Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden. Deel 88
(1973)– [tijdschrift] Bijdragen en Mededeelingen van het Historisch Genootschap– Auteursrechtelijk beschermd
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12. Huizinga und die Kunstgeschichte
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Zeit einen anderen Historiker, der ein Werk wie Friedländers Altniederländische Malerei Band für Band mit persönlicher Kritik rezensieren könnte? Oder der eine Monografie von beträchtlicher Länge über einen zeitgenössischen Maler zu veröffentlichen wagte? Und beides keineswegs aus angelernter Handbuchweisheit, oder in Abstimmung mit akzeptierten Kunsturteilen. Wollen Sie einige von den erstaunlichen, persönlichen Beobachtungen vernehmen? Der Meister von Flémalle, stellt Huizinga fest, ist ein viel geringerer Künstler als Rogier van der Weyden. (III, 493) Für uns ist er einer der Großen, Rogier sein raffinierter Schüler. Oder: die singenden Engel auf dem Genter Altar sind das ärmlichste, was wir von van Eyck kennen. (III, 354, 464; etwas weniger scharf: III, 321, 329, 453) In der gängigen kunsthistorischen Literatur seiner Zeit hat Huizinga diese Lästerung sicherlich nicht gefunden. Mit Erstaunen und Bewunderung lesen wir, daß Huizinga bereits 1941 von dem damals gefeierten Emmausbild von Vermeer zu schreiben wagte, daß es ‘im Ausdruck höchster Weihe mißglückt sei’. (II, 487) Im Freundeskreis soll er sogar ausgesprochen haben, daß er den Stil des 17. Jahrhundert in dem Bild nicht erkenne!Ga naar voetnoot3. Wie recht hatte er: es war eine Fälschung! Er hat Kritik an und Bewunderung für Claus Sluter. Aber doch: ‘der Künstler hat ein “zuviel” im Hinblick auf die reine Kunst’, ‘seine Propheten sind wirklich zu expressiv, zu persönlich’, die wunderbar poetischen Engel dagegen ‘in ihrer naiven Zartheit unendlich viel Engelgleicher als die von van Eyck’. (III, 321) Übrigens kannte Huizinga die mittelalterliche Bildhaukunst gut: Die Skulpturen von Bamberg und Naumburg sind ihm vertraut; (IV, 283) er gibt in einem Satz seine Auffassung von dem seiner Meinung nach begrenzten Möglichkeiten der Bildhaukunst von den Römern bis zu Houdon und Pajou (III, 320) oder eine lustige Charakterisierung von Veths Villa in Bussum: ‘von außen hatte dieses Haus etwas flaches, und dadurch kriegte es nicht die süßliche Ländlichkeit, die de Bazel seinen anderen Schöpfungen dieser Art mitgab’. (VI, 384) G.N. Clark, Provost von Oriel College, wanderte mit ihm durch die Pfade von Oxford. Es war Huizinga, der ihm die dekorativen Motive an den Gebäuden und die Bedeutung von Hawksmoors Zwillingstürmen erläutern wollte. Clark kam tief unter den Eindruck dieser ‘starken, sicheren Persönlichkeit, in dessen Inneren sich eine künstlerische Empfindsamkeit verband mit der Entschlossenheit, die historische Wahrheit zu erforschen’.Ga naar voetnoot4. In seinem Mijn weg tot de historie - es sind autobiographische Aufzeichnungen aus den letzten Jahren seines Lebens - erzählt Huizinga, wie er mit einigen Freunden seine Vaterstadt Groningen aus ihrem kulturellen Schlaf holen wollte. Man organisierte Ausstellungen, man kaufte selber den grünen Samt für den Fond von Bil- | |
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dern des Jan Toorop. Das war im Jahre 1896. Vorher hatte man van Gogh ausgestellt - Huizinga war nicht dabei, er war damals in Leipzig. Andere Ausstellungen folgten. Huizinga berichtet sowohl von dem vergeblichen Versuch, das Publikum mit Trompetengeschall ins Museum zu locken, als auch von Toorop ‘mit seiner zauberhaften, sanften Stimme und seiner nicht stets bezaubernden Beredsamkeit’; er erwähnt den Kunstpropagandist H.P. Bremmer, ‘einen fremden Asketen, der gerade entdeckt hatte, wie man von 10 cents einen Tag lang leben könnte’. (I, 24-6) Diese künstlerischen Erlebnisse fügen sich sinnvoll in den Werdegang des Historikers. Die Verbundenheit mit der Bewegung der ‘Achtziger’ und danach der Kreis um die Kroniek von P.L. Tak hatten für Huizinga eine literäre und Bild-ästhetische Prägung. W. Thys hat uns diese Periode mit großer Eindringlichkeit fesselnd beschrieben.Ga naar voetnoot5. Später schreibt Huizinga etwas spottend über diese Bewegung: ‘sie lehrte uns die Wissenschaft tief unter die Kunst zu stellen’, aber gleich darauf folgt das Bekenntnis: wie sehnte ich mich nach Bekanntschaft mit der bildenden Kunst, die in Groningen doch nur dürftig zu erlangen war. (I, 19) Seine Antrittsvorlesung von 1905 hat dann auch den Titel, der uns nicht mehr überraschen kann: ‘Der ästhetische Bestandteil geschichtswissenschaftlicher Begriffe’. Der Kunsthistoriker ist beim Lesen dieser geschichtsphilosophischen Betrachtung enttäuscht. Eine ästhetische-kunsthistorische Untersuchung ist diese Rede natürlich nicht. Sie war eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Strömungen, vor allem deutschen, zur Methodik der Geschichtswissenschaft.Ga naar voetnoot6. Was aber für Huizingas historisches Denken so kennzeichnend ist, und was den kunsthistorischen Leser so fesselt, ist die hier vorgetragene These, daß die erste historische Erkenntnis sich als Bild formt, und daß das historische Bild stets eine stärkere, lebendigere Farbe haben wird, als der logische Wortgebrauch vermitteln kann. (VII, 25-6) Das historische Leben kann nicht in der Form von allgemeinen Begriffen erfaßt werden, sondern nur in ‘Wirklichkeiten’, in der Individualisierung (VII, 6) und - möchte man hinzufügen - in Bildern. In dieser eigenartigen Verknüpfung von Kunst- und Geschichtswissenschaft ist die Kunst nicht Illustration zum erdachten oder analysierten System. Diese Ambivalenz von Anschauung in der Geschichte und der intellektuellen, sprachlichen Festlegung hat Huizinga sein Leben lang beunruhigt. Manchmal liegt der Nachdruck mehr auf der intellektuellen, manchmal mehr auf der visuellen Seite. ‘Das Erkennen des Historischen’, so heißt es an einer Stelle ‘läßt sich am besten ausdrücken als das Schauen von Bildern oder besser als das Aufrufen von Bildern (vorläufig ganz offen gelassen, | |
