Germania. Jaargang 6
(1903-1904)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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zwei alte verwitterte Denkmäler in die neuere Zeit dieser Völker hinüber. Wie alle Völker durchlebte auch das kleine Burenvolk seine verschiedenen Epochen; es begann in der Zeit seiner Jugend sein heroisches Zeitalter, die Zeit unruhiger grosser Wanderungen, kleiner Reibungen und Kämpfe, die von wenigen ausgefochten werden, deren Führer als Helden hervortreten und von den Nachkommen verehrt werden. In dieser Zeit wurde Paul Krüger am 10. Oktober 1825 als Bauernjunge auf der Farm Vaalbank bei Colesberg in der Kapkolonie geboren. Stephanus Johannes Paulus Krüger wuchs so als kleiner Bur heran, hütete die Herden, erprobte seine Flinte, bis das grosse Ereignis eintrat, das ihm ein Ziel gab, der Treck seiner Eltern, welche 1835 mit vielen andern Buren dem englischen Drucke sich entzogen. Zwanzig Köpfe mit 30000 Schafen, einigen hundert Pferden und Rindern zogen 1835 über den Oranjefluss; das Vorbild zündete; 1836 folgte ein zweiter grosser Treck unter Henry Potgieter - so wurde der Oranjestaat allmählich begründet unter Kämpfen gegen die Kaffern und Zulus. Als Krüger 17 Jahre alt war, erhielt er wie die anderen selbständigen Glieder der Treckgesellschaft zwei Farmen, eine als Weideplatz, eine zur Fruchtbestellung und heiratete noch in demselben Jahre Maria du Plessis. Sie starb später und Krüger führte eine Verwandte der Toten heim, Gesina du Plessis, welche ihn mit 16 Kindern beschenkte. Seine Erinnerungen jener Zeit sind angefüllt mit unzähligen Jagdabenteuern und mit neuen Kämpfen gegen die Kaffernhäuptlinge Sechïel, Matapan, Mapela und Montsiora. Die Buren waren inzwischen über die Vaal gegangen und hatten Transvaal gegründet. Nach dem Tode des älteren Pretorius traten Schwierigkeiten, Reibungen zwischen dem Oranjefreistaat und Transvaal ein. Der jüngere Pretorius wollte beide Staaten verschmelzen. Auch im Transvaal selber rissen Parteiungen ein, die sich auf kirchliche Sekten | |
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stützten und es kam zu zwei Gefechten bei Potschefstrom und Zwartkopjes, in denen Krüger als Führer seiner Partei siegte. Während dieser Zeit war Krügers Stern rasch aufsteigend. Er war zweimal Generalkommandant und schon im Jahre 1875 war er Kandidat für das Amt eines Präsidenten. Sein Gegenkandidat, Bürgers, ging aus der Urne hervor. Nach der Präsidentenwahl sagte Krüger zu ihm: ‘Hochedler Herr: Ich habe mein Aeusserstes getan, Ihrer Wahl entgegenzuarbeiten, hauptsächlich Ihrer verkehrten religiösen Auffassung willen. Da sie gewählt sind, unterwerfe ich mich in dem Vertrauen, dass Sie gläubiger sind als ich denke, in welchem Falle ich Ihnen Glück wünschen werde.’ Man sieht, wie auch Krüger damals durchaus noch unter dem Einfluss des burischen Sektenwesens stand und diesen Zug eines übertriebenen Konfessionalismus werden wir wiederfinden. Und nun kommt die erste Annektion Transvaals durch die Engländer. Shepstone kam bekanntlich 1877 in die durch Parteikämpfe zerrüttete Republik und annektierte sie. 1879 riefen Joubert und Krüger das Volk zusammen. 4-5000 Menschen vereinigten sich bei Kleinfontein, doch hielt Krüger in den Versammlungen die Bürger von der bewaffneten Erhebung zurück. Aber im folgenden Jahre beginnt der Freiheitskrieg der Buren, in denen sich Krüger ganz hervorragend betätigt und verschiedene Proben seines unerschütterlichen Mutes und seiner Ruhe selbst in Fällen grösster Lebensgefahr ablegte. Der Friedensvertrag von 1881 sichert zunächst nur dem Staate die Selbstregierung unter britischer Suzeränität. Paul Krüger wird erster Staatspräsident und hat von da (1883) ab ununterbrochen das junge Staatswesen geleitet bis es unterging. Man sieht, wie sehr die Geschichte des Staatspräsidenten Krüger zugleich die Geschichte der zweiten südafrikanischen Republik ist. Es gelingt ihm zunächst, die Kaffern zu bändigen und durch geschickte Verhand- | |
