De Nieuwe Taalgids. Jaargang 78
(1985)– [tijdschrift] Nieuwe Taalgids, De– Auteursrechtelijk beschermd
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Eine bisher nicht bekannte Fassung des Wilhelmusliedes aus dem Jahre 1573Eberhard NehlsenAm 10. Juli 1984 jährte sich zum 400. Male der Tag, an dem Wilhelm von Oranien in Delft ermordet wurde. Die Erinnerung an diese zentrale Persönlichkeit des niederländischen Freiheitskampfes wird seit mehr als 400 Jahren vor allem durch das Lied wachgehalten, das seinen Namen trägt, das ‘Wilhelmus’. Seit 150 Jahren ist über dieses Lied wie über kein zweites niederländisches Lied eine gewaltige Menge an Literatur erschienen, die sich mit den Problemen des Textes und der Melodie auseinandersetzt.Ga naar voetnoot1 Trotzdem sind einige Fragen, die das Lied aufwirft, weiterhin ungeklärt. So steht zwar fest, daß der Text zwischen Ende 1568 und Anfang 1572 entstanden sein muß, der genaue Zeitpunkt sowie der Verfasser sind bislang nicht mit letzter Sicherheit zu ermitteln gewesen. Als besonderer Mangel muß es in diesem Zusammenhang empfunden werden, daß das Original, der ‘Urtext’, bisher nicht aufgefunden werden konnte. Die älteste Überlieferung des niederländischen Textes findet sich in dem Geuzenliedboek von 1581,Ga naar voetnoot2 sie ist also rund 10 Jahre jünger als das Lied selbst. Als älteste Überlieferung überhaupt galt bislang eine deutsche Übersetzung, die sich in einem Liederbuch befindet, das 1580 in Frankfurt a.M. gedruckt wurde. Über die Existenz dieser Fassung wurde zum ersten Mal 1914 von C.A. Williams berichtet,Ga naar voetnoot3 doch erst 1968 wurde der Text durch H. Bruch veröffentlicht.Ga naar voetnoot4 Nun existiert eine Fassung des Liedes, die noch älter ist - eine deutsche Übersetzung aus dem Jahre 1573. Sie stammt also aus einer Zeit, die ziemlich nahe am Zeitpunkt der Entstehung des Liedes liegt. Dieser Text ist bisher von der Forschung übersehen worden. Aus diesem Grunde soll hier darüber berichtet werden. Bemerkenswert ist, daß die beiden erwähnten Fassungen keineswegs die einzigen deutschsprachigen Versionen sinds. Das Wilhelmus was schon früh im deutschsprachigen Raum bekannt und muß längere Zeit sehr verbreitet gewesen sein. So ist das Lied nicht weniger als dreizehnmal im Zeitraum zwischen 1573 und 1663 in verschiedenen Liederbüchern, Flugschriften und Flugblättern nachzuweisen. Darüberhinaus fordern | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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zahlreiche Lieder des 16. und 17. Jahrhunderts als Melodieangabe: ‘Im Thon: Wilhelmus von Nassauen’. U.a. diente das Wilhelmuslied als Vorlage für ein Lied mit dem Anfang: ‘Wilhelm bin ich der Telle, voll Heldesmuoth und Bluot’, ein im 17. und 18. Jahrhundert weitverbreitetes Tellenlied in der Schweiz. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Zur Flugschrift von 1573Die Fassung des Wilhelmusliedes von 1573 ist in einer Flugschrift erhalten, die sich in der Stadt- und Universitätsbibliothek zu Bern unter der Signatur ‘Rar. fol. 1: Engelmann 237’ befindet.Ga naar voetnoot5 Der Titel lautet: Ein schön neüw Lied/ von dem Printzen von Vranien. Wilhelm von Nassawe/ bin ich von Teütschem Blůt. Ĭm Thon. Wie man das Lied vom Grafen von Rom singet. (Holzschnitt) 1573.