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was man unter Bild verstehen muß)’. (I, 35) Nachdem Huizinga so den ersten historischen Kontakt als Sensation (sensatie) oder mit dem deutschen Wort Ahnung umschreibt und an Beispielen illustriert, postuliert er, ‘daß die intellektuelle Erkenntnis unserer Kultur nicht die Mythe sondern die kritische Wissenschaft sein muß.’ (VII, 79) Mit scharfem, wohl übertriebenem Spott verurteilt er die romantischen, quasi-philosophischen Künstler-Biographien einer ästhetisierenden Gefühls-Geschichtsschreibung von Emil Ludwig, Hausenstein, Timmermans und anderen. (VII, 66) Wollte er damit einmal ganz deutlich sagen, daß sein Herbst des Mittelalters bei allem Reichtum an ästhetischer Beschreibung diesem Genre nicht zugehört? Im Laufe der Jahre hat der Historiker Huizinga auch eine Rolle gespielt im kunsthistorischen Betrieb Hollands. Er war Mitglied und viele Jahre Vorsitzender einer Kommission, die sich mit der Neuorientierung der holländischen Museen beschäftigte. Die Scheidung zwischen Kunst- und historischen Museen spielte damals eine große Rolle.Ga naar voetnoot7. Schmidt-Degener hatte aus dem Rijksmuseum alles entfernt, was nicht zur ästhetischen Erziehung und zum künstlerischen Erleben des Besuchers beitrug. Aus dem Rest könnte man ein historisches Museum machen. Huizinga widersetzte sich dieser Anschauung. Seine Überzeugung war, daß ein historisches Museum nur dann sinnvoll funktionierte, wenn man dort mit den echten Zeugen der Vergangenheit konfrontiert würde. Nur im Anschauen von den echten Zeugen der Geschichte, sowohl von Kunstwerken als von echten Dokumenten erfährt man ‘das beinahe ekstatische Erkennen der Vergangenheit’. (II, 566) Den ästhetischen Genießern will er deutlich werden lassen, daß bei der Freude an alter Kunst das Erfahren des Schönen unzertrennlich verbunden ist mit dem historischen Erlebnis. (II, 571) Es hat jetzt keinen Sinn mehr, den damaligen Streit in der Museumpolitik weiter auszumalen. Wir müssen Schmidt-Degener dankbar sein, daß er uns von den übervollen Museumswänden erlöst hat. Die Kunstgeschichte hat aber eingesehen, daß die ästhetisierende Stilgeschichte, die sich von einem Kunstwerk hohen Ranges zum nächsten schwingt, auch nur eine der zeitbedingten Interpretationsmöglichkeiten ist. Und jeder empfindsame Museumbesucher wird moments of vision in einer historischen Schau empfangen können, wenn er sich dem Anblick eines Prunkstückes der Kunst und der historischen Kultur hingibt. Das Ärgerliche an historischen Sammlungen oder Ausstellungen ist gerade, wenn man in der Masse von Dokumenten und Illustrationen keinen Höhepunkten des Echten und Charaktervollen begegnen kann. Daß Huizinga die Erhaltung von städtischen Monumenten am Herzen lag, wer hätte es anders erwartet von einem Historiker, der die Schönheit der Welt in der Weisheit des Vergangenen erlebte. Er hat wiederholt dafür geeifert und darüber geschrieben. (II, 579-588) Andrerseits war ihm das Alte nicht nur um die- | |
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ser romantischen Flucht in die Vergangenheit lieb. Als Historiker sah er wie aus dem Alten das Neue entsteht, daß im scheinbar Altmodischen oft das Neue verborgen liegt. In einem bestimmten Falle wollte er den Kunsthistorikern zeigen, wie das, was wir Kunsthistoriker als das Neue empfinden, im Wesen die letzten Blüten des mittelalterlichen Geistes sind. Diesem Buch, Der Herbst des Mittelalters, in erster Auflage 1919 erschienen, wenn man von Vorstudien wie ‘De Kunst der Van Eyck's in het leven van hun tijd’ absieht, müssen wir uns in erster Linie zuwenden, wenn wir über Huizinga und die Kunstgeschichte etwas aussagen wollen. Über die Entstehungsgeschichte des Buches schreibt Huizinga zurückblickend, daß die ersten Ideen dazu bereits im Jahre 1907 entstanden. Es war die Kunst der van Eycks, die ihn ungemein fesselte. Man hatte sich angewöhnt, um die altniederländische Kunst dieser Zeit zu sehen als eine im Norden aufbrechende Renaissance. ‘Meine Auffassung war dieser Interpretation völlig entgegengesetzt’. (I, 39) In Mijn Weg tot de historie heißt es: ‘Die Ausstellung in Brügge im Sommer von 1902 ist für mich von großer Bedeutung gewesen’. (I, 32-3) Es ist, als ob man die Stimme eines jungen Kunsthistorikers höre, der sich mit den Ansichten einer älteren Generation auseinandersetzt. Übrigens auch Hulin de Loo und Max J. Friedländer haben in ihren jungen Jahren einen enormen Impuls von dieser Ausstellung empfangen. Huizingas Buch sollte erst den Titel tragen ‘Im Spiegel von van Eyck’, gemeint ist damit der Spiegel im Hochzeitsbild des Arnolfini in London. Später wollte er es nennen, ‘Das burgundische Zeitalter’. Übrigens auch der Titel, unter dem das Buch erschien, gefiel Huizinga nicht so recht; er war zu gefühlvoll, zu poetisch. In der Wandlung des Titels spürt man übrigens die Tendenz, die Kunst (der van Eycks) im Zusammenhang mit dem ganzen Leben der Zeit zu begreifen. (III, 4) Die Kunst selber wird erst in den letzten Kapiteln des Buches behandelt. Ich will nicht behaupten, daß die Kunstbetrachtung im Herbst des Mittelalters zum Anhang geworden ist, nachdem sie ursprünglich der Ausgangspunkt gewesen war. Sie hat jetzt ihren logischen Platz im Denkgefüge des Mannes, der davon ausgeht, daß die allgemeine Kulturgeschichte der Kunstgeschichte den Weg bereiten muß, will sie ihre Aufgabe gut erfüllen, (III, 486) daß - mit anderen Worten - die Geschichte die Mutter der Kunsthistoriker ist, (II, 569) und daß im besonderen Stilgeschichte allein noch keine Kulturgeschichte ist. (VII, 46) Was das letztere anbetrifft: natürlich nicht, würde ich als Kunsthistoriker antworten, aber impliziert dieser Ausspruch, daß Kunstgeschichte nur sinnvoll zu betreiben ist, nachdem ihr ein Platz in dem großen Ganzen der Kulturgeschichte angewiesen worden ist? Wenn man nun einmal absieht (was aber letzten Endes das Bleibende an Huizingas Darstellung ist) von der reichen Schilderung der burgundischen Kultur und Politik auf Grund der literarischen Quellen - Huizinga erzählt, wie er ‘in dem langen warmen Sommer von 1911 mit 25 Bänden Froissart in Toornvliet saß’ (I, 39) und | |
