Die Bockreiter
(1919)–Servatius Josef Ponten– Auteursrecht onbekend
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Schon eine ewige Zeit war Friede im Lande. Die ältesten Leute wußten sich kaum an Krieg zu erinnern. Die Schwerter waren zu Pflugscharen umgeschmiedet worden, und diese waren in der Furchen der Erde verschlissen. Die Kanonen waren zu Glocken zurückgeschmolzen, und was der Krieg an Ruinen im Lande gelassen hatte, das war wiederaufgebaut, umgebaut und als altmodisch schon abgerissen worden. Man schloß nachts die Türen nicht mehr; es war ja schon solange Friede im Lande, und alle Menschen hatten Böses zu denken und zu tun verlernt.
Die Turmuhr der Pfarrkirche schlug 4, als der Doktor von seinem Krankengange nachhause kam. Die Fenster standen offen, und er sah sein Sprechzimmer schwarz von Menschen. Gute Leute, dachte er, indem er durch die Hinterpforte eintrat, damit die Wartenden ihn nicht sähen, etwas muß euer Doktor doch essen. Er fühlt sich schlapper als mancher von euch. Als er sich aber im Flur in der Nische, wo das Waschgerät stand, ein wenig erfrischt hatte, ging er zuerst auf sein Sprechzimmer zu - einmal schnell nachsehen, dachte er, ob vielleicht einer mich dringend braucht. Da nahm ihm eine große Frau den Türgriff aus der Hand. ‘Du mußt erst etwas essen, Josef,’ sagte sie. Er sah die große stattliche Frau im grauen Woll- | |
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kleide, zu der er ein wenig aufsehen mußte, an und lächelte. ‘Du hast vielleicht recht, Elisabet,’ gab er zu, legte den Arm in den schönen runden Einschnitt um die Mitte des Frauenkörpers, und anscheinend führend ließ er sich über den Flur in das Wohnzimmer, die andere Achterkammer, führen. Der Tisch war gedeckt, das Besteck lag bereit, die Schüsseln standen unter Wollhauben. Sie führte ihn aber erst zum Sofa, drückte ihn darauf nieder uns sagte: ‘Erst ein wenig ausruhen, lieber Mann.’ Sie fuhr ihm mit kühlen Händen über die warme Stirn, er schloß die Augen und ließ es wohlig geschehen. ‘So,’ sagte sie nach einer Weile, ‘nun setz' dich heran.’ ‘Ja, wenn der Arzt nicht seine ärztin häztin hätte,’sagte er mit einem Blicke voll Dankbarkeit und Liebe, ‘er wäre der erste von seinen Kranken, der unter die Erde ginge.’ ‘Du erlaubst, daß wir schon gegessen haben,’ sagte sie, sich neben ihn setzend, ihm ausschöpfend und das Essen zurichtend. ‘Bis 3 Uhr haben wir gewartet, dann aßen wir.’ Als er abgegessen hatte, stand er sogleich auf und schritt auf die Tür zu, indem er ‘so’ sagte. ‘Ach, das schreckliche So!’ schmollte sie. ‘Nein nicht so! Du bleibst noch etwas.’ Sie umfaßte ihn und schmiegte ihr Gesicht unter sein Kinn und seinen Bart. ‘Bleib doch ein wenig. Wenn ich noch ein- | |
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mal heiraten müßte, ich würde keinen Arzt mehr heiraten.’ ‘Du würdest mich nicht mehr heiraten?’ ‘Dich wohl, aber keinen Arzt! Du hättest nicht Arzt werden dürfen. Die Frau eines Arztes ist die bedauernswerteste Frau auf der Welt.’ Sie hob sich aus der holden Hohlkehle zwischen Schulter und Wange des geliebten Mannes heraus und saß aufrecht neben ihm. Aber sie hielt seine Hand mit beiden Händen fest. ‘In der Nacht ist dem Abte auf Klosterrat der ganze Hühnerstall geleert worden, erzählen die Leute,’ sagte sie lächelnd. ‘So - ?’ frug er lächelnd, ‘bisheran war es dann und wann ein Huhn. Ja, dat ist ein Kreuz mit den Diebereien!’ sprang auf und stand schon an der Tür. Und ehe sie ihn wieder haschen konnte, war er draußen.
Als er die Tür seines Arbeitszimmers öffnete, lief er in zwei Mädchenaugen, so groß waren sie, so strahlten sie, so fest waren sie im Warten auf die Tür gerichtet gewesen. Sie schienen ihm wie Monde groß . . . und so hatte er sich's denn nicht versehen, als das weißgekleidete Mädchen nahe unter ihm war, die Arme um seinen Hals legte und ihn mitten auf den Mund küßte. ‘Lotte, was tust du?’ ‘Vater!’ sagten die roten Lippen unter den dunkeln Augen und küßten ihn wieder auf den Mund. | |
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‘Lotte . . .?’ wehrte er ab. ‘Was tust du? So küßt man doch nicht den Vater!’ ‘Ich liebe dich!’ ‘Es ist nicht recht, was du tust, Lotte.’ ‘Wie kann man danach fragen, ob etwas recht ist, wenn man liebt!’ ‘Welche Grundsätze, Lotte! Du erschreckst mich!’ ‘Laß mich dich lieben, Vater, Geliebter! Und . . . und wenn du mich liebhaben würdest - erschrick nicht -, nur solange liebhaben würdest, als ich dich in meinen Armen halte, als ich dich frage, ob du mich liebhast, nur solange, als du sagst, daß du mich liebhast, nur solange, als du Ja sagst! Die eine “Ja” sekunde nur! Hast du mich lieb - ?’ ‘Aber natürlich habe ich dich lieb, Lotte, das weißt du doch. Die Scham verbietet ja schon, sich lieben zu lassen ohne zu lieben. Ich habe dich schon lieb-gehabt, als du das kleine Wurm warst, das ich ausgesetzt auf dem holländischen Reichsweg fand. Und als ich dich nachhause trug und du unterwegs deine Ärmchen um meinen Hals schlangst, da hatte ich dich schon lieb. Und als ich dich meiner Frau auf den Schoß setzte - ach, sie hätte so gern ein Kind gehabt! Und die ganze Zeit über, die du bei uns wohnst, habe ich dich lieb. Und als du später meine Mitarbeiterin wurdest und du wacker wie ein Mann die Kopfe der Bauern hieltest, wenn ick ihnen die Zähne reißen mußte. Dann habe ick dich besonders liebgehabt. Du bist mir der lebendige Inbegriff des lieben Mädchens geworden. Du bist so ge- | |
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worden, wie meine Sehnsucht wollte, daß du würdest, als ich dich namenlose Waise van unserem Pfarrer noch einmal taufen ließ, da ich doch nicht wußte, ob du schon getauft warst, als ich dich Lotte Hold taufte. Lotte Hold bist du geworden, hold und lieb und gut, alle Tugenden vereinigst du wie ein Engel, sodaß ich fast fürchte, du könntest wirklich ein Engel sein und so plötzlich davonfliegen, wie du mir eines Tages zugeflogen bist. Als een Wesen der Himmlischen, die sich von Zeit zu Zeit in menschlicher Gestalt unter uns Sterbliche wagen, um uns zu beglücken oder auch nur zu prüfen. Habe ich die Probe bestanden, Engel vom Himmel, Lotte Hold?’ sagte er zärtlich, ihren krausen Kopf streichelnd. ‘Das hast du, Vater, Geliebter. Ich bin kein Engel, bei Gott nicht, nein! Aber die Prüfung hättest du bestanden, und wenn ich der Erzengel Raffael wäre. Herrlich ist mein Geliebter! Ein Mann ist er, außer dem es keinen andern gibt!’ ‘Sag' das nicht, Lotte, sag' das nicht! Wenn du mich känntest!’ ‘Du kennst mich nicht, Lotte, wirklich nicht,’ sagte er ausweichend. ‘Und vielleicht ist es gut. Vielleicht ist es gut, daß wir die Nächsten und Liebsten nicht bis zum Grunde kennen.’ ‘Aber dich kenne ich bis zum Grunde, wie bis in den klaren Grund des Baches, auf dem man die hellen Riesel zählt. Außer dir gibt es keinen andern.’ | |
