De Nieuwe Taalgids. Jaargang 59
(1966)– [tijdschrift] Nieuwe Taalgids, De– Auteursrechtelijk beschermd
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[Nummer 2]Die Ursulagestalt in Vondels ‘Maeghden’Ga naar voetnoot*Die holländische Vondelforschung beschäftigt sich sehr eingehend mit der Frage, ob Vondel in den Maeghden ein katholisches Credo verkünden wollte, oder nicht. B.H. Molkenboer hat in seinem Aufsatz Wanneer werd Vondel Katholiek?Ga naar voetnoot1 den Versuch gemacht, die Auseinandersetzungen zwischen Ursula und Attila, Ursula und Beremond in. katholischem Sinn zu deuten. Nach Molkenboer ist Vondel in den Maeghden durch und durch katholisch: ‘op en top Katholiek’.Ga naar voetnoot2 Attila und Beremond repräsentieren den calvinistischen Standpunkt, führen die Argumente ins Feld, die die Reformierten gegen die Katholiken vorbrachten. Ursula verteidigt in jedem Wort den katholischen Glauben. Wenn sie von ‘d'oprechtste Godsdienst’ spricht, dann meint sie nach Molkenboer eindeutig den katholischen Gottesdienst.Ga naar voetnoot3 Die Katholizität von Ursulas Argumentation wird jedoch des öfteren an wenig überzeugendem Material bewiesen. Das gilt besonders für die folgende Stelle: d'Oprechtste Godsdienst leert geen menschen te verkorten,
Aen middelen noch eer, veel min hun bloed te storten;
Die leert ons d'Overheid, al waer 't een dwingeland,
Te dienen, in al 't geen zich tegens God niet kant.
(v. 379 - 382)
Zum Beweis für die katholische Haltung, die Molkenboer aus diesen Versen herausliest, werden Männer wie der Dominikaner Bartholomeus de Medina, Francisco de Vittoria und Domenico Bannez angeführt, die lehrten, dass man dem Ursurpator gehorchen müsse, wenn dieser nichts Falsches oder mit dem Gewissen in Widerstreit Befindliches befiehlt.Ga naar voetnoot4 Diese Stelle ist jedoch viel überzeugender von W.A.P. SmitGa naar voetnoot5 als eine typische mennonitische interpretiert worden. Er zeigt, dass der obige Wortlaut völlig mit einem Teil des mennonitischen Glaubensbekenntnisses übereinstimmt. Im Waterländischen Glaubensbekenntnis heisst es nämlich: ‘Wij kennen ons schuldich, ende door Godts woordt verbonden de Overheyt te vreesen, eere, ende ghehoorsaemheyt te bewysen, in alle zaken, niet strijdich tegen den woorde des Heeren.’Ga naar voetnoot6 Zwei Begriffe zumindest stimmen hier mit Ursulas Worten überein: der der Obrigkeit und der des Gehorsams in allen Dingen, die nicht im Widerstreit stehen mit dem Wort Gottes - bei Vondel: in allem, was sich nicht Gott widersetzt. Allerdings steht hier nichts vom Tyrannen, dem man gehorchen müsse, im Gegensatz zum Ursurpator, der in einigen katholischen | |
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Texten der Argumentation dient. Trotzdem sind die von Molkenboer angeftihrten Zitate kein Beweis für die Katholizität dieser Stelle; denn woher solite Vondel gerade diese Texte gekannt haben? Etwas anderes wäre es, wenn man Stellen beibrengen könnte, in denen z.B. Vondels Leker und Freund Marius sich über solche Fragen äussert - aber gerade hier versagt das Material.Ga naar voetnoot1 In dem katholischen Beweismaterial Molkenboers feheln die zentralen Begriffe: ‘Obrigkeit’ und ‘alles, was im Widerstreit mit Gott - oder Gottes Wort - steht.’ Dafür war in den katholischen Texten vom ‘Gewissen’ und ‘unrechten, unrichtigen Befehlen’ die Rede, denen man nicht zu gehorchen brauche. Obrigkeit - wörtlich ausgesprochen - und Gotteswort schemert aber in diesem Zusammenhang mennonitische Haupt- und Grundbegriffe gewesen zu sein. Dennoch ist der von Vondel in diesen Kontext gestellte Terminus des Tyrannen -dwingeland - sehr wesentlich. Vondel wollte wohl betonen, dass man auch Tyrannen gehorchen müsse - wenn diese sich nicht in die religiösen Fragen mischen und den Menschen ihren Glauben, ihre Gottesauffassung lassen. Dass man den Menschen in Glaubenssachen volle Freiheit sichern müsse, war jedoch einer der obersten Grundsatze der Mennoniten: sie fürchteten mehr denn alles den Bekenntniszwang und blieben dem Grundsatz immer treu, dass man wegen verschiedener Auffassungen der Lehre niemandem den Brudernamen verweigern dürfe und vollkommene Achtung der Gewissensfreiheit in Glaubenssachen allen zusichern und von allen verlangen müsse.Ga naar voetnoot2 Die zitierten Verse Ursulas sind als anti-calvinistische Spitze zu verstehen: gegen die reformierte Religion als allein gültige Staatsreligion. Tyrannei in Fragen der Religion war unannehmbar. Wer jedoch die religiöse Freiheit garantierte, hatte auch keinen Aufruhr zu befürchten. Hier setzt sich Vondel deutlich und mit allem Nachdruck von den Wiedertäufenab; dies gehört zur mennonitischen TraditionGa naar voetnoot3. Vondel meint: lasst nur Mennoniten und Katholiken ihre Religion, dann werden sie keinen Aufruhr schüren. Ursula spricht hier sowohl als Mennonitin wie als Katholikin - gegen die Calvinisten einerseits und die Wiedertäufer anderseits. Aehnlich verhalt es sich mit einer anderen Stelle, die wir im Wortlaut hierhersetzen wollen:
Attila:
Ghy styft d'oproerigheid met dien ontelbren hoop.
Ursul:
Ick stuit het oproer zelf, in 't hardste van zijn' loop,
En voe geen leeringen dan die naer vrede smaecken.
Attila:
Ghy pooght het slechte volk uw lastren diets te maecken.
Ursul:
Zoo 't lastren is, al 't geen men avrechts lastren noemt.
Attila:
Met schijn van Godsdienst word uw yd'le drift verbloemt.
Men magh uw' aenhang noch gelooven, noch vertrouwen.
Men zorght, men vreest.
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Ursul:
Voor wie? voor wapenloze vrouwen?
Voor Maeghden zonder maght? voor mans, berooft van zwaerd?
