Germania. Jaargang 6
(1903-1904)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermdEin neues Werk über Rembrandt
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gehen könnten, und wir wagen es daraufhin, von ihm zu sprechen, ob auch in vorgeschrittener Stunde. Was Rembrandts Name uns bedeutet, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Von keinem der alten Meister - mit Ausnahme des Velazquez - hat die künstlerische Bewegung des 19. Jahrhunderts den Eindruck einer gleich autoritären Ueberlegenheit wie von ihm erfahren. So hat auch die kunstgeschichtliche Forschung unserer Zeit, indem sie zu Rembrandts kritischer Würdigung ihr redliches Teil beitrug, einem allgemein vorhandenen Interesse in die Hände gearbeitet. Der Verdienste, die sich vor allen Dingen die deutsche Fachwissenschaft neben der holländischen um die Erforschung und Darstellung von Rembrandts Leben und Tätigkeit erworben hat, ist oft und auch in diesen Spalten Erwähnung geschehen. Die Summe ihrer Bemühungen liegt in dem noch in der Veröffentlichung begriffenen grossen Rembrandt-Kataloge von Wilhelm Bode vor, dem Resultat einer jahrzehntelangen Entdecker-, Sammler- und Forscherarbeit, die in ihrem für alle späteren Zeiten grundlegenden Werte nicht mehr übertroffen werden kann. Eine Künstlerpersönlichkeit vom Schlage Rembrandts tritt wie von selbst, wenn sie zum Gegenstande einer monographischen Darstellung wird, aus dem Rahmen der kunstgeschichtlichen Spezialforschung heraus, um sich einem weiteren Gesichtskreise einzuordnen. Niemand ist, was er ist in der Beschränkung auf eine einzige, von anderen abgesonderte Tätigkeit, er wird in seinem Tun und Lassen zugleich bestimmt durch eine soziale Lebensgemeinschaft, die ihn erzogen und gebildet hat, nach deren Normen sein eigenes geistigsittliches Dasein orientiert ist. Wichtige Einblicke in die eigenartigen psychischen Vorgänge und Wirkungen, die das Handeln des Einzelnen, auch des künstlerischen Ingeniums bestimmen, müssen sich aus diesen allgemeinen sozialen Zusammenhängen ergeben, wenn sie mit | |
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in die Betrachtung eingezogen werden. Aber damit nicht genug: Diese Einblicke haben nur halben Wert, wenn nicht zugleich das individuelle Seelenleben der zu schildernden Persönlichkeit in seinen eigenen Gedanken- und Willensrichtungen erschlossen wird. Mit einem Wort, die sozialpsychologische Betrachtung setzt die ergänzende der Individualpsyche voraus. In diesen beiden Punkten begegnet sich das Interesse der historischen mit dem der ästhetischen Kritik: auch diese letzte sucht ja ihren Gegenstand auf dem Hintergrunde des Seelenlebens zu verstehen, aus dem er hervorgegangen ist. Beide Gesichtspunkte sind denn auch in der bisherigen Rembrandtforschung nicht unbeachtet geblieben; dass sie das Schwergewicht der Darstellung bilden, ist das entscheidende Merkmal der jüngsten Rembrandt-Monographie, mit der uns Carl Neumann beschenkt hatGa naar voetnoot(1). Es ist gewiss kein kleines Unterfangen, in die verborgene Seelenwerkstatt eines Rembrandt einzudringen, die Summe schöpferischer Gedanken, die seine Lebensarbeit bestimmen, von da aus zu entwickeln. Um sich einen Weg in dieses Labyrinth zu bahnen, hat Neumann kurz entschlossen die nächstliegende und zugleich schwierigste Einzelaufgabe herausgegriften und eines der Hauptwerke des Künstlers, die 1642 entstandene ‘Nachtwache’ zum Mittelpunkte seiner Darstellung gemacht. Ohne den alten Streit zu erneuern, ob dieses Bild das Meisterwerk Rembrandts oder nur eines neben anderen sei, geht Neumann von der Voraussetzung aus, dass dieses Gemälde jedenfalls das an Problemen reichste Werk des Künstlers ist, und das es darum auch vor anderen die Möglichkeit gewährleistet, das Geheimnis der in ihm und aus ihm schaffenden Seelenkräfte auseinanderzufalten, Neumann hat seiner Analyse der ‘Nachtwache’ ein Kapitel von hundertund vierundzwanzig Seiten | |