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lungen in London die Aufhebung der Suzeränität durch die Londoner Konvention von 1884 zu erreichen. Damit schliesst das heroische Zeitalter der Buren ab, und es beginnt eine ganz neue Zeit. Es ist der Gang der Völker, dass sie nach langem Wandern zur Ruhe kommen, sich behaglicher ausdehnen, Staaten gründen, sie dichter besiedeln, und dass dann in diesem neuen festen Heim eine höhere Kultur sich erhebt. Es war ein Verhängnis für die Buren und ihren Präsidenten, dass die Kultur mit Riesenschritten in wahrhaften Siebenmeilenstiefeln über sie hinwegstürmte. Der Wendepunkt war die Entdeckung der Goldfelder, welche 1885 begann. Die Folge war eine Ueberflutung der Burenrepubliken durch eine neue, grosse, hauptsächlich technisch entwickelte Kultur. Die, welche die Burenstaaten in Trecks begründet und in Stürmen behauptet hatten, waren machtlos gegen dieses friedliche Ueberfluten durch Zehntausende britischer Finanziers, Ingenieure, Händler und Bergleute, welche den Boden zerwühlten und damit den Grund, auf dem die Republiken standen. Krüger war von Hause aus ein kluger und gescheidter Mann; er war hochbegabt aber nicht hochgebildet, er war tapfer, einfach und schlicht, aber etwas engherzig in all diesen Eigenschaften, ein Typus des durchschnittlichen Buren. Die Goldfelder besserten zunächst die Finanzen des Landes angenehm auf, aber es war ein Verhängnis, dass die Industrie so schnell wuchs, das den Buren keine Zeit gelassen wurde, sich an sie zu gewöhnen und sie zu beherrschen und dass zwei Parteien schroff gegenüberstanden - die agrarischen Bauern und die industriellen Briten. - Es blieb auch keine Zeit, beide zu versöhnen oder gar zu verschmelzen, sondern es konnte nur einer von beiden siegen. Es ist bewunderungswürdig, wie der einfache Staatspräsident Krüger zunächst seinen Staat durch die Gefahren steuerte. Sein Grundsatz war, soviel Konzessionen zu | |
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machen als möglich, aber doch unverrückbar die Macht des Staates in den Händen der Burenvölker zu lassen. Krüger tat, was er konnte, dem Sturm zu begegnen. Er rief den talentvollen Holländer Dr. Leyds herüber, in dem Gefühl, dass seine einfache Staatskunst vielleicht neuen Anforderungen nicht gewachsen sei, er liess der Goldindustrie Zügel, soweit als möglich; es ist heute nicht nur erwiesen, sondern von den Beteiligten selbst anerkannt, dass es dem Goldbergbau niemals finanziell und technisch besser ging wie unter der festen Staatsleitung Krügers. Aber den Staat gab er nicht aus den Händen und so rückte die Krisis immer näher. Das Vorspiel war das unverschämte Auftreten Sir Henry Lochs, des britischen Kommissars, der infolge von Unruhen der britischen Bewohner Prätorias 1891 nach Prätoria kam und dort versuchte sich als Oberherr aufzuspielen. Trotzdem schreitet die junge Republik tapfer ihren mühseligen Weg voran und die Eröffnung der Delagoabai scheint sie nunmehr von Kapstadt und somit von Grossbritannien unabhängig zu machen. Die Antwort darauf ist der Raubzug Jamesons, welcher 1895 kläglich niedergeschlagen wird. An Jamesons Stelle trat aber nun ein Stärkerer - Chamberlain selbst. Krüger steht in der Handhabung der diplomatischen Kunst rühmlich da; er besas von Hause aus die Eigenschaft die in der Politik in erster Linie wertvoll ist: bedächtige Ruhe. Jahre hindurch geht das Spiel zwischen ihm und Chamberlain, der sich eine diplomatische Niederlage nach der anderen holt. Zugleich aber sieht man die Kriegsgefahr immer näher rücken. Man fühlt, dass England nur dieses Geschäft weiter schiebt, bis die Gelegenheit zum Loschlagen günstig ist; man wartet nur noch auf gut Wetter in Europa, um die reife Erucht in Afrika zu mähen. Ein Bündnis mit dem blutsverwandten Oranjefreistaat ist die Antwort der Buren. Und dann beginnt nun jener grossartige Krieg, in dem die Buren ihr sittliches Recht, als freies Volk zu leben, ihre | |