(v. 357 - 365)
Wenn man die Kontroverse Molkenboer-Smit gerade für diese Stelle genau überprüft, muss man feststellen, dass in jeder der Behauptungen gewiss ein guter Kern Wahrheit steckt.Ga naar voetnoot1 Denn einerseits ist es recht überzeugend, wenn Molkenboer aus Attilas Worten Vondels deutlichen Anticalvinismus herausliest: der Dichter habe Attila Argumente in den Mund gelegt, mit denen die antikatholischen Regierungsplakate und aufhetzenden Pamphlete gegen die Katholiken Propaganda machtenGa naar voetnoot2, und in dem ‘men zorght, men vreest’ sei eine Zusammenfassung der Hetze beschlossen, die seit Jahren gegen die niederländischen Katholiken geführt wurde. Derin gewiss enthalten Attilas Worte viel melir an Aktualität, als das aus Smits Interpretation deutlich wird; Vondel ist eben Polemiker, das muss man sich immer wieder klar machen. Sollte es sich wirklich nur um eine Art Wiedergabe oder künstlerische Transposition der Kreuzverhöre, die die schwerste Prüfung der Taufgesinnten waren, handeln?Ga naar voetnoot3 Dann müssten sich Attilas Worte irgendwie - oder doch zum Teil - mit Argumenten der Gegenseite, die doch in erster Zeit gerade Katholiken waren, identifizieren lassen. Nimmt man aber Attilas Worte für solche, die stets im Mund der Calvinisten gegen die Katholiken waren, indem sie diese als staatsgefährliche Aufwiegler hinstellten - dann gewinnt das Streitgespräch zwischen Attila und Ursula an grosser, vom Zorn des Dichters erfüllter Wahrheit. Nicht deshalb, weil er schon damals Katholik gewesen wäreGa naar voetnoot4 - denn daran zweifle ich, wie die meisten holländischen Vondelforscher - sondern weil er als wahrheits- und gerechtigkeitsliebender Mensch und Dichter jegliche Hetze und Lügenpropaganda verurteilte. Und damit Ursula nicht ausschliesslich und unzweideutig als Katholikin vom Publikum rezipiert wird - was seinem innersten Anliegen, der Wiederherstellung einer | |
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einheitlichen christlichen Kirche nur schaden konnteGa naar voetnoot1 - betont er hier und da Züge, die auch für die Mennoniten passen konnten, und sogar besonders gut passten: dort den Obrigkeitsgehorsam - und hier die Wehrlosigkeit. Es ist von grösstem Wért für unseren Zusammenhang, dass W.A.P. Smit gerade diesen Zug herausholte und die Wehrlosigkeit als typisch mennonitische Haltung erkannte.Ga naar voetnoot2 Allerdings muss hier ergänzend hinzugefügt werden, dass auch die Katholiken nicht gerade bewaffnet in Holland einhergingen, obwohl ihnen von den Calvinisten gerade dieser Vorwurf oft gemacht wurde.Ga naar voetnoot3 So spricht also Ursula hier sowohl als Mennonitin wie auch als Katholikin. Genau in dem Sinn, wie Attilas oben zitierte Worte - als Widerspiegelung der Vorwürfe, die die Calvinisten den Katholiken machten - sind meines Erachtens auch die folgenden ironischen Worte Beremonds über die Ausschweifungen der Nonnen zu werten: By u verheft men hoogh de zuiverheid der Nonnen,
En echteloozen staet, met hoop van dubbel heil;
Daer midlerwijl de faem geen ander volck zoo geil,
Noch hitsigh scheld dan dit, 't welck, op de vont geteeckent,
Zelf overspel geen schand, noch bloedschand schennis rekent;
't Welck, onder schijn, dat elck de Godheid offer brengt,
De lampen dompt, terstond in 't honderd zich vermengt,
En acht geoorelooft een blinde en donkre schennis.
(v. 620 - 627)
Sollte W.A.P. Smit mit seiner Ansicht recht haben, dass sich Beremonds Angriff ebensogut auf die Ausschweifungen der Wiedertäufer, Davidjoristen und Batenburger beziehen könneGa naar voetnoot4 - dann wären die Verse so zu verstehen, dass die Calvinisten zwischen Mennoniten und Wiedertäufern überhaupt keinen Unterschied machten, sie einfach beide ‘in einen Topf warfen’. Somit hätte also Vondel in Beremonds Worten diesen typisch calvinistischen Irrtum gebrandmarkt, Beremond hätte in Ursula eine Wiedertäuferin und Mennonitin - was für ihn ganz dasselbe war - angegriffen. Trotzdem scheint es uns überzeugender, wenn wir in Beremonds Worten einen calvinistischen Angriff gegen die Katholiken sehen. Der Text ist so gestaltet, dass er mit dem Wort ‘Nonnen’, der betonten Ehelosigkeit, dem doppelten ‘Heil’, das aus der Ehelosig- | |
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keit kommen soll, ausgesprochen an katholische Vorstellungen erinnert. Dann aberund es ist sehr auffallend, wie Beremonds antikatholische Haltung sich so oft mit der anti-mennonitischen verbindet - erinnert gerade wieder das ‘op de vont geteeckent’ an die besondere Bedeutung der Taufe bei den Taufgesinnten, den Mennoniten! Die Worte über die Eucharistie, an deren Katholizität auch Smit nicht zweifelt,Ga naar voetnoot1 müssen im genauen Kontext der Kontroverse mit Beremond interpretiert werden.
Beremond:
Uw Priesters paeien God noch daeghlix op d'autaeren
Met been, en brein, en bloed, waer in de zielen waeren;
Een leckre spijs, een dranck, die boven nektar smaeckt.
Wie 't Hunsch geslaght dan scheld, en mehscheneeters maeckt,
Gelyck 't gerucht nu loopt, die maeckt hen noch wat beters
Dan 't Christen volck, met recht gescholden Christeneeters.
(v. 603 - 608)
Molkenboer hat ganz recht, dass sich hinter der Anklage Beremonds gegen die angeblichen Praktiken der frühen Christen der Angriff der Calvinisten gegen die Kommunion verbirgt.Ga naar voetnoot2 Es geht aber nicht nur darum, dass die Reformierten die Kommunion als ‘God opeten’ und ‘God verslinden’ gehässig persifflierten, sondern auch darum, dass die Reformierten selber auf dem Standpunkt beharrten, dass Leib und Blut Christi beim Abendmahl nicht buchstäblich, sondern nur tropisch, symbolisch zu verstehen seien. Wenn also aus Beremonds Worten herauszulesen ist, dass er es barbarisch findet, dass die Christen täglich - bei der Kommunion - Leib und Blut Christi verzehren und sich daran laben, ist es gewissermassen ein Vorwurf im Gleiste der reformierten KircheGa naar voetnoot3, wenn diese natürlich auch ganz andere Argumente anzuführen wusste. Das Streitgespräch zielt natürlich nur darauf ab, dass Ursula den katholischen Standpunkt gegen den reformierten verteidigen kann und die Eucharistie im katholischen Sinn erklärt. Aber sogar hier fallen bei näherem Zusehen und genauerem Hinhören gewisse Anklänge an mennonitische Formulierungen auf, und zwar am Anfang von Ursulas Antwort, der noch keine Replik auf den Vorwurf der ‘Christeneeters’ enthält, wie doch zu erwarten wäre:
Ursula:
Ons Priesters luisteren naer geen' verzierden vond,
Maer naer d'onfeilbre stem, 't Orakel van Gods mond,
Naer Jesus, 's hemels tolck, d'almaghtige, en alwijze,
Die, onder schijn van weite, en wijndruif, tot een spijze,
En dranck, zijn lijf en bloed, des nachts, gaf, aen den disch,
Zijn jongren. Heidensch brein, dat Gods geheimenis
Noch mond gelooft, durf bits ons Christeneeters noemen,
Om met die lastering zijn' moordlust te verbloemen ...
