'Altniederländische Mystik in deutschsprachiger Überlieferung'
(1964)–Kurt Ruh– Auteursrechtelijk beschermd
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Altniederländische Mystik in deutschsprachiger Überlieferung[Dr. L. Reypens-Album, hg. von Alb. Ampe, Antwerpen 1964, S. 357-382]Über den Einfluβ der deutschen Mystiker auf die niederländische Spiritualität ist schon wiederholt und mit Erfolg gehandelt worden: W. DolchGa naar voetnoot1 - um nur an die grundlegenden Darstellungen zu erinnern - sammelte vor mehr als einem halben Jahrhundert die handschriftlichen Zeugen in bereits erstaunlicher Vollständigkeit; C.G.N. de VooysGa naar voetnoot2 ging den Wirkungen Eckharts im niederländischen Raum nach; M.A. LückerGa naar voetnoot3 stellte den Einfluß Eckharts auf die Devotio moderna im besondern dar; A.G.M. van de WijnpersseGa naar voetnoot4 gab auf Grund einer breiten handschriftlichen Tradition die niederländische Übertragung von Seuses ‘Horologium’ heraus; G.L. Lieftinck widmete seine imponierende ProefschriftGa naar voetnoot5 den mittelniederländischen Tauler-Handschriften. Bekannt ist weiter die außerordentlich starke Verbreitung deutscher Lehr- und Erbauungsbücher in den Niederlanden: der Traktate Davids von Augsburg, der ‘Vierundzwanzig Alten’ Ottos von Passau, des ‘Extendit-manum’-Passions-| traktat des Heinrich von St. Gallen, des Dekalog- und Exodustraktats Marquards von LindauGa naar voetnoot6. So entstand das | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Bild eines unwiderstehlichen Stroms oberländischer Mystiker-Werke nach den Niederlanden und damit eines geschichtlichen Gefälles vom Oberrhein zum Niederrhein und zur Schelde. Dort sind die Gebenden, hier die Empfangenden, die erst mit der Devotio moderna die Bewegung wieder zurückfluten lassen. Dieses Bild läßt sich nicht halten, auch wenn man die Anfänge der volkssprachlichen Mystik, die niemand den Niederländern absprechen wird (Hadewijch und Beatrijs und nun doch - geistig und sozialständisch gesehen - in ihrer Nähe: Mechthild von Magdeburg), nicht mit in die Diskussion ziehen will. In Wirklichkeit war die Vermittlung eine wechselseitige. Querschnitte durch die Handschriftenbestände von der Mitte des 14.Jahrhunderts bis zur Schwelle der Reformation würden zeigen, daß es im deutsch-niederländischen Raume von den Alpen zur Nord- und Ostsee zu einer gegenseitigen Integration der geistlichen Literatur im allgemeinen und der mystischen im besonderen gekommen ist. Man las nicht nur Eckhart, Seuse und Tauler, Otto von Passau und Marquard von Lindau in niederländischen Klöstern und Bürgerhäusern: ebenso fanden Ruusbroec, Jan van Leeuwen, Gerard Zerbolt van Zutphen, Hendrik Herp und die ‘Imitatio Christi’ einen deutschen Leserkreis. Diese Tatsache, die sich an der Überlieferung ablesen läßt, stärker, als es bisher der Fall war, ins Bewußtsein zu rücken, sei Aufgabe und Ziel dieses Beitrags. Er wird z.T. bereits Bekanntes (wenn auch von der deutschen Forschung so gut wie Vergessenes und Übersehenes) zusammenfassen, präzisieren und erweitern, z.T. neues Material vorlegen, das uns erst gestattet, gewisse Erscheinungen zusammenzusehen und Schlüsse zu ziehen. Dabei ist es mir eine große Genugtuung, an Interessen und Erkenntnisse des verehrten Jubilars, dem dieser Artikel gewidmet ist, anknüpfen zu können: ich meine seinen Aufsatz ‘Bij het zesde eeuwfeest der hoogduitse vertaling van Ruusbroec's “Brulocht”’Ga naar voetnoot7.| | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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schriftsprachlichen Fixierung eine solche Grenze im strengen Wortsinne nie gegeben hat, ist bekannt: zwischen ‘Oberland’ und ‘Niederland’ liegen verschiedene Sprachlandschaften, die rheinfränkisch-hessische, die moselfränkische um Trier, die ripuarische um Köln, und infolgedessen verschiedene Sprachgrenzen. Es ist, wenn man die politischen Grenzen aus dem Spiel läßt, auf Grund sprachlicher Kriterien kaum möglich, unter diesen gestaffelten Sprachschranken die ‘eigentliche’ Grenze auszumachen. Ich muß diese sprachgeschichtliche Binsenwahrheit aussprechen, weil sie für die Beurteilung des literarischen Austauschs zwischen den Niederlanden und dem deutschen Süden von entscheidender Bedeutung ist. Von Bedeutung, weil schon die rein sprachliche Adaptationsfähigkeit der verschiedenen Landschaften zwischen den Alpen und dem Niederrhein recht ungleich war, und das konnte sich sowohl auf die Zahl der verdeutschten Werke als auch besonders auf die Art und Weise dieser Rezeption auswirken. Wird es sich dabei in jedem Falle um eine ‘Übersetzung’ handeln, d.i. um ein Produkt bewußter Umbildung in anderen Sprachstoff? Ich gestehe, daß mir durch das Studium mittelniederländischer Werke in deutscher Sprache gerade der Ausdruck ‘Übersetzung’ für diese Umformungen höchst problematisch geworden ist. Wenden wir unsern Blick zunächst auf die dem Niederländischen benachbarten deutschen Sprachlandschaften. Hier habe ich immer wieder dieselbe Beobachtung gemacht: Im Niederdeutschen wie im Mittelfränkischen, im Ripuarischen sowohl wie im Moselfränkischen, erfahren niederländische Texte nichts anderes als eine Angleichung an die jeweiligen Laute und Formen; Syntax und Wortschatz bleiben bei Übernahme dieser Texte fast gänzlich unberührt. Der Prozeß ist grundsätzlich kein anderer, als wenn ein bayerischer Schreiber einen alemannischen Text ab- bzw. umschreibt. M.a.W.: in Hamburg, Lübeck, Hildesheim, in Aachen, Köln, Bonn und Trier verstand man einen niederländischen Text ohne Mühe zu lesen. Er wurde für den Gebrauch umgeschrieben, wozu jeder Schreiber mit Leichtigkeit in der Lage war. Zur Veranschaulichung zwei Beispiele: das eine ist ein Stückchen aus | Ruusbroecs ‘Brulocht’ nach einer Brüsseler (Br.) und Kölner (Kö.) Hs., das andere eine Ermahnung des Hl. Franziskus in einem Text aus Antwerpen (A.) und Trier (Tr.)Ga naar voetnoot8. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Es handelt sich nicht um sorgfältig ausgesuchte Musterbeispiele, sondern völlig zufällige Griffe in das Material, das mir gerade zur Verfügung steht. Man muß die Texte so unmittelbar nebeneinander sehen und miteinander lesen, um mit der Vorstellung aufzuräumen, es bestünden im umschriebenen Raume Grenzen, die die Literatur nur durch Übersetzungsleistungen zu überwinden vermocht hätte. Sie konnte vielmehr kaum gehemmt strömen, vom Westen nach Osten und vom Osten nach Westen. Im Zeitraum der Massenproduktion geistlicher Literatur zwischen 1350 und 1500 verlief jedoch dieser Strom fast ausschließ- | lich von Westen nach OstenGa naar voetnoot9. Als Regel darf gelten: Was in den Niederlanden Verbreitung fand, das gelangte auch nach Niederdeutschland und Mittelfranken. Ich nenne nur einige repräsentative Werke, an deren Überlieferung man diese Tatsache ablesen kann: ‘Van den vier oefeninghen’ (niederländische Bearbeitung von Bonaventuras ‘Soliloquium’)Ga naar voetnoot10, | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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die niederländische Übersetzung von Pseudo-Richards von St. Viktor Hohelied-KommentarGa naar voetnoot12, Nach meinen Beobachtungen nährt sich der Großteil der geistlichen Prosaliteratur im niederdeutschen und mittelfränkischen Raum vom niederländischen Schrifttum. Wesentlich geringer ist der Anteil des hochdeutschen Bücherimports, obwohl hier die oberdeutschen Bestseller, Seuses ‘Büchlein der ewigen Weisheit’, Ottos von Passau ‘Vierundzwanzig Alte’, Marquards Dekalog- und Exodustraktat u.a. mehr, keineswegs fehlen. Bezeichnend ist jedoch, daß das ‘Büchlein der ewigen Weisheit’ in Niederdeutschland und im Mittelfränkischen vor allem durch die niederländische Übertragung des ‘Horologium’ verbreitet war und manche niederdeutsche oder mittelfränkische Fassung | einer oberdeutschen Schrift durchaus den Eindruck macht, sie sei die Umschrift einer niederländischen Vorlage, nicht des hochdeutschen OriginalsGa naar voetnoot17. Doch wäre dies noch auf breiter Vergleichsbasis zu untersuchen. Das heißt nun aber: Die sprachliche Schranke zwischen Mittelfränkisch/Niederdeutsch einerseits, Rheinfränkisch/Ostmitteldeutsch und das südliche Oberdeutsch andererseits, erweist sich für literarische Texte als stärker als zwischen Mittelfränkisch/Niederdeutsch und den Niederlanden. Die soeben angeführten niederländischen Werke kommen allesamt nicht oder dann nur auf besonderen Wegen über die mittel-/rheinfränkische Schranke hinweg, und umgekehrt vermag eine oberdeutsche | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Schrift oft den ganzen süd- und ostmitteldeutschen Raum zu erobern: vor dem Mittelfränkischen und Niederdeutschen macht sie haltGa naar voetnoot18. Das Material, das ich keineswegs vollständig (was schlechterdings nicht möglich ist), aber in genügender Breite überblicke, gestattet uns durchaus die abschließende Feststellung, daß der niederländische Literaturraum im umschriebenen Zeitraum ganz Niederdeutschland und den Kölner und Trierer Raum einschließt. Bestimmt gilt dies für die geistliche Prosaliteratur, und damit für die Hauptmasse der damaligen Bücherproduktion. Die deutsche Forschung darf sich dieser Erkenntnis nicht länger verschließen. Dann kann es nicht mehr vorkommen, daß sich Germanisten jahrelang mit niederdeutschen Texten befassen und sie gar edieren, ohne zu ahnen, daß dahinter eine breite Front niederländischer Handschriften steht, die das Original repräsentierenGa naar voetnoot19. Aber auch die niederländische, so rührige und erfolgreiche Handschriftenforschung sollte nicht, wie es immer noch in eigentümlicher Befangenheit geschieht, bei der Sichtung einer Überlieferung | vor den niederdeutsch-mittelfränkischen Ablegern halt machen. Es sind zwar sozusagen in die Provinz ausgewanderte, aber durchaus legitime KinderGa naar voetnoot20. Sofern deutsche Sprachlandschaften dem niederländischen Literaturraum angehören, achten wir auf dort auftretende Zeugen niederländischer Mystik - etwa die zahlreichen Ruusbroec-Handschriften - nicht weiter. Sie sind, so möchte ich sagen, selbstverständlich dort und gleichsam zu Hause. Im folgenden richte ich den Blick ausschließlich auf Oberdeutschland, indem ich frage, ob, in welchem Umfang und in welcher Weise in dieser Herzkammer mystischer Spiritualität niederländische Mystik wirksam wurde. Man kann sich vorstellen, daß ein Werk in Etappen von Norden nach Süden, von Brüssel und Amsterdam nach Basel, Straßburg und Nürnberg seinen Weg über die Schreiberhände genommen hat, also in einem Prozeß allmählicher Umformung oder Anpassung. Auch in diesem Falle einer sukzessiven und sozusagen automatischen Eindeutschung dürfte von ‘Übersetzung’ nicht gesprochen werden. Ich kenne jedoch keinen solchen Fall, und er scheint auch in der umgekehrten Ausbreitungsrichtung, | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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vom oberdeutschen Süden nach den Niederlanden, die Ausnahme zu seinGa naar voetnoot21. Man ist zunächst von dieser Feststellung überrascht, aber nur solange, als man sich von der Ausbreitung eines literarischen Werks zur Zeit handschriftlicher Überlieferung allzu mechanistische Vorstellungen macht. Handschriften bewegen sich nun doch nicht wie wandernde Völker oder marschierende