Die Flugschrift besteht aus vier unnumerierten Blättern. Drucker und Druckort sind nicht angegeben. Ähnlichkeiten der Schlußvignette mit Vignetten in anderen Drucken, sowie die Verwendung des Buchstabens ‘ü’ in den Wörtern ‘neüw’ und ‘Teüt- | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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schem’ im Titel (und zwar nur im Titel), wie sie häufig in süddeutschen und schweizerischen Drucken anzutreffen ist, lassen auf Süddeutschland oder die Schweiz als Druckort schließen. Es muß keinerlei Zweifel daran bestehen, daß diese Flugschrift tatsächlich aus dem Jahre 1573 stammt. Einerseits ist die aufgedruckte Jahreszahl eindeutig, andererseits wird die Datierung auch durch die besondere Gestalt des Textes unterstützt, wie noch zu zeigen sein wird. Über die Geschichte dieser Flugschrift ist wenig zu ermitteln. Sie war im Besitz des Schweizer Sammlers Dr. Engelmann, und nach dessen Tod kam sie vor rund 50 Jahren als Teil seines Nachlasses in den Besitz der Stadt- und Universitätsbibliothek zu Bern.Ga naar voetnoot6 Interessant ist, daß der Titel auf eine Melodie verweist, die nicht mit der uns geläufigen Melodie des Wilhelmusliedes und seinen Varianten identisch ist. Die Melodie des ‘Grafen von Rom’ wird auch von den meisten anderen Drucken des Liedes in deutscher Sprache verlangt. Dieses Lied war in den Niederlanden durchaus bekannt, zwei Geusenlieder verlangen es als Melodie,Ga naar voetnoot7 doch nirgends ist es bezeugt, daß es mit dem Wilhelmuslied in Verbindung gebracht wurde. Das Wilhelmus wurde auf die ‘wijse van Chartres’ gesungen, also auf eine Melodie französischen Ursprungs. Diese ‘geläufige’ Wilhelmusmelodie ist nun wiederum auch Anfang des 17. Jahrhunderts in Deutschland nachgewiesen.Ga naar voetnoot8 So muß man davon ausgehen, daß für einige Zeit, wenigstens einige Jahrzehnte, das Wilhelmuslied in Deutschland auf zwei verschiedene Melodien gesungen worden ist. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Der TextDas Lied besteht aus 18 unnumerierten Strophen, d.h. es hat drei Strophen mehr als wir gewohnt sind. Beim näheren Hinsehen stellt sich heraus, daß nach der 7. Strophe drei Strophen eingefügt sind, die weder in dem niederländischen Text noch in den anderen deutschen Übersetzungen vorkommen. Zum Vergleich sei hier neben der Fassung von 1573 noch einmal jene Fassung abgedruckt, die bislang als die älteste Überlieferung galt.Ga naar voetnoot9 A 1573
[I][regelnummer]
WJlhelmus von Nassaw/
bin ich von Teutschem blůt
dem vatterland getrawe/
bleib ich biß in den todt/
Ein Printzen von Vranien/
bin ich frey vnuerfert/
den König von Hispanien/
hab ich all zeit geehrt.
B 1580
I[regelnummer]
Wilhelmus von Nassauwe/
bin ich von Teutschem blut/
dem Vatterlandt getrauwe/
bleib ich bisz in den todt/
Ein Printze von Uranien/
bin ich frey unerfehrt/
den König von Hispanien/
hab ich allzeit geeehrt.
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[II.][regelnummer]
Jn Gottes forcht zůleben/
hab ich allzeit getracht/
darumb bin ich vertriben/
v(problem}m Land vnd leuth gebracht/
ja Gott soll mich regieren/
als ein gůt Jnstrument/
das ich soll widerkehren/
in meinem Regiment.
[III.][regelnummer]
Leidt euch mein vndersassen/
die auffrecht sein von art/
Gott wirt euch nit verlassen/
all seit jr nun beschwert/
der fromb begert zů leben/
der bitt Gott nacht vnnd tag/
das er mir krafft wöll geben/
das ich euch helffen mag.
[IV.][regelnummer]
Leib gůt vnd allzůsamen/
hab ich euch nicht gespart/
mein brüder hoch von nammen/
die haben euch bewart/
Graff Adolff ist geblieben/
in Frießland in der schlacht/
sein Seel inn das ewige leben/
erwart des Jüngsten tag.
[V.][regelnummer]
Edel vnnd hoch geboren/
von Keiserlichem sta(problem}m/
ein Fürst des Reichs erkoren/
als ein fromb Christen mann/
vor Gottes Wort geprisen/
bin ich frey vnuerzagt/
als ein Held sonder früchten/
mein Edel blůt gewagt.
[VI.][regelnummer]
Mein schilt vnd betrawen/
seyt jhr O Gott mein Herr/
auff euch so will ich bauwen/
verlaßt mich nimmermehr/
das ich doch fromb mag bleiben/
euch dienen zů aller zeit/
die Tyranney vertreiben/
die mir meinem hertzen thůt leyd.
