Über Literatur.
Wir haben die Plastizität des Wortes jetzt bis zu einem Punkte getrieben, an dem sie schwerlich mehr überboten werden kann. Wir erreichten dies Resultat auf Kosten des logisch gebauten, verstandesmässigen Satzes und demnach auch unter Verzicht auf ein dokumentarisches Werk (als welches nur mittels zeitraubender Gruppierung von Sätzen in einer logisch geordneten Syntax möglich ist). Was uns bei unseren Bemühungen zustatten kam, waren zunächst die besonderen Umstände dieser Zeit, die eine Begabung von Rang weder ruhen noch reifen lässt und sie somit auf die Prüfung der Mittel verweist. Sodann aber war es der emphatische Schwung unseres Zirkels, von dessen Teilnehmern einer den andern stets durch Verschärfung der Forderungen und der Akzente zu überbieten suchte. Mag man immer lächeln: die Sprache wird uns unseren Eifer einmal danken, auch wenn ihm keine direkt sichtbare Folge beschieden sein sollte. Wir haben das Wort mit Kräften und Energien geladen, die uns den evangelischen Begriff des ‘Wortes’ (logos) als eines magischen Komplexbildes wieder entdecken liessen.
Mit der Preisgabe des Satzes dem Worte zuliebe begann resolut der Kreis um Marinetti mit den ‘parole in liberta’. Sie nahmen das Wort aus dem gedankenlos und automatisch ihm zuerteilten Satzrahmen (dem Weltbilde) heraus, näherten die ausgezehrte Grosstadtvokabel mit Licht und Luft, gaben ihr Wärme, Bewegung und ihre ursprünglich unbekümmerte Freiheit wieder. Wir anderen gingen noch einen Schrift weiter. Wir suchten der isolierten Vokabel die Fülle einer Beschwörung, die Glut eines Gestirns zu verleihen. Und seltsam: die magisch erfüllte Vokabel beschwor und gebar einen neuen Satz, der von keinerlei konventionellem Sinn bedingt und gebunden war. An hundert Gedanken zugleich anstreifend, ohne sie nahmhaft zu machen, liess dieser Satz das urtümlich spielende, aber versunkene, irrationale Wesen des Hörers erklingen; weckte und bestärkte er die untersten Schichten der Erinnerung. Unsere Versuche streiften Gebiete der Philosophie und des Lebens, von denen sich unsere ach so vernünftige, altkluge umgebung kaum etwas träumen liess.
Satire op de Stijl (schilderij)
Alex. Bortnyik Weimar 1924