| |
| |
| |
Okkulte Erlebnisse
Von Thomas Mann
Während die Welt voll ist von Problemen, durch deren Erörterung der Schriftsteller oder Redner sich vielleicht ein öffentliches Verdienst erwerben könnte, geistigen, künstlerischen, sittlichen, gesellschaftlichen Problemen, deren Würde und Wichtigkeit demjenigen zugute kommt, der sie behandelt, - unterstehe ich mich, vor Sie zu treten mit einem Thema, das ich selbst gar nicht umhin kann, als schrullenhaft, abwegig, gewissermassen ehrlos zu empfinden, und durch dessen Wahl ich zweifellos das geringschätzige Befremden der meisten von Ihnen errege. Aber wählt man sein Thema? Nein, man schreibt und redet von dem, was einem auf den Nägeln brennt - von nichts anderem, möge das andere auch würdigste Wichtigkeit für sich in Anspruch nehmen dürfen, das aber, was einem den Sinn gefangen hält, reiner Unfug sein. Und mir nun ist das ehrsame Konzept verdorben durch Eindrücke so intrikater Natur, ich bin in Verwirrung gesetzt durch persönliche Erfahrungen und Beobachtungen, die zugleich in dem Grade läppisch und in dem Grade unerklärlich sind (wenn es Grade der Unerklärlichkeit gibt) dass ich nicht darüber hinweg komme, dass ich mich für die Beschäftigung mit den lauteren, der Sphäre gesunder, wenn auch verfeinerter Menschenvernunft angehörigen Themen, mit denen ich so viel mehr Ehre einlegen könnte, für den Augenblick wenigstens verdorben finde. Ich sage ‘verdorben’, denn es ist wirklich und deutlich eine Art von Verderbnis, die
| |
| |
ausgeht von der Welt, die mir im Sinne liegt, dem wahrscheinlich nicht tiefen, aber untergründigen, trüben und vexatorischen Lebensgebiet, mit dem ich mich leichtsinnigerweise in Berührung gesetzt: eine Verführung fort von dem, was mir obliegt, zu Dingen, die mich nichts angehen sollten, die aber gleichwohl auf meine Phantasie und auf meinen Intellekt einen so scharfen, fuselartigen Reiz ausüben (fuselartig im Vergleich mit dem Wein des Geistes und der Gesittung), dass ich wohl verstehe, wie man ihnen lasterhafter Weise verfallen und über einer monomanischen, närrisch-müssigen Vertiefung in sie der sittlichen Oberwelt auf immer verloren gehen kann.
Es ist nicht anders: ich bin den Okkultisten in die Hände gefallen. Nicht gerade den Spiritisten - obgleich sich, wie ich glaube, auch solche in der Gesellschaft befanden, an welcher ich neulich teilnahm. Immerhin muss man da unterscheiden. Die spiritistische Lehrmeinung ist nicht nur nicht obligatorisch in der Anzahl nach gerade garnicht mehr so geringen internationalen Gelehrtengemeinde, deren Mitglieder sich Okkultisten nennen, weil sie dem Studium von Phänomenen ergeben sind, die - vorläufig - mit den Gesetzen der uns bekannten Natur-ordnung in Widerspruch zu stehen scheinen, sondern jene Art gewisse Rätsel zu ‘erklären’, die Geistertheorie also, wird von vielen dieser Forscher sogar mit der Geste wissenschaftlicher Solidität und Strenge abgelehnt, obgleich, wie man hinzufügen muss, das Mittel, dessen sie sich zur Erzeugung der okkulten Vorgänge bedienen, die supranormale oder jedenfalls anormale Veranlagung gewisser, menschlich und geistig übrigens in der Regel durchaus nicht besonders hochstehender Personen - obgleich, sage ich, dieses Mittel, der Somnambulismus der sogenannten Medien, jeden Augenblick ins Transzendente und Metaphysische hinüberspielt.
| |
| |
Aber Metaphysik ist natürlich nicht Spiritismus und namentlich: dieser ist nicht jenes. Das ist ein Niveau-Unterschied solchen Masses, dass es zum wesentlichen Unterschied wird, und nichts ist begreiflicher, als dass philosophische Metaphysik sich den Spiritismus vom Leibe zu halten trachtet. In der Tat ist Spiritismus, der Glaube an Geister, Gespenster, Revenants, spukende ‘Intelligenzen’, mit denen man sich in Beziehung setzt, indem man eine Tischplatte anredet, und zwar nur, um die grössten Dummheiten zur Antwort zu erhalten - in der Tat also ist Spiritismus eine Art von Gesindestuben-metaphysik, ein Köhlerglaube, der weder den Gedanken idealistischer Spekulation gewachsen, noch des metaphysischen Gefühlsrausches entferntesten fähig ist. Ein Meisterwerk des metaphysischen Gedankens ist ‘Die Welt als Wille und Vorstellung’. Das klassische Opus metaphysicum der Kunst besitzen wir in Wagners ‘Tristan und Isolde’. Man braucht an so hohe Intuitionen nur zu erinnern, um die ganze klägliche Unwürde dessen begreifen zu lassen, was sich Spiritismus nennt und was nicht sowohl Metaphysik als eine Sonntagnach-mittagszerstreuung für Köchinnen ist.