[VII.][regelnummer]
Von allen die mich beschwären/
vnnd mein verfolger sein/
mein Gott wöll mich bewaren/
den trewen Diener dein/
II.[regelnummer]
In Gottes forcht zu leben/
hab ich allzeit betracht/
darum bin ich vertrieben/
umb Landt und Leut gebracht/
Aber Gott sol mich regieren/
als ein gut Instrument/
dasz ich mag wider kehren/
wol in meim Regiment.
III.[regelnummer]
Leidt euch mein Undersassen/
die auffrecht seyn von art/
Gott wirt euch nit verlassen/
all seyt ir nun beschwert/
wer fromb begert zu leben/
der bitt Gott nacht vund tag/
dasz er mir kraft wöll geben/
dasz ich euch helffen mag.
IV.[regelnummer]
Leib und Gut als zusammen/
habe ich nit gespart/
mein Brüder hoch von Namen/
haben euch auch verwart/
Graff Adolff ist geblieben/
In Frieslandt in der Schlacht/
sein Seel im ewigen Leben/
erwart den Jüngsten Tag.
V.[regelnummer]
Edel und Hochgeboren/
von Keyserlichem stamm/
ein Fürst desz Reichs erkoren/
als ein fromb Christen mann/
Für Gottes wort geprisen/
hab ich frey unverzagt/
als ein Held sonder forchten/
mein edel blut gewagt.
VI.[regelnummer]
Mein Schild und mein vertrauwen/
bistu O Gott mein Herr/
auff dich so wil ich bauwen/
verlasz mich nimmer mehr/
Dasz ich doch fromb mag bleiben/
dir dienen zu aller stund/
die Tyranney vertreiben/
die mir mein hertz durchwund.
VII.[regelnummer]
Von allen die mich beschweren/
und mein Verfolger seyn/
mein Gott wöllst doch bewaren/
den treuwen Diener dein/
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das sie mich nicht vbereylen/
in jrem bösen můt/
jr hende nicht zůwäschen/
inn meinem vnschuldigen blůt.
Ach Harlē halt dich veste/
du edle Jungfraw schon/
euch kommen vil frembder Geste/
die wöllen euch nemmen die Kron/
euch wirt Gott nicht verlassen/
bitt Gott umb gnade schon/
das er euch wöll behütē/
euch lassen die Jungkfräwliche
Kron.
Jr Burger in gemeine/
nun seit auch wol gemůt/
jr Weiber groß vnd kleine/
für disem Spannischen blůt/
ich edel Printz hochgeboren/
von Adelichem sta(problem}m/
ich soll euch nicht verlassen/
als ein fromb Christen mann.
Nun wöllen wir heben an zůstreiten/
mit Ritterlicher wehr/
Gottes wort wöllen wir außbreiten/
vnd loben sein heilige lehr/
das er vns wöll kommen zů hilffe/
mit seiner gnaden groß/
das wir vnsere feind erschlagen/
vnnd machen vnseren nammen groß.
[VIII.][regelnummer]
Als Dauid můste fliehen/
vor Saul dem Tyrann/
so hab ich müssen seuchten/
mit manchem Edelmann/
mein Gott hat jhn erhaben/
erlößt auß aller noth/
in Jsrael gegeben/
ein Königreich sehr groß.
[IX.][regelnummer]
Nach dem leydt soll ich empfangen/
von Gott dem Herren süß/
darnach so thůt verlangen/
mein edel hertz vnd blůt/
Dasz sie mich nit verraschen/
in irem bösen muth/
ihr hende nit thun waschen/
in mein unschüldigen blut.
VIII.[regelnummer]
Als David muste fliehen/
vor Saulo dem Tyrann/
so hab ich müssen weichen/
mit manchem Edelmann/
Aber Gott thet in erheben/
erlösen ausz aller noth/
ein Königreich gegeben/
in Israel sehr grosz.
IX.[regelnummer]
Nach sauwr werd ich empfangen/
von Gott meim Herren das süsz/
darnach so thut verlangen/
mein Fürstelich gemüth/
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das ist dz ich mag sterben/
mit ehren in das veld/
ein ewigs Reich erwerben/
als ein getreuwer Held.
[X.][regelnummer]
Das meist thůt mich erbarmen/
in meinem widerspott/
dann das man sicht verarmen/
des Königs Land vnd gůt/
dz thůt die Spanier krencken/
O edel Niderlandt gůt/
wenn ich daran gedencke/
mein edel hertz das blůt.