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er bekennt einem Freunde, daß ihm das Buch sehr viel Mühe gekostet habe -, wenn man nun von diesem beschreibenden Teil absieht, so ist die These des Buches: die burgundische Kultur des 15. Jahrhunderts ist mittelalterlich, spätgotisch, jedoch kein Verkünder der Renaissance. Huizinga widersetzt sich dem von Jacob Burckhardt geprägten, an der italienischen Kunst aufgezeigten Renaissancecharakter der Periode, und schart sich an die Seite der ‘revoltierenden Medievisten’ unter den Historikern, die eine Abgrenzung von Renaissance und Mittelalter verneinen. Für Huizinga ist das Wesen des Jahrhunderts noch flamboyant. Die Kunst ist undurchsichtig, übervoll und extravagant in einem System von formalistischen Spielereien. Mit der Kunst der van Eycks hat die malerische Wiedergabe der heiligen Dinge einen Grad von Kleinmalerei erreicht, - an anderer Stelle spricht Huizinga vom ‘erschütternd peinlichen Naturalismus der van Eycks’ (IV, 253) - den man vielleicht kunsthistorisch einen Beginn nennen kann, der aber kulturell ein Ende bedeutet. (III, 330) Man könnte die Frage der Terminologie Spätgotik-Renaissance auf sich beruhen lassen, und in jedem Fall Huizinga rechtgeben, daß das 16. Jahrhundert diesen neuen Renaissance-Geist besser zeige. Huizingas These bleibt aber: die Grenzen zwischen Mittelalter und Renaissance sind fließend, wobei er den Renaissancebegriff am liebsten überhaupt ausschalten möchte, denn auch in diesem sog. Renaissance-Zeitalter ‘bleibt für uns stets viel, wobei wir die Gemeinschaftlichkeiten kaum aufweisen können’. (IV, 308) Charakteristisch ist seine Kunstanalyse der Zeit, die lautet: In den Werken der bildenden Kunst des 16. Jahrhunderts spürt man eine Reife und Fülle, eine Sättigung der Farbe, das nicht mehr primitive. Dies ist aber eine Sache der Qualität allein, die nichts mit dem Grundcharakter der Kunst zu tun hat. Die Kontinuität mit der Vergangenheit bleibt gewahrt und ist ausschlaggebend. (IV, 274) Es sind hier verschiedene Probleme im Spiele: Erstens: Das Wesen der niederländischen Kultur im 15. Jahrhundert (Gotik oder Renaissance), dabei die Frage der Gleichzeitigkeit und der Gleichwertigkeit der verschiedenen Kulturäußerungen (bildende Kunst, Literatur, Musik usw.); zweitens die Brauchbarkeit des Renaissancebegriffes, und schließlich mehr im allgemeinen die Periodisierung der Geschichte und Kunstgeschichte versus einer Betonung des kontinuierlichen Verlaufs der Geschichte, der zudem bei Huizinga einem Niedergang zuzustreben scheint. Der Kunsthistoriker, fasziniert von Huizingas Schilderung der blühenden Dekadenz am burgundischen Hof, im Gegensatz zu dem trüben, elenden Leben der Bürger, kann sich nur schwer entschließen, hier, aus dieser so dunkel geschilderten Welt, die strahlende Kunst der van Eycks ‘besser zu verstehen’. Sollte die Kunst des Jan van Eycks, ‘varlet de chambre’ des Herzogs, nur dazu gedient haben, um den nichtigen Hoffesten Glanz zu verleihen oder - aber das ist nicht Huizingas Überzeugung - sollte diese Kunst dem Sehnen nach schönerem Leben Ausdruck | |
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verleihen? Die Kunst und damit die Kultur des 15. Jahrhunderts wird dem Kunsthistoriker jedoch verständlicher, wenn er sich von dem vorherrschenden drückenden Bild der spätmittelalterlichen Kultur lossagt. Jede Phase, die wir in unserem Geschichtsbild aufrufen, ist kompliziert, sie erscheint uns stets als eine Mischung von Altem und Neuem. Wir haben von Panofsky gelernt - und das würde Huizinga erfreuen -, in den Bildern der van Eycks nicht nur die Beobachtungsfreude des neuen Naturalismus zu erleben, sondern auch das Fortleben einer mittelalterlichen Symbolkunst, die hier verschleiert auftritt. Daneben aber sind die neuen künstlerischen Elemente, die lebensvolle Farbigkeit, die energische Linienführung, die Ansätze zur räumlichen Wiedergabe von Heim und Heimat, von gesehener und erträumter Landschaft so stark und fesselnd, daß man diese ars nova der älteren internationalen Gotik gegenüberstellen muß.Ga naar voetnoot8. Sollte man in dieser Gotik um 1400, in diesen Bildern höfischer und bürgerlicher Zierkunst von zarten Farben, schwingenden Konturen und goldenem Glanz nicht eher die letzten Zeugen der Kunst des ausgehenden Mittelalters sehen, die auch am burgundischen Hof fortleben? Übrigens ist die Kunstgeschichte vorsichtiger geworden in der Parallelsetzung von künstlerischen Erscheinungen untereinander oder mit kulturgeschichtlichen Phänomenen. Man spricht seit Kubler von relativen Zeiten, vom ‘Gleichzeitigen [in der Zeit] des Ungleichzeitigen’ [im Charakter]. Und dann: Ist es übrigens wichtig, die kunstgeschichtliche und kulturgeschichtliche Einschätzung des 15. Jahrhunderts so ausschließlich aus Jan van Eyck und dem Lebensstil des Hofes abzuleiten? Die Kunsthistoriker sehen vielmehr in dem Stadtmaler Robert Campin (d.h. in dem von Huizinga so geringgeschätzten Meister von Flémalle) den wahren Begründer des neuen Stils in den Niederlanden. Soviel ist sicher, daß sein Stil und der seines Schülers Rogier, des Stadtmalers von Brüssel, das Bild der niederländischen Kunst für die nächsten Jahrzehnte nachdrücklicher geprägt haben als die Malerei des Hofmalers Jan van Eyck. Ob wir die neue Schau ohne weiteres Renaissancekunst nennen müssen, das ist eine andere Sache. In allen Künstlern dieser Generation bleiben, wie gesagt, mittelalterliche Vorstellungen und mittelalterliche Formensprache mitschwingen, aber es wird deutlich, daß neue Ideale aufkommen: die Kunst wird autonom, der Künstler löst sich vom Handwerk. Jan Białostocki, dem wir die letzte bedeutende Gesamtschau auf diese Zeit verdanken, gebraucht ein hübsches Bild: Die Epoche, die mit dem Jahr 1500 endete, so sagte er, hatte sich auf mittelalterlicher Bühne abgespielt; die Kostüme der Akteure waren von spätgotischem Schnitt, das Spiel selbst aber reichte über die Grenzen des Mittelalters hinaus. Die Schauspieler selbst wurden durch die von ihnen gespielten Rollen so verändert, daß die spätgotische Szenerie im letzten Aufzug schon den Auftritt des modernen Künstlers sah. | |
