Germania. Jaargang 7
(1905)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Nordische Bildgewebe.
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Gemälde neben der Sangeskunst! Während die meisten der noch erhaltenen Teppiche nicht weiter als in das späte Mittelalter zurückreichen, brachte ein merkwürdiger alter Teppich, der beim Niederreissen einer Kirche in Baldischol auf Hedemarken zwischen zwei Fussböden gefunden wurde, erst Aufschluss über die uralte Webekunst und ihr Wesen. Die Waffen und Rüstungsteile des alten Gobelingewebes lassen es als ein Kunstwerk des 11. bis 12. Jahrhunderts erscheinen, ein dem Teppich von Bayeux eben-bürtiges Stück. Kein mittelalterliches Bauerngewebe mit Tierköpfen und Bandwerk. Das alte Kunstwerk zeigt vielmehr in schlichten, klar und rein nebeneinander gesetzten Farben einfach und schön für die Wirktechnik gezeichnete Figuren, Adler und Enten, Blattwerk, durchaus in der Art zierlicher Flächenmusterung. Während spätere Teppiche im ganzen Norden Europas auch für bildliche Darstellungen die bandartige Anordnung einer sich fort-entwickelnden oder einer mehrfach wiederholten Gruppe wählten, beherrscht hier ein einfaches Bild die Fläche, und kräftige, frohe Farben treten in rein dekorativem Sinne zusammen. Wir finden auf dem Teppich auch den Nordlandsschwan als Wappentier. Mit dem Wiederauffinden dieses alten Teppichs war der ganzen, heute neu emporblühenden Webekunst Norwegens und Schwedens eine neue Richtung gegeben. Man begann, den Grundton, das Leitmotiv der Heimatkunst zu finden. Zuvor besass Deutschland in den Teppichen, die das Gittergewölbe der Schlosskirche von Quedlinburg und der Hochchor des Halberstädter Domes aufbewahren, die ältesten handgreiflichen Zeugen nordischer Bildwirkerei. Beide, wie der norwegische, sind in romanischem Stil - den man zu unrecht oft als byzantinisch bezeichnet - gehalten. Der Hedemarker Teppich hängt heute im Museum zu Christiania. Er ist der einzige Zeuge dieser frühen Kunst.
Zahlreicher sind, wie bereits erwähnt, die schriftlichen Zeugnisse. Im Flateyarbuch wird erzählt, dass Olaf der Heilige dem Sänger Torfin befahl, einen Vorgang im Teppich der Hallenwand zu besingen. Der Teppich heisst hier Tjeld, wie die Nägel auch Tjeld | |
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heissen, die zum Aufhängen der Waffen benutzt werden. Etwa in dieselbe Zeit wie die Fassung der Sage von Brynhild und Sigurd Fafnersbane gehören alte Chroniken, die von den reichen Teppichen erzählen, welche die Weiber ‘in Farben gewebt haben’, und die zur Zeit der Bekehrung Norwegens ums Jahr 1000 mit den Darstellungen der Taten Sigurds die grosse Halle des Randulf in Oesterdalen geschmückt hatten. Mit dem Beginn ruhigerer Zeiten, besonders unter dem Einfluss des Christentums, das feindlich den Darstellungen der Heldentaten heidnischer Nordlandsrecken gegenüberstand, kam die Kunst der Bildwirkerei im Norden offenbar in Verfall, bis die neuen Gedanken der christlichen Legende ihrerseits tief genug ins Volk gedrungen waren, um der Einbildung neuen Nährstoff zu geben. In Frankreich, das neidvoll auf unsere alten Halberstädter Schätze schaut, hat man bisher mehr als in Deutschland die alten Schriften nach Aufzeichnungen über die Teppichwirkerei durchstöbert - besitzt doch Frankreich heute in seiner Manufacture nationale des Gobelins eine gewaltige und beachtenswerte Kunststätte! Das Bedürfnis der Zeit nach Luxus und Behagen war dieser Industrie sehr förderlich; der Wunsch, Feste und Schlachten zu verherrlichen, dauernde