| |
| |
| |
Deutsch-Englische Jahreszeiten
von P. Schwebs
Die gegenwärtige Bedenken erregende vertrauliche Annäherung der Deutschen Regierung an die englische giebt Anlass, wieder einmal auf einen der gehässigsten Ausbrüche des englischen Deutschenhasses hinzuweisen, den Leiter einer vornehmen Londoner Zeitschrift. Allerdings liegt er mehrere Jahre zurück, aber sein Grundgedanke gilt darum doch noch heute und auf eine längere Zukunft. Obwohl eine prächtige Handhabe zur Werbearbeit für die Flottenvermehrung, ist er doch meines Wissens nirgends im Zusammenhange übersetzt worden; ich gebe ihn deshalb hier fast vollständig wieder.
Das Saturday Review vom 11. September 1837 schrieb:
Der kluge Alte von Europa hat gesprochen. Da sollte England mit Ruhe an die Arbeit der Ueberlegurg und Vorbereitung herantreten. ‘Der Hauptgegenstand der Besprechung zwischen Kaiser und Zar,’ sagte Fürst Bismarck der Times zufolge, ‘muss England gewesen sein.’
Der alte Staatsmann hat das Wachsen des Reises bewacht, welches er auf den preussischen Stamm pflanzte, und weiss die Fürstentümer und Landschaften des deutschen Reiches zu einem starken und organischen Ganzen zusammengefügt. Er weiss, dass Russland, formlos und ungeheuer, etwas unfassbares, aber Schmiegsames, Flüssiges, von den Flanken Deutschlands ganz ein gehalten werden kann indem man es allmählich und unaufhaltsam über die Balkane zur See schleichen lässt. Dort, in einer deutschen Belangen fernen Ecke, mag es Deutschlands Feinde mit zerschmetterender Gewalt treffen.
| |
| |
Und Frankreich? Erwähnt er doch, wie ihm die Schwierigkeit, mit der sich Frankreich in die vollendete Thatsache des gesicherten Bestandes des deutschen Reiches zu finden schien, ‘misstrauische Vorsicht’ einflösste und er zu Ferry sagte: ‘Sucht euch Kompensationen.’ Versorgt euch mit Kolonien. Nehmt euch ausserhalb Europas, was ihr wollt; das könnt ihr haben! ‘- Und Ferry nahm Tunis in Besitz,’ - er hätte hinzufügen können ‘und Tonkin’ - ‘ohne dass ich ja versucht hätte, ihm die geringste Verlegenheit zu bereiten, ganz im Gegenteil!’
Frankreich mit seinem Tunis und Tonkin beschäftigt, Russland nach Osten und Süden gedrängt, - blieb für Deutschland die einfache Aufgabe, friedlich auf seinen leck gewordenen Geldsäcken zu sitzen während seine Kaufleute den englischen Handel an sich rissen und sein Staatslenker die Engländer in beständige Plakkerelen mit anderen Ländern brachte. Fürst Bismarck hat längst erkannt was das englische Volk endlich zu verstehen beginnt, - dass es in Europa zwei grosse unversöhnliche, einander entgegengesetzie Kräfte giebt, zwei grosse Völker, welche die ganze Welt sich unterjochen und von ihr den Handelszoll erheben wollen. England mit seiner langen Geschichte erfolgreicher Unternehmungen, mit seiner wunderbaren Ueberzeugung, dass es im Verfolgen seiner eigenen Vorteile Licht unter den Völkern verbreitet, die in Dunkelheit wohnen, und Deutschland Bein vom halben Bein, Blut vom halben Blut, mit geringerer Willenskraft, aber vielleicht feinerer Begabung, messen sich im Wettbewerbe in jedem Winkel des Erdballs.
In Transvaal am Kap, in Mittelafrika, in Indien und Ostasien, auf den Inseln der Südsee und im fernen Nordwesten, überall wo die Flagge der Bibel und der Handel der Flagge folgte - und wo wäre das nicht der Fall? - überall da liegt der deut- | |
| |
sche Krämer im Kampfe mit dem englischen Hausierer. Wo es gilt, ein Bergwerk auszubeuten, eine Eisenbahn zu bauen, einen Eingebornen von Johannisbrot zum Fleischextrakt, von der Müssigkeit zum Schnaps zu bekehren, überall da ringen Deutscher und Engländer mit einander um den Vorrang. Eine Million geringfügiger Dreistigkeiten häufen den grössten Brandstoff zum Kriege auf, den die Welt je gesehen hat,
Wäre Deutschland morgen vernichtet, gäbe es übermorgen keinen Engländer in der Welt, der nicht um so wäre reicher. Um eine Stadt oder ein Erbfolgerecht haben Völker Jahre lang gefochten, müssen sie nicht um einen Handel im jähr[l]ichen Ertrage von 250 Millionen Pfund fechten?
