F. Kiesler.
Erneuerung des Theaters.
Die Kraft einer neuen tragenden Anschauung hat noch keine so einheitliche Gesellschaft geschaffen, dass aus ihrem Milieu eine neue künstlerische Welt hervorgegangen wäre. Die Gemeinschaft der Theater- oder Kinobesucher ist mehr oder weniger künstlerisch und geht über die Dauer eines Stückes nicht hinaus. Das ist die Ursache weshalb alle Neuerungsversuche des heutigen Theaters und des Films über ein gelungenes oder nicht gelungenes Experiment nicht hinauskommen, nicht weiterwirkend sind über die Kreise einer geistigen oder gesellschaftlichen Elite, die aus privaten oder snobistischen Gründen daran interessiert ist.
Diejenigen Künstler, die den Geist ihrer Zeit erfasst haben und aus diesem Geist heraus ihre Ideen verwirklichen wollen, stehen daher vor einer schwierigen Aufgabe, wenn sie diese alten ‘Guckkästen’ mit neuem Leben füllen sollen, mit einem Leben das so ganz anders ist als das eben unserer Gross -und Ungrosseltern! Man findet allerdings durchaus nichts Unsinniges daran, wenn sich in den Salons unserer Tage die Damen in modernsten Toiletten, die Herren im Frack um ein Ameublement bewegen, das ins Museum gehört - wenn es echte Patina hat, - was selten ist, aber daran ist weniger die mangelnde Kritik schuld als eine Blindheit, die aus der Gewohnheit kommt und ausserdem eine museale Erziehung, die uns zwingt unser Interesse auf Xerxes, Mexiko, Atiopien u.s.f. zu Konzentrieren statt auf die lebenswichtigen Fragen der Gegenwart. Wenn man bedenkt, dass die meisten Vorbilder unserer heutigen Theater aus mehr oder weniger monarchistischen Zeiten stammen, so begreift man auch ihre Bauweise: die Bühne soll vor allem für das Parkett und einige prominente Logen wirken, alle anderen Plätze des Theaters müssen sich statt mit einem gut gesehenen und gehörten Schauspiel mit den teuer erkauften Platz zufrieden geben.
Schon der ersten praktischen Forderung an ein Theater der Zeit genügen unsere Theater nicht, namlich der Forderung: dass jeder Vorgang auf der Bühne von aller Plätzen des Zuschauerraumes eindeutig klar gesehen werden soll. Und so selbstverstândlich diese Forderung ist: sie wurde bis jetzt von keinem modernen Theatererbauer erfüllt. Ein Galeriebesucher verliert die obere halbe Bühne mit ihrer Tiefe aus dem Auge (dafür bekommt er den Fussboden der Bühne und den Souffleur ununterbrochen zu sehen); der Parkettbesucher nimmt keinen Grundriss wahr; von den Seitenplatzen des Parterres, der Logen und Rânge muss man auf den rechten oder linken Teil der Bühne verzichten - und das Gros der mitte sieht die Erscheinungen auf der Bühne (Schauspieler, Dekorationen, Mobiliar) schichtenweise hintereinander silhouttiert, also flach, unräumlich.
In dem Krieg, der jetzt ununterbrochen zwischen Theater und Kino geführt wird und der viel bedeutender ist als die kleinen Fachplânkeleien ahnen lassen, denn es ist der Kampf einer individualistischen Epoche gegen eine revolutionär-kommunistisch orientierte, ein Kampf der Improvisation gegen die Mechanisierung, in diesem Krieg wird kein menschliches Mass das Fazit ziehen, sondern die Zeit selbst und mit ihr das, was ihr ureigener Ausdruck ist.
Wir sind auf dem Wege die Theaterform der Zeit zu suchen - und zu finden.
Versuchen wir das Ziel unserer Zeit zu definieren: Schaffung eines mannigfaltigen Reichtums durch eine ungemein rationell betriebene Produktionsmethode bei grösster Oekonomie der Mittel. Schärfste Oekonomie den Mittel, aus der ein grosser Reichtum resultiert. Hier haben wir auch das unzweideutige Ziel der Theaterproduktion! Jedes Uberflüssige weggelassen. Keine Dekoration. Auch auf der Bühne nicht. Keine Illusion und Illustration. Die Dinge selbst wirken lassen lebenssprühend in ihrer Echtheit und Konzentration.