Erinnerungen zu bewahren, regte den Kunstsinn an. Und allenthalben nahmen die wandernden Sänger die Bilderreihe der Wandteppiche in den gastlichen Sälen der Schlösser als Erläuterungen ihrer Lieder und Berichte. Heinrich von dem Türlin schildert in dem noch erhaltenen Gedichte ‘Der Aventiure Krone’ die Geschichte des Aeneas und der Helena mit Beziehung auf vorhandene Bildwebereien. Boindri von Bourgueil beschreibt eine fürstliche Wohnung in einem Gedichte, das er der Tochter Wilhelms des Eroberers 1107 widmet: im grossen Saale sind auf seidenen mit Gold und Silber gewirkten Teppichen die Schöpfung, der Sündenfall, der Tod Abels dargestellt, wie andere Begebenheiten aus der heiligen Schrift, der Geschichte Roms und der griechischen Mythologie. Im Schlafgemach der Prinzessin befand sich eine solche Tapete mit der | |
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Eroberung Englands. Im Verzeichnis Karls V. von 1376 sind genannt: das Leben Theseus', der heilige Gral, Flourenze und viele andere Teppiche, von denen kein einziger erhalten blieb. Während man sich in Deutschland damals noch mit allen Darstellungen im Rahmen des romanischen Stils bewegte, war man in Frankreich bereits lebhaft zur gotischen Linienfreude, zu den schlanken Gestalten, den weichen Farben, dem reichen Blattwerk auf dem einst ganz schlichten Hintergrunde übergegangen. Die kostbaren, mit Wolle und Gold gewirkten Wandteppiche nannte man durchweg ‘Arazzi’. So ist ein Bericht vom 12. Januar 1380 über den Besitz Karls V. erhalten: ‘Item, ein grosser Teppich, Arbeit von Arras, mit den Taten und Schlachten des Judas Maccabäus und des Anthoquus’. In den Memoiren des Messire de Ballay von 1534 wird aus dem Besitze der Könige von Frankreich und England berichtet: ‘vier prächtige Tapeten, darauf die Siege des Scipio Africanus erhaben dargestellt waren, ganz mit goldenen und seidenen Gewebfäden, so treu und natürlich als möglich, wie es kein Maler auf einem Holzgemälde schöner gekonnt hätte’. Weiter finden sich alte Nachrichten über berühmte Bildgewebe, die in den Besitz des Königs kamen: 1385 L'histoire de la Passion de Nostre Seigneur: ‘drap d'haute liche faiy d'or, de soye et de file d'Arras’. (Die Passionsgeschichte unseres Herrn: erhabenes Gewebe aus Gold, Seide und Arras-Wolle gemacht.) 1396. L'histoire de Bertrand du Guesclin: ‘Tapis du haute liche, ouvré d'or de Chippre et de fil d'Arras’. (Geschichte Bertrands von Guesclin, aus cyprischem Gold und Arras-Wolle gemacht.) So finden wir die Blüte der Teppichwirkereien im 14. Jahrhundert mit dem Namen der Stadt Arras verbunden, Arras, das schon Commius gehorchte, als Julius Cäsar seine Waffen gegen die Gallier richtete. Eine alte, einst mächtige flandrische Stadt. Nach dem Eroberungszuge der Normannen im 12. Jahrhundert blühte hier und in Beauvais zuerst die Bildwirkerei empor, denn der siegreiche Normannenherzog verstand es meisterhaft, den | |
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Grund zu solchen fruchtbaren Gewerben zu legen. Unter der burgundischen Regierung waren die flandrischen Gewebe die berühmtesten Kunstwerke, die weithin versendet wurden. Die Wände der englischen und schottischen Edelsitze schmückten Arazzi. ‘Thence to the Hall, which was on every side. With rich array and costly Arras dight’, heisst es in ‘Fairy Queen’, und Hamlet verbirgt sich im Gemach seiner Mutter hinter ‘The Arras’. Bei diesem Kunstgewerbe kam übrigens England auch als Vermittlungsglied des Handels in Betracht; es führte die Rohseide aus Asien