Es liegt etwas Würdevolles in der Art, wie der greise Staatsmann auf einmal das rasche Nahen der von ihm zuerst vorausgesehenen Entscheidung und das Zerbröckeln seiner Vorbereitungen auf ihr Eintreffen bemerkt. - Nehmen wir zunächst das Nahen des Ereignisses. Vor 10 Jahren würde ausser dem Fünften selbst und vielleicht einem oder zwei wachsamen Engländern der Gedanke an einen Krieg zwischen den beiden grossen protestantischen Mächten, in Fühlen und Denken so gleichartig, Jedermann als unmöglich erschienen sein. Als vor 3 Jahren das Saturday Review gegen die überlieferte deutsch-freundliche Politik Englands zu schreiben begann, da sah es sich mit seinem Standpunkt unter den Stimmführern der öffentlichen Meinung vereinsamt. Als Februar 1896 einer unserer Mitarbeiter bei der Besprechung der europäischen Tage Deutschland für den ersten und nächsten Feind Englands erklärte, da ging die öffentliche Meinung darüber hinweg als über eine persönliche Schrulle. Einen Monat später wurde die deutsche Fahne auf einer Londoner Musikhalle verhöhnt, und als an einem Sonnabendabend im April eine Abendzeitung ihren Austräger ausrufen liess: ‘Krieg mit Deutschlands’ da stockte der Verkehr
| |
| |
auf dem Edgware Road und alles jauchzte. Die... Schritte Wilhelms..., die deutschen Machenschaften in Transvaal, die deutschen Völkerrechtsb üche in Mittelafrika, was Bismarck die ‘ungehörigen Zänkereien der Engländer’ in allen diplomatischen Beziehungen nannte, das berüchtigte Spiel der deutschen Politik im Botschafterrate in Konstantinopel und vor allem die Form in der England die wahre Grösse deutscher Handelseifersucht kennen zu lernen Gelegenheit hatte, das hat alles das Seine gethan; jetzt stellen sich England und Deutschland gleichermassen die drohende Wahrscheinlichkeit eines Krieges vor Augen. Was Bismarck erkannte und was wir auch bald sehen könnten, nicht allein das Vorhandensein des stärksten Gegensatzes zwischen Englands und Deutschlands Belangen, sondern ausserdem die Thatsache, dass England die einzige Grossmacht ist, welche mit Deutschland schlagen kann ohne furchtbares Wagnis und mit unzweifelhaftem Erfolge. Die anderen Teilnehmer am Dreibund würden gegen England nutzlos sein, Oestreich weil es nichts thu[n] könnte, Italien weil es sich nicht selbst Frankreichs Angriff aussetzen dürfte(!). Die deutsche Flottenvermehrung hat nichts weiter bewirkt als Englands Schlag um so gewichtiger niederfallen zu lassen. Die deutschen Schiffe würden sich bald auf dem Meeresgrunde oder im Schutze englischer Häfen befinden; Hamburg und Bremer, der Kieler Kanal und die Ostseehäfen würden unter englischen Geschützen liegen, bis die Entschädigungsfrage geregelt wäre. Nach gethaner Arbeit brauchten wir eben nur Bismarcks Worte zu Ferry umzumodeln und zu Frankreich und Russland zu sagen: Sucht euch Kompensationen. Nehmt euch innerhalb Deutschland, was ihr wollt; das könnt ihr haben!