Ist aber Menschenwürde ein Wahrheitskriterium? In gewissem Sinne: ja. Einen Mann, dessen Tun und Trachten sich an der Grenze des okkulten Gebietes bewegt, Herrn Krall aus Elberfeld, bekannt durch seine Zöglinge, ‘die rechnenden Pferde’, hörte ich sagen: ‘Wenn es Geister gibt, so hat man allen Grund, sich ein recht langes Leben zu wünschen, denn abgeschmackter, kindischer, ratloser, verworrener und erbärmlicher könnte nichts sein, als die Existenzform dieser Wesen, ihren angeblichen Manifestationen nach zu urteilen’. Das erinnert an die berühmte Aeusserung, die der Schatten des Achill am kimmerischen Strande, anlässlich der spiritistischen Séance des Odysseus tut. ‘Nichtig und sinn- | |
| |
los’ nennt der Pelide das Dasein der Verstorbenen, und der heidnische Sinn mag immerhin solche Vorstellungen vom Leben nach dem Tode hegen, ohne zugleich an diesem Leben als Wahrheit, Glaubenssatz, Tatsache irre zu werden. Dagegen wird der christlich geborene Menschengeist sich schwer entschliessen, ein Jenseits anzunehmen, in dem es blöder, nichtsnutziger und armseliger zuginge als auf der uns bekannten Ebene; und wenn, wie es ja nicht selten begegnet, eine ‘Intelligenz’ sich vermittelst des Tisches als der Geist des Aristoteles oder Napoleon Bonapartes in menschliche Gesellschaft einführt, die Verlogenheit dieser Behauptung aber durch hundert Albernheiten, Bildungsschnitzer und offenbar hochstaplerische Flausen belegt, dann genügen Geschmacksgründe, um das Urteil zu rechtfertigen, sie sei nicht nur nicht Aristoteles oder Napoleon, sondern sie sei überhaupt nicht, sie tue nur so, als ob sie wäre, und ein Eingehen auf solches Getue sei unter aller humanen Würde.
Das alles wäre nun schön und gut, wenn nicht immer ein Zweifel bliebe, ob dem Begriff der Würde und des guten Geschmacks ausschlaggebende Rechte zukommen, dort, wo es sich um Wissenschaft, um die Erforschung der Wahrheit, also um jenen Prozess handelt, in dem die Natur durch den Menschen sich selbst ergründet. Würde gibt es nur in der Sphäre des reinen Geistes, zu dessen Provinzen die Metaphysik im Sinne erkenntnis-kritisch-transzendenter Spekulation gehört; wenn aber Metapysik empirisch wird, wenn sie sich herbei lässt oder die Verpflichtung zu fühlen beginnt oder der Verführung unterliegt, dem Weltgeheimnis experimentell auf die Spur zu kommen - und das tut sie im Okkultismus, da dieser nichts ist als empirisch-experimentelle Metaphysik - so darf sie nicht darauf rechnen, ihre Hände rein zu halten, ihrer Haltung Würde zu wahren, ausser der- | |
| |
jenigen, die ehrlichem Wahrheitsdienst unter allen Umständen gewahrt bleibt; sie muss sich vielmehr darauf gefasst machen, es mit viel Schmutz und Narretei zu tun zu bekommen. Denn im Mediumismus und Somnambulismus, der Quelle aller okkulten Phänomene, mischt sich das Geheimnis des organischen Lebens mit den übersinnlichen Geheimnissen, und diese Mischung ist trüb. Hier nämlich handelt es sich nicht länger um Geist, Niveau, Geschmack, um nichts in Kühnheit Schönes; hier ist Natur im Spiel, und das ist ein unreines, skurriles, boshaftes und dämonisch-zweideutiges Element, gegen welches der Mensch, geistesstolz, emanzipatorisch-gegennatürlich gesinnt seinem Wesen nach, sich vornehm zu verhalten liebt, indem er seine spezifische Würde drin sucht, zu vergessen, dass er ein Kind der Natur, so gut wie ein Sohn des Geistes, bleibt. Gleichwohl hiesse es der Naturforschung, dem Wissen um die Natur überhaupt auf
mittelalterlich-hierarchische Art jede menschliche Würde und Wichtigkeit absprechen, wollte man es der Metaphysik aus humanen Gründen ernstlich verwehren, experimentel zu werden, das heisst also Okkultismus zu treiben. Als ob nicht die exakte Naturwissenschaft selbst an einem Punkt hielte, wo ihre Begegnung mit der Metaphysik unvermeidlich wird! Die Thatsache, dass ich von der Lehre des berühmten Herrn Einstein sehr wenig weiss und verstehe (ausser etwa, dass dennoch die Dinge eine ‘vierte Dimension’ besitzen, nämlich die der Zeit) hindert mich so wenig wie jeden anderen intelligenten Laien, zu bemerken, dass in dieser Lehre die Grenze zwischen mathematischer Physik und Meta-Physik fliessend geworden ist. Ist es noch ‘Physik’, wenn man sagt (und man sagt heute so!), die Materie sei zuletzt und zuinnerst nicht materiell, sie sei nur eine Erscheinungsform der Energie, und ihre ‘kleinsten’ Teile, die aber bereits
| |
| |
weder klein noch gross sind, seien zwar von zeiträumlichen Kraftfeldern umgeben, aber sie selbst seien zeitund raumlos?