ein und brachte sie nach Flandern zum Weben. Noch erhaltene burgundische Hausrechnungen aus dem Jahre 1378 geben allerlei merkwürdige Aufschlüsse über den Ein- und Verkauf dieser Waren und Teppiche, wie über die Gehälter der Maler, die Kartons und Muster dazu entwarfen. Die uns aus jener Blütezeit der Arazzi erhaltenen Stücke befinden sich jetzt in Bern, wo sie in der Sakristei des Münsters, im Sommer im Stadtrathause ausgestellt sind. Es sind sechs von den zehn sogenannten Burgunder-Teppichen, die ein so hohes Alter haben. Sie mögen schon zu der Zeit Philipps des Guten von Burgund, des Vaters Karls des Kühnen, dort angefertigt sein, sind in erhabener Arbeit mit Wolle, Gold und Silber gewirkt und zeigen teils religiöse, teils heraldische oder geschichtliche Darstellungen. So blieben sie späteren Geschlechtern erhalten, während Kriege und Umwälzungen uns aller anderen Zeugen jener Kunstepoche beraubt haben. Jedenfalls sind diese schönen Stücke nach untergegangenen Gemälden von Rogier van der Weyden gewirkt, der viele Aufträge der Herzöge von Brabant und Burgund auszuführen hatte. Arras wurde eine reiche und mächtige Stadt durch diesen blühenden Kunstzweig; die kunstgeübten Familien legten Werkstätten an, und ihr Reichtum rief den Neid der französischen Könige wach. Ludwig XI. von Frankreich belagerte 1479 die Stadt, eroberte sie und verbannte alle Teppichwirker nach Paris, Rouen und Tours, wo er sie unter günstigen Bedingungen ansiedelte, um dort die Webekunst wie in Arras zu heben und ein- | |
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zuführen. Dies Unglück für Stadt und flandrische Kunst liess sich auch später, als die französische Regierung sich Mühe gab, die Kunst der Arazzi neu zu beleben, nicht wieder gut machen. Die Verwüstungen des Krieges, Brand und Plünderung hatten die schönen Vorbilder zerstört und zerstreut, und die Künstler, die zusammen wirkten, waren getrennt. Der Name Arazzi ist in Italien die Bezeichung für jeden erhaben gewirkten Teppich geblieben - jedenfalls mit mehr Recht als der Name Gobelin, der fälschlich in Deutschland für jedes Bildgewebe gebraucht wird. Die GobelinsGa naar voetnoot(1) waren eine Wirker- und Färberfamilie, die um 1470 aus Holland nach Paris einwanderte. Die alten Bildteppiche Nordeuropas aus jener Zeit sind von grosser Schönheit. Auf reichem Blumengrunde in weichverschmelzenden Farbentönen und Linien sehen wir stolze Ritter und schlanke Frauen in langen, schleppenden Gewändern. Einhörner und Greifen - Sinnbilder und Fabeltiere, mit denen die durch die Kreuzzüge und ihre Abenteuer belebte Phantasie die Kunst bereicherte - waren willkommene Begleiter der menschlichen Darstellungen. Ebenbürtig stehen diese Gewebe neben den Kunstwerken, den Gemälden und Glasmalereien jener Zeit - treue Bilder des Lebens und Schaffens, des Glaubens und der poetischen Anschauungen, treue Bilder auch der Trachten und Sitten, der liebevollen Naturbeobachtung, der sinnigen Deutungen und Sinnbilder liebender Frauen, treue Bilder der Kämpfe froher und tapferer Recken. Während in Frankreich die Bildwirkerei eine Heimat in Fabriken und Kunstanstalten wie der Manufacture des Gobelins fand, blieb in Deutschland und Schweden die Kunst der Teppichwirkerei auf Klöster und kleine Werkstätten beschränkt, von denen keine Aufzeichnungen erhalten sind. Die mittelalterliche Dichtung mit ihrer phantastischen Symbolik trieb hier reiche Blüten, und die poetische Empfindung der deutschen Frauen, besonders in den stillen Klöstern, suchte sich ganz andere Stoffe als die reichen, üppigen Höfe des | |
