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Ueber die Liebe
Von Emil Lucka
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Wenn man philosophisch über die Liebe spricht, darf man nicht bloss die Geschlechtsliebe, die Liebe zwischen Mann und Frau, vor den Augen haben. Sie ist nur ein Weg, wenn auch der unmittelbarste und menschlichste, der den Einzelnen mit seinem Gefühl an ein umfassenderes Leben schliesst, ihn über sich selbst hinausführt, ihn reiner und grösser macht. Doch andere Wege der Liebe sind nicht weniger menschlich und wahr, wenn sie auch kaum mit solcher Regelmässigkeit beschritten werden. Liebe im weitesten Sinne ist das Gefühl, durch das der einzelne mit einem anderen Menschen, mit der ganzen Menschheit, mit der Natur, mit dem Weltall in Gemeinschaft tritt, durch das er aus seiner Verschlossenheit herauskommt, sich einem Höheren hingibt, mit aller seiner Seligkeit darin zu verströmen. Es gibt zwei Arten, sein Ich zu erhöhen, es intensiver, wie in einem Rausch zu füllen: in der stärksten Zusammenfassung seiner selbst liegt der Genuss der Macht und der Eitelkeit mit allen ihren unerschöpflichen Formen. Ein Mensch erweitert triumphierend seine Grenzen gegen alle anderen Menschen und gegen die Welt, er dehnt sein Ich immer mächtiger über andere aus und beherrscht sie. Mächtig sein heisst ja, sein Ich über andere erhöhen, und diese NiveauDifferenz, diese Potenzialspannung geniessen; seine Eitelkeit erfüllt sehen,
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heisst: höher scheinen als andere und sich am Schein genügen lassen, den Schein geniessen.
Dies ist die eine Gruppe von Möglichkeiten, sein Ich stärker, reicher und mit Lust zu fühlen; von ihr will ich nicht sprechen, ich habe anderswo Näheres ausgeführt. Die zweite Möglichkeit findet nicht an der Herausarbeitung der Grenzen ihre Befriedigung, sondern an der Aufhebung der Grenzen, sie vermag daher, immer weitere Schranken brechend, ins Unendliche fortzuschreiten. Sie ist die Liebe im aller umfassendsten Sinn. Lieben heisst, seine Individualität aufgeben, sich in ein anderes, einen anderen Menschen, in die Welt ergiessen, heisst der Macht und der Eitelkeit entsagen und das höchste Glück in der Hingabe seiner selbst finden. Meinstens glauben wir, dass die egoistische Stärkung und Vereinigung der Grenzen die Erhöhung unseres Daseins gewahren müsse; aber dem gegenüber lebt eine heimliche Sehnsucht in der Seele, wenigstens einmal, wenigstens vor einem Menschen diese scharfe Abgrenzung hinwerfen zu dürfen, sich liebend aufzulösen.