[XI.][regelnummer]
Als ein Printz vffgesessen/
mit meinem Heer vnd krafft/
von dem Tyrann vermessen/
hab ich dein schlacht verwacht/
der vor mastrich lag begraben/
geförchtet mein gewalt/
mein Reuter sach man traben/
sehr můtig durch das feldt.
[XII.][regelnummer]
Wann es der will des Herren/
auff die zeit wer geweßt/
so hett ich wöllen wehren/
von euch den bösen Geist/
der Herr Gott in dem Himmel/
der alle ding regiert/
den man allzeit můß loben/
vnd hats doch nit begert.
[XIII.][regelnummer]
Sehr Printzlich was getrieben/
mein Fürstlicher můth/
standthafftig ist geblieben/
mein hertz vnnd gegenspůrth/
ich hab den Herren gebetten/
auß meines hertzen grundt/
das er mein sach wöll erretten/
meine vnschuld thůn kundt.
[XIV.][regelnummer]
Vrlaub mein arme schaffe/
die seind in grosser noth/
euwer herdt solt drumb nicht schlaffen/
all seidt jhr nun verstreuwt/
zů Gott wölt euch begeben/
sein heilsam wort nempt an/
als fromme Christen leben/
soll hier sein bald gethan.
Dasz ich doch mëge sterben/
mit Ehren in dem Feld/
ein ewigs Reich erwerben/
als ein getreuwer Held.
X.[regelnummer]
Nichts thut mich mehr erbarmen/
in meinem widersput/
denn dasz man sicht verarmen/
Desz Königs Lande gut/
Dasz auch die Spanier krencken/
O Edel Niderland gut/
wenn ich daran gedencken/
mein edel Hertz das blut.
XI.[regelnummer]
Als ein Printz auffgesessen/
mit meiner Heeres krafft/
wol von dem Feind vermessen/
hab ich die schlacht verwacht/
Der bey Mastricht lag vergraben/
beförchtet mein gewalt/
mein Reuter sach man traben/
sehr mütig durch das Feld.
XII.[regelnummer]
So es der will desz Herren/
auff die zeit wer gewest/
hett ich gern wöllen kehren/
von euch disz schwer Tempest/
Aber der Herr dort oben/
der alle ding regiert/
den man allzeit musz loben/
der hat es nit begert.
XIII.[regelnummer]
Sehr Christlich war getrieben/
mein Fürstelich gemüt/
standhafftig ist getrieben/
mein Hertz in widerspüt/
Den Herrn hab ich gebetten/
ausz meines Hertzen grund/
dasz er mein sach wöll richten/
mein unschuld machen kund.
XIV.[regelnummer]
Urlaub mein arme Schafen/
die seyn in grosser not/
euwer Hirt der sol nit schlaffen/
und seyt ir nu verstreuwt/
Zu Gott wöllt euch begeben/
sein heylsam Wort nempt an/
als fromme Christen leben/
sol hie bald seyn gethan.
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[XV.][regelnummer]
Vor Gott will ich bekennen/
vnnd seiner grossen macht/
das ich zů keinen zeiten/
den König hab veracht/
das ich mein Gott den Herren/
der höchsten Maiestat/
hab müssen obedieren/
in seiner gerechtigkeit.
AMEN.
XV.[regelnummer]
Vor Gott wil ich bekennen/
unnd seiner grossen Macht/
dasz ich zu keinen zeiten/
den König hab veracht/
Denn dasz ich Gott dem Herrn/
der höchsten Maiestet/
hab müssen obedieren/
in der Gerechtigkeyt.
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Vergleich des Textes von 1573 mit anderen deutschen Übersetzungen und der niederländischen Fassung von 1581Der Einfachheit halber will ich den Text von 1573 mit A. bezeichnen, den Text aus dem Liederbuch von 1580 mit B. und die älteste niederländische Überlieferung aus dem Geuzenliedboek von 1581 mit C. Wenn man den deutschen Text des Wilhelmusliedes von 1573 mit dem niederländischen von 1581 vergleichen will, muß man berücksichtigen, daß der im Geuzenliedboek abgedruckte Text nicht unbedingt mit der Fassung identisch sein muß, die dem Übersetzer von 1573 als Vorlage gedient hat. Der niederländische Text kann zwischen 1573 und 1581 durchaus Änderungen erfahren haben, so wie es später noch häufiger vorkommt. So heißt es in Str. XIII nach dem Geuzenliedboek 1581: Seer Prinslick was ghedreven In allen späteren Ausgaben heißt es dagegen: Seer Christelick was ghedrevenGa naar voetnoot10 Weicht A. also von C. ab, so kann es auf eine frühere niederländische Fassung hindeuten, es kann aber natürlich auch eine Eigenheit des Übersetzers sein.
