Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde. Jaargang 112
(1996)– [tijdschrift] Tijdschrift voor Nederlandse Taal- en Letterkunde– Auteursrechtelijk beschermd
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Bettina Hartlieb
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1. EinleitungJan de Marre (1696-1763) schrieb mit seiner Jacoba van Beieren, Gravin van Holland en Zeeland (1736) eines der populärsten niederländischen Dramen seiner Zeit.Ga naar eindnoot1 Die Einverleibung Holland-Seeland-Hennegauens in den burgundischen Machtbereich während des 15. Jahrhunderts bildet den historischen Hintergrund seines Stückes. Nach dem Ableben des Grafen Willem VI. im Jahre 1417 kam es zum Streit um seine Nachfolge. Drei Prätendenten erhoben einen Anspruch darauf: Willems Tochter Jacoba, ihr Gemahl Jan IV. von Brabant sowie Willems Bruder Jan van Beieren. Nach militärischen Auseinandersetzungen, bei der die Spaltung Hollands in die Parteiungen der Hoeken und Kabeljauwen eine große Rolle spielte, wurde Jacobas Erbe unter die beiden Herren aufgeteilt. Bald darauf übertrug der schwache Jan IV. von Brabant seinen Anteil an der Herrschaft auf Jan van Beieren, der wiederum vor seinem Ableben Herzog Filips den Guten von Burgund als Erben in seine holländischen Besitzungen einsetzte. Obwohl die von den Kabeljauwen dominierten holländischen Staaten Jan IV. von Brabant als Landesherren anerkannt hatten, bestimmte dieser, kinderlos und des Regierens müde, seinen Cousin Filips den Guten zum Erben seiner Länder und übertrug ihm die Regierungsgewalt.Ga naar eindnoot2 Als ‘ruwaard ende oir’ setzte Filips seinen Anspruch gegenüber der von den Hoeken unterstützten Jacoba mit militärischen Mitteln durch. Sie erkannte ihn schließlich ihrerseits - mit Zustimmung der Staaten - beim Friedensvertrag von Delft 1428 als Verwalter ihrer Länder und Nachfolger in der Herrschaft an und mußte geloben, ohne seine Erlaubnis keine Ehe mehr einzugehen. Im Jahre 1432 heiratete Jacoba dennoch heimlich den seeländischen Edelmann Frank van Borselen. Filips reagierte auf ihren Vertragsbruch mit der Gefangensetzung Van Borselens, die Jacoba 1433 zum Verzicht auf alle Herrschaftsrechte bewog.Ga naar eindnoot3 | |||||||||||||||||||||||||
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2. De Marres StückJan de Marre wählte als Stoff für sein Drama die heimliche Heirat Jacobas, die Gefangensetzung Van Borsselens durch Herzog Philips van Bourgondiën auf Schloß Rupelmonde und Jacobas Herrschaftsverzicht. Nach der Exposition im Ersten Akt, in der der Zuschauer mit der Eheschließung und dem von Herzog Philips gegen Frank van Borsselen verhängten Todesurteil konfrontiert wird, schildert der Zweite Akt die direkte Auseinandersetzung zwischen Herzog Philips, Van Borsselen und der zu seiner Befreiung mit einer Flotte vor Schloß Rupelmonde erschienenen Jacoba. Diese, in der falschen Hoffnung vom Geheimbleiben ihrer Heirat, fordert die Freilassung ihres Gatten. Im Dritten Akt versucht Van Borsselen, Jacoba zur Auflösung der Ehe zu bewegen, da er den Verlust ihrer gräflichen Rechte durch den Fortbestand der Verbindung gefährdet sieht. Aus Liebe zu ihm verweigert Jacoba diesen Schritt. Der Aufzug enthält ein wichtiges politisches Streitgespräch zwischen Jacoba und Philips. Jacobas Liebesbeteuerungen gegenüber Van Borsselen bringen diesen dazu, ihrem Wunsche entsprechend die von Philips ultimativ geforderte Lösung der Ehe abzulehnen. Aus diesem Grunde befiehlt Philips schließlich im Vierten Akt, das Todesurteil zu vollstrecken, sendet jedoch gleichzeitig heimlich Rudolph, seinen verschlagenen Ratgeber, mit einem allerletzten Gnadenangebot für Van Borsselen ab, falls dieser im letzten Moment doch noch auf seine Bedingungen eingeht. Rudolph hintertreibt dieses Angebot des Herzogs. Nach dem emotionalen Abschied der Geliebten versucht Jacoba, Philips durch die Aufgabe aller ihrer Herrschaftsrechte noch gnädig zu stimmen und die Ausführung des Urteils abzuwenden. Die Versöhnung kommt fast zustande, als Rudolph ihm fälschlicherweise den Tod Van Borsselens meldet. Dies bringt den Herzog in große Gewissensnot, kann ihn jedoch nicht zur Aufgabe seiner politischen Ambitionen, nämlich der Sicherung seiner Herrschaft über Holland, bewegen. Der Fünfte Akt beginnt daher mit den fürchterlichsten Racheschwüren Jacobas, und die Möglichkeit zur friedlichen Einigung scheint aussichtslos. Plötzlich jedoch