Taal en Letteren. Jaargang 8
(1898)– [tijdschrift] Taal en Letteren– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Schriften zur limburgischen Sprache und Litteratur.
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nasale differenzieren sich, indem für das n r eintritt. Differenzierung liegt ohne zweifel auch vor in dem § 144 erwähnten, auch im Mnl. bekannten sorfagteg für sorgagteg: die gutturale und labiale spirans sind nah verwante laute. Ein entsprechender fall ist wohl schwäbisch werftag für werk(el)tag. Man hat darin ein anderes wort als in werktag finden wollen, nämlich zu werben, nl. werven gehörig. Aber wenn man sieht, wie rund um das gebiet von werftag herum - man kann sich aus Fischers Atlas der Schwäb. Mdart überzeugen - werchtag (werch = werk) gebraucht wird, wird man an diese lexicalische verschiedenheit nicht glauben. Schwierigkeit macht nur, dass man im Schwäb. tag nicht mit spirantischem ch sondern mit verschlusslaut spricht, aber die eigentliche form im compositum ist -tig (nicht tag) und dies wird vielfach mit spirans gesprochen. Eine verwante differenzierung steckt vielleicht in schwëgel, zwëgel die mir z.b. aus Aachen und Roermond für schwefel bekannt sind: g für f wegen der vorangehenden labialis w. Zu einer anderen erörterung aus dem gebiete des consonantismus gibt das verbum riten anlass. Kern führt es wieder auf wrîtan zurück, obwohl sonst auch in dieser mundart anlaut. wr durchaus erhalten bleibt. Da ein sogenannter ‘lautlicher’ grund für die ungewöhnliche behandlung des wr nicht abzusehen ist, denkt man gewöhnlich an deutschen einfluss. Aber nun versuche man sich vorzustellen, wieso es gekommen sein könne, dass man im Limb., Niederl. und Niederd. grade für dieses vb. eine lehnform eingeführt habe, während doch an der einheimischen form wrîten gewiss nichts auszusetzen gewesen wäre. Man muss sich ohne zweifel zu der schon länger von mir gezogenen folgerung bequemen, dass zwei stämme wrît und rît gleichbedeutend neben einander bestanden. Diese thatsache hat an sich nicht das mindeste befremdliche, im gegenteil wird der, der den menschlichen sprachtrieb richtig würdigt, es gradezu so erwarten, und in der that gibt es dafür reichliche beispiele. Wenn z.b. für ‘nagen’ die stämme nag, gnag und knag sich nebeneinander finden, so halte ich den versuch für verfehlt, dieselben vermittelst ad hoc constuierter ‘lautgesetze’ auf eine gemeinsame grundform zu bringen (vgl. auch in dieser Ztschr. 1, 137 f. und mein Etym. Wdb. s. XIV f.). Wie wrît und rît, so haben wir z.b. auch wring und ring nebeneinander anzunehmen; s. unten. Von gewissen meinungen macht man sich aber nur schwer los, und ich fürchte, ich werde mit meiner ansicht trotz ihrer einfachheit, und wenn ich sie auch wiederholt ausspreche, nicht so leicht durchdringen. Geboten scheint mir auch eine erörterung wegen der note s. 64, wo K. meint dass ich ‘achter spellingen als mnl. leefde, vraechde veel meer zocht dan noodig is.’ Meine ansicht war folgende. Wörter wie maken, cussen haben im praet. maecte, kuste, d.h. das d der endung -de wird hinter den tonlosen lauten k und ss zum tonlosen verschlusslaut t. Wenn nun wörter wie leven und vragen im praet. zwar v nnd g in f und ch verändern, aber das d dahinter nicht zu t wird, so müssen zwar - nehme ich an - v und g wirklich zu etwas anderem geworden sein, aber doch nicht zu scharfen f nnd ch, weil sonst auch hier das -de zu -te hätte übergehen müssen. Ich füge dann hinzu ‘vieleicht sind in diesen fällen die tönende spirans und die tönende | |
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media d zu tonlosen lenes geworden,’ d.h. sie hatten lautverbindungen ergeben die zwischen vd, gd und ft, cht inne stehn, indem sie zwar nicht den stimmton haben wie die ersteren laute, aber auch nicht die starke explosion wie die letztern. K. meint hingegen: ‘daar aan 't einde van een woord v in 't geheel niet, gh minder dan ch gebruikt werd, bezigde men aan 't einde eener syllabe ook alleen f en meestal ch.’ Ich glaube dieser widerspruch beruht zunächst auf einem verkennen des charakters der mittelalterlichen schreibung, die sich zwar auch schon zuweilen grammatischen erwägungen zugänglich zeigt, d.h. eine form mit einem bestimmten buchstaben schreibt, weil eine nah zugehörige denselben hat, aber doch in ihrer grundlage durchaus phonetisch ist. Man hat sicher nicht im auslaut einer silbe f und ch geschrieben, weil man sie am ende eines wortes schrieb, sondern weil v und g im auslaut der silbe lautlich anders klangen als im silbenanlaut. Ich wüste nicht, was man gegen eine schreibung vd und gd hätte haben sollen, wenn wirklich die laute gesprochen worden wären, die man sonst mit v und g bezeichnete. Dass die grammatische