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Zu Conrad Ferd. Meyers Gedichten.
Von Priv. Doc. Dr. H. Kraeger (Zürich).
Selten hat ein Dichter mit so zäher Kraft, aber auch mit so unbestrittenem Erfolge nach und nach Form und Inhalt seiner Dichtungen derartig veredelt, wie es Conrad F. Meyer gethan hat. Die Kunst war ihm eine ernste Sache, für die er sein ganzes Wesen, sein Denken und seine Phantasie nicht stark genug anspannen konnte. Was ihm an Liedern und Erzählungen beim ersten Wurf beschieden war, genügte bald dem Manne,
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nicht mehr, der mit den Jahren reifer und künstlerisch einsichtiger wurde. Er schmolz die Verse ein, und aus den flüssigen Massen schuf er die neuen und schöneren Werke. Es wäre thörichte Theorie, darüber zu schelten und aus diesem ‘Arbeiten’ etwa bei ihm auf ein Minus an dichterischer Eingebung zu schliessen. Die Kunst- und Literaturgeschichte weiss längst, dass auch den grössten Dichtern nicht Alles im Schlafe zugefallen zu sein braucht und dass nicht nur einzelne Zeilen aus dem ‘König vonThule’, auch ganze Dramen, wie die ‘Iphigenie’ erst eine Haut nach der andern abgestreift haben, bis der Entwicklungsprocess geschlossen und das Werk in seiner letzten, endgültigen Gestalt harmonisch ausgebildet war. Auch bei Conrad F. Meyer schlägt die Erfahrung alle Theorie; und es ist gradezu wunderbar, wie sicher und fein er seine ältere Dichtungen im Lauf der Jahre verändert und eine erste zufällige Eingebung nach und nach in solche künstlerische Formen gebracht hat, dass ihm in der deutschen und schweizerischen Literatur ein Platz in den ersten Reihen wohl für alle Zeit reservirt werden muss. - Wie aber Conrad F. Meyer seine Lieder umgestaltet hat, lässt sich treffllich bei einem Vergleich der seit 1882 neu aufgelegten grossen Sammlung der ‘Gedichte’ und der beiden kleineren Bücher nachweisen, die er 1864 und 1870 unter dem Titel ‘Balladen’ und ‘Romanzen und Bilder’ veröffentlichte.
Die Wandlungen sind verschieden und mehr oder weniger durchgreifend; bald ist es nur eine Vertauschung der Worte, bald werden ein paar Strophen abgetrennt und andre zugefügt, oder es wird die alte Form ganz zerstört und der Inhalt völlig neu eingekleidet. Bald ist ein Gedicht 1882 ein für allemal fertig, bald macht es in den späteren Auflagen noch weitere Veränderungen durch.
Ein paar Proben mögen das veranschaulichen. Das bekannte Gedicht ‘Das Glöcklein’ lautete anfangs folgendermassen:
Er steht an ihrem Pfühl in herber Qual
Und muss den jungen Busen keuchen sehn,
Er ist ein Arzt, und weiss, sein traut Gemal
Erblasst, sobald die Morgenschauer wenn.
Sie hat geschlummert. ‘Lieber, du bei mir?
Mir träumte, dass ich auf der Alpe war.
Wie schön mir träumte, das erzähl' ich dir -
Du schickst mich wieder hin das nächste Jahr!
Dort vor dem Dorf - du weisst den moos'gen Stein -
Sass ich und rings umhallte mich Getön,
Die Herden zogen alle mit Schalmei'n
An mir vorüber von den Sommerhöh'n.
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Die Herden ziehen alle heut nach Haus -
Nun ist's die letzte wohl? Nein, eine noch!
Noch ein Geläut klingt an und eins klingt aus,
Das endet nicht! Da kam das letzte doch.
Nun alles still. Es starb das Abendroth,
Die Matten dunkelten so grün und rein,
Die hohen Gipfel standen bleich und todt
Und drüber glomm ein leiser Sternenschein.
Ein Glöcklein, horch! Klingt fern es aus der Schlucht?
Irrt es verspätet noch am Felsenhang?
Ein armes Glöcklein, das die Herde sucht -
Da wacht' ich auf - und höre noch den Klang.
Du schickst mich wieder auf die lieben Höh'n -
Sie haben, sagst du, mich gesund gemacht...
Da war's so schön, da war's so wunderschön!
