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[Nummer 3]
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Präsident Krüger in Deutschland
Die Alldeutschen Blätter schreiben:
Der Polizeipräsident von Köln unterhält zur deutschen Volksseele völlig korrekte dienstliche Beziehungen; um sich über die Regungen derselben zu unterrichten, liest er offenbar täglich die ‘Köln. Ztg.’, in der sich ja der Pulsschlag derselben besonders gut bemerklich macht, und dieser Lektüre konnte er am Freitag den 30. November entnehmen, dass ein gewisser Paul Krüger, seines Zeichens Präsident, in Köln eintreffen wird, aber weiterer Beachtung nicht wert ist. Er konnte aus diesem Artikel ferner ersehen, dass das deutsche Volk im ganzen und grossen dumm und urteilslos ist, und dass es schliesslich vermahnt wird, Krüger ‘geräuschlos’ seine Teilnahme zu bezeugen, diejenigen aber, die sich nicht entschliessen könnten, dem Präsidenten einige tausend stumme Händedrücke zuzumuten, sondern etwa ‘Hoch’ riefen, was nie ohne Geräusch abzugehen pflegt, das wären eben ‘Lumpen’. Der Herr Polizeipräsident überlegte, dass das doch natürlich seine Richtigkeit haben müsse überschlug im Geiste, wiefiel von dieser Sorte Menschen es wohl in seinem A[...]stbezirke gebe, und berechnete danach das Häuflein von Jüngern der heiligen Hermandad, dem die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung für die Ankunft des Präsidenten Krüger anvertraut wurde. Da geschah etwas ganz unerwartetes: die Zahl der ‘Lumpen’ war grösser als
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der Herr Polizeipräsident geschätzt hatte, und man behauptet, dass zu den 30,000 verworfenen Geschöpfen dieser Art, die von vornherein die Absicht hatten, dem Präsidenten Krüger bei seiner Ankunft mit Hoch-Rufen zu begrüssen, noch etwa 20,000 kamen, die ursprünglich nicht die Absicht hatten, den Artikel der Kölnischen jedoch für den Willkommgruss der Regiering an den Präsidenten ansahen - ob mit Recht oder Unrecht, darüber wäre eine Aufklärung von berufener Seite recht zweckmässig - und nun glaubten, den Ehrentitel ‘Lump’ schon auf sich nehmen zu können. Und nun geschah, was unvermeidlich ist, wenn man eine solche Menschenmasse ohne jede vorher getroffene Massregel in einen Raum, insbesondere von so verwickelter Form wie eine Bahnhofshalle, einströmen lässt: die Menge liess sich nicht leiten, und dies umsoweniger, als irgend eine Obrigkeit, und wäre es auch nur der Bürgermeister, am Bahnhofe nicht erschienen war. Der Präsident konnte nicht aussteigen, ein paar Menschen brachen sich ihre Knochen, und als Krüger eindlich in seinem Zimmer war, durfte er mit einiger Berechtigung die Frage stellen, ob sein ganzes Gefolge mit dem Leben davongekommen sei. Er hatte so Gelegenheit, zu bemerken, dass Preussen offenbar deshalb zu dem Namen eines Polizeistaates gekommen ist, weil die Polizei meistens dort nicht zu finden ist, wo sie notwendig wäre; hatte er sie am ersten Abend entbehrt, so konnte er am zweiten Tage die Wahrnehmung machen, dass sie sich auch um Dinge kümmern kann, die sie nichts angehen. Als nämlich am Sonntag Vertreter der Bonner Studentenschaft dem Präsidenten huldigen wollten, wurde ihnen verboten, dies in ‘Wichs’ zu thun, weil dadurch der Anschein einer offiziellen Veranstaltung erweckt werden könnte. Natürlich! Der
Präsident mit Europens übertünchter Kleiderordnung nicht vertraut, hätte wohl geglaubt, das preussische Staatsministerium in voller Uniform vor sich zu sehen. Aber
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auch die Bevölkerung Kölns wollte man vor Irrtümern bewahren, und so wurde den Studenten vorgeschrieben, in geschlossenen Wagen die sich in Abständen von zwei Minuten zu folgen hätten, beim Hotel vorzufahren. Und da man sich all dieser Erbärmlichkeiten doch ein wenig schämte, bat man die Studenten, über diese Ukase nichts verlauten zu lassen; aber schliesslich hat doch alle Welt den Erfolg gesehen und die Polizei hätte eben den Studenten noch Tarnkappen verschaffen müssen, um ihr Ersuchen erfüllbar zu machen.
Der Ton, in dem wir über diese Dinge berichten, mag vielleicht befremden, aber es wäre wirklich unmöglich, in einem ernst gehaltenen Bericht das Kleinliche und Engherzige dieses Verfahrens genügend zur Darstellung zu bringen. Die Gefühle des Volkes sind in Köln überwältigend zum Ausdruck gekommen. Unsere offizielle Politik geht andere Wege als das Volksempfinden, aber man sollte meinen, dass eine Politik, die ihren Weg fest vorgezeichnet sieht, der Versuche entbehren könnte, mit untauglichen Mitteln die Volksstimmung zu sich herüberzuziehen und dass eine grossmütige und vornehme Haltung in Nebenfragen mit dem Festhalten an dem, was sie als richtig erkennt, sich wohl vereinbaren liesse. Man beklagt sich in unserem Auswärtigen Amt so gerne über die unverantwortliche Volkspolitik, die seine feinen Zirkel störe; und selbst überlässt es die Durchführung seiner hohen Politik den plumpen Händen von Polizeiwachtmeistern.