Genug der Theorie! Kommen wir zu meinen Erlebnissen... Sie haben zur Voraussetzung die Bekanntschaft mit einem Mann, über den die Meinungen noch vor kurzem so gründlich auseinandergingen, dass die Einen ihn für einen Charlatan und betrogenen Betrüger erklärten, die Anderen ihn als charakter-und verdienstvollen Forscher und Mit-Initiator einer neuen Wissenschaft ehrten. Er heisst Dr. Albert Freiherr von Schrenck-Notzing. Praktischer Arzt von Hause aus, Spezialist für Nervenkrankheiten, Sexual-Patholog, gelangte er früh, schon vor mehr als dreissig Jahren, auf dem Weg über den Hypnotismus und Somnambulismus zu okkulten Studien, und es scheint, dass er eine Zeit lang dem Spiritismus zugeneigt gewesen ist, während er heute diese Theorie von der Hand weist und zur Erklärung all der Unerklärlichkeiten, die er hervorruft und beobachtet, sich auf unbekannte, aber allmählich zu erkennende Naturkräfte bezieht.
Das Erscheinen seines Buches ‘Materialisations-Phänomene’, ein paar Jahre vor dem Kriege, rief einen voll ausgewachsenen öffentlichen Skandal hervor. Aus der offiziellen Gelehrtenwelt hagelte es Proteste gegen soviel Verirrung, Leichtgläubigkeit, Dilettantismus und Schwindel. Das Publikum, soweit es von der Sache erfuhr, hielt sich den Bauch vor Lachen. Und wirklich, das Buch stellte unseren Ernst auf harte Proben, sowohl durch seinen Text wie durch seine Bilderbeigaben, Photographien, die grotesk, phantastisch und albern anmuteten. Es fehlte nicht an Nachweisen, dass Dr. von Schrenck betrogen worden sei, was wahrscheinlich mehr als einmal wirklich der Fall gewesen war, denn das Unglück will, dass die mediale Veranlagung, so
| |
| |
echt sie sei, nicht nur nichts gegen schlechte Charakter-eigenschaften beweist, sondern, wie es scheint, den Hang zur Mystifikation und die Fertigkeit darin geradezu begünstigt. Jedenfalls sah es Jahre lang aus, als sei Schrenck-Notzing als Gelehrter rettungslos kompromittiert, als sei er wissenschaftlich ein toter Mann.
Die Jahre gingen. Der Krieg kam und mit ihm kamen unerträumte Umwälzungen und Abenteuer. Der zweite Band der ‘Materialisations-Phänomene’ fand eine vollständig veränderte Atmosphäre vor. Nicht, dass sein Inhalt weniger toll gewesen wäre, als der des ersten, oder auch, dass die offizielle Wissenschaft, die Presse, das Publikum, ihm einen geneigteren Empfang bereitet hätten. An Spott und Schimpf war auch diesmal kein Mangel; aber es schien, als sei beides weniger kraftvoll, von nicht ganz so behäbiger Zuversicht getragen, wie ehemals, und nicht ohne einen Einschlag von Resignation, von fatalistischem Gewährenlassen. Man hatte soviel Ungeahntes hinnehmen, so krasse Dinge über sich ergehen lassen müssen, dass der Entrüstung, die auch jetzt noch aufzubringen man sich bemühte, der rechte Schwung gebrach, ja, dass ihr eine unverkennbare Neigung zum Paktieren beigemischt war.
Ganz ähnlich wie in der Politik gibt es im Verhalten der Wissenschaft zum Okkultismus ein ‘Rechts’ und ein ‘Links’, eine starr konservative und eine radikal-umstürzlerische Gesinnung und Willensmeinung, nebst zahlreichen Uebergängen und Abschattungen zwischen den Extremen des verstockten Ableugnens aller rational unerklärlichen, aber immer wieder gemeldeten und verbürgten Erscheinungen, wie Telepathie, Wachtraum und Zweites Gesicht, und andererseits einer fanatisch-kritiklosen Leichgläubigkeit, die weiniger auf gefasster Ehrfurcht vor dem Geheimnis, als auf inhumaner Gehässigkeit gegen Vernunft und Wissenschaft beruht.