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Sein Buch hatte den Titel Spätmittelalter und beginnende Neuzeit.Ga naar voetnoot9. Huizinga hat nicht umsonst geschrieben, wenn auch - um seine eigenen Worte zu paraphrasieren - die Kunstgeschichte in diesem Fall zur Aufgabe hat, sich von ihm zu lösen. Nicht nur im Herbst des Mittelalters spielt das Problem von Gotik und Renaissance. Bekanntlich hat Huizinga dem ‘Problem der Renaissance’ (unter diesem Titel) eine eigene Studie gewidmet. (IV, 231-75) Er kommt zu dem Schluß, daß der Begriff Renaissance nicht festliegt, weder in den zeitlichen Begrenzungen noch im Wesen seiner Erscheinungsformen. (IV, 269) Für Huizinga liegt eine wahre Scheidung nur zwischen der modernen Kultur und der mittelalterlichen. Dazwischen liegt die Renaissance als Übergangszeit, ‘die man unwillkürlich zu viel der modernen Seite zurechnet’. (IV, 270) Im Gegenteil, ‘Die Renaissance als Ganzes bleibt noch der alten (= mittelalterlichen) Geisteshaltung zugewandt’. (IV, 271) Zwar gibt er zu, daß man den Begriff, da er sich nun einmal eingebürgert habe, in seiner Kompliziertheit und inneren Gegensätzlichkeit handhaben muß (IV, 275) - um bei der ersten besten Gelegenheit dem Leser den Rat zu geben, lieber die Begriffe Renaissance, Romanismus und Reformation wieder zu vergessen. Es sind dieselben Klagen: Die Grenzlinien in der Periodisierung - hier zwischen Mittelalter und Renaissance - werden zu straff und grob gezogen, was sich mit dem Reichtum - und ich möchte sagen - mit der Wirklichkeit der Geschichte nicht verträgt. Er kommt auf dieses Problem bei einer ausführlichen Buchbesprechung zu Veth-Mullers Ausgabe von Urkunden zu Albrecht Dürers niederländischer Reise; er bespricht dabei zwei Typen von Dürerzeichnungen, einerseits die urwüchsigen, spontanen, unmittelbar packenden und anderseits die mit harmonischen Rundungen und weltlicher Eleganz. ‘Leg die Blätter nebeneinander, aber schweig dabei, darum will ich Euch bitten, von Mittelalter und Renaissance. Das würde alles verderben’. (IV, 326) Amüsant ist auch Huizingas Tadel zu dem in der Kunstgeschichte oft gebrauchten Term ‘Romanismus’ für italianisierende Renaissanceformen in der niederländischen Malerei des 16. Jahrhunderts. Huizinga sieht in dem, was Winkler und andere ‘Romanismus’ heißen, vielmehr einheimische, aus dem 15. Jahrhundert stammende Tendenzen, die er vorläufig unter dem Begriff ‘Rederijkerij’ fassen will. (III, 485-6) Es ist auffallend, daß Huizinga hier wiederum auf eine einheimische, mittelalterliche Tradition weist, während der Kunsthistoriker entartetes Renaissancegut wittert, das wir heute mit dem Namen ‘Manierismus’ zudecken. Übrigens entschuldigt er Winkler wegen seines Fehltritts: Nur nachdem die allgemeine Kulturgeschichte der Kunstgeschichte den Weg geebnet habe, kann diese Kunstgeschichte ihre Aufgabe gut erfüllen. (III, 486) Auf den ersten Blick eine gutgemeinte Lehre, | |
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bei näherer Sicht doch eine gefährliche Begrenzung kunsthistorischer Freiheit, die der Kunsthistoriker prinzipiell abweisen muß. Mit Friedländer verfährt Huizinga vorsichtiger. Er kann vieles bewundern, z.B. dessen ‘vornehme Bescheidenheit’; einfach, aber treffend schreibe Friedländer ohne lyrisches Pathos, ohne tiefsinnige Interpretationen und Schönrednerei, was sonst die heutige Kunstgeschichte so ungenießbar macht. Kein Hunger nach Synthese zu jedem Preis, was gegenwärtig den Wahrheitsgehalt der Geschichte bedroht. (III, 486-7) Er tadelt natürlich Friedländers Geschichtsbild der Niederlande als ein einheitliches Gebiet, und er warnt vor dem Zungenspiel eines Feinschmeckers, der die Seelenregungen eines Hugo van der Goes analysieren will. (III, 498) Auch Friedländers Beschreibungen von Boschs Werken grenzen an übermäßige Geistreichheit; (III, 503) die Betrachtung des Holländischen in Lukas von Leyden und Rembrandt sei völlig verfehlt. (III, 511-2) Im Großen und Ganzen aber tritt hier der Historiker versus den Kenner als Korrektor und nicht als Widersacher auf. Der Kunsthistoriker, der Begriffe wie Renaissance, Romanismus, Manierismus und ähnliches gebraucht, wertet sie als Wortträger im Beschreiben und Erkennen von künstlerischen Strömungen. Die erkenntnistheoretische Begründung ist ihm unwichtig. Für den Geisteswissenschaftler, der von Martins Renaissancebegriff in Nachfolge von Burckhardt hochhält, ist Huizingas Geschichtsauffassung von der durchlaufenden Entwicklung schwer zu billigen. H. Schulte Nordholt hat es vielleicht am schärfsten formuliert: ‘Der Gedanke der Renaissance als Wiedergeburt, schreibt er, stammt letzten Endes - siehe Burdach - aus der evangelischen Idee der Wiedergeburt. Läßt man diesen Glauben an Neuschöpfung per saltum und final fallen, dann zerbricht jedes Bild der Wiedergeburt. Ein solcher sieht kein Königreich Gottes, er sieht kein einziges Königreich dieser Welt’. Hier steht Theologie gegen ein von Menschen erarbeitetes Geschichtsbild.Ga naar voetnoot10. Ich persönlich unterschreibe Geyls Kritik auf Schulte Nordholt.Ga naar voetnoot11. Viele Themen, die im Herbst des Mittelalters und damit verbundenen Studien zur Renaissance angeschlagen wurden, kehren in der kurzen, sehr konzentrierten Schrift Holländische Kultur des 17. Jahrhunderts wieder (1932), eine Arbeit, von der es noch eine ausführlichere holländische Fassung aus dem Jahre 1941 gibt. Beinahe gleichzeitig mit der deutschen Ausgabe erschien ein anderer deutscher Aufsatz unter dem Titel ‘Burgund, eine Krise des romanisch-germanischen Verhältnisses’, der einige beherzigenswerte Worte zur Geschichtsforschung enthält. ‘Gerade der modernen Geschichtsforschung’ so heißt es dort, ‘die so geneigt ist, sich zur Erklärung großer Zusammenhänge mit einer seichten Entwicklungsvorstellung zufrieden zu geben, tut es not, mit Nachdruck immer wieder auf die gewaltige Bedeutung des Akzidentellen hinzuweisen’. Jeder Augenblick trägt die Möglichkeit | |
