De Zeventiende Eeuw. Jaargang 20
(2004)– [tijdschrift] Zeventiende Eeuw, De– Auteursrechtelijk beschermd
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Antwerpen auf Eiderstedt
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Abb. 1. St. Katharina, Katharinenheerd auf Eiderstedt, Innenansicht, Blick von Osten auf die Westempore.
gen, die die Embleme beim Wechsel von einer Konfession zur anderen erfahren. Dabei verändern sich auch die Rezeptionsbedingungen - in diesem Fall führt die Entwicklung weg von der eher privaten Andacht mit Buch hin zur Begegnung mit Bildern im öffentlichen sakralen Kirchenraum in gemeinsamer Andacht. Vor allem in Jütland im heutigen südlichen Dänemark gibt es an Emporen und Gestühl viele Beispiele für die Rezeption der lutherischen Emblemata sacra von Daniel Cramer und von pietistischen Emblemen aus Johann Arndts Wahrem Christentum.Ga naar voetnoot4 Embleme nach Hermann Hugos Pia Desideria sind mir aber in dieser Region aus keiner anderen Kirche bekannt.Ga naar voetnoot5 Insofern handelt es sich um einen durchaus ungewöhnlichen Fall von Emblemrezeption in einer Kirche, der besondere Aufmerksamkeit verdient. | |
2 FragestellungenIn seinem grundlegenden Aufsatz aus dem Jahr 1971 konnteWolfgang J. Müller die Malereien auf 14 Bildfeldern an der Westempore der heutigen Kirche auf die Vorlagen von Hermann Hugo zurückführen. Von den insgesamt 46 Kupferstichen des Emblembuchs, die von Boetius von Bolswert (um 1580-1633) gestochen wurden, wurden in der Ei- | |
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derstedter Kirche 14 ausgewählt. Sie wurden in wesentlichen Zügen nachgebildet, im einzelnen aber doch, wie sich zeigt, entscheidend verändert. Diese Veränderungen im Detail, vor allem aber die Auswahl und das damit verbundene neue Nebeneinander sowie der Ort und die Art und Weise der Anbringung im Kirchenraum lassen auf eine neue Lesart der ursprünglich katholischen Embleme schließen. Die neue Lesart scheint sich nicht nur gut mit der lutherischen Lehre vertragen zu haben, sondern sie konnte dazu beitragen, der Gemeinde während des Gottesdienstes und danach grundlegende Lebens- und Glaubenslehren des lutherischen Bekenntnisses eindringlich bildhaft zu vermitteln. Dieser Möglichkeit zur Aktualisierung, zum Gebrauch der Embleme im Kirchenraum im liturgischen Zusammenhang, will ich im folgenden nachgehen. Dazu werde ich mehrere Fragen stellen: Welche Momente könnten es gewesen sein, die die bisher anonym gebliebenen Eiderstedter Pfarrer, Stifter und Gestalter der Embleme an dem jesuitischen Emblembuch besonders interessierten? Welche Gesichtspunkte bestimmten ihre Auswahl und wie passten sie die Vorlagen ihren eigenen Vorstellungen an? Welche Funktion erfüllte der emblematische Zyklus gerade an diesem Ort bzw. ließ sich der Inhalt der Embleme in konkreter gottesdienstlicher Funktion einsetzen? Wie könnte solch eine Aktualisierung der Embleme im Gebrauch ausgesehen haben? | |
3 Der Ort des Emblemzyklus im KirchenraumIch beginne mit der Frage nach dem Ort, denn zunächst ist zu klären, ob die Embleme ursprünglich an der Westempore der Kirche angebracht waren wie heute oder ob sie bei Umbauten in der Kirche ihren Platz gewechselt haben könnten. Die Kirche St. Katharina wurde in der heutigen Form zu Beginn des 16. Jahrhunderts auf einem romanischen Vorgängerbau aus Backstein errichtet. Der geplante Einbau einer Westempore wird in einer Chronik erwähnt, die der damalige Gemeindepastor Matthias Lobedanz zwischen 1635 und 1650 verfasst hat: ...haben Vornehme unseres Kirchenspiels Cathrinheerd Eingesessene ... geratschlaget und sich miteinander beredt, daß eine Baue am Westerende unseres Kirchenhauses gantz neue gemachet, in taffelwerk ziemlich umbkleidet, und verfertigt wurde mit unterschiedlichen Stulen.Ga naar voetnoot6 Dieser Eintrag spricht dafür, dass die Gemeinde den Bau einer Westempore vor 1650 beschlossen und ausgeführt hat und dass in diesem Zusammenhang auch ‘taffelwerk’ angebracht wurde. Mit diesem ‘taffelwerk’ könnte der auf Holztafeln gemalte Emblemzyklus gemeint sein, der sich dann auf einen Entstehungszeitraum zwischen 1635 und 1650 datieren ließe. Das entspräche dem Stil der schlichten Malerei durchaus. Frühere Hypothesen, denen zufolge der Emblemzyklus ursprünglich an der Nordwand der Kirche angebracht und erst im Zusammenhang mit einer Restaurierung der Westempore Mitte | |