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Westens. Die Taten Gottfrieds von Bouillon, die Eroberung Jerusalems, Liebespaare mit Spruchbändern und Blütenkränzen waren beliebte Gegenstände. Die reichen grossmustrigen Goldbrokate und Sammetgewebe der Tracht gaben diesen Darstellungen dann mit den Blütenbäumen und den Gestalten mit langen, schlanken Händen ein ganz eigenartiges Gepräge. Die deutschen Teppiche des 15. und 16. Jahrhunderts gehören zu den Perlen auch ausserdeutscher Sammlungen - insbesondere des Cluny-Museums in Paris. Auch in Norwegen beschränkte sich die Bildweberei hauptsächlich auf Stoffe aus der biblischen Geschichte. Hier blieben von dem erfindungsreichen Schaffen nur einige Hauptstücke zurück, die dann dauernd wiederholt und immer mehr verflacht wurden. Das Gastmahl des Herodes und die Geschichte von den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen sind die immer gleich wiederkehrenden Vorwürfe. Aber das künstlerische Verständnis für die Handarbeit ging allen Frauen Nordeuropas ein paar Jahrhunderte lang verloren. Die alte Heimatkunst war als Bauernarbeit wohl noch erhalten, aber Farben und Muster wurden verständnislos benutzt. Die Farbe der altnordischen Bauernarbeit aber hat im Zierat tiefe sinnbildliche Bedeutung: gelb ist die Sonne, schwarz die Nacht, weiss der Tag, blau das Wasser, braun die Erde, grün das Leben, die Bäume und rot die Liebe. Wer diese, auf den altnordischen wie auch auf den neueren Webereien der Bauern wechselnd verschmolzenen Farbensymphonien zu lesen weiss, versteht erst ihren tieferen Sinn. Die eingeborene alte Heimatkunst, das Erbstück unserer Vorfahren, haben die verschiedenen Völker auch verschieden gepflegt. In Frankreich wurde aus der Hochwirkerei die feine Gobelin-Technik, ein edles, von zartesten Händen gepflegtes Fürstenkind, das auch die Republik in ihre Vormundschaft genommen hat. Die Bildgewebe sind dort nach Bildern gewebte Teppiche geworden - eine künstlerisch anfechtbare Umwertung des Stoffes und seiner Schönheitsmöglichkeiten. | |
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In Deutschland sah die Erbschaft am traurigsten aus. Wer kennt sie nicht, die über ganz Europa gleichen kläglichen, stillosen Arbeiten unserer Mütter und Grossmütter, die Vergissmeinnichtkränze in Kreuzstich und die ‘naturgetreuen’ Hunds- und Katzenköpfe aus Glasperlen! Von der ganzen reichen Pracht altdeutscher Gewebe ist die Hauptsache im Auslande aufbewahrt und wertgehalten, vieles unverstanden und ungepflegt in den Schlössern alter Familien begraben und vergessen. Auf der Weltausstellung in Wien 1873 enthüllte sich diese Kanevas-, Perlen- und Kreuzstichstickerei in ihrer üppigsten Entfaltung; denn Jakob von Falke sprach über die Webekunst der Ausstellung das scharfe Urteil, dass nur einige schwedische Stickereien volkstümlicher Art den Keim eines entwicklungs- und lebensfähigen Kunstgewerbes in sich trügen. Die Saat dieser Worte ist aufgegangen, und an sie musste ich oft denken, wenn ich im Vorjahre in Paris das sah, was aus der nordischen Bildweberei geworden. Auch Deutschland besitzt heute eine Gobelin-Manufaktur, die mit staatlichem Zuschuss arbeitet und wo, wie einst, Frauen die künstlerischen Vermittler sind. In den zwanzig Jahren ihrer Tätigkeit hat die Berliner Gobelin-Manufaktur von Ziesch viel Wertvolles geschaffen und viel Beachtenswertes erreicht. Aber sie steckt in engen Grenzen, arbeitet nach den Vorbildern alter Gobelins, muss sich nach den Vorschriften