Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden. Deel 86
(1971)– [tijdschrift] Bijdragen en Mededeelingen van het Historisch Genootschap– Auteursrechtelijk beschermd
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Aspekte und Probleme der Reform des niederländischen Kriegswesens unter Prinz Moritz von OranienGa naar voetnoot*
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wesens unter Moritz von Oranien, soweit es eingehende, kritische Untersuchungen anlangt, verhältnismäßig spät zugewandt; man kennt etwa die Darstellungen von G. Roloff oder H. DelbrückGa naar voetnoot4.. Indes blieb es niederländischen Historikern vorbehalten, hier die ersten gründlicheren Forschungen vorzulegen; dazu gehören zunächst die Studien von J.A.G.C. Trosée, die beiden ersten Bände des umfassenden Generalstabswerkes Het Staatsche Leger oder die Biographie Wilhelm Ludwigs von Nassau aus der Feder von L.H. WagenaarGa naar voetnoot5.. Insonderheit darf auf die verdienstvollen Veröffentlichungen des bekannten Militärhistorikers J.W. Wijn hingewiesen werden. In seiner 1934 erschienenen Dissertation Het krijgswezen in den tijd van Prins Maurits gab er als erster eine ebenso gründliche wie umfassende wissenschaftliche Darstellung des niederländischen Kriegswesens in seiner Gesamtheit unter Moritz von Oranien, die noch heute in ihrem Materialreichtum, in ihrer Konkretheit wie in ihrer methodisch-kritischen Durchdringung des Stoffes von hoher fachlicher Warte aus als mustergültig anzusprechen istGa naar voetnoot6.. Wijn war es auch, der 1947 die erste Fassung des Kriegsbuches von Johann von Nassau unter dem Titel Krijgskundige aanteekeningen van Johan den Middelste van Nassau herausgab - eine ebenso sorgfältige wie belangreiche Quellenpublikation, die zu ihrem Teil die Forschung zur Geschichte der Reform des niederländischen Kriegswesens unter Prinz Moritz merkbar fördert. Daneben erschienen die Arbeiten von E.J. Dijksterhuis und W.H. Schukking über Simon Stevin. Dijksterhuis veröffentlichte 1943 eine ausführliche Biographie über den großen niederländischen Ingenieur und Mathematiker, während Schukking 1964 den vierten Band der Werke Stevins (über die Kriegskunst) mit Einleitung und kritischem Apparat herausgabGa naar voetnoot7.. Aus beiden Arbeiten geht hervor, wie gewichtig Stevins Wirken im Dienste der Reform des niederländischen Kriegswesens gerade hinsichtlich ihrer praktisch-technischen, materiellen Bedingungen gewesen ist. In Deutschland ist G. Oestreich seit den fünfziger Jahren mit Untersuchungen über Justus Lipsius hervorgetreten; bekannt namentlich wurde sein 1953 erschie- | |
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nenen Aufsatz ‘Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform’Ga naar voetnoot8.. Darüber hinaus hat die Historische Kommission für Nassau eine kritische Edition der hinterlassenen kriegswissenschaftlichen Papiere des Grafen Johann von Nassau in Auftrag gegeben, die 1972 im Druck vorliegen sollGa naar voetnoot9.. Bei der Beschäftigung mit der Reform des niederländischen Kriegswesens unter Moritz von Oranien tritt eine Vielfalt von Problemen in Erscheinung, wie sie sich in der Hauptsache um die Relationen von Theorie und Praxis, das Verhältnis von Politik, Krieg, Kriegskunst und Wissenschaft, Strategie, Gesellschaft, Ökonomie und Friedensordnung gruppieren. Die einschlägige Forschung hat sich diesen Fragen in näherer, kritischer Durchleuchtung nur teilweise zugewandt; mehr am Rande blieb namentlich die Behandlung der bei der Reform so zentral zur Wirkung gelangenden Relationen von Theorie und Praxis. Würde man diese Relationen, d.h. die Herstellung eines rechten, gleichgewichtigen Verhältnisses von theoretischer Reflexion und praktischem Handeln als eine der grundsätzlichen Voraussetzungen für das Schicksal, das Gelingen der Reform überhaupt ansehenGa naar voetnoot10., so mag es durchaus geboten sein, diesen Fragen näher nachzugehen. Aus der Fülle der Probleme, wie sie bei dem Geschehen der niederländischen Militärreform zutage treten, soll daher das Wechselverhältnis von Theorie und Praxis mit seinen verschiedenen Aspekten Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. Dieses Wechselverhältnis gewinnt seine Bedeutung auch angesichts der großen, allgemeinen Auswirkung der niederländischen Reform, wie sie bereits im siebzehnten Jahrhundert empfunden wurde. So urteilte 1670 der niederländische Kapitein Johan Boxel in seinem bekannten Exerzitienbuch Vertoogh van de kryghsoeffeninge über die Reform von Moritz: ‘De wapen oeffeninge der Vereenighde Nederlanden, die geduerende den oorlogh met den Koningh von Spagne, een schole van oorloge by alle historie-schryvers is genoemt en geroemt geweest, is soodanigh toegenomen, dat door de selve oeffeninge van wapenen den Staet in Hoogheyt ende Luyster van tijt tot tijt is opgeklommen. De wapen-oeffeninge’, so schließt Boxel, ‘is de leermeesterse van de kryghs handeling; de kryghs-handeling is de tegenweer der vyanden, die door Godts Genadigen Zegen den Staet soodanigh is geluckt, dat naer een tachtigh-iarigen oorlogh daer door een glorieuse vreede is | |