Als erstes fällt auf, daß A. kein Akrostichon aufweist, wie es in C. sowie in allen anderen deutschen Fassungen vorkommt. Dieses Fehlen des Akrostichons mag damit zusammenhangen, daß A. 18 Strophen enthält, drei mehr als gewöhnlich. Somit sind drei Buchstaben ‘zuviel’ vorhanden, um den Namen ‘willem van nassov’ zu bilden. Aber auch wenn man die drei zusätzlichen Strophen, die ‘Harlem-StropheN’, unberücksichtigt läßt, ergeben die Anfangsbuchstaben offensichtlich kein Akrostichon: WILLEMVANDAWSVV Hätte der Übersetzer nur die 15 Originalstrophen übersetzt, hätte er vermutlich auch das Akrostichon übernommen, was ja - wie die anderen deutschen Fassungen zeigen - ohne große Schwierigkeiten möglich gewesen wäre. lm allgemeinen zeigt A. keine große Sorgfalt in der Übersetzung. Es wimmelt von Niederlandizismen, auch dort wo entsprechende deutsche Worte mühelos zu finden wären, z.B. VI, 1 ‘betrawen’ statt ‘vertrauen’ bzw. ‘vertraweN’, wie alle anderen Übersetzungen haben, | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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oder V, 5: vor Gottes Wort geprisen wo man ohne weiteres ‘für’ hätte übersetzen können.
Doch an einer Stelle ist ein in anderen Übersetzungen auftauchender Niederlandizismus vermieden worden, in Str. VI:
Das Reimpaar ‘stund-durchwundt’ kommt auch in den meisten anderen deutschen Fassungen vor. A übersetzt jedoch ganz anders:
Weitere interessante Einzelheiten:
‘früchten’ ist wohl ein Druckfehler für ‘fürchten’ oder ‘forchten’ wie in B.
Das niederländische Verbum ‘verraschen’ wird hier mit ‘vbereylen’ Übersetzt. B. hat als Niederlandizismus ‘verraschen’ übernommen, andere deutsche übersetzungen haben an dieser Stelle ‘verrateN’, ‘verhaschen’ oder ‘erhaschen’.
Ein Verbum ‘seuchten’ ist mir nicht bekannt. Warhrscheinlich ist einfach das niederländische Wort ‘suchten’ übernommen worden. B. hat hier ‘weicheN’, sicherlich eine richtige Übersetzung, die aber den Reim verloren gehen läßt.
Entsprechend übersetzt B. ‘fürstelich gemüth’, ein Ausdruck, der auch in den anderen deutschen Fassungen vorkommt (Nur einmal Heißt es statt ‘fürstelich’ ‘Printzelicht’). In der Fassung von 1573 haben wir also ein Unikum, vielleicht stand in der niederländischen Vorlage auch Mijn edel hert en bloet Der Reim auf ‘soet’ wäre damit erhalten Es kann aber auch sein, daß der Übersetzer von 1573 dieze Zeile mit der ähnlich klingende Zeile X, 8 verwechselt hat, wo auch das Reimpaar soet-bloet vorkommt.
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während alle anderen deutschen Übersetzungen aus unerfindlichen Gründen ‘Feind’ benutzen.
Übersetzungen übernehmen, wird hier mit ‘bösen Geist’ übersetzt.