Vielleicht ist es erlaubt, ein wenig von der Psychologie ins Metaphysische auszuschweifen. In manchen Augenblicken überkommt es uns wie etwas Rätselhaftes und tief Erschreckendes, dass die Menschheit in Millionen einzelne Seelen zerspalten und dass jede Seele zugeschlossen ist um sich allein. Warum haben wir Menschen nicht ein grosses, einheitliches, gemeinsames Leben, warum schlägt nicht alles Lebendige im seligen Gleichtakt eines einzigen Herzens? Ist die Wurzel alles Seins nicht eine? Das ist die tragische Urtatsache des Menschenlebens oder, bei anderer Tönung des Gemütes, die Sünde von Anbeginn, die Ursünde. Wenn hier eine etwas freie, aber vielleicht nicht widersinnige Deutung der sogenannten Erbsünde versucht werden
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darf, so möchte ich sagen: Im ersten Menschen ist alles Menschensein noch Eines gewesen, ein Ganzes, ein untragisches, ein paradiesisches Sein. Die Menschheit, die Adam genannt wird, war ein einziger Mensch nur. Mit dem zweiten Menschen aber ist diese Ureinheit schon zerstört, der Schritt vom ersten zum zweiten Menschen ist der allerprinzipiellste und folgenschwerste in der Entfaltung der Menschheit. Menschheit und Seele sind nicht mehr eine ungeschiedene Tatsache, der Mensch ist etwas vom Dasein Abgelöstes geworden, etwas auf sich selbst Ruhendes. Die Menschheit ist in einzelne Seelen zerlegt, deren immer mehr werden, und so ist Vielheit und Vereinzelung, ist Hass und Kampf entstanden. Die Sünde, die grosse Sünde der Zerrissenheit, die Tragödie der Menschenvielheit, die sich hasst und verzehrt, hat eingesetzt und will nicht wieder enden. Im Menschen ist aber ein tiefes Gefühl, vielleicht eine Erinnerung an erste ungeschiedene Seligkeit: Dass dies nicht sein sollte, dass es Unrecht, dass es - wenn wir diese Tonlage noch einen Augenblick festhalten wollen - Sünde ist, sich hassend zu vernichten anstatt liebend Eines zu sein. Ein übermenschlich Liebender, ein Gott wird herabgerufen, hebt in einem Herzen allergrösster Liebeskraft die Sünde von Anbeginn auf, erlöst die Menschen, die ihm gleich sind in der Liebe, aus ihrer Vereinzelung dadurch, dass er die Grenzen niederreisst, die sie von einander scheiden, dass er alles Menschenleben in ein All-Leben, in ein ungeschieden göttliches Leben löst, mit dem Vater, dem Urleben, zu einem macht. So ist Vielfalt und Feindseligkeit in der grossen Liebe getilgt, die Sünde vernichtet. - Diese Abschweifung soll nicht dogmatisch genommen worden, sondern nur in das Verständnis der Liebe hineinführen, soll die Sehnsucht des menschlichen Herzens klarlegen. Denn die Sehnsucht ist da, und ist lebendig,
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in jedem Herzen zu seiner Stunde: Die Sehnsucht nach Aufhebung der Schranken, nach Auslöschen der Grenzen mit ihren feindlichen Spitzen, die Sehnsucht nach Liebe.
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Jeder Jüngling und jedes Mädchen fühlt die Begierde, einmal über sich selbst hinauszukommen, sich hinzugeben, sich in ein Anderes zu verlieren. In dem Augenblick, wo diese Sehnsucht ihr Objekt gefunden hat, wo der Mensch plötzlich weiss: hier is mein Glück, hier enden Unruhe und Sinnlosigkeit - in dem Augenblick ist die Liebe eingetreten, die Gewissheit, dass sich hier die Pforte auftut ins Grosse, ins Umfassende. Das untrügliche Gefühl verkündet: zu diesem Menschen hin, durch diesen Menschen hindurch führt der Weg aus schmerzhafter Zerstückelung ins Ganze. Und nun wird alle Kraft eingesetzt, dieses Höchste, dass sich so zwingend auferlegt, zu erreichen. Gelingt es nicht, dann vermag der Liebende sein Leben fortzuwerfen, weil er sich ganz verloren fühlt, ausgestossen aus dem heiligen Reigen des Lebens. - Alles das tritt natürlich nicht klar ins Bewusstsein, aber es lebt in der Seligkeit und im Schmerz der Liebe. Der Liebende hat ein durchaus gutes Gewissen, er spricht sich die höchste Berechtigung und die Pflicht zu, seinem Gefühl zu folgen. Auch der folgt ja seinem Gefühl, den es zur Ausschweifung oder zum Verbrechen drängt, aber er tut es, weil er schwach ist, etwas in ihm widersteht. Der Liebende jedoch identifiziert sich mit seinem Gefühl bis zu letzten. Das Kind hat noch keine entschieden abgeschlossene Individualität, es bewegt sich noch in einer Sphäre allgemeinen Lebens, es ist zwar naiv selbstsüchtig wie das Tier, aber ihm fehlt noch die bewusste Abgegrenztheit der Erwachsenen, die sich den Egoismus zum Leitfaden
