Germania. Jaargang 3
(1900-1901)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
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Vorgeschichte, Bedeutung und Kritik des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche ReichDieser Aufsatz ist einer bedeutenden demnächst zum Abschluss kommenden dreibändigen Darstellung des neuen Deutschen Rechtes von Dr. Kuhlenbeck, die unter dem Titel ‘Von den Pandekten zum Bürgerlichen Gesetzbuch bei Karl Heymann Berlin herausgegeben wird, entnommen. | |
(Fortsetzung und Schluss)In der That war diese analoge Ausdehnung das eigentliche Lebenselement der classischen römischen Rechtswissenschaft und Rechtsprechungskunst. Für diese war der gesetzliche Buchstabe nicht viel mehr als ein Pfahl oder ein Spalier, an dem lebendige saftige Weinreben sich emporrankten im hellen Sonnenlichte des Tages, aus denen, wie schwellende Trauben, immer neue Einzelentscheidungen hervorbrachen, welche die Rechtsgedanken im einzelnen Fall und den einzelnen Fall in dem Rechtsgedanken veranschaulicht zur Erscheinung brachten. Wie so ganz etwas anderes ist die dem Richter und Rechtsgelehrten vom Bürgerlichen Gesetzbuch in so zahlreichen Fällen gesetzlich anbefohlene ‘entsprechende Anwendung’, dass man nicht ohne Grund mit dem berühmten Argumentum a contrario schliessen möchte, ein grosses Verbrechen würde es in den Augen des Gesetzes sein, einmal auch ohne gesetzliches Geheiss davon Gebrauch zu machen! In den meisten Fällen zwar handelt es sich hier um das Gebot einer trockenen Wiederholung des vorgeschriebenen Textes durch den unentbehrlichen Handcommentar unter Substitution eines ‘x’ für ein ‘y’, zuweilen freilich auch um einen etwas verzwickteren Ansatz zu einer Art juristischen Regeldetri, welche freilich die innere Natur der Sache nicht selten auf den Kopf stellt. (Beispielsweise | |
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erinnere ich nur an die durch § 515 B.G.B. befohlene entsprechende Anwendung der zahlreichen und detaillirten Rechtssätze vom Kauf auf den Tausch, vgl. Th. II, S. 271 ff.) - Nur ganz besonders ‘subtil’ angelegte Köpfe mögen sich mit solchen Aufgaben befreunden, wie sie hier in einer jeden wissenschaftlichen und entwickelungsgeschichtlichen Instinkt geradezu umkrämpelnden künstlichen Denkweise gestellt werden. Besonders gerühmt wird zwar die Präzision der gesetz-geberischen Sprache des Bürgerlichen Gesetzbuchs; einer der autoritativsten Commentare belehrt uns in seiner Einleitung darüber, was im Bürgerlichen Gesetzbuch das Wörtchen ‘kann’ und ‘darf’, ‘soll’ und ‘muss’, und ‘hat’, wo es den Infinitiv mit ‘zu’ regiert, bedeutet, auf mehr als drei engbedruckten Seiten. Hier scheint mir fürwahr Ciceros Wort in der Rede für Murena den Nagel auf den Kopf zu treffen: dignitas in tam tenui scientia non potest esse, res enim sunt parvoe, prope in singulis litteris atque interpunctionibus verborum occupatoe (pro Murena § 25), und wenn es gilt, einen in der Berufswahl noch unschlüssigen jungen Mann vom Studium der Jurisprudenz abzuschrecken, so braucht man, glaube ich, ihm nur mit solchen Proben dieser Wissenschaft aufzuwarten und, mit dem ironischen Ausruf: ‘O, welche Lust, Jurist zu sein!’ wird er sich abwenden. Dieselbe Sprache aber, deren reines Deutsch (Purismus) als besonderer Vorzug gerühmt wird, kennt nicht nur ‘zu vertretende und nicht zu vertretende Umstände’, ‘Vertreter ohne Vertretungsmacht’, ‘Erbbaurechte’ und dergleichen jedem Laien absonderlich klingende Neubildungen mehr, sondern sogar einen verrückt ‘gewordenen’ Grenzstein (§ 1589).Ga naar voetnoot(1) | |