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verschiedener Welten in sich, (II, 239-40) oder an anderer Stelle: bei jeder kurzgefaßten Darstellung irgend eines Geschichtsablaufes wird eine Abkürzung und Vereinfachung betrieben, die das bunte Bild der lebendigen Vergangenheit verkraftet. (VII, 123) Vor allem in der niederländischen Ausgabe der holländischen Kultur hat Huizinga sich bemüht, den Reichtum des Tatsächlichen vor uns auszubreiten. Er bespricht das kleine Land mit seiner demokratischen Struktur und in den Städten konzentrierten Macht der Kaufmannsoligarchie, er untersucht den sozialen Typus in den verschiedenen Klassen, er spricht über Calvinismus und über andere religiöse Eiferer, die die Stadtregierung im Zaum halten muß, und natürlich und wiederum am Ende auch von Kunst, Baukunst, Wissenschaft und Literatur. Er probiert einige holländische Tugenden hervorzuheben: z.B. Sauberkeit, Sparsamkeit und Schlichtheit - mit ihren entsprechenden negativen oder prosaischen Seiten. Auch die doppelte Wortbedeutung des holländischen ‘schoon’ für sauber und schön wird uns nicht vorenthalten, um die Verknüpfung des ästhetischen Begriffes mit dem Ideal der Sauberkeit aufzuweisen - und das hohe Ideal der Sauberkeit wird abgeleitet aus der nationalen Käseherstellung, die nur in sauberer Umgebung gedeihen konnte. Die Zufälle im hollandischen Leben und seiner Geschichte werden nicht übergangen, wie z.B. die Trennung von der älteren Schwester Flandern - jeder Augenblick trägt die Möglichkeit verschiedener Welten in sich. Neu, vor allem für den Kunsthistoriker, ist Huizingas These von dem Entstehen der holländischen Kultur aus den Unvollkommenheiten der veralteten Verfassung und nationalen Gesinnung. Gerade aus dem Fehlen einer starken Zentralgewalt konnte bei einer konservativen Geisteshaltung, bei einem permanenten Status quo sich alles ohne Bruch aus dem Mittelalter entwickeln - genau so wie 200 Jahre vorher uns die sog. neue Kunst der van Eycks als letzte Blüte einer spätmittelalterlichen Kultur dargelegt wurde. Wie anders sieht der Kunsthistoriker das Erblühen der holländischen Kunst! Der Kunsthistoriker möchte Zäsuren legen, die das Alte von der Erneuerung trennen. Mit der Kunst von Frans Hals beginnt für ihn eine neue Ära, Barock überwindet Manierismus. Sicherlich, auch der Kunsthistoriker kennt Übergänge, Vorläufer und Nachzügler, die die Grenzen der neuen Kunst verwischen. Es sind aber nachträgliche Korrekturen zu einem Bild der Kunst des 17. Jahrhunderts, das sich sonnt im Glanz eines jungen, frischen Lebens. Huizinga jedoch, ‘frei von ästhetischer Voreingenommenheit’, wie er sagt (36),Ga naar voetnoot12. legt Wert auf eine ungebrochene Tradition, der Kunsthistoriker liebt zu periodisieren mit Nachdruck auf stets neue Stilmerkmale. Huizinga hat viel Kritik an dem Sprachgebrauch der Kunsthistoriker. Er tadelt den leichtfertigen Gebrauch des Begriffs Barock. Genau wie es mit dem Term Re- | |
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naissance der Fall war, verdeckte er unter dem Schein des Prägnanten den Mangel an exakter Einsicht und täuschte uns eine Einheit vor, die der Wirklichtkeit nicht entspricht. Es kann dann auch nicht verwundern, daß Huizinga letzten Endes farblose, zufällige Periodenamen (wie ‘Zeit Ludwig XIV.’, ‘Mitte des 17. Jahrhunderts’) bevorzugt statt suggestive Etiketten von Renaissance und Barock. (VII, 85) Immerhin, wir haben uns angewöhnt, das 17. Jahrhundert als das Zeitalter des Barocks zu betrachten, und auch Huizinga gebraucht, wie wir gesehen haben, widerwillig diesen Begriff. Zwischen der kunsthistorischen und historischen Handhabung dieses Begriffes ergeben sich aber merkwürdige Differenzen. Die ‘bunte Lebensvollheit’, die Huizinga an einem Stich von Goltzius lobt, (II, 416) würden wir ‘manieristische Spannung’ nennen. Huizinga kennt den Begriff Manierismus überhaupt nicht, obwohl die kunsthistorische Literatur seiner Zeit sich beinahe übernahm an manieristischen Interpretationen. Für Huizinga wird der Geist des 17. Jahrhunderts gekennzeichnet durch ‘die Rückkehr zu der exklusiven Formel, zum strengen Stil, die Beschränkung der üppigen Details’. (5) Haben wir aber nicht von Wölfflin gelernt, daß die offene Form im Gegensatz zur ‘straffen Regel’ (ebenfalls ein Kennzeichen des Barocks im Sinne von Huizinga), das Malerische statt des Linearen Eigenschaften des Barocks sind? Und werden die Werke von Caravaggio, Rubens, Bernini und Borromini vorzüglich charakterisiert durch einen ‘strengen Stil’? Zwar muß der Kunsthistoriker zugeben, daß der Barockbegriff in Wölfflinscher Prägung nicht auf alle Kunstwerke des 17. Jahrhunderts paßt. Der Kunsthistoriker operiert dann mit dem Begriff Klassizismus im Barock. Damit kann man z.B. das ehemalige Rathaus von van Campen in Amsterdam, die Malerei von Vermeer und überhaupt die auf Harmonie ausgerichtete Kunst der Jahrhundertmitte auf einen Nenner bringen - wirklich erfassen kann man sie damit nicht. Darum ist Huizingas Zurückhaltung im