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genommen haben. Weil Kinder im psychologischen Sinne noch keine Menschen sind, darum haftet für unser Fühlen noch etwas von der ungebrochenen Einheit des Naturlebens an ihnen. Sie sind, wie die Theologen sagen, von der Sünde, und wie wir es verstehen, von der Zerspaltenheit des Menschenlebens frei. Daher können Kinder unmittelbar Gegenstand der Liebe für uns sein wie die Blumen; wir spüren, dass sie noch in jener grossen Einheit stehen, der all unser Liebestrachten - auch wenn wir es nicht wissen - zugewendet ist. Wir können vor ihnen des strömenden Gefühles teilhaft werden, das sich vor einem Anblick vollendeter Naturschönheit einstellt, nicht vom Subjekt zum Subjekt, sondern vom menschlichen Subjekt zum Naturwesen hin. Für das Kind selbst ist die Liebe nicht ein grosser Aufschwung, eine Erschütterung des ganzen Daseins, ein Hinübergleiten in eine andere Welt, sondern Beharren in seiner eigenen, natürliche Offenbarung seines Wesens, Das Kind gibt sich ohne Hemmung aus, es drückt gleichmässig Menschen, Tiere, Pflanzen und Spielzeug ans Herz und an die Lippen, es steht mit allen Menschen auf ‘Du’, kurzum es lebt noch in einer vormenschlichen Sphäre, es steckt noch viel tiefer im paradiesischen Zustand, in jener ungeschiedenen Einheit des Lebens, die der erwachsene Mensch schon zerrissen hat, um in einer Sonderzelle sein Dasein zu finden. So sind Kinder Wesen vor dem Sündenfall (und wenn ihnen eine moderne Theorie Sexualität zuspricht, so ist es eben Sexualität und Perversion vor dem Sündenfall), sie sind noch nicht durch den tragischen Riss hindurchgegangen, der den Menschen von der Natur und den einen Menschen vom anderen trennt und feindlich scheidet.
Im Kind ist die Liebe noch nicht Liebe des Menschen, das heisst Sehnsucht nach Zusammenschluss und Angst vor Vereinzelung und dann höchste
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lung, sondern unmittelbarer Reichtum und glücklicher Besitz; und wenn die Sprache des Alltags die Kinder Engel nennt, so hat sie recht. Das haben die Kinder vor uns voraus, das macht sie uns reizvoll und wunderbar - das müssen sie aber auch überwinden, um Menschen zu werden.
Im Zeitalter der Geschlechtsreife pflegt sich bei jungen Männer und bei jungen Mädchen eine Unsicherheit einzustellen. Sie sind nicht unbefangene Kinder mehr und sind doch auch noch nicht ganz hineingetreten in die Isoliertheit des reifen Menschen. Diese Unsicherheit steigert sich bis in die zwanziger Jahre, häufig zur Verbitterung und einem Gefühl völliger Verlassenheit und tiefer Enttäuschung, manche stehen dem Selbstmord nahe. Die Welt ist etwas Unheimliches und Rätselhaftes, etwas Schreckliches und Quälendes geworden, sie vermögen sich nicht mehr so recht aufzuschliessen, sind voller Misstrauen, kriechen in sich hinein und wissen zu mancher Stunde nicht, wie noch weiter leben. Das unindividualisierte Dasein des Kindes, der Quell aller Kinderfreude und aller Naivetät ist dahin, mit Schauder und Angst finden sich die jungen Menschen isoliert und einsam. Ihren Fühlen (nicht ihrem Verstand) dämmert das Bewusstsein jener Urtragik, jener Erbsünde, dass wir Menschen das Leben nur noch in seiner Zerspaltenheit kennen - ob durch eigene Schuld, wie der Begriff der Sünde voraussetzt, das vermag freilich niemand zu sagen. Dieser Zustand gerade der Besten unter den Heranwachsenden erscheint älteren Menschen oft lächerlich, ‘grün’, sie verspotten etwas, was ihnen, den stumpf gewordenen Spiessbürgern, doch weitaus überlegen ist. Denn die seelische Situation der Jugend vor dem Aufbrechen der ersten Liebe ist etwas Bedeutendes und Tragisches, etwas das zum tiefen Wesen der Menschheit gehört.
