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Ferdinand Krueger
Ein Gedenkblatt zu seinem 60 Geburtstage
Von Ludwig Schröder (Iserlohn).
Die niederdeutsche Sprache stirbt im deutschen Reiche langsam aus; es ist ein Glück, dass ihr Sprachschatz aber aufgespeichert bleibt in den Schriften einiger bedeutender Dichter in niederdeutscher Mundart. Das Ostelbische Land stellt Reuter und Brinkmann, das Westelbische F. Krüger.
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Westfalens grösste Dialektdichter sind Friedrich Wilhelm Grimme, Ferdinand Krüger und Hermann Landois. Alle drei sind Meister der Sprache, und in ihren Schriften pulsiert das Leben ihrer westfälischen Heimat. Westfälische Männer und Frauen mit all ihrer Art und Unart treten uns fast greifbar entgegen. Das ist 's, was ihnen gemeinsam ist. Im übrigen sind sie so verschieden, dass es ungemein leicht ist, sie auseinander zu halten. Grimme ist der heitere Sauerländer, dem die Zunge recht lose im Munde liegt, der mit schnellem Blick die Blösse des Gegners entdeckt und ihm ein treffendes Scherzwort anhängt, der immer gern gehörte Erzähler köstlicher Schwänke, der Dichter wirkungsvoller Lustspiele und doch auch ein Poet mit warmem Herzen, dem innige hochdeutsche Weisen gelingen, ernste Spruchweisheit und gute hochdeutsche Erzählungen aus dem Volksleben. Krüger, der schwerblütigere Münsterländer, ist der Schöpfer grosser Romane, ein Menschenund Sittenschilderer voll kraftvoller Eigenart. Landois ist ein Satiriker, dessen Geisselhiebe auf alles niedersausen, was nach Philister riecht. Er wägt seine Worte nicht ängstlich ab und fällt echt westfälisch recht oft mit der Tür ins Haus, ja, manchmal auch gleich gegen den Glasschrank, dass die Scheiben klirren und in Stücke springen.
Grimme und Landois sind bekannt, dieser sogar weit über die Grenzen Westfalens hinaus; wer aber kennt die beiden Werke Ferdinand Krügers, des grössten westfälischen Dialektdichters? Wer las ‘Rugge Wiäge’ und ‘Hempelmanns Smiede’? Ach, das Herz tut mir weh, wenn ich da ran denke, wieviel Tausende von Plattdeutschlesenden auf der breiten Landstrasse dahinwandern und es nicht wagen, durch das Gestrüpp, die Produkte des krassen Dilettantismus, der Ohnmacht oder der Anmassurig, sich einen Weg zu bahnen in den stillen Frieden des Waldes, wo die echte Poesie uns anschaut mit ihren Mär- | |
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chenaugen. Ist es denn wirklich so schlimm, einmal oder auch öfter enttäuscht zu werden auf der Suche nach dem Schönen? Muss man denn immer nur lesen, was alle Welt liest, kaufen, was sich auf allen Salontischen, in allen Büchereien breitmacht? Wer die breite Heerstrasse nie verlässt, der erlebt auch nichts anderes, als der grosse Haufe, dem bleibt das Schönste fast immer verborgen, weil seine Schöpfer allem Marktgeschrei, aller lärmenden Reklame feind sind.
Auch auf Ferdinand Krüger passen die herrlichen Worte, die Detlev von Liliencron Theodor Storm nachrief:
Wohl trifft es sich, dass laut und polternd wirft
Ein herrlich Dichterherz mit rohem Gold
Und kann es nimmer zwingen zum Gerät;
Ihm fehlt die Künstlerhand, Dir wurde sie.
Ja, die Künstlerhand! Krügers Romane beweisen 's, dass er sie besitzt, das er ein echter Dichter ist, der für den Inhalt auch die passende Form findet. Und schon deshalb dürfte ich ihn Westfalens bedeutendsten Dialektdichter nennen. In seinen Romanen findet sich aber noch etwas anderes, was mich berechtigt, ihm unwidersprochen den Ehrenplatz zuzuweisen. Wir finden bei Krüger, was wir bei Grimme und Landois, die nur die humoristische Seite des westfälischen Volkslebens wiedergeben, schmerzlich vermissen: den grossen lyrischen Grundzug. Krüger hat zwar nicht wie Klaus Groth im Dialekt seiner Heimat lyrische Gedichte geschrieben, - in seinen Romanen aber verrät sich der Lyriker. Lyrischer Stimmungszauber liegt wie Sonnenrauch über manchem Kapitel; in andern lachelt der köstliche, der echte Humor, der tief im Gernüt wurzelt, unter Tränen.