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verkregen’Ga naar voetnoot11.. Darüber hinaus sagt Boxel, die niederländischen Streitkräfte zu Wasser und zu Lande seien derart hoch geschätzt worden, ‘dat die niet alleen by alle Koningen ende Princen van 't Christenrijck, maer van de gantsche Werelt ten hooghsten formidabel geacht wert’Ga naar voetnoot12.. Die Reform des niederländischen Kriegswesens, die sich in der Hauptsache in dem Jahrzehnt zwischen 1590 und 1600 vollzog, wirkt noch mitten in unsere Zeit hinein, wie dies etwa die Studie von K.E. Oudendijk vom Jahre 1947 beweistGa naar voetnoot13.. Systematische Soldatenausbildung, Schaffung des modernen Generalstabes, eines geregelten Administrations- und Versorgungswesens (Logistik) für die Streitkräfte; Begründung eines wissenschaftlich herangebildeten Offizierskorps, weitgehende Nutzbarmachung der Naturwissenschaften für die Zwecke der Streitkräfte, moderne Führungsstrukturen (zahlreiche Befehlshaber, systemisierte Hierarchie); hohe Exaktheit, Mobilität, Flexibilität und Geschwindigkeit bei taktischen Bewegungen - das sind einige der wichtigsten, in der damaligen Epoche durchaus neuartigen Elemente, die in ihrer Gesamtheit und Verzahnung miteinander das Reformwerk kennzeichnen. Ebenso bestätigend wie treffend urteilte die Österreichische Militärische Zeitschrift bereits vor mehr als 100 Jahren: ‘Durch Moritz von Oranien kamen neue Gedanken in die Organisation und Aufstellung der Infanterie. Er strebte darnach, die Massen durch bestimmte Exercir-Vorschriften für alle Fälle gefügig zu machen, verwarf aber alle Complicirtheit und drang zugleich auf die tüchtige Vorbildung der Individuen. Seine Hauptbemühung ging nach einfachen Formen, die vor dem Feinde die Mitwirkung aller Individuen ermöglichten’Ga naar voetnoot14.. | |
IIWurde bereits auf die zentrale Bedeutung einer zweckvollen Abstimmung von Theorie und Praxis für das niederländische Reformwerk (im Sinne von zu erzielender Wirkung, von Konsistenz, Glaubwürdigkeit und Dauerhaftigkeit) hingewiesen, so spielt dies seine besondere Rolle in einer Zeitenwende, d.h. wenn sich dort Reformen, grundsätzliche Neugestaltungen im Militärwesen in der | |
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Tiefe einer neustrukturierten Gesamtgesellschaft als Folgewirkung politischer, sozialer, geistiger, ökonomischer und technologischer Wandlungen vollziehen. Einer solchen Zeitenwende begegnete das Geschehen des Achtzigjährigen Krieges, dessen Zeitspanne zugleich - wie der Belfaster Historiker Michael Roberts nachweist - in die Periode einer Revolution im Militärwesen fielGa naar voetnoot15.. Hinzu kam, daß der Achtzigjährige Krieg für die aufständischen Niederländer wenigstens bis in die Achtziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts hinein ein Existenzkampf, wir würden heute sagen so etwas wie ein totaler Widerstandskrieg war, der mehr oder weniger die Gesamtgesellschaft erfaßte und sich auf allen Ebenen abspielte. Das erfolgreiche Auftreten der Busch- und WassergeusenGa naar voetnoot16. ist hier ebenso als Ausdruck angespannter Energien der Aufständischen zu werten wie die fortgesetzte Arbeit an der Reform des niederländischen Kriegswesens, der regulären Streitkräfte und ihrer Mittel, durch Moritz von Oranien und seine Mitarbeiter. Das will besagen: die Aufständischen waren darauf angewiesen, alle Kräfte zu entfalten, um der zunächsts im Felde überlegenen spanischen Übermacht durch hohe Qualität von Führung und Streitkräften sowie durch neuartige Mittel wirksam zu begegnen und sie am Ende zu übertreffen. Hier wird dann - in der Auswirkung - die Reform zu einem Politikum erster Ordnung. Sie ist in der Tat niemals ein isolierter militärischer Akt gewesen, sondern muß primär als ein gesellschaftspolitischer Bewegungsvorgang betrachtet werden. Diese Situation ist grundsätzlich zu berücksichtigen, will man die Genesis und die Gestaltung der Reform des niederländischen Kriegswesens unter Moritz von Oranien in ihrer Realität würdigen und von dort her auch das Verhältnis von Theorie und Praxis begreifen.