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germanische Kraft und die Heldentugend ihrer Väter abermals und wohl zum letzten Male vor aller Welt so glänzend erwiesen, dass ihnen ein Platz in der Ruhmeshalle der Völker für alle Zeiten gesichert ist. Dieser gewaltigen Anforderung des Krieges allerdings war Paul Krüger nicht mehr gewachsen. Nicht allein weil ein Lebensalter ihm auf dem Haupte lag, das Gott als das Ende der körperlichen Kraft gesetzt hat, sondern er wie Joubert passten auch nicht in die Zeit mehr hinein. Sie waren gewohnt mit dem Pferde durch Furten und durch Wüsten zu reiten und mit der Vierpfünderbüchse in der Hand sich an den Feind zu schleichen, die moderne Kriegstechnik aber verlangt heute andere Wege. Die Schaftung militärisch gebildeter Offiziere und eines Generalstabes, das Ueben der Truppen in Verbänden, die Ausbildung des Festungswesens der Artillerie, alles das war bei den Buren etwas Fremdes. Auch war Krügers schroff religiöses Gefühl ihm hinderlich; er übertrieb als Führer der Dopper-Kirche, welche sogar keine kirchlichen Lieder, sondern nur noch Psalmengesang duldet, das Gottvertrauen bis zum Fatalismus; er schlug sich zwar als Knabe und Mann wie ein Löwe, allein er verliess sich im Alter so auf seinen Gott, dass er in der heissesten Kriegszeit den kostbaren Telegraphendraht mit langen Bibelstellen besetzte, welche in den Lagern vorgelesen werden sollten. Ein Krieg siebt die Völker durch; so wurden in diesem Kriege auch die Buren durchgesiebt und es ist tragisch zu sehen, dass die Männer wie Joubert und Krüger, welche als gleichwertige Helden der älteren Burenzeit, ihr Leben ruhmreich beschlossen hätten, wenn sie 10 Jahre früher gestorben wären, nun berufen sind, ihr eigenes so heiss geliebtes und verteidigtes Volk in den Untergang zu führen. Sie sinken und verschwinden in dem blutigen Ringen Südafrikas, und ganz neue Männer kommen während des Krieges an die Spitze, auf denen nun im Kriege | |
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die Rettung und die Hoffnung des Burenvolkes für die Zukunft beruht: Botha, Dewet, Steyn, Leyds, Reitz. u.a. Krank am Körper und krank im Herzen hat sich der zum drittenmale bis zum Jahre 1908 gewählte 75 jährige Staatspräsident nach Europa eingeschifft. Auch hierin ein Sinnbild seines Volkes, kehrt er wieder zu dem grossen germanisch-deutschen Flachlande zurück das vor Jahrhunderten das Burenvolk ausgesandt hat. Und da ist und bleibt es eine Schmach, dass dasjenige Land, dem Krüger selber entstammt, ihn verstiess. Er, dessen Vorfahren an der Elbe lebten, wurde von der amtlichen Vertretung seiner ureigensten Heimat so ungastlich behandelt, dass er ging, das kleine Holland bot ihm, dem mit dem Hasse Englands Beladenen Zuflucht und Gastfreundschaft. Am Herzen gebrochen, verlebte er dort seinen traurigen Lebensabend. So ist Paul Krüger in seiner Schwäche und seiner Grösse das Abbild seines patriarchalischen Burenvolkes, seine Zeit und sein Leben die Geschichte seines Staates. Er hat nicht gesiegt; er hat verloren und diesen Fehlbetrag seiner Kräfte hat er mit dem Tode seiner Frau und mehrerer Söhne und Enkel, mit dem Verlust seines Amtes und mit der Verbannung bitter bezahlt, in seinem Lebensende die tragischste Gestalt, welche seit Napoleon I. Tode die Erde trug. Aber einen Namen voll Ehre, einen Charakter, voll Tapferkeit, eine Gesinnung voll Adel und ein Leben voll fester Grösse hat er aus dem Schlamm giftiger Angriffe und aus dem Feuer aller Farmen Transvaals gerettet und mit sich genommen bis in sein Grab. |
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