Das Glöcklein! Wieder! Hörst du's? - Gute Nacht.’ -
Nun wollen wir sehen, was in diesem Liede vor seinem Dichter und Richter auch später Gnade fand, und was verworfen und durch andre Fügungen ersetzt wurde. So heisst es gleich in der zweiten Zeile später (1882) mit nachdrücklicher Umstellung der Worte: ‘Den jungen Busen muss er keuchen sehn.’ In die dritte kommt einer jener melodischen Gleichklänge, mit denen Conr. Ferd. Meyer oft so merkwürdige Wirkungen zu erzielen weiss: ‘Er ist ein Arzt. Er weiss....’ In der Strophe ‘Dort vor dem Dorf’ fällt das überflüssige ‘rings’ fort und die bisher ungleich vertheilten Hauptworte werden nach den Schluss gedrängt:
- ‘umhallt von lauter Herdgetön,
An mir vorüber zogen mit Schalmei'n
Die Herden nieder von den Sommerhöh'n.’
Für das ‘ziehen’ in der folgenden Zeile tritt, um das ‘zogen’ der vorhergehenden nicht durch Wiederholung zu schwächen, etwas anderes ein:
‘Die Herden kehrten alle heut' nach Haus
In der Abendschilderung aber mischte der Dichter die Farben zu mehreren Malen, ehe er endlich befriedigt Pinsel und Palette ruhen lassen durfte. 1882 sagt er:
‘Mich überfluthet' fliehend' Abendroth...
Die Firnen brannten still - und lagen tot.’
Das ‘fliehend'’ aber klingt doch unschön, das tönende ‘e’ ist hässlich apostrophirt und die Alliteration ‘flutet’ und ‘fliehend’ wirkt unruhig; überhaupt war das Beiwort eigentlich unnöthig, da das Abendroth ja gewöhnlich nur kurze Zeit am Himmel steht; mit einer leichten Wendung schob Conr. Ferd. Meyer daher in einer letzten und 3. Prägung
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des Gedichtes das Wort bei Seite, indem er die beiden Apostrophe aufhob und nun den glatten Satz erhielt:
‘Mich überfluthete das Abendroth’
Bei dem Alpenglühen aber in dem nächsten Teile änderte er die Verben, indem er in beiden Fällen den Prozess beschleunigte: ‘Die Firne brannten aus und waren tot’. Denn durch das unerbittliche und nüchterne ‘waren’ wird anschaulicher als vorher der leichenhafte Schein der erloschenen Bergspitzen in unserer Phantasie erzeugt, wenn mit dem Licht auf den Firnen, zugleich das Leben der junge Frau entschwindet und stirbt. Auch das Glöcklein stellt sich anders ein:
‘Da horch! Ein Glöcklein läutet in der Schlucht,
Verirrt, verspätet wandert's ohne Ruh,’
Und bei dem plötzlichen Erwachen in der vierten Zeile erschrickt jetzt auch der Rythmus:
‘Aufwacht ich dann, und bei mir warst Du.’
In der letzten Strophe redet die Frau ihren Gemahl selber an:
‘Mann, schick' mich wieder auf die lieben Höh'n...
Dort war es schön! dort war es wunderschön!’
bis es in der 3. und letzten Fassung dafür besser und weicher klang.
‘O, bring' mich wieder auf die lieben Höh'n.’
Interessant ist auch die Geschichte eines andern Liedes, das er 1870 als ‘Waldtraum’ zum ersten Male gesungen hat. Ich bringe auch hier die ältere Fassung, die ich kaum sonst in den Händen meiner Leser vermuten darf, ganz zum Abdruck:
Jüngst im Wald, der Sorge los,
Schlummert' ich gestreckt ins Moos.
Sieh, was regt sich in der Hecke?
Horch, was klimpert im Verstecke?
Kinderstimmen, holder Sang,
Ein verworrner Saitenklang!
Sachte schlich ich zu belauschen
Der Gebüsche seltsam Rauschen.
Das Gesträuch mit leiser Hand
Theilt' ich, bis das Nest ich fand:
Kinder rings im Grase sitzend,
Mit den hellen Augen blitzend.
Rutschend auf dem nackten Knie,
Sagt, was lagert ihr im Runde?
Sprecht, was schaffet ihr im Bunde?
Aber, auf ihr Werk erpicht,
Achten sie der Frage nicht,
Bis die Saiten hell erklingen
Und sie mir die Laute bringen:
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Nimm, du giebst uns viel zu thun,
Während dir gefällt zu ruhn,
Nimm sie wieder ohne Fehle
Deine rein gestimmte Seele!
