Germania. Jaargang 3
(1900-1901)– [tijdschrift] Germania– Gedeeltelijk auteursrechtelijk beschermd
[pagina 298]
| |
Vorgeschichte, Bedeutung und Kritik des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche ReichDieser Aufsatz ist einer bedeutenden demnächst zum Abschluss kommenden dreibändigen Darstellung des neuen Deutschen Rechtes von Dr. Kuhlenbeck, die unter dem Titel ‘Von den Pandekten zum Bürgerlichen Gesetzbuch bei Karl Heymann Berlin herausgegeben wird, entnommen. | |
(Fortsetzung)Eine gelehrte Disciplin, mag sie auch einen fast so grossen Aufwand formalistischer Logik beanspruchen, wie die Logik und Metaphysik der Scholastiker und die Casuistik der Jesuiten, ist noch lange keine Wissenchaft im modernen Sinne. In günstigster Beleuchtung muss die bislang - selbst in ihren germanistichen Verzweigungen - romanistische Disciplin des Civilrechts eher als eine Abart der Philologie erscheinen, denn als einer der praktisch bedeutsamsten Zweige der Gesellschaftswissenschaft und der menschlichen Entwickelungsgeschichte. Die Hauptschuld daran dürfte also die Reception des römischen Rechts treffen, durch welche die Rechtswissenschaft dem Leben entfremdet und in der Exegese einer schlechten Compilation von Excerpten verschollener antiker Rechtsbücher vergraben wurde. Nachdem der erste verzweifelte Versuch, dieses fremde Geistes-Joch abzuschütteln, in den Bauernkriegen blutig erstickt war, erstarb das lebendige Rechtsgefühl unseres durch den dreissigjährigen Krieg auch physisch verwüsteten und in zahllosen Polizeikleinstaaten bureaukratisch versimpelnden Volkes so sehr, dass es selber die Seuche, an der es darniederlag, nicht einmal mehr fühlte, und nur einige Gelehrte aus wissen- | |
[pagina 299]
| |
schaftlichen Antrieben gelegentlich den Gedanken einer deutschen Codification anregten. Unter ihnen ist vor allem Leibnitz zu nennen, der in einem seiner lateinischen Briefe schreibt: ‘Interea fateor optandum esse, ut veterum legum corpus apud nos non habeat vim legis, sed rationis et, ut Galli loquuntur, magni Doctoris, ut ex illis aliisque patrii etiam juris monumentis, usuque praesenti, sed in primis ex evidenti aequitate novus quidam Codex brevis, clarus, sufficiens auctoritate publica concinnetur, quo jus multitudine, obscuritate, imperfectione legum, varietate tribunalium, disceptationibus peritorum tenebratum et ad miram incertitudinem redactum, in clara tandem luce colloceturGa naar voetnoot(1)’. Fast ein Jahrhundert verging aber seit dieser Bemerkung des Universalgelehrten, bis im innerlich lebenskräftigsten deutschen Staate, in Preussen eine praktische Anregung zü einem solchen Versuche gemacht wurde, und auch dieste musste bei der politischen Entmündigung des Volkes von oben kommen und war nur dem Zufalle zu verdanken, dass ein Philosoph und zwar der Freund eines Voltaire den Königsthron inne hatte. Schon im Jahre 1746 erliess der grosse König eine zunächst nur auf die Provinz Pommern sich beziehende Konstitution, deren § 24 begann: ‘Und weil die grösste Verzögerung der Justiz aus dem ungewissen Lateinischen Römischen Recht herrühret, welches nicht allein ohne Ordnung compiliret worden, sondern | |
[pagina 300]
| |
worin singulae leges pro et contra disputiret; so befehlen wir gedachtem Unserm Etats-Minister v. Cocceji, ein Teutsches Allgemeines Landrecht, welches sich bloss auf die Vernunft und Landes-Verfassungen gründet, zu verfertigen, ‘Freilich verräth schon diese Ankündigung eine gewisse souveräne Naivetät des noch jugendlichen Königs, die sich offenbar der Schwierigkeit einer solchen Aufgabe wenig bewusst war, die wenn überhaupt, so doch gewiss nicht durch einen beliebigen Staatsminister und dessen Beamtenstab in befriedigender Weise zu lösen war; das von v. Cocceji begonnene Werk blieb bis auf ein