Heere vorwärts, auch nicht mit der Gesetzmäßigkeit von Lauterscheinungen, etwa der nhd. Diphthongierung. Sie haben vielmehr ihre eigenen und stark wechselnden Bedingungen der Verbreitung: klösterliche und bürgerliche Schreibstuben, Klosterreformen bzw. deren Wege und Organisation, persönliche Beziehungen von Ort zu Ort bedingen sie. Genaue Fixierungen dieser Wege gelingen nur im Einzelfall. Man vergleiche die, wie mir scheinen will, instruktiven Beispiele, | die gerade das Material, das wir in den folgenden Abschnitten ausbreiten, hergibt. Es sind also in all den Fällen, denen wir noch begegnen werden, niederländische Schriften unmittelbar auf irgendeinem persönlichen Wege, in den süddeutschen Raum gelangt, wo sie, um gelesen und weiter verbreitet zu werden, eine sprachliche Umformung erfahren mußten. Bei ihrer Beurteilung ist zunächst zu bedenken, daß sich die Sprachen vor 500 bis 700 Jahren noch entschieden näher standen als heute. Und vielleicht noch entscheidender als die sprachgeschichtlichen Fakten, die sachlich Nähe und Ferne zweier Idiome zu bestimmen vermögen, ist das lebendige Bewußtsein, das Sprachenverhältnisse registriert und wertet. Wie empfanden die Süddeutschen die Sprache der Vlamen und Holländer? Wie nahe, wie fremd war sie ihnen? Ich kenne nur wenige Zeugnisse (zahlreiche sind auch nicht zu erwarten). Berthold von Regensburg setzt bei seinen Hörern das Bewußtsein der Unähnlichkeit beider Sprachen voraus, wenn er sagt: Ir wizzet wol, daz die niderlender unde die oberlender gar ungelîch sint an der sprâche und an den sitenGa naar voetnoot22. Mechthilds von Magdeburg nun doch schon stark mitteldeutsch gefärbtes NiederdeutschGa naar voetnoot23 empfand man in Basel als fremdez tützsch, und man bedurfte zweier Jahre ‘Fleiß und Mühe’, ehe es ‘ein wenig’ in ‘unser’ | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Deutsch gebracht warGa naar voetnoot24: noch um einige Grade fremder, möchte man meinen, mußten niederländische Texte erscheinen. Jung Helmbrecht gebraucht bekanntlich beim Empfang der Seinen neben lateinischen, französischen und böhmischen Grußformeln auch vlämische Redensarten (726 ff.), und diese werden so wenig verstanden wie jene: die Aufforderung des Alten sprich ein wort tiutischen (759) richtet sich auch gegen das Platt. Das verrät den Abstand im Sprachenbewußtsein. Trotzdem blieb man sich der Sprachverwandtschaft bewußt: Es gab im Deutschen das vlaemen, und diese Verbrämung der Rede mit vlämischen Wortbildungselementen und Lauten war ja nur möglich auf Grund eines spontanen Grundverständnisses des Niederländischen. | Auch dafür zeugt der ‘Helmbrecht’ - Ey waz snacket ir gebûrekîn... (764 ff.) und die ironische Replik dazu: gât ir nû, her blindekîn (1717) - und vor ihm Neidhart: mit sîner rede er vlaemet (82,2). Auch rechnete man das Niederländische noch zum ‘Deutschen’: eyn puch verschriben ze deutsch in brabantzer zunge nennt ein Nürnberger das ‘Dietsche Doctrinale’Ga naar voetnoot25. Abstand und Nähe zugleich bestimmen das Verhältnis Oberdeutsch-Niederländisch im Spätmittelalter. Der eine mochte mehr die Nähe, der andere den Abstand empfinden: ich meine, die Bewußtseinsskala zwischen ‘fremd’ und ‘doch vertraut’ müßte bei der Umformung niederländischer Schriftwerke in ein oberdeutsches Idiom ihren sprachlichen Niederschlag gefunden haben. Und gerade im Umgang mit Werken der Mystik, auf die wir uns thematisch beschränken, erwarten wir einen Grad des Sprachbewußtseins, das uns den Umformungsprozeß auch in Feinheiten sichtbar werden läßt. Wir werden sehen, ob und inwieweit sich diese Erwartung erfüllt. Zunächst ist es aber unsere Aufgabe, die handschriftlichen Zeugen niederländischer Mystik in oberdeutscher Sprache namhaft zu machen. Beweist es nicht die Entfremdung der deutschen Philologie von der niederländischen Schwester, daß noch keine einzige niederländische Mystikerschrift in mhd. Sprachgewand durch einen Germanisten eine nähere Untersuchung und Würdigung erfahren hat, geschweige eine Ausgabe? Und doch wurden wenigstens in einem Falle, der hochdeutschen ‘Brulocht’-Fassung, schon in der Frühzeit der deutschen Mystik-forschung Wege dazu freigelegt und Aufgaben ins Auge gefaßtGa naar voetnoot26. Sie blieben, abgesehen von gelegentlichen Hinweisen, ungenutzt, bis Reypens | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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im oben erwähnten Aufsatz die ‘Brulocht’-Überlieferung toten voeten des berchs zusammenstellte und weiterweisende philologische Fragen aufwarf. In diesem Falle habe ich zusammenzufassen, zu präzisieren und zu ergänzen. Dasselbe gilt von Jans von Leeuwen Traktatenbündel, das nach der Mitte des 15.Jahrhunderts nach Rebdorf im Altmühltal gelangte. Die Materialien zu Hendrik Herps ‘Spiegel der Vollkommenheit’ und Gerhard Zerbolts von Zutphen ‘Geistlichen Aufstiegen’ lege ich ganz aus Eigenem vor.| | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
II.Die erste niederländische Mystikerschrift, die in die Sprache der ‘Oberländer’ umgeformt wurde, ist Jans van Ruusbroec ‘Die gheestelike brulocht’Ga naar voetnoot27. Sie hatte entschieden Erfolg. L. Reypens wußte 1950 zehn erhaltene Handschriften-Zeugen zu nennenGa naar voetnoot28, konnte sich jedoch, wie mir scheint, nur bei wenigen auf die eigene Anschauung abstützen. Drei weitere oberdeutsche ‘Brulocht’-Texte machte ich 1953 und 1961 in knappster Form bekanntGa naar voetnoot29 (die Nummern l, 7 und 10 unserer Liste). Ich stelle die ganze bisher bekannt gewordene Überlieferung zusammen, an der Spitze die vollständigen, im ungefähren nach Alter und Wert abgestuften HandschriftenGa naar voetnoot30.