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des 19. Jahrhundert dorthin versetzt worden sein soll, werden durch diese Textstelle zwar nicht endgültig widerlegt, aber doch unwahrscheinlich.Ga naar voetnoot7 Hinzu kommt, dass eine Empore an der Nordwand wegen der Lage der Fenster und der geringen Höhe nur schwer vorstellbar ist. Die einschiffige Kirche mit Holzbalkendecke könnte also spätestens seit der Mitte des 17. Jahrhunderts den Emblemzyklus an ihrer Westwand jedem Besucher vor Augen gestellt haben, der die Kirche durch das vermutlich heute wie damals im Nordwesten liegende Portal verlassen hat. Während des Gottesdienstes befand er sich demnach wahrscheinlich im Rücken der Gemeinde, aber vor den Augen des Pastors, der vom Altar oder von der an der Südwand gelegenen Kanzel sprach. | |
4 Das Verhältnis zur jesuitischen VorlageDie nächste Frage gilt den möglichen Motiven für die Wahl eines jesuitischen Emblembuchs als Vorlage. Emblematische Malereien, die aus der Zeit vor 1650 stammen, haben sich in den Kirchen der betroffenen Region bisher nicht nachweisen lassen. Der überwiegende Teil emblematischer Dekorationen stammt aus dem späten 17. oder aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. AndereVerwendungsfälle von Hermann Hugos Emblemen habe ich bisher nicht gefunden. Dass Hugos Emblembuch aber weit über seinen Druckort Antwerpen hinaus auch Lutheranern bekannt gewesen sein dürfte, lässt sich schon aus der großen Verbreitung und der hohen Auflagenzahl der Pia Desideria schließen.Ga naar voetnoot8 Der Jesuitenpater Hermann Hugo und sein Kupferstecher Boetius van Bolswert griffen den erfolgreichen Figurentypus der Amorette auf, den Otto van Veen in seinen Amorum Emblemata verwendet und mit dem er die weltliche Liebesemblematik begründet hatte. Sie übertrugen seine weltlichen Amorfiguren auf das Verhältnis des Menschen zu Gott im Bild der menschlichen, weiblich vorgestellten Anima und des männlich imaginierten Amor divinus, der göttlichen Liebe, ein Bild, das gut in die Vorstellungswelt der Brautmystik passt. Hermann Hugos Embleme zeigen deshalb in der Regel zwei kindlich wirkende Amorfiguren, die im Dialog miteinander stehen. Anima unterscheidet sich von Amor divinus durch ihr langes, bis zum Boden reichendes Gewand und die zum Knoten zusammengebundenen langen Haare, während Amor divinus kurze Haare und ein kurzes, in der Taille von einem Gürtel zusammengehaltenes Gewand trägt. Beide sind barfuß. Ihre Attribute wechseln, wobei auch die üblichen Beigaben Amors, Pfeil und Bogen, vorkommen. An dem großen Erfolg der weltlichen Liebesembleme Otto | |
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van Veens partizipierten auch die geistlichen Erfindungen Hugos, und vielleicht war das eins der Momente, das die Eiderstedter auf sie aufmerksam werden ließ. Für die Personifizierungen des Dialogs zwischen Mensch und Gott erfand Bolswert Figuren, die aufgrund ihrer naiven Attriktivität die Identifikation der Betrachter forderten und stützten. So entstanden in Hugos Emblembuch eindringliche szenische Darstellungen, die sich gut ins Gedächtnis einprägten. Hinzu kommt, dass sie von Bibelzitaten begleitet werden, die die Menschen kannten und die sich für sie nun mit den szenischen Darstellungen unauflöslich verbinden konnten. Das alles kann für diejenigen, die in Katharinenheerd über die Gestaltung der Emporentafeln zu entscheiden hatten, ausschlaggebend gewesen sein. Hermann Hugos Emblembuch war 1624 in erster Auflage erschienen, also um 1635, dem frühestmöglichen Datum für die Planung des Emporenzyklus, noch recht neu und vor allem sehr erfolgreich, und anscheinend versprach es bildliche Unterstützung bei der Frömmigkeitserziehung. Der Maler der Katharinenheerder Embleme wandelte die Figuren allerdings so ab, dass ihnen die Kindlichkeit und der Charme der Bolswertschen Amoretten weitgehend verloren ging. Die Dialog- und Handlungssituation und damit der Identifikationsanlass blieben aber erhalten bzw. wurden durch die Abwandlungen vielleicht noch verstärkt. Darauf komme ich später zurück. Auch die Tatsache, dass es sich um ein Emblembuch jesuitischen Ursprungs handelte, muss die Lutheraner nicht von vornherein von einer Verwendung als Vorlage abgehalten haben. Die geistliche Situation im Herzogtum Schleswig-Holstein-Gottorf unter seinem Landesherrn Herzog Friedrich III (1597-1659) war von großer Liberalität gekennzeichnet.Ga naar voetnoot9 Den Verantwortlichen in Eiderstedt muss es möglich erschienen sein, aus dem jesuitischen Emblembuch einen Extrakt zu ziehen, der auf ihre eigenen Bedürfnisse zugeschnitten werden konnte. Das Ergebnis durfte den lutherischen Gläubigen weder anstößig sein noch ihren Glauben in eine falsche Richtung