Studiert man in diesem Zusammenhang die einschlägigen Quellen, so weisen ihre Aussagen auf die erste, nächstliegende Aufgabe für die niederländischen Reformer hin: die Wirklichkeit richtig zu erkennen, das Bestehende sowohl als auch die in ihr herrschenden Entwicklungstendenzen. Dies bedeutet: die Reformer hatten zwei Bereiche wohl zu beachten. Einmal waren sie gehalten, das zu ihrer Zeit in der Praxis bestehende Kriegswesen in allen Einzelheiten voll zu beherrschen, die Bedeutung zudem der bereits erwähnten Revolution im Militärwesen des sechzehnten Jahrhunderts zu erfassen. Man mußte also klar, bewußt in der eigenen Epoche stehen und das Kriegswesen von Grund aus, von der fachlichen Seite her kennen, um treffend urteilen, die Lage realistisch einschätzen zu können; die genannten kriegswissenschaftlichen Papiere Johanns von Nassau geben darüber Auskunft | |
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und machen deutlich, was alles dazu gehörte, etwa: Festungs- oder Belagerungskrieg, Taktik, Artilleriewesen, Truppenorganisation, Strategie (Feldherrnkunst), Studium der älteren und neueren Kriegsgeschichte. Zum andern standen die Reformer vor der Notwendigkeit, von der griechischen, römischen und byzantinischen militärwissenschaftlichen Überlieferung Kenntnis zu nehmen, wie sie in zahlreichen, von gelehrten griechischen, italienischen, französischen, englischen und niederländischen Philologen und Humanisten in sorgfältig und umfassend kommentierten Quellentexten seit dem Ende des Oströmischen Reiches (1453) im Abendland herausgebracht wurden. Namen wie Theodoros Gazes, Franceso Robortello, Rigaltius, Hotomannus oder Cheke und nicht zuletzt Justus Lipsius, Johannes Meursius und Sixtus Alcerius wären hier zu erwähnen - Gelehrte von Rang, deren Werke in der Aufnahme durch Zeitgenossen in verantwortlicher politischer und militärischer Stellung praktische Relevanz gewannenGa naar voetnoot17.. Das lag damals in der Zeit: Renaissance, Humanismus erfüllten die Geister; und in diesem Zusammenhang war es auch ein ebenso beliebtes wie weit verbreitetes Thema, das bestehende Kriegswesen des ausgehenden fünfzehnten oder des sechzehnten Jahrhunderts mit dem der Antike und der Byzantiner zu vergleichenGa naar voetnoot18.. Darüber hinaus kam es darauf an, die praktischen Bezüge dieser antiken und byzantinischen Überlieferung gegenüber den Formen, den Möglichkeiten und Entwicklungstendenzen des (damals) gegenwärtigen Kriegswesens richtig abzuschätzen; d.h. sich nicht einseitig etwa auf eine bloße vorherrschende, mehr idolhafte Rezeption des antiken und byzantinischen Erfahrungsgutes unter weitgehender Ausklammerung des im sechzehnten Jahrhundert Bestehenden festzulegen. Hier mußte das Scheitern Niccolò Machiavellis, dem eine Renaissance der Kriegskunst einseitig nach römischem Muster vorgeschwebt hatte, zur Warnung dienenGa naar voetnoot19.. Wollte man sich gleichwohl des antiken und byzantinischen Erfahrungsgutes zweckvoll für die praktischen Belange der eigenen Epoche bedienen, dann war es das Gebot, diese Überlieferung mit empirischem Sachverstand, kritisch-distanziert zu prüfen. Dann ging es darum, eine Theorie daraus zu entwickeln, in welcher die Lehren der Antike und der Byzantiner nicht idolhaft, undifferenziert auf die Wirklichkeit des sechzehnten Jahrhunderts übertragen wurden - eine Theorie, die in | |
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realistisch-sachlicher Weise nur dasjenige aus ihnen auswählte, was sich für die eigene Epoche als praktisch brauchbar erweisen würde. Diese Problematik ist im Lager der niederländischen Reformer sehr wohl erkannt worden. Man sah etwa im Bereich der Taktik, daß die Kampfesweise im sechzehnten Jahrhundert mit ihren teilweise anderen Mitteln jener der Antike nicht vollkommen entsprach, wie dies aus einer Studie Johanns von Nassau über die Verwendung der Reserven hervorgeht. Die Deutschen, so sagt Johann, hätten wenig von Reserven gewußt. Die Ursache ist ‘villeicht gewesen, daß bey unsern Zeitten gar eine andere Arth wegen der Rohr und Geschütz alß bey den Alten wegen der Spies und Seithen Wehr zu schlagen gewesen. Jene haben’, so lautet Johanns Begründung, ‘mehr wegen ihrer Gewehr zusahmen und Handt an Handt komen müssen und derowegen die Triarios, welches ihr Reserv und der beste Hauf gewesen, notwendig anordnen müßen. Die unsere aber wegen ihrer Armatur haben und thun noch von weittem einander Schaden und bewegen solche Waffen, so wegen Grausamkeit des Geschützes und Tumults nicht so lang wehren alß die vorige, und offt der dritte Theil des Kriegsvolcks für der Flucht nicht zum Treffen und Schlagen kompt, ja offt in einer halben Stund alles außgericht ist’Ga naar voetnoot20.. Im übrigen stand auch die spanische Kriegskunst auf beachtlicher Höhe,Ga naar voetnoot21. waren allgemein die Veränderungen und Verbesserungen im Militärwesen seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zu berücksichtigenGa naar voetnoot22.; hinzu kamen die Erfahrungen und Schöpfungen der Hugenotten, darunter namentlich die systematische Ausbildung der Soldaten im Gebrauch des Luntengewehrs nach dem System de la NouesGa naar voetnoot23.. Darüber hinaus mochte auch das niederländische Seekriegswesen aus der Zeit des Achtzigjährigen Krieges Anregungen für die Neugestaltung der Kampfesweise zu Lande bieten. Auf diese Zusammenhänge weist wiederum Johann von Nassau in einer Studie über Schlachtordnungen hin, in der es ihm darauf ankommt, die Vorteile des neuen Systems gegenüber dem bisherigen zu preisen. Diese Vorteile der neuen Schlachtordnung erblickt er darin, daß alle Soldaten ‘zum fechten komen undt sich geschwindt kehren undt wenden undt einer den andern endtsetzen können...’ Hier ist dann für ihn die Parallele mit dem Seekriegswesen gegeben, wenn er sagt: ‘Wie dan ein solches die Schlachten, so uf der Sehe zu Waßer etlich | |
