Dieser erstaunliche Vorgang, dass die Republik zusieht, wie ihre Gegner sich bewaffnen, ist nur erklärlich als Auswirkung des Klassenkampfes.
Als die Inflation die moralische Herrschaft des Kapitals über die Seelen erschütterte, als die Gefahr bestand, dass auf gesetzlichem Weg wirklich sozialistische Massnahmen getroffen würden, da galt es, das Gesetz beseite zu schieben. Man bewaffnete Landsknechte, Desparados, den Abschaum der Menschheit. Die Aufstellung der Schwarzen Reichswehr gipfelte in den Fememorden und dem Putsch von Küstrin. Die geheimen Rüstungen und ihre Wirkungen, Mord und Hochverrat, stellten eine nicht unwillkommene Hilfe für die herrschende Klasse dar. Das Bürgertum, das einst zusammen mit dem entstehenden Proletariat sich der Feudalmacht entgegenzetzte, braucht heute die im Militär verkörperten Feudalreste um seinen einstmaligen Bundesgenossen niederzuhalten. Auf die Legalität der Mittel zum Klassenkampf kommt es nicht mehr an. Naiv wäre es zu glauben, dass die herrschende Klasse durch ihre eigenen Gesetze gebunden sei. Wenn notwendig, werden sie leicht über Bord geworfen. Wenn die idealen Rechtsprinzipien zur Sicherheit der Herrschaft nicht mehr ausreichen, so gelten sie nicht mehr, weil sie ihren Sinn verloren haben.
Gegen diejenigen Naiven, die den Teufel bei Beelzebub verklagen, indem sie von der herrschenden Klasse Erfüllung ihrer eigenen Gesetze fordern, bleibt nichts anderes übrig, als den Angeklagten zum Richter zu bestellen. So nimmt man zur Grundlage der Entscheidungen in den Landesverratsprozessen die Gutachten der Stellen, die die illegalen Vorgänge gebilligt oder unterstützt haben. Der faktisch Angeklagte als Zeuge, der Interessent als Sachverständiger vernommen, bringt den Ankläger ins Zuchthaus. Eine geschikte Zwickmühle sorgt dafür, dass der Angeklagte auf keinen Fall der gerechten Strafe entgeht. Beweist er die Wahrheit seiner Behauptungen, so wird er wegen Landesverrats verurteilt, aber noch vor dem Zuchthaus baut man ihm goldene Brücken. Unterlässt er nämlich den Wahrheitsbeweis, dementiert er sich selbst, unterwirft sich als Lügner, so lässt man es ‘beim Rade bewenden’, er wird nur wegen versuchten Landesverrats verurteilt. Der Sicherheit halber werden viel mehr Verfahren eingeleitet, als man jemals durchführen kann oder will. Denn auch apriori vollkommen aussichtslose Verfahren haben einen Erfolg: Terrorisierung der öffentlichen Meinung.
Dieser Vorgang ist nicht verständlich, wenn man ihn nur als Entgleisung betrachtet, die man durch Einführung eines neuen Paragraphen, Ersetzung eines ‘reaktionären’ Personal-referenten durch einen andern, moralische Ermahnungen an die Herrschenden, sich an ihre eigenen Gesetze zu halten und ähnliche gutgemeinte Vorschläge beseitigen kann.
Dass es sich vielmehr um ein geschlossenes, durchdachtes System handelt, das aus dem Klassencharakter des heutigen Staates notwendig hervorgeht, ergibt sich deutlich aus der Tatsache, dass die Vorschläge für das kommende Gesetz genau der Veränderung in der Judikatur entsprechen. Der Strafgezetzentwurf, der jetzt zur Debatte steht, soll all das legalisieren, was heute schon an Landesverratsverfahren geleistet wird. Die Gesetze sollen sogar noch darüber hinaus verschärft werden.
Während die bestehenden Gezetze die Regierung davor schützen sollen, dass ihre Geheimnisse einer anderen bekannt werden, ist es hier der innere Feind, vor dem die militärischen Interessen geschützt werden sollen: jede Mitteilung von Nachrichten, deren Geheimhaltung zum Wohl des Reiches erforderlich sei, soll bestraft werden. Weder die Veröffentlichung, noch die Mitteilung an einen Agenten einer anderen Regierung wird gefordert. Schon eine Mitteilung zum Beispiel an einen Reichstagsabgeordneten sogar an jeden beliebigen kann strafbar sein. Denn die Bourgeoisie, deren Ausführungsorgan ja die Justiz ist, fühlt sich durch den inneren Feind heute stärker bedroht als vor dem Kriege. Eine Million Arbeitsloser steht vor den Toren. Hier gilt es vorzubauen; der Angriff ist die beste Verteidigung.
Andererseits entspricht die Veränderung der Landesverratsparagraphen durchaus der Veränderung der Struktur des Krieges. Früher war die militärische Sphäre stark akzentuiert von der zivilen getrennt. Diese Abtrennung ist entsprechend dem Wachstum der Tech-