De Zeventiende Eeuw. Jaargang 13
(1997)– [tijdschrift] Zeventiende Eeuw, De– Auteursrechtelijk beschermd
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Holländischer Löwe und Klevischer Bauer
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Abb 1: Flugblatt ‘Vreemdenhandel’, 1614. Kupferstich, 214 × 314 mm. Museum Kurhaus Kleve, Sammlung Robert Angerhausen.
die mit Spruchbändern oder von Erzählern erläutert wurden.Ga naar eind3. Insbesondere die Niederländer entwickelten auf diesem Gebiet während der Befreiungskriege eine kunstvolle und intelligente Bildpublizistik.
Den Überfall der Spanier auf den Niederrhein im Sommer 1614 kommentiert das Flugblatt mit dem Titel Vreemdenhandel (sonderbares Treiben) (Abb. 1). Es stammt von einem unbekannten, niederländischen Verleger, der Text in Versform ist in niederländischer Sprache verfaßt, eine lateinisch-deutsche Version ist ebenfalls bekannt.Ga naar eind4. Das Blatt, entstanden unter dem Eindruck der Eroberungen Spinolas vom Sommer 1614, stellt einen Kampf zwischen dem Löwen, der die nördlichen Niederlande verkörpert, und dem Greifen, der die Spanier verkörpert, dar. Über Löwe und Greif ist das Wappen des Herzogtums Jülich-Kleve-Berg und Mark zu sehen. Löwe und Greif sind aus der Bildsprache des spanisch-niederländischen Krieges vertraute Verkörperungen. In diesem Flugblatt finden sich allerdings auch einige typisch ‘klevische’ Darstellungen, denn die Auseinandersetzung findet auf klevischem Territorium statt. Zum Verständnis ist ein Blick auf die vorausgegangenen Ereignisse notwendig: Die Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg-Mark-Ravensberg gehörten seit Mitte des 16. Jahrhunderts zum Einflußbereich der katholischen Mächte. Johann Wilhelm, letzter Herzog von Kleve, der den Katholizismus garantiert hatte, starb im April 1609 kinderlos in Düsseldorf. Über die weibliche Erbfolge der Schwestern Johann Wilhelms pochten mehrere Anwärter auf ihr Recht. Ungeachtet der erklärten Neutralität der klevischen Länder führte die Unsicherheit, ob katholische oder protestantische Mächte in Kleve, dem Grenzland zwischen Niederlanden und deutschem Reich, die Überhand gewinnen würden, zu einem Mächtevakuum. Hauptanwärter der klevischen Nachfolge waren die Protestanten Wolfgang Wilhelm von der Pfalz, Sohn der Anna von Kleve, und Johann Sigismund von Brandenburg, Schwiegersohn der Maria Eleonore von Kleve. Sie einigten sich zu- | |
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nächst 1609 als die sogenannten ‘Possedierenden Fürsten’ auf eine gemeinsame Besetzung der Herzogtümer. 1613 zerbrach dieses Einverständnis. Wolfgang Wilhelm von der Pfalz wurde katholisch. Er fand Unterstützung bei den Spaniern. Johann Sigismund trat darauf zum Calvinismus über und bekundete seine Nähe zu den nördlichen, nach Unabhängigkeit strebenden, calvinistischen Niederlanden. Trotz des 1609 vereinbarten Waffenstillstandes schickten die Spanier, provoziert durch die Übergabe der Stadt Jülich im Mai 1614 an Moritz von Oranien, ihren Heerführer Ambrogio Spinola an den Niederrhein. Er belagerte Anfang September das rechtsrheinische Wesel, während Moritz von Oranien, als Bündnispartner von Johann Sigismund zu Hilfe gerufen, auf der linken Rheinseite bis nach Emmerich und Rees vordrang. Schießlich vermieden die beiden Heerführer doch wegen des Waffenstillstandes die direkte Konfrontation. Das Flugblatt spiegelt die Ereignisse aus Sicht der Niederländer. Links hinter dem Löwen steht eine Verkörperung der von den Niederländern gehaltenen Festung Schenkenschanz, auf der Gabelung von Rhein und Waal unweit Kleves