lenken. Im Gegenteil, einen hinreichenden Grund für die Anbringung der Embleme kann es nur gegeben haben, wenn entweder nichts anderes verfügbar war, das den angestrebten Zweck genauso gut hätte erfüllen können, oder wenn gerade diese Vorlagen sich vor allen anderen besonders empfehlen konnten, und letzteres scheint hier der Fall gewesen zu sein. Dazu muss man bedenken, dass der Typus des protestantischen geistlichen Emblembuchs gerade in den dreißiger Jahren des Jahrhunderts einen ersten Höhepunkt erlebte. Bereits 1571 hatte Georgette de Montenay das erste protestantische Emblembuch in französischer Sprache in Lyon herausgegeben.Ga naar voetnoot10 In Nürnberg begannen Johann Mannich und Johann Saubert in den zwanziger Jahren, ihre emblematischen Predigten zu entwerfen.Ga naar voetnoot11 1624 erschienen erstmals Daniel Cramers Emblemata sacra.Ga naar voetnoot12 Gerade die Embleme | |
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des strengen Lutheraners Cramer, der in Stettin lehrte, hätten sich für die Anwendung im norddeutschen und -europäischen Raum besonders angeboten und waren auch entsprechend beliebt und verbreitet. Auf Eiderstedt entschied man sich nun aber nicht für diese Emblemerfindungen eines lutherischen Geistlichen, sondern man gab dem jesuitischen Emblembuch aus Antwerpen den Vorzug. Warum? | |
5 Das einleitende Emblem als ProgrammEin Buick auf den Aufbau von Hermann Hugos Emblembuch kann kaum helfen, dessen Attraktivität für die Anwendung an der Katharinenheerder Kirchenempore zu erklären. Das Emblembuch besteht aus drei Teilen mit je 15 Emblemen. Der vorangestellte Titelkupfer erläutert seine Einteilung: Das erste Buch steht unter dem Motto des Stöhnens, das die bußfertige Seele zu Gott sendet (gemitus animae poenitentis); das zweite Buch enthält die Gelöbnisse der heiligen Seele (vota animae sanctae) und das dritte Buch die erleichterten Seufzer der liebenden Seele (suspiria animae amantis). Der einleitende Titelkupfer zeigt die menschliche Seele, kniend und mit entblößter Brust, aus der drei Pfeile aufsteigen, die diese drei Bücher symbolisieren (Abb. 2 und 3). Sie tragen die Schriftbänder Ah!, Utinam! und Heu! und treffen auf die Ohren und das Auge Gottes. In Verstärkung der Aussage hat die menschliche Seele eine Maske neben sich liegen, sie hat also alle Verstellung abgestreift, um sich Gott in der Meditation vollständig offenbaren zu können. Außerdem liegen weitere Pfeile neben ihr bereft, die gen Himmel abgesandt werden können. Alle diese Elemente des Kupferstichs übernimmt der Maler der Embleme in Katharinenheerd, allerdings verkleinert er die Aureole im Himmel, in der bei Bolswaert das Auge Gottes zwischen zwei Ohren erscheint. In Katharinenheerd sind es stattdessen zwei Augen und zwischen ihnen nur ein Ohr, was der himmlischen Erscheinung gewisse Assoziationen zu einem menschlichen Gesicht verleiht. Die farbliche Gestaltung hebt die weibliche Figur durch ein langes Gewand aus anscheinend kostbarem blassrotem Stoff hervor, die umgebende Landschaft wird als Waldrand oder -lichtung gedeutet und ist weitgehend in dunklem Grün gehalten, am Horizont scheint die Sonne auf- oder unterzugehen. Damit übernimmt und verstärkt der Maler die Lichtsituation des Kupferstichs, hebt die Figur durch den angedeuteten Komplementärkontrast deutlicher hervor und gibt durch das Helldunkel zusätzlich einen Hinweis auf die Dämmerung als Tageszeit. Diese Pictura leitet die Bildfolge der Emporenembleme links außen genauso ein wie der Kupferstich das Buch. Die in den drei beschrifteten Pfeilen angelegte gliedernde Dreiteilung des Buchs in drei Kapitel, Stöhnen, Gelöbnisse und erleichterte Seufzer, wird aber auf der Empore nicht aufgegriffen. So stört es offensichtlich auch nicht, dass die Aufschriften auf den Pfeilen in der Emporenmalerei nicht lesbar sind. Auf dem für den Text vorgesehenen schmalen Feld unterhalb des Bildfeldes steht hier wie in den anderen 13 Emblemen jeweils nur die Angabe der Bibelstelle, hier ‘Psalm 38 v.10’. Der Geistliche wie auch mancher bibelfeste Gottesdienstbesucher mag aus seiner Kenntnis von Martin Luthers Bibelübersetzung den Text ergänzt haben können: ‘Herr, vor dir ist alle meine Begierde, und mein Seufzen ist dir nicht verborgen.’ | |
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Abb. 2. (Oben) St. Katharina, Katharinenheerd auf Eiderstedt, Westempore, erstes und zweites Bildfeld: Anima kniet in einer Landschaft; Amor divinus weist Anima den Weg.
Abb. 3. (Links) Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, einleitender Kupferstich o.