schreibung g (und zb. d, in fällen wie dag, leed st. dach, leet) leichter aufkam als v statt f (kein liju st. lijf) könnte darauf weisen dass der unterschied zwischen g und ch nicht so empfindlich war wie der zwischen v und f: wenn es nicht einfach auf dem ganz äusserlichen grund beruht, dass die formen der schriftzeichen u oder v als nicht geeignet für den auslaut angesehn wurden. Dann scheint mir K. aber auch die tatsachen nicht mit der gehörigen umsicht ins auge gefasst zu haben. Das Mnl. und ebenso das Nnl. verwandeln doch auch z + d in sd, zb. peinsde. Was sollte das Nnl. gegen eine schreibung peinzde haben, wenn wirklich so gesprochen würde? Ferner hat das Mnl. bei vba. auf ng im praet. nct, zb. gehengen: gehencte. Wären praet. die wirklich lēv-de vrâg-de gesprochen wurden im charakter der mnl. sprache gewesen, so wäre nicht abzusehn, warum zu hengen (mit der ursprünglichen aussprache von ng als ñ + verschlusslaut g) nicht ein praet. heng-de gehört hätte (nnl. mengde beruht auf mengen mit der vereinfachten aussprache von ng als blossem ñ). Also die sache ist doch nicht so einfach, und ich glaube immer noch im recht zu sein. Die leser dieser zeitschrift werden es doch wohl entscheiden können, ob man bei naiver aussprache, die sich durch orthographie und grammatische überlegung nicht beeinflussen lässt, wirklich lēv-de, vrâg-de spricht, wie es Kern doch vorauszusetzen scheint. Um meine betrachtung der wertvollen gramm. arbeit nicht mit meinungsverschiedenheiten zu schliesen, will ich noch auf zwei puncte hinweisen, denen ich voll zustimme. S. 10 wird behauptet, dass ss im inlaut und s im auslaut, die aus früherem sch entstehen, sich lautlich von sonstigem ss und s unterschieden und hinzugefügt, dass sie auch im Nnl. noch nicht zusammenfallen. Denselben eindruck habe auch ich stets gehabt und infolgedessen anstoss genommen an dem versuch der neuen orthographie, sich über diesen thatsächlichen unterschied hinwegzusetzen. Allerdings kann ich es nicht mit K. für möglich halten, dass man in folge des umstandes dass das bewustsein für den (doch noch vorhandenen) unterschied verloren gegangen sei, formen | |
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wie vleezen, vleezig habe ‘machen’ können. Der sprachmachende geist fühlt solchen unterschied sehr genau. Es hat sicher, wie ich in meinen Etym. Wdb. annehme, in alter zeit ein flais neben flaisk bestanden. Dann ist mir der standpunkt erfreulich, den K. in einer nicht unwesentlichen frage einnimmt, nämlich über die angebliche verschiebung des k (§ 91). Leviticus pflichtet einfach Behaghels hypothese bei, dass sich im Limb. auslautendes k wie im Hd. zu ch verschoben habe, inlautendes hingegen nicht. Es hätte also organisch gelautet, z.b. dach ‘dak’: dake; sprach: spraken. In solchen fällen konnte nun durch ausgleich wieder dak, sprak entstehn. Aber z.b. bei ook, limb. ooch war die möglichkeit eines ausgleiches nicht vorhanden, weshalb ooch blieb. K. weist diese hypothese als ‘zeer stout’ zurück und hat die möglichkeit, solche formen mit ch (wie ooch, zich) als lehnformen aufzufassen entschieden warscheinlicher gemacht. Vollständig abgethan dürfte damit die auch stark in's sächs. sprachgebiet hineinspielende angelegenheit jedoch nicht sein. Vielleicht kommt doch ein autochthoner lautwandel, der etwa k in minderbetonter silbe betrifft, in betracht. Zum schlusse versucht K. die heimat des werkes innerhalb des limb. gebietes genauer zu bestimmen. Ohne die sicherheit seines ergebnisses zu überschätzen, aber in unbezweifelbar richtiger methode auf grund sprachlicher einzelheiten das gebiet immer mehr einschränkend kommt er auf die gegend von Mastricht oder Tongern. Dabei ist m. erachtens auch auf die einstimmung des oben erwähnten sliten mit mastrichtsch sleten (gegen sluten) gewicht zu legen. Wir wollen hier denn auch gleich eine fortsetzung dieser studien erwähnen. In ‘Philologische Studien, festgabe für Eduard Sievers zum 1. Okt. 1896.’ Halle, Niemeyer 1896 s. 221 ff. handelt K. über das pronomen bei Veldeke. Wenn er dabei dem Gloss. Bern. einen dat dig zuschreibt, so beruht das wohl auf einem versehn; aber sonst dürfte man seinen ergebnissen wohl zuzustimmen haben. Ich möchte nur auf eine möglichkeit aufmerksam machen, die Kern übersieht, dass nämlich Veldeke selbst, so weit es ihm möglich und nicht zu unbequem war, mit seiner sprache rücksicht auf das deutsche publicum genommen habe. Anz. der Zeitschr. f. deutsch. Altert. 9, 36 (vgl. dazu 17, 108) habe ich den gedanken geäussert, dass das fehlen einzelner wörter, wie blide, in der Eneide darauf zurückzuführen sei und ebenso die thatsache, dass reime von auslaut. t = d und t = t, zb. stat: sat (von sitten) oder bat (von bidden): dat, die im Mnl. durchaus geläufig sind, vermieden zu sein scheinen. Behaghel will hier einen unwahrscheinlichen starken lautunterschied zwischen den beiden t feststellen, und K. selbst, Serm. § 109 die vocaldehnung zu hilfe nehmen (bāt gegen dat). Sollte es wirklich bloss sache des zufalls sein, dass des dichters berühmter roman in den Niederlanden sozusagen unbekannt blieb, dagegen ausserhalb des eigenen sprachgebietes, in Deutschland, gradezu eine neue epoche der dichtkunst einleitete? Zum text der Sermoenen übergehend muss ich bedauern, das der herausgeber versäumt hat, seine beobachtungen über die thätigkeit des übersetzers | |