erbaut, in Gestalt eines bewaffneten Soldaten, der Kanonenkugeln in ein Gefäß gießt. Diese Handlung macht zum einen, ebenso wie die am Boden stehenden Kanonen auf die Wehrhaftigkeit der Festung aufmerksam. Zum anderen ist sie eine Anspielung auf den Namen des Gründers dieser Festung, Martin Schenk von Nideggen. Dessen Familie hatte einmal das Amt des Mundschenken am jülichschen Hof ausgeübt.Ga naar eind5. Schenkenschanz, 1586 gegründet, wurde bald einer der strategisch wichtigsten Stützpunkte der Niederländer am Niederrhein, die von dort aus die Schiffahrt und den Zugang zum Binnenland kontrollierten. Die Festung erhielt ihrer Bedeutung wegen den volkstümlichen Namen ‘de sleutel van den hollandschen tuin’ (Schlüssel zum holländischen Garten). Das Flugblatt paraphrasiert sie mit ‘getrouwe wacht’ - getreuer Wachtposten an der niederländischen Grenze. Der holländische Löwe hat sich schützend über einige Städte gestellt, im Text werden Emmerich und Rees erwähnt. Weiter rheinabwärts liegende Städte befinden sich in den Klauen des Greifen. Es sind die von Ambrogio Spinola eingenommenen Orte Heinsberg, Wesel (als Wiesel) und Aachen (verkörpert als Wasserturm, eine Anspielung auf den lateinischen Namen ‘Aquis granum’). Die aus Aachen fliehenden Geusen sind als Gänse auf dem Rhein dargestellt, flüchtend in Richtung Schenkenschanz. Das bedrohte Jülich (von Moritz gehalten) steht als Schmuck auf der Brust des Greifen. Mülheim am Rhein wird im Hintergrund von spanischen Soldaten mit Dreschflegeln bearbeitet: die protestantische Stadt wurde im Auftrag des Kölner Erzbischofs 1614/1615 von Spinola zerstört. Neben dieser kriegerischen Haupthandlung sind als Anspielung auf die politischen Hintergründe zu sehen: rechts ein Wolf mit der Inschrift ‘quaedt toeverlaet’ (kein Verlaß), der sich auf ein Lamm ‘onnoselheyt’ (Unschuld) stürzt. Wolfgang Wilhelm, dargestellt als Wolf, mit Anspielung auf seinen Namen Wolfgang, war, aus der Sicht der Niederländer, durch seinen Konfessionswechsel quasi als Verräter ins Lager der Spanier übergelaufen. Er stürzt sich auf das Lamm, ein Sinnbild für die neutralen klevischen Länder. Der Schwanz des Wolfes steht in Flammen: Im Text ist diese Darstellung mit ‘Brand-en-Borch’ (=Bran- | |
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Abb. 2: Flugblatt ‘Verthooninghe ende verclaringe van den Cleefschen St. Joris,’ 1614. Radierung 330 × 385 mm. Museum Kurhaus Kleve, Sammlung Robert Angerhausen.
denburg), für den Verteidiger des klevischen Lammes Johann Sigismund von Brandenburg, kommentiert. Der zwölfjährige Waffenstillstand, 1609 zwischen Generalstaaten und Spaniern geschlossen, war bei den Niederländern sehr umstritten. In vielen Flugblättern der Zeit wird er als ein scheinheiliger Friede dargestellt. Die Verlagerung der Auseinandersetzung auf klevisches Gebiet schien dies zu bestätigen. So enthält auch dieses Flugblatt eine Stellungnahme zum Waffenstillstand im Hintergrund des Geschehens: links ist die holländische Jungfrau im eingezäunten Garten, Sinnbild für die nördlichen Niederlande, zu sehen. Ein Jesuit (Pater Neyen) reicht ihr den Ölzweig als Friedensangebot, wirft aber gleichzeitig hinterhältig ein Netz über sie. So lautet die spiegelverkehrte Inschrift dann auch ironisch: ‘Dit is von regter sijn’ (Das ist der wahre Sinn). Der holländische Löwe tritt deutlich als Verteidiger des klevischen Landes und - wie es aus dem Text hervorgeht - als Beschützer des wahren Friedens auf. Der für Spanien stehende Greif dagegen ist der Bösewicht, auf seiner Seite der Fürst Wolfgang Wilhelm als Verräter und Angreifer im eigenen Land.