tritt Van Borsselen lebend vor die Kontrahenten. Es stellt sich heraus, daß sein Bewacher und Freund Lanoy den herzoglichen Befehl aus eigenem Antrieb nicht vollzogen hat. Philips will nun, befreit von seiner Gewissenslast, endlich Frieden schließen, als Jacobas Heer unter dem Kommando des Grafen van Meurs ins Schloß eindringt. Obwohl ihr militärischer Sieg für den Augenblick gesichert scheint, unterwirft sich Jacoba schließlich freiwillig, um einen erneuten Bürgerkrieg zu vermeiden. Mit dem Friedensschluß der Parteien endet das Stück. Der Autor reihte sich mit seiner Stoffwahl bereits in eine längere Tradition ein, da vor ihm Rodenburg (1638), Paffenrode (1662), Sweerts (1691) und Droste (1710) den Konflikt zwischen Jacoba und Philips bearbeitet hatten.Ga naar eindnoot4 De Marre war von der französischen Dramenliteratur der Zeit beeinflußt, was nicht nur aus seiner Anlehnung an Voltaires Stück Adelaïde du Guesclin (1734)Ga naar eindnoot5, sondern auch aus seiner kurzen Vorrede zur Jacoba zu schließen ist. Diese zeigt gleichzeitig, wie wichtig ihm eine getreue Orientierung am historischen Geschehen war: | |||||||||||||||||||||||||
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Ik had, naar het voorbeeld der Fransche Dichteren, (door eene ingewikkelde liefde van de Grave van Meurs, of van den Hartog zelf,) daar in veel meerder warring willen invoeren, indien ik niet had gevreest, daar door de Historie voor de Liefhebberen onzer Vaderlantsche Geschiedenissen onkennelyk te maaken: om welke reden ik zo na aan dezelve ben gebleven, als my, volgens de orde van het Tooneel, doenlyk was. (p. A4R) ‘De orde van het Tooneel’, vor allem die im französisch-klassizistischen Drama stark betonten Einheiten des Ortes und der Handlung, bestimmte Jan de Marre allerdings dazu, entgegen der historischen Realität in sein Stück die Begegnung Jacobas van Beieren mit Philips van Bourgondiën auf Schloß Rupelmonde einzuführen.Ga naar eindnoot6 Dies räumte ihm gleichzeitig die Möglichkeit ein, der unten beschriebenen politischen Kontroverse durch die direkte Konfrontation der Gegner mehr Überzeugungskraft zu verleihen. Außerdem drängte er die einige Monate währenden Auseinandersetzungen auf die klassische Zeitspanne von vierundzwanzig Stunden zusammen, um so auch die Anforderungen an die Einheit der Zeit zu erfüllen. Das Drama behandelt die für ein Stück mit nationalem Stoff traditionalistische Konstellation des ‘vaterländischen Helden’, in diesem Falle Jacoba van Beieren, die im Titel ausdrücklich ‘Gravin van Holland en Zeeland’ genannt wird, der einem fremden Fürsten - Herzog Philips - gegenübersteht. Freiheit wird mit Tyrannei, Recht mit Unrecht konfrontiert. Der aus dieser Situation notwendig entstehende Konflikt endet im vaterländischen Drama häufig in einem triumphalen Sieg der Freiheit oder in deren tragischer Niederlage, die dann jedoch regelmäßig durch die Prophezeiung künftiger Rettung und nationaler Größe eine Sinngebung erfährt. Man denke nur an Hoofts Baeto, Vondels Gijsbreght oder die Umdeutung der Niederlage Haarlems in einen relativen Erfolg in den entsprechenden Dramen des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, indem nämlich durch die Bindung starker spanischer Militärkräfte über einen so langen Zeitraum hinweg der heldische Widerstand Leidens erst möglich geworden sei.Ga naar eindnoot7 Auffallenderweise hat De Marre diesen Weg nicht beschritten. Der Verlust der Freiheit Hollands, die endgültige politische Niederlage Jacobas und der Sieg des burgundischen Machtanspruches, den er in Übereinstimmung mit den historischen Tatsachen darstellt, wird nicht beklagt, sondern im Gegenteil als ein Triumph der politischen Vernunft gedeutet. Jacoba van Beieren erläutert in ihrer Ansprache an Philips am Schluß des Stückes, worin diese politische Vernunft besteht: Wel aan; ik wil, om 't heil van myn verdrukte Staaten,
Om myn' van Borsselen, 't gezach u overlaaten;
'k Wil hen dus uwe wraak onttrekken: ja: wyl zy
Hn leven, goed en bloed voor myne heerschappy
Opzetten, wil ik, om hen eenmaal rust te baaren,
Myn Staatsvermogen, ja my zelf voor hen niet spaaren.
[...] Wat hebbe ik aan myn Landen,
Verdeeld, beroofd, verwoest tot in hunne ingewanden?
'k Zeg niet, dat gy my dwingt my van 't gezach te ontslaan.
Ik kan ontvluchten; ik kan noch uw hand ontgaan.
Maar weet vry, zo ik noch behouw myn heerschappyë,
Dat ik my wreeken moet van uwe dwinglandyë.