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Jahr hero geschehen, stattlichen confirmiren, in Ahnsehung obschon uf den großen spanischen Gallionen offt neben dem großen Geschutz uf einer in und uber 1000 Soldaten gewesen, so haben doch zum offter die kleine holändische Ohrlogschieff, uf welcher eins selten uber 200 Soldaten gewesen, ihrer zwei oder drei solch große Schieff, ohnahngesehen sie nur halb so stark, ahngefallen undt wegen ihrer Gesschwindigkeit, undt das eines das ander endtsetzen können, uberwältiget’Ga naar voetnoot24.. In diesem Sinne einer komplexen Problematik in Vorstellung und Wirklichkeit begriffen Moritz von Oranien und seine Mitarbeiter, daß die antike und byzantinische militärwissenschaftliche Überlieferung nur dann einen Nutzeffekt für die niederländischen Streitkräfte versprechen durfte, wenn man den dargebotenen Überlieferungsschatz unter primärer Berücksichtigung der bestehenden Verhältnisse im Militärwesen der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts zu bearbeiten vermochte. Es galt somit, eine Theorie auf Erfahrungsgrundlage bei gleichzeitigem kriegswissenschaftlichem Studium der antiken und byzantinischen Quellentexte, aber auch unter Heranziehung der neueren Kriegsgeschichte zu entwickeln, die Zeit und aufwendige neue Erfahrungen tunlichst sparen sollte. Eben diese Problematik hat Johann von Nassau in einer von ihm aufgezeichneten Maxime aus einem französischen kriegswissenschaftlichen, auf die Lehren der Antike zurückgehenden Werk aus der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts ausgedrückt: man müsse die Kriegsgeschichte studieren; die vielfältigen, bereits gemachten Erfahrungen der Geschichte in sich aufnehmen, um nicht immer wieder - nach Art der Einfältigen - von vorne anfangen zu müssenGa naar voetnoot25.. | |
IIIEs ist nicht mit Sicherheit ausgemacht, wo die ersten Ansatzpunkte in dem Wirken der niederländischen Reformer liegen, die Relationen von Theorie und Praxis in ihrem Werk zweckvoll zu gestalten. In jedem Falle handelten sie folgerichtig, wenn sie eine klare Scheidung dahingehend vornahmen, was im niederländischen Kriegswesen lediglich aus den Bedingtheiten der eigenen Epoche heraus reformiert oder weiterentwickelt werden mußte, und wo Bereiche lagen, bei denen sich eine Rezeption der antiken und byzantinischen Überlieferung empfahl. Im ersten Falle gingen die niederländischen Reformer daran, die bestehenden Einrichtungen und Verhältnisse in unaufhörlicher Arbeit der kleinen Schritte in der Praxis zu verbessern oder neuzugestalten und in diesem Zusammenhang auch eine Theorie zu | |
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bilden. Diese Bereiche waren vornehmlich der Festungs- oder Belagerungskrieg, die Pyrotechnik, das Artilleriewesen und allgemein das Feld kriegstechnischer Erfindungen. Hier ist aus naheliegenden Gründen kaum eine Rezeption antiker oder byzantinischer militärwissenschaftlicher Lehren zu verspüren. In seinen kriegswissenschaftlichen Papieren beispielsweise bringt Johann von Nassau bei der Behandlung des Festungskrieges lediglich die Skizze eines Belagerungsturmes, der etwa dem in Lipsius’ Werk Poliorceticon sive de machinis, tormentis... aufgeführten entsprichtGa naar voetnoot26.. In diesen Bereichen konnte es also nur die Erfahrungen der eigenen Epoche geben, aus denen dann auch die Theorie zu formieren war. Das trifft namentlich für einen in den Papieren Johanns wie in den Kriegsbüchern Johann Jacobis von Wallhausen überlieferten Diskurs über Festungswesen zuGa naar voetnoot27.. In diesem Diskurs, den Wallhausen Moritz von Oranien zuschreibtGa naar voetnoot28., ist eine förmliche Theorie der methodischen Führung des Festungskrieges im Lichte der niederländischen Verhältnisse entwickelt; lehrhaft, ganz auf die Praxis bezogen, dazu eng gefaßt, im Sinne konkreter Anweisungen: was alles beim Festungskrieg vorkommt, wie Festungswerke anzulegen sind, wie man sich bei Angriff und Abwehr zu verhalten hat, und welche ‘Remedia’ es auf diese und jene Angriffsverfahren, Listen oder Überraschungen gibt. Mit anderen Worten, man hat eine Lehre geschaffen, die ganz auf unmittelbaren praktischen Erfahrungen beruht und eher einer handfesten Anweisung zum Handeln gleicht als einer rein betrachtenden, ‘spekulativen’ Theorie. Wer diesen Diskurs studierte, der vermochte aus ihm fraglos Nutzen zu ziehen - vorausgesetzt, er hatte bereits praktisch-technische, konkrete Anschauungen von der Sache gewonnen. Anders freilich liegen die Dinge im zweiten Falle, d.h. in denjenigen Bereichen, die sich für eine Aufnahme oder anregende Bereicherung von antikem und byzantinischem Überlieferungsgut eignen mochten. Diese Bereiche waren im wesentlichen die folgenden: systematische Soldatenausbildung (Exerzieren) im Gebrauch der Waffen (Langspieß, Luntengewehr) und in der Ausführung von taktischen Elementarbewegungen (Wendungen, Schwenkungen, Verdopplungen von Abteilungen, Kontremärsche); Kommandosprache, Disziplin, Schanzarbeiten, KriegsartikelGa naar voetnoot29., Truppenorganisation, Führungshierarchie, Marsch-, Schlacht- und Lager- | |
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ordnungen. Aus der Vielzahl der in den Quellen enthaltenen Belege mögen hier beispielhaft einige wenige Fälle behandelt werden, die sichtbar machen sollen, wie Moritz und seine Mitarbeiter die Relationen von Theorie und Praxis gestalteten, soweit es um die Aufnahme antiker und byzantinischer militärwissenschaftlicher Lehren für die Belange der Reform ging.