| |
| |
Immerhin hat hier, wie am Ende auch in der Politik, die intransigent konservative Haltung ihr gutes Recht für sich, denn zwischen Rechts und Links liegt eine schiefe Ebene, auf der man gar leicht ins Gleiten gerät, und einen einzigen okkulten Fall auch nur als wahr unterstellen heisst seinen kleinen Finger einem Teufel reichen, der fast unfehlbar in der Folge die ganze Hand und den ganzen Mann nimmt. Principiis obsta! Und dennoch ist unverkennbar, dass heute ein gefährlicher Liberalismus im Lager der ortodoxen Wissenschaft Deutschlands einzureissen beginnt, - Deutschlands, das bisher als Hochburg des Konservatismus in dieser Hinsicht betrachtet werden durfte. Im Auslande, in England, in Frankreich war die Nachgiebigkeit längst ohne Frage grösser, häufiger gewesen, - ich will nicht von Amerika reden, wo unnötig viel Humbug sich den okkulten Studien beigemischt zu haben scheint. Es verfehlte vielleicht nicht ganz seinen Eindruck bei uns, dass Schrenck-Notzings ‘Materialisations-Phänomene’ ins Englische übersetzt wurden; dass die ‘Society for psychical Research’ vor zwei Jahren das Medium, mit dem er früher hauptsächlich experimentiert hatte, eine Person namens Eva C., nach London kommen liess und einen sehr ernsthaften Bericht über die Sitzungen mit ihr veröffentlichte; dass französische Gelehrte, wie Richet, Flammarion, Gustave Geley, Dr. Bourbon u.A. ihn in seinen Gewagtheiten unterstützten, seine Versuche nachprüften, seine Ergebnisse bestätigten. Kurzum, eine leichte Erschütterung, eine gewisse Demoralisation unserer konservativen, unserer ‘skeptischen’ Phalanx ist ohne Zweifel zu verzeichnen. Es gibt Verräter, heimliche Verräter, bevor sie zu öffentlichen werden. Es gibt Universitätsprofessoren, und zwar keineswegs nur Philosophen und Psychologen, sondern
Naturwissentschaftler, Physiker, Physiologen und Aerzte, die, aus der mangelhaften Münchner Stras- | |
| |
senbeleuchtung einen überläuferischen Nutzen ziehend, vermummt und verstohlen sich zu den abendlichen Sitzungen des Herrn von Schrenck schleichen, um zu sehen, was ihnen nicht frommt. Denn sie müssten wissen und wissen auch, dass das einzige Mittel, sich intakt zu halten, darin besteht, die Augen zu verschliessen und nicht zu sehen. Man ist verloren oder so gut wie verloren, es ist aus mit der Skepsis oder vielmehr: die Skepsis beginnt, wenn man sieht. Dafür gibt es Beispiele. Ein gesuchter Münchner Augenarzt legte in Gesellschaft das Bekenntnis ab: durch das, was er bei Schrenck-Notzing gesehen, sei er ‘in der Skepsis sehr vorsichtig geworden’. Ein hübsches Wort, - wie die bedenklichsten Worte die hübschesten sind. Denn das ist in der That die wahre Skepsis noch nicht, die sich nicht auch gegen sich selber kehrt, und ein Skeptiker, so schien mir immer, ist eigentlich nicht, wer nur das Vorschriftsmässige glaubt und seine Augen vor allem hütet, was seine Tugend gefährden könnte, sondern wer, populär gesprochen, Verschiedenes für möglich hält und gegebenen Falles nicht, um des Wohlanstandes willen, das Zeugnis seiner gesunden Sinne verleugnet.
Was mich betrifft, so hatte ich Zeit meines Lebens in Fragen des Okkultismus theoretisch ziemlich weit ‘links’ gestanden, hatte also, im Sinn jenes weiter gehenden Skeptizismus, das Verschiedenste für möglich gehalten, ohne mich übrigens persönlich irgendwelcher praktischen Erfahrungen auf dem Gebiete des Uebersinnlichen rühmen zu können. Mein Interesse war eine theoretische Sympathie, welche diese Dinge wohlwollend auf sich beruhen liess. Ich empfand und äusserte wohl gelegentlich den Wunsch, einer Séance beizuwohnen, aber es wurde nichts daraus, und dass nichts daraus wurde, lag denn doch wohl an mir.
Und nun? Und kürzlich? Besuch meldete sich, ein Herr,
| |
| |
Künstler, Maler, Zeichner, von einem humoristischen Blatt beauftragt, meine Karrikatur zu zeichnen. Nur zu! Er zeichnete mir eine schiefe Nase, und ein Wort gab das andere. Gott weiss, wie wir auf Herrn von Schrenck-Notzing kamen. Ob ich gehört hätte, dass er mit einem neuen Medium arbeite, fragte mein Gast, während er mich mit dem Stift verspotte te. Es sei ein junger Mensch, ein halber Knabe, Willi S. mit Namen, Zahntechniker seines Zeichens und dabei ein physikalischer Tausensassa, mit dem Schrenck ganz tolle Erscheinungen zeitige. Er habe ihn entdeckt, ihn nach München kommen lassen, ihm Unterkunft und berufliche Anstellung verschafft, ausserdem eine Summe für ihn hinterlegt, unter der Bedingung, dass Willi ausschliesslich mit ihm ‘sitze’. Seit einem Jahr schon arbeite er mit ihm und habe ihn psychisch so weit abgerichtet, dass Willi, anders als die meisten Medien, einen beständigen Wechsel der an den Sitzungen teilnehmenden Personen vertrage, fast ohne je zu enttäuschen. Dies sei aus Gründen der Propaganda wichtig für Schrenck. - Ob man wohl einmal dabei sein könne, fragte ich. - Das hielt der Maler garnicht für ausgeschlossen. Er kannte Schrenck und er hatte für seine Person den gleichen Wunsch. Ich sollte ihn machen lassen; er werde meine Zuziehung in die Wege leiten.