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‘Du erschreckst mich, Lotte. Das ist ganz ungesund für ein junges Mädchen. Es gibt welche, glaub' es mir, ebenso gute, bessere. Für ein Mädchen in deinem Alter - wie alt bist du jetzt? . . .’ ‘16 Jahre!’ ‘Ei! 16 Jahre schon? Daher auch! Also für ein Mädchen in deinem Alter ist es mißlich, wenn es sich Scheuklappen vorbindet, die den Blick nur auf einen Mann freigeben, der nicht mehr in Frage kommen kann.’ ‘Ach, rede nicht. Vergebens suchst du dich zu verkleinern. Ick kenne dich doch. Du bist immer der Ritterlichste, der Fröhlichste, der Kühnste, der Gütigste. Dat weiß ich doch!’ ‘Woher solltest du das wissen?’ frug er. ‘Das laß mein Geheimnis sein.’ ‘Dein Geheimnis ist die Liebe, Lotte. Die Liebe hat starke Arme, aber schlechte Augen.’ ‘Das eine noch sollst du mir sagen, was ich dich frug? Liebst du mich - “so”? Einen Augenblick nur?’ Sie drängte heiß heran. ‘Solange nur, als du es sagst? Nur solange, als du Ja sagst? Liebst du mich - “so”? Geliebter?’ frug sie und schmiegte ihre Stirn unter seinen Bart. ‘Ja,’ sagte er leise und schnell und stieß sie fast aus seinen Armen. ‘So ist's gut!’ jubelte sie. ‘So ist's gut! Und nun geh' ich gleich zur Mutter, zu Frau Elisabet. Wir dürfen nichts Heimliches vor ihr haben.’ Er sah sie an, erstaunt und doch zufrieden. ‘Ja, | |
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sag' es Elisabet. Und nun muß ich schnell sehen, was meine Kranken machen. Auf Wiedersehen, Lotte!’ ‘Auf Wiedersehen!’ sagte sie. Er, die Klinke der Tür zum Wartezimmer und sie die zum Flure in der Hand, lächelten sich einen Augenblick an, dann öffneten sie beide jeder seine Tür. Lotte ging hinaus. Der Türflügel löste sich von einer Mauer dicker Luft, als der Arzt in das Wartezimmer trat. Alle Bänke und Stühle waren besetzt. ‘Liebe Leute,’ sagte der Doktor, ‘so viele seid ihr? Ihr habt warten müssen, aber ich war über Land. Alles will krank sein, es scheint eine Mode. Wem die Haare ausfallen, der soll sie ordentlich waschen und von der Sonne bescheinen lassen, die das Gras wachsen macht, und soll ein Abführmittel nehmen. Wer zuviel gegessen hat - wir alle essen vielzuviel - , der soll drei Tage fasten; ich sehe schon den meisten von euch an, daß ich doch nur Fastenkuren verordnen werde, die keiner von euch einhält. Ihr laßt euch ja lieber ein Bein abnehmen als fasten! Was wollt ihr also euer Geld zum Doktor tragen? Wer Durchfall hat, soll kein kaltes Bier trinken. So, nun, denke ich, kann die Hälfte von euch nachhause gehen.’ So sprach der Doktor in der Tür stehend, aber niemand im Wartezimmer rührte sich. ‘Dann nicht,’ sagte der Doktor seufzend; ‘wo's Mode ist, da trägt man einen Kuhschwanz als Halsband. Also dann 'rein!’ Der erste war ein Mönch aus Klosterrat. Natürlich, dachte der Arzt, indem er zu seinem | |
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Stuhle ging, die Geistlichkeit zuerst! ‘Also was ist es denn?’ frug er den dicken Mönch. ‘Ich kann euch schon auswendig sagen: mehr arbeiten und weniger essen, Bruder. Und nicht Sommer und Winter dieselbe dicke schwarze Wolle tragen, als wärt Ihr ein fiberischer Kalmücke. So ein Ding will einmal ausgelüftet werden! Eine kalte Abwaschung jeden Morgen vom Scheitel bis zur Zehe, wenn die Kloster-regel es erlaubt, dann werdet ihr nicht soviel Schnupfen haben.’ ‘Cölestin,’ sagte der dicke Mönch sich vorstellend, ‘Bruder Cölestin,’ als müsse er sich seinem himmlischen Namen erst Achtung verschaffen. ‘Der Schnupfen auch, ja, den werde ich wohl mein Leben mit mir herumtragen. Aber der ist es nicht.’ ‘So, der ist es nicht? Na, in Gottes Namen, was ist es denn, Cölestin?’ frug der Arzt geduldig. Der Mönch nahm einen Stuhl, denn sein Leiden war doch zu ernsthaft, als daß man es im Stehen hätte heilen können, da der Doktor Kirchhoff doch nicht wie unser Herr und Heiland durch ein Wort schon heilen konnte. ‘Das ist es nicht,’ sagte er. ‘Es ist vielmehr das: Ich habe einen Nervenanfall gehabt.’ ‘Daß ich nicht lache, Bruder!’ rief Kirchhoff. ‘Nerven? Also ich empfehle wieder: kalte Abwaschungen des Morgens und Zimmerturnen.’ Aber der Mönch ließ sich nicht verblüffen; er wartete ruhig, bis der Doktor sich ausgespottet hatte, und sagte: ‘Diese Nacht ist in unser Kloster eingebrochen | |
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worden. Alle unsere Hühner haben sie gestohlen. Ich hörte die gottesschänderischen Diebe, denn meine Zelle liegt nahe beim Hühnerstalle. Und als ich sie da unten rumoren hörte, fingen meine Zähne zu klappern an, obgleich ich unter die Decke kroch, und der Schweiß brach mir aus allen Poren.’ ‘Ei! Ei! Hört! Hört!’ rief der Doktor. ‘Wieder eingebrochen worden! Diese vermaledeiten Diebe! Aber es müssen wohl ehrliche Spitzbuben gewesen sein, wenn sie rumort haben, und sie haben wohl mehr einen bösen Scherz als einen Diebstahl beabsichtigt. Und Ihr seid unter die Decke gekrochen, Bruder? Und warum denn nicht aufgesprungen und aus eurem Zellenfenster euren Waschkumpen oder besser noch den Inhalt eines gewissen Topfes ihnen auf den Kopf gegossen? Vielleicht sind sie nur eingebrochen, um euch zu erschrecken, weil sie wissen, daß ihr Mönche alle solche Hasenfüße seid? Vielleicht wollten sie euch gar nicht berauben, sondern euch im Gegenteil etwas geben, eure Mannbarkeit? Herrgott, mir sollte mal einer Hühner stehlen wollen! Ich habe doch auch Hühner hinten im Hofe. Ist es nicht auffällig, daß mir keine Eier und Hühner gestohlen werden?’ ‘Es ist bekannt, daß Ihr in Eurem weiten Sinne die Sünder immer in Schutz nehmt,’ sagte gelassen Cölestin, ‘aber - ’ ‘Also ich kann Euch da wirklich nichts verordnen als ein bißchen Mannbarkeit,’ sagte aufstehend der Arzt, und die Sitzung war zu Ende. Der Mönch | |
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wurde durch die Gangtür hinausgelassen, und Doktor Kirchhoff öffnete wieder die Tür zum Wartezimmer. Eine junge Frau kam herein mit mageren Schultern, aber gesegnetem Leibe. Der Arzt schob ihr sogleich einen Stuhl hin. ‘Setzt euch, Mütterchen,’ sagte er. ‘Wie weit sind wir?’ ‘Im siebten Monat,’ sagte die Frau. ‘Und keine Beschwerden? Der Hunger ist gut? Haben wir morgens keinen heißen Kopf und abends keine kalten Hände? Nein? Dann ist's gut. Aber wenn das nun glücklich überstanden ist . . . nicht wahr? Versteht Ihr? Ihr habt die Ruhe nötig.’ ‘Ja, ich wollte schon gern . . .,’ sagte langsam die Frau. ‘Kocht dem Manne Baldriantee und sagt, das ist gegen die Verschleimung. Und dann Soda! Ein bißchen Soda ins Essen!’ ‘So? Baldriantee und ein bißchen Soda ins Essen? Das will ich tun. Gott vergelte Euch vielemale, so wie Ihr es verdient. Und dann noch etwas . . noch etwas . . denn Ihr seid ja wahrhaftig auch unser Seelsorger - was muß eine Frau tun, die einen leeren Hühnerstall gehabt hat, weil die Hühner gerade am Pips eingegangen sind, und ein Ei braucht man doch ab und zu, wenn man in siebten Monat ist . . .’ ‘Ja, ganz recht, ein Eichen oder zwei braucht solch eine Frau,’ lachte der Doktor, ‘aber erst, wenn der Mann zur Arbeit gegangen ist, versteht Ihr? Nach-her kocht die Frau sich das, denn die Männer sind Vielfraße, sie fressen alles rein weg, was sie auf | |
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dem Tische sehen. Sie denken sich nichts dabei, und die Frauen verwöhnen sie immer, leider Gottes. Also dann kocht die Frau sich ein Eichen oder zwei.’ ‘Ja . . .,’ sagte die Frau leise und schaute nach der Tür, ‘wenn sie Hühner hat. Dann kocht sie sich ein Eichen oder zwei. Wenn die Hühner ihr aber nicht gehören? Wenn sie in der Nacht in den Hühnerstall geflogen sind . . . obgleich ein Schloß davorhing?’ ‘Nicht zuviel denken, gute Frau. Das ist Männersache. Die Männer haben dafür ja den großen Gedankenkasten bekommen, der größer ist als der Frauen ihrer. Die Frau soll das Haus putzen - nicht zuviel übrigens im siebten Monat -, lieber sitzen und nähen und stopfen und dem Manne das Essen kochen - mit ein bißchen Soda drin - und sich selbst ein Eichen, wenn er fort ist. Und denken, die Hühner hat der liebe Gott geschickt, der weiß, wie es einer Frau im siebten Monat ums Herz ist.’ ‘So? Dat meint Ihr? Ja, wenn Ihr meint, Herr Dokter! Mir soll's schon recht sein,’ sagte die Frau, stand auf und ging zur Tür. Der Doktor, der sie geleitete, frug noch, als sie schon die Klinke in der Hand hatte: ‘Habt Ihr denn auch Mais für die Hühner, die der liebe Gott Euch zum Geschenk gemacht hat! Nein? Dann geht zu meiner Frau und laßt Euch die Schürze voll Mais geben. Sagt, ich habe Euch geschickt, und ich werde dafür sorgen, daß Ihr jede Woche Euren Mais habt.’ ‘Gott soll Euch lohnen, Herr Dokter!’ sagte die Frau und suchte dem Arzte die Hand zu küssen. Der | |