Wenn sich sonst bei Conr. F. Meyer aus alten Versen wohl eine Wortgruppe ablöst, um die Ueberschrift des neuen Gedichtes zu bilden, ist diesmal die alte Ueberschrift in den Vers der neuen Fassung geschlüfpt, und in den beiden ersten Zeilen einquartirt worden:
Schlummernd jüngst in Waldesraum
Hatt' ich einen hübschen Traum;
Etwas regt sich in der Hecke,
Etwas klimpert im Verstecke.
Das Gedicht selber heisst nun anders: ‘Die Lautenstimmer’, ein Titel, der den Inhalt besser trifft als die frühere doch sehr algemeine Bezeichnung. Von der älteren zweiten und dritten Strophe, die ja ziemlich ein-und dasselbe sagten. blieb nur die letzte fürderhin am Leben. Die vierte kam ohne weitere Veränderung herüber, während der Schluss lieblich bedeutsam erweitert wurde. Wir vernehmen jetzt ein paar Sätze aus den Gesprächen der Kinder, sehen länger ihrer Arbeit zu und deuten endlich den anmuthigen Traum weiter mit dem Dichter aus:
Auf das zarte Werk erpicht,
Hörten sie die Frage nicht.
‘Seht, wie ist sie zugerichtet!
Wundgerissen! Fast vernichtet!’
Emsig ward geklopft, gespäht,
An den Saiten flink gedreht,
Liessen eine tiefer klingen,
Liessen eine hohe springen -
Endlich klang die Laute rein
Und die Kinder spielten fein,
Bis ich aus dem Traum erwachte
Und mir seinen Sinn bedachte:
Dumpf entschlummert, jetzo hell,
Was die Kinder ohne Fehle
Stimmten, es war meine Seele!
Das Lied ist besser eingefasst als früher, wo die Kreise von Traum und Leben nicht recht geschieden waren. Sollte es am Ende in der darstellenden Kunst irgend ein Bild mit Putten geben, die, beim Stimmen eines Instruments beschäftigt, den Dichter zu dieser reizenden Schöpfung angeregt hätten?
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Die Ballade ‘Caesare Borgia’ (1870) ist in der Form, die sie 1882 als ‘Caesar Borgia's Ohnmacht’ erhielt, fast nicht wiederzuerkennen. Die beiden Dichtungen verhalten sich zu einander wie Epos und Drama.
Die erstere, 16 Strophen zu 4 Zeilen, beginnt mit einem objectiven Bericht, der die Voraussetzung für ein darauf folgendes Selbstgespräch des Borgia bildet:
Roma's Bischof starb in dieser Nacht.
Oede der Palast, die Diener flohn,
Und im Sessel, bleiern müd erwacht,
Stöhnt des dreigekrönten Priesters Sohn.
Ein Verschütteter in Grabes Raum,
Der sich hebt ans Tageslicht empor,
Starrt geblendet auf und fasst es kaum,
Dass in dumpfem Sturz er sich verlor.
‘Gestern? Als ich aus dem Becher trank?’
So besinnt sich Borgia - und erbleicht.
‘Ja, da war's dass jäh ich niedersank!
Und ihn hat der Vater mir gereicht!
War's der Becher, der dem Gaste galt,
Dem Valenza? Wechseltest du ihn,
Spott des Zufalls? Mich durchrieselt's kalt
Auch der Vater trank! Er ist dahin.
Borgia's Gasttrunk, tödtlich ist dein Saft!
Keine Rettung mehr! Der Greis erliegt!
Doch ich lebe! Cäsars Drachenkraft
Hat das grimme Drachengift besiegt.
Keiner steigt mir mehr auf Petri Thron!
Dem Apostel hüt' ich selbst das Haus!
Helle, starke Zeiten nahen schon,
Mit den alten Mährchen ist es aus!’
Jetzt drängt sich abermals der Dichter vor, um uns von den Worten wieder zur Gestalt des Borgia zurückzuführen, der dann endlich das Gespräch kurz selber weiter führt:
Borgia's Blicke schweben scharf und reg
Ueber Jagdgefilden unbegränzt,
Sein Gedanke zieht sich einen Weg,
Wie durch's reife Korn die Sichel glänzt.
‘Die ich rastlos brütend nahen sah,
Stunde, lange Jahre vorbedacht,
Schicksalsvolle Stunde, du bist da:
Sturz und Elend, oder Königsmacht!’