Und so geschah's. Es folgten telephonische Verabredungen; und eines Winterabends um 8 Uhr befand ich mich mit meinem Satyriker auf der Trambahnfahrt zur Séance, - aufgeräumt, unternehmend und neugierig wir beide, in einer Verfassung zwischen Uebermut und Nervosität, die mich - ich bitte jedermann wegen des Vergleiches um Verzeihung - ein wenig an die Stimmung junger Leute erinnerte, die sich zu ihrem ersten Besuch bei Mädchen anschicken.
Das palaisartige Haus des Baron von Schrenck ist in
| |
| |
bevorzugter Stadtgegend in unmittelbarer Nähe des Karolinenplatzes gelegen. Ein Diener öffnete, führte uns durch ein steinernes Vestibül und einige Stufen hinan auf einen Vorplatz. Während wir ablegten, hiess der Hausherr uns mit der leichten und etwas kühlen Liebenswürdigkeit des Aristokraten willkommen und liess uns danach in ein mässig grosses Bibliothekzimmer eintreten, wo wir die übrigen Teilnehmer an der bevorstehenden Sitzung schon versammelt fanden. Nur einer von ihnen war mir bekannt, - ich begrüsste ihn, indem ich meine Verwunderung unterdrückte, ihm hier zu begegnen. Es war Professor G., Zoölog und eifriger Sportsmann, Skilaufer, Segler und Hochtourist, bartlos, jünglinghaft seiner Erscheinung nach, obgleich gewiss Mitte vierzig, ein Naturbursch und Freiluft-Mensch, - nie hätte ich gedacht, dass er nach dem Verborgenen trachte. - Es wurde vorgestellt. Ich war erfreut, die Bekanntschaft Emanuel Reichers zu machen, des berühmten Schauspielers und Bindestrich-Amerikaners, der eben in Deutschland weilte. Auch die Hauswirtin und Pflegemutter des Mediums, eine Wittwe in mittleren Jahren, namens Frau P., war anwesend. Ferner ein polnischer Maler, blond, rasiert, liebenswürdig und hart redend mit warmer Stimme. Dann einer oder der andere Angehörige der Schwabinger Intellektuellen-Sphäre. Das naturwissenschaftlich-medizinische Element hielt dem laienhaft-geistigen beiläufig die Wage. Es war da ein zweiter Zoölogie-Professor; ein junger Arzt aus der Schweiz; ein ebenfalls noch jugendlicher deutscher Mediziner, Assistent an einem Münchner Krankenhaus, der einen Apparat für Blutdruckmessung mitgebracht hatte; eine Spezialistin für Nervenmassage, blond und lustig... Mehrere der Anwesenden waren Neulinge, auch Reicher, der es jedoch nicht auf okkultem Gebiete überhaupt, sondern nur in
diesem Kreise zu sein schien.
| |
| |
Etwas abseits von der Gesellschaft hielt sich das Medium, Willi S. Auch mit ihm machte der Baron mich bekannt, indem er ihn scherzend, in der deutlichen Absicht, auf Selbstbewusstsein und Stimmung des jungen Menschen zu wirken, als ‘die Hauptperson’ bezeichnete. ‘Das ist die Hauptperson, wissen Sie’, wiederholte er, für sein teures und heikel-organisches Instrument um freundliches Entgegenkommen werbend. Als ob das nötig gewesen wäre in meinem Fall! Mein Wohlwollen war grenzenlos, und ich liess es mir angelegen sein, den Künstler das merken zu lassen, ihn gewiss zu machen, dass in mir kein Feind und böser Aufpasser, kein Skeptiker jener Art sich eingefunden habe, die auf nichts als Entlarvung und triumphbrüllende Ueberrumpelung bedacht ist. Ich war ein positiver Skeptiker, ein Skeptiker, der seine Freude daran hatte, wenn etwas gelang, - das sollte er wissen. Betrug? Zwischen Betrug und Wirklichkeit gab es viele Zwischenstufen, undirgenwo waren sie eins. Vielleicht handelte es sich um eine Art Natur-Betrug, der ebenso gut als Realität anzusprechen sein mochte? Ich war gekommen, um, ohne mir selbst etwas vorzumachen, zu sehen, was zu sehen sein würde, - nicht mehr und nicht weniger. Ich wechselte einige Worte mit Willi S., auch in dem Wunsch, einen Eindruck von seiner Persönlichkeit zu gewinnen. Ich fand einen 18 oder 19-jährigen Brünett, nicht unsympathisch und ohne jedes phänomenale Merkmal, von offenbar schlichter Herkunft, süddeutsch-österreichischen Dialekts und von anständig freundlichem Wesen, der aber kein Bedürfnis verriet, durch eifrige und wortreiche Höflichkeit für sich einzunehmen. Einsilbig vielmehr beim Antworten auf sachliche Erkundigungen, schien er im Zustand einer gewissen Spannung und unterdrückten Erregung befangen, einer Art von Lumpenfieber offenbar, das sich mit der
natürlichen Schüchternheit seiner
| |
| |
schlichten Jugend vereinigte und dem Verständnis leicht zugänglich war.