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Maar neen, dit staak ik, niet uit vrees, maar om 't belang
Van myne Volken, en hunn' wissen ondergang. (V.xiii, p. 77)
Sie gibt den Kampf auf, nicht aus Angst vor Philips' Macht, sondern aus Einsicht in das Wohl ihres Volkes. Nachdem dieses Gut und Blut für seine Fürstin geopfert hat, verzichtet Jacoba freiwillig auf ihre Herrschaftsrechte, um ihre Untertanen vor den grauenhaften Folgen eines neuerlichen Bürgerkrieges zu bewahren. Diese Haltung nötigt Philips jenen Respekt ab, mit dem De Marre das Stück beschließt und Jacoba damit doch noch zur Siegerin erklärt: Vorstin! kan 't mooglyk zyn? Wat groote zegepraal! [...]
Gy hebt grootmoedig my, en ook u zelf verwonnen. (V.xiii, p. 77)
Um dem Leser diesen Ausgang des Dramas angemessen erscheinen zu lassen, nuanciert De Marre die Figur des Gegenspielers seiner Heldin. Philips ist nicht nur der machthungrige Tyrann, sondern auch - gerade durch seine Machtfülle - der berufene Bewahrer des (inneren) Friedens. Diesen positiven Zug der Figur erhält De Marre im ganzen Stück aufrecht, er ist eine wesentliche Voraussetzung für die Glaubhaftigkeit der Konfliktlösung am Schluß. Der Gedanke, daß die Aufgabe von Rechten, wie sie der Herrschaftsverzicht Jacobas darstellt, dem gefährlichen Risiko des Kampfes gegen einen viel stärkeren Feind vorzuziehen sei, daß der Frieden vor der Freiheit komme, weist interessante Parallelen mit den Lehren von Hugo Grotius auf. Diese Zusammenhänge zu zeigen, ist das Anliegen dieses Artikels. | |||||||||||||||||||||||||
3. Jacoba und PhilipsJacobas Widerstand gegen Philips van Bourgondiën ist von Anfang an ein politisch motivierter, die heimliche Heirat mit Frank van Borsselen nur der Anlaß eines tiefergehenden Konfliktes. Dies wird in der ersten Ansprache Philips' an seine Getreuen deutlich, in der er Jacobas Heirat sofort mit ihren politischen Ambitionen und dem Widerstand gegen den Vertrag von Delft verbindet. Das unheilvolle Feuer des Bürgerkrieges wird, angefacht von Jacobas vertragsbrüchiger Eheschließung, wieder aufflammen, wenn Philips ihm nicht zuvorkommt: 't Hevig vuur der Inlandsche oorelogen,
Nu eerst gekluisterd, barst weêr uit in vollen gloed.
Dit drong my, om, eer 't heir der Muitren verder woed',
Een' brand te blusschen, die te ligterlage aan 't blaaken,
Het zuchtend Holland tot een puinhoop dreigt te maaken.
Ik zwyg wat recht my op dien Staat is toegestaan:
Wat vreêverdrag ik met myn Nicht heb aangegaan;
Hoe zy, die lust schept in myn' wil te wederstreven,
Niet tegen myn besluit zich kan in d' echt begeven;
Ja hoe ik yverde om de rust der Heerschappy.
Gy weet dit. Maar wat schand! nu poogtze myn voogdy
Te ontworstlen, en, tot smaad van bloedverwand en vrinden,
Zich aan myn' Dienaar door een snoode trouw te binden. (II.i, p. 14)
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Gleich im ersten Streitgespräch der beiden Widersacher prallen die politischen Meinungen aufeinander. Jacoba sieht in der Verhaftung Van Borsselens durch Philips einen Rechtsbruch. Die Maßnahme des Herzogs kränkt ihre Stellung als souveräne Fürstin, die sie ihrer Interpretation des Vertrages von Delft zufolge, der Philips lediglich zum Regenten bestimmt, noch immer besitzt.Ga naar eindnoot8 Ferner schändet Philips' Vorgehen gegen Frank van Borsselen die holländischen Volksrechte.Ga naar eindnoot9 Deren Schutz betrachtet Jacoba, entsprechend ihrem Eid bei der Regierungsübernahme, als wichtige Aufgabe der Landesherrin: Ik zoek het voorrecht van myn volken voor te staan;
'k Wil hen beschermen, naar den eed door my gedaan;
'k Zoek hen door liefde, niet door vrees, tot my te trekken,
En wil, zo veel ik kan, hen tot een Schutsvrouw strekken. (II.viii, p. 25)
Entschieden weist sie den burgundischen Vorherrschaftsanspruch über die gesamten Niederlande zurück, Philips' ‘heerszucht’ liefert ihr das Recht zum Bruch des Vertrages - wie ihn die Heirat ja darstellt - und zum entschlossenen Widerstand. Entsprechend scharf klagt sie den Herzog an: Wilt gy ons allen, gy Heerszugtige! verdelgen!
Poogt dan Bourgonje-alleen gantsch Neêrland in te zwelgen?
Maar was ik wel verpligt myn woord te houden? Neen.
