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Ingeborg Bachmann
Gedichte
Schwarzer walzer
Das Ruder setzt auf den Gong mit dem schwarzen Walzer ein,
Schatten mit stumpfen Stichen nähn die Gitarren ein.
Unter der Schwelle erglänzt im Spiegel mein finstres Haus,
Leuchter treten sich sanft die flammenden Spitzen aus.
Ueber die Klänge verhängt: Eintracht von Welle und Spiel;
immer entzieht sich der Grund mit einem anderen Ziel.
Schuld ich dem Tag das Marktgeld und den blauen Ballon -
Steinrumpf und Vogelschwinge suchen die Position
zum Pas de deux ihrer Nächte, lautlos mir zugewandt,
Venedig, gepfählt und geflügelt, Abend- und Morgenland.
Nur Mosaiken wurzeln und halten im Boden fest,
Säulen umtanzen die Bojen, Fratzen- und Freskenrest.
Kein August war geschaffen, die Löwensonne zu sehn,
schon am Eingang des Sommers liesz sie die Mähne wehn.
Denk dir abgöttische Helle, den Prankenschlag auf den Bug
und im Gefolge des Kiels den törichten Maskenzug,
überm ersäuften Parkett zu Spitze geschifft ein Tuch,
brackiges Wasser, die Liebe und ihren Geruch,
Introduktion, dann den Auftakt zur Stille und nichts nachher,
Pauken schlagende Ruder und die Coda vom Meer!
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Das spiel ist aus
Mein lieber Bruder, wann bauen wir uns ein Flosz
und fahren den Himmel hinunter?
Mein lieber Bruder, bald is die Fracht zu grosz
Mein lieber Bruder, wir zeichnen aufs Papier
viele Länder und Schienen.
Gib acht, vor den schwarzen Linien hier
fliegst du hoch mit den Minen.
Mein lieber Bruder, dann will ich an den Pfahl
gebunden sein und schreien,
aber du reitest schon aus dem Totental,
und wir fliehen zu zweien.
Wach im Zigeunerlager und wach im Wüstenzelt,
es rinnt uns der Sand aus den Haaren,
dein und mein Alter und das Alter der Welt
misst man nicht mit den Jahren.
Las dich von listigen Raben, von klebriger Spinnenhand
und der Feder im Strauch nicht betrügen,
isz und trink' auch nicht im Schlaraffenland,
es schäumt Schein in den Pfannen und Krügen.
Nur wer an der goldenen Brücke für die Karfunkelfee
das Wort noch weisz, hat gewonnen.
Ich musz dir sagen, es ist mit dem letzten Schnee
Von vielen, vielen Steinen sind unsre Füsse so wund.
Einer heilt. Mit dem wollen springen,
bis der Kinderkönig, mit dem Schlüssel zu seinem Reich im Mund,
uns holt und wir werden singen:
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Es ist eine schöne Zeit, wenn der Dattelkern keimt!
Jeder, der fällt, hat Flügel.
Roter Fingerhut ist's, der den Armen das Leichentuch säumt,
und dein Herzblatt sinkt auf mein Siegel.
Wir müssen schlafen gehn, Liebster, das Spiel ist aus.
Auf Zehenspitzen. Die weissen Hemden bauschen.
Vater und Mutter sagen, es geistert im Haus,
wenn wir den Atem tauschen.
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Nebelland
Im Winter ist meine Geliebte
unter den Tieren des Waldes.
Dass ich vor Morgen zurückmuss,
weiss die Füchsin und lacht.
Wie die Wolken erzittern! Und mir
auf den Schneekragen fällt
eine Lage von brüchtigem Eis.
Im Winter ist meine Geliebte
ein Baum unter Bäumen und lädt
die glückverlassenen Krähen
ein in ihr schönes Geäst. Sie weiss
dass der Wind, wenn es dämmert,
ihr starres, mit Reif besetztes
Abendkleid hebt und mich heim jagt.
Im Winter ist meine Geliebte
unter den Fischen und stumm.
Hörig den Wassern, die der Strich
ihrer Flossen von innen bewegt,
steh ich am Ufer und seh,
bis mich Schollen vertreiben,
wie es taucht und sich wendet.
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Und wieder vom Jagdruf des Vogels
getroffen, der seine Schwingen
über mir streift, stürz ich
auf offenem Feld: sie entfiedert
die Hühner und wirft mir ein weisses
Schlüsselbein zu. Ich nehm's
durch den bitteren Flaum.
Treulos ist meine Geliebte,
ich weiss, sie schwebt manchmal
auf hohen Schuhen nach der Stadt,
sie küsst in den Bars mit dem Strohhalm
die Gläser tief auf den Mund,
und es kommen ihr Worte für alle.
Doch diese Sprache verstehe ich nicht.
Nebelland hab' ich gesehn,
Nebelherz hab' ich gegessen.
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