Die Fortsetzung aber wird abermals vom Dichter gegeben, der das, was Borgia vor sich hinbrütet, erzählt, und der die Geberde des Fiebernden
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zu beobachten und seine Qualen und auch den letzten furchtbaren Kampf mit dem Tode zu verfolgen hat:
Schon ist er im Geist davongebraust,
Kühne Schaaren stehen ihm bereit,
Und das nackte Schwert in nerv'ger Faust
Endet rasch er jeden Widerstreit;
Ueber Leichen grausig hingemäht
Steigt zum Kapitol er unverzagt,
Wo in seiner Frevel Kreis er steht,
Die er alle haupthoch überragt -
Wahngebild vor eines Kranken Blick!
Borgia liegt gelähmt, des Giftes Raub,
Meteorgleich leuchtet hell sein Glück
Vor ihm auf, bevor es sinkt in Staub.
Vor des raschen Lebens Schranke liegt
Knirschend er, geschleudert aus der Bahn,
Eine Stunde flieht, die zweite fliegt
Und die dritte Stunde schwebt heran!
Finster quellen ihm die Thränen jetzt,
Auf der schmalen Lippe zuckt der Hohn,
Eh' die stolze Wimper sie genetzt,
Lacht er seiner ersten Thräne schon.
Immer rascher eilt der Stunden Lauf
Und er windet sich in stummer Qual,
Dehnt den schlanken Leib und schnellt ihn auf,
Aus dem Auge schiesst ein Flammenstrahl,
Einen Schritt, von kaltem Schweiss bedeckt,
Thut in unsichtbarem Kerker er,
Wankt und stürzt und liegt dahingestreckt
Schweigend, angefesselt doppelt schwer.
Nebel steige, Leichenaugen schaun,
Finger deuten auf den Mörder hin,
Langsam dunkelnd senkt unsagbar Graun,
Senkt die Todeswolke sich auf ihn.
So lösen in den Strophen die zwei Personen, der Dichter und sein Held, einander ab, aber Borgia, der von den 64 Zeilen nur 19, also kaum ein Drittel, zu sprechen bekommt, wird bei dieser Rollenbesetzung entschieden übervortheilt. Nebenbei wiederholt auch der eine das, was just der andere schon sagte, sodass im Wechsel der Stimmen nicht grade auch ein Fortschritt der Handlung liegt. Der Dichter: ‘Roma's Bischof starb in dieser Nacht’, Borgia: ‘Auch der Vater trank! Er ist dahin!’: Das ist für den Leser ein und dasselbe, die lästige Wiederholung der gleichen Thatsache.
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Die beiden interpretiren sich also gegenseitig; auch die 7. und 8. Strophe sind inhaltlich ziemlich gleich, so dass der Dichter, der die Visionen seines Helden erzählt, schon hier eigentlich eins mit der Person des Helden selber wird. Conr. Ferd. Meyer schied daher in der neuen Fassung (‘Caesare Borgia's Ohnmacht’), die aus 68 fünffüssigen Jamben mit männlichem Ausgang besteht, einfach den Dichter aus.
Die Erzählung ist damit zu einem Monolog geworden; es ist nun das letzte Aufbäumen eines dramatischen Ungeheuers, zwischen Leben und Tod im 5. Act, nach der Katastrophe. Aus dieser Gewaltprobe des Borgia mag man auf die Schreibweise schliessen, die Conr. F. Meyer bei den Bühnenwerken, die er plante, verwandt hätte: Höchste Gedrungenheit des Ausdrucks, ohne Geschmeidigkeit, trotz einer an Hebbel erinnernden Kraft und Fülle des Inhalts. Es wäre ein eigener Stil gewesen, der ihn als Dramatiker vor allen andern kenntlich gemacht hätte, - ohne das Pathos von Schiller und die behaglichere Art Göthe's, vielleicht an Shakespeare mahnend, doch in allzu grosser Knappheit auf ein schlichtes Verständniss just nicht klug berechnet.
Wer bin ich? Einer welcher unterging,
Den Kranz im Haar, den Becher in der Faust,
Mit einem herculanischen Gelag
Von einem ungeheuren Sturz bedeckt?
Ich weiss den Becher nur und meinen Sturz
Im Belvedere ... Gestern ... Am Bankett ...
Den Becher, ihn kredenzte schlürfend mir
Der Papst, der ewig heiter lächelnde,
Denn Cäsar Borja bin ich, Sohn des Papsts!
Die Ampel über meinem Lager kämpft
Mit eines neuen Tages fahlem Schein ...