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Man wird vielleicht einwenden, dass die elegantia juris eine Nebensache sei, auf die der Deutsche auch verzichten könne, dass dagegen die durch das Bürgerliche Gesetzbuch erreichte fast mechanische Sicherheit der Rechtsprechung ein unschätzbares Gut sei. Aber vielleicht prophezeit Gierke nicht unrichtig, dass die letztere hin und herschwanken wird zwischen starrem Buchstabendienst und bodenloser Willkür. Inhaltlich bietet das erste Buch des Bürgerlichen Gesetzbuchs neben einem Vereinspolizeirecht, das eigentlich gar nicht in das Privatrecht gehört, den Versuch der gesetzlichen Festlegung gewisser Lehren, die wie Willenserklärung, Irrthum, Zwang und dergleichen ihrer Natur nach sich jeder gesetzlichen Autorität entwinden, weil sie in das Bereich der Psychologie und Logik fallen; u. A. wird hier der Jurist verpflichtet, an dem liberum arbitrium indifferentiae festzuhalten, ‘Handlungen’ eines Bewusstlosen für möglich zu erachten; der Geisteskranke rückt in der Geschäftsfähigkeit auf, wenn die Krankheit mit Geistesschwäche endet, in den Normen über ‘Selbstverteidigung gegen Sachen’, den ‘Nothstand’ (§ 904) wird mit so dehnbaren Begriffen, wie ‘unverhältnissmässig’ und ‘ausser Ver- | |
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hältniss’ eine unter Umständen dem Strafrecht verfallende Handlungsweise dem schwankenden Ermessen des Richters überlassen. Das Sachenrecht steht vollständig im Zeichen der Mobilisirung des Grundeigenthums und des grundbuchlichen Formalismus. Capitalistisch im unangenehmen Sinne ist ungeachtet einiger im Mieths und Dienstvertrag eingeträufelter Tropfen sog. socialen Oels (§ 617) das Schuldrecht. Kein Unterschied in der Behandlung der Verschuldungsgrade bei Delikten! Wegen des Schadens, der kein Vermögensschaden ist, mit wenigen Ausnahmen krasser Vergehen kein Ersatzanspruch! Auch wer aus reinster Bosheit Sachen vernichtet, die auf dem Markte werthlos erscheinen, an denen aber für mich ein grosser Affectionswerth hängt, z.B. die einzige von einem lieben Verstorbenen verbliebene Photographie zerstört, geht ersatzfrei aus. Mit Recht kennzeichnet auch Gierke die für die Frage, ob eine Schadenszufügung ersatzpflichtig macht, eingeführte Unterscheidung zwischen Rechtsverletzung und Gesetzesverletzung als einen fruchtbaren Nährboden für eine neue Scholastik. Welches Gesetz bezweckt den Schutz eines Anderen, und welches nicht? (vgl. Th. II S. 359 ff.). Durch die abstracte Cession, die es nicht einmal an die Schriftform bindet, liefert das Bürgerliche Gesetzbuch dem Cessionswucher, dem doch schon die römische lex Anastinsanta entgegentrat, eine gefährliche Waffe. Bedenklicher noch ist das abstracte schriftliche Schuldversprechen, ein wechselähnliches Papier, dem noch dazu das Warnungszeichen des Wechsels fehlt. Im Familienrecht tritt ein unklarer Compromisstandpunkt zwischen modernen individualistisch liberalisirenden Tendenzen und conservativer Strenge zu Tage. In den vertragsmässigen Güterrechten werden ganz unübersichtliche und undurchsich- | |
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tige Vertragsformulare geliefert, deren verzwickte und von den vertragschliessenden Theilen unvorhersehbare Folgen die schwierigsten Auseinandersetzungsprobleme hervorrufen können. Die unbillige sog. Mucianische Präsumtion des römischen Rechts, aus ganz anderen Lebensvoraussetzungen hervorgegangen, als die einer modernen Ehe sie liefern, der zufolge bis zum gerade hier meistens unmöglichen Gegenbeweise Alleineigenthum des Mannes an allen im Besitz eines oder beider Ehegatten befindlichen beweglichen Sachen (ausser Kleidern und Schmucksachen) anzunehmen ist, wirkt den Gläubigern gegenüber wie die strengste Gütergemeinschaft, und so nimmt vielfach gerade in diesem Theile das Bürgerliche Gesetzbuch zumeist mit einer Hand zurück, was die andere zu geben