II
Es ist genug Architektur gemacht worden. Wir wollen keine Neuauflage und sei sie noch so klug erdacht. Statt früherer geschminkter Ein-Fronten-Modelle jetzt glatte Vier-Fronten-Modelle, statt barocker Linien gerade Linien, statt rechteckiger Fenster quadratische Fenster. Der Fachmann ist bankerott. Das, was alle interessiert, ist: wie lebt man innerhalb dieser geraden oder krummen Wande; welchem Leben, neuen Leben, entspringen diese 4 oder X-Fronten?
Statt Ornamenten glatte Mauern, statt Kunst Architektur - nichts von alldem: ich fordere den Vitalbau, die Raumstadt, die funktionelle Architektur.
Den Bau der Elastizitât der Lebensfunktion adâquat.
Es ist gleichgiltig, ob ihr Kuppeln oder Kuben über die Menschen stülpt. Sie ersticken auf die eine und andere Weise. Und Eure Fensterlôcher befreien sie nicht.
Man muss die Impulse der Zeit entdecken, wie man die Elektrizitât entdeckte und muss das neue Leben erfinden, wie man der Motor erfand. Bis dahin ist es ein leiblicher Verdauungsprozess.
Die neue Stadt wird die Lôsung des Verkehrs - und Hygieneproblems bringen, die Mannigfaltigkeit des Privatlebens ermôglichen und die Freiheit der Masse. Sie ist nicht gebaut um zu genügen, sondern aus straffster Oekonomie der Mittel grôsstmôglichsten Ueberfluss zu schaffen.
Hâuser, die man über die Menschen stülpt, indem man ihnen zuruft: schlafet gut, esset gut und lüftet Euch mehrmals, Hâuser in diesem Sinne wird es nicht mehr geben und mit ihrem Verschwinden lôsen sich auch die Gassen in freie Wohn - und Arbeitsstâtten auf.
Ihr habt immer missverstanden:
die Manege hat Euch Kreise hingehalten, und Ihr seid einer nach dem andern, hopp, hindurchgesprungen; jetzt ist es ein Quadrat. Morgen...???
Seht zu, dass der Gaul, den Ihr reitet, nicht unter Eurem Gesâtz durchgeht, und Eure Spürnase liegt im Dreck.
Paris, 19 April 1925.
F. KIESLER.