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systematisch zu verarbeiten; er teilt sie nur in den noten von fall zu fall mit und erschwert dadurch die nachprüfung seiner ansichten. Ich glaube aber dass er manchmal ohne genügenden grund fehler in der übersetzung annimmt. S. 220, 19 ff ist einen minnenden siechtagin, welches K. unter berufung auf mhd. minnendiu nôt ‘liefdesmaart’ sehr richtig mit ‘eene ziekte die bestaat in (overdreven) liefhebben, liefdeziekte’ wiedergiebt, durch enen minnentliken siekdag übersetzt. Dazu bemerkt er dass ‘de vertaling zijns inziens aan het Mhd. niet beantwoordt.’ Der zweifel ist wohl schwerlich berechtigt. Ich bin überzeugt dass der übersetzer, wie aus dem ganzen zusammenhang hervorgeht, die stelle richtig verstanden hat: und dann müssen wir auch seine übersetzung als richtig anerkennen. In seiner sprache war auch siekdag ‘krankheitszustand’ und minnentlic ‘mit der liebe verbunden’ oder ‘zur liebe gehörig.’ Dabei ist zu bedenken dass ungefähr jeder übersetzer, ja jeder schriftsteller seine sprache zum teil selbst zu bilden hat. Wenn man aber im einzelnen falle fest überzeugt sein zu dürfen glaubt, dass die worte unmöglich den verlangten sinn enthalten können, so ist, meine ich, zu erwägen ob nicht ein fehler der überlieferung, nicht des übersetzers, vorliegt. Womit ich jedoch keineswegs behaupten will, dass unserem übersetzer gar keine fehler untergelaufen seien. So wird z.b. gegen die scharfsinnige vermutung dass drirehande levene 418, 22 als übersetzung von durchnehtigem (‘vollkommenem’) lebenne auf der verlesung driueltigem statt durnehtigem beruhe kaum anzukommen sein. Sehr scharfsinnig ist auch die annahme dass s. 211 die übersetzung von daz ist niht anders wan ain verwili (diminutiv von ‘farbe’) daz huite ist unde morne niht welche lautet dit en durt nit dan ene corte wile: hiden est ende morgen nit, zu stande gekommen sei, indem der übersetzer verwilin fand und es als verwîlin (‘verweilen’) auffasste. Aber unser scharfsinn könnte uns hier doch irre führen, es wäre möglich dass absichtlich eine freiere übersetzung gewählt wurde. Ganz gewiss jedoch möchte ich den eersamen slange des Moses statt erenen slange 495, 6 doch eher einem abschreiber als dem bücherkundigen übersetzer zur last legen. Immerbin auffallend ist auch dass er mhd. senunge ‘das sehnen’ 221, 6 mit sinunge (‘gesicht?’) und senen 223, 2 mit segenen wiedergegeben haben soll (vgl. auch 219, 23.) Über die auffassung von mhd. tougen ‘verborgen’ durch den übersetzer kommt K. selbst nicht ins reine. Sicher ist es 291, 26 u. 387, 16 ganz verkehrt übersetzt; wenn aber 397, 8 doetvient ein touginen vient widergibt, so kann man das m.e. nicht ohne weiteres sagen, die übersetzung kann absichtlich gewählt sein; der dotvient, der mit einem anderen wegen einer todeswürdigen that in feindschaft steht, ist auch der tougene vient, denn damals konnte er seine rache schon nicht mehr öffentlich verfolgen. Wenn s. 351, 27 steht due S. Johannes was gevůert an stelle von inder tougini (‘verborgenheit’) was u.K. meint ‘de vertaler schijnt togini in verband te hebben gebracht met togen, getogen’ (von tien ‘trekken’), so glaube ich das sicher nicht, sondern eher dass in unserem text etwas fehlt (was.... gevůert.). 312, 32 u. 419, 27 ist die sache zweifelhaft, aber 227, 19; 229, 24 u. 421, 12 kann man über die bedeutung kaum in zweifel sein, und wir | |