schien. Im Erbrecht wird die wichtige Lehre von der Haftung der Erben für Nachlassschulden stets eine wahre crux Juriscousultorum bilden. Alles dies sind nur einzelne herausgegriffene Angriffspunkte, die es aber genügend begründet erscheinen lassen, viel Wasser zu dem Wein einer übertriebenen Werthschätzung dieser neuen Errungenschaft der Gesetzgebungskunst zu giessen, deren Vergleich mit einem Dornröschen (Sohm, S. 510 oben) auch zweideutig genommen werden könnte wegen der Dornen. Einer der wenigen Juristen, welche bislang die auch von uns befürwortete (vgl. § 2 dieses Nachtrags) Notwendigkeit einer engeren Anknüpfung des rechtswissenschaftlichen Studiums an die übrigen Zweige der Gesellschaftswissenschaft betonen, v. Petrazycki in seiner ‘Lehre vom Einkommen’ hat den II. Entwurf und damit das jetzt vorliegende Bürgerliche Gesetzbuch des Deutschen Reiches eine ‘Chrestomathie civilpolitischer Fehler’ genannt (Petrazycki, Lehre vom Einkommen II S.438). Er fasst die voraussichtlichen ‘civilpolitischen Wirkungen des Gesetzbuchs unter folgenden drei Gesichtspunkten zusammen: | |
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a) Einfluss auf die Höhe des Volksreichthums: ‘Dieser wird durch die Vorschriften des Gesetzbuchs gemindert (der Satz dies interpellat wirkt gegen das verbleiben der Güter dort, wo sie höheren Nutzen bringen;Ga naar voetnoot(1) das Rücktrittsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs zerstört Massen ökonomischer Güter dadurch, dass es dieselben zum rechten Consumenten, wo sie höheren Werth haben, nicht gelangen lässt, der Satz über die Nichterfüllung der versprochenen Leistung im Falle der Krisis in der Wirthschaft der Gegenpartei lässt ökonomische Güter nicht dahin gelangen, wo sie besonders nothwendig sind und zerstört eine Masse von Productionsorganismen u.s.w.u.s.w. Sehr erhebliche Verstärkung dieser werthzerstörenden Wirkung besteht darin, dass die Benutzung der von dem Entwurfe dem Gläubiger verliehenen Waffen den Schuldner meistens überrascht, d.h. seinen Wirthschaftsplan durchkreuzt und umstürzt, die Sachlage plötzlich verändert und auf diese Weise andere, von der Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs unmittelbar nicht berührte Functionen und Theile der Wirthschaft mittelbar werthzerstörend in Mitleidenschaft zieht.’ b) Einfluss auf die Vertheilung des Volksreichthums: ‘Dieser besteht darin, dass durch die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs gleichsam eine regelmässige und systematische Besteuerung der öconomisch schwächeren Wirtschaften zu Gunsten der stärkeren geschieht. Die Grossproduction gewinnt einen künstlichen Vorsprung vor den kleineren Wirtschaften; die in Bezug auf Kapitalkraft, Geschäfts- und Rechtskenntniss, Schlauheit und Rücksichtslosigkeit stärkeren Elemente gewinnen neue Kraft, um diejenigen Menschen, welche mit Mühe sich gegen den öconomischen Untergang wehren, zu verschlingen’. c) Einfluss auf die Volkspsychologie: Das Schuldrecht | |
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des Bürgerlichen Gesetzbuches demoralisirt das Volk auf verschiedene Weise. Zunächst begünstigt es den rücksichtslosen öconomischen Egoismus, indem es die Gläubiger zu Grausamkeiten den Schuldnern gegenüber verleitet. Durch die Uebung im rücksichtslosen Betragen werden entsprechende Instinkte ins Leben gerufen und gestärkt. Die möglicherweise entstehenden Gewissensbisse können leicht durch die Formel beschwichtigt werden: ‘Ich habe ja so gehandelt, wie das Gesetz vorschreibt. Dies war mein gutes Recht’. Auf der Seite der schlechten Instinkte steht die sittliche Autorität des Gesetzes. Jedenfalls hat der rücksichtslose Gläubiger ein Argument bei der Hand, welches er zur Abwehr der Vorwürfe, welche