Wer einen Blick auf das überlieferte Verzeichnis der Bibliothek Moritz' von Oranien wirft, die teilweise noch heute in den Beständen der Königlichen Bibliothek im Haag erhalten istGa naar voetnoot30., dem fällt die Fülle der dort versammelten Textausgaben der verschiedensten griechischen, römischen und byzantinischen Historiker und Militärschriftsteller aufGa naar voetnoot31.; d.h. eine durchaus reichhaltige Überlieferung war hier von den niederländischen Reformern zu erfassen, kritisch zu sichten und zu bearbeiten: angefangen von Herodot, Xenophon, Thukydides, Polybius und Aelian über Caear, Cassius Dio, Josephus, Vegetius bis herauf zu Kaiser Leon VI. von Byzanz. Hinzu kamen die einschlägigen Werke führender Humanisten des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, vornehmlich von Patrizzi, Hotomannus, Savilius und Lipsius. Die Aufgabe der niederländischen Reformer bestand nun darin, die richtigen Texte zur Grundlegung der notwendigen Sachkenntnisse und zur anschließenden Theoriebildung herauszufinden: solche nämlich, die praktische, klare Beschreibungen des Kriegswesens der Griechen, Römer und Byzantiner enthielten, mit Sachangaben, die glaubhaft waren und zugleich für die Verhältnisse im Kriegswesen des sechszehnten Jahrhunderts paßten. Unter diesen Voraussetzungen wählten die Reformer in erster Linie die taktischen Werke von Aelian und Leon VI. von Byzanz; sie beschäftigten sich aber auch mit Thukydides, Polybius, Caesar, Dio, Josephus und anderen. Eine umfangreiche Studie über das römische Heereswesen, die uns Johann Jacobi von Wallhausen, der erste Direktor der Siegener Kriegsschule unter Johann von Nassau, in Handschrift überliefert hatGa naar voetnoot32., legt hievon Zeugnis ab. Ebenso zogen die Reformer praktischen Nutzen aus den Arbeiten von Patrizzi und Lipsius. So hat Johann von Nassau in seinen Papieren Studien aus Patrizzis berühmtem, 1495 in Rom erschienenem Werk Paralleli militari hinterlassen; aus ihnen geht hervor, wie weitgehend die Darstellung Patrizzis (der griechischen Elementarbewegungen) bei den Reformern praktische Aufnahme fandGa naar voetnoot33.. In diesem Zusammenhang darf auch Simon Stevins Buch Legermeting von 1617 erwähnt werden, in welchem er das römische Lagerwesen lehrhaft für die Belange | |
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der eigenen Zeit vom Standpunkt des praktischen Ingenieurs und Quartiermeisters aus darstelltGa naar voetnoot34.. Weiterhin liegt in den Kriegsbüchern Wallhausens eine Skizze der byzantinischen Schlachtordnung nach den Angaben Kaiser Leons VI. (nach einem Original von der Hand Wilhelm Ludwigs von Nassau) vor, die im Grunde bereits die Prinzipien der neuen niederländischen Schlachtordnung der Reformer sichtbar machtGa naar voetnoot35.. Übrigens bezeugt Wilhelm Ludwig dies mit eigenen Worten in seinem bekannten Brief an Moritz von Oranien vom 8. Dezember 1594Ga naar voetnoot36..
Ist es Tatsache, daß Moritz und seine Mitarbeiter ebenso ausgedehnte wie im einzelnen konkrete Kenntnisse über das griechische, römische und byzantinische Kriegswesen durch sorgfältiges Quellenstudium gewonnen hatten, so konnte eine bloße Ansammlung von solchen Kenntnissen, selbst wenn daraus eine erste Theorie im Ansatz formiert wurde, freilich nicht für die Zwecke der Reform genügen. Sollte die notwendige Theorie gebildet werden, auf deren Grundlage alsdann die Nutzbarmachung der erworbenen Sachkenntnisse für die Belange des eigenen Kriegswesens erfolgen konnte, so mußten diese aus den antiken und byzantinischen Schriftstellern oder ihren humanistischen Übersetzern und Interpreten gewonnenen Kenntnisse auf die Praxis des Kriegswesens in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts abgestimmt werden. Das war die schwierigste Aufgabe für die Reformer, wo sie gefordert waren, d.h. durchaus eigenschöpferische Leistungen aufweisen mußten. Dies bedeutete zugleich die Entwicklung einer Theorie auf sachkritischer Grundlage, deren Aufgabe es insonderheit war, die Angaben und Darstellungen der antiken und byzantinischen Militärschriftsteller im Lichte der praktischen Ausführbarkeit zu verifizieren. Hiefür drei konkrete Beispiele u.a. aus der Tätigkeit des friesischen Statthalters Wilhelm Ludwig von Nassau, des engsten Mitarbeiters und Vertrauten Moritz' von Oranien. 1. In seinem schon genannten Brief an Moritz vom 8. Dezember 1594 berichtet Wilhelm Ludwig, er habe das taktische Werk des Aelian studiert und daraus eine neue Form der Feuertaktik für die Schützen entwickelt. Von den bei Aelian beschriebenen Elementarbewegungen wählt Wilhelm Ludwig den sog. chorischen Kontremarsch - ein Verkehren von Gliedern oder Reihen; ursprünglich eine Gruppenbewegung bei Festlichkeiten oder bei Theateraufführungen. Bei der Ausführung des Kontremarsches einer Abteilung von Reihen und Gliedern macht - bei gliederweisem Marsch - das jeweils vorderste Glied Kehrt, geht durch die Zwischenräume (‘Gassen’) der Abteilung (d.h. entlang den Reihen) hindurch, macht, am | |