Gegen das Nahen eines solchen Zusammenbruches für Deutschland und eines so sicheren Sieges für England sieht Bismarck keine Hoffnung in den Unterhandlungen zwischen Frankreich und Russland.
| |
| |
‘Ich fürchte, alle diese Anstrengungen sind ganz vergeblich gemacht. Eine ernsthafte, rührig arbeitende Entente mit einem genau definierten Programm und einem guten Stück durchdringender Einsicht und Festigkeit würde erforderlich sein, um ein Resultat zu erreichen das englische Pretensionen mässtigen könnte. Ich bin ganz sicher, Deutschland wird es nicht zu stande bringen.’ Und ferner: ‘Gewiss, es würde sehr an der Zeit sein, den Engländern den Suez-Kanal und Aegypten abzunehmen. Aber ich glaube nicht, dass in Frankreich ein irgend lebhaftes Interesse für diese Frage vorhanden ist. Vielleicht thut man gut daran zu warten bis wir Deutsche uns in unserer auswärtigen Politik noch tiefer verwickelt haben. Für jetzt haben wir weder Richtung noch Prinzipien, aber auch nichts, rein garnichts. Es ist ein Zustand des allgemeinen Umhertastens und Aufbrauchens der von mir aufgehäuften Vorräte.’
Unweigerlich muss England der Gegenstand der Besprechung zwischen Präsident und Zar gewesen sein, aber selbst unter den für Deutschland günstigsten Umständen - darf man sagen - könnte es auch für Bismarck selbst, wenn er noch die Zügel Europas fürhte, nur ein Wagnis gewesen sein, Englands Pretensionen zu mässigen.
In diesen Zustand der Verlegenheit hat Deutschland die *** Art seines Kaisers gebracht, und das zu einer Zeit, da England zu dem erwacht, was gleich unvermeidlich und seine beste Hoffnung auf Glück ist: Germanium esse delendam.’
Dieser Aufsatz wird an feindseliger Gehässigkeit gegen Deutschland und prahlerischer Planmacherei nur noch von dem berüchtigten Spectator-Aufsatz vom 16. Januar 1897 übertrumpft. Sein Schluss spielt auf die Kanzlerrede an, mit der England 1672 daran ging, im Bunde mit Ludwig XIV, die erste Seemacht der Zeit, das kleine Holland, zu überfallen.
| |
| |
Da mals hiess es: ‘The parliament has judged it necessary to extirpate them and has laid it down as an eternal maxim that delenda est Carthago.’ Derselbe Grundsatz, einen lästigen Nebenbuhler auf dem Weltmarkt mit Waffengewalt aus dem Wege zu räumen oder doch für längere Zeit zu entkräften, leitete England bei seinen zahlreichen früheren und späteren Kriegen gegen Holland, Frankreich und Spanien, die mehrfach von offenem Seeraub, dem englischen Lieblingssport, eröffnet und begleitet wurden. Den letzten, schwersten Schlag brachte England diesen seinen Wettbewerbern in dem Zwei und zwanzigjährigen Vernichtungskriege gegen die grosse französische Staatsumwälzung und Napoleon I. bei; während das weit mehr angestrengte Deutschland verarmt, blutend und politisch ohnmächtig aus dieser Zeit hervorging, gab sie der heutigen Grösse Englands ihre festeste Unterlage. Portugal ist von England nicht offen bekriegt dafür aber durch Kriegsdrohungen zur Teilnahme an Kriegen gegen Englands Feinde gezwungen und so noch mehr als diese geschwächt worden; es ist ein eigenes Vergnügen Englands Freund zu sein. Besser Albions Feind als Albions Freund!
Von hoher politischer Begabung des Verfassers obigen Aufsalzes zeugt es nicht, wenn er eine deutsche Hoffnung auf Dreibundshürfe mit der Bemerkung niederzuschlagen sucht, Italien würde durch die Gefahr eines französischen Flankenangriffs in Schach gehalten werden! Wir haben es auch ohne solche lächerliche Besorgniss längst verlernt uns auf unsere ‘treuen Freunde und Bunde genossen’ Italian und Oestreich zu verlassen. Ziemlich ebenso kindisch, wenn auch echt englisch, ist die Erwartung, dass Russland und Frankreich erst einem englischen Flottensiege mit verschränkten Armen zuschauen, dann mit der durch den Krieg mit England doch unerschütterten Kraft des besten Heeres der Welt in einen Kampf auf Leben
| |
| |
und Tod eintreten, also wieder einmal nach berühmten Mustern für England die Kastanien aus dem Feuer holen würden. Vielmehr ist anzunehmen, wenn auch keineswegs sicher, dass diese beiden Mächte spätestens, wenn Deutschland unter der britischen Umarmung zu ersticken droht, in den Krieg gegen England eingreifen werden. Nachdem England seine beste Kraft im ersten Sturmstoss verpufft hätte, den Deutschland hätte tragen müssen, würde es dann die Vernichtung durch Russland und Frankreich um so sicherer treffen. Dessen Regierungen wenigstens muss England verhasster erscheinen als Deutschland, die Vernichtung des britischen Weltreiches erstrebenswerter als die des deutschen Reiches. Russland kann auch als erste für die Ostseeherrschaft in Betracht kommende Macht die Durchfahrt einer nicht den Ostseeländern angehörigen Kriegsflotte durch die dänischen Sunde nicht dulden und hat sich dagegen bereits durch das Kopenhagener Abkommen von 1895 zu sichern gesucht (Fritz Bley: die Weltstellung des Deutschtums 1897, S. 38).