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Die Rulman Merswin-Auszüge:
Verlorene Handschriften:
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Daß die verbrannte Straßburger Hs. B 152 dem Übersetzungsoriginal am nächsten kam, vermuteten Arnswaldt und Reypens mit RechtGa naar voetnoot36. Die Basler ersetzt sie nur unvollkommen, wohl aber die von mir im Jahre 1958 entdeckte und 1961 kurz angezeigte Karlsruher Perg.-Hs. Sie entspricht nach Format - Duodez - und Anordnung - 85 Kapitel - vollkommen der Straßburger, ist augenscheinlich deren Schwester. Der Text ist so ausgezeichnet, wie man ihn nur erwarten darf. Eine Ausgabe wird auf ihm beruhen müssen, unter sorgfältiger Auswertung der von Arnswaldt aus Straßburg B 152 mitgeteilen LesartenGa naar voetnoot37. Wir wissen aus dem cgm. 818, einer Hs. des Rulman-Merswin-Auszugs, daß Ruusbroec seinen ‘Brulocht’ im Jubeljahr 1350 in oberlant den gottes frienden zugesandt hat. Diese Angabe bestätigt ein Zeugnis der Procurators Geert van Sinte Renilde, das ReypensGa naar voetnoot38 beigebracht hat. Wer war der Adressat? Reypens dachte in erster Linie an Basler Kreise. Allein die handschriftliche Tradition, nunmehr verstärkt durch Karlsruhe 1103, weist gebieterisch nach Straßburg. Weiter wird man ‘Gottesfreunde’ i.J. 1350 nicht von Tauler trennen dürfen, und dieser befand sich zu dieser Zeit schon längst nicht mehr in Basel, sondern im Straßburger Heimatkonvent. Hat Tauler aber Ruusbroec in der Groenendaaler Einsiedelei besuchtGa naar voetnoot39 - und warum nicht von Köln aus, wo er um 1346 weilte?Ga naar voetnoot40 -, so kann man sich das Buchgeschenk recht gut als Empfehlung und Erinnerung an den Besucher in Groenendaal denken. Aber das muß eine, wenn auch ansprechende, Vermutung bleiben. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Mit der bisherigen ForschungGa naar voetnoot41 darf festgehalten werden, daß die vlämische Hs., die Ruusbroec ins Oberland senden ließ, aller Wahr-|scheinlichkeit nach sogleich ins Alemannische umgeschrieben worden ist. Dieses obd. Brunluftb[uolduml]chel wurde dann zu einem Lieblingsbuch im Grünenwörth der Johanniter, wo Rulman Merswin, nach einem Eintrag des Nikolaus von Löwen im cgm. 818 (23v), in sinen allerhindersten siechtagen kurz vor dem Tode, also 1382, Exzerpte daraus verfertigte. Von der weiteren Wirkung der Übersetzung zeugen nicht nur die Hss. selber, sondern ihre Benutzung durch Marquard von Lindau im Eucharistie- und im Dekalog-TraktatGa naar voetnoot42. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
III.Zum Osterfest des Jahres 1459 schrieb Bruder Peter von Zutphen, convers vnd kelner des Klosters Rebdorf bei Eichstätt an der Altmühl, eine zweispaltige Kleinfolio-Hs. mit 141 Blättern zu Ende. Sie gehört heute mit der Signatur 280/2881 der Gräflich von Schönbornschen Bibliothek zu Pommersfelden (bei Bamberg) an und enthält nur Traktate des ‘Guten Kochs’ aus Groenendaal, Jans van Leeuwen, in deutscher Sprache. Diese Hs., von Joseph Lechner aufgespürt und bekannt gemachtGa naar voetnoot43, gehört trotz ihres nichtoriginalen Sprachgewandes zu den wichtigsten Grundlagen der Jan van Leeuwen-Philologie: sie geht allem Anschein nach auf eine vom Autor i.J. 1355 selbst veranstaltete Teilsammlung seiner Schriften zurückGa naar voetnoot44. Der Weg, den das niederländische Traktatenbündel von Groenendaal bei Brüssel nach Rebdorf genommen hat, läßt sich ordentlich genau und mit bester Wahrscheinlichkeit rekonstruieren: dank den Daten der Windesheimer Klosterreform, dem (niederländischen) Namen des Schreibers, den Sprachformen der Texte. Lechner hat die Sprache als niederdeutsch, Axters und LievensGa naar voetnoot45 | als mitteldeutsch angesprochen. Sie ist weder das eine noch das andere | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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im genuinen Wortverständnis, sondern ein Sprachgemisch, d.h. die Sprache eines Niederländers, der sich ein westliches Mitteldeutsch angeeignet hat, ohne sich seines Heimatidioms gänzlich entschlagen zu können, jedenfalls nicht als Übersetzer. Niederlandismen treten einem auf Schritt und Tritt entgegen, in der Schreibung (ghinck, sijn, alczijt, middel, vinxternis), in Formen (vnses, die für den männlichen Artikel, den für dem und andere Akkusativformen für Dative) und ganz besonders im