der Kauflustigen richten und hat wenig eigenes Leben, vor allem durchaus kein deutsch-volkstümliches Gepräge. In erster Reihe hat sie indessen wie die anderen neuen Anfänge heute in allen Heimatsgebieten nordischer Bildwirkerei auf die Wiedereinführung der echten einfachen Wollfarben Wert und Gewicht gelegt. Denn mit einer Wiedererweckung der alten schönen Kunstfertigkeit musste auch den Arbeitenden in erster Reihe ein tadelloser, lichtechter, haltbarer Woll- und Leinenstoff geschaffen werden, der Licht und Staub trotzen konnte. Und in der Gewissenhaftigkeit bei der Wahl dieser Farben und der künstlerischen Beschränkung auf ihre Werte ist man in Deutschland, Schweden und Norwegen weiter als in Frankreich. | |
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Eine Bestrebung, die sich zunächst an die Kenntnisse des Einzelnen, an das Hausgewerbe der Bauern lehnen wollte, ist die in den letzten fünf Jahren vielgenannte Scherrebeker Webschule. Künstler, die hier die Unternehmer sind, lassen im Hause Teppiche wirken, deren Zeichnungen eigens für die Bildweberei entworfen und ganz auf ihre Möglichkeiten beschränkt sind, leider etwas zu sehr beschränkt. Man arbeitet reichlich roh und ‘wüscht’ in Scherrebek. Etwas sorgsamere Auswahl, etwas mehr Zeichnung und Feinheit liesse sich auch hier mit den gebotenen Mitteln leicht erreichen. Die Scherrebeker Teppiche bleiben heute noch weit hinter den altdeutschen zurück, an die sie anknüpfen wollen. In der Verwaltung unserer altnordischen Erbschaft waren Schweden und Norwegen erfolgreicher. Das lehrte mich die Pariser Weltausstellung, das lehrte mich auch wieder die Übersicht neuer schwedischer Arbeiten, die ‘Handarbetets Vänner’ (der Verein der Freunde der Handarbeit) in Berlin im Lichthof des Kunstgewerbemuseums veranstalteten. In Norwegen waren es Gerhard Munthe und Frida Hansen, die, unbeirrt von den Strömungen der Mode, ganz nach Art der alten Bildweberei kraftvoll ein lebensvolles Neues schufen. Vor etwa 25 Jahren begann das Museum für Kunstgewerbe in Christiania sich der Neubelebung des künstlerischen Hausfleisses als Ziel zu stecken. Aus diesen anregenden Bestrebungen blühten Webschulen und Verkaufsstellen empor, und der heute durch seine Leistungen berühmte ‘Norwegische Hausfleiss-Verein’ ging aus diesen gärenden Versuchen als ein leistungsfähiges Ganzes hervor. Gerhard Munthe war es zuerst, der im Anschluss an diesen Verein als Musterzeichner für textile Kunstwerke auch eine Verbesserung der hergebrachten Muster anstrebte. Unter der ganzen Stilrichtung der siebziger Jahre war jeder Versuch, das alte, heimatliche Kunstgewerbe zu heben, auf grund hervorgeholter alter Muster, besonders des 16. bis 18. Jahrhunderts, selbstverständlich. Durchdrängt von den Renaissance-Gedanken, gab man dem Volke die noch erhaltenen Webe- und | |
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Stickereimuster früherer Jahrhunderte zur Nachahmung. Man bemühte sich zuerst - wie es auch in Deutschland Frida Lipperheide tat - die Muster zu verbessern, die alte Technik gegen eine neuere, unachtsamere ins Feld zu führen und die allgemeine Teilnahme für die feinere Kunst zu steigern. Anders Gerhard Munthe. Er rief die Gestalten der Volksmärchen und Sagen zurück in ihr altes Heimatgebiet, den Bilderteppich, und legte damit den Grund zur neuen Blüte. Denn unsere heutige Zeit liebt das Märchen wieder, wie sie das Lied und den Tanz, die Lebensäusserungen starker Völker, liebt. Und nichts inniger Verwandtes gibt es als das Kunstgewerbe und das