(v. 609-616)
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Das Horchen auf die unfehlbare Stimme Christi, der das Wort Gottes verkündigt, scheint ein Anklang zu sein auf die innere Stimme Gottes, auf die die Mennoniten stets lauschten.Ga naar voetnoot1 Vondels Antidotum, das noch aus seiner mennonitischen Zeit stammt, beweist, welche grosse Bedeutung er selber dem Wort Gottes zuschriebGa naar voetnoot2. Erst nach dieser mennonitischen Reminiszenz erfolgt die Erklärung des Altarsakraments, aber nicht als eines sich täglich wiederholenden Mysteriums, nicht als der wirklichen Gegenwart Christi in der EucharistieGa naar voetnoot3, sondern in seiner historischen Entstehung und Bedeutung. Es wird erklärt als das Liebesmahl, in dem Jesus seinen Jüngern seinen Leib und sein Blut in Gestalt von Brot und Wein gab. Dieses ‘onder schijn van weite, en wijndruif, tot een spijze, en dranck’ scheint das besonders Katholische dieser Formulierung zu sein. Ursulas Erklärung des Altarsakraments mündet in die Worte der Verachtung, die die Katholikin mennonitischer Herkunft - denn als solche erscheint sie uns im ganzen Stück - dem Calvinisten entgegenschleudert: dein Gehirn kann das Mysterium Gottes nicht fassen, ist unfähig, seiner Stimme zu glauben, die nicht zu ihm dringt. Du unterstehst dich, uns ‘Christenesser’ zu nennen, nur um einen Vorwand zu haben, deine Mordlust an uns zu stillen. Wir aber sind rein von Mordlust, durch unsere Religion wird niemand, kein einziger Mensch, auch nur im geringsten verletzt, und unsere Altäre rühmen des Höchsten Ehre: Maer zoo door ons autaer des Hooghsten eer verkort,
Of eenigh mensch, aen lijf of lidt, beledight word,
Zoo ruim ick 't veld van zelf, en geef u dit gewonnen.
(v. 617-619)
Aus allem bisher Gesagten wird deutlich geworden sein, dass Vondel in Ursula eine Katholikin darstellen wollte, die in ihr Denken, ihre Vorstellungswelt mennonitische Begriffe, Gedankengänge und Werte aufzunehmen vermochte. Es ist das bahnbrechende Verdienst W.A.P. Smits, gerade das Mennonitische ihres Denkens aufgedeckt zu haben. Wenn Vondel die hier zusammengestellten mennonitischen Begriffe dem Denken seiner Ursulagestalt einverleibte, so tat er es wohl aus einer inneren Treue heraus: es war ihm nicht möglich, die ihm seit der Kindheit vertrauten und teuren Vorstellungen aus dem Herzen zu reissen, auch wenn er bereits grosse Sympathien für den Katholizismus hegte und ihm katholisches Denken immer vertrauter wurde. Zu diesen mennonitischen Vorstellungen und Begriffen gehörten: der Obrigkeitsgedanke, der Grundsatz der Gewissensfreiheit in Glaubenssachen, das Horchen auf die Stimme, das Wort Gottes, die friedliche Haltung, wozu eigene Wehrlosigkeit einerseits und ander- | |
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seits die feste Ueberzeugung gehörten, dass man niemandem ein Leides tun dürfe, die Bedeutung des Taufaktes als eines bewussten Aktes des reifen Menschen (ein Punkt, der allerdings nur von Beremond berührt wird). Es blieb vorläufig Vondels Traum, dass es eine grosse, einheitliche christliche Kirche geben könnte, in der für beides, das Katholische und das Mennonitische, Platz wäre. Aber der gemeinsame Feind beider war und blieb der Calvinismus. Dies ist aus allen Angriffen Attilas und Beremonds ersichtlich. Jedoch bei aller Hervorhebung des mennonitischen Gedankengutes darf das Katholische nicht zu kurz kommen. Denn es ist unzweifelhaft, dass das Stück eine Sympathiekundgebung für den Katholizismus ist. Vondel hat seinem Märtyrerdrama ausgesprochen katholisches Kolorit verliehen und seine Zentralfigur - ganz abgesehen von vielen einzelnen mennonitischen Anklängen - mit katholischen Züge ausgestattet. Die betonte Jesusminne Ursulas, ihre Pilgerfahrt nach Rom mit den elftausend Jungfrauen, die Charakterisierung Kölns - dem das Stück gewidmet ist - als einer echten, aufrechten Tochter Roms, die Umwandlung der Pilgerfahrt - auf dem Rückweg - in einen Kreuzzug gegen die Hunnen, die Teilnahme des legendären Papstes Cyriacus an Ursulas Zug von Rom nach Köln, der Opfertod Ursulas und ihres Gefolges, die Rettung der Stadt durch die Geister Ursulas und Aethereus' und der Ihren, die so sehr an Calderóns Standhaften Prinzen erinnert, der ausgesprochene Schönheitskult Ursulas, ihr unerschütterliches Vertrauen in ihre gottgewollte Sendung, die ihr in einem Traumgesicht geoffenbart wurde - was irgendwie an Jeanne d'Arc erinnert - alles dies sind Züge, die das Stück zu einer katholischen Märtyrertragödie stempeln.Ga naar voetnoot1 Wahrscheinlich wollte Vondel dadurch kundtun, dass er sich die neue christliche Glaubenseinheit Europas, nach der er sich sehnte, und die auch mennonitische Grundbegriffe aufnehmen konnte, dennoch schon damals unter dem Banner Roms vorstellte - auch wenn er selber noch nicht der katholischen Kirche angehörte. Dennoch muss auch hier wieder darauf aufmerksam gemacht werden, dass Ursula gewisse Züge fehlen, die in Massingers Virgin Martyr als typisch katholisch hervortreten: die Werkfrömmigkeit und der zentrale Begriff der Gnade. Verglichen jedoch mit vielen anderen Märtyrern des europäischen Dramas im 17. Jh., vor allem mit Polyeucte und dann ganz besonders mit den Märtyrergestalten des Gryphius, wirkt Vondels Ursula ausgesprochen katholisch. Hätte also Vondel eine Märtyrerin zeigen wollen, die um eines allgemein-christlichen oder gar mennonitischen Glaubens willen ihr Leben lässtGa naar voetnoot2, hätte er entweder einen ganz anderen Stoff wählen müssen (und insofern behält Molkenboers Betonung der Stoffwahl ihre Richtigkeit)Ga naar voetnoot3 - oder aber | |