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gewidmet, ein in der Geschichtsschreibung der bildenden Künste wohl einzig dastehender Versuch, der jedenfalls mit Bezug auf die Nachtwache nur einen Vorläufer in den kritischen Betrachtungen hat, die Eugène Fromentin der ausgezeichnete Orientmaler, demselben Kunstwerk in seinen ‘maîtres d'autrefois’ gewidmet hat. Die ‘maîtres d'autrefois’ sind eines der entzückendsten Bücher, die je über alte Kunst geschrieben worden sind, sie sind aus der quellfrischen, mitfühlenden und miterlebenden kongenialen Eingebung des Künstlers heraus geschrieben. Das Buch ist nicht frei von einseitig gefassten Meinungen. Den französischen Autor beherrschte die Tradition der Schule, die ihn gebildet hat, zwar nicht geradezu, aber sie gibt ihm ganz unverkennbar seine Nuance. Auch Neumann hat dem Werke gegenüber seine Vorbehalte, er setzt sich sogar, was das Problem der Nachtwache anbetrifft, in einen grundsätzlichen Widerspruch zu Fromentin. Ich muss bekennen, dass mein Widerspruch nicht ganz so weit geht. Namentlich in einem wichtigen Punkt, der Beurteilung der Komposition des Bildes, möchte ich dem Maler beipflichten, der darin den überlegten planmässigen Zusammenhang vermisst, während Neumann in der Gesamtdisposition nichts Unbedachtes, sondern im Gegenteil eine ‘eiserne Folgerichtigkeit’ erkennen will. Ich weiss, dass auch Künstler in ihrem Urteil über künstlerische Dinge irren können, hier aber dürfte doch wohl das in eigener Praxis geschulte Gefühl des Künstlers vor der analysierenden Reflexion den Vorzug der grösseren Treffsicherheit voraushaben. Auch der Maler Emile Michel ist in seinem Buche über Rembrandt der Meinung, dass es bei der Ausführung der Nachtwache etwas planlos zugegangen sei, was ihm auch daraus hervorgeht, dass auffallend wenig Vorstudien dazu erhalten sind. Ich vermag auch sonst nicht allen technischen Ausführungen beizutreten, auf denen Neumanns Analyse beruht, dennoch glaube ich, dass er | |
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für die ästhetische Beurteilung des Ganzen den richtigen Gesichtspunkt aufstellt, wenn er betont, dass die Elemente der Raumgestaltung, wie sie die meisten Kunstlehren vorzutragen pflegen, in dem Bilde nicht das Wesentliche sind, dass es vielmehr die mit Vorbedacht aufgesuchten Abstufungen des Lichtes sind, mit einem Wort, das ‘metaphysische Prinzip’ des Rembrandtschen Helldunkels, das für seine Gesamterscheinung ausschlaggebend geworden ist. Dass sich aus dieser bevorzugten Rolle, die Hell und Dunkel in dem Bilde ausüben, gewisse Friktionen mit anderen Medien der Darstellung, nicht nur der allgemeinen Anordnung, sondern auch der Farbe ergeben mussten, dass also in der Hinsicht die Nachtwache doch kein innerlich ganz ausgeglichenes Werk ist, scheint mir im übrigen, nach verschiedenen Stellen zu schliessen, auch Neumann anzuerkennen. Er verzichtet nichtsdestoweniger und mit Recht auf eine eigentliche Kritik des Werks, das er in seiner natürlichen Grösse einfach genommen wissen will, wie es ist. Treffend vergleicht er Rembrandts Nachtwache mit dem Marmorblock, ‘der angehauen am Wege des Künstlers liegen blieb’. Gewiss, und wie bei Michelangelo, an den man bei dem Gleichnis ja unwillkürlich denkt, das bloss angehauene Stück Arbeit, vom