lassen sich zum grossen Teil mit der Sprache der Vorlage erklären, die sich an manchen Stellen wörtlich übertragen liess. Hätte Fleming Homburgs Version gekannt, dann wäre ihm sicherlich nicht in Vers 6 von ‘Solvi non possum’ der Fehler unterlaufen, ‘vreucht’ mit Furcht zu verdeutschen, wodurch die petrarkistische Antithese zerstört wird. Ausserdem lassen sich an beiden Texten eigene Konturen zeigen, die sie als unabhängige Übersetzungen ausweisen. Geht man Zeile für Zeile Flemings Übersetzungen durch, so wird man keine bedeutsamen Änderungen finden. Er schliesst sich eng an das Original an, und Abweichungen gehen auf das Konto technischer Nöte und sprachlicher Virtuosität. Er folgt dem spröden Gefühl von Heinsius und bedient sich der petrarkistischen Motive ebenso teilnahmslos. An einen biographischen Bezug darf man bei dieser Dichtung nicht denken. Pretiosen-Ausdeutung und Kriegsmetaphorik haben gleichermassen wenig mit dem Liebesalltag gemein. Pyritz stellt zwar bei Fleming eine ‘Verstärkung der Affektäusserungen’Ga naar eind81 fest, aber die Belege finden sich nur vereinzelt, und Hinzufügungen von Adjektiven wie ‘krank’ bleiben literarisch und dienen der Hervorhebung der petrarkistischen Antithese. Auch Homburg bringt Änderungen an, die dem petrarkistischen System dienen, aber sie erweisen sich als wesentlich effektvoller. Die Situa- | |
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tion des Krieges wird stärker hervorgehoben (V.2, 7, 12), und das wird folgerichtig durch die intensivierte Schilderung der inneren Qual ergänzt. Schon der einleitende Ausruf ‘Wol dem/ vnd dreymal wol’ statt ‘Geluckich’ ist ein Hinweis auf das grössere Leid des Liebenden, das auch in Vers 5 betont wird. Es hat seinen Grund im Zwang der Liebe, den Homburg schärfer und richtiger gesehen hat. Der Relativsatz, mit dem Vers 11 beginnt, ist bei Heinsius eine einfache Erläuterung zu ‘koorden’, bei Homburg dagegen steht die paradoxe Aussage, dass es sich um Stricke handelt, die ‘binden sonder Band.’ Das fügt sich besser in die Liebesempfindung des ganzen Gedichtes, denn das Gebundensein wird auch im Folgenden verstärkt. Die doppelte Verneinung in Vers 12 ‘die ich kan vnmüglich fliehen nicht’ bedeutet keine Affirmation, sondern eine Negation und ist somit eine Straffung der Heinsiusschen Antithese ‘die ick vlie ... die ick soo geerne sie’. Die grössere Macht der Liebe hat Auswirkungen auf den Menschen: er ist nicht ‘gebonden ... met ... soete knoopen’ (V.14), sondern ‘gefangen ... in ... süssen Netzen’, was ein deutlicher Hinweis auf seine Verwirrung ist. Die Übersetzung von ‘Vilius est aurum...’ weist weniger zahlreich ähnliche Merkmale auf. Die Anrede in den Versen 1 und 11 wirkt durch die Wiederholung von ‘Pfand’ eindringlicher. Bei Heinsius wird der Zahnstocher stets mit ‘u’ angesprochen, Homburg bezeichnet ihn durch das Pronomen der dritten Person, rückt dafür aber die Liebenden in den Vordergrund. Der Petrarkismus von Heinsius ist ein unterkühltes Spiel mit gedanklichen Konstruktionen und geringer Gefühlsbeteiligung. Homburg perfektioniert die Artistik: petrarkistische Antithesen und die unentrinnbare Macht der Liebe werden stärker herausgearbeitet. Dennoch hat man den Eindruck, dass die Gefühlsäusserung im Vergleich zur Vorlage vertieft wurde, und zwar durch Konkretisierungen. Der Petrarkismus wird aus seiner zeitlosen Ferne gelöst und gewinnt fassbarere Gestalt. ‘Solvi non possum...’ beruht auf der häufig begegnenden Gegenüberstellung von innerem und äusserem Krieg. Letzterer steigert den Ausdruck der Herzensqual, und er wird bei Heinsius mit wenigen typischen Attributen gekennzeichnet, die Fleming wörtlich übernimmt: ‘lanssen’, ‘sweerden’, ‘veldt’. Bei Homburg finden sich zusätzlich ‘Hagel/ vnd Geschoß’, und der Soldat fällt nicht nur ‘voor Godt en voor zijn landt’, sondern ‘voller Ruhm ... Für Gott/ Religion/ vnd werthes Vaterland’. Es wird nicht falsch sein, in diesen Hinzufügungen Anspielungen auf den 30jährigen Krieg zu sehen. In ‘Villium est aurum...’ ist es die Geliebte, die konkretere Züge erhält. Heinsius spricht von ‘d'hemelsche Godin’ (V. 2), Fleming von der ‘himmlischen Gestalt’, Homburg verleiht ihr den Namen ‘Sylvia’ und charakterisiert sie durch das Adjektiv braun. Hiermit soll natürlich keiner biographischen Deutung das Wort geredet werden, wenn auch die Bezüge auf die eigene Situation unverkennbar sind. Nach Rubensohns Identifikation von Opitz' Asteria steht es fest,Ga naar eind82 dass der humanistische und petrarkistische Brauch der Namensgebung einen rea- | |
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len Hintergrund haben kann, trotz aller apologetischen Behauptungen im zeitgenössischen Schrifttum. Eine ähnlich konkretisierende Tendenz lässt sich an Homburgs Übersetzung von Heinsius' ‘Dominam non totam in imagine video’ feststellen, das ebenfalls von Kaspar Kirchner verdeutscht wurde. Kirchner nähert sich in der Übersetzerhaltung Fleming, wenn auch die Herrschaft über die Sprache weniger entwickelt ist. Er hält sich eng an die Vorlage, allerdings auf Kosten des petrarkistischen Systems und mit Übernahme von Batavismen: ‘derven’ - ‘dörffen’, ‘trotsen’ - ‘trotze’. Das führt zu dem Missverständnis in Vers 10, wo ‘die heymelicke wencken’ (= das heimliche Blinzeln mit den Augen) durch ‘Das Wincken mit der Hand’ wiedergegeben wird. Schwerwiegend ist die falsche, klanglich-metrische Übersetzung von ‘minste’ mit ‘meiste’ (V. 11), wodurch die vorhergehende Fragenreihe sinnlos und die abschliessende Aufforderung an den Maler, den Geist der Geliebten darzustellen, unverständlich wird. Es ist anzunehmen, dass Homburg Kirchners Übersetzung gekannt hat.Ga naar eind83 Umso bedeutsamer sind seine Änderungen, die er gegen den holländischen und den deutschen Text durchsetzt. Die Überschrift nennt wieder einen Namen, der in Vers 3 wiederholt wird. ‘Chloris’ ist sicherlich als preziöse Zutat und nicht als Hinweis auf die gleichnamige Göttin zu deuten. Das ‘goddelick gesicht’ wird durch ‘liebliche Gestalt’ (V. 3) ersetzt. Der Verweis an den Malerpinsel wirkt durch die Wiederholung der Anrufung am Schluss eindringlicher, und entsprechend stärker tritt die Diskrepanz zwischen Bild und realer Erscheinung hervor. Für Heinsius hat das Gemälde noch einen geringen Wert. Sein Titel drückt aus, dass er nicht die ganze Erscheinung darin wiederfinde, sondern nur einen kleinen Teil (V. 11). Homburg dagegen verschärft die Gegensätze. Er betont die Bindung an die Geliebte (V. 8) und legt mehr Wert auf innere Qualitäten, wie ‘Geist’, ‘schöne Seele’ und ‘Tugend Pracht’, von denen er nichts im Bild entdeckt. Der Maler könne diese Eigenschaften nicht darstellen, da er Chloris nur von ferne ansehe und weniger vertraut mit ihr sei. Mit der grösseren Nähe zur Geliebten korrespondiert ein stärkeres Gebundensein des Liebenden (V. 8). Auch bei diesem Gedicht gewinnt der Leser den Eindruck, dass Homburgs Text lebensnaher gestaltet ist als das Original und Kirchners Übersetzung. Im Gedicht ‘Der verliebt-betrübte Corydon,’Ga naar eind84 das auf Heinsius' ‘Pastorael’ zurückgeht, hat Homburg die Möglichkeit, persönliche Erlebnisse zu schildern, genutzt. Corydon-Lieder sind im Zeitalter des Barock eine der wenigen Gattungen, in denen sich autobiographische Aussagen finden. In ihnen deutet sich die Erlebnisdichtung des 18. Jahrhunderts an, wenn auch die Unterschiede das Gemeinsame noch übertreffen. Für Fleming und Kirchner war das Übersetzen eine literarische Angelegenheit, mit der sie ihre Fertigkeit beweisen wollten. In ihren Überschriften finden sich die Quellenhinweise ‘Aus Heinsius seinem Niederdeutschen’, ‘Heinsius sein Holländisches’ und ‘ex Belgico’. Sie | |