Ein Flugblatt mit dem Titel ‘Verthooninghe ende verclaringhe van den Cleefschen St. Joris’ (Schauspiel und Erklärung des klevischen Hl. Georg) (Abb. 2) entstand im Amsterdamer Verlag des Calvinisten Claes Jansz. Visscher, von dem viele Flugblätter zu den Ereignissen des niederländischen Befreiungskrieges bekannt sind.Ga naar eind6. Das Blatt ist in zwei verschiedenen Textversionen bekannt: mit niederländischem und deutschem Vers. Bei dem Exemplar in der Sammlung Robert Angerhausen handelt es sich um die niederländische Version, die im Text ausführlicher ist und im Gegensatz zur deutschen wohl ein gelehrteres Publikum anspricht. In der Literatur ist das Blatt 1613 oder auch 1616 datiert worden. Da der Text eine Anspielung auf die Eroberung von Wesel durch Spinola im Jahre 1614 enthält, ist die Datierung 1614 am naheliegendsten. Durch Anspielungen in Bild und Text wird deutlich, daß es sich bei der vordergründig dargestellten Legende vom Heiligen Georg, der die Prinzessin vor | |
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dem Drachen rettet, um ein Spiel in verkleideten Rollen handelt. Akteure sind eigentlich die am klevisch-jülichschen Erbfolgestreit beteiligten Personen. Hauptperson der Ereignisse ist die auf dem Bild etwas abseits gedrängte, links kniende Prinzessin, im Text als Jungfrau und Magd bezeichnet, die, entlehnt aus der traditionellen christlichen Ikonographie, ein Lamm an der Hand führt. Durch vier Wappenschilder (von links oben nach rechts unten: Jülich-Berg, Ravensberg, Kleve, Mark) sind Jungfrau und Lamm als die im Erbstreit verwickelten Länder charakterisiert. Interessanterweise tritt also in diesem Flugblatt eine Art ‘klevische Jungfrau’ auf, verwandt mit der Darstellung der ‘holländischen Jungfrau’, die von vielen niederländischen Flugblättern bekannt ist. Auch der 12jährige Waffenstillstand wird auf Flugblättern häufig als die ‘Jungfrau Treves’ dargestellt. Die klevische Jungfrau kommt im Text zu Wort als ein Sprachrohr der Bevölkerung: sie klagt darüber, ihrer freien Entscheidung beraubt, von den Spaniern verspottet, aus dem eigenen Land verjagt und vom eigenen Blutsverwandten bedroht zu sein. Wie das Lamm vor dem Wolf, so flieht die Jungfrau vor dem Drachen, berichtet der Text. Wie in dem vorhergehenden Flugblatt taucht hier also wieder die Gegenüberstellung Wolf (für Wolfgang Wilhelm) und das Lamm (für Kleve) auf. Der das Flugblatt begleitende Text nennt nicht die Namen der beiden Kämpfer im Vordergrund. Hierzu sind zwei Deutungen, wie sie auch in der Literatur anzutreffen sind, möglich: Ein apokalyptisches Ungetier wird rechts von einem Reiter gelenkt: Der Drachenreiter hält ein Schild mit der Aufschrift ‘Homo Homini Lupus’ - der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Die Namensgleichheit Wolf/Wolfgang läßt auf Wolfgang Wilhelm von der Pfalz schließen. Gleichzeitig ist der Wolf als Personifizierung des Bösen in vielen Flugblättern auch ein Sinnbild für die Spanier. Durch seinen Übertritt zum Katholizismus trat Wolfgang Wilhelm ja in den Augen der Niederländer zum Lager der spanischen ‘Bösewichter’ über und wurde damit selbst zum Wolf. So klagt auch die klevische Jungfrau darüber, daß ein Blutsverwandter