Standpunkt des reinen Metiers angesehen, so schon ist, so über jeder Kritik steht, dass man gern aufhört, zu fragen, warum es unvollendet bleiben musste, so ist auch bei Rembrandt, auch wo er unausgeglichene Probleme zu raten aufgibt, die Art, wie er den Gegenstand bezwungen hat, aus einer so elementaren Freiheit und Gewalt des künstlerischen Temperaments hervorgegangen, dass eben der Moment der Erzeugung, der dem Werk ‘das Bewusstsein der Persönlichkeit wie ein Siegel aufdrückt’, allem weiteren Fragen und Deuten ein Ende macht. An die zentrale Stellung, die Neumann diesem Kapitel gege- | |
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ben hat, kristallisieren sich gewissermassen die übrigen Gegenstände der ästhetisch-künstlerischen Betrachtung an Rembrandt als Stilleben-Maler, Rembrandt als Landschafts-als Porträtmaler, als ‘der Maler der Seele,’ Einzelbetrachtungen, die reich an feingeschliffenen, geistigen Pointen sind. Andere Mitteilungen schliessen sich enger an bestimmte technische Vorgänge an. So erhalten wir denn ferner wertvolle Beiträge zum Kapitel der Farbensymbolik, Beobachtungen, die sich leicht vermehren liessen, auch durch Erscheinungen aus dem Gebiet der modernen Kunst. Böcklin darf beispielsweise, so wenig er auch für Rembrandt übriggehabt hat, hier in Parallelle zu diesem genannt werden; er hat wie aus gelegentlich geschehenen mündlichen Aeusserungen hervorgeht, einzelnen seiner Lokalfarben bewusst symbolische Bedeutung beigelegt. Die Untersuchung über Rembrandts Sehen enthält beherzigenswerte Hinweise, auch mit Bezug auf das Sehen des Künstlers überhaupt im Unterschiede vom gewohnheitsmässigen Sehen anderer Menschen. Es liegt darin zugleich ein Aufschluss über die Frage, warum ein ‘verändertes Sehen, zu dem ein grosser Meister die Bahn geöffnet hat,’ nur allmählich die Anerkennung und Billigung der Allgemeinheit findet. Viel zu denken geben endlich die Abschnitte, die sich mit dem Verhältnis Rembrandts und der holländischen Kunst seiner Zeit zu den Italienern befassen. Es möchte zwar fraglich erscheinen, ob speziell das ‘malerisch-koloristische Ideal’ der italienischen Spät-Renaissancé einen so weitgehenden Einfluss auf die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts gehabt hat, wie Neumann annimmt. Was diese letzte - von Helldunkel-Problemen abgesehen - an ‘Farbenund Tonschönheit’ angestrebt hat, das ist doch ebensowohl oder in noch stärkerem Masse auf alteinheimische Uberlieferung zurückzuführen. Ein gewählter Farbensinn und speziell die Neigung zum sogenannten schönen Ton gehört zu den Natur- | |
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bestimmtheiten, mit denen die niederländische Kunst von ihrer Wiege an begabt gewesen ist; diese Anlage konnte ja gewisse Impulse von aussen empfangen, in der Hauptsache aber war sie doch wohl ein unbewusst Gegebenes. Was Rembrandt selbst betriffft, so wird natürlich auch von Neumann der originale Charakter seiner Licht- und Farbengebung hervorgehoben; Rembrandts angebliche Beeinflussung durch italienische Vorbilder in Gestalt von Entlehnung vereinzelter Motive, historischer Typen und dergleichen, von der da und dort schon die Rede war, wird an anderer Stelle auf ihr bescheidenes tatsächliches Mass zurückgeführt. Hingegen wird das Vorhandensein einer anderen italienischen Einflusssphäre bei Rembrandt aufgedecht in einzelnen Figurenkompositionen der späteren Zeit, in deren konstruktiven Grundlagen der Verfasser Perührungspunkte mit dem Gruppenaufbau der klassischen Italiener feststellt. Es ist in der Tat denkbar, dass der italienische Kunstgeschmack, dessen Ausbreitung