Hermann Hugo unterschrieb den Kupferstich wie auch die folgenden mit einem Zitat aus der lateinischen Bibel: ‘Domine, ante te omne desiderium meam, & gemitus meus à te non est obsconditus’.Ga naar voetnoot13 Dem folgen jeweils ein mindestens 30-zeiliges Epigramm und abschließend Zitate aus den Kirchenvätern, die die Bibelstelle kommentieren. Eine Untersuchung der Auswahl und Anordnung der weiteren Folge der Embleme an der Empore kann vielleicht dazu beitragen, zu verstehen, welche andere, neue Rolle | |
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dem Motiv des Titelkupfers hier an der Empore zukommt, wo er auf alle Textelemente verzichtet und seine ursprüngliche Funktion einer Ankündigung der Gliederung und der Funktionen des folgenden Buches verloren hat. | |
6 Die ersten sieben EmblemeDie erste Pictura des Emblembuchs ist die Vorlage für das zweite Bild des Emporenzyklus (Abb. 2 und 4). In einer nächtlichen Landschaft unter Sternenhimmel weist Amor divinus, eine Amorette mit hell strahlendem Nimbus und Laterne, der menschlichen Anima den Weg, einer kindlichen Figur mit langem Kleid, die nur von hinten zu sehen ist und hilfesuchend die Arme erhebt. Der Katharinenheerder Maler verlegt die Szene auf einen nächtlichen Waldweg. Hermann Hugos kindliche Anima wird durch einen erwachsenen Mann in bäuerlich einfacher Kleidung mit eher herben Gesichtszügen ersetzt, der sich tastend vorwärts bewegt. Vor ihm geht eine ähnlich gekleidete ebenfalls männliche Figur mit einer Laterne. In Körperhaltung und Gestik mit der Wendung nach hinten, der den Weg erleuchtenden Laterne und der erhobenen Hand mit warnendem oder wegweisendem Zeigefinger gleicht die Figur auf der Empore ihrer Vorlage im Emblembuch. Flügel und Nimbus scheinen ihr aber zu fehlen oder sind im Dunkel der Szene nicht zu erkennen. Die Farbigkeit ist dunkeltonig braungrün mit einem hell kontrastierenden Lichtkegel auf dem Boden, mit Lichtbereichen im Himmel und auf den angestrahlten Teilen der beiden Figuren.
Abb. 4. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 1.
Die Belichtung der nächtlichen Szene scheint der Maler selbst beobachtet zu haben, der Kupferstich lieferte ihm für diese Gestaltung keine Hinweise. Durch diese Lichtregie verlagert sich der Bildmittelpunkt von Gesicht und Nimbus des Amor divinus zu den erleuchteten Bildpartien zwischen beiden Figuren. Die Malerei gewinnt dadurch im Vergleich zum Kupferstich an Realitätsnähe. Die Wahl dieses Emblems für das zweite Bildfeld der Empore zeigt, dass den lutherischen Verantwortlichen die Feststellung wichtig war, dass der Mensch bei seinem Lebensweg auf das Leitbild Gottes, auf seine liebevolle Begleitung und Erleuchtung angewiesen ist. Ohne sie würde er sich im Dunkel verlieren. Auch hier steht nur die Angabe der Bibelstelle ‘Jesai 26 v.9’ unter dem Bildfeld, den vollständigen Vers musste der Kirchenbesucher kennen oder in der Lutherbibel nachschlagen: ‘Von Herzen begehre ich dein des Nachts; dazu mit meinem Geist in mir wa- | |
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Abb. 5. St. Katharina, Katharinenheerd auf Eiderstedt, Westempore, drittes und viertes Bildfeld: Anima liegt krank im Bett, neben dem Bett sitzt Amor divinus; Anima im Göpel, Amor divinus treibt ihn an.
Abb. 6. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 3.
che ich früh zu dir. Denn wo dein Recht im Lande geht, so lernen die Bewohner des Erdbodens Gerechtigkeit.’ Der Kupferstich ist zwar nur mit demVersanfang unterschrieben: ‘Anima mea desiderauit te in nocte.’Ga naar voetnoot14 Weitere Textbestandteile - das diesmal fünfzig Zeilen umfassende Epigramm und Zitate der Kirchenväter Augustinus, Gregorius und Bernhardus erläutern die Pictura aber ausführlich. Das dritte Emporenbild zeigt einen Innenraum, der fast vollständig von einem Bett einge- | |
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nommen wird, das von rechts schräg in den Raum hereinragt und einen rechteckigen Baldachin mit einem zur Seite geschlagenen Vorhang besitzt (Abb. 5 und 6). Links bleibt Platz für eine neben dem Bett sitzende Figur in grünem knielangem Kleid und mit dunklen Haaren, die dem im Bett liegenden weiß gekleideten Kranken die Hand hält und ihm die andere auf die Stirn legt. Die Form des Bettes wurde aus dem Kupferstich des dritten Emblems übernommen, es steht lediglich etwas steiler im Raum, so dass eine stärkere Aufsicht auf das Bett gegeben ist. Das könnte die Folge eines Problems des Malers mit der perspektivischen Darstellung sein. Dadurch rückt die seitlich sitzende Gestalt etwas weiter von der vorderen Bildkante in den Raum hinein. Den hell strahlenden Nimbus der Amorfigur der Vorlage lässt der Maler auch hier weg, die Gestik übernimmt er dagegen wieder recht genau. Über der Figur erscheint, anders als in der Vorlage, der Ansatz einer Säule. Deren seltsame, unten abgerundet erscheinende Basis kann vielleicht ein Hinweis darauf sein, dass die Figur einen dunklen Nimbus oder eine runde Kopfbedeckung tragen soll, die aber nicht eindeutig zu erkennen ist. Das Licht liegt auf dem glänzenden Stoff der Bettdecke. Die Angabe der Bibelstelle unter dem Bild lautet: ‘Psalm 6 v.3’, in Luthers Übersetzung: ‘Herr, sei mir gnädig, denn ich bin schwach; heile mich, Herr, denn meine Gebeine sind erschrocken’.Ga naar voetnoot15 Hier wie im vorigen Bildfeld erscheint Gott dem Menschen als Helfender und Heilender, als Wegweiser und Arzt, mit Gesten der Diagnose und der Fürsorge, dem gegenüber bedingungsloses Vertrauen möglich ist.