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Das beschriebene Stadium weicht entweder allmählich der Trägheit des Alltags, ein bürgerlicher Beruf nimmt mehr und mehr Besitz vom Menschen - selten von Frauen, oft von Männern - der Mensch altert, noch jung an Jahren, heiratet und begnügt sich und befriedet sich in irgend einer regelmässigen Beschäftigung, die von regelmässigen Vergnügungen unterbrochen wird. Oder mit der ersten Liebe tritt das Wunder ein. Jäh, nicht in allmählicher Umwandlung ist das Gefühl von Zwecklosigkeit, von Langerweile, von Lebensüberdruss dahin, alle Angst ist geschwunden, von der Liebe aufgezehrt, Quellen brechen aus, neue Kräfte sind da, das Leben leuchtet in niemals noch geschautem Glanz - die Welt wird schöner mit jedem Tag, man weiss nicht, was alles noch werden mag! Die grosse Lösung der Menschheitstragik ist plötzlich ins Gefühl getreten, vor dem Anblick eines zweiten Menschen hat es aufgeschrieen: Du! Du! Wenn wir auch diesen einmaligen Blütenflor unserer grämlichen Aufgabe entsprechend zerpflücken und in ein dürres Herbarium pressen wollen, so müssen wir sagen, dass solch ein Mensch aus seiner quälenden Vereinzelung herausgetreten ist durch den, der ihm zu Gefühl der Liebe verholfen hat. Er weiss sich auf einmal berechtigt im Leben, erblickt Sinn und Schönheit überall, hat den Weg gefunden, der zur Einheit führt. Denn das ist der Sinn und die tiefere Bedeutung seines Erlebnisses: Dass er nicht mehr verschlossen und verloren ist wie ein Weizenkorn, das aufs Gestein fällt, sondern dass er seinen Erdboden gefunden hat, sich einzusenken und Frucht zu bringen. Gegenliebe hat ihn aktiv aufgenommen in den heiligen Kreis. Das Gefühl der ersten
Liebe birgt etwas Geheimnisvolles, und es ist auch in Wahrheit geheimnisvoll und wunderbar, dass plötzlich ein anderer Mensch da ist, in den man sich mit allem den seinen
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auftösen kann und muss, dass der unfassbarerweise dasselbe will wie ich zu seinem höchsten Glück. Wollte ers nicht, dann wäre der Weg zwar gefunden, der Eingang aber versperrt. Nicht mehr im selbstsüchtigen Wollen wird letzter Mittelpunkt gefühlt, der natürliche Egoïsmus ist verschwunden und einer höheren Einheit dargebracht worden, der Einheit mit dem geliebten Menschen. Das Gefühl seiner selbst lebt jetzt nicht mehr in der inneren verschlossenen Sphäre, sondern in der Verbundenheit mit dem Geliebten. Von diesem Augenblick an wird der Mensch reiner, er sieht genauer und peinlicher auf seine Handlungen und auf seine Regungen sogar, er schämt sich, wenn etwas nicht ist wie es sein sollte. Auch Fremden gegenüber empfindet er mehr Wohlwollen, lässt einmal einen Vorteil fahren, den er halten könnte, er wächst über manches allzu Einge-engte hinaus. Es hätte keinen Zweck, die Wunder, die die erste Liebe wirken kann, aufzuzählen und zu zergliedern; die Dichtung aller Völker ist voll damit. Aber beweisen nicht alle diese kleinen Züge der Vermenschlichung und Erhöhung, dass auch der Mittelmässige mehr werden kann als er in Wirklichkeit ist, wenn er durch die Liebe über sich selbst hinausgerissen wird? Wie platt sind die späteren Verse manches Jünglings, der in der Glut der ersten Liebe Erstaunliches hervorgebracht und sich daher selbst für einen Berufenen gehalten hat. Mit Recht! Er ist berufen gewesen zur Zeit der ersten Liebe, er hat Welt und Menschheit mit den Augen eines Höheren angeschaut als er in Wahrheit ist, mit den Augen dessen, den die Liebe aus sich selbst genommen und einem reicheren Dasein eingefügt hat; ist der Räusch vorüber, so sinkt er kraftlos zurück.