Dem Empfange in Köln hätte der in Magdeburg und Berlin gewiss nicht nachgestanden; sie mussten unterbleiben wegen der bekannten Mitteilung, die der Kaiser dem Präsidenten machen liess. Der Eindruck war für den Präsidenten und seine Umgebung niederdrückend, die Nachricht wurde von der Bevölkerung Kölns schmerzlich empfunden, im Auslande als definitieve Absage angesehen und in England natürlich mit Jubelgeheul auf- | |
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genommen. Die kaiserliche Botschaft, die Herr v. Tschirschky überbrachte, schliesst aber keineswegs einen Empfang in einem späteren Zeitpunkt aus, und es ist jedenfalls bedauerlich, dass von Seite des Gefolges des Präsidenten nicht streng auf die Innehaltung der Formen gehalten wurde und die Ankündigung des Besuches erst einen Tag vor der Abreise nach Deutschland erfolgte. Das bekannte Temperament und das Selbstgefühl des Kaisers hätten zu doppelter Vorsicht in dieser Hinsicht mahnen sollen. Ist der Kaiser gut beraten, so durfte er doch wohl zu einer Unterredung in einem späteren Zeitpunkt die Hand bieten. Die Hoffnungen, die von Krüger auf diese Zusammenkunft gesetzt werden, können wir zwar leider nicht teilen; hat unsere Regierung vor einem halben Jahre nicht intervenieren wollen, so hat sich die Weltlage hierfür inzwischen eher verschlechtert als verbessert. Auch lassen die Aeusserungen der französischen Staatsmänner kaum annehmen, dass man dort entschlossen sei, selbst im Bunde mit Deutschland und Rusland eine Intervention zu unternehmen, die nur durch die Drohung mit dem Kriege und die Entschlossenheit, dieselbe wahr zu machen, erfolgreich gemacht werden könnte. Diese pessimistische Auffassung wird von der überwältigenden Mehrheit des burenfreundlichen deutschen Volkes geteilt, so schmerzlich man auch diese Lage empfinden mag. Daskann aberden Wunschnicht
beeinträchtigen, dass das Verlangen des Präsidenten Krüger nach einer unterredung vom Kaiser erfüllt werde, weil es als eine unnötige Härte empfunden würde, wenn der greise Führer der Buren im Unglück die Pforte verschlossen finden sollte, nachdem vor bald fünf Jahren der Kaiser ihm seine Waffenhülfe angeboten und dadurch den Ausbruch des verhängnisvollen Krieges zweifellos beschleunigt hat; ferner aber wird das deutsche Volk zu Vergleichen gezwungen mit Frankreich einerseits, und Belgien andererseits, und es entspricht doch wohl nicht unserer
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nationalen Würde, dass wir auf England Rücksichten nehmen sollen, die zwar der König der Belgier sich weniger im Hinblick auf sein Land als auf seine Börsengeschäfte auferlegen musste, die aber doch den Franzosen nicht in den Sinn kamen. Das eine wie das andere sind Imponderabilien; aber der grosse M[e]ister der Staatskunst, Bismarck, hat diese nie verachtet; eine Politik die immer nur auf den nächsten greifbaren und wägbaren Vorteil geht, kann sich noch einmal schwer rächen. Immerhin lässt sich aber auch ein Vorteil anführen, der den höchsten Ansprüchen an Realpolitik genügen dürfte. Kein Mensch kann heute mit Bestimmtheit den Ausgang des Krieges in Südafrika voraussagen; man mag die Lage noch so pessimistisch für die Buren ansehen, so muss man doch die Möglichkeit ins Auge fassen, dass sie ihre Freiheit noch erkämpfen; die Kapkolonie kann in Aufr[u]hr geraten, Seuchen können weit mehr als bisher das englische Heer dezimieren, es kann irgend etwas ganz Unerwartetes eintreten, Graf Bülow mag diese Möglichkeiten für unwahrscheinlich halten; wenn er ein Staatsmann ist, der alles übersieht, so kann er sich trotzdem heute nicht mit unbedingter Sicherheit für den Ausgang des Krieges in Südafrika verbürgen, es sei denn, er wäre in der Lage, den Engländern mit een paar deutschen Armeekorps auszuhelfen. Wären dann unsere deutschen Interessen gewahrt, wenn die Buren sich stets erinnern könnten, dass das offizielle Deutschland ihrem Präsidenten, als er in seiner höchsten Not und Bedrängnis nichts weiter verlangte, als gehört zu werden, die Thüre verschloss? Wir hoffen, dass man sich an massgebender Stelle diesen Erwägungen nicht verschliessen wird; es handelt sich hier
nicht um die Politik der Neutralität, sondern darum, ob diese wirklich einem Akte der Menschlichkeit entgegensteht, der sich gewiss auch in politischer Beziehung belohnen würde.
P.S.
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