sie bedrohe. Ebenso ist es möglich, in dem spanischer Hoftracht bekleideten Reiter den Feldherrn Spinola zu sehen, der mit seinen Truppen die klevischen Länder bedrohte. Der Text legt auch dieses nahe, denn der Drachenreiter rühmt sich, er habe Wesel, die ‘Mutter aller Geusen’ (mit den Geusen sind Calvinisten gemeint) erzwungen. Der ‘Bösewicht’, in den niederländischen Flugblättern immer mit Spaniern oder der katholischen Kirche assoziiert, reitet auf einem Drachen mit sieben Köpfen - eine Nachbildung des Ungeheuers aus der Geheimen Offenbarung des Johannes. Der Drache wird zum Sinnbild der Katholischen Kirche, denn die Drachenhäupter sind mit Kopfbedeckungen der geistlichen Stände ausgestattet. Hinter dem Angreifer steht der Papst, beschäftigt mit dem Turmbau zu Babel, Sinnbild für die menschliche Verwirrung und Anmaßung vor Gott. Mit dem ‘Hl. Georg’ ist möglicherweise der Namensgleiche Georg Wilhelm von Brandenburg, von seinem Vater Johann Sigismund 1613 als Statthalter in Kleve eingesetzt, gemeint. Wie sein Vater trat Georg Wilhelm 1613 zum Calvinismus über. So ruft die Jungfrau im Text einen ihrer nächsten Verwandten um Hilfe. | |
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Abb. 3: Flugblatt ‘Het Testement van Bestant’, 1614. Kupferstich, 465 × 334 mm. Museum Kurhaus Kleve, Sammlung Robert Angerhausen.
Georg Wilhelm galt den Calvinisten als Hoffnungsträger. Eine gewaltsame ‘Rekatholisierung’ durch die Spanier wie in Aachen 1614 drohte auch den klevischen Städten, insbesondere dem eroberten Wesel. Georg Wilhelm hatte jedoch von Brandenburg im Mai 1614 im ‘Edikt von Kleve’ religiöse Toleranz verkündet.Ga naar eind7. Mit dem Hl. Georg könnte auch Moritz von Oranien, Statthalter und Feldherr der nördlichen Niederlande, gemeint sein. Im Jahre 1613 erhielt Moritz von Oranien den englischen Hosenbandorden, der den Hl. Georg zum Patron hatte. Die gedankliche Verbindung des Heiligen Georg mit Moritz von Oranien war also zu dieser Zeit auch möglich.Ga naar eind8. Der Hl. Georg tritt nicht nur als ein Verteidiger des klevischen Landes, sondern auch Streiter für die wahre, reformierte Religion. Wie in vielen Flugblättern wird die kriegerische Auseinandersetzung auf die Ebene des Glaubensstreites gehoben. Dies geht hier soweit, daß eine katholische Heiligenfigur zu einer Art calvinistischen Heiligenfigur umgeformt wird: traditionellerweise ist der Heilige Georg der Helfer im Kampf gegen die ‘Nichtchristen’. Die Stadt Kleve, im Hintergrund links dargestellt, steht, als Inbegriff des calvinistischen Lagers, der Stadt Köln, im Hintergrund rechts dargestellt, als Inbegriff des katholischen Lagers, gegenüber. Der Kölner Erzbischof war verschwägert mit Wofgang Wilhelm, er erhob Ansprüche auf klevische Landesteile. Kleve war dagegen die Stadt des schon erwähnten ‘klevischen Ediktes’ von 1614, stellvertretend für eine tolerante Haltung in Religionsfragen. Aus der Sicht dieses Flugblattes sind niederländische auch zugleich klevische Interessen: Die Befreiung von den Spaniern und damit dem Katholizismus. Was den klevischen Erbfolgestreit angeht, so ergreift das Flugblatt eindeutig Partei für das dem Calvinismus nahestehende brandenburgische Fürstenhaus.