Die meisten Liebenden haben nur die Person des geliebten Menschen im Sinn und sind nicht imstande, über ihn hinauszublicken und zu fühlen. Es geschieht nicht
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selten, dass der Egoismus nun auf die Gemeinschaft mit dem geliebten Menschen übertragen wird, dass sich Ichsucht in Wirsucht verwandelt und dass diese umfassendere Selbstsucht nun gegen alle anderen Menschen ebenso schroff, ja vielleicht noch schroffer Stellung nimmt als der primitive Egoismus des Einzelnen. - Anderen jedoch öffnet sich mit einem Schlage die Welt. Sie wissen plötzlich, das ihre Liebe nicht im Geliebten endet, eine Ahnung höheren Einheit und höherer Seligkeit lebt in ihrem Gefühl. Die bis dahin niemals geschwärmt haben, besingen jetzt nicht nur die Augen der Geliebten, sondern auch die Schönheit des Frühlings, die sie nun zum erstenmal sehen, sie lauschen nicht nur der Rede, die von ihren Lippen kommt, sondern auch dem Bächlein, das sich durch die Wiesen plaudert. - Stirb und werde! - Dieses Wort Goethes umfasst das Geheimnis der Liebe: Stirb als der Zugeschlossene, als der in deiner Einzelheit Verängstete der du gewesen bist! Werde Mensch im weiteren Sinne, Liebender, der Einheit und Zusammenhang gefunden hat, der in seinem Gefühl das jedem Menschen aufgegebene Problem der Urtragik gelöst hat.
Das ist das Ausserordentliche und nicht Wiederkehrende der ersten Liebe: Schranken fallen, die gequält haben und die man doch nicht had sehen können, weil man eben ganz in sie eingeschlossen war; plötzlich wächst man über alle Enge seines früheren Ich hinaus und hinüber, in die Einheit mit einem anderen Menschen hinein. Eine nie erlebte seelische Situation: innigste Gemeinschaft ist eingetreten. Zum erstenmal erfährt der Mensch das berauschende Gefühl: Ewigkeit, erfährt es in Gemeinschaft mit dem Geliebten, schöpft es aus dieser Gemeinschaft. ‘Ewig’ ist ja das eigentliche Wort der ersten Liebe, ewig wird sie währen, muss sie währen - und das Gefühl täuscht nicht; in ein höheres
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Leben selig einmünden, bedeutet: dass Vergänglichkeit endet, dass Ewigkeit anhebt. Die Liebenden er leben Ewigkeit im Auslöschen ihres Ich, in der Extase höchsten Verbundenseins. Mit diesem Augenblick der Verwandlung fängt die Welt neu an. Jede wahre und grosse Liebe ist nicht nur Umschöpferin der Seele, sondern auch Weltschöpferin, aus Brüchigkeit und matter Beengung ist in seligem Aufschwung eine neue Welt hervorgegangen.
Doch kaum jemals sind die überschwenglichen Verheissungen der grossen Liebe dauernd wahr. Das ist der ärgste Schmerz und die bitterste Enttäuschung, die dem echten Menschen zustossen können, dass er sich wieder als ein Vereinzelter finden muss, dass sein Gefühl, das imperatorisch Ewigkeit verkündet hat, in den Alltag, in die Oednis zurückebbt. Das Gefühl ‘Ewigkeit’ ist nämlich falsch gedeutet, herabgezogen worden. Man hat geglaubt, dass die Ewigkeit, die die Liebe verkündet, lange Zeit, bis zum Tode währen wird, also vierzig oder fünfzig Jahre, und begnügt man sich auch damit nicht, so ahnt man vielleicht eine Liebe über den Tod hinaus. Aber die Ewigkeit, die das Gefühl verheissen hat, ist wirkliche, metaphysische Ewigkeit gewesen, Umbrechen des bisherigen engen Daseins in ein absolutes Dasein, Einmünden bedrückten Lebens in Seligkeit. Dem aber ist der Mensch oft nicht gewachsen, er hat das Aufglühen eines nie geahnten Neuen, einer höchsten Quaktät ins Quantitative verschoben und missdeutet.