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aber hielt seine Hände auf dem Rücken und sagte: ‘Schon gut! Also vergeßt nicht: Baldriantee, Soda und Mais.’ Die Gangtür schloß sich hinter der Frau. Herein kam mit dem stampfenden Schritte des Pflügers ein kurzer Bauer. Seine Augen waren klein und lagen zurück, Mund und Nase bauten sich vor, und die Nase war an ihrer Wurzel so eingedrückt, daß die Löcher aufgerichtet standen und man durch sie hinein mitten in die schwarze Finsternis des Gehirns schauen konnte. ‘Ich bin der Ackerwirt Jan Kroë, Pächter bei den ritterlichen Herren auf der Herrschaft Schönau,’ sagte er . . . ‘Schon gut,’ unterbrach ihn Kirchhoff, ‘Mann, Ihr seid ja bleich und fahl! Wie wenn Ihr einen falschen Eid geschworen hättet, seht Ihr aus. Und habt ein blutiges Tuch um die Hand! Und ganz schmutzig ist es!’ ‘Ja, es ist mir nämlich ein Finger abgeklemmt worden, nämlich . . . in der Häckselmaschine nämlich . . .’ Eilig wickelte der Arzt das blutig verkrustete Tuch ab, indem er frug: ‘Warum seid Ihr denn nicht sofort hereingekommen, als ich die Tür aufmachte, Johann Kroë?’ ‘Wer wird denn wegen einer solchen Kleinigkeit den Herrn Dokter überfallen?’ sagte Jan Kroë. ‘Der geistliche Herr von Klosterrat war auch vor mir da; wer zuerst am Beichtstuhl ist, dem wird zuerst | |
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geholfen. Und dann die Frau in den Umständen . . . da weiß man nie, wie's drängt.’ ‘Mann Gottes,’ sagte der Arzt, ‘wann ist das denn geschehen? Den Stummel habt Ihr mit einem Pferdehaar wenigstens abgebunden, aber er ist ja ganz blau und kalt! Wißt Ihr denn nicht, daß man ein Glied höchstens ein oder zwei Stunden abbinden darf? Das gibt doch Brand! Wann ist das Unglück denn geschehen?’ ‘In der Nacht . . .’ ‘In der Nacht? In der Nacht verliert Ihr einen Finger in der Häckselmaschine? Das ist aber sonderbar.’ Er drehte das Pferdehaar ab, wusch die Wunde mit Karbol, zog die Hautlappen über das glatt abgeschnittene Knochenende, legte einen reinen Wattebausch darauf und machte aus Leinwandstreifen einen regelrechten Kreuzverband um die Hand. ‘Wenn nun ein Wunder geschieht, gibt's keinen Brand, Jan Kroë. Und daß Ihr nicht mal ein reines Sacktuch drauf gelegt habt! Was seid ihr Bauern doch Schmierfinken! Helft mal mit der andern Hand, faßt die Streifenenden an . . . was, da fehlt Euch ja auch ein Finger? Wo habt Ihr denn den verloren?’ ‘Auch in der Häckselmaschine, vor ein paar Jahren . . .’ ‘Auch in der Häckselmaschine? Das ist aber komisch! Wart Ihr denn nicht genug gewarnt?’ ‘Wie das so geht, Herr Dokter. Man schneidet das Häcksel uns paßt nicht auf, und plötzlich, wie ich ein neues Bund fassen will, da sag' ich: Gott's Wunder, da fehlt mir ja ein Finger!’ | |
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‘Aber habt Ihr denn nicht gefühlt, wie es den Finger wegschnitt?’ ‘Ach Gott, Herr Dokter, die Maschine macht soviel Spektakel, und was hilft es denn auch, der Finger wächst ja sowieso nicht mehr an. Ich dachte da in meinem dummen Dünkmich: Du kannst dem lieben Herrgott danken, Jan Kroë, daß er nicht gleich die ganze Hand genommen hat.’ ‘Ihr Bauern habt wohl Seilstricke anstelle der Nerven,’ verwunderte sich Kirchhoff, indem er die Streifen um das Handgelenk knüpfte. ‘Und ganz lustig seht Ihr aus, zwar ein bißchen bleich und schlapp seid Ihr, ich werde Euch Tropfen geben, aber Ihr habt die gute Laune nicht verloren.’ ‘Besser einen Finger verlieren als den Kopf,’ sagte Jan; ‘wenn es regnet, singt die Nachtigall am laut'sten.’ Der Arzt zählte die Tropfen in ein Glas Wasser, Jan trank. Dann saß er eine Weile stumm da. Plötzlich neigte er sich näher und sagte halblaut: ‘Herr Dokter, was ich fragen wollte . . . kann man am Finger einen Menschen erkennen?’ ‘Wie meint Ihr das?’ frug Kirchhoff. ‘Ich meine . . . ich meine nur bloß . . .’ ‘Natürlich kann man an der Hand einen Menschen erkennen, meine Hand sieht anders aus als Eure.’ ‘Auch am Finger allein . . .?’ ‘Ein so grober Finger kann nur einer Bauernhand gehören.’ ‘Auch dann, wenn man den Finger allein sieht . . .? | |
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Ich meine, nicht an der Hand . . . ich meine, wenn man ihn in der Häckselmaschine findet . . .?’ ‘Mit andern Worten: Ihr habt ihn nicht in der Häckselmaschine verloren.’ ‘Nein, das hab' ich nicht, Gott sei es geklagt. Der Herr Dokter ist ein Mann, was man dem sagt, ist wie gebeichtet,’ flüsterte der Bauer. ‘Ich will es nur sagen: der Finger ist mir irgendwo anders abgeklemmt worden. Wenn man ihn findet und sagt: dat ist dem Jan von den ritterlichen Herren auf Schönau seiner, dann kostet es meinen Hals.’ ‘Ihr seid bei dem Hühnerdiebstahl in Klosterrat dabeigewesen, Jan?’ frug Kirchhoff leise. Dieser nickte. ‘Himmelkreuzelement!’ fluchte der Doktor, ‘wo zum Teufel habt Ihr denn den Finger gelassen? Ihr gehört zu den Gaudieben, Jan?’ Dieser nickte. ‘Aber um alles in der Welt, warum denn, Jan? Es geht Euch doch gut, Ihr habt Jungens und Mädchen, was macht Ihr denn bei den Dieben? Was wollt Ihr mit den paar Hühnern?’ ‘Oh, ich will nichts mit den Hühnern. Ich habe genug Hühner. Meine Jungens, wenn sie der Hafer sticht, bewerfen sich mit frischen Eiern. Wir haben auch nicht gestohlen. Wir stehlen nicht um zu stehlen, wir stehlen nur . . . weil es so lustig ist. Den Tag über stapft man hinter seinem Pfluge und plagt und schindet sich, aber man will doch auch sein Vergnügen haben. Da wird denn ein bißchen eingebrochen. | |
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Aber gestohlen wird nicht, Gott bewahre, wir verteilen nur besser. Den Reichen nehmen wir, was sie zuviel haben, und die Armen bekommen es. Stehlen würde unser Hauptmann gar nicht dulden . . .’ ‘Unser Hauptmann? Was sagt Ihr, Jan? Habt Ihr auch einen Hauptmann? Ist die Bande so groß?’ ‘Oh, noch viel größer!’ sagte Jan geheimnisvoll. ‘Wer ist denn Euer Hauptmann?’ frug Kirchhoff neugierig. ‘Das weiß ich nicht.’ ‘Das wißt Ihr nicht? Aber Mensch, Ihr müßt doch Euren Hauptmann kennen?’ ‘Nein, gar nicht. Kein Mensch kennt ihn. Wir kennen uns überhaupt nicht untereinander. Wir tragen doch Masken. Es ist Ehrensache, nicht nach einander zu forschen.’ ‘Ei! Ei!’ staunte Kirchhoff. ‘Sieh mal einer an! So gerissen ist diese Geusenbande! Aber wißt Ihr denn gar nichts von Eurem Hauptmann?’ ‘Gar nichts, aber es muß wohl ein feiner Herr sein, denn er kann so mächtig befehlen. Wenn der befiehlt, dann gehorcht man ganz von selbst. Der braucht nur mit den kleinen Finger zu winken, das ist wie ein Schlag mit einem Zaunpfahl! So ist der!’ ‘Ihr seid ja eine ganz geheimnisvolle Gesellschaft,’ meinte Kirchhoff kopfschüttelnd. ‘Und wie ist das nun mit dem Finger? Wird man den erkennen?’ frug der Bauer ängstlich. ‘Wo ist er denn geblieben?’ frug Kirchhoff. | |
