hielt sich eine unsägliche Theologie, lehrreich, sie in Aspic zu setzen. Aber auch Heilsarmeelieder klingen in der Dreigroschenluft um Jenny; Jesus in der Drehorgel und das Vaterunser als Gassenhauer. Vom ganz anderer Ende her hatte die Heilsarmee schon Verbindung zur Gasse geschaffen; darauf spuckte sie ihn ans, den alten Sündenschleim, an der nächsten Strassenecke schwenkte sie in den Himmel. Ausstellung der Hallelujamädchen, grosser Feuer- und Schwefelgalopp, Herabkunft des Teufels um 11 Uhr, Abfeuern der grossen Golgathakanone um Mitternacht, dies erste Programm der Heilsarmee ist schon Jenny-Stil, wenn auch nur demagogisch und mit Zuckerwasser am Ende. Aber im Weill-Brecht-Land macht sich nicht mehr die Frömmigkeit gemein, sondern die Blasphemie rechtgläubig. Der himmlische Bräutigam erscheint der Schubertschen Nonne, die hier die Seeräuberjenny ist, als Pirat und das Hoppla ist so apokalyptisch wie man nur will. Und der reitende Bote des Königs, mit dem die Dreigroschenoper als ‘Opernparodie’ schliesst, ist aus der Fideliogegend, sehr fühlbar; schlägt das Retterpathos auch nur durch wie Butterbrot durchs Papier. Ja fast kommt der Kerl der Seeräuber-Jenny als reitender Bote des Königs wieder, viel zahmer, begnügt sich damit, den Banditenchef zu retten und die Anderen zum Zeichen des Triumphs einen Choral singen zu lassen: - dennoch gehen auch im Schlusschoral trauriger cantus firmus und Piratencredo ineinander. ‘Denn es ist kalt, Bedenkt das Dunkel und die grosse Kälte in diesem Tale, das von Jammer schallt’ - dem Tal steht die Schiffsvision ausgezeichnet, bis zuletzt. Wenn die reitenden Boten des König nur öfter kämen; die Niederen werden erhöht, die
Hohen erniedrigt werden, der Herr bricht ein um Mitternacht, zu Schiff statt zu Pferd und mehr gegen als vom König, denn mit fünfzig Kanonen wird das sicherer und unter acht Segeln wärmer sein.
Wer versteht deun das kleine Liedchen am besten? Die Kinder würden den Finger strecken, dass sie es sind; und dann die Mädchen im Elternhaus, und dann die Jungens in der Schule. Auch sie haben ihre unendliche Erzählung, in der sie gesittete Mordbrenner sind; das begleitet und spinnt sich aus auf dem Schulweg, vorm Einschlafen, es kann ein Kriegsschiff ‘Argo’ sein und der Träumer selbst der ‘Fürstadmiral’, hat sich längst aus dem verfluchten Stall herausgeholt, verteilt die Welt an sich und die Türkei. Aber so gut kommt im kleinen Lied auch das Zünd an, Zünd an, das Hexenhafte des Weibs auf seine Rechnung und jene, die den Herren gemacht wird. Haben nicht Flintenweiber, Petroleusen zu allen Zeiten die Revolution begleitet und passt nicht dem Weib die Räuberbraut vorzüglich auf den Leib, in jeder besseren Kolportage und dem Leben, das einmal kolportagehaft scharf wird? Das ‘Böse’, Unterirdische des Weibs, sein geheimes Einverständnis mit der Unterwühlung, die es ruft und erwartet: ‘Man wird mich lächeln sehn bei meinen Gläsern und man sagt: was lächelt die dabei? Man wird mich stehen sehn bei meinen Fenster und man sagt: was lächelt die so bös?’ - dies Lächeln war schon oft mit dem roten Terror verbunden oder wurde von ihm nützlich gebraucht. Ein ziemlich gerader Weg führt von diesem Lächeln nicht nur zu Senta, die das Bild ruft, oder zur sanften Elsa, die solange an seiner Sphäre saugt, bis der Retter erscheint, sondern eben auch zu den Hexen,, vor denen die gesetzte Christenheit zitterte, ja zur Paradiesesschlange, mit der sich Eva so gut versteht. Man wird die Seeräuberjenny weniger verurteilen, wenn man die Rolle des luziferischen Tiers in der Geschichte der Revolutionen und mancher Religionen bedenkt: die Paradiesesschlange ist dann
sozusagen die Raupe der Göttin Vernunft, Und die ‘Seele’ nicht zu vergessen, die allemal weiblich ist, das Mädchen Psyche in entsetzlichen Vaterhaus der Welt. Aber einen Tag erscheint (so legten doch frühchristliche Ketzer die Bibel aus) ein Mann Jesus, gerade aus der völligen Fremde, wird die Seele holen, schon fühlt sie den Ring am Finger, gegen ihren Vater, die Eltern, die Welt und den Vater aller Dinge. Auch ein Fetzen dieser Verlobung ist im Lied, die Kolportage schneidet mit dem mystischen Piraten manichäische Gegenden und mehr ulkig, die die gnädige Frau das so hinlegt; Rächer, Entführer, Schiffs-Messias von dereinst.
Also wer gut zuhört, der schmeckt hier, was immer los ist, weil es noch nie los war. In Weills Liedchen sind die Fruchtmotive nicht nur sentimental, und die ‘Frömmigkeit’, ist nicht romantisch. Man spürt den unstatischen Hintergrund der Zeit. Vor zehn Jahren wäre Senta nicht als Braut des roten Freibeuters erschienen, auch in Strawinsky's ‘Geschichte vom Soldaten’ nicht, die das Original guter Musik aus Abfall, Traum und Lumpen ist. Auch das: ‘sie wissen immer noch nicht, wer ich bin’ hätte nicht seine süssen und gefährlichen Hintergründe, wäre kein revolutionärer Zustand in der Welt und der unterdrückte Mensch nicht in jedem Sinn auf dem Marsch, sich zu konkretisieren. Die Gäste lachen zwar über Jennys Lied und finden es nett, die Bürger reagieren sich ab und helfen den Dreigroschenoper zu einem Erfolg, den ihr Bierulk, aber nicht diese starke Dynamitstelle verdient hätte. Der Kerl der Jenny kommt leider nicht als Bote des Schlusses und beschiesst die Stadt (was die revolutionäre Logik des Stück gewesen wäre): est ist dennoch unzuverlässige Musik, dicke Luft im Amüsement, die satte Kunst ist hin, die Substanz erscheint als Dreck, im Abwaschzuber und in dem, was die denkt, die davor steht. Glüh, heil'ge Flamme, glüh - an Lumpen brennt sie am besten. Schlage doch, gewünschte Stunde, gewünschte Stunde, schlage doch - auch die Seeräuberjenny singt Kantaten, soweit sich von einer so ungebildeten und geschundenen Person überhaupt etwas erwarten lässt. Ihr Pietismus ist drohend, aber ihr Liedchen gehört in die Wochen vor Weihnachten. Echte Adventsstimmung, den Anforderungen des neuzeitlichen Geschmacks entsprechend.
ERNST BLOCH