Folium Librorum Vitae Deditum. Jaargang 2

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Die Kuenstlerzeichnung in der naturwissenschaftlichen Illustration der Gegenwart

Den Wenigsten wohl nur ist gegenwärtig, dass in Botanik, Zoologie und Medizin auch heute noch die weitaus überwiegende Zahl der Abbildungen von Künstlerhand geliefert wird, im Gegensatz zu manchen andren Gebieten, wie Astronomie, Geographie, Ethnographie, wo die Photographie seit langem zu fast unumschränkter Herrschaft gelangt ist. Dabei ist es keineswegs so, dass die Leistungen etwa der letzten 50 oder 100 Jahre einen Vergleich mit ihren grossen Vorgängern der Holzschnitt oder Kupferstichzeit zu scheuen hätten.

Selbst in der Botanik trifft dies nicht unbedingt zu, so unvergleichlich und unerreichbar die Figuren der Ehret, Redoute, Poiteau, Turpin, Sowerby, eines Franz und Ferdinand Bauer auch immer scheinen mögen. Vielmehr gab es seitdem und gibt es heute noch Botanikmaler, die ihnen an künstlerischer Gestaltungskraft gleichkommen, in zeichnerischer Virtuosität sie wohl gar übertreffen: in England etwa Walter H. Fitch (1817-92) und sein Neffe John N. Fitch (1840-1922), Rob. Morgan (1863-1900), Worthington G. Smith (1835-1917), Matilda Smith (1854-1926), heute Lilian Snelling und Stella Ross-Craig, in Amerika Charles Edw. Faxon (1842-1918), Mary E. Eaton (geb. 1873 in England) und Frances E. Horne geb. Worth. Ihnen entsprechen in Frankreich Alfred Riocreux, Aug. Faguet, Ad. Millot, in den Niederlanden H.C. van de Pavord Smits, die von 1890-1934 die Figuren der ‘Flora Batava’ gemalt hat, in Deutschland Roland Anheisser (1877-1949), Aug. Dressei, Gust. Dunzinger (1868-1940) und Emil R. Pfenninger (1869-1938). Dass ihre Werke nicht zu bibliophilen Sammelobjekten geworden sind, ist wesentlich die Schuld der durchweg mangelhaften Reproduktion, vor allem in Hinsicht der Farbwiedergabe. In Umkehrung des Sprichworts ist hier einmal das Gute der Feind des Besseren geworden: für den Botaniker reichen nämlich die unfarbigen Abbildungen in der Regel völlig aus, um eine Pflanze genau bestimmen zu können, zumal sich die Nomenklatur und Bestimmungstechnik der Farbskala neuerdings so verfeinert hat, dass eine genaue Definierung jeder Farbnuance möglich geworden ist. Guter Farbdruck ist aber gegenüber dem einfarbigen immer noch derart viel teurer, dass deshalb nur eine zahlreiche Liebhaberschicht ihre Herstellung lohnend machen könnte. Darum behilft man sich meist mit einer barbarischen, botanisch sinnlosen

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Ueberfüllung der Tafeln, die jeden aesthetischen Eindruck zerstören muss.