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‘Es war doch finstere Nacht,’ erzählte der Bauer, ‘schwarz zum Greifen, wir hatten Blendlaternen, und als wir das Sperrholz durchgesägt und das Tor von Klosterrat erbrochen hatten, da sollte ich, wie der Herr Hauptmann befohlen hatte, am Tore stehen. Die andern leerten den Hühnerstall. Ich durfte mich nicht vom Flecke rühren, und ich wäre da wie auf Posten gestorben, denn der Herr Hauptmann kennt keine Nachsicht - also alle Kameraden waren glücklich zurück und an mir vorbei, auch der Herr Hauptmann, und ich als Torwache sollte das Tor schließen. Aber da stach den Hauptmann der Hafer, und er rief: Die Wache soll das Tor zuknallen, daß die faulen Mönche ihren Schreck kriegen! Statt mich nun allein machen zu lassen - ich hätte schon zugebollert, daß die Mönche aus ihren Betten geschaukelt wären -, laufen zwei drei andere herzu, es war ja finster, die Laternen waren abgeblendet, das schwere Tor schlägt zu, und mein Finger ist dazwischen.’ ‘Habt Ihr denn nicht geschrieen?’ ‘Geschrieen? Wegen einer solchen Kleinigkeit schreien? Und dann hätte ich mich doch auch verraten, vor dem Klostergärtner und seinen Leuten, die nun herzuliefen. Drüben faßte einer den Fingerkopf und rief: Da hab' ich den Spitzbuben! - Jawohl, du Schafskopf, denk' ich, und reiß ein bißchen am Finger, der nur noch in seiner Haut hängt. Ich reiß das Fellchen durch und laß ihnen den Finger als Andenken da. Sie können Wurst draus machen, meinetwegen . . ’ | |
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‘Wenn sie nur nicht erfahren, von welchem Schwein die Wurst stammt, wollt Ihr sagen,’ vollendete lachend der Arzt. ‘Ganz recht, Herr Dokter,’ rief halblaut der Bauer, ‘das wollt' ich sagen. Also, werden sie es denn erfahren?’ ‘Nein, das ist nicht anzunehmen. Da könnt Ihr ruhig sein, nach meiner Meinung. Ein Bauernfinger ist wie der andere. Ihr seid ja ziemlich weit von hier zuhause. Schönau liegt ja vor dem Aachener Landgraben.’ ‘Ihr nehmt mir einen Stein vom Herzen, Herr Dokter, und auf Euer Schweigen bau' ich wie auf die heilige Kommunion.’ ‘Das könnt Ihr, Jan. Aber es war doch unvorsichtig von Euch, mit Eurem Fingerstummel nach Herzogenrat zu kommen. Ihr hättet lieber einen Arzt im Reich Aachen aufsuchen sollen, das wäre auch näher für Euch gewesen, denn Ihr habt etwas lange mit dem Verbinden gewartet.’ ‘Ach, die Stadtleut', Herr Dokter, denen trau' ich erst recht nicht. Die haben nichts zu tun und klatschen. Die Bauersleut' haben wenigstens keine Zeit dazu. Und dann weiß ich ja nicht, ob ich in der Stadt nicht gerade unsern Leuten aufgefallen wär'. Ich glaub', es sind viele aus der Stadt darunter. Viele Weber und Nadelmacher. Ich glaube, der Herr Hauptmann selbst . . .’ ‘Was, Ihr glaubt, Euer Räuberhauptmann ist ein Aachener?’ | |
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‘Ja, ich denke mir das so. Ich denke mir sogar, es ist der Herr Schöffe vom Hohen Stuhl in Aachen, so was Majestät'sches hat er. Oder es kann auch einer von den Herren Rittern auf den Schlössern sein, so gewaltig kann er brüllen, und ich hab' einmal eine Ohrfeige von ihm bekommen, die sich gar nicht unterschied von der, die ich schon mal von dem gnädigen Herrn auf Schönau erwischte. Ich sage Euch, wenn man vom Herrn Hauptmann eine Ohrfeige bekommt, dann läuft einem die Ehrfurcht durch Mark und Bein. Ick denke mir, es ist nicht anders, als wenn der Herr Kurfürst von Köln oder Seine Gnaden unser Herr Herzog einen auf die Schulter klopft. So, nun bin ich aber beruhigt, Herr Dokter. Und schönen Dank auch.’ Der Bauer erhob sich. ‘Aber eine ganz gefährliche Bande von Gaudieben, Freibeutern, und Geusen seid ihr doch!’ fuhr der Doktor los. ‘Paßt auf, daß nicht ein Unglück daraus erwächst!’ ‘Pscht! Um Gottes willen! Wenn uns einer hörte, Herr Dokter! Ich bin sicher, unter den Leuten im Wartezimmer sind noch mehr von uns. Es sollen nämlich auch Frauen unter uns sein, heißt es, aber man kennt keine, weil sie alle Hosen tragen. Und daß es ein bißchen gefährlich ist, das ist doch der Witz bei der Sache. Ohne das wäre es doch kein Spiel für Männer. Wir wollen doch nicht wie die Jungens Räuberspielen sondern es wirklich sein, in Anstand und Ehren, versteht sich, es soll niemand ein Leid geschehen.’ | |
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‘Ihr seid ja wahrhaftig eine edle Räuberbande,’ lachte der Doktor; ‘wenn man's sich recht überlegt, kann man's euch nachfühlen. Man könnte geradezu Lust bekommen, mitzutun. Kann man sich das nicht mal ansehen? Könnt Ihr mir nicht dabei helfen?’ ‘Nein, Herr Dokter, bleibt lieber davon. Es könnte doch mal schief gehen. Und dann kostet es gleich den Hals. Billiger tut's der Herr Herzog nicht. Und wer soll uns dann unsere abgequetschten Finger verbinden und dabei so reinen Mund halten, wie Ihr es tut? Es ist besser für uns, Ihr tut nicht mit. Und überhaupt, ick könnte Euch nicht dazu verhelfen. Zu uns muß man ganz von selbst kommen, aus dem Triebe des Herzens, sagte unser Herr Hauptmann bei der letzten Versammlung, es ist sozusagen eine Gnade Gottes, ein Bockreiter zu sein.’ ‘Bockreiter heißt ihr? Ein guter Name! Ich habe ihn schon flüstern hören. Und eine Gnade Gottes ist es, ein Bockreiter zu sein? Das sagt Euer Hauptmann? Das muß ja ein ganz abgefeimter Schurke sein . . .’ ‘Sagt das nicht, Herr Dokter!’ meinte der Bauer ernst, ‘auf unsern Herrn Hauptmann lassen wir nichts kommen. Nun, ich sage nichts weiter, aber sagt das nicht laut! Überall sitzen Leute von uns, Ihr seid in keiner Gesellschaft sicher, daß nicht einer drunter ist. Da könnte es denn sein, daß einer Euch über den Mund fährt, wenn Ihr auch der Dokter Kirch- | |
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hoff seid. Aber auf unsern Herrn Hauptmann lassen wir nichts kommen! Da sind wir kitzlig wie der Teufel an der Kirchentür. Unser Herr Hauptmann allewege!’ rief Jan, warf den Kopf in den Nacken und verstattete durch die Löcher seiner aufgereckten Nase über dem kurzen stachligen Schnurrbarte einen Blick in sein dunkles Gehirn hinein. Als der Bauer draußen war, stand Kirchhoff einen Augenblick sinnend da. Sonderbar, sagte er für sich, wie das Kind im Manne nicht ausstirbt! Wenn man jung ist, meint man, alles jenseits der 30 sei alt, und ist man über die 30, so fühlt man sich so jung und frisch wie die Buben und läßt das Alter erst bei 60 beginnen. Der Knabe glaubt, der Mann müsse ein Ausbund von Ernst und Bedächtigkeit sein, aber . . . Hei, war das eine Lust, wenn man als Junge den Apfelbaum geplündert hatte, der Bauer erschien und man rannte, rannte auf den kleinen kurzen Beinen und der Mann mit seinen langen dich doch nicht einholte! Wie streckte man ihm die Zunge heraus! Wie machte man ihm lange Nasen, wenn man vor ihm über den Bach gekommen war, das Brett hinter sich hergezogen hatte und er am anderen Ufer schimpfte und drohte! Wie flogen die Lungen! Wie glühten die Wangen! Und jetzt - wie zucken einem oft die Beine, während sie ernst und bedächtig den Weg des Berufes gehen! Wie beben die Arme, welche die tägliche Arbeit tun! Wie ungeduldig macht der Gleichtakt des Lebens! Das reißt an den Nerven. Wie hungert man nach | |
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dem Außergewöhnlichen! Ach, laßt mich ein Segel sein vor dem Sturme! Eine Feuerflocke in der Nacht! Ein blinder Reisender auf der Wolke bei der Fahrt durch die Lüfte - mich Ochsen im Joche, Esel in der Mühle, Pferd in der Deichsel! Geduld, mein Herz, Geduld! Er seufzte und ging mit schweren Schritten zur Tür des Wartezimmers, um einen neuen Kranken hereinzulassen.