Ob's gestern oder ehegestern war,
Ich weiss es nicht, doch Eines weiss ich wohl:
In jenem Becher gohr der Borja Gift.
Er galt dem Gast, dem Bischof. Selbst gewürzt
Hat sich der Vater ew'gen Schlummers Trunk!
Ein Becher ward verwechselt. Warum nicht?
Verrat des Schenken? Zufall? ... Es geschah ...
Ich lebe. Meine Drachenkraft bezwang
Das Drachengift. Die Stunde ruft. Zur That!
Alles, was wir vorher von den Gedanken, den Schmerzen und den Wahnvorstellungen des Borgia aus zweiter Hand empfingen, das spricht jetzt dieser selbst aus: Dadurch wird ein geradezu doppelt so starker Eindruck erzielt, denn seine Worte an und für sich haben natürlich inzwischen auch noch an Schärfe und Schlagfähigkeit gewonnen. Die Phantasie des Sterbenden bleibt unheimlich lebendig; als risse sich der Geist vom
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Körper los, um allein auszuführen, was dieser wollte, so hetzt sich Borgia weiter, bis er gekrönt zu sein glaubt. Der Dichter tritt nicht mehr störend dazwischen; Borgia selber bevölkert den Raum um sich her mit lockenden oder mit grausenden Scheingestalten:
Leer steht ein Thron und eine Krone rollt.
Verbraucht ist das Apostelmärchen. Weg
Damit! Der Vater war der letzte Papst!
Ein König folgt ihm nach und der bin ich.
Entscheidungsstunde, nicht erschreckst du mich,
Ich habe lange dich voraus bedacht:
Entlarve mir dein kühnes Angesicht!
Du heissest Heute! Kämmrer, gieb das Schwert!
Reif stehn die Ernten und die Sichel blitzt.
Marsch, meine Banden! Richtet das Geschütz
Auf des Conclave Kammern! Suchst du mich,
Hauptmann? Im Borgo, sagst du, wird gekämpft?
Ich komme! Ich vertausendfache mich!
Ich steige mordend auf das Capitol
Und mit Italiens Krone krön' ich mir
Dies Haupt das seine Frevel überragt!
So weit die erste Hälfte, das majestätische Auflodern des Brandes, der nun verschwählt. Aber auch dies Versinken geht nicht ohne Lebendigkeit vor sich, wenn der Kranke aufstehen will, aber nicht kann, und jetzt statt der Freunde seine Feinde zu sehen glaubt, bis ganz zuletzt Bilder der schlimmsten Thaten nahen, die er in seinem sündenvollen Leben begangen hatte:
Und ein erdolchter Knabe fesselt mich
Mit Ringen an den Stein ... Dort gafft ein Weib,
Die Haare triefend mit geschwollnem Hals ...
Blutlose Brut! Weg in des Tiebers Grab! ...
Aus allen Wänden quillt es schwarz hervor
Und dunkelt über mir ... Unsagbar Graun ...
Dass aber auch im Einzelnen das Gedicht dramatisch umgeprägt ist, lehrt z. B. die Entwicklung einer besonderen Stelle. In dem ersten Entwurf hiess es bildlich von Borgia's Schicksal:
Meteor gleich leucht hell sein Glück
Vor ihm auf, bevor es sinkt in Staub.’
Die Metapher wird nun gleichsam ausgebildet, d.h. zu einem wirklich lebendigen Vorgang umgeschaffen: der zweite fiebernde Borgia sieht in der That erst eine Feuerkugel, die er in der Erregung sogar noch falsch deutet, die er dann richtig erklärt und schliesslich in die alte frühere Beziehung zu seinem Schicksal bringt. Conr. Ferd. Meyer hat jetzt den beiden
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früheren Zeilen eine Vorgeschichte angeheftet, und die bildliche Wendung gleichsam vor unsern Augen entwickelt:
Die grüne Feuerkugel! Ein Signal
Von meinen Banden? Nein, ein Meteor
Zuckt flüchtig durch die schwüle Sommernacht.
Hier über Romas Kuppeln loht es auf:
Nahn fackelschwingend meine Banden sich?
Nein, es ist Borjas Glück, das flammt und brennt,
Und seine Zinnen stürzen! Wehe mir!