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fordern damit den Leser auf, durch die zu jener Zeit so wichtige ‘Gegenhaltung’ mit dem Original, die eigene Leistung zu beurteilen. Der beherrschende Vers der Nederduytschen Poemata ist der Alexandriner. Es finden sich aber auch einige Gedichte, die in vierhebigen Jamben oder Trochäen geschrieben sind und die von den deutschen Übersetzern in geringerem Masse beachtet oder stark umgestaltet wurden. Fleming war - wie erwähnt - in den Alexandriner-Gedichten bemüht, der Vorlage wörtlich zu folgen. Seine Übersetzung der Heinsius-Ode ‘Dominae servitium libertatis summa est’ dagegen zeigt erhebliche Abweichungen. Der Grund dafür liegt nicht in der Änderung der Übersetzerhaltung, sondern in der prinzipiellen Schwierigkeit der Liedübertragung. Der Übersetzer hat weniger Freiheit zu Umstellungen, und er muss sich einer prägnanteren Sprache bedienen, da die Möglichkeiten der Verwendung von Partikeln zur metrischen Füllung eingeschränkt sind. Der Vers ist weniger durchsichtig: die Zäsur fällt fort und Enjambement findet sich häufiger. Die Schwierigkeiten werden umso grösser, je wörtlicher man sich an die Vorlage hält. Heinsius' Gedicht ‘Het sterfhuys van Cupido’ wurde von Köler, Homburg und Lund bearbeitet. Die Frage, ob Heinsius auf die französische Fassung ‘La maison mortuaire de Cupidon’, die im Thronus Cupidinis abgedruckt ist,Ga naar eind85 zurückgeht, oder ob diese aus den Nederduytschen Poemata übersetzt wurde, kann hier unberücksichtigt bleiben. Inhaltlich ist das Verhältnis beider Texte unproblematisch, formal unterscheiden sie sich in der Stropheneinteilung, Reimordnung und im Metrum. Anhand dieser Kriterien lässt sich feststellen, dass die deutschen Autoren nicht den französischen Text zugrunde legten. Der Reiz der Gegenüberstellung liegt darin, dass Köler, der die Quelle nennt, und Homburg eine wörtliche Übersetzung anstreben, Lund dagegen eine freiere Version. Kölers Übersetzung erschien 1626 in einer Strassburger Gelegenheitsschrift, bei der es sich um den ersten nachweisbaren Druck von ihm handelt.Ga naar eind86 Sie fällt in die Zeit seiner dichterischen Anfänge, und in der Ungeübtheit ist sicherlich der Grund für den Gesamteindruck zu suchen, dass es sich zuweilen um eine schwerfällige Verdeutschung handelt. Die zahlreiche Übernahme von Reimen zwingt ihn zu ungelenken Ausdrücken wie in Vers 10, zu falschen Übersetzungen wie in Vers 26 und zu matten Entsprechungen wie in Vers 40. Die schwerwiegendsten Änderungen finden sich in den Strophen 3 und 4. Das ganze Gedicht dreht sich um Cupidos Nachlass, der unter den Göttern verkauft werden soll. Er besteht aus den Pfeilen, die bei Heinsius als von ‘verscheyden kracht’ beschrieben werden (V. 24). Das leitet zur vierten Strophe über, in der die verschiedenen Kräfte genannt werden. Sie stellen die Wirkungen der Liebe auf den Menschen dar. Köler lässt die bei Heinsius genannte Anzahl fort und charakterisiert die Pfeile allgemein als spitz und hochfliegend.Ga naar eind87 Von den 16 Eigenschaften bei Heinsius übernimmt er nur fünf und erteilt statt dessen Ratschläge für die richtige Art des Kau- | |
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fens. Wahrscheinlich stellte ihn die rasche Aufzählung vor zu grosse technische Schwierigkeiten. Obwohl sich Homburg weiter als Köler von der Vorlage entfernt, hat er das Gedicht von Heinsius richtiger erfasst. Es wäre sinnlos, alle Abweichungen einzeln zu besprechen; sie stehen meist im Dienst eines leichteren und schnelleren Flusses der Verse. Nur einige auffällige seien genannt. Der Sonnenuntergang ist realistischer geschildert, und Cupido stirbt nicht in seinem eigenen Feuer, sondern wird durch Pluto umgebracht. Das Ich des Autors tritt stärker hervor (V. 14, 23) und unterstreicht den Wahrheitsanspruch der Geschichte. Bemerkenswert ist, dass Homburg nun den Fehler begeht wie Fleming in ‘Solvi non possum...’ (V. 6) und ‘vreucht’ (V. 30) mit ‘Furcht’ übersetzt, was wiederum die petrarkistische Antithese zerstört. Aber solche Versehen beeinträchtigen nicht den spielerischen Charakter des Gedichtes; er erscheint im Gegenteil bei Homburg behutsam erweitert. Das Warenangebot wird um Cupidos Brillen vermehrt, was eine Entnahme aus einer anderen holländischen Quelle ist,Ga naar eind88 und die Aufforderung an die Götter, am Handel teilzunehmen, wird später beinah wörtlich wiederholt. Das verbindet Homburgs Übersetzung mit der Lunds, wenn auch bei diesem das spielerische Element gesteigert erscheint. Lund gibt den schwerfälligen Paarreim und die achtzeilige Strophengliederung auf und setzt statt dessen eine zweiteilige Strophe von vier Versen mit umfassendem Reim im Aufgesang und Paarreim im Abgesang: abbacc.Ga naar eind89 Diese Form war in den Niederlanden sehr beliebt und sie findet sich häufig in den Liederbüchern der Zeit. In ihr ist Heinsius' ‘Pastorael’ geschrieben, und durch Opitz' Übersetzung dieses und einiger nach demselben Schema gebauter Gedichte aus dem Bloem-Hof wurde sie in Deutschland heimisch und zur Form der zahlreichen Corydon-Lieder.Ga naar eind90 In Lunds deutschen Gedichten findet sie sich mehrere Male und nicht nur in der Schäferpoesie. Sie ist ein Gefäss für Hochzeits- und Begräbnisgedichte und für das Lob eines Höckers; im ‘Lobgesang vber den Frewdereichen Geburtstag vnsers Herrn vnd Heylands Jesu Christi’ wird das weltliche Schema auf die geistliche Dichtung übertragen. Mit deutlichen Anklängen an Opitz' Cupido-Anrufung ‘Oh du Gott der süssen Schmertzen’ (Nr. 62), das eine Nachahmung des ‘O Ghy stercke Godt der minnen’ aus dem Bloem-Hof (Nr. 9) ist, besingt Lund den Gottessohn in einer liedhaften Einlage: O Du grosser Hirt der Herden/
Warumb daß man dich ein Kind
Hier in einer Krippen findt:
Muss dann Gott nun selbst Mensch werden?
Grosses Schrecken kommt mich an/
Dass ich nicht mein selbst seyn kann.Ga naar eind91
Lunds Übersetzung hat einen Refrain, dessen Verwendung durch die Zweiteilung der Strophe und den paarreimigen Abgesang gefördert wird. | |
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Vorbilder fand er wieder in den genannten Bloem-Hof-Übersetzungen von Opitz und in Kirchners ‘Epigramma’ im Anhang von 1624. In diesen Gedichten handelt es sich um einen festen Refrain. Lund hat die strengen Regeln durchbrochen und verwendet zwei verschiedene Arten, die nicht jeweils am Ende einer jeden Strophe auftreten, sondern insgesamt nur fünfmal, und zwar in einer flüssigen Form, die der jeweiligen Strophe angepasst ist (Str. 2,6,7; 8,9). Das Ergebnis der neuen Formgebung ist eine Tendenz zur Volkstümlichkeit und geselligen Heiterkeit, die sich an einigen Beispielen der Sprachgebung bestätigen lässt (V. 20, 30, 31, 32). Der doppelgliedrige Ausdruck ‘Staab vnd Liecht’ (V. 33) hat seinen Ursprung wohl nicht in einer Unfähigkeit, das Gemeinte angemessen zu formulieren oder in einem dekorativen Bedürfnis, sondern in der volkssprachigen Tradition, ebenso wie die sprichwortartige Sentenz ‘Vntrew eignen Herren schlägt’ (V. 68). Die sprachlichen und formalen Merkmale von Lunds Gedicht zeigen schon in ausreichendem Mass, dass es nur noch wenig mit einer Übersetzung zu tun hat. Inhaltlich wird das bestätigt durch eine räumliche Aufschwellung und die Einbeziehung neuer Themen. Die 17 Strophen behandeln die Trauer von Venus um ihren Ehegemahl und Buhlen Mars (Str. 1-5), den Tod ihres Sohnes (Str. 6-13) und schliesslich eine Ermahnung an die Brautleute (Str. 14-17). Der Mittelteil geht auf das Gedicht von Heinsius zurück. Von den dort vorgefundenen Themen übernimmt Lund den Tod Cupidos, Venus' Trauer und die Pfeile. Der Kaufhandel der Götter, der das