Frau Elisabet saß noch auf dem Sofa, die Arme auf dem Schoße, und sah die Tür an, die sich hinter Josef geschlossen hatte, die Tür, die so blöde und grausam in ihrem Rahmen hing. Plötzlich, wie von ihren Blicken trotz all ihrer hölzernen Unempfindlichkeit beweglich geworden, rührte die Tür sich - und ließ das weiße Mädchen mit den schwarzen Haaren durch. ‘Du bist's, Lotte?’ frug Frau Elisabet, ohne sich zu bewegen. Lotte Hold kniete schnell vor der Frau nieder, legte ihr die Arme um den Hals und küßte sie. ‘Was ist dir, Lotte?’ frug Frau Elisabet freundlich erstaunt und streichelte ihr das schwarze Haar. ‘Ich habe deinen Mann geküßt, Mutter,’ sagte Lotte. ‘Nun? Und? Was ist denn dabei? Warum solltest du Vater nicht küssen?’ ‘Nicht so. Ich habe nicht Vater geküßt, ich habe deinen Mann geküßt, Frau Elisabet,’ sagte Lotte und sah ihr in die Augen. Diese aber waren so | |
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groß und fest auf Lotte gerichtet, daß es sie verwirrte und sie ihren Kopf an die breite Brust der Frau legte. ‘Ich liebe Josef,’ sagte sie leise und streichelte die Hände Frau Elisabets, ‘und du sollst es wissen, Elisabet.’ ‘Ja, warum . . .’ ‘Aber schließ doch nicht die Augen davor!’ rief Lotte fast zornig. ‘Sag' doch nicht: warum solltest du ihn nicht lieben! Ich sollte ihn nicht lieben, nein! Nicht so wie ich ihn liebe. Ich liebe ihn so. Aber du mußt es wissen. Nur du kannst die Sünde vergeben. Ich liebe ihn ja so,’ sagte sie, aufs neue zärtlich werdend und auf den Fersen niedergehockt den Kopf Elisabets zu sich niederziehend, ‘ich liebe ihn so . . . so unermeßlich! Aber ich will nichts weiter von ihm, als daß er weiß, daß ich ihn so liebe. Das genügt mir. Was braucht es auch mehr? Er liebt mich auch - sag' nicht: warum sollte er dich nicht lieben! Er liebt mich auch - so, einen Augenblick freilich nur, nur solange als er brauchte, um ja auf meine Frage zu sagen. Er liebt mich auch, aber er liebt Frau Elisabet mehr als Lotte Hold. Das hab' ich ihm angemerkt. Bist du nun eifersüchtig auf dein Kind, Mutter?’ Frau Elisabet nahm Lottes schwarzen Kopf in ihre beiden großen Hände und sah sie an mit jenem Blicke der Liebe, dem etwas Schmerz Tiefe und Süße gibt. ‘Eifersüchtig soll ich sein, Kind, Lotte? Nein, das bin ich nicht. Liebe ihn. Ich weiß, ihr | |
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tut nichts Unrechtes hinter meinem Rücken. Und er würde ja auch keine Zeit für dich haben, mein armes Kind, wie er für mich keine hat. Nein, ich bin nicht eifersüchtig,’ sagte sie entschieden, mehr zu sich als zu Lotte, isch die krausen Haare aus der Stirn streichend; ‘wenn du Frau Elisabet Kirchhoff hießest und ich wäre Lotte Hold, ich würde auch Josef lieben.’ ‘So ist's gut!’ rief Lotte, sich zum Knieen aufrichtend, ‘so ist's gut! So ist's gut!’ Frau Elisabet sah sie an. ‘Du bist groß geworden, Lotte Hold, ich merke es.’ In diesem Augenblicke klopfte es, und eine Frau mit gesegnetem Leibe kam und bat im Auftrage des Doktors um Mais für ihre Hühner.
Da zu Hühnern auch ein Hahn gehört, so stahlen in der nächsten Nacht die Bockreiter den goldenen Hahn vom Turme der Abtei, wenn es auch nur ein blecherner Hahn war. Am andern Morgen fanden ihn die Bauern, die Eier und Milch aus den Herrschaften und Bauernschaften des Landes Übermaas in die Reichsstadt fuhren, auf dem großen Miste eingegraben, der neben der holländischen Porte am Landgraben lag, stetig genährt von den vielen wegen Hoheits- und anderer Förmlichkeiten an der Porte wartenmüssenden Pferden. Mit einem Nagel war in das Blech eingekratzt: O Hahn, du bist doch aus goldenem Blech,
wie kamst du nur von dem Turme weg?
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Du ließest dich wohl nicht lange bitten
und bist auf dem Bock durch die Lüfte geritten.
Und zitterst nicht vor des Abtes Bann?
Ei, blecherner Held, du goldener Hahn!
‘Wo der Abt nur bleibt!’ sagte der Pfarrer zum Arzte. Da stieg der Abt die Rathaustreppe herauf. ‘Lupus in fabula, Herr Abt!’ rief fröhlich der Pfarrer, ‘wir wunderten uns schon, wo Ihr bleibt! Aber, mein Gott, Ihr seht ja ganz verstört aus? Was ist Euch?’ Der Abt wies schnaufend aber stumm mit seinem dicken Finger das Tal hinauf auf die Abtei. ‘Der Hahn!’ brachte er hervor. ‘Mein Gott, der Hahn!’ rief auch der Pfarrer und erhob sich. ‘Der Hahn ist ja weg! Ihr wollt uns foppen, Herr Abt,’ fuhr er in leichtem Mißtrauen lächelnd fort, ‘Ihr wollt uns foppen. Ihr habt ihn einfach in die Schmiede gegeben.’ ‘Nein, er ist fort! Er ist fort! Die Spitzbuben haben ihn fortgenommen! Ist das nicht kirchenschänderisch?’ ‘Nicht immer ohne Not das Schlechte von den Menschen glauben,’ meinte der Arzt. ‘Ist weder gut noch klug. Im Zweifelsfalle für den Angeklagten! Das arme Wesen Mensch ist immer angeklagt, wenn die Klugen und Gerechten sprechen. Vielleicht war es garnicht so böse gemeint . . .’ ‘Böse gemeint war es! Sehr böse gemeint!’ rief der Abt, und die Tränen waren ihm nahe. ‘Die | |
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Gaudiebe haben es erzböse gemeint. Ich habe Sinn für Spaß, ich kann jeden Scherz vertragen . . .’ ‘Hm . . .,’ brummte zweifelnd der Pfarrer, aber der Abt rief umso lauter: ‘Ich kann jeden Scherz vertragen und lache von Herzen gern, aber das ist zu arg! Das geht auf keine Rindshaut! Mein schöner Hahn! Und frisch vergoldet!’ ‘Ich kann mir nicht denken, was die Spitzbuben mit einem blechernen Hahn machen?’ frug sich der Pfarrer. ‘Ja, wenn sie ihn braten könnten! Oder wenn er wirklich von Gold wäre! Aber das spricht sich doch im Lande herum. Sie können ihn nirgendwo verkaufen.’ ‘Ihr werdet ihn schon wiederbekommen, Herr Abt,’ tröstete Doktor Kirchhoff. ‘Wiederbekommen! Wiederbekommen!’ rief entrüstet der Abt. ‘Es handelt sich nicht ums Wiederbekommen. Das Kloster ist reich genug, sich sechs neue anzuschaffen und einen aus wirklichem Golde! Ich habe ihn schon wiederbekommen. Im Misthaufen am Aachener Reiche lag er . . . und Spottverse stehen darauf - auf mich!’ ‘Aha!’ Der Pfarrer und der Arzt sahen sich an. ‘Könnt Ihr sie uns vielleicht sagen?’ frug lächelnd der Pfarrer. ‘Was werde ich! Ich werde mich wohl selbst lächerlich machen! Ich soll das Gespött auswendig können?’ ‘Glaubt Ihr nicht, Herr Abt, daß jedermann die Spottverse auswendig kann, die über ihn umgehen?’ | |
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frug der Pfarrer. ‘Ich glaube, er kann sie besser auswendig als die Psalmen Davids.’ ‘Dat ist ausgezeichnet, Herr Pastor!’ meinte Kirchhoff; ‘wenn es möglich wäre, gefiehlt Ihr mir noch immer besser.’ ‘Pscht! Da spricht die Schlange aus dem Baume,’ wehrte lächelnd der Pfarrer ab. ‘So, Freunde, kommt und vergeßt Euren Schmerz. Die grüne Mosel soll ihn hinabführen. Es ekelt und schnell der schaurigen Trübsal, heißt es bei Homer. Prosit, amici!’ ‘Doch mich müssen die Herren entschuldigen,’ sagte der Arzt, ‘ich muß zu einem Kranken. Besonders der Herr Abt muß mich entschuldigen - aber er ist mit seinem Ärger über den Hahn etwas lange ausgeblieben.’ Sprach's, leerte sein Glas, nahm Abschied und ging die Terrasse vor dem Rathauskeller hinab und durch die Nonnendammgasse davon. ‘Der eifrigste Arzt, der wärmste Menschenfreund,’ sagte der Pfarrer dem Davongegangenen nach. ‘Ja, unser Dokter! hört man von Bürgern und Bauern, der ist immer zu sprechen, Tag und Nacht. Kein Weg ist ihm zu weit. Und doch redet er von Mangel an Abwechslung. Es ist langweilig bei uns, sagt er. Es geschieht nichts. Es geht nichts vor sich. Man erbricht sich vor Langeweile.’ ‘Es geht nichts vor sich,’ höhnte der Abt, ‘wo die Diebe sogar gottesschänderisch von einer Abtei den Hahn . . .’ ‘Ach, laßt doch mal den Hahn, Herr Abt. Ihr kamt im rechten Augenblicke, ich saß eben ziemlich be- | |