Volkslied: beide dem Heimatboden entsprossen, beide vom Safte der Muttererde genährt. So konnte die skandinavische Webkunst nichts Glücklicheres tun, als zur Vorstellung auf ihren Wandteppichen die Heimat-Märchen und Sagen, die Sinnbilder und Formen der Heimat zu wählen! Der nordische Schwan, der schweigende König der stillen Seen, er war das Wappentier der drei Lande, das gegebene Kunstmotiv. In blaugrünen, tiefen stillen Fluten mit der goldgelben Königskrone, ist er nicht nur ein ‘stilgerechter’, sondern auch ein geschmack- und stimmungsvoller Vorwurf für das dekorative Teppichgemälde. Das norwegische Märchen vom Königskinde, das die Hexe mit goldenen Vögeln in den Zauberwald lockt und das der Geliebte in letzter Stunde rettet - das war der Vorwurf zu einem Teppich der Künstler Munthe und Frau Scholander. Unter Gerhard Munthe erwuchs der norwegischen Kunst eine seltene und ausserordentlich bedeutende Frau: Frida Hansen. Unter ihrer geistvollen Führung wurde die norwegische Textilkunst bedeutend gehoben. Treueste Kenntnis der Gewebestoffe und aller ihrer Schönheitsmöglichkeiten, technische Sorgsamkeit und Sicherheit, wie sie der Vorzug einer künstlerisch schaffenden Frau sind, - in Verbindung mit einer blühenden Einbildungskraft sind die grossen Eigenschaften der Künstlerin, und nicht zum wenigsten auch rastlose Schaffenslust und eiserne Tatkraft. Dem norwegi- | |
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schen Hausfleiss-Verein entwachsen, gründete sie eine Anstalt in Christiania: ‘Det norske Billeväveri’ (die norwegische Bildweberei). In Verbindung mit dieser Kunstschule steht eine Färberei, die den Rohstoff in echten Pflanzenfarben fertigstellt. Frida Hansens Teppiche waren die Prachtstücke der Pariser Ausstellung und die Wiedergeburt dessen, was der alte Bilderteppich gewesen: die phantasiereiche Schöpfung kunstgeübter Frauenhände. ‘Die Milchstrasse’ zeigte die im Sternenschleier wandelnden Jungfrauen, - ‘Salome’ die ganze Farbenglut römischer Hoftrachten und, - stilisiert zwar, aber doch mit schwelgerischer Kraft die Frauen im Palast des Herodes. Nackt, ein straffer, stolzer Frauenkörper, leuchtend weiss zwischen all den Farben reicher Gewänder, die Salome im Mittelpunkt. Und die Teppiche Gerhard Munthes dann wieder: ‘Die drei Brüder als Hirsch, Fisch und Vogel verzaubert und die drei Töchter des Nordens’, - und ‘König Sigurds Reise nach Jerusalem’. Märchen und Sagen, die tief geheimen Laute der Volksseele klingen daraus. Und so, unter dem seelischen Einfluss eines geliebten Vorwurfs, mit dem der Künstler gross wurde, mit dem er gespielt als Kind und an dessen Brust er geweint als Mann, an der Hand eines Märchens, das mit ihm geweint und gelacht hat und jung gewesen ist, konnte er das schaffen für die Kunst, was wir dort sahen. Ohne diese herzinnigen Lebensbeziehungen, ohne die gemeinsame Heimaterde, ohne das lebendige Herzblut hätte das nordische Kunstgewerbe in verhältnismässig so kurzer Zeit nicht erreichen können, was es an lebensfroher Frische, an lebenswahrer Innerlichkeit und künstlerischer Reife in jüngster Zeit gezeitigt hat. In Schweden waren es eben in erster Reihe die ‘Handarbetets-Vänner’, die Freunde der Handarbeit, in deren Verein die schwedischen Frauen im Laufe der letzten 27 Jahre ein nationales Riesenwerk erbauten. Die Schriftstellerin Sofie Freifrau v. Adlersparre und die Malerin Frau Prof. Winge waren es zuerst, die daran gingen, wieder aufzusuchen, was die Frauen im Laufe der Zeit durch Teilnahmlosigkeit und mangelndes künstlerisches Verständnis verloren hatten. | |