Bruchstück, das sogar in einzelnen preussichen Landestheilen Gesetzeskraft erlangte, unvollendet. Des Königs Aufmerksamkeit wurde dann durch den schlesischen und siebenjährigen Krieg von der Gesetzgebung abgelenkt und erst nach dreissig Jahren führte ihn ein denkwürdiger ProzessGa naar voetnoot(1) auf das Problem zurück. Die Cabinetsordres vom 6. und 14. April 1780 riefen jetzt die Commission zum Entwurfe des Allgemeinen Preussischen Landrechts ins Leben, deren hervorragendste Arbeitskraft der Jurist Svarez bildete. Nach 10 Jahren war das Werk vollendet, erst nach dem Tode Friedrichs des Grossen, am 1. Juli 1794 erlangte es GesetzeskraftGa naar voetnoot(2). | |
[pagina 301]
| |
Eine Kritik des Preussischen Landrechts kann mit Hinsicht auf den grossen König selbst nicht ohne das Wort beginnen: In magnis voluisse sat est. Es unterliegt keinem Zweifel, dass jener selbst, wenn er in diesen Dingen über mehr als den allgemeinen Willen verfügt hätte, etwas ganz anderes geschaffen haben würde; seine eigene Kritik bestand in der Randbemerkung: ‘es ist aber Sehr Dicke und Gesetze müssen kurz und nicht Weitläufig seindt’. Zweifellos trägt das Preussische Landrecht überall den Zopf im Nacken. Bezeichnend ist vor Allem ein fast beleidigendes Misstrauen gegen die Denkfähigkeit des Richterstandes, welches aus seiner casuistischen Regelung hervorsticht; damit verbindet sich vielfach ein recht kleinlicher Geist der Bevormundung, von dem man sich vielleicht kein besseres Bild verschaffen kann, als wenn man die allein 140 Paragraphen umfassenden Rechtssätze über die Schenkung betrachtet. Eine aussergerichtliche Schenkung kann auch, wenn sie durch Uebergabe vollzogen worden ist, noch sechs Monate lang widerrufen werden. ‘Eine vor oder bei der Schenkung, oder auch bei der Uebergabe, geschehene Entsagung des Rechts zum Widerrufe, hindert, wenn sie auch eidlich bestärkt worden, dennoch weder den Schenkenden, noch dessen Erben, an der Ausübung derselben’ (I, 11 § 1162). Treu und Glauben im Verkehr sind zweifellos durch die Bestimmung, dass alle Verträge, deren Gegenstand sich über 50 Thaler belief, nur bei schriftlicher Abfassung bindend sein sollten, nicht begünstigt worden. Als deutsch wird man den Geist, der aus solchen Paragraphen hervorleuchtet, schwerlich bezeichnen mögen. Eine Anregung zu wissenschaftlicher Forschung konnte dieses bei aller Gründlichkeit und Umständlichkeit von einem ziemlich niedrigen Niveau der juristischen Durchbildung seiner Verfasser zeugende Gesetzbuch nicht gewähren, vielmehr begünstigte es in hohem Grade jene mechanische Routine der Paragra- | |
[pagina 302]
| |
phenjägerei ohne Beherrschung des oftmals auch gar nicht vorhandenen grundsätzlichen und systematischen Zusammenhangs, die besondern Werth auf ein ausführliches Wort- und Sachregister legt. Dennoch wird das bekannte ‘de mortuis nil nisi bene’ auch auf das Preussische Landrecht in dem Augenblicke zu seinem Rechte gelangen, wo einmal ein dazu berufener juristicher Kopf es einem Vergleiche mit dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuche unterziehen wird; die volle Zuständigkeit dazu wird freilich erst nach mindestens einem Jahrzehnt auf Grund der mit letzterem noch ausstehenden Erfahrungen in Wissenschaft und Praxis gegeben sein. Nur eins lässt sich schon jetzt zu Gunsten des Preussischen Landrechts bei diesem Vergleiche geltend machen. Wenn ein Gesetzbuch vor allem leicht verständlich sein darf oder soll, so kann man dem Preussischen Landrecht den Vorzug nicht absprechen, dass es in einer verständlichen Sprache abgefasst ist, die es auch einem gebildeten Laien, vorausgesetzt, dass ihn trockene Weitschweifigkeit nicht abschreckt, ermöglicht, sich einige Anschauung von seinen privatrechtlichen Pflichten und Befugnissen zu erwerben, vor