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den Film eine ganz neue Richtung zu weisen. Ich erinnere Sie an diese Göttermontage in ‘Zehn Tagen’ von Eisenstein.
Eine Arbeit innerhalb der Filmindustrie zur Auflösung des oben erwähnten Konflikts kommt also nur sehr begrenzt in Frage, wenn man wirklich produktiv am Film arbeiten will.
Einen weiteren Beitrag zu diesem Konflikt liefern die Autoren, mit denen zum. Zwecke einer positiven Arbeit etwa zusammen zu arbeiten wäre. Im Allgemeinen gehen alle Vorschläge und Manuskripte, auch der jüngsten Autoren darauf aus, Probleme durch den Schauspieler interpretieren zu lassen. Sie schreiben immer noch mehr für das Theater als für den Film. Ich habe dagegen Stellung genommen, aber man hat mich auf den Russenfilm verwiesen, in dem doch auch zum grossen Teil Schauspieler, resp. Personen, Träger der Handlung sind. Mein Einwand dagegen, dass der Schauspieler im russischen Film prinzipiell nicht als Träger der Handlung anzusehen sei sondern in der Montage ein dialektisches Mittel bedeutet, andernfalls aber auch im russischen Film fehlerhaft sei, wurde nicht verstanden. Der Unterschied wurde vielmehr als eine Nuance bezeichnet. Man hält es im allgemeinen nicht für möglich, dem Film eine erschüternde Wirkung zu geben ohne eine durch Personen dargestelte Handlung.
Aber es nicht einmal nötig in jedem Film Erschütterungen von der Art des Potemkin zu erreichen, es ist auch nicht wünschenswert. Wir würden sehr bald gegen solche Eindrücke abgestumpft sein. Die menschliche Natur hat viele Wege auf denen man zu ihr gelangen kann, von der stärksten Dramatik bis zur empfindsamsten Lyrik. Ein Teil der Generallinie, die Scenen mit dem Milchseparator, haben eine Formgebung, die weder mit Naturalismus noch Realismus etwas zu tun haben. Diese Scenen sind dichterisch frei, weder beschreibend noch symbolisch, sondern ganz einfach Poesie. Die Gewalt, die von diesen Stücken ausgeht, ist nicht attraktiver Art, nicht erschütternd, atemraubend, potemkinisch etwa, sondern einfach verführerisch, bezaubernd im wahrsten Sinne. Ich habe dieses Beispiel aus Eisenstein gewählt, um einen Kronzeugen dafür zu haben, dass selbst, wenn (wie bei den Russen selbstverständlich ist) auf Massenwirkung abgezielt wird, der Stil doch keineswegs populär zu sein oder sich anzupassen braucht, sondern sehr gut Ansprüche stellen kann.
Welche Versuche auch gemacht werden, um zu einer entsprechenden Lösung des Konflikts zu kommen, es wird sich immer um zwei Entscheidende Punkte handeln, nämlich den: den Film nur mit seinen ureigenen Mitteln aufzubauen, mit anderen Worten, ihn in jedem kleinsten Teil von einer reproduktiven Kunst zu einer produktiven zu machen. Wie oft hat man nicht marschierende Soldaten im Film gesehen. In Sturm über Asien hat Pudowkin eine ausserordentlich glückliche Lösung für einen bisher scheinbar nie geformten Vorgang gefunden. Er nahm das Antreten und Umdrehen der Soldaten durch Zeitlupe, dann später das Marschieren durch Zeitraffer auf. Eine solche Formung des Vorgangs hat mit einfacher Beobachtung nichts mehr zu tun und bedeutet richtige und freiste Anwendung der eigentlich filmischen Mittel.
Die Aufgaben dazu beginnen bei dem allereinfachsten. Ich hatte in einem Tonfilm ‘Alles dreht sich’ einen Mann zu zeigen, der ein verlorengegangenes Mädchen sucht und verfolgt. Ich habe versucht das durch Schwenken der Apparatur, Schwenken des Kopfes und rythmischen Dazwischenschnitt von ein paar laufenden Beinen zu lösen. In jedem Falle habe ich vermieden, das Hin- und Hergehen, das im Film naturgemäss eine sehr grosse Rolle spielt, einfach naturalistisch ‘stehen’ zu lassen.
Aber, ob es sich um den reinen Dokumentfilm handelt, wie zum Beispeil die ‘Brücke’ von Ivens, oder um attraktive Filme, solche, die auf eine direkte Erschütterung abzielen, ist gleich: es kann sich immer nur darum handeln, die Dinge in ihrer filmischen Form zu erfassen, nicht aber nur sie festzuhalten. Nur, wenn wir der Forderung gerecht werden, den Film ausschliesslich aus hundertprozentigen filmischen Mitteln aufzubauen, können wir den Film schliesslich zu einer universellen, jeden Gedanken und jedes Gefühl tragende Sprache machen. Zur Erreichung dieses Ziels ist die Arbeit der Avantgarde wie sie war und wie sie ist eine Notwendigkeit. Ich glaube damit den einen Teil des Gebiets, wie ich es sehe abgegrenzt zu haben. Der andere Teil besteht in der Auseinandersetzung, die wir notwendigerweise mit der dialektischen Methode unternehmen müssen, um imstande zu sein, die von