So ist Bodos wirkliches Schreibgerät nicht in der Bengelmann-Gedächtnisstätte zu finden, sondern dieser Federhalter, der die Spuren von Lotte Bengelmanns Zähnen zeigt. Lotte selbst hat längst vergessen, dass er ihr gehörte, sie bringt es fertig, heute weinend davor zu stehen, Tränen zu vergiessen wegen einer Tatsache, die nie eine gewesen ist. Sie hat ihre kümmerlichen Schulaufsätze damit geschrieben, wahrend Bodo - ich entsinne mich genau - nach dem Verzehr zweier Koteletts, eines Haufens Salat, eines grossen Vanillepuddings und zweier Käseschnitten - mit diesem Federhalter ohne abzusetzen die Gedichte ‘Herbstlich zernebeltes Herz’ und ‘Weine, oh Woge, weine’ niederschrieb. Er schrieb seine besten Gedichte mit vollem Magen, war überhaupt gefrässig wie viele schwermütige Menschen, und hat den Federhalter seiner Schwester nur achtzehn Minuten gebraucht, während sich seine gesamte lyrische Produktion über acht Jahre erstreckte.
Heute lebt Lotte von dem lyrischen Ruhm ihres Bruders; sie hat zwar einen Mann geheiratet, der Hosse heisst, nennt sich aber nur ‘Bodo Bengelmanns Schwester’. Sie war immer gemein. Sie verpetzte Bodo immer, wenn er dichtete, denn Dichten gehörte zu den Dingen, die man bei Bengelmanns für zeitraubend, deshalb überflüssig hielt.
Bodos Qual war gross. Es drängte ihn einfach, war sein Fluch, reine Poesie von sich zu geben. Aber immer, wenn er dichtete, Lotte entdeckte es, ihre kreischende Stimme ertönte im Flur, in der Küche, sie rannte triumphierend in Herrn Bengelmanns Büro, schrie ‘Bodo dichtet wieder!’ und Herr Bengelmann - ein furchtbar energischer Mensch - rief: ‘Wo ist das Schwein?’ [Der Wortschatz der Bengelmann war etwas ordinär.] Dann gab es Senge. Bodo, sensibel wie alle Lyriker, wurde am Wickel gepackt, die Treppe hinuntergezerrt und mit dem stählernen Lineal verprügelt, mit dem Herr Bengelmann Striche unter die Kontoauszüge seiner Kunden zog.
Später schrieb Bodo viel bei uns zu Hause, und ich bin Besitzer von fast siebzig unveröffentlichten Bengelmanns, die ich mir als Altersrente aufzubewahren gedenke. Eins dieser Gedichte beginnt: ‘Lotte, du Luder, latentes...’ [Bodo gilt als Erneuerer des Stabreims.]
Unter Qualen, völlig verkannt, häufig verprügelt, hat Bodo sein siebzehntes Jahr vollendet, ist in den hohen Genuss der mittleren Reife gekommen und zu einem Tapetenhändler in die Lehre gegeben worden. Die Umstände begünstigten seine lyrische Produktion: der Tapetenhändler lag meistens betrunken unter der Theke, und Bobo schrieb auf die Rückseite von Tapetenmustern.
Einen weiteren Auftrieb erhielt seine Produktion, als er sich in jenes Mädchen verliebte, das er in den ‘Liedern Für Theodora’ besungen hat, obwohl sie nicht Theodora hiess.
So wurde Bodo neunzehn, und an einem 1. Dezember investierte er sein