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Das alte Schweden, aus verschiedenen germanischen Stämmen zusammengeschmolzen, besitzt noch heute scharf gezeichnete Mundarten in den einzelnen Landschaften, die auf die Stammesunterschiede zwischen Goten, Schweden und Normannen zurückzuführen sind. So ist auch ‘Hem-Slöjd’, die Hauskunst, so sind die Erzeugnisse des Hausfleisses wesentlich wechselnd in den einzelnen Gebieten und immer in der Volksart der Bewohner wurzelnd. Im südlichen Schonen (Skåane) sind die Bildwirkereien besonders heimisch, und hier die Volkskunst zu stützen, neu zu beleben und weiterzupflanzen, war die erste Arbeit der ‘Handarbetets-Vänner’. Bildschön, reif in Zeichnung und Ausführung, sind die heute dort gewirkten Teppiche, - teils nimmt man alte Muster, teils neue künstlerische Motive, die nach altbewährter Art in sehr feiner Hochweberei gewirkt werden. Die künstlerische Begabung dieser schonischen Bäuerinnen ist bewundernswert. Bei der erhabenen Arbeit ist die Wirkende durchaus selbständige Übermittlerin des Kunstwerkes - mag es nun ein überlieferter Vorwurf sein oder mögen die heutigen schwedischen Künstlerinnen - Frau Westmann, Maria Sjöström, Frl. Widebeck oder Westberg - die Zeichnung entworfen haben. Alles hängt immer von der freihändigen Ausführung und von dem Verständnis der Wirkerin ab. In Südschweden kennen die Frauen von alters her eine besondere Art der Webekunst, eine ursprüngliche Art der Bildwirkerei. Das gotische Bauernhaus schmückten Giebeltücher, die spitz aufsteigende Decke bekleidend. Ihre Muster sind Darstellungen aus dem Leben der Bauern: ein Hochzeitszug mit dem Brautpaar und den Musikanten oder altnordische Volkstänze. Seit einigen Jahren hat im Anschluss an die Bestrebungen der Handarbetets-Vänner der Verein Philochoros in Upsala - dem alten Zentrum Schwedens, der Stätte alter Opfersteine, um die zur Sonnenwende das Volk getanzt - begonnen, die alten Tanzformen auf diesen Giebeltüchern wieder aufzuführen und den malerischen Weisen nachzuspüren. Die Rückwirkung dieser künstlerischen Anregung lässt | |
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sich nun wieder auf den heutigen Giebeltüchern erkennen in der lebendigeren Art der Darstellung. Ist die norwegische Bildwirkerei auf die Gestalten des Märchens und der Sage zurückgegangen, so haben die ‘Handarbetets-Vänner’ mit dem Wahlspruch ‘künstlerischen Geschmack mit vaterländischem Sinne gepart’ im Volke zu pflegen und den Sinn für Heimatkunst und Heimatweisen zu befestigen und zu veredeln, die Blüte aus Feld und Wald auf die Teppiche gezaubert. Auch die durchaus neuzeitlichen Entwürfe schwedischer Kunststickereien fussen auf altererbten Kenntnissen und altbekannten Mitteln und bleiben ganz in den sinnbildlichen Farbenstimmungen der alten Volkskunst. Die Poesie und die stillen Farben des Heimatwaldes klingen in ihnen aus und verschmelzen mit Motiven der zackigen Bergriesen, der Blüten aus Wald und Wiese, des Pflanzenwuchses der Heimat. Wie alte Gotenteppiche scheinen diese Blütengewebe duftend zu grüssen. Näher als fremdgeborene Muster steht damit auch die einfachste Webkunst dem Volke in Festsaal und Haus. Wie das Märchen eine Dichtung im Volkston, so ist das nordische Bildgewebe heut geworden, was es einst gewesen: eine Bilderschrift, vom Volk geschaffen, in der es einfach und schlicht seine Schönheitssehnsucht, seinen dichterischen und bildnerischen Geschmack kundgibt. |
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