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Ende angelangt, abermals Kehrt und hängt sich nunmehr als letztes Glied an die Abteilung wieder anGa naar voetnoot37.. Dieses Manöver übernimmt Wilhelm Ludwig, aber er ‘modernisiert’ es. Maßgebend ist für ihn der Gedanke, altgriechischen Kontremarsch und neuzeitliche Feuerwaffe miteinander zu verbinden, um daraus eine Steigerung der Feuerwirkung durch Kontinuität und Intensität der Feuerkraft der Schützenabteilungen zu erzielen. Dies sieht praktisch so aus: das jeweils vorderste Glied einer Abteilung schießt sein Luntengewehr ab, macht Kehrt, marschiert die Reihen entlang bis zum Ende der Abteilung, ladet sein Gewehr im Gehen und hängt sich mit einer erneuten Kehrtwendung nunmehr als letztes Glied - wie bereits beschrieben - an die Abteilung wieder an. Inzwischen hat das nächstfolgende Glied abgeschossen und vollführt dasselbe Manöver; und so tun es alle übrigen Glieder, bis dasjenige, das zuerst abgeschossen hat, wieder das vorderste ist und aufs neue abschießt. Daraus geht hervor: erst studiert man den Kontremarsch nach den Angaben des Aelian, wobei man auch - wie Aufzeichnungen aus den Papieren Johanns von Nassau erweisen - die erläuternde Darstellung Patrizzis vom Jahre 1495 heranziehtGa naar voetnoot38.. Alsdann folgt der eigenschöpferische Akt. Er besteht darin, zu erkennen, was sich daraus für wirksame Neuerungen im Kriegswesen des sechzehnten Jahrhunderts entwickeln lassen. Aus dem altgriechischen Kontremarsch ein neuartiges feuertaktisches Manöver mit gesteigerter Wirkungskraft für den Feldkrieg zu machen, selbst wenn Ansätze zu einer solchen Feuertaktik bereits vorhanden sein mochtenGa naar voetnoot39., das war gewiß eine geniale Schöpfung des friesischen Statthalters. 2. Nachweislich seit 1595 beschäftigen sich die niederländischen Reformer mit der Schlacht bei Cannae (216 v. Chr.), in welcher Hannibal seinen klassischen, auch später immer wieder bewunderten Sieg über die Römer errangGa naar voetnoot40.. Moritz und namentlich Wilhelm Ludwig von Nassau studierten diese Schlacht, um daraus Anregungen oder Modelle für die eigene Kampfpraxis zu gewinnenGa naar voetnoot41.. In ihren Vorstellungen sollten die niederländischen Truppen die Rolle der Karthager, die spanischen Tercios aber die der Römer spielen: d.h. wie Hannibal in flacher Aufstellung mit seinen Truppen die gedrängt stehenden, tiefgegliederten und letzthin unbeholfenen römischen Legionen durch Umzingelung vernichtet hatte, so würden die niederländischen Streitkräfte in ebenfalls flachen Formationen mit ver- | |
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längerter Front den vielgliederigen, verhältnismäßig unbeweglichen spanischen Tercios ein ‘Cannae’ bereiten. Das ist der Grundgedanke. Während einer Fahrt nach Arnheim 1595 hat Wilhelm Ludwig mit Moritz diese Probleme kritisch erörtert, wie dies ein Brief von seiner Hand im Königlichen Hausarchiv im Haag beweistGa naar voetnoot42.. Darüber hinaus erweiterte der friesische Statthalter seine Studien auf den ganzen Zweiten Punischen Krieg - besonders lehrreich für die Relationen von Krieg und Politik, Kriegskunst, Strategie und Friedensgestaltung -, um das Ganze schließlich in einem kleinen Werk zusammenzufassen, das allerdings erst 1675 im Druck erschien unter dem Titel Annibal et Scipion ou les Grands Capitains...Ga naar voetnoot43.. Teile dieses Werkes liegen in Abschrift in den Papieren Johanns von Nassau und im Kriegsbuch des Markgrafen Georg Friedrich von Baden sowie im Nachlaß Johann Ludwigs von Nassau vorGa naar voetnoot44.. Die Originalskizze von der Hand Wilhelm Ludwigs von Nassau der Aufstellung der Karthager und Römer bei Cannae konnte kürzlich im Königlichen Hausarchiv im Haag aufgefunden werdenGa naar voetnoot45.. In der Hauptsache kommt es den niederländischen Reformern bei ihren Cannae-Studien auf das taktische Moment an; man will konkrete Vorstellungen über die beiderseitige Aufstellung bei Cannae gewinnen, um aus den letzten Einzelheiten zu erfahren, auf welchem Wege Hannibal die römischen Legionen zu vernichten vermochte. Bei diesem Vorhaben interpretierte Wilhelm Ludwig übrigens das System der karthagischen Aufstellung mit Aelian - eine Möglichkeit, die Eigenart der karthagischen Aufstellung zu erklären, die sich für den friesischen Statthalter offenbar von der Praxis her erschloß; die historische Cannae-Forschung beispielsweise hat diese Art der Interpretation unter Heranziehung von Aelian bisher noch nicht versucht, auch nicht von Wilhelm Ludwigs Cannae-Studien Kenntnis genommenGa naar voetnoot46.. Wie genau und praktisch-umsichtig die Reformer bei ihren Cannae-Studien vorgingen, beweist übrigens das kritische Verhalten Wilhelm Ludwigs. Da er nicht Griechisch konnte, hatte der friesische Statthalter bei seinen Studien die lateinische Polybius-Übersetzung des bekannten italienischen Humanisten und Bischofs von Siponti, Niccolò Perotti, benutztGa naar voetnoot47.. Dabei stellte er fest, daß Perotti zwar eine elegante, gut lesbare Übersetzung des Polybius-Textes gefertigt, es jedoch mit den | |