er etwa hört, mit Erfolg benutzen kann. Besonders characteristisch ist in dieser Hinsicht die ‘billige’ Vorschrift des § 272 des Entw. (321 B.G.B.), welche dem Gläubiger anräth, das öconomische Unglück (‘wesentliche Verschlechterung in den Vermögensverhältnissen’) des anderen Theiles dazu zu benutzen, diesen durch Verweigerung der Erfüllung von übernommenen Pflichten zum endgültigen Ruin zu verhelfen. Aber auch alle anderen der oben angeführten Vorschriften (a.a. O.S. 514 ff.) enthalten den Rath: ‘Wenn dein Mitcontrahent irgend welche öconomische Schwäche zeigt, dann haue auf ihn los. Du bist der Stärkere, für Dich ist die Welt da.’ - Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs beabsichtigen eigentlich nur ‘die berechtigten Interessen der Gläubiger zu schützen’. Bei der eifrigen Ausführung dieses praktischen Receptes hat man aber diese Gesetze geschaffen, welches für den Gläubiger im Falle der öconomischen Verlegenheiten auf der Seite des Schuldners oft positiven Vortheil ergeben. Das Unglück, die Unerfahrenheit oder der Leichtsinn der Gegenpartei erfreut dann den Gläubiger. Welchen Einfluss die damit entstehende Association der Ideen auf die Seite des Gläubigers ausübt, brauchen wir nicht auszuführen. - Bisher | |
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haben wir vorausgesetzt, dass die Gläubiger nur in den Schranken der Gesetze bleiben, dass ihr Betragen vom Standpunkte des Zukünftigen Gesetzbuchs aus vollkommen legitim ist. Das Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs verleitet eben den Gläubiger zu einem solchen Betragen, welches sogar vom Standpunkte der Civilprozessordnung aus als verwerflich erscheint. Wenn der Gläubiger die Krisis in der Wirthschaft oder der Verzug der Gegenpartei thatsächlich so ausnutzt, wie das Bürgerliche Gesetzbuch vorschreibt, so ist sein Betragen vom rechtlichen Standpunkt aus volkommen korrekt. Manche Gläubiger werden aber die Paragraphen viel schlauer ausnutzen. Die grosse Macht, welche ihnen durch die Gesetze gewährt wird, werden sie oft je nach der Lage der Verhältnisse nur dazu benutzen, um einen psychischen Druck auf ihr Opfer einwirken zu lassen, um den Nichtgebrauch ihrer Befugnisse durch ausbeuterische pacta erkaufen zu lassen. Der Satz ‘dies interpellat’ hilft ihnen zu vermeiden, dass die Aufmerksamkeit des Opfers rechtzeitig geweckt wird. Die übrigen kritisirten Gesetze (a.a. O.S. 506 ff.) bieten ihnen den für den Wucher unentbehrlichen psychischen Druck an’. (Petrazycki a.a. O.S. 537). Durchaus mit unserer eigenen, schon in Bd. I S. 392, II S. 493 ff. u. A. dargelegten Anschauung übereinstimmend kritisirt derselbe Verfasser den noch dazu vielfach als deutsch rechtlich bezeichneten merkantilistischen Grundzug des Bürgerlichen Gesetzbuchs, durch den es sogar noch zu Gunsten des römischen Rechts in den Schatten einer blossen Händlermoral tritt, folgendermaassen: ‘Besonders für das dem herrschenden Merkantilismus entsprechende, sehr beliebte und für den Ausdruck der grössten praktischen Weisheit gehaltene Schlagwort: ‘Schutz des redlichen Glaubens im Verkehr’ hat man sich begeistert. Dieses Schlagwort ist für die Characteristik des Stromes, in welchem | |