ganze Gedicht von Heinsius bestimmt, wird fortgelassen, und damit entfällt die Funktion der Pfeile als Ware. Sie erscheinen nun als Waffen Cupidos. Als neues Grundthema tritt Cupidos Tod in den Vordergrund. Der eine Satz von Heinsius ‘Is gevallen in zijn vier’ (V. 8) erscheint in vielen Variationen. Der Vorgang wird genau beschrieben: Als Cupido zwischen zwei Liebenden Feuer legen wollte, habe einer seiner Pfeile Funken geschlagen und die ganze Gerätschaft entzündet. Blind und toll sei er da hineingefallen. Nicht mehr der Nachlass Cupidos ist wichtig, sondern der durch seinen Tod hervorgerufene Mangel an Liebe und die Trauer seiner Mutter. Das sind gegenüber Heinsius gewichtige Änderungen. Die Frage nach ihrem Grund findet im Anlass des Gedichtes ihre Antwort: Es ist als Hochzeitslied geschrieben ebenso wie Kölers Übersetzung.Ga naar eind92 Aber während bei diesem nichts auf das festliche Ereignis hindeutet, ist Lunds Gedichts pointenhaft auf das Paar bezogen. Er begnügt sich nicht mit einer literarischen Wiedergabe, sondern gestaltet das Vorgefundene so um, dass für die Brautleute eine Anweisung daraus entspringt. Der Wendepunkt von mythologischer Erzählung zur konkreten Situation wird durch die wörtlich von Heinsius übernommene Frage ausgelöst: Wer soll stillen diese Pein/
Wer soll Venus Tröster sein?
Die Aufgabe fällt dem jungen Paar zu. Durch Schüren des eigenen Lie- | |
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besbrandes werde Amor sich wie Phönix aus seiner Asche erheben und Venus somit getröstet sein. Trotz der Gleichheit der Sprachen und des geringen Umfangs der Texte haben sich einige charakteristische Änderungen gezeigt. Sie lassen sich nur vordergründig mit dem zeitlichen Abstand der Entstehung erklären. Die Chronologie ist schwer zu bestimmen, aber nach den Druckdaten umspannt sie weniger als zwei Jahrzehnte (1624-1642). Kirchner, Köler und Schneider zeigen eine ähnliche Anlehnung an Wortverstand und Wortgestalt der Vorlage, wie sie bei Opitz festgestellt wurde. Dem engen Anschluss entspringen viele Ungeschicklichkeiten. Deutlich erkennbar ist die sprachliche Mühe, das Original wiederzugeben. Fleming nimmt eine Mittelstellung ein. Er strebt nach Wörtlichkeit, besitzt aber eine ausgebildetere Fähigkeit des sprachlichen Ausdrucks, was sich am klarsten in der Reimfindung zeigt. Homburg lässt eine grössere Distanz zum holländischen Text erkennen. Seine Änderungen betreffen das petrarkistische System, das einerseits perfektioniert, andrerseits konkretisiert wird, wobei Bezüge auf die eigene Situation anklingen. Die grösste Selbständigkeit findet sich bei Lund. Formal entfernt er sich von der Vorlage, inhaltlich trifft er eine Auswahl, die durch andere Themen ergänzt wird. Der leitende Gesichtspunkt ist der äussere Anlass. Lunds Verfahrensweise entfernt sich von der wörtlichen Übersetzung und nähert sich der ‘imitatio’. Das vorgefundene Material wird gesichtet und so arrangiert, dass es dem bestimmten Anlass entspricht. Das Original tritt hinter dem eigenen Text zurück. Die Unterschiede, die sich zwischen den einzelnen Übersetzungen zeigen, lassen sich aus den Bedingungen ihrer Entstehung erklären. Fleming, Kirchner, Schneider und Köler geben die Quellen an und stellen ihre Texte damit in den Bereich der literarischen Übung. Bei Homburg und vor allem bei Lund macht sich der Einfluss ausserliterarischer Gegebenheiten bemerkbar. Das führt zu einer freieren Handhabung und zu grösserer Eigenständigkeit. Die weitere Distanz zur Vorlage erfordert eine ausgebildetere Fähigkeit in der Behandlung des formalen und sprachlichen Materials. An den Übersetzungen aus den Nederduytschen Poemata kann man einen Abschnitt in der Entwicklung der deutschen Dichtung des frühen 17. Jahrhunderts nachvollziehen. |
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