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treten da. Ich hatte gerade den Gottesfrieden im Lande gelobt. Aber da kam ich bei dem Doktor übel an. Er stinkt, dieser Gottesfriede! rief er. Faulheit, Fraß und Völlerei, Gicht und Fettsucht, das ist sein Gefolge! Er verschleißt keine Schuhe, aber die Hosenböden und das Taschenfutter! Dann schilderte er, wie er gestern bis zum Nachmittage auf Krankengängen über Land war und was er da gesehen hat. Der Bauer kratzt die Ackerkrume ein wenig mit dem Pfluge, denn es wächst ja alles fast von selbst. In den Steinbrüchen räkeln sich die Männer und lösen von Zeit zu Zeit einen Stein, der nicht zu fest sitzt. Die Maurer stehen lässig auf dem Gerüste und mauern wie zum Zeitvertreibe, denn es gibt ja genug Häuser im Lande und jeder Knecht fast bewohnt seine eigene Kammer. Auf den Landstraßen schleichen die Eier- und Butterwagen in die Stadt, der Kutscher schläft; was kümmert es ihn, ob er vom Mitbewerber überholt wird? Er schläft, das glatte Pferd trabt wie es will, bleibt stehen und weidet am Straßengraben. Ein Pferd, das den Kutscher schlafen wußte, drehte um und ging nach dem Stalle zurück. Und der Bauer wird nicht böse gewesen sein, als er auf seinem Hofe in seinem vollen Karren erwachte. Die vielzuvielen Mägde seifen alle Wochen das ganze Haus von der grünen Dachtraufe bis zum vergoldeten Kellerfenster herunter ab. Die Bauerntöchter machen Messinggriffe und Türklopfer blitzen, weil es nichts Nötigeres zu tun gibt, und der Sohn des Hauses ölt den Wetterhahn auf dem Firste - er würde ihn wahrhaftig | |
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noch mit Maiskörnern stopfen, wenn er nicht von Schmiedeblech wäre, der Hahn!’ ‘Sagt der Doktor!’ warf der Abt ein. ‘Gewiß! Sagt der Doktor! Niemand scheint mehr den Schweiß, den gesunden Schweiß zu kennen . . .’ ‘Was für ein Gerede ist das?’ knurrte der Abt. ‘Was will der Unzufriedene denn? Sollen die Menschen nicht glücklich sein? Ist es nicht unser Bestreben, sie glücklich zu machen? Ist es nicht jedem Menschen in die Brust geschrieben, nach dem Glücke zu trachten? Gott sei Dank, es geht im großen Ganzen einmal den Menschen gut. Die Häuser blitzen in Sauberkeit und Schönheit. Not ist fast unbekannt, und was Krieg ist, weiß man nur aus Sagen und Büchern. Ordnung, Ruhe und Wohlstand herrschen -’ ‘- und das Volk ist unzufrieden,’ fiel der Pfarrer ein. ‘Weil es den Menschen gut geht, sind sie unzufrieden. Wie war es doch, als die Juden endlich im Lande voll Milch und Honig saßen? Wurden sie da nicht undankbar und übermütig, und mußte nicht der Herr die Moabiter über sie senden? Und Ihr kennt das Sprüchwort von den guten Tagen, die so schwer zu tragen sind. Habt Ihr einmal über die Fastnacht nachgedacht? Unter uns Geistlichen gesagt, es hört uns ja niemand - die Fastnacht ist notwendig. Der Fromme braucht sie, er muß sich einmal im Jahre austoben können. Ich verreise immer während der Fastnacht, um nichts sehen zu müssen. Und jede Woche hat ihre Fastnacht. Am Samstagabend gehen die gesetzten Männer an die Stamm- | |
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tische oder in geheime Gesellschaften, stülpen sich Narrenkappen auf, nennen sich mit sonderbaren Namen, schlagen mit dem Schläger oder klopfen mit dem Hammer auf den Tisch und verüben harmlose Narreteien. Die menschliche Natur braucht das.’ ‘Ja, die Menschen sind eben von Herzen schlecht, heutzutage,’ murrte der Abt. ‘Wohin ist die gute alte Zeit?’ Der Pfarrer legte mißvergnügt die Stirn in krause Fältchen. ‘Man sollte nicht immer von der Schlechtigkeit der Welt reden, Herr Abt. Viele unserer Kollegen tun es zwar, und es ist ein billiges Mittel, am Karfreitag in der Predigt die Hörer zu erschüttern, indem man von diesem neuen Sodom spektakelt. Das überlasse ich meinen jungen Kaplänen. Denen kann man es nicht austreiben - die Jahre müssen sie ruhiger machen. Ich glaube nicht an die gute alte Zeit. Dieses Märchen kommt nur daher, daß die Menschen die glückliche Fähigkeit haben, das Böse leichter zu vergessen als das Gute. Aber auch das ist schon ein Beweis für den guten Kern im Menschen.’ ‘. . . wenn nicht die Hühnerdiebe wären.’ ‘Ach, die Hühnerdiebe! Ihr habt keinen Humor, Herr Abt. Betrachtet das Ganze doch als einen kecken Streich. Und laßt's damit gut sein. Habt Ihr die letzte Zeitung gelesen? Nein? Ich kann es Euch nicht verdenken. Alle acht Tage eine neue Zeitung, man wird rein verrückt vor Neuigkeiten.’ ‘Was steht denn in der Zeitung?’ ‘Ach, da sind wieder Schlachten und Schlachten, | |
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Gott sei Dank weit fort in der Welt. Da unten in Schlesien irgendwo. Der preußische Friedrich rührt sich wieder.’ ‘Böse Gesellschaft, die Preußen!’ brummte der Abt. ‘Ja, das ist wahr. Gott sei Dank, daß diese Heiden weit weg sind. Aber der Doktor hat sie in Schutz genommen.’ ‘Ha!’ lachte grimmig der Abt auf. ‘Natürlich! Der hat eine gefährliche Toleranz. Möchte wissen, welchen Sünder der nicht in Schutz nimmt. Warum lief er weg? Fast beleidigend ist es . . .’ ‘Warum er weglief, als Ihr kamt? Nicht Euretwegen. Ich glaube, er hält es einfach nicht 10 Minuten auf einem Stuhle aus. Diese sonderbare Unruhe . . . Als ob er auf einer heißen Ofenplatte lebte. Überhaupt, die Leute . . . hm . . . wie ist das doch mit dem Hahn . . .? Dem Menschen ist eine natürliche Abenteurerlust eingeboren. Erinnern wir uns doch an unsere Knabenjahre und an die Studentenzeit! Später wird die Abenteurerlust durch mannhafte Arbeit, durch Kampf und Streben befriedigt. Aber wenn es nun nichts zu kämpfen und zu streben gibt wie bei uns? Was machen die Männer dann? Dann verfallen sie eben auf Sachen wie die, über die Ihr Euch beklagt. Je mehr ich es überdenke - es scheint mir ein Zeichen zu sein! Die Frucht, die im Kornhause nicht gewendet wird, gerät von selbst in Gärung und Brand.’ ‘Was fand der Doktor denn an diesen Preußen zu loben?’ frug ablenkend der Abt. | |
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‘Nun, eben das, was er bei uns zu tadeln fand. Daß da drüben etwas vorgehe! Da weit im Osten werde gekämpft und gestritten! Da schaue man begehrlich nach einem größeren Preußen aus und streite und leide dafür! Hier lebe und leide man für den Bauch! Und etwas Wahres ist daran. Solche Worte gehen einem ins Ohr wie Pfeile mit Widerhaken. Ich gestehe, daß ich durch Kirchhoff mißtrauisch geworden bin gegen den Frieden in unserm Lande. Ich habe ihm das zwar nicht zugeben wollen. Aber die Wahrheit ist eine furchtbare Macht. Sie wirkt immer in geheimnisvoller Weise durch sich selbst. Man denkt sie nicht, man fühlt sie. So, nun aber genug! Die Flasche ist auch leer. Ihr, Herr Abt, werdet zur Abendandacht hinaufgehen und im übrigen Euer Kloster gegen den Hühnerdieb verwahren müssen, und ich muß noch mein Brevier beten.’ Als der Doktor die Rathausschenke verließ, stand die Gasse am Stadttor voller Leute. Sie schauten alle den Berg hinauf nach den vielen Dächern von Klosterrat und suchten den Hahn auf dem Uhrturme. ‘Wer kann ihn da wohl heruntergeholt haben?’ frugen sich staunend die Leute. Der Doktor stellte sich zu ihnen und schaute hinauf - eine Gelegenheit, die von einigen Frauen ausgenutzt wurde, ihn sozusagen im Vorübergehen und in Freundschaft ärztlich zu befragen, was nichts kostet. Da hängte sich ein Mädchen in seinen Arm. ‘Du bist's, Lotte?’ | |
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‘Ja, komm nachhaus', deine beiden Frauen warten auf dich mit dem Abendessen.’ ‘Pst, Kind, was für Reden! Übermütiges Kind du!’ ‘Hör', was ich die letzte Nacht geträumt habe!’ rief Lotte, in jugendlichem Ungestüm neben ihm her mehr hüpfend als schreitend. ‘Ich träumte, du hast den Hahn von Klosterrat heruntergeholt.’ ‘Aber, Lotte! Wie kannst du! Wenn das die Leute hörten!’ ‘Sie würden es nicht glauben, und wenn ich es ihnen in die Ohren schriee, Vater! Ich träumte ja nur. Aber herrlich war's doch!’ rief Lotte und schlug mit der freien Hand in die andere des unter Kirchhoffs Arm durchgezogenen Armes. ‘Die Nacht war mondhell. Man versammelte sich unter den Erlen am Flusse. Der Nebel deckte das Tal in halber Höhe wie ein Brett zu. Die Häuser ragten über das Nebelreich empor wie eine oberirdische Welt, und in den Fenstern spiegelte sich vielfältig der eitle Mond. Die Hunde bellten von Zeit zu Zeit verschlafen auf, als riefen sie sich vor Furcht an. Die Blumen in den Gärten waren geschlossen und schliefen genau wie müde Kinderaugen, die großen Sonnenblumen nickten mit überschweren Köpfen wie Pferde, die im Stehen schlafen, und an den Rosen perlte der Nachttau. Die letzten Lichter in den Häusern erloschen eins nach dem andern, nur in einem Dachgiebel brannte eins die ganze Nacht, Die Blätter der Sträucher im Tale schimmerten, als hätte es | |