Nur wenige Menschen vermögen die Gewalt der ersten Liebe mit ihrer ganzen Verzücktheit ein zweites Mal zu empfinden. Die Enttäuschung ist ja einmal erfahren worden und lässt sich nicht mehr aus der Seele tilgen. Es ist der eigentliche Erotiker, der Mensch, dessen Lebenselement die Liebe ist, der das Gefühl
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immer neu und immer mit höchster Intensität erlebt, nicht anders als wäre es das erste Mal. Der grosse Erotiker ist so ungewöhnlich wie der grosse Künstler. Als sein Idealtypus ist Don Juan aufgestellt worden, eine legendäre Gestalt, an der jedes Jahrhundert arbeitet. Er liebt immer aufs neue mit seiner ganzen Kraft und Hingegebenheit als das Genie der Liebe, denn ihm sind die Frauen und die Gefühle, die sie ihm schaffen, verschieden und reich wie dem Künstler seine Werke, deren jedes er schaffend liebt, als hätte er nie noch etwas anderes gemacht. So wird dem grossen Erotiker die erste Liebe immer neu und immer anders geschenkt, während der alternde Mann mittlerer Gefühlssphären, wenn er an seine Erlebnisse zurückdenkt, zu der Einsicht kommt (die ihm wohl für Weisheit gilt): dass es doch eigentlich immer dasselbe gewesen ist.
Aber in der Kraft Don Juans liegt auch seine Schranke: seine Liebe bleibt immer Frauenliebe, sie vermag sich zwar phönixgleich zu erneuen, gewinnt aber niemals einen anderen Gegenstand, schwingt sich niemals auf kosmische Höhe. Das macht ihn ja den Frauen, denen kosmisches Fühlen fremd und unheimlich ist, so teuer, sie spüren, dass sie ihm Anfang und Ende sind.
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Fast alle grossen Künstler sind auch grosse Liebende. Wieder und wieder tut sich ihnen eine Pforte auf, mag sie nun durch einen Menschen hindurch führen oder unmittelbar in die Natur, in die Menschheit, in Gott. Goethe spricht von der wiederholten Pubertät des Künstlers, das heisst von seiner Kraft, immer wieder aus Vereinzelung ins Höhere zu wachsen, und man hat herausgebracht, dass er alle sieben Jahre eine andere Frau geliebt hat. Die Kraft, die andere meistens nur einmal über sich hinaufreisst und die dann langsam im
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Alltag versickert, bricht in solchen Menschen wieder und wieder durch - immer inniger mit der Schöpferkraft verbunden, die sich im Strömen der Liebe entfaltet. In dieser rhythmischen Frauenliebe Goethes spüren wir den erhabenen Rhythmus eines Daseins, das aus sich hervorsteigt, verzehrend, spendend, schaffend und wieder in sich eingeht zu neuer Sammlung. Wir ahnen hier eine Lösung der Urtragik, die nicht nur vorübergehend ist wie die erste Liebe, die jeden einmal Seligkeit und Einheit fühlen lässt, sondern die eine wahrhafte Lösung bedeutet. Der Mensch vermag sich nun einmal nicht ins All-Leben, ins Göttliche zu ergiessen, wie es der Mystiker ersehnt; doch ein grosser Rhythmus von Ausweitung und Einziehung ist uns von Goethe vorgelebt worden. Dieser Rhytmus wird gewiss nicht nur in seinen Liebeserlebnissen zu finden sein, sondern auch in anderem, in seiner Naturversenktheit zuförderst. Denn öfter noch und tiefer als durch die Liebe einer Frau hat Goethe den unmittelbaren Zusammenhang mit der Einheit des All-Lebens gefunden.