Durch die Concentration dieses Gedichts wird es erklärt, dass Conr. Ferd. Meyer es trotz allem doch zu keinem Drama gebracht hat. So kann nur ein Dichter schreiben, der sich selbst bei seinem Schaffen verzehrte und der, allzu innerlich und gewaltsam an seinen Personen beteiligt, für den grossen vielseitigen Apparat eines Dramas mit seinen stetigen Erregungen nicht über die nöthige Selbstentäusserung verfügte.
Eins oder das andere der älteren Gedichte ist von Conrad Ferd. Meyer später ganz verstossen worden. So ist es besonders schade, dass er die freilich etwas umständlich angelegte, aber gut pointirte Ballade ‘Neues Leben’, die von der Bekehrung eines Irländers zum Christentum handelt, später ganz gestrichen hat. Conr. Ferd. Meyer hätte gewiss für eine neue Fassung gleich die zwei Einleitungsstrophen entfernt, die zwar die Voraussetzung geben, aber zu dem Hauptteile doch nur ungeschickt in Beziehung gesetzt sind, weil in den folgenden 9 Strophen der hier anfangs erwähnte Missionar gar nichts wieder auftritt.
Aus dem Süden kam ein muth'ger Bote
Nach Erin, dem grünen Inselland,
Speiste täglich mit des Himmels Brote
Alle Seelen, die er hungrig fand.
Wo des Meeres Wellen fern verrauschen,
Fand er heute den bequemen Ort,
Nun zerrinnt die Schaar, die kam zu lauschen,
Und nach allen Seiten zieht sie fort.
Denn nun verändert sich die Szene und das Personal: ein paar Iren kommen herein:
Ueberm Meer schlängelt hoch sich Zweier
Pfad, dem schroffen Bruch des Felsens nach,
Einer schreitet keck mit stummem Feuer,
Und der Andre setzt den Fuss gemach.
Jener ist gegürtet mit dem Schwerte
Und den Bogen trägt er in der Hand,
Doch der Sohn der Scholle, sein Gefährte,
Geht im schlichten wollenen Gewand.
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Der zweite, also ein Ackerbauer, lobt dann seine stillen Beruf, dem er nach der Bekehrung so gut wie vorher obliegen könne, ohne der neuen Lehre dadurch abtrünnig zu werden... Dann frägt er den Genossen, den kühnen, kriegsfrohen Seefahrer:
‘Aber du, was willst du nun beginnen?
Denn auf Beute ziehst du nimmermehr,
Auf ein Werk des Friedens musst du sinnen
Und verlassen das bewegte Meer!’
Der aber sagt, dass auch er seine Thätigkeit nicht aufgebe, dass ihm ‘des Wanderns und der Beute Lust’ geblieben seien, um auch fernerhin über die Meere zu ziehen, aber statt der Pfeile, statt des Bogens und des Schwertes, will er sich mit dem göttlichen Wort bewaffnen, das er den Heiden offenbaren will.
‘Doch mein Boot, das will ich nicht zerbrechen,
Fliegen soll es wieder, wie ein Pfeil,
Und mit allen Völkern will ich sprechen
Von dem Namen, der der Völker Heil!’
Das ist eine jener sinnreichen und überraschenden Wendungen, wie sie der Poesie Conr. Ferd. Meyer's vielfach eigen sind, die über Worte und Situationen ein neues Licht zu verbreiten liebt. Wie aus dem Simon Petrus, der auf dem See in Galiläa die Netze warf, durch Jesu Wort ein Menschenfischer ward, so bleibt auch dieser reckenhafte Ire, der Christ geworden ist, seiner Jagd getreu, die aber nicht mehr fremdem Gut und Geld, sondern im Dienste des Herrn nun den Seelen der Menschen gilt, die er für das Evangelium gewinnen will.
Man hätte sich gern diesen dankbaren Stoff in neuer Form noch einmal von dem Dichter bescheeren lassen; es mag uns die alte vorerst genügen, in der Hoffnung, dass sich vielleicht noch irgendwo im schriftlichen Nachlass die Vita nuova dieses Iren in zweiter, verbesserter Auflage finden wird.
So bietet ein Vergleich der Ausgaben der Gedichten Conr. F. Meyers eine Ueberraschung nach der andern. Und wie oft war die erste Fassung eines Liedes so geraten, dass er vor andern damit schon genug Ehre hätte einlegen können, aber der Dichter war selber nicht mit sich zufrieden, weil die Sache noch anders aussah, als er es sich gedacht hatte; und nun ruhte er nicht, bis die spröde Sprache endlich erweicht und die von seiner Phantasie ausgetragenen Gestalten ganz in Worte gebracht und lebendig gemacht worden waren.
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