Ich verliess Herrn Willi, der von dem jungen Kliniker zu einer Blutdruckmessung eingeladen wurde, und folgte der Aufforderung des Hausherrn, mich im anstossenden Laboratorium umzusehen. Das war ein geräumiges Zimmer, unordentlich angefüllt mit photographischen Apparaten und solchen für Magnesium-Blitzlicht, Stühlen und Tischen, auf denen allerlei Gegenstände, wie z.B. eine Spieldose, eine gestielte Tischglocke, eine Schreibmaschine, mehrere weisse Filzringe u.s.w. standen und lagen, - Dinge, die, banalen Charakters an und für sich, dem jungen Willi bei seinen seltsamen Leistungen dienen, und von denen die Rede sein wird. Auch eine Art von Käfig aus feinem Drahtgeflecht war zu sehen, worin man den Jüngling gelegentlich einer wissenschaftlich-kritisch besonders strengen Sitzung verwahrt hatte, ohne dass man ihn durch diese Vorkehrung hatte hindern können, Unerklärlichkeiten zu erzeugen. Endlich war da das ‘schwarze Kabinett’, an das soviel Gerede und Verdachtsgemunkel sich knüpfte, und dessen frühere Versuchspersonen leidiger Weise bedürftig gewesen waren. Ich sah hinein. Es hatte nüchterne Bewandtnis damit. Gleichgültiges Gerümpel stand hinter dem deckenhohen Vorhang, der einen Winkel des Zimmers vom Hauptraum abteilte. Wir würden das Kabinett nicht brauchen, sagte Dr. von Schrenck. Willi brauchte es nicht. Er war stark. Frei sass er im Zimmer bei seinen Thaten. Nun, desto besser. Meine positive Skepsis hätte auch das Kabinett in den Kauf genommen, aber desto besser, wenn Willi so stark war. - Wir kehrten in die Bibliothek zurück. Ein Arbeitszimmer mit Schreibtisch stiess andrerseits daran, wo Willi zur Sitzung Toilette machte.
Er macht diese Toilette beileibe nicht allein; er macht
| |
| |
sie unter der argusäugigen Kontrolle dreier Personen, des Hausherrn und zweier Assistenten, zu welchen Dr. von Schrenck als Versuchsleiter diesmal mich und die lustige Nervenärztin ernannte. Ganz zu Befehl, - obwohl ich mir selbst nicht durchaus als die rechte Persönlichkeit zu solchem Amte erschien. Ich fühlte mich voller Laxheit und Wohlwollen, geneigt, die Ueberwachung als Formalität zu behandeln. Die Rolle des misstrauischen Aufpassers liegt mir nicht, sie beschämt mich und widerstrebt meiner Humanität. Misstrauen ist nicht meine Sache; bis zum faustgroben Beweise des Gegenteils nehme ich an, dass man es gut mit mir meint. Wie komme ich dazu, diesen Jungen, der sich anschickt, Merkwürdiges zu leisten, durch Kundgebung des Verdachts herabzustimmen, er wolle mich betrügen? Ich bin ein Skeptiker, der wünscht, dass etwas zustande komt... Aber vielleicht war das die allergründlichste und aüsserste Skepsis? Vielleicht war ich, in meiner Lässigkeit und meinem Wohlwollen, der Ungläubigste von allen?... Das musste gleichviel sein für den Augenblick. Kostümiere dich, Freundchen, ich sehe zu.
Der Baron wies uns das schwarze, aus einem Stück gearbeitete Trikot vor, worein Willi vom Halse bis zu den Fussknöchen sich kleiden sollte. Er hielt uns an, es genauer Prüfung zu unterziehen, den Stoff überall zu befühlen, - es war ihm an unseren Kritizismus gelegen. Ein Baumwolltrikot, schon gut. Es war keine Spur von Verräterei daran zu bemerken, und Willi zog es über seinen bräunlichen Knabenkörper. Ich fing einen schüchternen und ernsten Blick auf, den er, indem er es anlege, zu meiner Kollegin, der blonden Aerztin hinübersandte, die heiter in die Luft blickte... Im blossen Trikot jedoch fror der Bursche erfahrungsgemäss, das war menschlich einleuchtend, und darum gab man ihm einen Schlafrock dazu, einen alten wattierten, seidenen des Barons, ein
| |
| |
behagliches Kleidungsstück, das wir ebenfalls gewissenhaft untersuchten, so Taschen wie Futter. Ein gutmütiger alter Schlafrock, - schon recht. Er wies aber eine Merkwürdigkeit auf, die der Baron uns erklärte. Er war mit Bändern besetzt, überall, an den Aermeln, den Säumen, die Nähte hinunter: mit weissen Bändern benäht, und das waren Leuchtbänder, sie waren präpariert, waren mit einer Masse bestrichen, die im Dunkel leuchtete, sodass man die Umrisse von Willis Figur auch bei sehr gedämpfter Beleuchtung genauestens würde im Auge behalten können. Das hiess ich gut und praktisch. Auch um den Kopfbekam Willi diademartig ein Leuchtband geschlungen und alte türkische Pantoffeln an die Füsse. So war er fertig, allein da er fertig war, riss er den Mund vor uns auf, sperrangelweit und nach Löwenart, als wollte er uns verschlingen. Dem stand ich ratlos gegenüber, aber mir wurde klar gemacht, dass es sich um die Kontrolle der Mundhöhle handle. Den Teufel auch, da hatte ich um ein Haar die Mundhöhle vergessen! Er hatte schon einen Goldzahn darin, seinem Handwerk zu Ehren. Im übrigen war das eine einwandfreie Mundhöhle. In Gottes Namen, schon recht, man sah ja bis hinter das Zäpfchen. Und wir gingen hinüber. Freundliches Hallo empfing uns im Nebenzimmer. Die Habitués begrüssten ihren vermummten Willi. Es war eine fröhliche Maskerade, und er selbst, in seinem Talar und seiner Priesterbinde lächelte tölpelhaft gutmütig über seinen Aufzug. Zum Werke denn! Die Gesellschaft ergoss sich ins Laboratorium und hinter uns verschloss der Hausherr die Eingangstür.
