Beatrijs. Eine legende aus dem 14. Jahrhundert
(1870)–Anoniem Beatrijs– Auteursrechtvrij
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Uorwort.Das mittelniederländische Gedicht ‘Beatrijs’, wie ich es hier in metrischer Uebersetzung der Oeffentlichkeit übergebe, liegt handschriftlich auf der Königl. Bibliothek im Haag. Eine Abschrift des Originals wurde 1846 und 1859 (die letztere Auflage zusammen mit Carel ende Elegast) von Professor W. Ionckbloet herausgegeben. In der ‘Geschichte der niederländischen Literatur’ des eben genannten Gelehrten (Leipzig. F. C W. Vogel, 1870) findet sich eine eingehende Besprechung der ‘Kunstproducte’, welche das Mittelalter mit seinem leidenschaftlichen Marien-cultus hervorgebracht hat, und die Beweisführung, dasz viele derselben den Namen eines Kunstproductes eigentlich nicht beanspruchen können, weil sich in ihnen der Sinn für das Mystische in Ascetik aufgelöst hatte, und der Geschmack, der Sinn für das Schöne oftmals durch dieselven beleidigt wurde: unser Gedicht dagegen bildet einen wohlthuenden Gegensatz zu jenen unschönen Wundererzählungen, und hat schon dadurch gegründeten Anspruch auf Kunstwerth. Nimmt man dazu die warme, poetische Sprache, die zarte Schilderung der ein- | |
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zelnen Momente, so ist das Urtheil gerechtfertigt: Es gehört in die Blüthezeit, und ist eine der Perlen der mittelalterlichen Romantik. So viel bekannt, ist die Haag'sche Handschrift das einzige, vorhandene Exemplar der Legende, obgleich die Sage selbst ziemlich bekannt gewesen sein musz, da schon Cäsar von Heisterbach derselben erwähnt. Professor Ionckbloet citirt in seiner Ausgabe des Gedichtes die darauf bezügliche Stelle aus Cäsarii Cisterciensis monachi in Heisterbacho Dialogus miraculorum (Coloniae, 1487, ex typogr. Johannis Koelhoff) Distinctio Septima, Cap. XXXIV. Auf der Kaiserl. Bibliothek in Wien befindet sich die fast wörtliche, mhdeutsche Uebersetzung jener Stelle, die mir durch die Güte des Herrn Fer. von Hellwald abschriftlich mitgetheilt wurde. Die deutschen Notizen find etwas ausführlicher, auch ist ersichtlich das Lateinische des Originals vom Uebersetzer nicht immer sehr genau aufgefaszt worden. Die Incunabelausgabe, aus welcher Herr v. Hellwald die Abschrift nahm, trägt den Titel: ‘Unser lieben frawen Psalter’, und ist zu Ulm, bei Conrad Dinckmut, im Iahre 1492 gedruckt. (BL. Jii & Jiij; Bogenwurm.) Ein wu(n)derzaichen von imer klosterfrawen. Man list von einer closterfraven, die hies Beatrix, die was gar schon vnd was custorin in irem kloster vnd darzu fast vnd andechtig der muter gots in irem psalter (gedient). - Dise klosterfraw viel in ein schwere anfetung Ga naar voetnoot* des flaische vnd | |
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ward verfürt von eim priester nach vil worten vnd manigfaltig reten, die diser priester mit ir reden was. Also auff ein zeit do find die II Ga naar voetnoot* ains worden nach der complex, wo si wölten zusamen kummen vnd wie die custorin möcht ausz dem Kloster kumen; ec aber die custorin ausz dem kloster geing, do kniet si für vnser frawen altar vnd sprach also zu der hoch gelogten (gelobten?) künigin Maria: ‘Mein liebe fraw unnd muter Maria, biszher hab ich dir gedient als andechtigklich vnd fleissig in allen mein vermögen, als ich hab gekünt vnd vermögt: aber jetzund opffer ich dir die schlüssel, wann dise anfechtung mag ich nit mer ertragen’, vnd legt die schlüssen für den altar vnd gieng ausz dem kloster vnd