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seine Heldin mit allgemein-christlichen oder mennonitischen Zügen in viel offenkundigerer Form beschenken müssen. Hätte er in ihr ein mennonitisches Idealbild gesehen, hätte er sie vor allem viel einfacher, bescheidener und demütiger zeichnen müssen. Aber gerade das hat er vermieden. Ursula ist wunderschön, und in ihrer ganzen Erscheinung von einer königlichen Hoheit. Als der Feldmarschall Juliaen sie zum ersten Male sieht, ist er vollkommen von ihr entzückt, ‘bekoort’. Er sieht sie von ferne auf ihrem Schiff nahen: in stolzer. Haltung steht sie vorne am Bugspriet, die Kreuzesfahne in der Hand. Ihr mit Hermelin besetztes Purpurkleid bewegt sich im Winde, ein Lüftchen blaht die Segel und kräuselt die Fahne. Auf ihrem Haupt strahlt eine Diamanten- und Rubinenkrone, ein goldenes Kreuz mit blauen Saphiren spielt im Sonnenlicht auf ihrem Busen.Ga naar voetnoot1 Dieses Bild der hehren Jungfrau, einer christlichen Nike von Samothrake, ist das erste, das wir von Ursula vor uns sehen. Es wird uns nicht mehr verlassen. So wird sie uns noch öfter erscheinen: hoch und hehr, den Bliek ins Weite gerichtet, alles überschauend. So wird sie später auf einem Hügel stehen, die Kreuzesfahne in der Hand, ihre Regimenter überblickend, innen zuwinkend: siegesbewusst, auch im Angesicht des nahenden Untergangs. Und so wird auch ihr Geist das Volk von Köln zum endlichen Siege führen und Attila zum Rückzug zwingen. Und stolz steht auch Ursula Attila und Beremond gegenüber. Nichts von Demut oder Bescheidenheit ist an ihr: in keiner Minute ist sie die Hilfeflehende oder Schutzsuchende. Und sie ist nicht einmal immer die Sich-Verteidigende, sehr oft ist sie die Angreifende, die Anklägerin. Als man ihr vorschlägt, Attila zu heiraten, findet sie das einfach eine Zumutung! Sie scheut sich vor keiner Majestätsbeleidigung. Sie findet Attila greulich: seine platte Nase, seinen irren Blik, seinen borstigen Bart, sein Schweinshaar. Um so eines Kerls willen Gott untreu werden - nimmermehr! Dieser Abscheu vor Attila gründet in Ursulas Schönheitskult. Sie ist nicht nur selber schön, sie betet auch die Schönheit an; zu ihrem Schönheitsideal gehören Reichtum, Glanz und Macht. So ist ihr Bräutigam Christus von strahlender Schönheit, er ist mächtig und reich, gütig und gnädig, treu und beständig:
Ursula:
Ick heb een' Bruidegom, een eenigh' Zoon, verkoren,
Den schoonsten, die noch oit van vrouwen werd geboren;
Den maghtighsten, die oit een Konings troon bezat;
Den rijeksten, die oit roemde op onuitputbren schat;
Den goedertierensten, die yemant viel genadigh;
Getrouw in zijn belofte, in liefde, en min gestadigh;
Dat 's Jesus, dien ick min, en voor wiens kroon ick stry.
(v. 655 - 661)
Serrarens hat auf die Gegenüberstellung von Schön und Hässlich bei Vondel hingewiesen. Er zeigt, dass wir die typisch barocke Wendung vom Rohen, Brutalen zum Lieblichen und Schönen bei ihm finden.Ga naar voetnoot2 Wie in Joseph in Dothan Josefs edler Schönheit das Rohe und Ungeschliffene der Schurken Levi und Simeon gegenübergestellt wird, steht auch in den Maeghden das Monstrum Attila der wunderschönen Ursula | |
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gegenüber. Aber das Wort ‘Barock’ gibt keinen Schlüssel zur Erklärung dieses Gegensatzes;Ga naar voetnoot1 auch ist es nicht der einzige und fundamentale Gegensatz, der das Werk Vondels beherrscht. Es muss etwas Ursprüngliches, einen Zentralbegriff geben, von dem aus alles Farbe und Gestalt erhält, eine Sonne, die die Menschen beleuchtet - oder in den Schatten, ins Dunkel rückt. Diese Sonne ist für Vondel die Schönheit. Diese hat bei dem Dichter zwei Gegenpole. Der eine ist das Hässliche und Brutale (Attila), der andere aber Vernichtung und Tod dieser Schönheit. Vondel, der die Schönheit anbetete, hat immer wieder ihre Zerstörung und ihren Untergang gezeigt. Mit Recht hat Anton van Duinkerken auf diese Paradoxie aufmerksam gemacht.Ga naar voetnoot2 Um dieses Phänomen zu erklären, das ein Kernproblem für das Verständnis von Vondels Werk ist, muss man sich den Tod Ursulas in seinen verschiedenen Funktionen klarmachen. Ursula stirbt als Verteidigerin ihres Glaubens, die Kreuzesfahne in der Hand. Insofern kann man ihren Tod einen Opfertod für ihren Bräutigam Christus nennen, es ist die ‘aufopfernde Liebe der Christin, die in der Erduldung des Todes ihren letzten und höchsten Triumph feiert ... denn es hat niemand eine grössere Liebe, als dass er sein Leben hingibt.’Ga naar voetnoot3 Das ist katholisch; aber es ist im Grunde auch allgemein-christlich. Jedoch ist ein solches Opfer an sich kein dramatischer Gegenstand. Ursulas Tod muss einen Sinn haben und zwar einen Sinn von grösster Tragweite. Sie opfert sich und die Ihren, um die Stadt Köln zu retten. Sie kann dies nur durch ihren gemeinsamen Tod zuwege bringen: als Lebende ist sie mit ihren Scharen viel zu schwach, um Attila Widerstand zu leisten, aber ihr Geist und die Geister der Tausende, die zu ihrem Gefolge gehören, zwingen Attila zum Rückzug. Insofern erfüllt Ursula eine welthistorische Mission: die Rettung des christlichen Europa vor der Barbarei der Hunnen. So aufgefasst, hat ihr Tod und der der Ihren einen tiefen Sinn: hier wird der Sieg des Geistes über brutale Gewahlt gefeiert. Es ist eine sinnbildliche Darstellung eines Prinzips der Weltgeschichte, das letzten Endes immer wieder triumphiert. Nur mit den Waffen des Geistes kann Barbarei überwunden werden. Dann aber bedeutet Ursulas Tod die Vollstreckung des Willens Gottes, der ihr in der Baseler Traumvision offenbart wurde. Diesem Willen fügt sie sich ohne Widerrede. Mit Recht hat Smit darauf aufmerksam gemacht, dass Vondel kein Bedürfnis hat, Ursulas Beschluss des näheren zu motivieren.Ga naar voetnoot4 Es ist möglich, dass diese Haltung in die Tradition der Taufgesinnten gehörte, wie Smit annimmt. Es ist gewiss auch richtig, dass Ursula kein sehnsüchtiges | |
