punkt des Expressionismus oder dem der neuen Sachlichkeit betrachten, oder ob man für diese Epoche vielleicht ein ganz anderer Charakteristikum finden wird, auf das wir noch gar nicht aufmerksam sind, weil wir in ihr leben und weder die Tragkraft und Entwicklungsfähigkeit der Prinzipien noch die zeitliche Fernwirkung und historische Potenz der einzelnen Künstler, als in der Zukunft liegende Dinge, beurteilen können.
Dies vorausgeschickt, können wir uns mit der sachlichen Frage beschäftigen, welche ernsthaften Gründe, ausser dem Sensationsbedürfnis literarischer Snobs, vorliegen, nach einem neuen Kunstbegriff zu suchen. Wenn wir das, was im allgemeinen als ‘neue Sachlichkeit’ bezeichnet wird, ansehen, so gelangen wir bald zur Anschauung, dass es sich im wesentlichen um eine Reaktionsbewegung handelt. Das soll nicht heissen, dass man ‘zurück zu’ irgend etwas Vergangenem strebt, weil die Begriffe ‘vorwärts’ und ‘rückwärts’, auf die Zeit angewendet, überhaupt einen Unsinn bedeuten und weil es im Leben und in der Kunst nur ein zeitliches Nacheinander, aber keine Rangordnung des Fortschritts und Rückschritts gibt. Die Reaktion, die in der sogenannten ‘neuen’ Sachlichkeit liegt, besteht darin, dass Mittel angewendet werden, die man schon früher angewendet hat. Was nun speziell die Musik betrifft, so werden wir bald erkennen, dass hier der Begriff dieser Reaktion sich auf einen minimalen Teil der ganzen Gegenwartsproduktion beschränken wird. Ich glaube z.B. nicht, dass man ihn in romanischen Ländern überhaupt verstehen wird. Die romanisch-internationale Musik, die ihre letzten starken Impulse aus der russisch-amerikanischen Synthese Strawinsky empfing, hat sich von der sogenannten ‘sachlichen’ Basis der bodenständigen, traditionellen und aus einer Jahrhunderte alten Konvention naturhaft gewachsenen Tonalität niemals entfernt und bedarf keiner Reaktion, um zu ihr zurückzufinden.
Nur die deutsch-mitteleuropäische Musik unter der Führung Schönbergs, hat die letzten zwanzig Jahre ungefähr mit einer weitgehenden Zersetzung ihres Materials zugebracht. Wir wollen diese nun wohl ihrem Abschluss entgegengehende Epoche nicht weiter analysieren, sondern nur festhalten, dass ihr Wesen die konsequente Welterentwicklung eines romantischen Individualismus war, der den schaffenden Künstler immer mehr isolierte und ihn von Erfolg und Wirkung auf die Aussenwelt wenigstens ideologisch unabhängig zu machen suchte. Darin ist nun wohl eine entschiedene Wandlung eingetreten. Der Musiker sucht nach der Basis einer breiten Wirksamkeit. Es liegt an der eigentümlichen Beschaffenheit der deutschen Mentalität, dass er sie überhaupt erst suchen muss. Der romanische Künstler hat diese Basis von vornherein. Sein äusserer Erfolg wird von der Stärke und Originalität seiner Begabung abhängen, aber er wird nie etwas Abstruses, Sonderbares und Unpopuläres schreiben. Im Bereich des deutschen Geistes liegen die Dinge anders. Unverständlichkeit der Kunst ist vielfach schlechte Gewohnheit, und in krassen Fällen geradezu Erfordernis für die Werterkenntnis eines Kunstwerks geworden. Die Eigentümlichkeit der deutschen Kultur besteht darin, dass sie nicht organisch, homogen und innerlich planvoll gewachsen, sondern sprunghaft, vielgestaltig und konfus ist. Infolgedessen ist es so unsagbar schwer, jenen gemeinsamen Nenner zu finden, der dem neuen Kunstwerk den inneren Erfolg bei den Zeitgenossen sichert, ihre unwillkürliche Einstellung, dass das neue Werk sich an sie wendet und ihnen wie etwas, das ihnen gefehlt hat, zugehört.
Konstatieren wir zunächst, das die Musiker teilweise wieder anfangen, sich diese veränderte Einstellung zur Aussenwelt anzueignen, so mag es immerhin eine Berechtigung haben, dafür auch nach einen neuen zusammenfassenden Begriff zu suchen. Untersuchen wir die Mittel, mit denen die neue Musik diese Umstellung zu erfüllen trachtet, so scheint die Berechtigung dieser Bestrebung bestätigt zu werden. Es ist begreiflich, dass der Kontakt mit der Aussenwelt zuerst in einem gewissen Realismus gesucht wird. Phrasenhaft und sinnlos ist es, wenn behauptet wird, die neue Kunst suche in Gegensatz zu irgend einer vergangenen dem ‘Wesen der Dinge’ nachzugehen. Keine Kunst gibt es, und auch nicht die barockste und für unsere Begriffe überladenste, die nicht in ihrem Programm Wesenhaftigkeit geführt hätte. Und gerade das, was uns die Phraseologie des Expressionismus beschert