volgt dem priester nach an ein stat, die inzwaien Ga naar voetnoot** der priester bestellet vnd berait hat. Do nun die II mit einander gesündet hettent, nach wenig tagen darnach do verliesz der priester die klosterfrawen vnd gieng von jr. Do aber die klosterfraw nit mer hat zu leben, weder essen noch trincken vnd darzu sich ser vast schemet wider in ir kloster zu gon, do ist sy worden ein gemaine offne fraw, yederman berait. In dem leven hat sy gelebt und verzert XV. jar. Darnach auff ein zeit kam die Beatrix wider für ir kloster vnd fragt den torwart, vnd spracht:‘kenstu ni Beatricen, ein klosterfrawen disz klosters, die vor zeiten ist custorin gewesen in disem klosters?’ Der torwart anwurt Ga naar voetnoot*** vnd sprach: ‘Ya, ich hab si wol gekent vnd si ist frumm vnd erber vnd darzu heilig von jugent auff bisz auff die stund, vnd hat allweg in dem kloster gewont on alle klag.’Do | |
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verwundert sich Beatrix ob den worten, vnd verstund derwort nit vnd wilt wider hinweg gon. Do erschin jr die muter der barmhertzikait, die hochgelobt künigin vnd junckfraw Maria vnd sprach zu jr: ‘Ninwar Ga naar voetnoot* mein tochter, ich hab dein ampt auszgericht XVjar an deiner stat. Kör Ga naar voetnoot** wider in dem kloster vnd würck busz vns pertitensz, wann kain mensch waisz Ga naar voetnoot*** das übel das du begangen hast, wann in deiner gestalt vnd in deinen klaidern hab ich dein stat gehalten.’ Do das Beatrix verstünt vnd hürt, Ga naar voetnoot† do danckt sy fleissigklich der muter gots die jr also geholffen hat, vnd gieng wider in ir kloster mit groszen freüden, vnd würckt penitensz vnd beicht jr fünd volkumlich vnnd bessert jr leben gantz lobsich. Und zu lest hat sy nach dem end zeitlichs lebens mit jr helfferin Maria der muter gots besessen die wunn Ga naar voetnoot†† und fröd der ewigen seligkeit. Amen.
Das Versmasz des Originals habe ich in meiner Uebersetzung streng beibehalten, und habe mir nur eine Abweichung erlaubt, um die von der heutigen verschiedene Technik der mndl. Verse in Einklang mit den Anforderungen des modernen Geschmackes zu bringen. Die im Gedichte vorkommenden Assonanzen halte ich nur für zufällig nicht für beabsichtigt. Der Schlusz der Verse ist ohne für mich aufzufindendes Gesetz bald katalektisch, bald hyperkatalektisch. Ich habe mich hierin genau an das Original gehalten, also in der Uebersetzung stets vollzählig oder überzählig, wie im Originale, geschlossen. | |
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Nur einige Male, und ich werde die Stellen anführen, habe ich frei übersetzt. Die Härten in der Ausdrucksweise der mittelalterlichen Legende zu übernehmen, schien mir keine Hauptbedingung für das Veröffentlichen des fast durchgängig zarten Gedichtes zu sein.
Vers 15 Een begheven Willemijn - Bruder vom Ordern des heiligen Wilhelm, bestätigt von Calixtus II. (1119-24). 115 Der minnen strael stect mi int herte, -
eine der wenigen Stellen, welche einen Anhaltungspunkt für das Alter des Gedichtes geben. Ionckbloet weist darauf hin, dasz diese Stelle, sowie später die Anerkennung von der ‘Macht der Frau Venus’ die Bekanntschaft mit ‘der Rose’ ver-muthen lassen. Ga naar voetnoot* 175 Messe, gordele ende almoniere. Die Aumonière war die kleine, an der Seite hängende Tasche, in welcher man allerhand Kleinigkeiten zu bergen pflegte. 288 u. flg. Etwas freier übersetzt, ohne den Sinn zu verändern. Im Or.: Haestelic ghinc hi tsinen paerde:
Hi settese vor hem int ghereide.