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Todesverlangen hat, sondern nur aus Treue zu Jesus, der den Märtyrertod von ihr fordert, in den Tod geht.Ga naar voetnoot1 Aber schliesslich bleibt dennoch bei der Deutung ihres Todes ein letzter Rest bestehen, der nicht ganz aufgeht, ein irrationales Moment. Smit hat es sehr extrem, aber im Kern richtig formuliert: ‘Was ist der Sinn dieses Massenmordes an Ursula und den Ihren? Mussten sie sterben, um Köln zu retten? Um Attila zu so schwerer Sünde zu bringen, dass die Strafe nicht ausbleiben konnte? Aber Gott ist doch zur Erreichung seines Ziels nicht auf ein bestimmtes Mittel angewiesen.’Ga naar voetnoot2 Dieses Irrationale des Todes Ursulas, dieses Unbegreifliche des Willens Gottes hat Vondel gestaltet. Und um diesen Willen noch unbegreiflicher, noch unerforschlicher zu machen, hat er Ursula mit den herrlichsten Farben gemalt, sie als ein Meisterwerk aus Gottes Hand vor unseren Augen hingestellt. Es ist für Vondel das schlechthin Unbegreifliche, dass das Schöne untergehen muss. Es ist möglich, dass für eine solche Auffassung, für die Ueberzeugung, dass, je schöner Menschen und Städte sind, sie desto mehr einem tragischen Untergang geweiht sind, seine sehr frühen Kindheits-erinnerungen bestimmend waren. Van Duinkerken fasst eine solche Hypothese ins Auge und spricht von dem Kindheitseindruck, der möglicherweise unauslöschliche Spuren in Vondels Seele hinterlassen hat. Als das Kind neun Jahre alt war, gingen die Häuser in der Nachbarschaft von Vondels Elternhaus in Flammen auf, und vielleicht hat damals den Knaben eine unaussprechliche Angst befallen, die der Dichter nie wieder loswurde.Ga naar voetnoot3 Dann wäre dieses Irrationale von Ursulas Tod irgendwie in Vondels Angst begründet, in der Angst vor dem Untergang alles Schönen, in der Angst vor dem Tode. Aber abgesehen davon, dass wir für eine solche Hypothese keine sicheren, belegbaren Anhaltspunkte haben - und auch van Duinkerken hält dies nur für eine von vielen Möglichkeiten der Vondelinterpretation, die mit Vorsicht anzuwenden ist - ändert auch sie nichts an der Tatsache, dass hier etwas Irrationales, Unfassbares mit aller Bewusstheit gestaltet ist: Vondel sah keine andere Möglichkeit, die Unerforschlichkeit des göttlichen Ratschlusses, die ihm veimutlich sehr viel zu schaffen machte, darzustellen, als eben durch den Untergang der herrlichsten Schönheit und Jugend. Und im Gegensatz zu Gryphius lehnt sich Vondel gegen diesen völlig undurchdringlichen Willen Gottes nicht auf, sondern akzeptiert ihn ganz und gar. Ja mehr als das: Ursulas Untergang bedeutet nicht nur ein Sich-Fügen in den Willen Gottes, sondern er wird zum Triumph. Tod als Triumph, als höchste Erfüllung, als Krönung des Lebens - das zeigt Vondel im Tod Ursulas und ihrer Maeghden. Und der Tod ist um só triumphaler, als Ursula nicht allein stirbt, sondern gleich nach ihr Tausende weggemäht werden, so dass ein ungeheures Untergangsbild vor unseren Augen ersteht, ebenso grossartig wie der Untergang von Amsterdam und Köln selber. Schönheit des Untergangs und Untergang der Schönheit - wer hätte das sonst so in einem gesehen, mit so furchtbar-schönen Farben gemalt wie Vondel? Der Zusammenhang zwischen Schönheit und Tod kann sehr verschieden aufgefasst werden. Bei Shakespeare gehen Julia und Ophelia unter, weil die gesellschaft- | |
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lichen Verhältnisse so gestaltet sind, dass das Schöne und Edle an einer schlecht eingerichteten Welt zerschellt. Bei ihm ist nichts von einer religiösen Bejahung dieser Dinge, es ist eine Anklage, dass es so ist in dieser Welt. Bei Calderón ist Schönheit fast immer todbringend. So gehen sie alle unter, die ‘die Schönheit angeschaut mit Augen’. Wen Semiramis' Schönheit geblendet hat, der muss sterben.Ga naar voetnoot1 Cyprian wird durch die Liebe zur schönen JustinaGa naar voetnoot2, Crisanto durch die Liebe zur überaus schönen Daria in den Tod gezogen.Ga naar voetnoot3 Bei Vondel finden wir eine dritte Möglichkeit der Auffassung, eine völlig irrationale, begrifflich nicht fassbare, künstlerisch jedoch sehr fruchtbare. Das Junge, Schöne, Herrliche muss vergehen und feiert im Untergang seinen Triumph. Durch nichts wird die Unerforschlichkeit von Gottes Willen offenbarer als durch diese Paradoxie. Das Christentum hat aus dem Tod das Maximum von Sinnfülle und Positivität gezogen (als triumphale Auferstehung zu neuem Leben). Dass der Katholizismus eben deshalb Christi Auferstehung als Ueberwindung des körperlichen Todes viel mehr feiert als den Opfertod selbst - wie es die Protestanten tun durch die ganz besondere Heiligung des Karfreitags - das mag eines der wichtigsten Momente gewesen sein, das den Schönheitsanbeter Vondel so sehr zur katholischen Kirche hinzog. Dass die Katholische Kirche es verstanden hatte, dem Tod Schönheit abzugewinnen und in ihm den Triumph eines frommen Lebens zu sehen, muss dem von Todeserlebnissen Erschütterten ein süsser Trost gewesen sein, dem er immer wieder neuen Ausdruck gab. Wenn wir nun noch einmal auf unsere erste Frage zurückkommen, welchen Sinn, welche Funktionen Ursulas Tod hat, und inwiefern ihre Schönheit mit ihrem Tod zusammenhängt, müssen wir