So kommt es, dass nur ganz wenige botanische Werke der Gegenwart in der Reproduktion denen der Redouté-Zeit verglichen werden können, etwa Ellen Willmott's ‘Genus Rosa’, London 1910-14, mit 130 Farbtafeln nach Alfred Parsons, John G. Millais' ‘Rhododendrons’, London 1917-24, mit Bildern von Arch. Thorburn, dem grossen Vogelmaler, Lilian Snelling, Winifred Walker u.a. oder die ‘Stapelieae’ van Alain White und B.L. Sloane, Pasadena 1933 u. 1937, mit Farbtafeln nach Cythna Letty und Carl Luckhoff. Auch die grossen ikonographischen Zeitschriften darf man in diesem Zusammenhang nennen, das ‘Botanical Magazine’ etwa, das mit seinen nunmehr an die 10000 Tafeln bis vor kurzem der Handkolorierung treu geblieben war, die ‘Flora Batava’, die ‘Addisonia’ des New Yorker Botanischen Gartens oder die ‘Flowering Plants of (South) Africa’, wenngleich die Rasterung ihrer Vierfarbendrucke oftmals einige Abstriche von der idealen Forderung an wissenschaftliche Darstellungen bedingt, da man diese letzte Genauigkeit, die man auch einmal unter der Lupe muss nachprüfen können, damit eben doch nicht erreichen kann. Einen heroischen Versuch zur Erneuerung der alten handwerklichen Herstellungsweise machte in Deutschland Christian Heinrich Kleukens, als er 1929-30 Rudolf Koch's ‘Blumenbuch’ auf der Ernst-Ludwig-Presse druckte. Die 250 Tafeln sind von Fritz Kredel in Holz geschnitten und von Emil Wöllner schabloniert; 20 Exemplare wurden von Rosel Küchler ausgemalt. Wenngleich den Figuren infolge der fehlenden botanischen Ueberwachung die letzte Ueberzeugungskraft abgeht, so zeigt sich hier doch ein verheissungsvoller Weg, auf dem die unleugbare Stagnation auf diesem liebenswürdigen Gebiet vielleicht überwunden werden könnte; jedenfalls darf man nicht immer nur wie gebannt auf die neuesten Errungenschaften der Drucktechnik starren, wenn die ökonomischen Voraussetzungen für ihre Anwendung nicht gegeben sind.

In dieser Hinsicht steht es um die medizinische Illustration wegen der hier möglichen großen Auflagen wesentlich günstiger. Zwar den hohen Stand der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als - vor allem in Paris - Buntkupferdruck und Chromolithographie sich gegenseitig zu übertrumpfen suchten, hat auch sie nicht halten können. Doch haben die damaligen Glanzleistungen, wie die Hautatlanten von Alibert, Cazenave und Rayer oder die pathologisch-anatomischen Tafelwerke von Cruveilhier, Lebert und Auvert, allein schon durch ihr Vorbild ein allzu starkes Absinken verhindert. Zudem verlangt die exakte und dabei doch lehrhaft

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zweckmässige Wiedergabe der Präparate ein derart grosses zeichnerisches Können, dass Stümpereien von vornherein ausgeschlossen sind. Bruno Héroux, A. WolffMalm, A. Schmitson, Fr. Frohse, Ernst Levin - um nur einige deutsche Namen zu nennen - haben sich der mühseligen Aufgabe, die derartige Abbildungen stellen, mit Geschick unterzogen; und in der Regel hat man auch, vor allem bei den ständig neu aufgelegten Standardwerken, die jeweils beste Reproduktionsmethode verwendet. Trotzdem hat auch hier das an sich verständliche Streben nach möglichster Billigkeit viel Schaden angerichtet; mit bibliophilen Augen jedenfalls wird man kaum einen der neueren medizinischen Atlanten betrachten dürfen.

Demgegenüber hat die zoologische Illustration in künstlerischer sowohl wie in wissenschaftlicher Hinsicht erst in neuerer Zeit ihre Höchstleistungen aufzuweisen, seit sie unter Anleitung künstlerisch begabter Forscher, wie Hermann Schlegel, Will Swainson, Sir Will. Jardine sich über die früher übliche miniaturartige Abschilderung ausgestopfter Exemplare erhoben und die Wiedergabe auch der natürlichen Haltung und Bewegung sich zum Ziel gesetzt hat. Es würde zu weit führen, hier auf diese umwälzende Entwicklung ausführlicher einzugehen, die von Joh. Friedr. Naumann, J.J. Audubon, Edward Lear begonnen und von Benj. Waterhouse Hawkins, Paul Oudart, George Ford und vor allem von Jos. Wolf (1820-99) auf ihren Höhepunkt geführt worden ist. Der wie Wolf in England lebende Niederländer Jos. Smit (1836-1930) und sein heute noch in Südafrika wirkender Sohn Pierre Jacques Smit haben diese Tradition wohl am reinsten weitergeführt. In Deutschland waren Gust. Mützel (1839-93) und Wilh. Kuhnert (1865-1926) ihre bekanntesten Vertreter, in Amerika Frank W. Benson.