Wortschatz (stichten, subtilheit, principael, somige, boben: nachträglich überschrieben mit machen, behentikait, sonderlichen, ein tayl, oben). Bairische Elemente fehlen: der Schreiber und Übersetzer Peter von Zutphen war augenscheinlich erst vor kurzem nach Rebdorf gekommen und zwar, nach den durchschlagenden Formen der Hs. zu schließen, vom mittleren Rhein. Diese sprachlichen Fakten, verbunden mit Daten der Windesheimer Klosterreform, lassen unschwer den Weg erkennen, den die Traktate des ‘Guten Kochs’ von den Niederlanden nach Bayern genommen haben: über das Kloster Böddeken bei Paderborn, das 1430 von den Windesheimern übernommen wurde, und über das Augustinerchorherrenkloster Kirschgarten (oder Mariengarten) bei Worms, seit 1443 den Reformern aus Böddeken unterstellt. Rebdorf aber wurde 1458 von Kirschgarten aus unter dem Prior Johannes Herden reformiert. Peter von Zutphen hat, wenn nicht alles täuscht, diesen Weg der Reform als Reformer mitgemacht, das Jan van Leeuwen-Traktatenbündel in der Tasche. In seinem ersten Rebdorfer Jahr machte er sich an die Übertragung: bestimmt im Auftrag seines PriorsGa naar voetnoot46, für den in derselben Zeit auch eine umfängliche Tauler-Hs. geschrieben wurdeGa naar voetnoot47. So sah es schon Lechner. Nach ihm ist durch die Veröffentlichung einer kleinen Blütenlese aus Jans van Leeuwen Werken durch LievensGa naar voetnoot48 die Vermittlungsrolle Böddekens bestätigt worden. Es sind Exzerpte, die i.J. 1448 in Böddeken geschrieben wurden (Berlin, germ. 4o 1398), und sie leiten sich von demselben Traktatenbündel ab, das den Weg nach Rebdorf gemacht hat!| Die Übersetzung des Peter von Zutphen blieb nicht ganz ohne Ausstrahlung: zwei weitere Rebdorfer Hss. überliefern Auszüge aus | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Zutphens Übertragung, die nunmehr in perfekt bairischem Idiom erscheint: München, cgm. 447, 1r-20v, 169v-179v und Berlin, germ. 8o 565, 172r-183r. Der cgm. 447 bildete dann die Vorlage für eine Hs. der Benediktinerinnen von St. Walburg zu Eichstätt: Cod. germ. 7, 89r-113rGa naar voetnoot49. Diese Exzerpte, von denen die Eichstätter bereits dem beginnenden 16.Jh. angehören, haben noch in beinahe rührend wirkender Verstümmelung das Wissen um den Autor bewahrt: genumen vnd gesammet auss den püchern des erwirdigen bruders Johann Coch (!) yn dem closter zu grauendal (!) yn brabant, eyn lay, on gelert der nit enkönd yn litterlicher kunst a vor b (cgm. 447, 1r). Sie enthalten übrigens am Anfang die selben geistlichen Lehren über die Demut aus ‘De electione divina’ c. 14, die schon früher in Böddeken ausgezogen wurdenGa naar voetnoot50. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
IV.Hendrik HerpGa naar voetnoot51, der Fraterherr in Gouda, der 1450 in Rom in den Orden des Franziskus übertrat, gehört zu den großen Vermittlern mittelalterlicher Mystik an die Neuzeit. Sein Hauptwerk, der ‘Spieghel der volcomenheit’, gelangte in der lateinischen Fassung des Petrus Blomevenna (1599) nach Italien, Frankreich und Spanien und wurde dort auch in volkssprachliche Formen gegossen. Über diese Wirkung Herps auf die Frömmigkeitsgeschichte der romanischen Länder ist öfter gehandelt wordenGa naar voetnoot52. Der ‘Spiegel’ war jedoch in den Zeiten der Reformation und Gegenreformation in Deutschland nicht minder beliebtGa naar voetnoot53: im Jahre 1600 kam in Köln eine Übersetzung nach der | lateinischen Fassung heraus: ‘Der geheimreichen Redt von Gott’ vom Franziskaner | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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F. Anselmus HoffmanGa naar voetnoot54; Angelus Silesius nennt Herp im Vorwort des ‘Cherubinischen Wandersmann’Ga naar voetnoot55. Die Wirkung in die Breite setzte früh ein. Schon zu Lebzeiten des Autors - er starb 1477 - wurde der ‘Spiegel’ in Deutschland gelesen. Um 1475 brachte Peter Schoeffer in Mainz einen Druck heraus (Copinger 2941)Ga naar voetnoot56 nach einer Hs. der Kartause Salvatorberg bei Erfurt: er liegt wesentlich früher als der erste niederländische Druck (1501). Noch früher, jedenfalls vor dem Jahre 1469, gelangte jedoch eine niederländische Hs. nach Nürnberg und wurde dort für die Klosterfrauen des Katharinenklosters übersetzt. Von dieser Verdeutschung ist uns ein originalnahes Exemplar der Stadtbibliothek Nürnberg in zwei Bänden aus den