Gebrauch dieser Termen durchaus zu Herzen zu nehmen. Am reizvollsten sind die Schlußkapitel, wenn Huizinga die bildende Kunst Hollands vom Standpunkt des gebildeten Historikers aus beschreibt. Erst wird im allgemeinen von den Auftraggebern und dem Charakter der Kunst gesprochen. Sie ist im wesentlichen bürgerlich; sie hat wenig Großes (im Ausmaß) und wenig Großartiges hervorgebracht. Sie hat wenig Phantasie, eine saubere Technik wird hoch angeschlagen. Im Stilleben, aber auch in Darstellungen des täglichen Lebens gesellt sich zur realistischen Schilderung ein Sinnbezug auf Leben und Tod oder auf andere Lehren, die der Volksweisheit entspringen. Huizingas Beobachtungen sind sicher richtig und die Untersuchungen von jüngeren Kollegen nach ‘disguised symbolism’ in der holländischen Malerei haben sie bestätigt. Huizinga weist auch auf die ökonomische Bedeutung der riesigen Bilderproduktion als Kapitalsanlage bei Groß und Klein, übrigens ein bemerkenswerte Äußerung für einen Historiker, der oft mit einer gewissen Souveränität an sozial-ökonomischen Fragen vorbeigeht. (VII, 421) | |
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Psychologische Interpretationen sind ihm ein Greuel. Friedländer wurde bereits deswegen getadelt. Von den Regentinnen des Haarlemer Altersheims heißt es: ‘Mach uns doch nichts weis von Psychologie; verkündige doch nicht, daß der Künstler ihre Seele habe ergründen wollen - der Gedanke lag ihm meilenfern’. (II, 486) Und direkt anschließend: ‘die Schau des Malers - Frans Hals - und seine Hand waren stärker und mächtiger als er selbst wußte oder je in Worten hat ausdrücken können’. Diese krassen Formulierungen waren sicherlich gegen eine ästhetisierende, romantische Kunst- und Geschichtsschreiberei gerichtet, die er stets verachtet hatte. (VII, 57) In Holland hat die anti-psychologische Interpretation gute Arbeiten gezeitigt. Ich denke dabei an die Aufsätze von van de Waal über die Staalmeesters und die von Vincken und de Jongh über die Regentenbilder von Frans Hals.Ga naar voetnoot13. Und nun zu Rembrandt selbst. Er paßt nicht recht in die bürgerliche, holländische Kunst, die Huizinga für uns beschrieben hat. Er, Rembrandt, so heißt es dann, habe nach Gestaltung einer anderen Kunst, einer anderen Welt verlangt als der, in der er lebte. Eigentlich, so meint Huizinga, ist ihm diese Verzauberung nicht geglückt. Die Saskia in Kassel ist plump, das Doppelbildnis in Dresden banal, manche biblischen Bilder lassen den großen Stil vermissen, der Nachtwache fehlt Würde. Andere Werke und vor allem der Claudius Civilis werden gelobt. (II, 491-2; S. 50-1) Abschließend heißt es in der deutschen Ausgabe: Hat nicht Rembrandt vergebens mit dem Geiste des Barock gerungen? (51-2) In der zweiten, holländischen Ausgabe schreibt Huizinga kurzerhand: ‘Weg mit der ganzen Erklärung, weg mit dem Begriff Barock, er verdunkelt eine Einsicht statt sie zu erhellen’. (II, 493) Doch glaube ich, daß gerade der Barockbegriff, in welcher schwebenden Form auch, hier Rembrandts Streben nach europäischer Geltung deutlich gemacht hätte. Mit barockem Pathos, mit barockem Drama (vielleicht sogar Melodrama) wollte er Rubens gleichen, ihn vielleicht übertreffen. Mißlungen würde ich die Werke dieser Periode nicht nennen, wohl ungewöhnlich und in gewissem Sinne unholländisch. Es zeigt sich auch später, daß Rembrandt seine Kunst maß an europäischen Vorbildern. Als das Gefühl für stattliche, ruhige Formen in Holland aufkam, war es Rembrandt, der sich den Quellen des Stiles, Raffael und Tizian zuwandte, der Werke schuf, die dem holländischen Klassizismus Hoheit verschafften. Rembrandts Bedeutung wird erst im Rahmen europäischer Kunstgeschichte erkennbar. So weisen auch andere Themen seiner Kunst über das holländische in engerem Sinne hinaus: Seine phantastischen Landschaftsbilder, auf den ersten Blick so unholländisch, werden sinnvoll und bedeutsam in der Reihe der landscapes of phantasy - um Kenneth Clarks Einteilung zu gebrauchen -Ga naar voetnoot14. die aus der Tradition des 16. | |
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Jahrhunderts erwachsen sind und von Hercules Seghers bis zu Jacob van Ruisdael reichen. Ich übergehe hier andere, auch von Huizinga unberücksichtigte Phänomene wie den Caravaggismus mit Hendrik Terbrugghen, der zu den großen Künstlern Hollands gehört. So geht wiederum und mit Recht die Kunstgeschichte ihren eignen Weg und hält sich nicht an den Platz, den die Kulturgeschichte ihr zugewiesen hat. Im Gegenteil, sie macht diese auf Fehler aufmerksam. Im Falle Terbrugghen ist dies deutlich. Die Kulturgeschichte hat, ohne mit den Werken dieser Künstler zu rechnen, die Bedeutung der katholischen Minderheit als Kulturträger unterschätzt. Freudig stellt der Lehrer der Kunstgeschichte zum zweiten Mal fest, daß letztlich die Stilkritik die seiner Tätigkeit angemessene Methode ist. Zum Schluß noch ein Wort über die einzige kunsthistorische Monographie, die Huizinga geschrieben hat. Sie war seinem Freunde Jan Veth gewidmet: Leven en werk van Jan Veth, 1927. (VI, 339-480) Man hat nicht zu unrecht gesagt, daß zwischen Veth und Huizinga mehr als eine Freundschaft, eine geistige Verwandtschaft bestand. Wer je die Biographie eines Freundes geschrieben hat, wird nachempfinden können, wie sich Huizinga an Veth spiegelte, auch dort wo er ihn kritisierte. In kunsthistorischen Fragen muß Veth für Huizinga manchmal ein Ratsmann gewesen sein. Veths Schrift über die holländische Druckgraphik wird in der Holländischen Kultur des 17. Jahrhunderts ausgewertet. Beide Männer stritten für die Erhaltung der alten Kunstdenkmäler. Veth war nämlich nicht nur Zeichner und Maler, sondern auch Schriftsteller. Das Problem vom schreibenden Künstler hat Huizinga besonders gefesselt. Was ihm bei Veth als Maler besonders reizte, war die Tatsache, daß Veth Bildnismaler war, was dem Historiker