ja im grossen und ganzen für die niederländische Kunst der 17. Jahrhunderts von ausserordentlicher Bedeutung war, hier auch den stärksten und unabhängigsten Genius der nordischen Kunst vorübergehend in seine Kreise gezogen hat. Wie weit das Machtgebiet dieser künstlerischen Propaganda in Wirklichkeit gereicht hat, wird erst dann vollkommen klar, wenn man sich bewusst wird, dass sie nur ein Teil eines viel umfassenderen kulturgeschichtlichen Verlaufes ist, der sich in dem konstanten Vordringen des italienisch-französischen Klassizismus, oder sagen wir es kurz, der Spätrenaissance, in den leitenden gesellschaftlichen Kreisen der nördlichen Niederlande zur selben Zeit beobachten lässt. Dies ist auch die Stelle, an der in dieser Periode am deutlichsten das Ineinandergreifen der speziellen Künstlergeschichte und der sozialen Lebensvorgänge vor Augen tritt. Die Rezeption des antiken Geisteslebens in der | |
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Einkleidung der Renaissance hebt Neumann mit Recht als eine der wichtigsten und folgenschwersten Erscheinungen in der kulturellen Entwicklung der damaligen Niederlande hervor. Sie ist auch für Rembrandts innere Entwicklung nicht gleichgültig insofern gerade ihn Beruf und Lebensstellung mit allen Schichten der Gesellschaft und lange Zeit auch gerade mit jenen oberen Zehntausend in nahe Perührung gebracht haben, die man als den eigentlichen Träger jener fremdländischen Propaganda anzusehn hat. Das sozialpsychische Problem berührt sich hier wie immer mit dem kulturgeschichtlichen. Pie dem altniederländischen Kulturleben gewidmeten Abschnitte von Neumanns Buch, ‘Amsterdam und das holländische Leben’, ‘Der Haag’, ‘Die holländischen Frauen’, ‘Das Problem der holländischen Kultur’ u.a.m. gehören zu seinen vortrefflichsten Partien. Vielseitigkeit der wissenschaftlichen Bildung, ausgedehnte Belesenheit und ein scharf beobachtendes Auge vereinigen sich mit einer glänzenden Darstellungsgabe, um eine Aufeinanderfolge von geschichtlichen Bildern zu geben, die niemand aus der Hand legen wird ohne Genuss und Belehrung in reichstem Masse empfangen zu haben. Dass dabei auch dem Thema ‘Rembrandt und das religiöse Leben in Holland’ ein besonderes Kapitel vorbehalten ist, liegt ebensowohl an der Eigentümlichkeit von Rembrandts künstlerischer Produktion, wie an der besonderen Geschicht-und Kunstbetrachtung, die Neumann seinem Werke zu Grunde gelegt hat. Soviel auch eine neuere Theorie bemüht ist, den formalen Gestaltungsprozess des Kunstwerks als den einzig möglichen Gegenstand der ästhetischen Analyse hinzustellen, so gewiss bleibt doch neben den Kategorien der Form und des Gehaltes die selbständige Bedeutung des Stoffes bestehen, natürlich nicht im Sinne eines unedlen Reizmittels der Phantasie, wohl aber in seinem bleibenden Zusammenhange mit ‘jenen tieferen Wurzeln des Gemüts’, die, wie Neumann mit | |
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vollem Recht betont, ‘in ihrem Wesen schwer zu erfassen sind, doch aber Sprachbedürfnis und Ausdrucksfarbe bestimmen’. Die religiösen Stoffe nehmen in Rembrandts Werk den weitaus grössten Raum ein. Und wenn auch die Frage offen bleibt, inwieweit den Künstler ein persönliches inneres Interesse zu jenen Gegenständen hingezogen hat, oder mit anderen Worten, ob er für seine eigene Person Religion gehabt hat oder nicht, so ist es doch nicht gleichgültig, sich in diesem Zusammenhang zu vergegenwärtigen, wie er in einem Volksganzen gelebt hat, das noch völlig in mittelalterlicher Weise in den Kreislauf des religiös-kirchlichen Lebens eingeschlossoen gewesen