allem aber, dass es trotz seiner den Geist ertödtenden Buchstabenfülle wenigstens dem Talmudismus und der Sophistik keine Handhaben bieten will, den klaren Wortsinn in sein Gegenteil zu verkehren. Die Fridericianische Codification gab Anlass zu einer Nachahmung in Oesterreich. Nach langjähriger Vorarbeit verschiedener einander ablösender Commissionen, - als Hauptbetheiligte sind hier die Namen v. Azzoni (Advocat und Professor in Prag), von Golger (Regierungsrath in Wien), von Martini (Professor in Wien) zu nennen, - kam hier das durch Patent vom 1. Juni 1811 publicirte ‘Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die deutsche Erblanden der österreichischen Monarchie’ mit Gesetzeskraft vom 1. Januar 1812 zu Stande. Dieses Gesetz- | |
[pagina 303]
| |
buch vermied allerdings die Klippe der Casuistik. Während das Preussische Landrecht (freilig mit Einschluss des öffentlichen Rechts) in zwei Theilen mit 43 Titeln 19 189 Paragraphen umfasst, besteht das Oesterreichische Gesetzbuch aus einer Einleitung mit 14 und drei Theilen mit 1502 meist kurzen Paragraphen. Inhaltlich zeugt es jedoch von noch geringerer Selbständigkeit seiner Verfasser gegenüber dem römischen Recht, als das Preussische Landrecht. ‘Was den Stoff betrifft’, schreibt v. Savigny (Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft S. 97), ‘so könnte man nach den Vorschriften der Kaiserin Maria Theresia eine grössere Origininalität als im Preussischen Rechte erwarten, da die Verfasser sich nicht an das Römische Recht binden, sondern überall die natürliche Billigkeit walten lassen sollten’. Dennoch ist nach seinem gewiss berufenem Urtheil nicht viel anderes herausgekommen, als ein Werk, das ‘einem etwas ausführlichen Institutionencompendium sehr ähnlich ist’. Während so in den beiden grössten deutschen Staaten mit der formellen Herrschaft des römisschen Rechts aufgeräumt wurde, wurde durch die Fluthwelle der französischen Revolution in einen grossen Theil des übrigen deutschen Gebiets, nämlich in das Gebiet der Rheinbundstaaten, ein anderes fremdes Gesetzesrecht getragen, dessen Zusammenhang mit jener nachhaltigen Aufraffung modernen Völkergeistes geeignet ist, sobald man vom streng nationalen Standpunkte absieht, günstigere Vorurtheile zu erwecken. In der That müssen wir, so schwer es uns ankommen mag, dabei unser vaterländisches Empfinden zu unterdrücken, zugeben, dass diesem Werke, wenngleich es auch ebenso weit hinter den hochfliegenden Erwartungen gesellschaftpolistischen Fortschritts zurückblieb, wie die französichen Revolution selbst, einen unverhältnissmässig genialeren Stempel | |
[pagina 304]
| |
trägt, als die bisher erwähnten beiden Erzeugnisse des aufgeklärten Despotismus und der von diesem inspirirten, aber nicht mit gesetzgeberischer Schöpfungskraft belebten Büreaukratie. Napoléon selbst, der insofern sogar eine gewisse Ueberlegenheit über sein sonst nicht immer erreichtes Fridericianisches Vorbild bethätigte, hat an diesem Werke einen hervorragenden persönlichen Antheil genommen; der bedeutendste gelehrte Mitarbeiter war wohl Cambacérès, ein Schüler des geistvollen Montesquieu. Selbst Dr. Schwartz (Die Geschichte der privatrechtlichen Codificationsbetrebungen, S. 36), ein eifriger Vorkämpfer des neuen deutschen Gesetzbuchs, widmet ihm folgende Anerkennung: ‘Die Sprache ist musterhaft. Manche Partien, insbesondere das ganze Pfandrecht, sind verfehlt, aber die einzelnen Bestimmungen sind durchweg nicht bloss klar und präzise formulirt, sondern von dem den Franzosen eigenthümlichen praktischen Charakter getragen. Diese Vorzüge in Verbindung mit dem politischen Gute der Rechtseinheit und Rechtsgleichheit haben das Gesetzbuch da, wo es gilt, werth gemacht. - Das weittragende Recht unseres mächtigen Nachbarvolkes ist wie romanischen