In einem bei Antoine Lancel, Amsterdam, nach Claes Jansz. Visscher verlegten Flugblatt aus dem Jahre 1614 ‘Het Testement van Bestant’ (das Testament des Waffenstillstandes) (Abb. 3), hier mit französischem Text (eine deutsche Version ebenfalls bekannt), wird der Einmarsch der spanischen Truppen in das Klever Land als Bruch und Ende des 12jährigen Waffenstillstandes dargestellt.Ga naar eind9. Während die klagenden klevischen Bauern im Hintergrund auf diesen Zusammenhang hinweisen, liegt hier der Schwerpunkt der Darstellung auf der Konfrontation Nie- | |
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Abb. 4: Flugblatt ‘Abbiltung und kurze bedeutung ...’, wohl 1614. Kupferstich, 330 × 385 mm. Museum Kurhaus Kleve, Sammlung Robert Angerhausen.
derlande - Spanien, bzw. der Entlarvung der Kriegsintreganten Papst und Jesuit. Diese stehen nämlich am Sterbebett der Frau ‘Treves’, Personifikation des Waffenstillstandes, und erwarten ihren Tod. Links steht der gerüstete Spinola, seine Kanone bereits auf die holländische Jungfrau und den Löwen rechts gerichtet. Dem klevischen Bauern, der hier erstmals als Repräsentant der Bevölkerung auftritt, fällt die Rolle des Klägers zu (im Hintergrund unter B). Er erweist sich als die einzige verständige Instanz, die die Kriegsintrigen der Spanier, Jesuiten, des Papstes durchschaut. Obwohl die klevische Landbevölkerung zu dieser Zeit mehrheitlich katholisch war, wird sie hier als Gegner der Spanier und damit der Katholiken dargestellt. Ein Vorwurf geht an die Possedierenden Fürsten, durch Uneinigkeit das Land in den Krieg gestürzt zu haben. Ebenso klagt der Bauer Wolfgang Wilhelm an, der zum Papst übergelaufen, das heißt katholisch geworden ist.
Das Flugblatt eines unbekannten Verlegers mit dem Titel ‘Abbildung und kurze bedeutung von den jenigen was im vergangenen Jahre gepassirt ist in den Ländern Gülich, Cleff ec. ....’ (wohl 1614) (Abb. 4)Ga naar eind10. ist in niederländischer und deutscher Textversion bekannt. (hier deutsch). Es thematisiert das drohende Ende des spanischniederländischen Waffenstillstandes und den bevorstehenden Überfall der Spanier auf die klevischen Länder. Text und Bild ergänzen sich auch hier wieder zu einer Einheit: die Bildszenen und Dinge werden, mit Buchstaben versehen im Text erläutert. Es treten unter anderem auf: Spinola (links unter A), der klevische Bauer, der sein Land mit den Ackerwerkzeugen verteidigt (Mitte, D), der Papst, dem der Teufel im Traum das | |
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Abb. 5: Flugblatt ‘Der Kram des römischen Papstes ...’, 1615. Kupferstich, 442 × 428 mm. Museum Kurhaus Kleve, Sammlung Robert Angerhausen.