Om 't Vaderland, 't Geloof, de Vryheit, eere, en leven,
Word een gedwongen eed met recht den schop gegeeven. (III.iv, p. 38)
In ihrer Argumentation tauchen die für ein vaterländisches Drama traditionellen Begriffe ‘Vaderland’, ‘Geloof’, ‘Vryheit’, ‘ere’, ‘leven’ auf, nicht zufällig in dieser Schreibung und Reihenfolge. De Marre hat sich damit am traditionellen Bild des vaterländischen Helden aus den Aufstandstagen orientiert, was schon aus dem Anachronismus des Streites um ‘'t Geloof’ hervorgeht, der im Stück übrigens nirgendwo sonst eine Rolle spielt. Ihren rechtmäßigen politischen Anspruch gegenüber Philips verteidigt sie mit Hilfe des Erbrechtes und der Zustimmung der Untertanen zu ihrem Regierungsantritt.Ga naar eindnoot10 Übereinstimmend mit Jacobas entschlossener Bereitschaft zum Widerstand legt De Marre den Nachdruck bei ihrer Charakterzeichnung auf ihre Kühnheit und Freiheitsliebe, läßt sie im Stück jedoch auch eine charakterliche Entwicklung durchmachen. Von zunehmender Erbitterung über Philips' machtbewußtes Verhalten getrieben, ist sie zunächst vom Verlangen nach Rache für die ihr angetane politische und menschliche Schmach so sehr erfüllt, daß selbst Van Borsselen, neue Kriegsgreuel voraussehend, mahnt: Blusch, blusch het wraakvuur dat uw' boezem mogt ontsteken. (IV.v, p.49)
Gerade ihr innerer Kampf um die Versöhnungsbereitschaft, der Holland schließlich den Frieden bewahrt, unterstreicht die Tragweite von Jacobas Entscheidung. Ihre historische Größe liegt für Jan de Marre darin, daß sie in letzter Minute das politisch Unausweichliche anerkennt, Philips den Sieg überläßt und so den Frieden rettet. Jacoba zeigt damit einen Mut, der von der Welt nur allzuoft verkannt wird: | |||||||||||||||||||||||||
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De waereld lastre my, als laf en zonder moed;
Ik wil myn Hoogheit niet weêr zoeken in het bloed,
En op het graf myns volks. (V.xiii, p. 77)
Sie bleibt damit die moralische Siegerin des Stückes. Jacobas Gegenspieler Philips van Bourgondiën erscheint dem Zuschauer zunächst als tyrannischer Selbstherrscher. Volksrechte, wie sie Jacoba betont, existieren für ihn nicht. Er kennt lediglich eine Tugend des Untertanen, den Gehorsam. Sein ausgeprägtes Machtbewußtsein dient nur einem Ziel, nämlich der Eroberung der Herrschaft in den gesamten Niederlanden. Welk een geluk! ik zal dien dag dan nog beleeven,
Dat ik gantsch Nederland, alleen, de wet zal geeven? (IV.ix, p.54)
Im Gegensatz zu Jacoba ist Philips der Meinung, mit dem Vertrag von Delft habe sich Holland ihm vollständig ausgeliefert, es gehöre nun zu seinen Ländern und sei ihm rechtmäßig untertan. Er gründet diesen Anspruch auf seine objektiv viel gewaltigere Macht, von der Jacobas Herrschaftsrechte gänzlich abhängig sind.Ga naar eindnoot11 Ihren Appell an seinen Respekt vor den altverbrieften Rechten beantwortet er lakonisch: Ik heb alleen die magt, tot staving van 's Lands wetten. (II.viii, p. 25)
Philips will damit gleichzeitig seinen Anspruch auf die höchste Staatsgewalt in den Niederlanden legitimieren, die seiner Ansicht nach nur demjenigen zukommen kann, der das Recht durchzusetzen und damit den Staat vor dem Chaos zu behüten weiß. Eine Auffassung, die freilich auch zur Rechtfertigung einer rücksichtslosen Machtpolitik herhalten muß. In Philips' Beweisführung gegen das Aufbegehren Jacobas taucht andererseits immer wieder die Sorge um den Erhalt des inneren Friedens auf. De Marre führt die Figur mit der oben zitierten Ansprache an seine Getreuen ins Stück ein, in der die Wiederherstellung des Friedens als Ziel benannt und Jacoba die Schuld an der neuentfachten Flamme des Bürgerkriegs gegeben wird.Ga naar eindnoot12 Diese Argumentation wiederholt er in fast allen Diskussionen des Dramas. Zweifelt der Zuschauer zunächst noch an der ehrlichen Absicht des Herzogs und hält er seine Warnungen für Demagogie, so zeigt De Marre Philips auch im Gespräch mit seinem Vertrauten und in einem Monolog, entblößt von der Notwendigkeit der Täuschung, von diesem Gedanken tief bewegt.Ga naar eindnoot13 Hiermit liefert der Autor ein Zeichen dafür, daß er Philips' Appelle nicht nur als propagandistischen Schachzug verstanden wissen wollte. In der Sorge um den Frieden äußert sich Philips' Staatsklugheit. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß sich in De Marres Drama mit den Figuren Jacoba und Philips zunächst die Freiheitsheldin und der Tyrann gegenüberstehen. Jacoba beharrt auf der Einhaltung der holländischen Volksrechte, deren Schutz ihr als Fürstin obliegt. Sie betrachtet Philips lediglich als Verwalter ihrer Länder und weist seinen Herrschaftsanspruch über Holland zurück. Philips hingegen lehnt jede Beschränkung seiner Macht ab. Aufgrund seiner überlegenen Stellung besteht für ihn kein Zweifel an der völligen Unterwerfung Hollands. Dessen Einwohner begreift er als seine Untertanen. Mit Hilfe des nachdrücklichen Eintretens des | |||||||||||||||||||||||||