Unbefriedigt lassen muss der Aufsatz im Saturday Review auch insofern als die Möglichkeit einer deutschen Truppenlandung mit Benützung des üblichen Kanalnebels oder eines Teilsieges der Reichsflotte garnicht in Rechnung gezogen ist. Ebenso gut, wie einmal Prinz Heinrich den ihn erwartenden Engländern entschlüpfte, mag einst eine deutsche Transportflotte die englische Küste erreichen.
Stehen aber erst etwa 150,000 Mann des Reichsheeres drüben, ist der Untergang des englischen Weltreiches gewiss. Dann können wir auch ohne leidige Hülfe der Knute und des gallischen Schnürstiefels John Bull niederringen und seine Erbschaft allein antreten!
Auf die in der Uebersetzung unterdrückten Majestätsbeleidigungen soll hier deshalb hingewiesen werden, weil sie für
| |
| |
Aufsätze der Engländer und anderer Volksfremder über Deutschland zu dem gewohnten Handwerkzeug gehören. Namentlich seit Bismarcks Tode ist der deutsche Kaiser im Auslande der bestgehasste Deutsche, obwohl sich dieser Hass vielfach gleichzeitig mit hoher Achtung verbindet.
Für unsere inneren Verhältnisse ist es aber auch bezeichnend, dass die den meisten Deutschen freilich unbekannte Satzung 103 des Reichsstrafgesetzbuchs die Beleidigung ausländischer Fürsten mit Festungshaft oder Gefängnis von einer Woche bis zu 2 Jahren bestraft, während in England, Russland, selbst in dem ohnmächtigen Dänemark Beleidiger des deutschen Kaisers straffrei ausgehen! Ein armer Teufel von Sozialdemokrat, der in vielleicht ehrlicher sittlicher Entrüstung den Belgierkönig wegen duldung der Spielhöllen in Spa und Ostende beleidigte wurde zu 9 (!) Monaten Gefängnis verurteilt; die Kaiser-Wilhelm-Nummer des Pariser Witzblattes Le Rire wurde trotz gemeinster Schmähungen und Verdächtigungen des vornehmsten Deutschen nicht beschlagnahmt! Deutsche und undeutsche Gerechtigkeit!
Aufmerksamkeit verdient in obiger englischer Stilblüte trotz des Bewustseins der deutsch - englischen Stammesgemeinschaft das Fehlen jedes Allgermanischen Gemeingefühls in der praktischen Politik. Zu politischen Erwürgungen kennt der Engländer eben nur eine Rücksicht, die Rücksicht auf die Sonderbelange seines eigenen Volkes, und in dieser Hinsicht haben alle Deutsche noch sehr viel von ihm zu lernen!
Es war im Jahre 1849. Das deutsche Volk hatte aus seinem Mutterschoosse ein ‘deutsches Reich’ und eine ‘deutsche Flotte’ geboren, doch hatten sich diese schmerzhaften Geburten als Fehlgeburten erwiesen. Darüber erging sich ein englisches Blatt in billigem Spotte.
Klingt es uns Nachlebenden doch fast wie eine sich bereits
| |
| |
heute erfüllende Weissagung künftiger deutscher Seegeltung, wenn der Engländer eine Beklemmung nicht unterdrücken kann und ihr in ahnungsvollen Worten Luft macht:
Wer weiss, wer weiss? Es sind wenig mehr als 300 Jahre her, da war die englische Krone in schnödem Versatz bei der Kaufmannsgilde zu Köln am Rhein. Die Zeit kann kommen, wo der Geist des deutschen Reichs wieder frisch rüstig im Leibe lebt, während der britische Dreizack mit allem, was daran hängt, dem lachenden Erben jenseits des Weltmeers zufällt.’
|
|