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dürfen wohl annehmen dass dogentlike an diesen stellen unterschieden von dogentlike ‘tugentlich’ und mit mhd. tougenlîche identisch ist. Ich kann ferner unmöglich glauben dass der ausdruck als een dup 618, 25 und 619, 12 bloss durch ein oberdeutches diup ‘dieb’ veranlasst sei, sondern meine, der bearbeiter hat die stelle sehr gut verstanden und sich also bei als en dup - falls es nicht etwa in der überlieferung verderbt ist - nichts anders als furtive gedacht. Und dann muss es wohl auch eine zu dief gehörige form sein. Was für eine, wüste ich freilich nicht zu sagen. Die annahme, dass wir es mit dem alten femininum ahd. diupa mhd. (auch am Rhein) dpe mit verschärftem consonanten zu thun haben, würde grosse schwierigkeiten bereiten. Auch braucht die hs. ôre ‘das ohr’ nicht als femininum. Setzen wir eine nl. vorlage voraus, so könnte es freilich fem. gewesen sein. Wird man es ferner wahrscheinlich finden, dass s. 229, 11 und 13 das deutsche haften als hasten verlesen und dementsprechend mit hasten übersetzt sei, während lat. adhaerens daneben steht? Ich glaube eher dass dem übersetzer ein vb. haften intransitiv und vielleicht auch transitiv zuzuschreiben ist. Zur kennzeichnung des bearbeiters - oder der bearbeiter? K. will die möglichkeit offen lassen, dass wir es mit mehreren zu thun haben - der ‘in zijne woordenkeus fijn taalgevoel en goeden smaak verraadt’ möchte ich einige wenige beispiele anführen, die zeigen sollen, wie ihn seine sprachgewantheit unabhängig vom wortschatze seiner quelle macht. So übersetzt er 207, 1 biderbe mit vromege, 215, 17 andaht mit gedenckenisse und 209, 2 mit begeringen, 211, 4 u. 5 irwelt mit vercoren, 216, 9 gebern mit dragen, 208, 20 bewegunge enphat mit berurt wert, u. in der folg. zeile wirt geraizet unde bewegit mit wert berurt, 235, 4 upperlich gedenkin mit oppersce pinsingen, 240, 25 dar nah ziehent si sich mit dar na stellense hen. Das eine wort raizen findet sich wiedergegeben mit stoken (zb. 204, 29), creiten (s. Glossar; vgl. tennen en creiten 576, 25,) mit raden (s. darüber, sowie über reten und storen weiter unten), vielleicht auch noch anders. An einer vorher genannten stelle war dasselbe deutsche zw. in der übersetzung gespart. S. 209, 4 und 16 ist für schaden mit schaden und deren abgewechselt. An einigen stellen hat K. den text unnötig geändert oder beanstandet. So 202, 3. Ganz genau dieselbe construction, die auch sonst vorkommt, haben wir in unserem text z.b. 286, 7 f. und ebenso wieder 286, 10. - 261, 21 ist m.a. nach das ursprünglich gemeinte gelic gude denc aufzufassen als ‘gleichsam gute dinge, anscheinend gute dinge’ im gegensatz zu gude denc zeile 19 (gelic als adv. construiert), was dann einer in das strenger construierte gelic guden dengen veränderte. - Dass an 367, 15 f. dar ane sulwi oec leren ende willeglike arm sin ‘daran sollen wir auch lernen u. (sollen) willig arm sein’ etwas zu ändern sei kann ich nicht zugeben, wenn die construction auch nicht buchstäblich mit dem Deutschen stimmt. Überflüssig ist die umstellung von here und knegt 407, 17 sowie die änderung beden statt bede (imperativ); ein derartiger constructionswechel ist ganz gewöhnlich; vgl. auch Behaghel Eneide S. XCI. Hingegen würde ich die lesung gemaet 284, 20 nicht verteidigen. - Auch | |
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an die richtigkeit von tweinge geséllen für ‘zwietracht stillen’ kann ich nicht recht glauben. Wenn der übersetzer nicht nach der vorlage gestilt geschrieben haben sollte, könnte man an gesest, (= getsést, gecést) denken. - 187, 8 u. 11 dürfte dem ungcruowet des Deutschen ursprünglich vielleicht ongeruwe (mnl. ongheroe), nicht ongetruwe entsprochen haben. - 198, 4 vielleicht ên dat sîn. - 207, 22; 208, 28; 272, 2 hat die hs. reet als übersetzung von raizzit und Kern leitet es von raden ab. Da aber sonst raizen mit viel stärkeren ausdrücken wiedergegeben wird (s. oben), so kann man einen zweifel an dieser etwas matten übersetzung nicht ganz unterdrücken, obwohl an der einen stelle, 207, 22 unmittelbar raet folgt. Ein dem raizen entsprechendes *rêten ist jedoch nicht belegt; Teuth. hat reytsen (Kil. ritsen; s. mein Etym. Wdb. opritsen). Eine andere übersetzung desselben vbs. ist stoert 208, 24. Es is nicht undenkbar dass das vb. stôren diese bedeut. gehabt haben könne, aber die änderung in stoect liegt sehr nah; vgl. z.b. 204, 25; 29; 207, 15. - 200, 2 ist doch vielleicht moyelike statt mogelike zu verbessern; es könnte sogar allenfalls mogelike st. moyelike geschrieben gewesen sein. - 209, 21 wohl wantse statt watse. - Nicht befriedigend ist die conjectur geroken für geroten 276, 10. Passen würde ein nach analogie gebildetes st. particip. von einem mhd. lûzen entsprech. vb. lûten, in der bedeut. gleich dem auch etymologisch verwanten hd. lauschen. Aber es fehlen belege des vbs. für unser sprachgebiet. - 339, 22 wohl waudelike. - 464, 5 doch wohl huet u zu schreiben (u fehlt). - 409, 34 lies stepken statt scepken = nl. stip; vgl. die vergleiche 414,35 f. und 521, 10. - Unverständlich ist 394, 24 f. An dir sal sin mulieres; es mus wohl etwas fehlen. - 471, 30 letten. Das natürliche ist doch durchaus ‘leitet ihn’, und sollte die form sich nicht rechtfertigen lassen, so würde ich doch noch eher eine kleine änderung vornehmen als let von laten voraussetzen. - 504, 33 daer ginct an die noet kann nur die an zweiter stelle angenommene bedeutung haben ‘toen werd het gevaarlijk.’ - In dem verderbten wort 512, 25 steckt eher die im Berner und Haarl. Glossar als iene und ene ‘numquid, nonne’ überlieferte fragepartikel. - 518, 4 van alten groten wee ‘von allzu grossem weh’ ist in der der note vollkommen richtig erklärt: alte ist an die folgende adjectivform assimiliert. Derartige unorganische flexionen sind aber gar nicht so ungewöhnlich. So flectieren manche hss. regelmässig das als verstärkendes adv. stehnde harde, z.b. met harden (statt harde) groten wee, met ere harder (st. harde) groter macht; im mhd. erhält das vor dem comparativ stehende deste selbst die comparativendung: dester baz; im Deutschen hört man gar nicht selten ein rechter (statt recht, mhd. rehte) guter mann, eine ganze (st. ganz) gute frau (vgl. dazu deutsches Wtb. 41, 1299 sub c). Es könnte noch manches andere genannt werden, aber ich will mich auf einen weiteren fall aus unserem text beschränken: 273, 28 met haren reinen blude te stortene, wo die anm. sagt ‘In de constructie heeft attractie plaats: haren reinen blude is datief, afhankelijk van met, terwijl er logisch moest staan de accusatief hare reine blut, afhangende van stortene.’ Unseren dank verdient auch die hinzugefügte woordenlijst, die eine wertvolle | |
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ergänzung zu den mnl. wörterbüchern bildet und zugleich als eine art register zu der grammatik und den noten gedacht ist. Dass man trotz ihrer reichhaltigkeit noch gern manches mehr in ihr finden möchte ist schon in dieser zeitschrift 6, 316 bemerkt worden. Ich nenne als beispiele noch kunden (im text 549, 9 und 590, 15) ‘würzen’ (s. Verdam s.v. conden), orwut (576, 4), rochten (492, 23) praet. von rocken oder rucken, verdelwen (Inl. s. 59), wacker, (578, 10), storen (208, 24; aber wohl fehlerhaft, s. oben), puren, (568, 9), das jedoch nicht richtig aufgefasst ist. Ich nehme es (nach Inleid. § 16 b) für purren, nebenform von porren, ‘voortkomende uten gevulne.’ Ich habe dann noch folgende bemerkungen hinzuzufügen. Bildere ist keine falsche übersetzung von mhd. bilder. Weder das erstere noch das letztere kann, ‘beeld’ bedeuten, sondern beide sind nomen agentis ‘der ein bild giebt.’ - Ontefen wird auch von K. für verderbt angesehen. Die schreibung ont- spricht dafür, dass das darin steckende verbum nicht mit vocal, sondern mit t anlautete. Man darf darum vielleicht an ein ontesen, als gegensatz zu mnl. ghetesen denken. - Das monstrum propernabelde löst sich sehr einfach in proper nabelde auf ‘das wahre ebenbild.’ Das wort nabilde findet sich in der bedeutung exemplar, exemplum auch im Gloss. Bern. - S. 259, 16 steht rengnert zur übersetzung von ringit, ‘ringt, strebt,’ 554, 2 wult (‘wühlt’) ende regnert. Aus diesen beiden stellen ergibt sich unzweifelhaft dass wir ein ganz anderes zw. als regnéren ‘regieren’ anzunehmen haben. Vermutlich ist es, da eine form réngneren nicht wahrscheinlich ist, bloss aus réngeren misverstanden, einer bildung aus der wz. von hd. ringen, welches, wie ich hier noch einmal der allgemeinen annahme entgegen wiederholen wil, durchaus nicht mit nl. wringen etymologisch identisch ist (sieh mein Etym. Wdb. unter rank); vgl. die vba. erreren, ergeren (auch erweckeren, anxteren?) in unserem texte. Vielleicht ist dasselbe zw. auch noch an anderen stellen anzunehmen; vgl. ausser den im Gl. angegebenen noch 577, 26 und öfter in den folgenden zeilen. - Selme ‘psalm.’ Der umlaut stammt doch wohl aus dem plur. psalmi. - Utfusech adj. ‘buitenshuis.’ Ich kann nicht einsehen, wie so as. fûs ‘bereit’ ein solches limb. wort lautlich oder begrifflich zu erklären vermöchte, während uthusech zu gut passt, um nicht an ein versehn denken zu lassen. - Ute vannen. Ohne zweifel richtig ist als bedeut. angenommen ‘in zijn boedel zetten, ausstatten.’ Aber es ist mir wieder unklar, wie das zu fandôn ‘besuchen’ gehören könne. Wenn das wort richtig überliefert ist, würde ich noch eher an ein zu mhd. vant ‘ertrag von grund und boden’ gehöriges zw. mit der bedeut. ‘ausstatten’ denken, mit der voraussetzung dass die ausstattung des sohnes durch anweisung eines bestimmten teiles des ertrags von grund und boden geschah. - In utseteg ist e = ê, umlaut von â: ableitung von utsête = ahd. uzsâzzeo ‘der aussätzige.’ Den guten alten Kilian muss ich in schutz nehmen, wenn Kern sich über seine etymologie aufhält, der aussätzige ist wirklich expositus et extra urbis pomeria ablegatus, quod lepra laborantibuss locus a reliquis hominibus separatus publice assignetur; das subst. der aussatz ist erst eine jüngere folgerung aus aussätzig ‘mit lepra behaftet’ - Bei verdroeten beruft | |