Ursprungs, so auch vorzugsweise nur auf romanische Sitten und Verhältnisse verwendbar, und wird daher, wie Thibaut bemerkt, von den französischen Juristen mit Leichtigkeit von der rechten Seite angesehen, wo die deutsche Gründlichkeit mit schwerfälliger Arbeit immer das Ziel verfehlt. Der angeborene praktische Sinn der französischen Nation, ihr Sinn für das Leben, die juristische Begabung, welche sich durch alles declamatorische Pathos hindurch selbst in den Bekanntmachungen kleiner Ortsvorsteher mächtig erweist, ersetzen auf gewisse Weise die Fehler des Gesetzbuchs. Und die Magistratur und das Bureau mit ihrem esprit de corps, mit ihrer anerkannten Würde und Popularität, mit dem Palais de Justice und dessen | |
[pagina 305]
| |
herrlicher Sainte Chapelle als dem ehrwürdigen Symbol und Centrum ihrer Thätigkeit, sie waren und sind die Träger einer traditionellen Jurisprudenz, welche zwar nicht auch der Schule, wohl aber aus dem Leben stets neue Elemente in sich aufnimmt, wobei sie durch eine ausgezeichnete praktische Literatur unterstützt wird. Sie sind zugleich darin das Organ ihrer Nation, dass sie den Code als den letzten, unvergänglichen Nachhall eines grösseren Geschlechts, als einen Nationalschatz aus grösserer Zeit feiern.’ Eine grosse Zeit brach auch in Deutschland an, als das deutsche Volk, mitgerissen von einigen deutschnational empfindenden Helden und Denkern sich gegen die fremde Gewaltherrschaft aufraffte und in den Freiheitskriegen sein eigenes völkisches Selbstbewusstsein wiederfand. Aber den besten Beweis dafür, dass diese grosse Zeit doch im Grossen und Ganzen in Deutschland nur ein kleines Geschlecht fand, wie bereits Schiller vorausbemerkte, liefert vielleicht die Thatsache, dass nach Leipzig und Waterloo nicht nur Elsass-Lothringen an Frankreich, sondern sogar der Code-Napoleon in den Rheinbundstaaten hängen blieb, und zwar insofern mit Recht, als er gegenüber dem alten bestehenbleibenden Rechtszustande immerhin einen Fortschritt darstellte; man hatte in jenen Gebietsteilen wenigstens ein modernes lebensfähiges fremdes Recht für das erstorbene antike, nicht minder fremde Recht eingetauscht. So bot nunmehr Deutschlands Civilrecht ein vierfarbiges Bild der deutschen Zerrissenheit; hier die Länder des Preussischen Landrechts, dort die des österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuchs, dazwischen geschoben die ebenfalls fast ein Drittel der Nation umfassenden Länder des römischen und des Französischen Rechts. Gewiss ehrte es den Heidelberger Professor Thibaut, dass er unmittelbar nach den Freiheitskriegen mit einem Aufruf zur | |
[pagina 306]
| |
Inangriffnahme eines allgemeinen deutschen Gesetzbuchs für bürgerliches Recht hervortrat, es ehrte ihn als Patrioten. ‘Im Jahre 1814’, so schreibt er selbst, ‘als ich viele deutsche Soldaten, welche auf Paris marschiren wollten, mit frohen Hoffnungen im Quartier hatte, war mein Geist sehr bewegt. Viele Freunde meines Vaterlandes lebten und webten damals mit mir in dem Gedanken an die gründliche Verbesserung unseres rechtlichen Zustandes, und so schrieb ich - höchstens nur in vierzehn Tagen - recht aus der vollen Wärme meines Herzens eine kleine Schrift über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland... wobei aber jedes Land für das Wenige, was seine Localität erfordere, seine Eigenheiten behalten möge.’ Ihm trat jedoch ein Mann von nicht geringerer vaterländischer Gesinnung gegenüber, der zugleich das Verdienst beansprucht, der deutschen Rechtswissenschaft, wenigstens soweit diese ihre historische Wurzel nicht entbehren kann, als Geburtshelfer zu gelten. Es war Friedrich Carl von Savigny, der in seiner klassischen Schrift: ‘Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft’ die bedauernswerthe, aber darum nicht minder wahre Unfähigkeit der damaligen Kräfte zu einem solchen Unternehmen nachwies. Dass jene Schrift, die im Uebrigen für alle Zeiten eine philosophisch richtige Auffassung der positieven Rechtsbildung angebahntGa naar voetnoot(1) hat, | |