Weltseele komm, mich zu durchdringen!
Das ist der selige und doch demütige Ruf der grossen, der kosmischen Liebe. Weltseele dringt ein in den einzelnen, hebt ihn hoch auf, macht ihn gut, weise und schöpfungsvoll. Das stellt den wahren Genius hoch über den grossen Liebenden, dass er ein Liebender ist - und noch viel mehr.
Denn im Menschen sind noch andere Möglichkeiten der Liebe, die einmal wirklich und lebendig werden können, und bei manchen höheren Menschen gibt es eine stufenweise Entfaltung: Das ewige Recht und die ewige Schönheit der Jugend ist die Geschlechtsliebe, die Liebe im engeren Sinn. Lieber sie aber wächst manchmal etwas Neues, die kosmische Liebe. Solche Liebe scheidet prinzipiell von der anderen, dass sie
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Liebe nur von einer Seite her ist, dass sie nicht Erfüllung in der Gegenliebe finden kann, die die Liebe zwischen Mann und Frau wohl nicht bedingt, aber krönt. Kosmische Liebe wird daher am häufigsten bei Phantasie-menschen auftreten, die aus Eigenem das ganze Reich der Liebe zu schaffen vermögen, dann bei solchen, deren Leben sich natürlicherweise einsam vollendet; schliesslich bei Enttäuschten (was dann freilich nicht mehr das Rechte ist). Menschenliebe, Naturliebe, Gottesliebe sind Offenbarungen des selben Urgefühles, das nun nicht mehr am Einzelnen haftet wie die Geschlechts-liebe, freilich auch nicht gestaltlos ins Leere fliessen darf. Oft genug entartet nämlich das Gefühl wirklicher Liebe in eine gewisse verständige und lauwarme Menschenfreundlichkeit, in ein gleichmässiges Wohlwollen, in ein salbungsreiches Schwätzen. Heute ist wieder einmal die grosse Konjunktur der Menschenliebe. Horcht man auf diese Reden, so wird man zu seiner Verwunderung einen Ton bitteren Hasses vernehmen. ‘Der Mensch ist gut! Ihr sollt ihn lieben!’ wird gepredigt. Aber hinter den Worten klingt es anders hervor: Ihr Nichtswürdigen, warum liebt Ihr den Menschen nicht? Ihr sollt totgeschlagen werden, denn in euch ist keine Menschenliebe!
Die wahre kosmische Liebe haben wir aus dem Vers Goethes vernommen: Weltseele komm, mich zu durchdringen! - Sie schwingt schon leise in dem schönen Kindergebet:
Müde bin ich, geh zur Ruh,
Schliesse meine Aeuglein zu.
Vater, lass die Augen Dein
Das Kind löscht ruhig aus im Schlaf und gibt sich einem Höheren in die Hände, oder wie es so schön heisst: Die Augen Gottes sind über seinem Bett. Ebenso will
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der wahre Mystiker als einzelnes Bewusstsein und als einzelne Seele verlöschen und in die grosse Liebe einsinken, die er doch nicht zu fassen und nicht zu bannen weiss. Er spricht von der Geburt Gottes in seiner Seele. Aus der inbrünstigen Liebe des Einsamen wird das Gefühl göttlicher Gegenwart geboren - göttlicher Gegenliebe. Wahre Gottesliebe, das heisst wahre Religion, ist ja nichts anderes als vertrauende Hingabe des ganzen Gefühlslebens und mit ihm des ganzen Menschen an ein geahntes, höheres, göttliches Dasein, gedanklich ausgesprochen: Der Uebergang vom beschränkten Individuum, vom Einzelnen und Eingeengten ins volle und Ganze, die Hingabe des Endlichen ans Zeitlos-Ewige. Religion ist Erlösung des Mangelhaften im Vollendeten. Was das Gefühl der deutschen Mystiker verkündet, das lehren die Upanischaden in ihrer abstrakten Art. Anfang und Ende der brahmanischen Weisheit ist ja, dass die Einzelseele, der Atman, der Weltseele, dem Brahman gleich ist, dass Einzelseele in Weltseele eingehe und auf höre, als ein Gesondertes zu bestehen. Dieser Gedanke spricht klar aus, was das Gefühl der Liebe, wie wir es gedeutet haden, birgt, was sich in der Liebe durchsetzt. So kann man die Lehre des Veda eine Theorie der kosmischen Liebe nennen. Dort ist es freilich nicht Liebe, sondern nur eine Theorie dazu, denn Liebe kann nie etwas anderes sein als unmittelbare Gewissheit des Fühlens; wenn wir sie analysieren und deuten, stümpern wir doch nur an ihr herum.