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sich Kern im Glossar auf die sippe von verdrieten; aber die bedeutung muss grade die entgegengesetze sein, als wie er annimmt: ‘wollen wir uns durch bitten dazu drängen lassen.’ Sie wäre vielleicht für verdroeten nicht unmöglich mit rüchsicht auf mnd. droten ‘drohen,’ mnl. drȫtich ‘pretentieus.’ - Die deutung von cinsinge als ‘opoffering’ ist reine willkür. Das wort ist sicher verderbt, vielleicht vinsingen zu lesen, wenn nicht gar pinsingen. - Sehr richtig ist dagegen die erklärung von werpen als ‘de schering opzetten;’ sie hätte mit aller bestimmtheit ausgesprochen werden dürfen, vgl. noch waerp Sp. hist. 36, 41, 16 und die anm. zu dieser stelle. Aus den vorstehenden ausführungen wird man entnehmen dass meiner ansicht nach der herausgeber im ganzen der überlieferung gegenüber zu zurückhaltend gewesen sei. Dagegen hat ihn Dr. B.H. zu wenig zurückhaltend gefunden, hat ihn gradezu getadelt, dass er sich erlaubt habe an der orthographie der hs. zu ändern, dass er in bezug auf das zusammenschreiben von componierten wörtern sich unabhängig von ihr gemacht, dass er die interpunnction geregelt, dass er die ziffern in worten gedruckt habe: ‘dit is nergens ook voor noodig. Anders dan om en onzuivere indruck van middeleuwse schrijverij te geven.’ Ich will hier nicht darüber reden, ob B.H. gegen K. in bezug auf die eine oder andere textstelle recht hat; aber wie man sieht stehn sich zwei grundsätzliche ansichten gegenüber, und es dürfte doch von wert sein, nach der verteidigung der einen auch die andere an dieser stelle zum wort kommen zu lassen. Auf der einen seite steht eine methode, die nach eigenen grundsätzen die orthographie der alten sprache regelt, zum teil auch schafft, die, über die handschriften hinaus, die sprachformen und die gedanken des autors zu eruieren sucht und auf grund davon dem heutigen publicum die alten texte darstellt, zur controlle aber die abweichungen der hss. von einiger bedeutung als lesarten mitteilt; auf der anderen seite die methode, die hss., oder eine der hss. diplomatisch abzudrucken und etwaige besserungsvorschläge in den noten mitzuteilen. Zwischen diesen beiden äussersten puncten gibt es mannichfache abstufungen. Es muss nun zugegeben werden dass an der ersteren methode die optimistische voraussetzung einen anteil hat, es würde auch ein grösseres nicht fachmännisches publicum die präparierten texte geniessen wollen, eine voraussetzung, die heute wohl endgiltig aufgegeben sein dürfte. Man kam ferner zu der erkenntnis dass es auch bewährten forschern, die nach dieser methode arbeiteten, vorkam, dass sie berechtigte und bedeutungsvolle schreibungen und andre gute lesarten in folge von misverständnissen oder mangelhaften sprachwissenschaftlichen kenntnissen in die noten verwiesen, ja auch wohl formen und schreibungen, die besonders für den sprachforscher von wichtigkeit gewesen wären, den mitforschern gänzlich vorenthielten. Dazu kam eine vertiefung der philologischen aufgaben, ein auswachsen der philologie zur allgemeinen kulturwissenschaft, die jede äusserung des geisteslebens, nicht nur gewissermassen die spitzen der kulturzustände, in den kreis ihrer betrachtung zog, eine richtung, die sich ein gewissen daraus macht, auch das kleinste vielleicht voreilig als bedeutungslos | |
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bei seite geschoben zu haben. Ich bin nun der letzte, der der methode sich über anscheinend geringfügiges hinwegzusetzen, das wort reden möchte, ich bin im gegenteil von der hohen bedeutung einer allgemeinen kulturwissenschaft so sehr durchdrungen, dass ich bereitwillig zugebe, auch etwas, was wir für geringfügig halten, könne unter umständen im zusammenhang der dinge einmal eine hohe bedeutung erlangen. Trotzdem muss ich dem früher in dieser Zs. vertretenen standpunct, der das kind mit dem bade ausschüttet, mit entschiedenheit entgegen treten.Ga naar voetnoot1) Mit ganzer folgerichtigkeit wird sich keine methode durchführen lassen. Mit gleichem rechte, wie von den ziffern könnte man von den ganzen schriftzügen, von jedem schnörkel sagen, dass er zum eigentlichen habitus des alten textes gehöre, und dann kämen wir zur notwendigkeit mechanischer facsimiles statt wissenschaftlicher ausgaben. Aber selbst da könnte einer noch bemäkeln, dass nicht auch die färbung und der glanz des alten pergaments, die alte tinte naturalistisch widergegeben seien. Es dürfte gar nicht schwer fallen, beim publicum die überzeugung zu erweckenGa naar voetnoot2) dass auch diese dinge für den seelischen eindruck, den ein altes schriftwerk hervorgerufen, nicht bedeutungslos gewesen seien. Ein text, wie er in dieser Zs. empfohlen wird, hat nur einen sinn für die handvoll leute, die sich ebenso intim, wie der herausgeber, mit demselben zu