[pagina 307]
| |
- Recht hatte, haben eben die Thatsachen bewiesen. Denn selbstverständlich ist damals die von Thibaut gewünschte Codification nicht an diesem literarischen Widerstand gescheitert, und welcher Werth der jetzt von den Epigonen eines v. Savigny und Thibaut erlebten ‘Erreichung des Zieles’ zukommt, das werden wir demnächst näher zu prüfen haben. Jedenfalls hat sie wissenschaftlich ein für alle Mal die hochfahrende Ueberschätsung jener Gesetzesfabrikanten widerlegt, die da glauben, sie könnten einer papiernen Paragraphen-Compilation einen lebendigen Odem einblasen, wie der mosaische Schöpfer einem Erdenkloss. Einen grossen Theil der blutigen Saat von Leipzig und Waterloo, um welche zu Anfang des 19ten Jahrhunderts das Volk betrogen schien, brachte das Jahr 1870 zur Reife, allerdings erst nachdem vier Jahre zuvor auf deutschem Boden ein Bruderkampf und im Jahre 1870 selbst auf französischem Boden unser mit seinem Heldenblute nimmer karges Volk - animae magnae prodigus - neue schwere Opfer gebracht hatte. Zum inneren Ausbau des jetzt neu erstandenen deutschen Reiches hielten nun einige juristischen Kreisen entstammende Parlamentarier, unter Führung der nationalliberalen Abgeordneten Lasker merkwürdiger Weise vor allem die Abfassung eines einheitligen Privatrechts für besonders dringlich und brachten, einen übrigens schon im Reichstage des Norddeutschen Bundes (im Jahre 1869) gestellten hieraufgerichteten Antrag ein. Der Antrag führte im Frühjahr 1874 zu einem entsprechenden Beschluss des Bundesraths. In der Sitzung des letzteren vom 2. Juli 1874 wurde die erste Commission zur Ausarbeitung eines Entwurfs ernannt. Der von dieser Commission vorgearbeitete I. Entwurf wurde am 31. Januar 1888 veröffentlicht. Er erwies sich als eine durch und durch doctrinäre Bureauarbeit, deren Seele, wie Geerke sagte, nicht der lebendige Rechtsgedanke, sondern der todte | |
[pagina 308]
| |
Schulbegriff war, die daher eine äusserst lebhafte Kritik, wenn auch weniger seitens des der ganzen Angelegenheit ziemlich gleichgültig zuschauenden gebildeten Laienpublikums, so doch seitens wirklich oder vermeintlich deutschrechtlich und modern denkender Juristen hervorrief. Diese Kritik gab den Anlass zu einer Revision, die einer II. Commission von 10 ständigen und 13 nichtständigen Mitgliedern anvertraut wurde. Der von dieser Commission durchberathene und vielfach umgearbeitete II. Entwurf wurde im Jahre 1895 veröffentlicht, erhielt im Bundesrath noch einige Abänderungen, und wurde dann mit einer Denkschrift von 17. Januar 1896, dem Reichstage vorgelegt. Er ist am 30. Juni und 1. Juli 1896, nachdem eine Reichstags-Commission unter dem Vorsitze des Centrumsabgeordneten Kammergerichtsrath Spahn noch einige Zuthaten gegeben, mit 222 gegen 48 Stimmen angenommen; diese 222 Stimmen repräsentiren nur sehr wenig über die Hälfte der gesammten Volksvertretung; es fehlten aber auch bei dieser letzten Abstimmung über hundert Reichsboten; die Vorberathungen im Reichstag zeugten überhaupt von einer Interesselosigkeit, die zu der nachhaltigen Bedeutung des Gezetses und der moralischen Verantwortlichkeit des Parlamentarismus für seine bösen oder guten Wirkungen in auffälligstem Missverhältnisse stand; denn sie fanden stets vor zu sagen leeren Bänken statt, die sich nur bei der Berathung der Wildschadensfrage (bei dem sog. Hasenparagraphen) vorübergehend füllten. Diese Thatsache bleibt von besonderer rechtshistorischer und politisch-wissenschaftlicher Denkwürdigkeit. (Fortsetzung folgt). Jena Dr. jur. Kuhlenbeck |
|