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sich unsere Wissenschaft in der letzten Zeit befindet, sehr bezeichnend. Zunächst hört man eine sehr schön klingende Phrase. Wenn man aber genauer zusieht, was den Inhalt des mit der schönen Etikette verschenen Gefässes bildet, so wird man eine erschütternde Ueberraschung und Enttäuschung erleben. So auch mit dem ‘Schutz des redlichen Glaubens, der Redlichkeit’ im Verkehr. Das Schlagwort sieht ja höchst sympathisch aus. Was kann schöner sein, als Redlichkeit und redlichen Glauben zu schützen! Bei genauerem Zusehen würde es sich nun zunächst erweisen, dass es sich gar nicht um Redlichkeit handelt, und dass es nur ein Zufall ist, dass das Schlagwort so klingt, als ob es der Ausdruck eines sittlichen Postulats wäre (vgl. Petrazycki, Fruchtvertheilung S.165 ff.) Nach der Beseitigung dieses störenden Elementes wird man dann constatieren, dass das kritisirte Schlagwort sehr verschiedene Dinge unterschiedslos zusammenwirft. Eine Kategorie von den für die bona fides aufgestellten besonderen Regeln erfüllt die nationalöconomisch wichtige Function, den Gefahren der Zerstörung von öconomischen Gütern und von wirthschaftlichen Organismen durch unerwartete Entziehung der mit einer Wirthschaft organisch verwachsenen Vermögenstheile vorzubeugen. Diese Function beruht auf dem Princip der volkswirtschaftlichen Bedeutung des subjectiven Werthes und hat mit merkantilen Tendenzen nichts zu thun (bonae fidei possessio haeditatis, rei donatae, legati, etc.). Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist diese volkswirtschaftliche Function der besonderen Behandlung des bona fides, wie schon wiederholt hervorgehoben, arg vernachlässigt. Ferner, da man manche bezügliche Grundsätze des römischen Rechts ohne Verständniss nachgeahmt hat, so läuft der ‘Schutz der Redlichkeit’ im Bürgerlichen Gesetzbuch zum grossen Theile auf Demoralisation, auf Verbreitung von Unredlichkeit hinaus. (Vgl. Petrazycki I S. 334 ff., Fruchtvertheilung S. 251 ff.). | |
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Eine zweite Kategorie der besonderen Regeln für bona fides vertritt die Tendenz, öconomische Güter (Sachen, Forderungen u.s.w.) zur guten Waare zu machen und zu mobilisiren, der Gütervertheilung den merkantilen Character zu verleihen. Dahin gehören zahlreiche Neuerungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs dem römischen Rechte gegenüber im Sinne des ‘Schutzes des redlichen Glaubens im Verkehr’. In Wirklichkeit handelt es sich hier gar nicht um den Schutz der Redlichkeit, sondern meistens um die Machtvollkommenheit und den Siegeszug des Geldes. Dies ist unter Anderem bei den wichtigsten handelsrechtlichen Principien, nähmlich ‘Hand wahre Hand’ besonders klar. Wer für die Sache Geld zahlt, der behält dieselbe definitiv, obgleich der Verkäufer kein Recht hat, die Sache zu verkaufen, oder durch den Verkauf geradezu eine Niederträchtigkeit begeht, obgleich der Gegenstand, für den mehrere Eigenthümer vielleicht einen hohen subjectiven öconomischen Werth oder ein intensives Affectionsinteresse hat (z. B. Andenken von geliebten Personen). Der Schutz der Redlichkeit bedeutet hier offenbar die Unterwerfung der Redlichkeit und des menschlichen Gefühls unter die Macht des Geldes’ (Petrazycki, a.a. O.S. 554). Von einem neuen Erwachen des deutschen Rechts, eines Ideales, dessen wir auch in Zukunft gar nicht entbehren können, so lange wir streben und fortschreiten wollen, kann also die Rede nicht sein, und v. Savigny würde seine Skepsis gegen den Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft auch angesichts dieses neuen Codex nicht für widerlegt erachten. Natürlich soll diese Kritik keinen Vorwurf einschliessen gegen die unzweifelhafte Gründlichkeit und den Ernst der Gesetzgebungscommissionen, denen das deutsche Volk diesen neuen Privatrechtscodex verdankt. Sie bestätigt nur v. Savignys allgemeine Ansichten von Entstehung des Rechts und von Gesetz- | |