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darauf geregnet, und der Mond stand still am großen Himmel. Klosterrat schwamm oben wie eine Arche mit seinen silbernen Dächern auf dem Nebelmeere. Die Uhr der Abtei schlug Mitternacht - 12 Schläge tat die Glocke, 12 Schläge schwer und würdig. Und die Glocke der Pfarrkirche unten lief gleich darauf mit 12 Glockenschlägen hinterdrein, als hätte sie geschlafen und wäre von der großen geweckt worden. Es war komisch. Und dann nach einer langen Weile schlug es auf Klosterrat 1. Und dieser eine Schlag war fast noch würdiger. Gleich darauf klang es unten: 1. Sie hatte wieder geschlafen, die Pfarrglocke - es war zum Lachen. Ach, die arme! Sie muß auch den Tag über so viel bimmeln, wenn all' das Menschengeschmeiß geboren wird und heiratet und stirbt. Das mußte ich alles im Traume denken.’ ‘Du hast eine lebhafte Phantasie,’ sagte Kirchhoff. ‘Ach, das hör' ich gern, wenn du mich lobst, Vater. Nun aber weiter! Von Zeit zu Zeit sah man aus den Stadtstraßen und von den Feldwegen und Geißpfaden an der Talwand her eine Gestalt in schwarzem Mantel und großem Hute hinabhuschen und in den Nebelsee tauchen. Es war gerade, als spränge einer in ein Wasser, und man sah keinen wieder auftauchen. Wie unter Wasser schienen sie davonzuschwimmen. Da unten war dickes dickes Nebelreich. Grau und immer grauer ward's nach unten; wenn man aber aufwärts sah, war es in der Richtung nach dem Monde milchig hell. Und unter den Erlen - die dünnen Stämmchen waren im Nebel wie Eichen- | |
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stämme so dick - stand eine Schar schwarzer Männer. Alle waren sie mit den Kragenmänteln und den großen Schlapphüten bekleidet, wie sie die spanischen Soldaten früher getragen haben, welche die alten Leute im Kriege noch gesehen haben wollen. Man unterschied am Kleiderzeuge Vornehme und Geringe. Alle hatten sie schwarze Masken vorgebunden, und dahinter verborgen kannte man sich nicht. Die Männer redeten sich mit “Bruder” an. Sie lehnten wider die Erlen, die unter dem Drucke auswichen und mit ihren Kronen im Nebel quirlten. Einige standen breit auf stolzen Beinen, schön anzusehen, und von denen einer warst du. Ich erkannte dich an deiner Haltung. Ich träumte ja nur, aber ich war sehr stolz auf dich. Die studierten Herren waren die größten Bangbüxe und sprachen immer mit “wenn” und “aber”. Das Los war auf einen von diesen gefallen - ich möchte wetten, es war ein Beamter oder Lehrer, so unanständig unterbrach er jeden andern, der sprach. Er wollte durchaus nicht dem Losspruche folgen und den Hahn herunterholen. Da murrten die Geringen und sagten, sie wollten ihn aus dem Bunde des Bockes stoßen. Du aber sagtest, es habe keinen Sinn, jemanden zu zwingen. Ihr seiet ja auch keine Soldatenknechte, die sich plump befehlen lassen. Was man gezwungen tue, wo man nicht mit der Seele dabei sei, das gerate doch nicht. Es sei auch wirklich gefährlich, und nur ein kühner Mann könne das Stückchen wagen. Ich sah dich beben. Aber du mochtest dich nicht vordrängen.’ | |
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‘Ach, Lotte, du bist verliebt.’ ‘Verliebt ist ein häßliches Wort,’ rief Lotte böse und stampfte mit dem kleinen Fuße zornig auf, ‘ich bin nicht verliebt in dich, ich liebe dich. Verliebtsein ist ein gemeines Wort!’ ‘Du liebes Mädchen!’ rief Kirchhoff, ‘wahrhaftig, wenn wir hier nicht auf offener Straße wären, ich würde dich küssen - “so” küssen!’ ‘Tu's, Josef,’ sagte sie stehenbleibend und ihn an den Knöpfen seiner Joppe fassend, ‘tu's! Ich würde es tun!’ ‘Nein,’ sagte der Doktor, ‘ich bin doch hier Respektsperson. Doch zuhause sollst du deinen Kuß haben.’ ‘Ja?’ rief sie. ‘Das ist herrlich!’ ‘Aber nur, wenn Elisabet dabei ist,’ sagte er. ‘Ja, Elisabet muß dabei sein.’ ‘Nun erzähle deinen Traum weiter,’ sagte Kirchhoff neugierig. ‘Also - wo stand ich doch? Aha! Der Dummkopf, die Bangbux, meinte, du wolltest ihn verspotten, da du ihm doch nur die Ehre lassen wolltest. Er rief: Du solltest es tun, wenn du das große - “Maul” hättest, sagte der Kerl, und ich hätte ihm dafür mit einem Knüppel in die Zähne fahren mögen. Du aber riefst: Wirklich? Wahrhaftig? Du verzichtest, Bruder? Ich soll's tun? Wie gern! Und sofort machtest du dich daran. Du verteiltest die Wachen - ha, wie freute ich mich, daß du dem feigen Helden die Wache im Moore anwiesest, wo er arg nasse | |
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Füße bekommen mußte. Die kleinen Steigleitern, welche die Steinbrecher mitgebracht hatten, waren zur Stelle, die Wachen zogen ab, hübsch eine nach der andern, daß es nicht einem einsamen Nachtwanderer auffällig sein könnte. Durch die Wolfsgracht stiegen wir hinauf -’ ‘Wir -?’ frug der Doktor stehenbleibend. ‘Ach, ich träumte ja. Ich träumte auf einmal, ich war auch dabei und trug dir mit den andern jungen Burschen eine der Leitern nach. Wir kamen an. Du wähltest die schwarze Mondschattenseite des Turmes. Und als die Turmuhr die 2 schweren Schläge tat und das ganze Gemäuer bebte, da schlugst du die leichten Leitern in die Haken neben dem Abfallrohr des Regenwassers. Es gelang. Natürlich gelang es. Du erschienst oben über der Dachtraufe, die leichten Leitern nachziehend. Nun aber kam das Schwerste, um den Bauch des Zwiebelturmes herumkommen. Du mußt da oben wohl lange überlegt haben. Wir drie jungen Burschen standen in den Stangenbohnen im Klostergarten und hatten mit den Fingern die großen Blätter beiseite geschoben. Wir sahen eine Weile nichts, und die beiden fingen an, davon zu sprechen, wer etwa in der Nacht draußen sein und uns gesehen haben könnte. Sie sprachen von dir - warst du wieder unterwegs?’ ‘Ja,’ sagte Doktor Kirchhoff, ‘die Jungfer in der Giebelstube, deren Licht du gesehen hast, von dem all' dein Träumen ausgeht, ließ mich spät noch rufen und hielt mich bei der Hand fest, obgleich nicht mehr zu | |
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helfen war. Sie konnte nicht hinüberfinden. Gegen Morgen ist sie gestorben.’ ‘Ja, das sagten die Burschen auch, du seist zu der Jungfer auf Weg, und ich habe dich auch weggehen sehen.’ ‘So? Meine kleine Lotte überwacht mich?’ ‘Ach, wenn man sich lieben läßt, dann muß man sich auch gefallen lassen, daß sich die Liebenden sorgen. Also während wir Burschen noch von dir flüsterten, warst du glücklich über den Bauch weg. Das Folgende ging nun schnell. Die eine Leiter wurde vorgelegt, in den Dachdeckerhaken gehängt, du folgtest nach, die zweite Leiter in der Hand, legtest sie, am Ende der ersten angekommen, wieder vor, nahmst die unterste Sprosse, holtest die untere Leiter nach, trugst sie hinauf, legtest sie wieder vor, und so fort. Da standst du oben auf der Spitze, umfaßtest den Hahn und hobst ihn aus dem Drehstift. Du hängtest ihn dir mit einem Seile um den Hals, und bald warst du unten. Wir kamen aus den Bohnen heraus, nahmen dir den Hahn ab, und nach einer Stunde waren wir wieder unter den Erlen. Der Nebel verdichtete sich noch, denn die Nacht wurde gegen Morgen sehr kalt, aber im Osten begann es grau zu werden, und die blassen Sterne vergingen. Was nun mit dem Hahn machen? Das wußte niemand. Schließlich sagte einer, dem man an der singenden Sprache den Aachener Mist pflanzen. Und als ich am Morgen - die Sonne stand schon hoch - zerschlagen erwachte, da sah ich | |
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die Fenster eures Zimmer geöffnet, und du rasiertest dich eben vor deinem Spiegel.’ Kirchhoff schnappte plötzlich nach Lottes Hand und riß das Mädchen heran. Er schien tief betroffen. ‘Lotte -?’ schrie er, und seine Hand, die ihre haltend, zitterte. Lotte nickte. ‘Lotte!’ rief er, ‘Lotte! Lotte! Lotte!’ wie eine abklingende Kirchenglocke. ‘Komm,’ sagte sie leise, ‘komm schnell zu deiner Frau. Du weißt, was du mir versprochen hast.’