Abb. 7. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 4.
Dies Bild Gottes verändert sich in den folgenden Szenen, Gott wandelt sein Gesicht und wird zum prüfenden und strafenden Gott. Im vierten Emporenbildfeld ist ein Blick in einen Göpel zu sehen, mit dem ein Mahlwerk angetrieben wird. Eine Figur mit verbundenen Augen in rotem Kleid läuft in einer Art Joch im Kreis und bewegt dadurch das Mahlwerk (Abb. 5 und 7). Sie wendet sich mit erhobener Hand zu einer zweiten, grün gekleideten Figur um, von der sie mit einer Peitsche angetrieben wird. Die Figurengruppe füllt den Raum vollständig aus, man kann oben rechts lediglich noch erkennen, dass auch eine andere Antriebskraft, vermutlich Wind, eingesetzt werden könnte. Wieder versuchte der Maler die Gestik beider Figuren möglichst genau zu übernehmen, veränderte aber ihren Charakter, nahm die Bedeutung des Nimbus zurück und inszenierte die Szene durch die Lichtführung, die das Mahlwerk, die Gesichter und ei- | |
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Abb. 8. St. Katharina, Katharinenheerd auf Eiderstedt, Westempore, fünftes und sechstes Bildfeld: Amor divinus formt auf einer Drehscheibe Menschenköpfe aus Ton, rechts sitzt Anima und bläst Seifenblasen; Anima kniet mit bittend ausgestreckten Händen, von links nähert sich Amor divinus in Rüstung.
Abb. 9. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 5.
nen Teil des Bodens aus einem ansonsten dunkel erscheinenden Raum hervorhebt. ‘Psalm 25 v.18’ heißt bei Luther: ‘Siehe an meinen Jammer und mein Elend und vergib mir alle meine Sünden!’Ga naar voetnoot16 Während der Psalmtext die Anrufung Gottes betont, der auch als hilfreich gedacht werden kann, spricht das Bild eine andere Sprache - Gott selbst erscheint als derjenige, der den Menschen in Jammer und Elend gefangen hält | |
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und in den Göpel einspannt. Diese Mühsal und die Prüfungen werden in den folgenden Bibelstellen aus Hiob weiter verfolgt und mit Bildern drastisch verstärkt.
Abb. 10. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 6.
Bild 5 zeigt eine Werkstatt mit Fensterausblick, in der ein Töpfer auf einem Holzgestell mit Drehscheibe einen Menschenkopf modelliert (Abb. 8 und 9). Hinter ihm stehen auf einem Regal fertige Köpfe. Rechts im Bild kniet vor ihm ein Mensch, der ein Röhrchen im Mund zu haben scheint. Im Vergleich zwischen Gemälde und Kupferstich wird deutlich: Die Figur vorn rechts mit gleicher Gestik wie in der Malerei bläst Luft auf ihre eigene rechte Hand, die dadurch zu Staub zu zerfallen beginnt. Dieser Vorgang verbildlicht die Bibelstelle ‘Hiob 10 v.9’; in der Luther-Bibel: ‘Gedenke doch, daß du mich aus Lehm gemacht hast; und wirst mich wieder zu Erde machen?’Ga naar voetnoot17. Diese besonders drastische bildliche Umsetzung des Zerfalls einer lebendigen menschlichen Hand zu Staub hat der Katharinenheerder Maler entweder nicht erkannt oder nicht übernehmen wollen, jedenfalls scheint seine Figur aus einem Gefäß in der Hand heraus Seifenblasen zu formen - ein sanfteres Ins-Bild-Setzen des Vanitasgedankens kommt darin zum Ausdruck.Ga naar voetnoot18 In dem großen Fensterausblick mit weiter flacher Landschaft, den der Kupferstich nicht vorgibt, wird, wie schon in den ersten beiden Bildern, deutlich, dass der Maler seine Stärken in der Landschaftsdarstellung und Lichtführung hat, während die Figuren Schwächen in Proportion, Bewegung und Verkürzung zeigen. Das bestätigt sich im folgenden sechsten Bild des Zyklus (Abb. 8 und 10). In einer niederländisch anmutenden Landschaft mit Buschwerk und einem Baum links vorn kniet der Mensch mit bittend ausgestreckten Händen. Von links nähert sich ein gerüsteter Amor divinus mit rotem Rock, Helm und Harnisch und zwei drohend erhobenen Degen. Beide Figuren erscheinen wenig perspektivgerecht in die Landschaft eingebettet und auch nicht richtig aufeinander bezogen, sie agieren aneinander vorbei. Beides ist in der Kupferstichvorlage stimmiger gelöst. In der Gestaltung der Landschaft befreit sich der Maler dagegen weitgehend von seiner Vorlage und findet zu einer überzeugenden eigenen Bilderfindung mit Tiefenraum und realistischen Details. Die Bildunterschrift ‘Hiob 7 v.10’ (verschrieben für Hiob 10, 20) heißt bei Luther: ‘Habe ich | |
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Abb. 11. St. Katharina, Katharinenheerd auf Eiderstedt, Westempore, siebtes und achtes Bildfeld: Anima unter einem netzartigen Dach, vor ihr Laute und Pokal, über ihr ein Feuer und kleine Teufel; Anima, in Begleitung von Justitia mit Augenbinde, Waage und Schwert, Amor divinus als Richter.