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Herzogs für den Frieden jedoch erreicht Jan de Marre eine Nuancierung der Figur. Er bricht damit das Schema Freiheitsheldin gegen Tyrann auf. Philips' politischer und Jacobas moralischer Sieg verhindern letztlich einen Bürgerkrieg, und dieses Ergebnis, so bemüht sich der Autor zu vermitteln, rechtfertigt ihre Handlungsweise. | |||||||||||||||||||||||||
4. Das Ringen um den FriedenJan de Marre's Jacoba van Beieren durchlebt im Verlauf des Stückes einen tiefgreifenden Wandlungsprozeß ihrer politischen Haltung. Aus der anfänglich entschlossenen Bereitschaft zum Widerstand gegen Philips' Machtstreben wird letztlich die einsichtige Akzeptanz seines Herrschaftsantrittes über Holland. Im Folgenden wird versucht, die politischen Aussagen der beiden Kontrahenten vor dem Hintergrund der Lehren von Hugo Grotius zu betrachten und der Frage nachzugehen, durch welche Argumentation Jan de Marre den Ausgang seines Stückes politisch akzeptabel erscheinen lassen konnte. Die Verbindung zu Grotius ergibt sich zunächst durch Jacobas Befolgung der Gebote der Liebe zu ihrem Volk. Sie hält nicht starrköpfig an tatsächlichen oder vermeintlichen Rechten fest, sondern verzichtet zugunsten der Allgemeinheit. Diese Haltung stimmt mit Grotius' Lehren überein, der in seinem 1625 veröffentlichten Werk De iure belli ac pacis schrieb: ‘Die Pflichten der Liebe gehen weiter als die Regeln des Rechts’.Ga naar eindnoot14 Ein Wort, das gleichsam als Motto über diesem ‘Fürstenspiegel’ stehen könnte, der, mehr noch als er die entartete Kriegführung in den christlichen Ländern in rechtliche Bahnen zu lenken bestrebt war, eine Ermahnung zum Frieden sein wollte. Zur Entstehungszeit des Stückes Jacoba van Beieren hatte Grotius als Staatsrechtslehrer und christlicher Moralist noch nichts von seiner Autorität eingebüßt.Ga naar eindnoot15 Sein Hauptwerk De iure belli ac pacis, von dem bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts etwa alle drei Jahre eine Neuauflage erschien - die Mehrzahl davon in den NiederlandenGa naar eindnoot16 - wurde an vielen nordeuropäischen Universitäten als Lehrbuch des Staatsrechts genutzt.Ga naar eindnoot17 Zwei fundamentale Punkte in Grotius' Werk sind für De Marres Stück von Wichtigkeit: die Vertragstreue und das Widerstandsrecht. Auf dem Gesetz der Treue ruht für Grotius gleichsam die Welt, denn Gott, der Grund alles Bestehenden und die Quelle des Naturrechts selbst, ist unbedingt an seine in der Offenbarung gegebenen Zusagen gebunden. Er würde ‘gegen seine Natur handeln, wenn er das Verheißene nicht gewährte. Hieraus ergibt sich, daß die Pflicht zur Erfüllung des Versprochenen aus der Natur der unveränderten Gerechtigkeit kommt, die sowohl Gott als allen vernünftigen Wesen in ihrer Weise gemeinsam ist.’Ga naar eindnoot18 Die Aufgabe, ein gegebenes Versprechen einzuhalten, ist demnach dem Menschen als einem Vernunftwesen unwiderruflich angeboren. Aus dieser grundlegenden Einsicht in Grotius' Werk folgt auch die Pflicht zur strikten Einhaltung von Abmachungen, die in einem bürgerlichen Rechtsstreit oder zwischen zwei Staaten geschlossen wurden, denn ohne diese Vertragstreue kann es niemals zu einem dauerhaften Frieden kommen.Ga naar eindnoot19 Da Grotius den Frieden stets höher als den persönlichen oder politischen Vorteil stellt, läßt er für einen Vertragsbruch nahezu keine Ausnahme gelten. Der zur Bekräftigung eines Vertrages hinzutretende Eid, | |||||||||||||||||||||||||
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den Jacoba mit ihrer den Bestimmungen des Delfter Vertrages widersprechenden Heirat gebrochen hat,Ga naar eindnoot20 ist für Grotius von der größten Bedeutung. Durch die nachdrückliche Betonung der Unantastbarkeit des Eides unterstreicht er die Wichtigkeit der Vertragstreue, der Eid gilt ihm gewissermaßen als eine religiöse Versicherung.Ga naar eindnoot21 Eide sind wegen ihres göttlichen Hintergrundes auch gegenüber Räubern, Tyrannen und Verrätern zu erfüllen.Ga naar eindnoot22 Besonderes Gewicht legt Grotius auf das Wort von Königen und Fürsten, das an sich schon als Eid gelte. Denn, so schreibt er, ‘Cicero preist die Hand, die am festesten nicht im Kriege und in der Schlacht, sondern im Versprechen und Worthalten gewesen sei.’Ga naar eindnoot23 Dabei betont er die beinahe absolute Bindung der Inhaber der höchsten Gewalt an ihren Eid.Ga naar eindnoot24 Vor dem Hintergrund dieser Argumentation von Hugo Grotius läßt sich Jacobas Vertragsbruch folglich nur schwer rechtfertigen. Dennoch ist es angebracht, sich mit den Gründen näher zu befassen, die Jacoba zur Verteidigung ihrer Handlungsweise ins Feld führt: Om 't Vaderland, 't Geloof, de Vryheit, eere, en leven,
Word een gedwongen eed met recht den schop gegeeven.