Besonders in der Vogelmalerei ist die Verschmelzung von wissenschaftlicher Genauigkeit und künstlerischer Lebendigkeit in hohem Masse gelungen und heute zur Selbstverständlichkeit geworden. John G. Keulemans (1842-1912), der Jos. Wolf als Zeichner der Londoner Zoologischen Gesellschaft und am British Museum ersetzte, hat derartige Darstellungen in schier unglaublich grosser Zahl geliefert; sein Nachfolger Henrik Grönvold (1858-1942), ferner Archibald Thorburn (1860-1935), Will. Forster (1853-1925), Fred. W. Frohawk, George Edw. Lodge, Roland Green, Peter Scott u.a. haben dieses hohe Niveau ins 20. Jahrhundert getragen. Zusammen mit amerikanischen Künstlern haben sie in Will. Beebe's Fasanen-Monographie, 1918-22, das schönste naturgeschichtliche Tafelwerk der Gegenwart geschaffen. Auch Skandinavien hat in diesem Fach eine lange Tradition und eine Schar

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tüchtiger Künstler: Bruno Liljefors (1860-1939), Joh. Larsen (1867-), Gerh. Heilman (1859-1946), Olof Gylling (1870-1929), Gust. Swenander, Henning Scheel, um nur die wichtigsten zu nennen. Von gleicher Vollendung sind M.A. Koekkoek's Bilder für E.D. van Oort's ‘Ornithologia Neerlandica’. In Deutschland wirken Otto Kleinschmidt, Erwin Aichele, Wilh. Schmidhild, Franz Murr, Ferd. Barth, Fritz Neubar, O. Natorp u.a., in Frankreich Jacques Oberthur, Roger Reboussin. Vor allem hat sich jedoch in Nordamerika eine Phalanx tüchtiger Künstler diesem Sujet mit Erfolg gewidmet: Daniel G. Elliot (1835-1915), Rob. Ridgway (1850-1929) und sein Bruder John L. Ridgway, George M. Sutton, Rob. B. Horsfall, Frances Lee Jaques - alles auch bedeutende Feld-Ornithologen - vor allem der geniale Louis Agassiz Fuertes (1874-1927) und der in Indien geborene, in British Columbia lebende Allan C. Brooks. E.H. Forbush' ‘Birds of Massachusetts’, 1925-29, vereinigt ihre schönsten Tafeln. In Amerika war es auch, wo Ernest Thompson Seton (1860-1946) als erster wagte, wissenschaftliche Bücher mit rein künstlerisch aufgefassten Tierskizzen zu illustrieren, um Mimik und Bewegung zu vergegenwärtigen, eine Methode, die heute der Münchner Zoologe Hans Krieg mit gleicher Meisterschaft handhabt.

Doch auch auf anderen, der Miniaturmalerei mehr gemässen Gebieten hat die Zoologie heute Leistungen aufzuweisen von einer bewundernswerten Lebendigkeit und Frische, wie etwa die Fischund Reptilienbilder von P.J. Smit, James Green, Paul Flanderky (1872-1937), Ray Nyst, die Insektenbilder des Letzteren oder von Alex. Reichert (1859-1939), A.J. Engel Terzi, Paul A. Robert u.a. Wenn man erfährt, dass beispielweise der eben erwähnte, am British Museum tätige A.J. E. Terzi, ein gebürtiger Sizilianer, seine entomologischen und medizinisch-anatomischen Zeichnungen auf über 37000 beziffert, dass er 55 Bände und über 500 Zeitschriften-Aufsätze illustriert hat, wird man gewahr, welche Arbeit hier still geleistet wird und dass es sich lohnen mag, etwas mehr darauf zu achten: Et hic di sunt!

Claus Nissen