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Realitäten nicht allzu genau genommen hatte. Als man nämlich auf dem Exerzierplatz die Schlachtordnung der Karthager nach den Angaben des Polybius in der Übersetzung Perottis aufstellen wollte, kam zum Vorschein, daß der italienische Humanist im Hinblick auf den praktischen Sinn der betreffenden Polybius-Stelle einem Mißverständnis erlegen war. Wilhelm Ludwig ließ darauf eine neue, nunmehr wirklichkeitsentsprechende Übersetzung durch den kurpfälzischen Rat Wolrad Plessen fertigen, die noch heute in den Papieren des Grafen Johann von Nassau erhalten istGa naar voetnoot48.. Dieses Beispiel unterstreicht zu seinem Teil, daß es sich die niederländischen Reformer als verantwortlich Handelnde in einem Existenzkampf ihrer Nation nicht leisten konnten, eine unzutreffende Interpretation anzunehmen und damit eine falsche Theorie zu bilden. Die antike Überlieferung wird vielmehr sachkritisch, nach der praktischen Seite hin, hinsichtlich der Möglichkeit ihrer tatsächlichen Ausführung überprüft. Erst wenn hier die Verifizierung der Angaben erfolgt ist, kann man eine Theorie entwickeln und sie auf die Praxis des Reformwerkes übertragen. 3. Dasselbe gilt für die Verwertung der antiken und byzantinischen Angaben über die Schlachtordnung. Hier erweisen die Papiere Johanns von Nassau ebenso wie die umfangreichen Skizzen von Schlachtordnungen aus der Zeit von Moritz und Friedrich Heinrich von Oranien im Königlichen Hausarchiv im HaagGa naar voetnoot49. - es sind bisher unveröffentlichte Dokumente -, wie man stufenweise ebenso sorgfältig wie konkret vorging: die römischen und byzantinischen Schlachtordnungen werden als Modelle studiert; alsdann folgt die Praxis mit niederländischen Truppen auf dem Exerzierplatz und im Felde in den verschiedensten Kombinationen und VariationenGa naar voetnoot50.. Das römische und byzantinische Modell (Legio Polybiana, wie sie Lipsius in seiner ‘Militia Romana’ beschreibt, und die Schlachtordnung Kaiser Leons VI. von Byzanz) sind die Grundtypen, von denen die Reformer ausgehen, wobei die Prinzipien übernommen werden - wie sie allerdings auch in Ansätzen bei der gestaffelten Aufstellung der spanischen Tercios zu beobachten sindGa naar voetnoot51.: zwei oder drei Treffen, schachbrettartig aufgestellt, Reserve, dazu genügend Abstand und Zwischenraum zwischen den einzelnen Treffen, sodaß im Bedarfsfalle stets Entsatz des einen durch das andere Treffen erfolgen kann. Dieses System hat gerade Leon VI. sehr anschaulich und durchaus ausführbar beschrieben, und es ist auch kein Zufall, daß Wilhelm Ludwig gerade hier der Darstellung Leons vor allen | |
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anderen den Vorzug gibtGa naar voetnoot52.. Darüber hinaus erscheint als wesentliches Prinzip, das sich in der Wirkung als neuartig erweist (gegenüber dem Bestehenden, dem System der Tercios): eine Vielzahl kleiner Formationen in den einzelnen Treffen, mit flacher Aufstellung und breiter Front, höchst beweglich und absolut exakt im Sinne der Dispositionen des Oberbefehlshabers bei einer Fülle von ausgebildeten Unterführern, die das Ganze von oben bis unten mittels der Kommandosprache fast mit der Präzision eines Uhrwerkes in höchster Schnelligkeit lenken. Die Kommandosprache ist dabei ein wesentliches Element; und dieses Element ist ebenfalls von Moritz und seinen Mitarbeitern aus der antiken und byzantinischen Vorlage entlehnt worden. Man übersetzte die bei Aelian und Leon VI. vorgefundenen griechischen und lateinischen Kommandoworte sinngemäß ins Holländische, wie dies in allen Einzelheiten in dem schon genannten Brief Wilhelm Ludwigs an Moritz vom 8. Dezember 1594 dargelegt istGa naar voetnoot53.. | |
IIIZusammenfassend mögen einige Schlußbetrachtungen in vier Thesen gegeben werden. 1. Die Quellen zur Geschichte der Reform des niederländischen Kriegswesens unter Prinz Moritz von Oranien weisen aus, daß die Relationen von Theorie und Praxis, d.h. das rechte Verhältnis von theoretischer Reflexion und praktischem Handeln zu den bestimmenden Voraussetzungen für das Gelingen des Reformwerkes gehören, dessen Impulse im übrigen aus dem Geschehen des Achtzigjährigen Krieges mit seinen gesellschaftspolitischen Bedingtheiten erwachsen. Entscheidend sind dabei seitens der Reformer: einmal: kritisches Urteilsvermögen, das will besagen die Fähigkeit, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden; zum andern: ausgesprochener Sinn für die Realitäten. Drittens: ein klarer durchdringender Verstand in Verbindung mit eigenschöpferischen Fähigkeiten; viertens: die Gabe, das theoretisch Erarbeitete zweckvoll auf die Praxis zu übertragen. 2. Die Reform des niederländischen Kriegswesens vollzieht sich in einem Aufstandskrieg, in einem Existenzkampf des niederländischen Volkes - freilich in einer Phase, wo sich die Verhältnisse für die Aufständischen bereits konsolidiert haben, und in deren Verlauf Moritz den ‘Zaun um die Niederlande’ schließt. Dies bedeutet: wer zu diesem Zeitpunkt eine Reform des Kriegswesens erstrebt, um dadurch nach Möglichkeit die Lage, das Kräfteverhältnis zu seinen Gunsten zu verbessern, der handelt in einem ausgesprochenen Spannungsfeld. Versagt die Reform durch falsche Theorie und infolgedessen fehlerhaftes Handeln in der | |