Ik was ook, door geweld en listen overmand,
Gedwongen; en ik zwoer tot nadeel van myn Land,
'k Verried myn volk, dat, wars van uwe dwingelandyë,
Vervloekte 't lastig juk van uwe heerschappyë,
Ik mag met reden my verbinden, om myn Staat
Dus niet vervreemd te zien. (III.iv, p. 38)
Ihre Rechtfertigung enthält demnach zwei Teile: Der Vertrag von Delft ist ungültig wegen einer bestehenden Zwangssituation, unter der er geschlossen wurde und aufgrund der Nachteile, die er für das Volk bedeuten muß. Dies erlaube ihr, gegen Philips' Herrschaftsanmaßung ein Bündnis einzugehen. Nach Grotius ist ein aus Furcht gegebenes Versprechen in der Tat dann hinfällig, wenn es nicht auf einem Rechtsanspruch desjenigen basiert, der aus diesem Versprechen einen Vorteil erlangt hat.Ga naar eindnoot25 Philips widerlegt dies überzeugend durch den Hinweis auf die Tatsache, daß er mit Bewilligung der Staaten die Herrschaft über Holland angetreten hat. Sein Recht wird zudem von der Entscheidung Jans IV. von Brabant gestützt, der ihm bereits vor seinem Ableben die Herrschaft übertrug. Eine Maßnahme, die mit dem Vertrag von Delft lediglich durch Jacoba und ihre Parteigänger sanktioniert wurde.Ga naar eindnoot26 Da Philips demnach einen Rechtsanspruch auf die Herrschaft besitzt, ist Jacobas erstes Argument hinfällig. Schwieriger ist die Frage zu entscheiden, ob durch Philips' Regierungsübernahme dem Volk in der Tat Nachteile entstanden sind. Das würde selbst nach Grotius' stark eingeschränkter Auffassung vom Widerstandsrecht, die unten näher erläutert wird, eine Rückgängigmachung der Vereinbarungen rechtfertigen.Ga naar eindnoot27 Philips tritt diesem Argument in jeder sich bietenden Situation mit dem Hinweis auf die Erhaltung des Friedens entgegen, der durch Jacobas Schritt gefährdet ist und in seinen Augen das höchste Interesse der Untertanen darstellt. In einer längeren Rede schildert er Jacoba eindringlich die blutigen Ereignisse des vergangenen Bürgerkrieges und hält ihr die Konsequenz ihrer Eheschließung vor Augen: | |||||||||||||||||||||||||
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En gy,
Gy poogt, nu pas de vrede in uwe heerschappy
Die droeve plaagen door 's Lands ruste wil verzoeten,
Die snoode gruwlen, tot elks leed, weër op te wroeten!
Schaam u om zulk een daad, lichtvaardige Gravin! (III.iv, p.36)
Grotius hat zugegeben, es sei ‘in Wahrheit eine schwere Frage, ob man die Freiheit oder den Frieden opfern soll’. In seiner Argumentation dazu läßt er jedoch keinen Zweifel daran, daß jeder Friede unter den Bürgern nützlicher sei als der Bürgerkrieg.Ga naar eindnoot28 So gesehen, verdient Philips' Rechtfertigung zumindest Beachtung und wäre eher der militärische Widerstand Jacobas schädlich für das Volk. Der Zuschauer muß zwischen beiden Auffassungen entscheiden. Seine Sympathie wird zunächst Jacoba als der Vorkämpferin für Hollands Freiheit gehören. Die Figur Philips' bewegt sich trotz der zahlreichen Friedensbekundungen, die der Autor uns durchaus als akzeptabele Argumente präsentiert, weiterhin im Spannungsfeld zwischen ihren Charakterzügen als Friedensbringer und Tyrann, dem es allein um die Macht in Holland geht. Für den Augenblick gibt es daher keine schlüssige Antwort auf die Frage, wessen Haltung dem Volk mehr Verderben bringt. Es fällt jedoch auf, daß sich die Motive von Jacobas Widerstand im Verlaufe des Stückes ändern. Ihre Liebe zu Van Borsselen treibt sie schließlich dazu, auf Philips' Drängen einzugehen und ihrer Herrschaft zugunsten ihrer Ehe zu entsagen. Ein Schritt, der - obwohl menschlich verständlich - geradezu in Widerspruch zu ihrer früheren Haltung steht, alles für das Vaterland zu wagen. Mit dem Angebot zum Herrschaftsverzicht im vierten Akt führt De Marre den Zuschauer zu einer kritischeren Einstellung gegenüber Jacoba, ihre Glaubwürdigkeit muß dadurch verlieren. Von nun an schwankt sie in ihrer Haltung, will bald die Herrschaft aufgeben, bald sich rächen. Völlig beherrscht von ihren Leidenschaften wird sie nach der vermeintlichen Todesnachricht. Ihr Verlangen nach Rache löscht alle anderen Gefühle aus.Ga naar eindnoot29 Diese Hingabe an eine Leidenschaft, für Fürsten höchst gefährlich, bringt ihr auch die Kritik ihrer Getreuen ein, die Philips nun in seinen Friedensansuchen unterstützen.Ga naar eindnoot30 Gleichzeitig zeigt De Marre einen von Reue über den angeblichen Tod Van Borsselens gequälten Philips, der versucht, Jacoba trotz der veränderten Lage zu einem neuerlichen Friedensvertrag zu bewegen: Het is genoeg, Mevrouw: voldoe aan myne beê;