beschäftigen gedenken. So steht aber denn die sache doch nicht, dass wir uns unser publicum in solcher beschränktheit vorzustellen hätten.Ga naar voetnoot3) Wenn auch nicht mehr in dem sinne, wie Lachmann, so haben wir doch immer ein publicum vor augen, und für dieses haben wir allerdings die pflicht keine ‘rätselchen aufzugeben,’ die schwierigkeiten nicht nur zu zeigen, sondern auch aus dem weg zu räumen, dem interesse und dem genuss eine möglichst glatte bahn zu bereiten. Es unterliegt gar keinem zweifel, dass die schrullenhafte und umständliche orthographie, besonders der späteren texte, der heillose mischmach der sprachformen, wie er durch die abschriften in die texte hineingekommen ist, uns das publicum abschreckt. Eine sprache, die ein wort rât einmal rad, dann rat, ferner raet und raat, rath, raht, rhat und noch anders schreibt, die horen, hoeren, hooren, horenn u.s.w, nebeneinander aufweist, in der einem ungeheuer wie sevffczzenn, vundt, wholff entgegen grinsen, hält man für barbarisch, besonders, so lange man noch gewohnt ist - und hoffentlich wird man es noch recht lange bleiben - eine fremde litteratur mit den augen des an der lat. u. griech. litteratur gebildeten mannes zu betrachten.Ga naar voetnoot4) Wenn wir auch zugeben dass alles von bedeutung sein, oder werden kann, so vergesse man aber nicht, dass denn doch ein unterschied in der wichtigkeit bleibt, dass nicht jede geringfügige | |
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kleinigkeit dieselbe beachtung beanspruchen kann, wie die grossen zwecke einer wissenschaft. Wir vertreter der litteraturwissenschaft beanspruchen auch dass wir unsere wissenschaft für uns haben, dass wir das recht behalten, vor allem unsere eigenen nächsten ziele zu verfolgen; wir danken dafür, bloss für die handlanger irgend eines zweiges der kulturwissenschaft zu gelten. Wir haben zunächst den zweck, den geistigen eindruck zu vergegenwärtigen, den die litteratur dem jeweiligen publicum zu machen im stande war.Ga naar voetnoot1) Wir betrachten darum z.b. die orthographie als etwas ganz nebensächliches. Wir sehn es für litteraturgeschichte u. grammatik als eine sache von wichtigkeit an, zu wissen, welchen klang die damalige sprache hatte, aber wie dieser klang orthographisch dargestellt wurde, das müssen wir zwar auch wissen, aber wir halten uns an diese art nicht gebunden. Selbst wenn ich einräume, dass der mnl. autor selbst - vom abschreiber zu geschweigen - jeman, oder yeman, oder yeve geschrieben habe, während er den laut als íe oder î sprach,Ga naar voetnoot2) so fühle ich mich durch die äusserliche rücksicht die ihn leitete - er wollte das wort nicht mit dem gestaltlosen zeichen i beginnen lassen - nicht für gebunden, zumal ich fürchte, mein leser könne versucht sein jeman, jeve mit j-consonant zu lesen. Als litteraturhistoriker und grammatiker halte ich mich für vollkommen berechtigt statt dessen ieman, Ieve auch bloss aus dem grunde zu schreiben und die antiquarische notiz notenweise abzumachen, weil mir das so besser gefällt. Ist es denn etwa ein wünschenswerter zustand dass die mnl. philologie, grade weil sie sich häufig der aufgabe überhebt, die ziffern in worte umzusetzen,Ga naar voetnoot3) sich noch keineswegs klar darüber ist, dass nicht veertien, veertich, sondern viertien, viertich die mnl. formen sind? Ist es nicht characteristischGa naar voetnoot4) dass im jahre 1879 einer der allerersten mnl. philologen gewissermassen als neue entdeckung mitteilen konnte, dass reime wie Marien, benedien (d.h. -ijen) nicht identisch sind mit solchen wie sien, plien, etwas was im Mhd., wo kritische texte die regel sind, und man îe von ie auch äusserlich gegen den alten gebrauch, unterscheidet, jeder anfänger weiss? Dass ferner noch heute die unsicherheit recht gross ist, wo im Mnl. ein langes o und wo der laut oe hingehört? Wenn selbst van Heltens Spraakkunst, wenn auch nicht über die laute, so doch über ihre reimbindung bei den dichtern eine so wenig zutreffende ansicht haben kann? Von diesem standpuncte aus würde man z.b. vielleicht niemals darauf gekommen sein dass Reinaert 2935 f. statt dede Reinaert zijn scoen snoeren/ die Isingrijns waren te voren vielmehr zu lesen ist dede Reinaert sijn scoen smaren/ die Isingrijns te voren waren, wodurch eine unzweifelhaft ächteGa naar voetnoot5) lesart des grösten | |