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büchern, sowie von der Rechtspflege, welche letztere immer nur scheinbarGa naar voetnoot(1) durch das Gesetzbuch, in der That aber durch etwas anderes, was ausser dem Gesetzbuch liegt, als der wahrhaft regierenden Rechtsquelle beherrscht wird (v. Savigny a.a. O.S. 23). In der That lässt sich lebendiges Recht so wenig ‘machen’, wie eine lebendige Sprache. In sofern ist v. Savigny der Wahrheit nahe gekommen. Aber seine Auffassung ist noch zu vertiefen durch die Lehre vom Kampf ums Dasein. Das Recht ist allerdings ein Organismus, der Organismus der Gesellschaft. Wir wissen nun aber dass jeder Organismus sich durch den Kampf ums Dasein und die indirecte Auslese des Zweckmässigen gebildet hat und weiter bildet. Jede Unzweckmässigkeit, jeder Schaden bildet nur einen weiteren Antrieb in diesem fortschreitenden Entwickelungsprozesse, und wird erst reif ausgeschieden zu werden, wenn er genügend erkannt und empfunden wird. Der Organismus des deutschen Rechts hat einen grossen Schaden erlitten durch die Reception des römischen Rechts, nicht so sehr weil das römische Recht an sich ein schlechtes Recht gewesen wäre, sondern weil unsere volksthümliche Eigenentwickelung gehemmt ist für Jahrhunderte durch die Aufnahme des fremden Rechtsstoffes in seiner byzantinisch entarteten Form. Dieser Schaden ist durch das Bürgerliche Gesetzbuch nicht beseitigt, sondern wie figura docet nur sichtbarer geworden. Ut corpora lente augescunt, cito extinguuntur, sic ingenia studiaque oppresseris facilius, quam revocareris, sagt Tacitus (Agric. c.3). | |
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Dies gilt auch vom deutschen Recht. Dennoch vertrauen wir auf die bereits politisch erwiesene Lebenskraft des deutschen Volksthums, wenn wir mit v. Savigny Melanchthons Worte wiederholen, (und der oratio de dignituate legum). Non deterreamur periculis, non frangamur animis... nec possessionem studii nostri deseramus. ‘Wunderbarer als die Bewegung der Weltkörper im Raum’, sagt v. Ihering, ‘ist die Bewegung der sittlichen Gedanken in der Zeit, denn sie gehen nicht unangefochten einher wie die Gestirne, sondern sie stossen bei jedem Schritt auf den Widerstand, den menschlicher Eigensinn und Unverstand und alle bösen Gewalten des menschlichen Herzens ihnen entgegensetzen. Wenn sie dennoch sich verwirklichen im bunten Gewirre widerstrebender Kräfte, wenn das sittliche Planetensystem mit derselben Ordnung und Harmonie sich bewegt wie das Planeten-system des Himmels, so liegt darin ein glänzenderer Beweis der göttlichen Weltleitung als in allem, was man der äusseren Natur entnehmen kann’ (Geist des römischen Rechts I S. 62). Dies ist zwar schön gesagt; wir können aber unsere eigene Unabhängigkeit von v. Ihering, von dem wir ja auch in der Beurtheilung der Reception des römischen Rechts abweichen, wohl nicht besser bekunden, als wenn wir dessen sich in dieser Aeusserung noch verrathende theologische Auffassung ausmerzen und ihr die heroische der modernen Entwickelungs-philosophie substituiren, welche allein im Stande ist, den offensichtlichen Selbstwiderspruch zwischen der thatsächlich vorhandenen Unzweckmässigkeit und Disharmonie und ‘der göttlichen Weltleitung’ zu tilgen. Die moderne Entwickelungs-philosophie beweist uns nämlich, dass auch die scheinbar sowunderbare Harmonie des Planetensystems nichts anderes ist als das Ergebniss eines immer noch fortdauernden Kampfes ums Dasein, dass diese Harmonie nicht von Anfang an ‘ge- | |
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macht’ ist, sondern durch indirecte Auslese des objectiv Zweckmässigen im Verlaufe unmessbarer Zeiträume übrig blieb, dass zahllose Störungen zu überwinden waren und immerfort zu überwinden sind, und dass die einzige ‘Vorsehung’, wofern dieser Ausdruck nun einmal beliebt, in dem ewigen. Substanzgesetze von der Erhaltung der Kraft und den durch diese ermöglichten Ausgleichungs- und Anpassungswirkungen zu suchen ist. Jena Dr. jur. Kuhlenbeck |
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