Laat ons dien bittren haat, door een' volmaakten vree,
Voor eeuwig dempen; keer gerust naar uwe Staaten. (V.v, p. 69)
Jacobas Verhalten dagegen entwickelt sich zu einer Gefahr für das Volk. Ihr Verbündeter Frederik spricht es aus: Ihre Rache würde die Leiden des Landes vervielfachen. Auch Grotius' Lehren sind eindeutig, was die Pflicht zum Verzicht auf Rache betrifft. Er ermahnt die Herrscher, welche beleidigt worden sind, im Interesse des Friedens und der Untertanen notfalls auf ihre Ansprüche zu verzichten: ‘Quintilian rät dem Fürsten, lieber nach dem Ruhm der Menschlichkeit als nach Rachsucht zu streben.’Ga naar eindnoot31 Zweifelhaft wird Jacobas Beharren auf ihrem Widerstand gegen Philips auch dadurch, daß sie damit einen bereits geschlossenen Frieden gefährdet. In Grotius Ermahnung zur Eintracht am Schluß seines Werkes | |||||||||||||||||||||||||
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heißt es unmißverständlich: ‘Ist aber der Frieden nach irgendwelchen Bedingungen geschlossen, so ist er mit der erwähnten heiligen Treue zu halten und sorgfältig jede Treulosigkeit, oder was sonst die Gemüter erbittert, fernzuhalten.’Ga naar eindnoot32 Der Frieden steht dabei höher als eine Genugtuung für erlittene Unbill: ‘Kann man also einen sicheren Frieden erlangen, so geziemt es sich, die Übeltaten und die Schädigungen und den Aufwand zu vergeben und zu vergessen; namentlich für Christen, denen Gott seinen Frieden vermacht hat.’Ga naar eindnoot33 Sobald Jacoba von ihren Rachegefühlen völlig beherrscht wird und dadurch einen Friedensschluß der Parteien verhindert, kann die oben gestellte Frage, welche Haltung dem Volke mehr zum Wohle gereicht, eindeutiger beantwortet werden: Jacoba - blind vor Haß - beachtet das Volkswohl nicht mehr. Die Retter des Vaterlandes sind ihre Verbündeten im Verein mit Philips, dessen Rolle als Tyrann damit endgültig relativiert wird. Die politische Dimension von De Marres Stück erschöpft sich jedoch nicht mit der Frage des Vertragsbruches und seiner Motivierung. Wie oben erwähnt, berührt Jacoba van Beieren auch die Frage nach dem Widerstandsrecht. Wir haben bereits festgestellt, daß Jacoba und Philips zwei unterschiedliche politische Auffassungen vertreten. Jacoba sieht sich noch stets als Inhaberin der höchsten Gewalt in Holland und betrachtet ihre Übertragung der Regierungsverantwortung auf Philips lediglich als Bündnis zum Schutz des Landes. Philips dagegen geht von einer völligen Unterwerfung Hollands aus. Jacoba begreift ihren Widerstand gegen den Herzog als Handeln einer souveränen Fürstin, die ihre bedrohten Rechte schützt. Für Philips dagegen ist Jacoba die ehr- und pflichtvergessene Anführerin einer Bande von Meuterern. Nach Grotius haben beide Ansichten über das Untertanenverhältnis in einer Situation wie der zwischen Jacoba und Philips etwas für sich. Er stellt die Frage, ‘ob bei einem ungleichen Bündnis der schwächere Teil noch die volle Staatsgewalt besitzt’ und bejaht diese ausdrücklich.Ga naar eindnoot34 Gleich darauf gibt er freilich zu bedenken: ‘Allerdings ist es richtig, daß der stärkere Bundesgenosse, wenn er an Macht sehr überlegen ist, sich allmählich die wirkliche Staatsgewalt anmaßt, namentlich wenn das Bündnis für immer abgeschlossen ist und das Recht gibt, Besatzungen in die Städte zu legen. [...] Wo die Lage so ist, kann es kommen, daß die Gewalt sich in ein Recht umwandelt [...]. Dann werden die Bundesgenossen zu Untertanen [...]’.Ga naar eindnoot35 Philips' Rechtsauffassung stimmt demnach mit dem zuletzt beschriebenen Fall überein. Seine objektiv viel stärkere Machtposition, zusammen mit den oben beschriebenen Herrschaftsrechten, machen ihn zum angewiesenen Souverän und Jacoba zur Anführerin eines Heeres von Aufständischen. Nicht nur das Treuegebot und die Gefährdung eines bereits geschlossenen Friedens, sondern auch die Ablehnung des Widerstandsrechtes bei Grotius erlauben es daher, Jacobas Argumentation mit Hilfe seiner Theorien zu widerlegen. Grotius' Bedenken gegen das Widerstandsrecht ergeben sich aus seiner, auf den Lehren des Aristoteles vom appetitus societatis beruhenden, Staatsdefinition.Ga naar eindnoot36 Demnach ist der Staat ‘eine vollkommene Verbindung freier Menschen, die sich des Rechtsschutzes und des Nutzens wegen zusammengetan haben.’Ga naar eindnoot37 Ein Widerstandsrecht ist mit dem Zweck des Staates unvereinbar: ‘Nachdem aber die staatliche Gemeinschaft zum Schutz von Ruhe und Ordnung geschaffen ist, erwächst dem Staate gegen uns und gegenüber dem, was unser ist, gewissermaßen ein noch höheres | |||||||||||||||||||||||||