Ende des Waffenstillstandes vorhersagt (H, rechts oben), die vom Jesuiten vergewaltigte, sterbende ‘Jungfrau Treves’ oder der Waffenstillstand (I, rechts unten), der klevische Bauer, der die Pyramide, Sinnbild für den Waffenstillstand zu halten versucht (L, Mitte rechts), der Kriegsgott Mars (N). Der Kampf zwischen spanischem Greif und holländischem Löwen (P, oben rechts) stellt eine Fortsetzung des Flugblattes ‘Vreemden handel’ dar: der Greif muß die eroberten Städte wieder ‘ausspucken’. Die Ritter vom englischen Hosenbandorden eilen Moritz von Oranien zu Hilfe (Q, Mitte rechts). Der Proviantsack (knapsack = Proviantsack, s. der Kriegsruf ‘rendez-vou knapsack’) auf der Fahne und der mit Ackerfrüchten und Würsten behangene Ehrenbogen deuten auf den Reichtum des Klever Landes hin, von dem die spanischen Soldaten angezogen werden. Der dazugehörige Text (D) beschreibt das von den spanischen Soldaten der klevischen Bevölkerung zugefügte Elend. Der Wagen rechts trägt die Pyramide als Symbol des Waffenstillstandes und zugleich Kriegsausrüstung. Der Wagen wird vom Kriegsgott Mars angehoben, so daß seine Ladung schwankt. Der klevische Bauer stützt den umstürzenden Wagen und ist somit der einzige, der erfolglos versucht, die Kriegskatastrophe zu verhindern.
Ein weiteres Flugblatt des Verlegers Antoine Lancel, Amsterdam, hier mit deutschem Text kommentiert die weltlichen Interessen des Papstes zur Zeit des Waffenstillstandes. Es trägt den Titel ‘Der Kram des Romischen Papstes sein werck und fürnemen ...’ (Abb. 5) und ist 1615 datiert. Der Text ist in der ursprünglichen französischen und einer niederländischen Fassung bekannt und in Dialogform verfasst.Ga naar eind11. Das Flugblatt erschien 1615, bereits nachdem die ‘Possedierenden Fürsten’ sich im Xantener Ausgleich vom November 1614 geeinigt hatten. Der Papst ist als verblendeter, machthungriger Kirchenfürst von Schatztruhen umstellt, mit Zügeln führt er das Sinnild des Bösen, den apokalyptischen Drachen. Weltliche Herrscher hängen ebenfalls an seinem Zaum. Im Hintergrund sind Inquisitionsszenen zu sehen. Als Vertreter eines von den katholischen Mächten konstruierten Waffenstillstandes steht der Jesuit mit Ölzweig (Pater Neyen) ebenfalls im Hintergrund. Dem Papst antipodisch gegenübergestellt thront die holländische Jungfrau im umzäunten Garten, verteidigt vom Löwen. Sie hält als Hüterin der wahren Religion Bibel und Gesetzestafeln. Pallas Athene, die Göttin des Krieges und der Weisheit steht, wie aus dem Text ersichtlich, auf der Seite der | |
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Abb. 6: Pamphlet ‘Levendige Verthooninge ...’, 1614/ 1615. Museum Kurhaus Kleve, Sammlung Robert Angerhausen.
Calvinisten, sie überreicht Moritz von Oranien und Johann Sigismund von Brandenburg das Schwert, im begleitenden Text werden sie zum Kampf aufgefordert. In dem Text, der Figuren aus Ariosts Kreuzfahrerepos ‘Orlando Furioso’ entlehnt, findet ein Gespräch zwischen der holländischen Jungfrau, der Pallas Athene, den Ständen der Vereinigten Provinzen, Johann Sigismund von Brandenburg, Moritz von Oranien, den klevischen Bauern und Hirten, den Jesuiten und dem Papst statt. Der klevische Bauer und der klevische Hirte kommen als Repräsentanten der leidenden Bevölkerung ähnlich wie vordem zu Wort. Der klevische Bauer wird hier wiederum als Gegner der Spanier und damit des Papstes dargestellt. Die Spanier werden mit den Mauren des ‘Orlando Furioso’ verglichen, die das christliche Abendland bedrohen. Auch hier bemüht sich der Autor des Flugblattes, die Auseinandersetzungen als einen Glaubenskrieg darzustellen, bei dem die niederländische Seite die wahre christliche Religion vertritt.