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Praxis, so wird das mit dem Verlust der Existenz bezahlt. Die niederländischen Reformer stehen daher unter dem Zwang, das Richtige auszumitteln; sie sind also gehalten, eine von einer richtigen Theorie gelenkte Praxis zu befolgen, die wiederum als Korrektiv auf die Theorie zurückwirkt; der ganze Gang des Reformwerkes ist durch eine kontinuierliche Wechselwirkung von Theorie und Praxis gekennzeichnet. In jedem Falle wird die Bildung der Theorie zu einer der zentralen Fragen des Reformwerkes - eine Theorie freilich, die im Grunde von der Praxis nicht zu trennen ist, einen Teil der Praxis selbst bildet. Es macht die historische Größe Moritz' von Oranien und seiner Mitarbeiter aus, diese Problematik erkannt und von dort her bei der Gestaltung des Reformwerkes den richtigen Weg beschritten zu haben. Der Erfolg bei Nieuport (1600) ist hiefür ein sichtbarer AusdruckGa naar voetnoot54.. 3. Ging es hier um die Aufgabe, die Theorie jederzeit praktisch zu halten, so konnten sich die Reformer nicht damit begnügen, lediglich Kenntnisse anzusammeln und daraus eine bloße spekulative Theorie zu formen. Im Hinblick auf den totalen Widerstandskrieg mußte die Theorie vielmehr gesellschaftsbezogen und damit kritisch sein. Vor allem hatte man den entscheidenden Schritt zu tun: die theoretisch erarbeiteten Vorstellungen oder Modelle mußten der Praxis angepaßt werden, um aus alledem eine neuartige Wirkung gegenüber dem Feind zu erzielen, ihn auf die Dauer im Felde zu schlagen. Bekanntlich hat die Reform des niederländischen Kriegswesens unter Moritz von Oranien diese Effekte gehabt, und folgerichtig sind ihre Ergebnisse in Theorie und Praxis im Zeitraum zwischen 1600 und 1640 von mehr oder weniger allen europäischen Nationen übernommen worden. Turenne, Lostelneau, Gustav Adolf oder Montecuccoli sind Schüler der niederländischen ReformerGa naar voetnoot55.. Schließlich hat die Reform im niederländischen Volk selbst eine solche Resonanz erzielt, daß man noch im Holländischen Krieg (1672-1678), dem zweiten großen Existenzkampf der Niederlande (diesmal gegen Frankreich), sich auf die Taten der Vorväter besann und dabei auch auf das Erbe der Reform des Kriegswesen unter Moritz von Oranien berief. Es ist daher kein Zufall, daß Wilhelm Ludwigs Cannae-Studien 1675 im Druck erschienen und vom Herausgeber, Al. C. de Mestre, dem Prinzen Wilhelm III. von Oranien gewidmet wurdenGa naar voetnoot56.. | |
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Ebensowenig ist es Zufall, daß 1672 der Regimentsquartiermeister und Ingenieur le Hon erstmalig die von Moritz und Friedrich Heinrich von Oranien praktizierten Schlachtordnungen in Skizzen mit erläuternder Beschreibung in Amsterdam veröffentlichteGa naar voetnoot57.. 4. Die von Moritz und seinen Mitarbeitern geschaffene Theorie ist stets kritisch und praxisbezogen; bei der Bearbeitung und Auswertung der antiken und byzantinischen Unterlagen gibt es daher keine idolhafte, unkritisch-undifferenzierte Verehrung nach Art eines Machiavelli oder eine bloße historisierende Rezeption im Sinn des Marschalls von SachsenGa naar voetnoot58.. Zugleich wird der antiken und byzantinischen Überlieferung der für sie zutreffende Stellenwert in der Gesamtheit des Reformwerkes zugewiesen: Antike und Byzanz beherrschen nicht das Reformwerk. Dieses wird vielmehr primär aus der Praxis und den Bedingtheiten, dem Gewachsenen und Bestehenden der eigenen Epoche in stetiger praktischer Kleinarbeit bei ständiger Kriegserfahrung herausgebildet; die Reform ist nicht als plötzliche Schöpfung entstanden. In zwei Personen gefaßt, um einen Vergleich zu bringen: Lipsius ist keine primäre Größe, soweit es auf die entscheidende Ebene der Praxis ankommt, auf der sich das Hauptgeschehen abspielt; neben ihn tritt der Ingenieur und Mathematiker Simon Stevin. Es darf in diesem Zusammenhang auf das Urteil von J.W. Wijn hingewiesen werden, wie er es vor Jahren einmal gesprächsweise formulierte: Die verantwortlich handelnden Soldaten und Staatmänner wären bei der Reform in erster Linie von ihrer eigenen Praxis ausgegangen; und hier wäre ihnen Stevin näher gestanden als Lipsius, der zwar als ein hochgelehrter Philologe, jedoch als kein Mann der militärischen Praxis gegolten hätteGa naar voetnoot59.. Alles in allem: Es war die Herstellung eines glücklichen Verhältnisses von Theorie und Praxis, die der Reform des niederländischen Kriegswesens unter Moritz von Oranien weitgehend ihr Gepräge lieh und sie zu einem geschichtlichen Ereignis von säkularer Bedeutung werden ließ. Diese Reform gehört zu den großen, unvergänglichen Schöpfungen des niederländischen Volkes. |
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