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Dus voren si henen beide
Soe verre, dat began te daghen,
Dat si hen nyemen volghen saghen.
Vers 313 Hoe mach u aen mi twien? -
Twien - zweifeln. 323
Ve pont wit selverijn -
Im Mittelalter sagte man: Rothes Gold und weiszes Silver. In Frankreich spricht man noch heutzutage von einer pièce blache. 336 Die scone waren ende suete roken:
Sehr freie Uebersetzung - Im Duft der eignen Opferschale. 340-52 Absichtlich sehr frei; das Original lautet: Die ionghelinc sach op die suverlike,
Daer hi ghestade minne toe droech;
Hi seide: ‘Lief, waert u ghevoech,
Wi souden beten ende bloemen lesen:
Het dinct mi hier scone wesen
Laet ons spelen der minne spel.’
‘Wat segdi, sprac si, dorper fel,
Soudic beten op dat gelt,
Ghelijc enen wive die wint ghelt
Dorperlijc met haren lichame,
Seker soe haddic cleine scame!
Dit en ware u niet ghesciet
Waerdi van dorpers aerde niet.’
359-64 Wiederum frei: | |
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Im Originale: Alsic bi u ben al naect
Op een bedde wel ghemaect,
Soe doet al dat u ghenoecht,
Ende dat uwer herten voeght;
Ic hebs in mine herte toren
Dat ghijt mi heden leit te voren.’
Vers 374 Im Or.: 399 u. 400 In can u niet ghesegghen wel
Wat tusschen hen tween ghevel.
Der damals gewöhnliche Reimchronikenton. 486 u. 87 Dat si met enen swerde al bloet
Liever liete haer hoet af slaen.
Hoet: Kopf. 517 Fonteine boven alle doghet: Ich wählte: Springquell aller Gnade; beide Ausdrücke sind mystische Locutionen, die sehr gebräuchlich waren. 519 Alse wel Leophuluse sceen.
Wiederum eine annähernde Bestimmung für das Alter des Gedichtes. Der mndl. ‘Theophilus’ muszte zu unseres Legendendichters Zeiten allgemein bekannt sein, da derselve einige Verse fast wörtlich übernimmt. Theophilus wird in die ersten Jahre des 14. Iahrhunderts gerechnet.Ga naar voetnoot* 526 Ende een onghetroest kentijf.
Keytijf: it. cattivo, fr. chétif, engl. caitif. - arm, elend. 567 u. 68. Sprac die vrouwe, met uwen Kinderkinen,
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Mi dunct dat si moede seinen.
Hier hat wohl der Schreiber der wunderschönen Handschrift dieselbe nicht durch die Correctur eines gemachte Fehlers entstellen wollen, und deshalb lieber die versäumte Apocope: kinderkijn durch die Umänderung des folgenden Reimwortes seinen ausgeglichen. Es müszte wohl heiszen: Met uwen Kinderkijn
Mi dunct dat si moede sijn.
Vers 597 Elnde seide: Ghi dunct mi reven: Reven - unser mhd. reben (S. Benccke), das französische rêver in der mittelalterlichen Bedeutung von irrsprechen. 605-7. Im Original: Hen si dat si waer onghesont.
Hi ware erger dan een hont,
Dier af seide el dan goet.
654 Gisemast, die mordenare, - in Gegenstellung zu 640-45 der zur Linken Iesu gekreuzigte Mörder. 779 u. 80 Ich übernahm hier die naiven Ausdrücke des Originals: Kinder, blijft ghesont! 785 Im Original: Om al tgoet dat Rome heeft binnen.
956 Dat en helpt u niet een bast -
bast - die Schale einer Frucht, Etwas ohne jeglichen Werth. 989 Haer abijt met groten vare -
vare - das engl. fear, - Furcht. Rotterdam, Februar 1870. W.B. |