sagen, dass der greifbaren Gründe zwar eine Reihe sind (Opfertod, Rettung der Stadt, Sieg des Geistes über Gewalt, Fügung in Gottes Willen), dass aber das Irrationale dieses Vorganges in ihrer unaussprechlichen Schönheit beschlossen ist, als letztes unlösbares Geheimnis der Vondelschen Kunst und seines innersten Anliegens. Trotzdem geht die Gestalt Ursulas nicht in ihrer Schönheit und nicht in ihrem Tode auf. Als lebendige, von Vondel mit höchst individuellen Zügen ausgestattete Figur fesselt sie unsere besondere Aufmerksamkeit. Es wurde schon von ihrem Stolz gesprochen, und mit ihm hängt ein kleiner Zug zusammen, der sie uns menschlich noch näher bringt. Ursula ist nicht frei von einer gewissen Eitelkeit. Mit mädchenhafter Freude und kindlichem Vergnügen erzählt sie Attila von den Bemühungen ihres Aethereus um ihre Hand und von der Art, wie sie diese ausschlug. ‘Er war rasend vor Minne’, sagt sie, ‘und in Liebe entbrannt.’ (Al raezende van minne, en 't minnevier ontsteecken, v. 324). Ihre Weigerung half jedoch nichts, Aethereus kam mit einem Heer zu ihrem Vater und bedrängte ihn. Der Vater wird mit der Sache nicht fertig, Ursula selber aber weiss natürlich Rat, stellt dem jungen Mann die harte Bedingung, drei Jahre auf sie zu warten. So gewann sie Zeit, bis die Flamme des Jünglings (von der sie so gerne spricht) abkühlte. (Ick heb aldus verkoelt des Jonglings eerste vlam, v. 345). Und wie stolz ist sie auf ihren Bräutigam, als Attila selber auf ihn aufmerksam wird und ihn unter den Tausenden, die da in Schlachtordnung aufgestellt sind - nach | |
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einer Reihe prominenter Persönlichkeiten - mit sicherem Instinkt erkennt als der. Erwählten, den Rivalen. Zwar steht das nirgends, aber man fühlt es aus der besonders genauen Beschreibung heraus, die Attila von ihm gibt und die Ursula, ach wie gerne, sich anhört. Der Jüngling ist schlank und schön gewachsen, er hat kohlschwarze, glänzende Augen, sein Backenbart kommt gerade zum Vorschein; das flaumige Haar scheint die Wangen mit goldener Wolle zu bekleiden. Helle Steine blinken wie Sterne in seiner Krone, die seinen Kopf vortrefflich umspannt. Seine Hände halten das edle Zepter mit grossem Anstand - es passt zu ihm.Ga naar voetnoot1 Also auch er schön, jung, königlich - wie Ursula. Und auch er wird sterben, sich opfern, wird die Stadt retten. Was für Ursula galt, gilt auch für ihn. Ursula freut sich, dass Attila ihn erkannt hat. Sie ist stolz auf ihn; kurz vor ihrem Tode darf sie sich noch einmal seiner rühmen, mit unschuldiger Mädcheneitelkeit seinen Namen nennen: Ghy hebt den Bruidegom geschildert naer het leven.
Dat is Aethereus ...
(v. 1225/1226)
Bald aber mischt sich heiliger Ernst in ihre Worte, als sie Attila eine Erklärung abgibt über des Aethereus Bekehrung und Haltung. Dann grüsst sie der Jüngling von ferne -ein letzter Abschiedsgruss; Ursula spricht ihm, ihrem Trost, Mut zu, und sendet all ihren ‘Kreuzgenossen’ den Segen und das Geleite aller Engel des Himmels. Nun ist alle Eitelkeit von ihr abgefallen.Ga naar voetnoot2 Der Zug jedoch, um dessentwillen Ursula eine so eminente Stelle im europäischen Märtyrerdrama einnimmt, soil erst jetzt zur Sprache kommen, nachdem versucht wurde, alle theologischen Probleme zu beleuchten und das Partikuläre ihres Todes zu erfassen. Ganz gleichgültig, ob wir in Ursula eine Christin im ganz allgemeinen, über-konfessionellen Sinne sehen, oder eine Mennonitin, die allmählich zur Katholikin wird, oder eine Mennonitin, die bereits Katholikin geworden ist und nun ihre Feuerprobe besteht, oder schliesslich eine Katholikin von vornherein, die Schritt für Schritt ihren Glauben bewährt - ist und bleibt Ursula der mutige, kämpfende Mensch, der sich gegen jeglichen Gewissenszwang, gegen Gewalt und Tyrannei auflehnt und es ganz alleine wagt, einem grossen Herrscher, der halb Europa erobert hat, die Stirn zu bieten. Sie, die am Anfang gesagt hatte, dass sie die Obrigkeit anerkennt, wenn diese nichts befiehlt, was sich im Widerstreit mit Gott befindet, sie, die betont hatte, dass sie keinen Aufruhr schürt und den Frieden will, wofür ihre Waffen- und Wehrlosigkeit die beste Gewähr gibt - kann ihr Versprechen nicht einhalten, sobald der Tyrann sich als ein gottloser, ein gegen Gottes Gebote der Menschlichkeit verstossender Gewalthaber herausstellt und das, was ihr heilig ist, mit Füssen tritt. So sehr ihr Opfertod in gewissem Sinne Imitatio Christi istGa naar voetnoot3 - so ist der heilige Zorn, mit dem sie Attila | |
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und den Seinen begegnet, ebenfalls Nachfolge Christi, nämlich jenes zornigen Christus, der gekommen war, nicht um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Es gab ein Mass von Tyrannei, das auch der demütigste Christ des xvii. Jahrhunderts nicht ertragen konnte. Das war die Tyrannei in Glaubenssachen. Der frühe Vondel des Palamedes und der Hekeldichten kommt in den Maeghden noch einmal zur Sprache. Wie er sich im Palamedes gegen Moritz von Oranien und das Richterkollegium aufgelehnt hatte, das Oldenbarneveldt zum Tode verurteilt hatte, lehnt er sich auch hier gegen den Zwang, der von den Calvinisten ausgeübt wird, gegen jegliche Lügenhetze und Verunglimpfung Andersgläubiger auf. Deshalb ist es relativ gleichgültig, ob man in Ursula eine Katholikin oder Mennonitin oder eine Mischung von beiden sieht - jedenfalls repräsentiert sie eine unterdrückte Minderheit, die um das Recht kämpft, den Gott zu bekennen, den sie als den wahren erkannt hat. Trotzdem schien es uns wichtig, den Versuch zu