Das niederländisches Pamphlet unter dem Titel ‘Levendighe verthooninge van den tegenwoordigen Staet der Landen Gulich, Cleve, ende andere byliggende Plaetsen’ (lebendiges Schauspiel vom gegenwärtigen Zustand der Länder Jülich, Kleve, und anderer benachbarter Orte), (Abb. 6) wohl Verleger Michel le Blon, Amsterdam, 1614 oder 1615, ist als Kritik am Waffenstillstand verfasst.Ga naar eind12. | |
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Das mehrseitige Pamphlet gibt eine Gesprächsfolge aus fünf Szenen wieder und wird durch einen einleitenden Kupferstich illustriert. Thematisiert wird der ‘Friede’ als ein ‘Scheinfriede’ der Jesuiten und Spanier und als der ‘wahre Friede’ wie er von Mars, den Jesuiten und dem spanischen König vertrieben wird. In dem Streit um Kleve entpuppt sich der Waffenstillstand zwischen Spaniern und Niederländern als Scheinfriede. In der letzten Szene klagt der klevische Bauer über das ihm durch die Spanier zugefügte Leid. Der herbeigeeilte niederländische Löwe tröstet den klevischen Bauern, redet ihn mit ‘Hartje’, Herzchen, freundschaftlich an. Der Spanier wird als der Antichrist bezeichnet, ‘der sich auf den armen klevischen Bauern wirft, um ihn Sklave der babylonischen Hure (der Kirche) zu machen’. Der Löwe entlarvt die Drohungen der Spanier als Prahlerei und fordert den zögerlichen Bauern auf, sich selbst zu verteidigen. Der Löwe macht dem Bauern den Vorwurf, sich nicht früh genug gegen den Verrat im eigenen Land gewehrt zu haben: eine direkte Aufforderung zur Abkehr vom katholischen Wolfgang Wilhelm.
Die hier vorgestellten Flugblätter niederländischer Verleger stellen alle die schwierige und bedrohte, eng mit dem niederländischen Schicksal verwobene Lage der klevischen Länder während des niederländischen Befreiungskrieges dar. Der holländische Löwe erscheint als ein Retter und Befreier des klevischen Landes und seiner Bevölkerung. Die Auseinandersetzung zwischen Niederländern und Spaniern, zwischen Johann Sigismund und Wolfgang Wilhelm, wird auf die Ebene des Glaubenskampfes gehoben. Calvinismus und Katholizismus werden als ‘Gut’ und ‘Böse’ gegenübergestellt. Bilder wie die klevische Jungfrau, das Lamm oder der klevische Bauer übernehmen die Stecher abgewandelt aus der christlichen Ikonographie und der allgemeinen Bildsprache der Flugblätter der niederländischen Befreiungskriege. Was den Ausgang der klevischen Krise betrifft: Die ‘Possedierenden Fürsten’ einigten sich vorläufig im Xantener Ausgleich vom 14. November 1614 im Sinne einer Aufteilung der Machtsphären: gemeinsamer Besitz mit geteilter Verwaltung: Kleve-Mark für Johann Sigismund von Brandenburg, Jülich-Berg für Wolfgang Wilhelm von der Pfalz. Die konfessionelle Lage von 1609, das hieß de facto eine überwiegend katholische Bevölkerung, sollte garantiert bleiben. In Wirklichkeit waren die Herzogtümer auch nach dem Xantener Vergleich von 1614 nicht im Besitz der Erbprätendenten sondern weiterhin von Spaniern und Niederländern besetztes Gebiet. Erst 1666 wurden mit dem klevischen Frieden die Besitz- und Konfessionsfragen endgültig geklärt.
Was das Schicksal der Stadt Wesel betrifft: Obwohl der Xantener Vertrag von 1614 die Freigabe vorschrieb, blieben die Spanier in der Stadt und unterdrückten das reformierte Gemeindewesen. Die Niederländer wurden 1629 bei der Wiedereinnahme der Stadt von der mit ihnen sympathisierenden Bevölkerung unterstützt. So kann man nachvollziehen, daß die pro-niederländischen Flugblätter bei der Bevölkerung von Wesel ein offenes Auge und Ohr gefunden haben mussen. |
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