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Recht, soweit dies zu dem genannten Zweck erforderlich ist. Aus diesem Grunde kann der Staat das unbeschränkte Widerstandsrecht zur Wahrung des öffentlichen Friedens und der öffentlichen Ordnung aufheben.’Ga naar eindnoot38 Der Staat verkörpert sich nun in der höchsten, souveränen GewaltGa naar eindnoot39, weswegen ein Widerstandsrecht gegen diese nahezu ausgeschlossen ist, selbst im Falle eines tyrannischen Regiments. Grotius denkt dabei vor allem an eine monarchisch regierte Gemeinschaft, obwohl er die Möglichkeit anderer Herrschaftsformen nicht völlig ausschließt.Ga naar eindnoot40 Dem Souverän räumt er eine fast unumschränkte Macht ein, er ist dem menschlichen Recht nicht unterstellt und nur den göttlichen Gesetzen unterworfen: ‘Die Obrigkeit richtet über die Einzelnen, die Könige über die Obrigkeiten und Gott über die Könige’.Ga naar eindnoot41 Diese Ordnung ist für Grotius unumstößlich. Er führt zahlreiche Zitate christlicher und klassischer Autoren an, die sich für den Gehorsam und gegen das Widerstandsrecht aussprechen, wie etwa: ‘Es ist ein allgemeines Übereinkommen des Menschengeschlechtes, daß man den Königen gehorcht’ (Augustinus) und ‘die Willkürlichkeiten der Könige müssen ertragen werden’ (Tacitus).Ga naar eindnoot42 Dabei wendet er sich unter anderem gegen die von den MonarchomachenGa naar eindnoot43 und anderen Theoretikern vertretenen AnsichtenGa naar eindnoot44, welche auch das niederländische (vaterländische) Drama des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts beeinflußt haben.Ga naar eindnoot45 Anklänge an die monarchomachische Auffassung vom Vertrag zwischen Fürst und Untertanen finden wir in Jacobas oben zitiertem Ausspruch, sie wolle für die Rechte ihres Volkes eintreten, ‘naar den eed door my gedaan’. Philips dagegen leitet, wie gezeigt, aus der einmal eroberten höchsten Gewalt ein absolutes Herrschaftsrecht ab. Ein mächtiger Herrscher ist für Grotius der beste Garant des inneren Friedens und damit Erhalter des Staates als einem nützlichen und gottgewollten Ganzen. Auch Philips' politischer Triumph findet darin seine Berechtigung. Jacobas Argumente sind damit, im Lichte der Lehren des Hugo Grotius besehen, widerlegt. Paradoxerweise konnten jedoch dem Autor ebendiese Lehren dazu dienen, Jacoba als Heldin des Stückes vollständig zu rehabilitieren. Ihre schwankende Haltung, gar ihr Verlangen nach Rache sind der notwendige Kontrast, vor dem De Marre ihren moralischen Sieg um so großartiger erscheinen lassen kann. Denn sie hat ja, nach schwerem inneren Kampf, aus freiem Willen jene von Grotius eindringlich geforderten ‘Pflichten der Liebe’ erfüllt. Nochmals entsagt sie der Herrschaft, diesmal endgültig. Aber dieser Verzicht gehört gewissermaßen einer höheren Ordnung an. Nicht persönliche Interessen, wie die Rettung Van Borsselens, sondern das Wohl des ganzen Volkes stehen im Vordergrund. Damit ist auch die Aufgabe der ‘vaterländischen Heldin’ gelöst. Ihr Erfolg wird dadurch unterstrichen, daß Philips seine Gegner am Ende um Vergebung bittet. Gutes wird mit Gutem vergolten. Jan de Marre beschließt mit dem Triumph des Friedens, dessen Früchte Holland nun endlich genießen kann. | |||||||||||||||||||||||||
5. SchlußDe Marre unternahm in seinem Stück eine Gratwanderung zwischen der Begeisterung für den nationalen Widerstand gegen fremde Tyrannen und einer realisti- | |||||||||||||||||||||||||
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scheren politischen Auffassung, von der schon Grotius überzeugt war: der Frieden kann nur von einer mächtigen Instanz - wie es im konkreten Fall das Haus Burgund ist - gesichert werden. Um dies überzeugend darstellen zu können, nuanciert er die Figur des Tyrannen Philips und läßt ihn aufgrund seines Friedenseinsatzes als berechtigten historischen Sieger erscheinen. Literarisch gesehen gelingt es ihm damit, das im französisch-klassizistischen Drama so häufige schwarzweiß Schema bei der Charakterzeichnung der Figuren zu umgehen, was sein Stück noch interessanter macht.
Adresse des Autors: Großstraße 11, d - 12459 Berlin | |||||||||||||||||||||||||
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Bibliographie
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