unternehmen, ihren konfessionellen Standort einigermassen genau zu bestimmen, um die gegen sie gerichteten Angriffe in das rechte Licht zu setzen und sie nicht in einen leeren Raum fallen zu lassen. Denn das Bewundernswerte an Vondel ist ja gerade das, was ihn über viele andere Dichter von Märtyrerdramen hinaushebt: das Konkret-Gemeinte des dargestellten Märtyrertums. Wenn man Corneilles Polyeucte liest, stellt man sich oft die Frage, was Sévère eigentlich meint, wenn er so sehr für die Gleichberechtigung der christlichen Religion neben allen heidnischen Kulten, die in Rom toleriert werden, eintritt - und man weiss keine rechte Antwort zu geben. Denn Corneille kann mit diesen ‘Christen’, für die Sévère eintritt, unmöglich die Hugenotten oder Jansenisten gemeint haben. Nur bei Gryphius lässt sich mit einiger Klarheit zeigen, dass das Georgien Catharinas Schlesien und die Religion, die sie nicht preisgeben konnte, im Grunde die lutherische war.Ga naar voetnoot1 Die typisch katholischen Züge, die Massinger in The Virgin Martyr seiner Dorothea verleiht, mochten einen Angriff gegen die Verfolgung der Katholiken in England bergen. Aber niemand ist so konkret, so zeit-gebunden, so deutlich wie Vondel. Aus jedem Wort Attilas und besonders Beremonds konnte man deutlich - und für diesen Aspekt des Problems ist Molkenboers Aufsatz besonders dankenswert - den Standpunkt der Reformierten heraushören, den sie Andersgläubigen, besonders den Katholiken gegenüber, vertraten. Und aus jeder Antwort Ursulas sieht man, wie sich die anderen, Mennoniten, Remonstranten und Katholiken zu wehren hatten. In diesem Zusammenhang sei noch einmal voller Anerkennung des Aufsatzes über Vondels Bekehrung von W.A.P. Smit gedacht. Denn gerade das Konkret-Gemeinte im Werk eines vor 300 Jahren wirkenden Dichters aufzuspüren, ist die passionierendste Aufgabe, sein hic et nunc zu enthüllen und wieder lebendig zu machen. Die konfessionellen Streitfragen als solche haben doch zum grossen Teil für uns Heutige an Bedeutung und an Gehalt verloren - aber die Seele, das Gewissen eines grossen poeta militans zu enthüllen, das bleibt für jeden heutigen Forscher eine unerschöpfliche und zutiefst erregende Aufgabe. Vondel, das Gewissen seiner Zeit und seines Volkes, das ist es, was wir aus Ursulas Auflehnung gegen die Gewalt heraushören. Und hätte sie auch durch ihren | |
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Tod nicht die Stadt Köln gerettet, sie bliebe dennoch die leuchtende, überragende Gestalt, als die sie uns während des ganzen Stückes bis zu ihrem Tode erscheint. Und da wir uns zuvor so lange bei der Deutung ihres Todes aufgehalten haben, sei nun der ganze Nachdruck unserer Untersuchung noch einmal auf ihr Leben gelegt. Allerdings sind es nur wenige Stunden ihres Daseins, die wir miterleben dürfen. Aber sie genügen, um Ursula auch heute noch nach mehr als dreihundert Jahren als Muster einer grossartigen Widerstandskämpferin zu sehen, als Widerstandskämpferin auf verlorenem Posten, deren Untergang dennoch den Sieg ihrer Idee bedeutet. Als solche steht sie in der bewundernswerten Tradition des Unabhängigkeitskampfes der Niederlande gegen Spanien; sie kann jedoch auch gesehen werden als Vorkämpferin des heroischen Widerstandskampfes des holländischen Volkes in sehr viel späterer Zeit ... In diesem Zusammenhang wollen wir noch einmal versuchen, uns ihre Haltung zu verdeutlichen. Es wurde schon oben gesagt, dass Ursula sich nicht nur verteidigt, sich nicht nur wehrt und die Angriffe der Hunnen pariert, sondern dass sie selber zum Angriff übergeht und zwar in schärfster Weise. Auf diesen Aspekt der Haltung Ursulas wurde meines Wissens bisher in der Forschung nicht hingewiesen. Wir betrachten deshalb ihren Angriff gegen die heidnischen Götter etwas näher. Es scheint, dass Ursula hier nicht ausschliesslich die heidnischen Götterbräuche anklagt, sondern dass einige Wendungen zumindest so gewählt sind, dass sie - in verhüllter Weise - eine Spitze gegen die Calvinisten ahnen lassen. In dieser Hinsicht geben uns die Quellen, die Vondel benutzte, gar keinen Aufschluss. Ja, Rosa Schömer weist in ihrer Studie über die Quellen zu Vondels Maeghden eigens darauf hin, dass die von Vondel in den Versen 840/41 genannten keltischen Gottheiten Teutates und Hesus einer anderen Quelle oder Lucans Pharsalia entnommen sein müssen, und zum Beweis für die Benutzung Lucans wird ganz besonders v. 588 (Uw Tauren offeren Diaen d'uitheemsche gasten) zitiert.Ga naar voetnoot1 Jedenfalls findet sich nicht die geringste Spur des Angriffs auf die heidnischen Götter, den Vondel in Ursulas Mund legt, in den von ihm benutzten, uns bekannten Quellen.Ga naar voetnoot2 In der schon öfter herangezogenen Auseinandersetzung mit Beremond im zweiten Akt sagt Ursula: Uw Tauren offeren Diaen d'uitheemsche gasten,
En paeien de Godin met lillende ingewand,
Van menschen zonder schuld, een gruwzaeme offerhand.
Ick zwijgh van kindervier; van die, om scheel van Goden
Vol haets, den nagebuur ter offermaeltijd nooden,
Op kruiswegh, en by kerck, vol galms van pijp en zang,
En harden 't, nacht en dagh, wel zeven etmael lang.
Met nuchtren zinnen dan, na 'et huppelen en danssen,
Malkandren onderling, by tafelen en kranssen,
Gezeten in den baerd: een yeder vuist een klaeuw,
Vol oogen, en vol bloeds; en, na dien moord, al raeuw
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Den doode nagebuur half levende opgegeten.
Quansuis de Godheid smaeckt die kostelijcke beeten.
Zoo voed het Heidendom een eewigh moordkrackeel.
Zoo maeckt het van de kerk een schricklijck moordtooneel.