ist. Allerdings zeigt die Geistesbildung der oberen Klassen im damaligen Holland Merkmale eines weitverbreiteten religiösen Indifferentismus, daneben aber treten Typen einer naiv-volkstümlichen Frömmigkeit hervor, von denen man sich eine greifbare Vorstellung wohl am besten aus der Analogie mit gewissen Zügen jenes altniederländischen Volksgeistes macht, der uns noch jüngst unter den Freiheitskämpfern der südafrikanischen Republiken in so auffallend lebendiger Erhaltung entgegengetreten ist. Indem Neumann die Frage nach dem persönlichen religiösen Charakter Rembrandts gegen die sicherer zu beantwortende nach dem Religiösen Charakter seiner Kunst zurückstellt, gibt er zugleich zu erkennen, dass ihm das Verhältnis des religiösen Menschen zum religiösen Künstler nur als ein Einzelfall aus der viel allgemeineren Fragestellung gelte, wie das Verhältnis von Mensch und Künstler, von Mensch und Genius überhaupt zu denken sei. Diese letzte Frage ist hier um so brennender, als die ‘weitverbreitete Vorstellung von der notwendigen Einheit und Uebereinstimmung des Künstlers und des Menschen’ durch bestimmte Dessous von Rembrandts Lebensgeschichte, welche die neueren archivalischen Forschungen seiner Landsleute zu Tage gefördert haben, erheblich ins Wanken gebracht wird. Im | |
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Gegensatz zu einigen wohlgemeinten aber doch etwas naiven Versuchen holländischer Rembrandt-Freunde, die aus jenen Quellen offenbar werdenden Dinge als diaphora hinzustellen, zeigt Neumann an der Hand von sehr viel tiefer gehenden Erwägungen, wie nur ein falscher Genialitätsbegriff dazu gelangen könnte, den Genius loszusprechen von jeglicher sittlichen Bildung, wie aber allerdings im Lichte einer höheren Berufung, unter dem ihm das Lebenswerk eines Rembrandt erscheint, ‘im Glanz und Segen, der von seiner Kunst ausgeht, die Schlacken seiner irdischen Existenz verzehrt werden und verschwinden.’ In der Frage zwischen Mensch und Künstler ist also jedenfalls die künstlerische Persönlichkeit der wichtigere Teil; will man auch mit der menschlichen abrechnen, so mag es erlaubt sein, dies hinzuzufügen, dass eine Lösung des gestellten Problems nicht nur in Rembrandts Lebenswerk, sondern auch in seinem Lebensschicksal angedeutet liegt. Sein äusseres [E]rgehen bietet zwar in der Zeit der Jugend und des ersten Mannesalters den Eindruck eines bien-être, dem es an nichts zu fehlen scheint, später aber treten, und zwar nicht ganz ohne Causalzusammenhang mit jenen moralischen Entgleisungen, deren oben gedacht ist, sichtbare Verstimmungen ein. Trostlose Jahre der Verarmung und Vereinsamung bilden das Ende. Ein Los, das eines solchen Künstlers wenig würdig erscheint. Waren es nun seine Fehler, seine Laune oder Willkür allein, die das verschuldeten, oder trugen noch andere ausser ihm liegende Ursachen dazu bei? Es ist dazu wohl als Regel anzusehen, dass der geniale Mensch, von allem Schuldbegriff ganz abgesehen, durch die Notwendigkeiten seines leitendem, schöpferischen Wirkens allein in einen mannigfaltigen Gegensatz zu den gewohnten Ordnungen des bürgerlichen Lebens und seiner Moral gedrängt wird. Vom künstlerischen Genius gilt das nicht weniger wie von jedem anderen. Und eben damit tritt er in einen Konflikt zu | |
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seiner Umgebung ein, der sich wohl unter Umständen zu seinen Gunsten, unschädlich oder rühmlich wenden kann, der aber eben so oft in einem echt tragischen Ausgange, Demütigung und Erniedrigung zur Vorbedingung der Unsterblichkeit, macht. |
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