Ferdinand Krüger ist, wie ich schon bemerkte, ein Menschen- und Sittenschilderer voll kraftvoller Eigenart. Westfä- | |
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lisch Volk und Land kann man in seinen Romanen besser studieren, als in einer umfangreichen Kulturgeschichte Westfalens. Seine Erzählungsweise ist von geradezu klassischer Objektivität. Der Dichter lässt seine Personen vor unsern Augen sich entwickeln; er begrenzt nicht von vornherein seine Charaktere, indem er die Personen nach Wert oder Unwert selbst deklariert, nein, aus Handlung und Dialog lässt er sie vor uns erstehen. Er bildet, gemäss der ersten Forderung Goethes an den Künstler.
‘Rugge Wiäge’ (rauhe Wege) ist ein treues Lebensbild und schildert die Bauern im Kampfe gegen das Neue, das, wie allerorten, so auch namentlich an der Ruhr im Gefolge der Industrie eingedrungen ist. Krüger bewährte schon in diesem ersten Romane ein glückliches Talent in Auffassung der Verhältnisse und lebenswahrer Zeichnung der Charaktere. Es sind echt westfälische Typen, harte, verschlossene Bauern, die sich eigensinnig gegen allen ‘Nielat’ sträuben, mag dabei auch ihr eigenes und ihrer Kinder Glück zu grunde gerichtet werden. Jeder, der dem Volksleben nachgeht, kennt Menschen, wie Krüger sie treu nach der Wirklichkeit gezeichnet hat: den halsstarrigen Schulte Holthövel, die freche, aber im Grunde ihres Herzens gutmütige Schultenmersche, Ruhrmann, de wise un sine Grovsnute, män en brawen Kiärl, und andere; wer Glück hatte, fand früher wohl gar einen Doktor Assum. Diese Figuren und noch viele andere sind verwoben in eine Herzensgeschichte, die so voll poetischen Zaubers, so wahr, so ergreifend ist, wie nur ein echter Dichter sie schaffen kann. Neben vielen Szenen voll tiefer Tragik enthält der Roman aber auch ein reichlich Mass gesunden Humors, sogar derbkomische Abschnitte, wie die Schilderung einer Zechenkonferenz im fünften Kapitel u.a. Auf eine Inhaltsangabe verzichte ich aus naheliegenden Gründen.
Verdient 's der Roman ‘Rugge Wiäge’ schon, von jedem
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Freunde niederdeutscher Dichtung gelesen zu werden, so gilt das in noch viel höheren Grade von dem dreibändigen Werke ‘Hempelmanns Smiede’. (Beide sind bei Otto Lenz in Leipzig erschienen.) Das ist Ferdinand Krügers Meisterwerk! Es spielt im Anfang des 19. Jahrhunderts im Münsterlande. Weltgeschichtliche Ereignisse bilden den Hintergrund, vor dem sich ein gutes Stück Kulturgeschichte abspielt. Die Chronik der alten Stadt Ahlen ist getreulich benutzt worden. Als ‘Rugge Wiäge’ erschienen war, schrieb ein Kritiker im ‘Deutschen Tageblatt’: ‘Der Richter ist ein ganzer Mann; er kennt seine Landsleute, seine engere Heimat, die dortigen Sitten und Eigentümlichkeiten aus dem ff, und vor allem weiss er die Sprache seines Volkes geschikt zu handhaben.’ Das trifft bei ‘Hempelmanns Smiede’ erst recht zu. Unverfälschte Volksnatur tritt uns auf jeder Seite entgegen. Ich kenne nur wenige Bücher, die auch gleich auf den ersten Seiten schon so gefesselt hätten. Und der Dichter lässt uns nicht los, bis wir ihn den letzten Strich seines grossen Gemäldes haben vollenden sehen. Der Roman hat einen Umfang von über 700 Seiten, und es zeugt wahrlich für die grosse Kunst des Dichters, dass es ihm nicht nur gelingt, dass Interesse des Lesers bis zur letzten Zeile festzuhalten, sondern es sogar zu steigern. Alles, selbst kleine, scheinbar unwesentliche Wendungen im Schicksal der zahlreichen Personen des Romans, wird mit grosser Sorgfalt vorbereitet; der Ditcher lässt keine Fäden fallen, leitet vielmehr alle mit seiner Künstlerhand, bis das herrliche Gewebe zahlreicher ineinandergreifender Menschenschicksale vollendet ist. Die Kraft der Charakteristik ist noch grösser geworden und, was in meinen Augen das Höchste ist, der Dichter hat ungemein an Tiefe gewonnen. Mann