(v. 588 - 602)
Die Stelle scheint ein verhüllter Angriff gegen die häufigen Störungen von katholischen Gottesdiensten durch die Calvinisten zu sein. Vondel betont, dass es sich um unschuldige, andersgläubige Menschen handelt (menschen zonder schuld, scheel van Goden), dass die Uebeltaten in der Kirche stattfinden (zweimal), dass es sich um Nachbarn handelt, die man hasst (vol haets, den nagebuur; den doode nagebuur), dass man aus der Kirche eine Mordbühne macht, was sich vielleicht auf ein bestimmtes Ereignis bezieht, wovon weiter unten. Da die Ausübung des katholischen Gottesdienstes verboten war, versammelten sich die Katholiken im Geheimen, also illegal. Dieser Gottesdienst wurde strengstens überwacht und verfolgt. Dabei wird es nicht immer so glimpflich hergegangen sein, wie in einem von W.P.C. KnuttelGa naar voetnoot1 berichteten Fall. An einem Gründonnerstag dringt ein calvinistischer Staatsbeamter in ein Haus ein, in dem gerade ein katholischer Gottesdienst abgehalten wird. Die Frau des Hauses hat Geistesgegenwart und behauptet, der Niederkunft nahe zu sein, der Ehegatte sagt, er brauche Hebammen und keine Gerichtsdiener, die der Beambte gerade herbeirufen will. Der Gatte fragt, was denn der Beamte hier mitten in der Nacht suche: er wolle wohl seine Frau und sein Kind ermorden. Während dieses Gesprächs entkommen die Katholiken, und der Beamte muss unverrichteter Sache das Haus verlassen. An anderer Stelle wird berichtet, wie in einer reformierten Kirche gegen die Katholiken gehetzt wird und zwar im HaagGa naar voetnoot2; durch einen Zufall entsteht eine furchtbare Panik und man ruft, das grosse Morden der Katholiken habe begonnen. So wird wirklich aus der Kirche ‘een schricklijck moordtooneel’. Aehnliche Vorgänge hat es vielleicht öfter gegeben als wir heute noch wissen; vielleicht spielt hier Vondel an den Vorfall im Haag an oder an etwas Aehnliches. Die Opfermahlzeiten, von denen hier Ursula spricht, zu denen die Heiden Menschen anderen Glaubens einladen, um sie dann zu morden und zu verzehren, sind selbstverständlich künstlerische Transposition und barocke Uebersteigerung für das, was Vondel hier vermutlich - oder möglicherweise - gemeint hat; Ursula setzt in Kategorien und Verfahrensweisen der ‘Hunnen’ um, was sie in ihrem Innersten meint. Was Ursula hier von den Opfermahlzeiten der ‘Hunnen’ erzählt, hat durchaus authentisches Kolorit; Vondel hat es gewiss aus antiken Quellen. Diese Mahlzeiten als solche sind natürlich keine Anspielungen auf irgendwelche Greueltaten solcher Art zur Zeit Vondels; nirgends berichtet die Geschichte von Morden dieser Art, und in Holland wurde keine Bartholomäusnacht - mit umgekehrtem Vorzeichen - gehalten, Gott sei Dank. Im Gegenteil, man muss - nach der Lektüre eines so sachlichen Buches wie das von Knuttel - feststellen, dass die reformierte Kirche und die Regierung der Niederlande - trotz aller Regierungsplakate und -eingriffe mit grossem Mass gegen die Katholiken vorgegangen ist, sogar bei einem Prozess wie dem gegen Rovenius.Ga naar voetnoot3 | |
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Aber was die Katholiken verlangten, und was Vondel beabsichtigt, in eindringlichster Weise - wenn auch verhüllt - vorzutragen, war das Recht, ihren Gottesdienst öffentlich auszuübenGa naar voetnoot1 und nicht heimlich, war das Recht, einer gleichberechtigten Religion anzugehören und nicht gezwungen zu sein, immer in der Illegalität zu leben. Ursula als Mädchen tritt gleichzeitig für die Rechte der sogenannten ‘klopjes’ ein, der geistlichen Schwestern, die sich um die Erziehung der Kinder und Waisen kümmerten.Ga naar voetnoot2 Ihr bitterer, höhnischer, vor allem aggressiver Ton, in dem sie gegen die Hunnen, die reformierte Kirche losgeht, hat darin seinen Grund, dass sie die Gefahr sieht, die in eïner solchen Verfolgung, Nicht-Tolerierung .der Katholiken liegt: auf diese Weise lebten sie in ständiger Angst, waren den verschiedensten ‘Sonderaktionen’ auf eigene Faust ausgesetzt, konnten jederzeit ins Garn gelockt und sogar umgebracht werden. In dieser Meinung steht Vondel durchaus nicht allein da. Viele seiner Zeitgenossen und Amsterdamer Bürger waren der Ansicht, dass das Vorgehen gegen die Katholiken keinen Sinn habe, und dass es den Wohlstand des Landes nur beeinträchtigen konnte: denn viele gute katholische Kaufleute würden ihre Konsequenzen daraus ziehen und das Land verlassen.Ga naar voetnoot3 Für Vondel war dies gewiss nicht der ausschlaggebende Grund. Er war - wie er es bei den Taufgesinnten gelernt hatte - unbedingt für Toleranz, für Verträglichkeit und Achtung der Andersglaübigen. Gerade die Waterländer hatten diesen Standpunkt verfochten. Nicht weil Vondel schon Katholik ist, tritt er so energisch für die Gleichberechtigung der Katholiken ein, sondern weil er für Gerechtigkeit und Humanität, für Gewissensfreiheit und Menschenwürde ist. Vielleicht entschloss er sich nicht zuletzt deshalb zum Katholizismus übertreten, weil der Katholizismus eine verfolgte Religion war, und Vondel immer für die Unterdrückten Partei nahm. Es ist natürlich auch möglich, dass in den Worten Ursulas gegen die Staatskirche noch einmal der alte Zorn Vondels aufflammt, den er gegen das Verfahren der Contra-Remonstranten im Fall Oldenbarneveldts immer noch nicht ganz überwunden hatte. So ist Ursula eine der schönsten und bedeutendsten Gestalten des europäischen Märtyrerdramas im 17. Jh. Sie ist unaussprechlich schön und voller Hoheit, ist stolz und selbstbewusst, sie ist von der Wahrheit ihres Glaubens und ihrer Liebe zu Jesus zutiefst durchdrungen und in ständiger Bereitschaft, für diesen Glauben und diese Liebe ihr Leben hinzugeben. Sie hasst jegliche Tyrannei und Gewalt, Brutalität und Lügenhetze und begegnet ihr mit den beiden Eigenschaften, die zu jedem Widerstand gegen die Tyrannei die wesentlichsten sind: mit Klugheit und Mut. So sehr sie sich Gottes Willen widerspruchslos fügt und diesem demütig, ohne Aufbegehren, Folge leistet, so sehr lehnt sie sich gegen die weltliche und geistliche Gewalt auf, die diesen Willen ignoriert und überhaupt nicht ernst nimmt, ja womöglich dahinter Aufruhrabsichten wittert.Ga naar voetnoot4 Insofern ist sie eine der leidenschaftlichsten Rebellennaturen des | |
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europäischen Märtyrerdramas und gehört zu den bedeutendsten Widerstandskämpfern gegen Gewalt und Barbarei, die das europäische Drama des 17. Jhs aufzuweisen hat - eine Vorkämpferin all jener, die in unserem Jahrhundert wiedererstanden, wie-dererstehen mussten. Warschau elida maria szarota |
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