Beständen des Katharinenklosters erhalten: in Cent. VII 21, 2r-187v, und Cent. VI 96, 2r-184v (= Katharinenkloster M XXIII/XXIV). Der 2. Band ist dabei die Fortsetzung des ersten, setzt ein mit c. 39 (Verschueren, S. 233). Im alten Katalog - zwischen 1456 und 1469 entstandenGa naar voetnoot57 - steht nun zu den Nummern M XXIII und XXIV: Item dise II puchlein haben die swestern geschriben, und hat gepredigt und gemacht der erwirdig vater prior zu den predigern, Peter Kirchslag, und unser peichtiger, vater Hasz, hat sy uns teutzsch lasen machenGa naar voetnoot58. Diese Angabe führte zur Vorstellung, der Dominikaner-Prior Peter Kirchslag sei der (lateinische) Autor dieser Schriften, und der Beichtiger Georg (oder Augustinus?) Hasz habe sie den Klosterfrauen übersetztGa naar voetnoot59. Aber die Frauen von St. Katharinen waren schlecht informiert. Der in ihren Hss. überlieferte Text ist eine präzise Übertragung | des Herpschen ‘Spiegels’, und zwar des niederländischen Originals, nicht einer | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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lateinischen FassungGa naar voetnoot60. Das erhebt ein Vergleich der Texte über jeden Zweifel. Daß ihr Beichtiger Hasz sich als Übersetzer betätigte, werden die Frauen kaum erfunden haben, aber sie waren sich im unklaren über den Gegenstand seiner Übersetzung. Sollte Peter Kirchslag, der zu den führenden Männern der Ordenprovinz gehörte, viel herumreiste und Klöster im deutschen Westen, in Mainz und in Köln, reformierteGa naar voetnoot61, den niederländischen ‘Spiegel’ vermittelt haben? Wir möchten es annehmen, ja müssen es, sofern wir hinter der Angabe des Katalogs überhaupt eine Realität, wenn auch eine verdunkelte, anerkennen wollen. Die genauen Nürnberger Hss. gehören zu den ältesten der ganzen Herp-Überlieferung. Der ‘Spiegel’ ist nach der Jahrhundertmitte entstanden - nach Verschueren zwischen 1455 und 1460 -; vom Jahre 1462 stammt Hs. Leiden, Lett. 1129 (Verschueren, Nr. XII); dann kommen schon gleich unsere Katharinenkloster-Hss. Herps ‘Spiegel’ war nicht das einzige niederländische Buch, das nach Nürnberg gelangte. Im Jahre 1443 übertrug der Kartäuser Erhard Gross - er ist namentlich durch seine Grisardis-Novelle in die deutsche Literaturgeschichte eingegangen - das ‘Dietsche Doctrinale’ in das Idiom seiner Vaterstadt, und wir wissen näher über den Anlaß zu diesem Beginnen Bescheid: Paul Förchtel, Gesandter der Reichsstadt, brachte es in eine kleine Gesellschaft von Prominenten im Hause des Ortholf Stromer mit, und man beschloß, es vom anwesenden Kartäuser übersetzen zu lassenGa naar voetnoot62. Dieser hatte bereits seit Jahren Beziehungen zum niederländischen Schrifttum seiner Zeit. Er übertrug 1446 das verbreitete, Gerard van Vliederhoven zugeschriebene, apokalyptische Buch ‘Van den vier utersten’, allerdings nicht nach der niederländischen, sondern der lateinischen Fassung, dem ‘Cordiale’; er kennt und verwertet ferner in seinem ‘Nonnenwerk’ 1432 das Schrifttum der Devotio moderna, darunter die ‘Imitatio Christi’. Es sind also um die Mitte des 15.Jahrhunderts in Nürnberg bereits | literarische Fäden zu den Niederlanden geknüpft. Das Auftauchen und die Übersetzung von Herps ‘Spiegel’ - damals eine ausgesprochene Novität - darf hier und zu dieser Zeit keineswegs als Curiosum gebucht werden. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Die Übertragung des Beichtigers Hasz wurde noch einige Male abgeschrieben: zweimal gegen Ende des Jahrhunderts im Katharinenkloster selbst: Stadtbibl. Cent. VII 59, 2r-98r mit Teil I und IIGa naar voetnoot63 und Cent. VII 27, 3r-47r mit fragmentarischem Schluß mitten im Kapitel 14 (= Verschueren, S. 99, Z. 34). Dazu kommt eine Abschrift in einem schwäbischen Nonnenkloster oder für ein solches: Berlin, germ. 8o 516, 1r-91r v.J. 1490 (?) mit Teil I u. IIGa naar voetnoot64. Eine zweite Spiegel-Übertragung ist in sechs Hss. auf uns gekommen und dürfte, nach der Überlieferung zu schließen, Ende des 15.Jahrhunderts im Schwäbischen entstanden sein. Sie bietet wie die Nürnberger keinen Autornamen, hebt sich jedoch im Folgenden von ihr ab:|
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Zu dieser Übertragung gehören die folgenden Hss.:
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V.Gerard Zerbolts van Zutphen, des Fraterherrn zu Deventer, Buch ‘Van gheestelijken opclimminghen’ gehört zu den niederländischen Schriften, die im Niederdeutschen und Mittelfränkischen häufig umgeschrieben wurden. Aus dem oberdeutschen Raum war bisher das Werk, das im Erfolg mit Herps ‘Spiegel’ wetteifert, nur aus zwei Drucken vom Ende des 15.Jahrhunderts bekannt: Basel (Johann Amerbach) und Heidelberg (Heinrich Knoblochtzer)Ga naar voetnoot73. | Das erste Zeugnis einer handschriftlichen oberdeutschen Überlieferung fand ich vor kurzem in der Pariser BN., im Ms. allem. 125 (Suppl. franç. 3175), 131r-155v. Die Papierhs. in Octav, von einer Hand aus der 1.Hälfte des 15.Jahrhunderts in oberrheinischer Mundart geschrieben, ist reich an aszetischmystischen Texten. Zu den vielen von G. HuetGa naar voetnoot74 übersehenen oder doch nicht katalogisierten Stücken gehören auch Exzerpte der ‘Geistlichen Aufstiege’ mit dem Titel Von der vf stigung werdent hie etliche capittel | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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beschriben, also es ein geistlicher doctor, genant her gerhart von zuczphen, vss der heilgen geschrift hat geczogen vnd gesect. Der Bearbeiter gliedert den Stoff in 20 Kapitel, die zunächst, mit einer Ausnahme, Kapiteln der niederländischen Fassung entsprechen: (Paris) c. 1 u. 2 = (WürzburgGa naar voetnoot75) c. 1; C. 3-8 V c. 2-7; c. 9 = c. 12; c. 10-12 = c. 13-15; c. 13 = c. 17; c. 14 = c. 19. Von da an werden nicht nur viele Kapitel übersprungen, sondern die Beziehungen zur Vorlage überhaupt lockerer und fragwürdig. Zu den Kapiteln 15, 17 aGa naar voetnoot76 und 20 fand ich, wenigstens auf Anhieb, überhaupt keine Entsprechungen. Das letzte Kapitel, das vom Bearbeiter, in c. 19, herangezogen wurde, ist das 44. (von 120). Das Ende wurde wohl durch Ermüdung herbeigeführt - trotz des förmlichen Explizits. Die zunächst deutlich erkennbare Absicht, nicht Einzelstücke und -stückchen auszuziehen, sondern eine gedanklich geschlossene Kurzfassung zu bieten, hält nicht durch: das Ganze zerfasert zusehends. Während der Reinschrift des Manuskripts stelle ich durch Zufall in meinen Hss.-Materialien eine weitere oberdeutsche Fassung der ‘Geistlichen Aufstiege’ fest. Ich kann sie nur noch katalogmäßig anzeigen: Innsbruck, Univ. Bibl. 641, 69r-116v, Pap., 4o, v.J. 1466, aus der Kartause Allerengelberg in Schnals (Südtirol). Titel und Initium lauten: Hie hebt sich an die nucz vnd hailbertig lere von der auffsteigung. Sellig jst der man der von dir hilffe hat. So weit ich mir auf Grund weniger Notizen ein Urteil gestatten darf, handelt es sich um eine freie, jedenfalls nicht vollständige Übertragung der lateinischen Fassung (die die ursprüngliche ist) ‘De spiritualibus ascensionibus’.| Die ‘Geistlichen Aufstiege’ als Werk eines Devoten lassen uns an die ‘Imitatio Christi’ denken. Ihre Überlieferung im hochdeutschen Raum ist so reichhaltig und differenziert - es ist mit verschiedenen Fassungen zu rechnen, mit Übersetzungen aus dem Lateinischen und mit Umschriften des niederländischen Textes -, daß ich sie im Rahmen dieses Aufsatzes, der ohnehin die geziemliche Länge überschreitet, nicht entfalten kann. Aber auch deshalb nicht, weil mein diesbezügliches Material noch zu lückenhaft ist und keine gesicherten Resultate erlaubt. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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sein, als daß wir sie ‘Übersetzung’ nennen dürften. Und ich möchte meinen, es lag nicht an der durchgehenden Bequemlichkeit der Schreiber, daß sie diese Texte nur nach Lauten und Formen verwandelten: mehr zu tun, war gar nicht nötig. Bei der Übernahme niederländischer Schriften in ein oberdeutsches Idiom möchten wir ein solch mechanisches Verfahren nicht mehr für möglich halten, da uns der Abstand der Sprachen zu weit erscheint, als daß er übersehen werden könnte und nicht eine bewußte Haltung erforderte. Allein wir täuschen uns. Unsere Hss. demonstrieren vielmehr die Möglichkeit mechanischer Wort-für-Wort-Umsetzungen niederländischer Texte auch in hochdeutschen Mundarten in recht eindrucksvoller Weise. Die Jan van Leeuwen-Adaptation durch Peter von Zutphen könnten wir noch als Sonderfall buchen: hier ‘überträgt’ ein Niederländer, der (mittel)deutsch gelernt hat, und er vermag sich naturgemäß schwer von der Vorlage, die seine Muttersprache ist, zu lösen.