Abb. 12. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 9.
gesündigt, was tue ich dir damit, o du Menschenhüter? Warum machst du mich zum Ziel deiner Anläufe, daß ich mir selbst eine Last bin?’Ga naar voetnoot19 Alle drei bisher beschriebenen Brüstungsembleme 4 bis 6 zeigen einen Gott, der nicht hilft und unterstützt, sondern der Prüfungen abnimmt, den Menschen auf die Probe stellt und bestraft. Dem Kirchenbesucher wurde damit das Leben als eine Prüfung vorgestellt, als et- | |
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was, das dem Menschen im Einvernehmen mit Gottes Plänen Leiden auferlegt und das die Bereitschaft fordert, diese Leiden zu ertragen. Das nächste siebte Bild führt den Besucher noch weiter an einen Tiefpunkt der menschlichen Existenz heran, der durch äußerste Gottesferne gekennzeichnet ist (Abb. 11 und 12).
Abb. 13. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 10.
Die Pictura zeigt einen in Rot gekleideten Menschen, der unter einem netzartigen Dach liegt, vor ihm eine Laute und ein Pokal, über ihm ein Feuer und mehrere kleine Teufel. Die Figur des Amor divinus fehlt hier ganz, der Mensch ist den Teufeln ohne Gottes Hilfe ausgeliefert. Das Bild ist inhaltlich und farblich das düsterste des gesamten Zyklus und trägt die Angabe der Bibelstelle ‘Psalm 18 v.6’, bei Luther: ‘Der Hölle Bande umfingen mich, und des Todes Stricke überwältigten mich’.Ga naar voetnoot20 Der Kupferstich verstärkt diese Aussage noch dadurch, dass im Vordergrund der Tod in Gestalt eines Gerippes liegt, das im Begriff ist, das Netz über dem Menschen zusammen zu ziehen, während dieser sich den Vanitassymbolen Laute und Weinpokal hingibt. Ein solches Gerippe ist auf der Emporenmalerei nicht zu sehen, entweder, weil dem Maler ein solches Bild zu drastisch erschienen wäre, vielleicht aber auch, weil es stark nachgedunkelt oder später übermalt worden ist. Klarheit darüber könnte nur eine Untersuchung der Farbschichten im Zusammenhang einer Restaurierung liefern. Mit diesem Tiefpunkt der menschlichen Existenz in größter Gottesferne ist mit dem siebten Bild die Mitte des Zyklus erreicht. Es befindet sich genau über dem Mittelgang des Kirchenschiffs. Jeder Besucher muss unter diesem und dem folgenden Bild hindurch die Kirche betreten und sie - vielleicht mit einem Blick hinauf zur Empore - auch wieder verlassen. | |
7 Der Wendepunkt am Mittelgang - Emblem 8 bis 14Das folgende achte Bild kann denn auch als eine Darstellung des Entscheidungs- und Wendepunktes im menschlichen Leben verstanden werden (Abb. 11 und 13). In einem Innenraum kniet der Mensch, bier weiß gekleidet und kindlicher als in den ersten Blättern, in Begleitung einer weiblichen Figur mit Augenbinde, Waage und Schwert, einer Personifikation der Justitia. Hinter einem schrankenartigen Tisch sitzt Amor divinus mit | |
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Abb. 14. St. Katharina, Katharinenheerd auf Eiderstedt, Westempore, neuntes und zehntes Bildfeld: Anima als Schiffbrüchige wird von Amor divinus aus den Fluten gerettet; Amor divinus hält Anima davon ab, an eine Sonnenuhr heranzutreten.
Abb. 15. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 11.
erhobener Hand als Richter. Er hält die Schreibfeder über einem Buch, während sich über ihm in einem Regal die Gesetzestafeln, ein Schwert, Bücher und Gewichte befinden. Die rote Farbe ihres Gewandes gibt der Justitia eine gewisse Dominanz im Bild. Die ist aber im Kupferstich durch den Größenunterschied zwischen ihr und dem Menschen und durch die Größe des Schwertes im Bild sehr viel deutlicher ausgebildet, während der Größenunterschied im Emporenbild durch das Knien des | |
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Menschen motiviert ist. ‘Psalm 143 v.2’ heißt: ‘und gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte; denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht’.Ga naar voetnoot21
Abb. 16. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 13.