Im Herzen manches mittelalterlichen Mönches und mancher Nonne lebt eine inbrünstige Sehnsucht, sich Gott völlig hinzugeben, sich in ihn aufzulösen, zu enden als das, was man ist, vernichtet werden im ewigen Wonnebrand, in der grossen verzehrenden Liebes-flamme der Gottheit. Vielleicht haben manche Nonnen
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des 14. Jahrhunderts tiefer den Sinn der Liebe verstanden als unsere Zeit; sie konnten sich nicht anders begnügen als mit dem Letzten. Einige von ihnen haben, bei alle Verirrungen der Phartasie, Worte starker Liebe gefunden, und es ist unzulänglich, alles dies in Pausch und Bogen für pathologisch zu erklären, denn krankhaft ist immer nur die Uebertreibung und Verdrehung des Echten in der Seele, das Schöpferische nie. Die Gottesminne, das zitternde Sehnen in ein geahntes höheres Dasein hinein ist echte Liebe in unserem Sinn: Uebersteigung der Einzelheit, Einmünden in ein Höheres, in die Seligkeit des ungeschiedenen All-Lebens, das hier Gott oder Christus heisst, bei den wahrhaft erleuchteten Mystikern allerdings kein persönlicher Gott ist, sondern alles umschliessende, alles in sich tragende Gottheit, ‘der Grund’. Jedes Zeitalter hat die ihm gemässe Form kosmischer Liebe zur Entfaltung gebracht, das deutsche 14. Jahrhundert (das bis in die Mitte des 15. reicht) ist die grosse Zeit der Gottesliebe, die von einem engen biblischen persönlichen Gott aufsteigt ins ‘fliessende Licht der Gottheit’. In dieser seelischen Strömung wird der grosse Sinn der Liebe: das einzelne Ich ein zuschmelzen in ein Höheres, den Schmerz und die Tragik der Zerspaltenheit aufzuheben in der kosmischen Einheit zum erstenmal - von früheren fragmentarischen Wallungen abgesehen - ganz erfasst, eine höchste Form der Liebe ist hier zur Vollendung gekommen. Wenn der Theismus der offiziellen Konfessionen einen persönlichen Gott annimt, so mag das dem aller-primitivsten Bedürfnis entgegenkommen und wohl auch den Wünschen der spekulativen Theologie; echte strömende Gottesliebe kann aber nur dann bestehen, wenn stillschweigend oder ausdrücklich die Persönlichkeit - dass heist die
Einschränkung nach dem Bild des Menschen - fällt und ein mystischer oder ein pantheis- | |
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tischer Zug in die Gottesvorstellung eindringt. Denn das ist gerade das Wesen der kosmischen Gottesliebe, dass sie über jede Einzelheit, und sei es die einer göttlichen Person, hinausstrebt. Ein abgesonderter reiner Geist kann nicht geliebt werden, damit Gott geliebt werde, muss er in einer unmittelbar gefühlten Beziehung zur Welt und zu den Menschen stehen. - Dagegen lebt selbst im indischen Fanatiker, der sich vor den Schwerterwagen des Gottes wirft, um von ihm zermalmt und ausgelöscht zu werden, eine Ahnung kosmischer Liebe, wie verzerrt sie sich auch aussern mag. Dasselbe Grundgefühl offenbart sich hier, das aus jenem Kindergebet spricht.
(Slot volgt)
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