Peter von Zutphen hat sich eine Reihe fester Wortentsprechungen (hier vinxternisse, vinxterheit für duusterheit, donckerheit) angeeignet, dazu eine Handvoll grammatikalischer Regeln (hier das moderne Reflexivpronomen). Von puer weiß er, daß es das Hochdeutsche nicht hat, er kennt aber auch kein deutsches Synonym, und so läßt er es unübersetzt. Das ist schon der höchste Grad des Übersetzerbewußtseins. Im Schluß- | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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wort meldet es sich auch nicht: Peter spricht schlicht von geendet vnd fullenbracht. Besonders im ersten Traktat des Kodex, ‘De tribus magis’ (1ra-21rb), finden wir häufig stehen gebliebene niederländische, im Deutschen unverständliche oder doch kaum gebräuchliche Wörter in interlinearer Technik durch einen wirklich deutschen Begriff ersetztGa naar voetnoot78. Ich kann nicht genau entscheiden, ob es sich um die nachbessernde Hand Peters oder eine zweite (wenig spätere) Hand handelt; wie immer es sich verhält, wir werden hier auf einen Prozeß aufmerksam gemacht, den wir auch häufig bei Übertragungen aus dem Latein beobachten können: die allmähliche, durch die Tätigkeit mehrerer Schreiber erfolgte Eindeutschung. Je mehr sich eine Übersetzung von ihrem ersten Wurf, dem Übersetzungs-original, entfernt, um so mehr finden wir die Spuren des Fremden in Syntax und Wortschatz getilgt.| Diesen Vorgang können wir auch in der Überlieferung der ‘Brulocht’-Eindeutschung verfolgen. Die Karlsruher Hs., als älteste und originaltreuste bietet zugleich den sprödesten Text, d.h. eine Wort-für-Wort-Umformung! Mit anderen Worten: diese oberdeutsche ‘Übertragung’ unterscheidet sich grundsätzlich in nichts von der sog. mittelfränkischen. Man vergleiche selbst:
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Reypens hat die oberdeutsche ‘Brulocht’-Übertragung nicht hoch gewertetGa naar voetnoot80. Ich glaube, wir müssen überhaupt auf eine Wertung verzichten, die immerhin ein bewußtes Vorgehen des Bearbeiters voraussetzt. Spätere, ausgleichende und verbessernde Abschriften, etwa die Basler, auf der Reypens' Beobachtungen beruhen, mögen den Verdacht einer mechanischen Umschrift, dem man ohnehin nicht zuneigt, noch nicht erregen, die originalnahe Karlsruher Hs. jedoch läßt keinen Zweifel daran aufkommen. Jedenfalls: wenn wir erwarteten - und wer hätte es nicht erwartet, -, das Werk des Mystikers aus Groenendaal hätte - und nun gar im Tauler-Kreis der Gottesfreunde und in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe zur Mechthild-Rezeption im Alemannischen, die so viel Begeisterung auslöste! - inspirierend gewirkt und zu einer kongenialen Umformung in die Begriffswelt und Diktion der oberrheinischen Mystikerkreise geführt, so sehen wir uns enttäuscht. Zugleich bedrängt uns aber die Frage, warum ausgerechnet aus einem Kreis gewandter Prediger und Rezeptoren eine Übersetzung hervorgeht, die - keine ist. Und ich kann mir nun doch nichts anderes denken, als daß man hier, einem hochgeschätzten - das zeigt die Verbreitung! - Zeugnis geistverwandter Mystik gegenüber, in durchaus bewußter Zurückhaltung eine treue Bewahrung des Wortlautes erstrebte. Dieselbe Starrheit der Adaptation läßt sich ja auch bei den frühen Bibelübertragungen beobachten (vom sprachschöpferischen Standpunkt aus gesehen, gibt es im Spätmittelalter keine schlechteren Übertragungen als diejenigen biblischer Texte): das ist ‘Andacht zum Text’. Wir dürfen sie wohl auch für die oberdeutsche Ruusbroec-Übertragung geltend machen, und so erhielte diese an Würde zurück, was sie an ästhetischer Wirkung eingebüßt hat. Am ehesten dürfen wir die Nürnberger ‘Spiegel’-Rezeption als Übersetzung ansprechen. Sie bemüht sich, umformend, immer wieder um Interpretation, indem sie mehrere Begriffe für einen der Vorlage | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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bringt; sie ist auch syntaktisch beweglicher als die hochdeutschen ‘Brulocht’ - und Jan van Leeuwen-Texte.
Die Gerard Zerbolt van Zutphen-Exzerpte tragen zur Übersetzungsfrage nichts bei, da der Bearbeiter kaum je einen ganzen Satz übernimmt, sondern in freier Weise zusammenfaßt. Aus diesem Grund kann auch nicht leicht entschieden werden, ob er nach einer niederländischen oder lateinischen Vorlage gearbeitet hat. Ich möchte das letztere annehmen. Es ging mir in diesem Aufsatz vor allem um den Nachweis, daß niederländische Mystikerwerke auch in Oberdeutschland gelesen wurden. Dazu mußte die handschriftliche Tradition aufgezeigt werden. Sie ist nicht unbedeutend, und sie dürfte auch mit meinen Nachweisen, die nicht auf systematischen Nachforschungen, sondern mehr zufälligen Entdeckungen beruhen, keineswegs erschöpft sein. Jedenfalls ist der Beweis erbracht, daß die Vermittlung zwischen ober- und niederländischer Mystik eine wechselseitige war, und ich möchte meinen, daß dies ein Resultat von einigem Erkenntniswert für die Geschichte der deutschen und niederländischen Mystik ist. Was die Art der Aufnahme niederländischer Mystikerschriften ins Deutsche betrifft, so erfolgte sie im ganzen niederdeutschen und mittelfränkischen Raume in der Form bloßer (lautlich-flexivischer) Umschriften. Aber auch oberdeutsche Vermittler - wir stellen es nicht ohne Überraschung fest - gelangten augenscheinlich nur schwer und zögernd zu wirklichen Übertragungen, begnügten sich mit fast mechanischen Eindeutschungen. Man steht unter dem Eindruck, daß sich das Problem der Übersetzung in der Regel überhaupt nicht gestellt hat. | Gewiß war die Sprache der Vlamen und Holländer, die man vor sich hatte, ein | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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fremdez tützsch - aber immerhin tützsch; es bedurfte der Angleichung, nicht der Umbildung. Dieses Bewußtsein mochte in vielen Fällen über die faktische Verschiedenheit der beiden Sprachen hinwegtäuschen, förderte aber zweifelsohne den Literaturaustausch. Im 12. und 13.Jahrhundert hatten das Rittertum und dessen literarische Formen, höfische Lyrik und höfischer Roman, den hochdeutschen Süden und den niederländischen Norden miteinander verbunden. Das 14. und 15.Jahrhundert - jenes noch einzelhaft, zögernd, dieses entschieden und in die Breite - schufen eine neue und weitergehende Integration niederländisch-deutscher Literatur: diesmal durch das üppige Wachstum der Formen geistlicher Prosa. Hier wirken, in einem Zeitalter, dem aufspaltende Tendenzen und eine ‘unruhige Vielheit’Ga naar voetnoot82 nachgesagt wird, zusammenhaltende und bindende Kräfte. |
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