Dieser Wunsch des Menschen scheint sich in den nächsten Bildern zu erfüllen (Abb. 14 und 15). Der Mensch als hiffloser Schiffbrüchiger im Leben wird von Amor divinus aus den Fluten gerettet. ‘Psalm 69 v 16’: ‘daß mich die Wasserflut nicht ersäufe und die Tiefe nicht verschlinge und das Loch der Grube nicht über mir zusammengehe.’Ga naar voetnoot22 Auf diesem Bild stellt der Katharinenheerder Maler Amor divinus zum ersten Mal eindeutig mit Flügeln und Nimbus dar. Beide Figuren wirken aber auch hier erwachsen und dem bäuerlichen Leben verhaftet, während Bolswert nach wie vor puttenartige Kinder agieren lässt. Das versinkende Schiff im Hintergrund, die Dramatik der Rettungsaktion könnte bei dem Katharinenheerder Maler auf eigener Anschauung beruhen. Das gilt auch für die Landschaft in Bild 10, in der der in einer parkähnlichen Umgebung stehende Obelisk des Kupferstichs in einen hinter Bäumen verschwindenden Kirchturm verwandelt wird (Abb. 14 und 16). Amor divinus versucht hier eine anscheinend ältere Frau davon abzuhalten, an eine Sonnenuhr heranzutreten. Das Alter der Frau passt zur Bibelstelle ‘Hiob 10 v.20’ sehr viel besser als Bolswerts kindliche Amoretten: ‘Ist denn mein Leben nicht kurz? So höre er auf und lasse ab von mir, daß ich ein wenig erquickt werde’.Ga naar voetnoot23 Die beiden Figuren der Emporenmalerei sind allerdings perspektivisch nicht auf die Sonnenuhr bezogen, sie wirken im Unterschied zu Bolswerts korrekter perspektivischer Konstruktion wie nachträglich in die Landschaft hinein collagiert. Das elfte Bildfeld zeigt eine in Rot gekleidete Frauenfigur, die rechts vorn kniet und ein Fernrohr ans Auge setzt, das sie auf eine Lichterscheinung im Hintergrund richtet (Abb. 17 und 18). In der seitenverkehrt aufgebauten Kupferstichvorlage, Emblem 14 des ersten Teils der Vorlage, erscheint darin die Vision eines im Feuer tanzenden Totengerippes, und auf dem Bogen der Lichterscheinung thront die segnende Gestalt Gottes, gerahmt von posaunenden Engeln. Dies alles ist in der gemalten Pictura nicht zu er- | |
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Abb. 17. St. Katharina, Katharinenheerd auf Eiderstedt, Westempore, elftes und zwölftes Bildfeld: Anima kniet und richtet ein Fernrohr auf eine Lichterscheinung im Hintergrund; Anima wird von Amor divinus auf die Gesetzestafeln hingewiesen, die ein Engel in Händen hält.
Abb. 18. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 14.
kennen., 5. Moses 32 v. 29’ lautet die Angabe der Bibelstelle unter dem Bildfeld, bei Luther heißt es dort: ‘O, daß sie weise wären und vernähmen solches, daß sie verstünden, was ihnen hernach begegnen wird!’Ga naar voetnoot24 Nach dem Tiefpunkt im siebten und dem Wendepunkt in der Gerichtsszene des achten Bildfeldes tritt Amor divinus durchweg als göttlicher Retter aus irdischen Nöten auf - aus dem | |
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Schiffbruch oder aus den Ängsten vor Alter und Tod. Er erscheint dem suchenden Menschen als himmlische Vision am Ende seines Lebensweges. Im folgenden zwölften Bildfeld wird die hier ausnahmsweise ausgesprochen kindlich wirkende Anima dargestellt, begleitet von einem diesmal geflügelten Amor divinus, der sie auf die Gesetzestafeln hinweist, die ein zweiter Engel in Händen hält (Abb. 17 und 19). Die Situation kann als göttliche Hilfestellung beim Lesen und Verstehen der Gesetze gedeutet werden.Ga naar voetnoot25
Abb. 19. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 16.
Im dreizehnten Bildfeld ist ein Labyrinth zu sehen, in dessen Zentrum ein Pilger mit Hut und Pilgerstab steht, der an einem langen Seil von einem entfernt stehenden Turm aus auf den richtigen Weg geleitet zu werden scheint (Abb. 20 und 21). Im Kupferstich werden die Figuren - vermutlich der besseren Darstellbarkeit wegen - gezeigt, wie sie oben auf den schmalen Hecken oder Mauern des Labyrinths entlang laufen. Diejenigen, die den rechten Weg nicht finden, fallen in die Tiefe. Anima aber hat an der göttlichen Lenkung von der Turmspitze herab eine sichere Leitschnur.Ga naar voetnoot26 Das vierzehnte und letzte Emblem ganz rechts außen an der Empore zeigt eine geflügelte Anima, die mit ihrem linken Fuß noch an eine große Kugel mit Kreuz gekettet ist, die aber auf eine himmlische Erscheinung zustrebt und dazu mit dem rechten Fuß einen Schritt ins Leere macht, um anscheinend im nächsten Augenblick ihre Flugel zu gebrauchen (Abb. 20 und 22). Die Verkettung an die schwere, dem Boden verhaftete Kugel macht den Ausgang dieser Anstrengung ungewiss. Der Kupferstich zeigt in einer Form von Hintergrundbildlichkeit eine kindliche Figur, die einen Vogel fliegen lässt, der aber an einen Stab angeleint ist und deshalb nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit hat.Ga naar voetnoot27 Die Verkettung des Menschen an die Welt mit der Aufforderung, sich von allen irdischen | |
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Abb. 20. St. Katharina, Katharinenheerd auf Eiderstedt, Westempore, dreizehntes und vierzehntes Bildfeld: Im Zentrum eines Labyrinths steht Anima als Pilgerin und wird am Seil von einem Turm aus auf den richtigen Weg geleitet; Anima, mit dem linken Fuß an eine Weltkugel mit Kreuz gekettet, macht mit dem rechten Fuß einen Schritt, urn im nächsten Augenblick ihre Flügel zu gebrauchen und gen Himmel zu fliegen.
Abb. 21. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 17.