merkt 's, er ist den Jahren, die zwischen den beiden Büchern liegen, nicht nur im Leben, sondern auch in der Kunst ein gut Stück weitergekommen, er hat langsamer gehen und deutlicher
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sehen gelernt. Krüger sagt im Vorwort u.a.: ‘Die-handelnden Personen sind aus dem Leben gegriffen, und damit hat man es ja leicht. Weder im Guten noch im Schlechten ändern sich die Menschen sonderlich - und dies gilt besonders von den Westfalen. Was ich hier über Moder Grausam, Diäkens, Marijännken, Mester Hempelmann, Mester Leesmann, Tüensöhm, Drüksken u.a. berichtet hahe, ist ein altes Lied, das ewig jung bleibt. So wie damals ist auch heute noch im wesentlichen der Münsterländer. Man braucht daher in jener Zeit nicht gelebt zu haben, um ihre Leute zu schildern.’ Der Dichter hat in diesen Zeilen selbst einige der grossartig gezeichncten Gestalten seines Buches genannt. Auch der prächtigsten Figur gedenkt er noch im Vorwort, des Spökenkikers Jangiärd. Lieser Jangiärd hat 's mir angetan, und ich hoffe, er wird sich noch manchen Freund gewinnen. Wollte ich eine Charakteristik Jangiärds geben, dan müsste ich an dieser Stelle eine Abhandlung über westfälische Spökenkiker und ihre Vorgeschichte einschalten, die den Rahmen dieser Würdigung Ferdinand Krügers sprengen würde. Unsere grosse Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking glaubten fest an Spökenkiker, das geht aus ihren Büchern hervor; Friedrich Wilhelm Weber, der Dichter von Dreizehnlinden, hatte die Gabe des zweiten Gesichts, wie viele andere Westfalen; ich habe in meiner Jugend das Glück gehabt, einen dieser seltsamen Menschen kennen zu lernen, und freue mich, dass Krüger den Typus so meisterhaft gezeichnet hat. Er beklagt mit Recht, dass diesem Geschlecht der Untergang droht, weil sich nicht bloss die ‘Aufklärung’ dagegen verschworen hat, sondern auch Bürgermeister, Amtmann und Gericht mit ihren Strafmandaten. ‘Dem Volk eine gruselige
Vorgeschichte schaudernd verkünden, ist grober Unfug und kostet dem armen Spökenkiker, dem sein zweites Gesicht nicht einen Heller einbringt, volle fünf Mark! Ik holle leiwer de Mule, sagt er resig- | |
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niert, geht hin und singt nicht mehr. Sic transit gloria mundi! Schade, denn eben dieses Geschlecht Spökenkiker, dessen Seelenleben sich im Geheimnisvollen bewegt ist der getreueste Ueberlieferer aller Sagen und Märchen aus dem Volke...’ Gerade mit Bezug auf den besonders durch die Spökenkiker dokumentierten mystisch-abergläubischen Zug des westfälischen Stammes urteilten die Blätter für literarische Unterhaltung’: ‘Wer da meint, niederdeutsch sei niederdeutsch, und sich das plattdeutsch denkende und sprechende Volk als eine unterschiedlose graue Masse denkt, und genug getan zu haben glaubt, wenn er den grossen Fritz Reuter gelesen hat, der wird sich hier eines andern überzeugen.’ In diesen Worten liegt eine nachdrückliche Empfehlung, die kein Freund von Schilderungen unverfälschter Volksnatur unbeachtet lassen sollte. Bewundernswert ist auch in ‘Hempelmanns Smiede’ die köstliche Mischung von Scherz und Ernst; Krüger ist eben ein echter Humorist wie Fritz Reuter, Felix Stillfried und unser grosser Wilhelm Raabe. Ich betone das nachdrücklich, weil die Zahl der echten Humorsisten garnicht so gross ist, wie viele meinen, die das Wesen des Humors noch nicht erkannt haben. Von grosser Schönheit sind die Landschaftschilderungen, die nie überflüssig erscheinen, wie leider in allzuvielen Romanen, wo man sie oft nur als störend, den Fortgang der Erzählung hemmend empfindet. Nach dem Gesagten ist es eigentlich selbstverständlich, dass sich der Dichter frei hält von aller Effekthascherei, die jeden gebildeten Leser tief verstimmt. Ferdinand
Krüger ist eben ein Dichter von Gottes Gnaden, dem alle Kniffe und Pfiffe des Geschäftsschriftstellers, des Marktpoeten verächtlich sind.