Es wurde ernst. Unnatürliches sollte sich in diesem sonderbaren Zimmer ereignen, das einem photographischen Atelier mit Unterhaltungsgegenständen für Kinder glich. Ich gestehe, dass leichte Zaghaftigkeit mich anwandelte, ein innerer Widerstand, ein Zweifel,
| |
| |
ob ich für meine Person bei diesem Unternehmen denn wohl am Platze sei. Aber da übertrug der Versuchsleiter mir ungebeten die Kontrolle des Mediums, mir und der Hauswirtin Willis, Frau P., und begann sogleich, mich in der praktischen Ausübung zu unterweisen. Sie war praktisch in der Tat, höchst ausgiebig und beruhigend. Dem jungen Mann gegenüber, hatte ich meinen Stuhl nahe an den seinen heranzurücken, hatte seine beiden Kniee zwischen die meinen zu nehmen und seine Hände zu fassen, während seine Handgelenke von der Assistentin gehalten wurden. So war Willi in sicherer Haft, ich gab es zu, und so sassen wir, und sahen uns töricht an, während die Teilnehmerschaft gemächlich plaudernd ihre Plätze einnahm.
Das geschah vor dem Vorhang, in einem unvollkommenen, nur etwa zu drei vierteln geschlossenen Kreise, an dessen einem Ende das Medium mit uns Kontrolleuren, und an dessen anderem der Hausherr sass. Nicht alle Anwesenden fanden Platz in dieser Reihe; zwei oder drei Personen mussten in die zweite zurücktreten, stehend oder sitzend, nach Wunsch und Laune, darunter der sportliche Zoölogie-Professor, der sich zu meinem Erstaunen mit einer Handharmonika bewaffnet hatte. Er war ein Künstler auf diesem Instrument, bethätigte sich oft darauf bei Ausflügen und sommernächtlichen Gartenfesten, und darum besonders war er hier gern gesehen. Denn das Medium verlangte Musik bei seinen Darbietungen, fast unaufhörlich Musik, - das war ein Stimmungsbedürfnis, das man ihm nachsehen, eine Produktionsbedingung, die man ihm vernünftiger Weise zugestehen musste, und Professor G. brachte mit seiner Ziehorgel grosse Abwechslung in das Programm, das sonst allein von einer Spieldose bestritten wurde, die nur über eine einzige und nicht einmal besonders ansprechende Nummer verfügte...
| |
| |
Noch herrschte normale Helligkeit im Raum, elektrisches Weisslicht, und in ihm traf der Baron letzte Anordnungen unter den Versuchsobjekten. Ein Tischchen stand in unserem Kreis, nicht genau in der Mitte, sondern dem Hausherrn näher als dem Medium, von diesem anderthalb Meter entfernt, wie der Baron mit einem Meterstab ermittelte, und mehrere Gegenstände waren darauf gestelt: ein rot verhülltes Lämpchen, die Handglocke, ein Teller mit Mehl, ein Schiefertäfelchen nebst einem Stück Kreide. Ein geräumiger Papierkorb war daneben zu sehen, nämlich umgekehrt, den Boden nach oben, und auf diesen hatte man die Spieldose placiert, eine zweite Spieldose, nicht die konzertierende, die hinter dem Sitz des Barons auf einem Wandbrett stand, sondern eine kleinere, auf welcher Herrn Willis Fähigkeiten sich beispielsweise bewähren sollten. Die Schreibmaschine setzte der Baron irgendwo in seiner Nähe auf den Teppich und verteilte dann noch auf der Bodenfläche des Kreises dahin und dorthin kleine Filzringe, Leuchtringe, genau gesagt, denn sie waren präpariert, wie die Streifen an Willis Gewand, und an einer oder zweien war sogar eine längere Leuchtschnur befestigt... Mehr noch: auch die grösseren Objekte, sowie sie sich irgend dafür eigneten, der Papierkorb also, die Spieldose, die Handglocke, waren mit Leuchtbandstreifen besetzt, dieser Erfindung des Barons, auf die er sich etwas zugute that und die er reichlich in Anwendung brachte... Das Licht erlosch.