Bindungen der Welt zu lösen, liegt in diesem letzten Bild und dem dazugehörigen Text, aber zugleich wird die Schwierigkeit der Umsetzung dieser göttlichen Anweisung drastisch ins Bild gesetzt. | |
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8 Die lutherische Interpretation der jesuitischen VorlageSoweit die Bilderfolge an der Empore; es fällt auf, dass elf der vierzehn Embleme nach Vorlagen aus dem ersten Teil der Pia Desideria gestaltet werden. Bild 12 und 13 nach den beiden ersten Emblemen des zweiten Teils, und nur das 14. nach einem Emblem - dem neunten - des dritten Teils. Warum dieser Schwerpunkt auf dem ersten Teil liegt, ist leicht einzusehen, wenn man Hugos Themen und Bibelstellen betrachtet. Der erste Teil greift überwiegend auf die Psalmen sowie mit Hiob und Jeremia auf das Alte Testament zurück. Im zweiten Teil bezieht sich Hugo mit wenigen Ausnahmen auf das Hohe Lied Salomons. Diese Bibelstellen kamen für eine Verwendung auf der Empore einer lutherischen Kirche anscheinend nicht in Frage. Die beiden Embleme, die aus dem zweiten Teil Verwendung fanden, wählen unter den wenigen Zitaten aus, die nicht aus dem Hohelied stammen, sie beziehen sich ebenfalls auf Psalmstellen. Aus dem dritten Teil, der Zitate aus dem Hohen Lied, aus den Psalmen und aus dem Neuen Testament verwendet, suchten die Eiderstedter als passendes Abschlussemblem das nach Paulus' Brief an die Philipper 1, 23 aus: ‘Beides liegt mir hart an: ich babe Lust, abzuscheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre;’ dieser und der folgende Vers thematisieren die Entscheidungsnot des Apostels zwischen dem Wunsch nach Tod und ewigem Leben und der Notwendigkeit, auf der Erde weiterhin für Christus wirksam zu sein.
Abb. 22. Hermann Hugo, Pia Desideria, Antwerpen 1624, Pictura 39.
Die Auswahl aus dem jesuitischen Emblembuch wird also ganz eindeutig unter lutherischen Gesichtspunkten getroffen. Das Programm der Empore könnte zusammenfassend lauten: Der Mensch, der sein Herz Gott öffnet, und sich seiner Leitung und Fürsorge anvertraut, wird auf seinem Lebensweg zwar von Gott hart geprüft - das ist die Aussage der linken Emporenhälfte. Er wird aber von ihm recht angesehen und errettet, selbst wenn er in seinem Leben gesündigt hat - so die Aussage der zweiten rechten Emporenhälfte. Als entscheidend für sein Heil wird einzig und allein der rechte Glaube und der Wille, sich Gott anzuvertrauen, verlangt. Mit dieser Auswahl und Anordnung der Embleme in Katharinenheerd mutiert der Titelkupfer des jesuitischen Emblembuchs im neuen Zusammenhang der Emporenprogrammatik zu einem lutherischen Bekenntnis zur Seligkeit ohne Verdienst, allein durch den Glauben. Dabei kommt den beiden rahmenden Picturae 1 und 14 sowie den beiden mittleren 7 und 8 eine zentrale Bedeutung für die neue protestantische Lesart zu. | |
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9 Funktion im und nach dem GottesdienstWährend des Gottesdienstes konnte der Pastor die Gesamtaussage der Bildfolge, aber auch die Bildlichkeit jedes einzelnen Bildfeldes zum Thema oder Ausgangspunkt seiner Predigt machen. Die Embleme, die wie aus dem Alltag der Eiderstedter Bauern gegriffen erscheinen - der Göpel, die Krankenstube, die Tonwerkstatt, die Rettung eines Schiffbrüchigen - boten sich als rhetorische Aufhänger an. Aus diesen Bildern ließ sich die Zuverlässigkeit der Hilfe Gottes auch in Notsituationen rhetorisch sehr gut entwickeln. Die textliche Beschränkung auf die Angabe der Bibelstelle bot genügend Raum für das ausführliche Zitat während der Predigt und für dessen Auslegung - die Predigt wird zur gehörten emblematischen Subscriptio für die Picturae der Empore. Die jeden Sonntag wiederkehrende Konfrontation mit dem gesamten Bilderzyklus beim Verlassen der Kirche konnte darüber hinaus die Aufforderung nach uneingeschränktem Vertrauen im Glauben nachdrücklich einprägen. Abstract - An example of church decoration in Schleswig-Holstein and Denmark between 1500 and 1800, based on models in the graphic art of the Low Countries, is to be found in the village church of St Katharina, in Katharinenheerd on the Eiderstedt peninsula in the southwest of present-day Schleswig-Holstein. Between 1635 and 1650 the wood panelling of the west gallery of the church was painted with 14 emblems after Hermann Hugo's emblem book Pia Desideria. The child-like figure of Amor Divinus is a type that has been taken over from Hugo, but the paintings possess greater closeness to reality, and Hugo's constituent texts are missing. The selection from the Jesuit emblem book was made from a Lutheran point of view. The emblem programme can be summarized as follows: human beings who open their heart to God, entrus ting themselves to his guidance and care, are severely tested by God on their way through life, but he brings them to salvation even after a sinful life. Some emblems seem to be drawn from the everyday life of the Eiderstedt peasants and no doubt offered themselves as rhetorical aids for the sermon. Thus the sermon could perhaps become the aural emblematic subscriptio for the picturae of the gallery. In addition, the regular Sunday encounter with the complete cycle of pictures could impress upon the congregation the necessity for absolute trust in their faith. |
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