Einige niederlandische Textausleger hat dieses doppelte ‘Prinslick’ gestört, und es entstand daher die Vermutung, daß in der Urfassung des Wilhelmus für das erste ‘Prinslick’ ein ‘Christelick’ gestanden habe. Begründet wurde das mit der Tatsache, daß alle späteren Ausgaben des Geuzenliedboek und auch die deutschen Übersetzungen ‘Christelick’ haben.Ga naar voetnoot11 Diese Vermutung wird durch A. nicht bestätigt, allerdings auch nicht die Version von C., denn an Stelle des ‘Princelick’ in der zweiten Zeile wird ‘Fürstlicher’ gebracht. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Die drei ‘Harlem-StropheN’Am merkwürdigsten an der vorliegenden Fassung des Wilhelmusliedes aus dem Jahre 1573 ssind sicher die drei nach der VII. Strophe eingefügten Strophen, die sich auf die Belagerung der Stadt Haarlem im eben demselben Jahr 1573 beziehen. Daß sie hinzugefügt sind, daß sie also nicht zu der ‘Urfassung’ des Wilhelmus gehören, wird aus mehreren Gründen ersichtlich:
- Die übrigen (ursprünglichen) 15 Strophen gehen inhaltlich von einer Lage aus, in der noch im ganzen Land die Tyrannei Herzog Albas herrschte, in der noch kein Territorium befreit worden war. Dieser Prozeß begann erst am 1.4.1572 mit der Einnahme Den Briels durch die Geusen. In dieser finsteren Zeit sollte der Bevölkerung durch das Wilhelmuslied Mut und Hoffnung gegeben werden. Die Entstehungszeit des Liedes muß also vor dem 1.4.1572 angesetzt werden. Die drei ‘Harlem-Strophen’ beziehen sich aber auf die Belagerung Haarlems, die 1573 stattfand. - Das Akrostichon geht von der Zahl von 15 Strophen aus, ein Akrostichon ist aber wie schon erwähnt hier nicht beabsichtigt oder möglich gewesen.
- Im Wilhelmus ist als durchgehendes Merkmal im Verhältnis des Sprechenden zu den Angesprochenen zu finden: Ich (der Prinz) für euch (die Niederländer) Es ist eine klare Trennung zwischen Fürst und Untertanen erkennbar. Nirgends ist ein ‘Wir’ ausgesprochen, keine Aussage in der Tendenz ‘Wir zusammen gegen unsere Feinde!’ Doch in der dritten hinzugefügten Strophe ist genau diese Idee explizit ausgesprochen: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Nun wöllen wir heben an zu streiten...
Gottes wort wöllen wir außbreiten...
das er uns wöll kommen zu hilffe...
das wir vnsere feind erschlagen/
vnnd machen vnseren nammen groß.
Wie kann man sich nun die Hinzufügung der drei Strophen erklären? Denkbar ist zum einen, daß es eine erweiterte, aktualisierte Fassung im Jahre 1573 in niederländischer Sprache gegeben hat, die dann als Ganzes ins Deutsche übersetzt und gedruckt wurde. Dafür spricht der Inhalt dieser drei ‘Harlem-Strophen’. Durch den Prinzen von Oranien in dem Mund gelegte Worte wird der Haarlemer Bevölkerung und ganz allgemein den von den Spaniern unterdrückten Niederländern Mut gemacht. Das deutsche Publikum kann sich eigentlich nicht direkt angesprochen fühlen. Solche aktualisierten Fassungen sind vom Wilhelmus zwar nicht überliefert, was aber nicht heißen muß, daß es sie nicht gegeben hat. Das Wilhelmus wurde häufiger als Vorlage für aktuelle Lieder im Kampf gegen die Spanier benutzt. In den Geusenliederbüchern wird im Laufe der Jahre nicht weniger als 17-mal das Wilhelmus als Melodie gefordert. Es ist zum andern auch denkbar, daß diese drei Strophen ursprünglich deutsch abgefaßt und in die Übersetzung eingefügt wurden. Für diese Annahme spricht, daß die erste der drei Strophen offensichtlich ein deutsches Vorbild hat. Ein Lied auf die Belagerung Magdeburgs (1551), das in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts weit verbreitet war, beginnt folgendermaßen:Ga naar voetnoot12 O Magdeburg halt dich feste,
du wolgebawtes haus,
dir kommen fremde geste,
die wöllen dich jagen auß...
Daß der Inhalt sich an die Niederländer und nicht an die Deutschen richtet, muß zu der deutschen Herkunft der drei ‘Harlem-Strophen’ nicht in Widerspruch stehen. Das ganze Wilhelmuslied ist ja als Ansprache an die Niederländer zu verstehen, was aber der weiten Verbreitung und Beliebtheit im deutschsprachigen Raum nicht im Wege gestanden hat. Die aktuelle Information über die Belagerung der Stadt Haarlem wurde so nur der Form des Wilhelmusliedes angepaßt. Es ist bemerkenswert, daß es noch mehr historisch-politische Lieder in deutscher Sprache gibt, die die Belagerung Haarlems zum Gegenstand haben.Ga naar voetnoot13 So läßt sich vermuten, daß die deutsche Öffentlichkeit regen Anteil nahm an den dramatischen Ereignissen im Nachbarland und daß in diesem Zusammenhang ein aktualisiertes Wilhelmuslied auf interessierte Zuhörer stoßen konnte.
Universität Oldenburg, 16. Okt. 1984. |
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