Aber es wurde noch einmal eingeschaltet, da Willi, bei wachen Sinnen noch, in meiner Haft, auf eine Vergesslichkeit aufmerksam gemacht hatte. ‘Die Nadeln, Herr Baronl’ sagte er. Das war noch eine Vorsichts- und Kontrollmassregel, an die der Ehrenmann da erinnerte. Der Baron steckte grosse Nadeln in den Sammetschlafrock, in die Aermel und die Schösse: Nadeln
| |
| |
mit dicken, weisslichen selbstleuchtenden Köpfen, wie denn solcher Nadeln auch einige im Vorhang staken, rechts und links von der Spalte, sodass auch dort jede Bewegung im Dunklen sich würde verraten müssen... Aufs Neue Abknipsen des Weisslichtes. Was an Beleuchtung übrig blieb, war dunkel - rötlicher Schimmer, der von einer rot und schwarz verhüllten Deckenlampe und von der kleinen, ebenfalls abgedämpften Tischlampe einfiel. Es war nicht reichlich, für ein noch unakkomodiertes Auge, aber der Baron versicherte, dass er die Erlaubnis zu grösserer Helligkeit vorderhand beim besten Willen nicht habe durchsetzen können. ‘Ich kämpfe um jeden Strahl!’ sagte er; ‘aber dies ist alles, was ich bis jetzt erreichen konnte’. Uebrigens leuchtete Willi, es leuchteten die Filzringe, die Streifen an den übrigen Gegenständen und die Nadeln im Vorhang. Man übersah im Grunde die Verhältnisse des Schauplatzes. Die Platte des Tischchens war gut erhellt, wie man binnen kurzem fand. - Es wurde um ein wenig Stillschweigen gebeten, und in das Stillschweigen hinein liess die konzertierende Spieldose, die der Baron in Gang gesetzt hatte, klar und kindlich ihre einzige Nummer ertönen, ein Liedchen, eine kurze, immer gleich wieder von vorn anfangende Melodie, von zierlichen Accompagnements umperlt. Man wartete. Ich im besonderen wartete, Willis Hände weder zu fest noch zu locker in den meinen.
Plötzlich, nach drei oder vier Minuten, zuckt er zusammen. Ein Krampfzittern durchläuft ihn und seine Arme beginnen mit den meinen pumpend-stossende Vorund Rückwärtsbewegungen auszuführen. Sein Atem geht kurz und rasch.
‘Trance!’ meldet meine kundige Assistentin.
Da war der Junge mir unter den Händen in Trance gefallen! War das ein Abenteuer! Nie hatte ich bisher
| |
| |
diesen Zustand beobachtet, und da ich überzeugt bin, dass das ein Zustand von weit reichender Merkwürdigkeit ist, so wandte ich ihm angelegentlichste Aufmerksamkeit zu. Die Sache ist die, dass während seiner Dauer Willis Ich sich für seine Traumvorstellung in zwei symbolische Personen spaltet, eine männliche und eine weibliche, die er ‘Erwin’ und ‘Minna’ nennt. Eine Kinderei. Hokuspokus. Niemand nimmt Erwin und Minna ernst, aber man geht um der Sache willen auf die Grille ein, kennt keinen Willi mehr und hält sich an die Beiden, die ihre abwechselnde Gegen wart auf simple Art zu kennzeichnen wissen. ‘Erwin’ ist ein Rüpel. Er thut sich durch die robuste Stärke von Willis Krampf- und Stossbewegungen kund, leistet aber selten etwas Ansehnliches und überlässt den Platz denn auch meistens der sanfter sich gebärdenden und anstelligeren Schwester. Nach dem Urteil meiner Assistentin war sie es auch jetzt, die uns schüttelte und mit unseren Armen pumpte. ‘Ist Minna da?’ fragt der Baron.
Ja, sie ist da. Ein einmaliger kurzer und fester Händedruck, den ich von Willi empfange, bestätigt es. Das ist seine Art, zu bejahen. Beim ‘Nein’ gibt es seitliches Hin und her der Hände und des Oberkörpers. Ausserdem spricht auch der Sonnambule zu den Kontrollierenden rasch und stark flüsternd, auf eine gewisse leidenschaftliche Art, aber mit schwerer Zunge.
Der Baron begrüsst Minna. ‘Guten Abend, Minna, so und so, es sind gute Freunde hier, du kennst die meisten, ein paar sind neu, aber das macht dir nichts, wie ich dich kenne, nicht wahr?’
Verneinendes Hin und her.
‘Die Kontrolle hat heute Der und der, ein Mann voller Sympathie, ein Mann des wärmsten Interesses für dich und dein Können. Du wirst ihm hoffentlich sehr schöne Dinge zeigen?’
| |
| |
Händedruck und kurzes Vorwärtsstossen des Oberkörpers.
‘Ja, sie verspricht es.’ (Alberner Weise sagt man unwillkürlich ‘sie’).
‘Gut also, Minna, streng dich an!’
(Slot volgt)
|
|