und dem Kulturphilosophen Gelegenheit gibt, über die dienende Funktion in der modernen Gesellschaft nachzudenken. Veth bildete sich als Schriftsteller in der Schule der Achtziger (wie Huizinga selber). Der Nieuwe Gids verkündigte die Lehre von der Wortmalerei und - fährt Huizinga fort - ‘Kunstwerke lebendig zu beschreiben ohne literarische Paraphrase ist kaum möglich’. (VI, 427) Und doch ist Huizinga nicht wohl dabei. Er hat dies bei anderen, selbst bei Friedländer bemängelt. Es wird ihm wirklich unheimlich, wenn er sieht, wie Veths literarische Beredsamkeit sich beängstigend tief in das allzu willige Ohr des holländischen Publikums eindringt. (VI, 372). Letzten Endes ist es aber der Künstler in Veth, den Huizinga bewundert und begreift. Seine Kunst war allen Modernismen abhold, sie muß Huizinga als ein Trost in dem wahnsinnigen Kunstbetrieb seiner Zeit erschienen sein - zugleich war diese Tatsache aber auch der Grund, warum Veth, der Maler, in der Folgezeit kunstgeschichtlich unbeachtet blieb. Veth gehörte weder zu den gefeierten Impressionisten, noch zu der soi-disant Idee-Kunst, noch nahm er teil an der monumentalen Gemeinschaftskunst von Roland Holst und der Kinderen. Huizinga bewundert seine Kunst - ‘weil sie wiederum gegenwärtig macht, was vergangen ist. Sie läßt | |
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die wunderliche Verbindung entstehen zwischen vergangenen Generationen und den Lebenden von heute’, empfindet Huizinga. (VI, 388) Tut der Historiker nicht ein Gleiches auf seine Weise, können wir hinzufügen. Huizinga ist getroffen durch die Sorgfalt und den Realitätssinn von Veths Bildniszeichnungen. ‘Das Bildnis von Frans Lebret’, so heißt es, ‘ist ein ganz ausführliches Porträt, wobei jede Gesichtsfalte genau beachtet ist... das sich vertiefen in einen Kopf, das ist richtig gut’. (VI, 356-7) Es sind Veths eigene Worte, die Huizinga zur Charakterisierung seiner Kunst gebraucht. Wir haben heute noch Respekt für Veths Porträtkunst, - aber doch nicht viel mehr als eine gewisse Anerkennung. Auch seine kunsthistorischen Arbeiten gehören nicht zu den klassischen Werken der Vergangenheit. Seiner Kunst fehlt das Markante eines Zeitstiles, seine kunsthistorische Prosa dagegen hat zuviel zeitgebundenes Pathos. Etwas von dem Zeit-unabhängigen in Veths Zeichenstil erkennen wir jedoch in Huizingas eigenen Zeichnungen. Sie sind Illustrationen in frappanter Linienführung ohne jede Allüre, ohne jeden Ehrgeiz, um als Kunst zu gelten. Sie stehen jenseits jeden Stiles, aber sind geistreich und witzig bei einer beinahe kindlichen Erzählerfreude. Sie sind nicht stillos, vielleicht stilfrei, obwohl ich die Illustrationsfreudigkeit der Jahrhundertwende, etwas Jugendstilartiges in den Zeichnungen erkenne. Huizinga wird den künstlerischen Abstand zwischen eigenem Werk und dem seines Freundes ermessen haben, - die Verwandtschaft im Prägnanten war beiden eigen. Veth hatte manchmal 80 Sitzungen nötig, Huizinga war ein Schnellzeichner! Fassen wir zusammen: Jan van Eyck ein mittelalterlicher Künstler; die Renaissance als Übergangsphase, mehr dem Mittelalter verpflichtet als das Neue verkündigend; die holländische Kultur des 17. Jahrhunderts mit einem Rembrandt, der nicht in das Bild bürgerlichen Lebens paßte; eine zwiespältige Künstlermonographie, die einen Freund rühmt, der im Erinnerungsbild unserer Zeit beinahe vergessen ist. Dieses Buch schlug übrigens nicht an, die anderen sog. ‘kunsthistorischen’ Schriften Huizingas um so mehr. Alles zusammen doch außerordentliche, unkonventionelle Schriften eines Mannes, dessen Bourgeois-Gesinnung viele als eine Beschränkung seiner Denkwelt betrachteten. Richtig oder falsch im Vergleich mit kunsthistorischen Erkenntnissen ist in dieser Ebene weniger wichtig als originell oder nicht. Das Originelle grenzt an das Tragische, wenn wir Huizingas negative Einstellung zur modernen Kunst betrachten. Es ist, als ob er sich an das solide Handwerk seines Freundes Veth geklammert habe vor Abscheu von allem, was um ihn herum die Zeitgenossen schufen. Überall wittert er Niedergang und Auflösung. Es wäre eine hübsche Aufgabe, die Seitenhiebe auf moderne Kultur und Kunst, die in allen seinen Arbeiten so hier und da vorkommen, zusammenzustellen. Übrigens in den Schriften, die der modernen Kultur als solcher gewidmet sind, wird die Barbarei | |
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unserer Zeit und die der Zukunft deutlich und grell beschrieben. Nie ein Wort der Freude zur künstlerischen Gestaltung der Welt, in der er selber lebte. Waren ihm die Expressionisten und der Kubismus gleichermaßen verhaßt; die Fauves, die Maler der Brücke und des Blauen Reiters, Klee und Kandinsky, Mondriaan und Picasso? Ja, es ist so. Mißmutig konstatiert er, daß ‘schon gegen 1910 in der Malerei und Graphik Höhepunkte des Absurden und Charakterlosen erreicht waren, wonach nichts mehr kam’. (VII, 570) Bereits Odilon Redon wird getadelt, weil er Formen schafft, die das Auge des praktischen Lebens nicht in der Alltagswirklichkeit wahrnimmt. Goya ist der Anstifter des Verderbs, der bis zu Kandinsky und Mondriaan reicht. (VII, 405) Er verurteilt ausdrücklich Expressionismus und Surrealismus, um ganz zu schweigen von solchen sinnlosen Benennungen wie Dadaismus. Er zitiert mit schlecht verborgenem Hohn eine Lobpreisung auf Chagall, ‘dessen Kunst das Denken ausschaltet’. (VII, 406-7) Er verspottet - übrigens zurecht - Professor Vogelsangs Hymne auf den holländischen Expressionist Erich Wichman. Huizingas Schlußfolgerung: ‘Die Kunst ist zu Tode erschöpft von der ewigen Nachahmung der Natur’. Die Künstler müssen schreien, um ‘Ausdruck zu geben, was sie im Innersten wesenhaft mit sich tragen, wozu aber keine Bildform oder Wort ausreicht’. (VIII, 487) Er verachtet das Kindische in den Manifesten des Futuristen Marinetti. (VII, 399) Hier möchte man die