Vor mehreren Jahren teilte mir der Dichter auf meinen Wunsch auch etwas über sein Leben mit. Die Briefstelle ist so bezeichnend für Krüger, dass ich sie wörtlich wiedergebe: ‘Sie wollen Biographisches von mir? Dass ich in Beckum geboren
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bin (am 27 Oktober 1843), hat schon Koepper in seiner Rheinisch-Westfälischen Litteraturgeschichte verraten; dass ich auf der Pennale zwei Mal geschasst bin, kann ich verraten, hierin bin ich Landois entschieden über, denn dieser ist nur einmal gejagt worden. Ich unterscheide mich von Landois in Beziehung auf Ansichten über die Ehe. Im 5. Bande von Frans Essink ist ein Kapitel benannt: Waorüm de Professer nicht hieraotet hät. Darin schreibt er: Wat an en Rausenstock de Blattlüüse sind, dat sin de Mensken füör de Erde. Wo män Mensken sik uphaollt, dao maket se alles kaputt... De Mensken sind nog lieger äs de Blattlüüse. Un dao söll man methelpen, söck Untüg to vermehren? - Von meiner Studentenzeit kann ich nicht viel Absonderliches erzählen. Meine ersten vier Semester habe ich in Münster zugebracht, Naturwissenschaften und nebenbei Kunstwissenschaften und Literatur betrieben und erst recht nebenbei Bierologie und Paukereien studiert, bis ich auf einmal den Drang in mir verspürte, demnächst als Mediziner auf die Menscheit losgelassen zu werden. Da diese Wissenschaft realistischer Natur ist, lernte ich auch die Charaktere zu photographieren. So entstanden wohl alle meine Haupt- und Nebenhelden in meinen Romanen.’ Heute lebt Ferdinand Krüger als Sanitätsrat in Linden an der Ruhr.
Ausser den beiden grossen Romanen sind nur noch drei kürzere Erzählungen Krügers bekannt geworden. Die ergreifende Geschichte ‘Nakenjäfferken’ erschien im Jahrbuch 1897 des Scheffelbundes und hat vor kurzem im Sonderhefte der ‘Rheinlande’ über ‘Westfälische Baukunst und westfälische Natur in Malerei und Dichtung’ (September 1903), das auch ein gutes Bild des Dichters bringt, eine fröhliche Auferstehung gehalten. Für mein Buch ‘Aus Westfalen:, Bunte Bilder von der roten Erde’ holte ich mir bei ihm die humoristisch-satirische Erzählung ‘Kureert’. Nur dies eine Mal hatte ich das Vergnügen,
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einen halben Tag mit dem Dichter zusammen zu sein. Ich werde die schönen Stunden in seinem behaglichen Heim nie vergessen... Zuletzt veröffentlichte Krüger in dem von Carl Hülter herausgegebenen Westfalenbuche ‘Vom Stamm der Eiche’ eine, für seine Eigenart jedoch weniger charakteristische Bauerngeschichte ‘Matz Röwenkämper’. Mit einigen noch ungedruckten werden diese kürzeren Dichtungen, die beweisen, das Krüger auch im engen Rahmen Gutes zu leisten vermag, demnächst gesammelt erscheinen.
Zum Schluss sei noch ein Wort über die schriftliche Darstellung des westfälischen Dialekts durch Krüger gesagt. In ‘Rugge Wiäge’ ist die Rechtschreibung, nicht die Sprache, durch Vereinfachung der Vokalbezeichnung der für ostelbische Mundarten üblichen angenähert; infolgedessen ist dieser Roman für Nichtwestfalen bequemer lesbar als der Roman ‘Hempelmanns Smiede’, in dem der Dichter eine lautgetreuere Wiedergabe des Dialekts mit grossem Geschick angestrebt hat. Die anfänglichen Schwierigkeiten sind aber sehr bald überwunden, der reine Genuss eines echten Kunstwerks belohnt die kleine Mühe des Sich-Hineinlesens, und beglückt fühlt der Leser, welch' eine Fülle von Poesie in der alten Sassensprache steekt.
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