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mnl. dichters wiedergewonnen ist. Auch an der thatsache die ich im eingang dieses artikels hervorheben muste, dass man zum grossen nachteil für die litteraturforschung die mnl. sprache noch so wenig perspectivisch anzusehen vermag, trägt hauptsächlich der umstand schuld, dass keine strenge forderung gesäuberter texte notwendig auf diese untersuchungen hingeführt hat. Ähnliche beobachtungen kann man bei den ausgaben älterer nhd. und besonders nd. texte anstellen, wo man aus zweckmässigkeitsgründen sich gleichfalls für die methode eines möglichst engen anschlusses an die hss. oder alten drucke enscheidet. Die folge davon ist dass kaum einer der herausgeber irgendwie sichere kenntnisse über die quantitat der sprache zu haben scheint, oder darüber, wohin ein o oder ö, ein u oder ü gehört, so dass sie sich auch nicht einmal rechenschaft darüber zu geben vermögen, ob ihr autor rein reimt oder nicht. Sollen wir im kleinmut sogar auf das recht verzichten, den sinn der früheren autoren wiederherzustellen und uns bei jedem zufall der überlieferung beruhigen? Ich möchte hier doch an des eben verstorbenen M. Bernays schrift ‘Uber Kritik u. Geschichte des Götheschen Textes’ erinnern, die uns gezeigt hat, wieviel sogar in diesem fall, in unserer zeit, zum teil unter Göthes eigenen augen, unter der hand unserer setzer, die doch gezwungen sind, buchstaben für buchstaben wiederzugeben und von correctoren beaufsichtigt werden, der text gelitten hat, dass selbst hier ächt philologische arbeit notwendig ist, um das ursprüngliche wiederherzustellen. Auf diesem wege sind denn wirklich stücke ächt Götheschen geistes uns wiedergewonnen worden. Wer will läugnen dass dies ein gewinn für die menschheit sei? Wer sich aber jemals die mühe genommen hat, die grosse mehrzahl der mittelalterlichen schreiber in ihrer eigenart zu beobachten, der weiss auch, wie viel hier die philologische kritik zurück zu erobern hat. Sie schreiben die texte in die sprache ihrer zeit und ihrer gegend um, sie thun das unbekümmert um den rhythmus, ja um den sinn ihrer texte, sie machen sich gradezu ein vergnügen daraus,Ga naar voetnoot1) die eigenart ihrer texte zu verwischen. Wo einmal eine etwas ungewöhnliche construction anhebt, oder wo die construction von einer verszeile in die andere überläuft, da kann man bei vielen fast sicher sein dass sie sie zerstören und einen unsinn aufs pergament setzen, den sie zwar selbst gemerkt haben müssen, den sie aber trotzdem ruhig stehn lassen. Dann beobachte man auch sich selbst, um sich zu überzeugen, wie zahlreichen und auch schweren versehen auch ein gewissenhafter schreiber ausgesetzt ist. Und das alles sollen wir ruhigGa naar voetnoot2) hinnehmen, weil es in der that schwierig ist, die kritische methode durchzuführen, in der that kaum zu vermeiden dass einmal eine gute lesart in die noten gerät? Soll man denn gegen jedes versehn eines wissenschaftlich ausgerüsteten mannes, der sich die peinlichste mühe gibt, einen | |
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text bestmöglich zu gestalten, so streng sein und gegen jede dummheit eines erbärmlichen geschlechts von bogenschreibern so milde? Hat die methode fehler, so suche man sie zu verbessern, aber man werfe sie nicht einfach weg. Ich unterschreibe die worte, die kürzlich Rödiger in Herrigs Archiv Bd. 97, s. 394 f. ausgesprochen hat, ‘dass der philolog sich bei allen textkritischen untersuchungen einigermassen im kreise bewegt, ist eine thatsache, die wir nicht erst durch Henrici zu lernen brauchen, eine schwäche, die wir mit allen teilen, die auf irgend einem gebiet über die feststellung des vorhandenen hinaus zu einer erklärug schreiten. Dass wir dabei fehlgehen können, darf uns, wenn es überhaupt einen fortschritt in der wissenschaft geben soll, nicht dazu bewegen, uns mit der gläubigen, nach einer erklärung und begründung nicht fragenden hinnahme der thatsachen zu begnügen, um so weniger, wenn uns so reiche mittel der controlle zu gebote stehn, wie bei Hartmanns sprache und metrik. Was Henrici verlangt, ist schon nicht mehr vorsichtig, sondern furchtsam, hält uns bei den anfängen der editionsthätigkeit zurück: wir sollen bei der recensio halt machen und auf die emendatio zum grösten teil verzichten.’ Wohin das führt, dass beweist uns B.H. selbst, wenn er es schliesslich als bemerkenswert hervorhebt, dass sowohl in den Sermoenen einmal, wie im Bern. Gl. zweimal smemmet für swemmet geschrieben steht.Ga naar voetnoot1) Das scheint mir denn doch zu zeigen, dass diese methode in ihrer letzten consequenz die philologie dazu führen würde, sich auf gnade und ungnade an jeden zufall, an jeden schreibfehler zu übergeben, dass sie schliesslich da sitzen würde die hände im schoss mit dem resignierten geständnis ‘möglich ist bei den menschen alles.’ Hüten wir uns in der philologie vor allzugrosser modernität, vor der verblendug, die über ihrer virtuosität des sehens den massstab für die relative wichtigkeit der dinge verliert.Ga naar voetnoot2) (Forsetzung folgt.) J. Franck. |
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