Sturzflut von tadelnder Kritik unterbrechen und fragen: Kannst Du Künstlerschriften nicht als historische Dokumente lesen, die in ungeschulter Sprache zeugen von dunklen, halb begriffenen Kräften, die sich später sinnvoll dem modernen Zeitbild einfügen? Man möchte weiter fragen: hast Du nie Kandinskys Das Geistige in der Kunst (1912) oder das Pädagogische Skizzenbuch (1925) von Paul Klee gelesen, um zu spüren, daß milde Sonne und Besonnenheit die Phantasie dieser großen Schöpfer umschwebt, die träumend und bauend durch eine Welt wandeln, die wir noch nicht kennen? Huizinga hat seine Antwort bereit: Nimmer bis auf die jüngste Zeit hat die bildende Kunst ihre Maxime ars imitatur naturam verleugnet. Wenn nun Kandinsky und Mondriaan das Ding mit Form völlig loslassen, dann geben sie alle Bindung mit den normalen Mitteln menschlichen Erkennens auf. Der Begriff Kunst verliert damit seinen Sinn. (VII, 404-5) Er wandte sich von uns ab. Oh, Professor, wollte ich ihm nachrufen: Sei doch zurückhaltend im Verurteilen. Denk daran, was ein Diktator ‘entarteter Kunst’ antun kann! Er hat den Notschrei des Kunsthistorikers nicht mehr vernommen. Wir schauen noch einmal zurück auf den Werdegang des Mannes. Wir erinnern uns, daß der ehemalige Adept der ‘Achtziger’ berichtet, daß es ‘Bilder’ waren, die er erschaute, die ihn ergriffen, bevor er der Wissenschaft mit dem intelligenten Wort diente. Wir gedenken der Aussage, daß das historische Bild eine stärkere, lebendigere Farbe habe, als der logische Wortgebrauch es ausdrücken kann, und daß die intellektuelle Erkenntnis unserer Kultur nicht die Mythe - darf man interpretieren: | |
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nicht die Schau der Achtziger? - sondern die kritische Wissenschaft ist. In der Entstehungsgeschichte vom Herbst des Mittelalters heißt es, daß sich in den Jahren der Vorbereitung sein ‘Blick, auf was ich geben wollte, stets verschob’. (I, 39) Vom Bild zum Wort vielleicht? Die Bedeutung des Bildes als Mittel der Erkenntnis wird bei Huizinga stets mehr zurückgedrängt, ja es wird direkt zur Negation der intellektuellen Arbeit. In der Einleitung zur niederländischen Fassung der Holländischen Kultur des 17. Jahrhunderts konstatiert er, daß die intellektuelle Betätigung unserer Zeit sich auf das bloße Sehen zurückzuziehen scheint. Der Gebildete des 19. Jahrhunderts las noch über die Geschichte seines Vaterlandes. Heutzutage aber wird den Menschen so viele visuelle Information angeboten, daß man lesen - und das Denken über das Gelesene - vernachlässigt. (II, 414) An anderer Stelle wird Huizinga aggressiver: Das Wort verliert mit dem Fortschreiten der Kultur an Wert. Es wird leicht und leichtfertig verbreitet, Radio und Kino läuten die Barbarei ein. (VII, 412-5) Und was ist der Fortschritt in Wirklichkeit? Wir ermessen ihn, wenn man die heutige Welt mit der vor 100 Jahren vergleicht: ‘Man muß doch wohl merkwürdig blind sein, zu meinen, daß das Jahrhundert von der Gasmaske, mit der Schweineschnauze der eigenen Schande vor dem Gesicht, irgendeinen Anlaß habe, auf die vorigen Jahrhunderte herablassend niederzuschauen’. Die schlimmsten Fehler jener Zeit sind nichts verglichen mit den Unmenschlichkeiten unserer Zeit. (IV, 408) Unserer Zeit, ja. Wer ein so geschlossenes Bild des Zerbrechens unserer Kultur heraufbeschwört, kann die Bildnerei unserer Zeit nicht anders sehen als Teilhaber am Verderb dieser Kultur. Wir müssen der Geschlossenheit dieses Weltbildes Ehrerbietung beweisen, auch geht die bildende Kunst, die wir lieben, darin verloren. Es wäre inkonsequent von Huizinga zu verlangen, diesen grandiosen Pessimismus aufzugeben. Ich persönlich glaube an die pessimistische Haltung von Huizinga, im Gegensatz zu Prof. Gombrichs Interpretation des letztendlichen Optimisten.Ga naar voetnoot15. Eine Frage bleibt: hätte eine verständnisvolle und unvoreingenommene Betrachtung der modernen Kunst den Kulturpessimismus, der Huizingas intellektueller Einsicht entsprach, aufgehoben? Ich glaube es nicht. Die moderne Kunst war ihm in vielerlei Hinsicht verdächtig: Sie war abstrakt und daher aussagegehemmt, sie war expressiv-schreiend statt würdevoll-dienend, sie unterschied sich nicht wesentlich von der Barbarei in Radio und Film. Aber auch außerhalb der Fragen zur modernen Kunst bleibt der Kunsthistoriker mit dem Historiker Huizinga im Gespräch. Die crux der Sache liegt wohl in des Kunsthistorikers Wunsch nach Autonomie. Die Kunstgeschichte muß ihren eigenen Weg gehen, ihre eigene Wissenschaftstheorie begründen. Sie darf sich nicht | |
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begnügen mit dem Platz und dem Raum, den die Kulturgeschichte ihr zugewiesen hat. Der Kunstgeschichtler ist des Historikers Nachbar, nicht mehr - aber auch nicht weniger. Mit ihm muß er ein Gespräch führen - ich vermeide den Ausdruck ‘sich auseinandersetzen’. Weise Worte des Historikers hat er sich zu Herzen genommen. Huizinga hat ihm den Glauben an die Allmacht und Allweisheit der Stilbegriffe entnommen. Er hat ihn auf das Einmalige und das Einzigartige der historischen Wirklichkeit gewiesen. Wir haben überdies mit ihm gelernt einzusehen, daß jeder Augenblick in der Geschichte kompliziert ist. Jede Zeitspanne kann als Einheit oder als Zusammengesetztes gesehen werden. Jede deutlich umschriebene Stilbezeichnung unterschätzt die Nebenströmungen und die Übergangsphasen. Das nachbarliche Gespräch war ergiebig. Im übrigen: ob Huizinga recht oder unrecht habe bei der Interpretation der Vergangenheit oder im Ausblick auf die Zukunft, ist uns in historischer Sicht weniger wichtig, als ob seine Gedanken unser Verständnis für Kunst und Geschichte bereichert haben. Mit den Worten Geyls gedenkt der Kunsthistoriker dankbar der Begegnung mit dieser Persönlichkeit: Wir haben nur einen Huizinga. |
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