Der goldene Hahn wurde von seinem Miste am Aachener Reich den endlosen holländischen Steinweg her nicht ohne harmlosen Spott auf Mönche und Abt zurückgefahren und mit vielen Umständen auf seine lustige Stange gesetzt, nachdem Bruder Schmied und Zimmermann ein leichtes Gerüst aufgeführt hatten. Ein Mann hatte den Hahn heruntergeholt, ein Dutzend Männer war nötig, ihn hinaufzubringen - ‘was Wunder!’ sagten die Leute, ‘herunterholen konnte ihn auch nur einer, der auf einem Bock durch die Luft zu reiten versteht!’ Die Zeit des abnehmenden Mondes gaben die Bockreiter Ruhe. Aber das nächtliche Getrippel von Füßen auf dem Flußkiespflaster der Stadt und das Geschleise auf den erdigen Landstraßen erschreckte die Ordnungsmenschen und ließ sie nichts Gutes ahnen. Eulen, Katzen, Wiesel und Marder, dachten sie im schweißwarmen Behältnis ihrer Nachtmützen, leben des | |
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Nachts auf; aber welcher Teufel kann Menschen reiten, daß sie die Nacht zum Tage machen? Die Eule soll blind sein am Tage und das Katzenauge nachts doppelt deutlich sehen; aber gibt es auch Menschen mit Eulen- und Katzenaugen? Oh schaurig! Wie schaurig! Herr, bewahre uns vor Eulen, Mardern und Dieben, und halte die Polizei wach! Die Menschen aber, die draußen waren, die mit den Eulen- und Katzenaugen, schwärmten: Ist dem Menschen nicht auch nachts zu sehen vergönnt wie den Eulen und Katzen? Und wenn die Sonne verlöscht ist, zündet Gott dann den Mond nicht an? Und wenn dieses Licht vergangen ist, die himmlischen Sterne? Am Tage gibt es eine Sonne, in der Nacht aber 5000! Und sie sind in der Ordnung gefälliger Bilder gleich silbernen Mosaiken an die erhabene Höhlendecke des Weltalls geheftet. Wie herrisch ist die Tagessonne mit ihrem überblendenden Scheine, wie nüchtern macht sie das begeistert Geschaute, wie deutlich das Gemeine! Wie übergrellt sie die 5000 anderen Sonnen, die doch auch leuchten und scheinen wollen! Und die sich bewundern und liebkosen lassen möchten von den andächtigen und zärtlichen Blicken der Menschen! Der deutliche Tag ist dahingegangen, und die geblendeten Augen können sich auftun. Erle ist nicht mehr Erle, Ahorn nicht mehr Ahorn, Eiche nicht mehr Eige, sondere alle sind nur Baum. Hütte ist nicht Hütte, Palast nicht Palast, beide sind nur Haus mit Mauer und Dach. König ist nicht König und Untertan nicht Untertan - nur Mensch. Nichts | |
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ist mehr Wesen - nur Gattung. Da gibt es nicht Wiese und Acker und Stoppel und Feld, da gibt es nur Erde und Welt. Am Tage ist die bis ins ferne Sichtfeld deutliche Erde weit und groß, der fahle Himmel aber klein - in der Nacht ist die Erde klein, aber der Himmel ist ahnungsgroß und unendlich. Am Tage ist der Himmel der bescheidene Deckel der Menschenerde, in der Nacht aber ist die Erfe die demütige Trittstufe zu Gottes Himmel. Das erhabene schwarze Gezelt ist wie von tausend Nadeln durchbohrt, durch die ein goldener Feuerraum zu schimmern scheint. Der Tag ist des Menschen, die Nacht ist Gottes. Und die Nacht ist derer, die eine Ahnung Gottes im Busen tragen. Die jungfräulichen Mädchen stellen sich ans Kammerfenster, und die empfindsamen Dichter gehen in den tauigen Garten. Die Wesen der Natur wagen sich aus Busch und Baum hervor, und die Geister des Himmels schlüpfen durch die winzigen Pforten der Sterne, in der Finsternis die Augen zu erholen von Gottes Glanz und Herrlichkeit. Die Nacht ist die Zeit der Diebe und Dichter, der Gespenster und Engel. O Verführung der himmlischen Nacht! ‘Wer von den Menschen kennt denn die Nacht? Die Nacht mit Wundern und Zaubern?’ rief Kirchhoff. ‘Man wird jung in der Nacht. Überdringt uns nicht vom Sternenhimmel immer wieder neue Reinheit, frische Kraft, geläuterte Stärke? Oh, stellt die Schalen eurer offenen Herzen unter dem nächtlichen Himmel aus, daß der mystische Regen sie fülle! | |
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Menschen, hört ihr? Nein, sie hören nicht. Sie schlafen, sie schlafen. Die Menschen schlafen zur Zeit dieses überirdischen Mannasegens. Zum Klingen der Sphären schnarchen die Schläfer.’ ‘O Schwärmer! Schwärmer!’ rief Lotte, sich an Kirchhoff hängend. ‘Wie rein und gut ist ein Mensch, wenn er schwärmt! Wie rein und gut bist du!’ ‘Nur im Dunkeln kann man schwärmen,’ sagte leise Elisabet Kirchhoff. ‘Wie wir im Finstern uns unserer nackten Körper nicht schämen, so meinen wir, wir brauchten auch Nacht, wenn wir unsere Seelen enthüllen’ . . .
Eine breite Gasse hat sich der Fluß in die Fläche des Landes gegraben in jener fabelhaften Sintflutzeit, als es nur Großes und Gewaltiges auf der Erde gab, ungeheure Tugenden und bedeutende Laster, als jedes Tun über ungemessene Kräfte, jeder Sturm über tausend Windgeister und jeder Fluß über breite Fluten gebot. Heute aber ist alles gezähmt und friedlich, die tierische Natur des Menschen ist sittsam und die Erde ein zu weiten Mantel für den bürgerlichen Menschen geworden. Das Tal ist zu breit für den Fluß - bescheiden und wohlanständig wandelt er im vorgezeichneten Bette und läßt neben sich breiten Raum für die Straßen des Menschen. Die den Fluß entlangführende Straße kamen Leute in großen Hüten und weiten Mänteln daher. Trafen sie auf andere, so meckerten sie leise mit dem Meckern des Bockes, und erwiderten die andern das | |
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Meckern in der rechten Weise, so kam man einander näher und rief gedämpft: ‘Es lebe der Bock!’ ‘Heilig und hoch!’ wurde erwidert. ‘Bruder vom Bocke!’ begrüßten die Herumtreiber sich und setzten gemeinsam den Talweg fort. Es säuselte wie von Mitwissern in den Erlen am Flusse, und die Sterne blinzelten wie Mitwisser . . . Die Nebel machten sich aus den nassen Auen auf wie hüllende Helfershelfer . . . Überall in der Landschaft meckerte der Bock, und es wimmelte von Hüten und Mänteln auf Wegen und Stegen. Da! Was war das? O Schrecken! O Grauen! O Schönheit! O Abenteuer! Ein blutroter Bock mit einem grünen Reiter darauf fuhr langsam durch die Luft. Jetzt flammte er wie von einem Blitze getroffen auf, eine spitze Flamme stach wie ein Dolch in den Busen der Nacht - und versprühte . . . Im Städtchen wurden Türen zugeschlagen, Vorhänge sanken vor die Fenster, und späte Lichter erloschen . . . ‘Der Bock geht um!’ flüsterten die Herzogenrater und bekreuzigten sich . . . In der Kapellenruine auf dem Berge waren alle heiligen Zeichen entfernt und die letzten roten Weihekreuze an den Wänden von den Hirten verkratzt. Und das war gut so, denn der Spuk wurde jetzt im Heiligtume verehrt. Auf einer Kiste und einem mit der Hieroglyphe der Narrheit bestickten Tuche stand das metallene Bild eines Bockes. Es war mit Phos- | |
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phor bestrichen und strahlte das aufgesogene Tageslicht in grünlich-silbernem Scheine aus. Eben wurden unter närrischen Zeremonien Novizen in den Bund des Bockes aufgenommen. Sie hoben die linke Hand auf und schwuren ‘vor Gott und Welt und unserm heiligen Kaiser Karl’: Daß sie die Torheit verachten, aber die Narrheit verehren wollten, weil sie wüßten, daß Narrheit Weisheit sei. Daß sie das Schwache ritterlich schützen, aber in das Aufgeblähte keck hineinstechen wollten. Darauf schwuren sie mit der rechten Hand den Oberen unbedingten Gehorsam und gegen alle Fremden unverbrüchliches Schweigen. Sie schwuren zu schweigen, selbst wenn man sie ins Gefängnis legen, auf die Folter spannen, ja gegen den lichten Galgen führen würde! Sie schwuren, als wahre echte und treue Bockreiter zu leben und zu sterben! Dann sagte der Hauptmann: ‘Ich befehle, daß fürs erste kein Bruder mehr aufgenommen wird. Der Bund wird zu groß, die Oberen verlieren die Herrschaft aus der Hand.’ Darauf forderte er jeden auf, zu sagen, was er auf dem Herzen habe. Jeder, der einen neuen witzigen und fabelhaften Streich sich ausgedacht habe, solle ihn vorbringen; sie wollten beraten und beschließen, ob und wie er auszuführen sei. Ein Bockreiter sagte: ‘Der ritterliche Herr auf Schönau, Jungherr von Mylenkamp, hat sich aufs Menschenschinden verlegt. Dem sollte man einen | |
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frischen derben Streich spielen, um ihn zur Achtung seiner Mitmenschen und Bauern zu bringen. Die Oberen mögen beschließen, was zu tun ist.’ ‘Der Vorschlag ist gut,’ sagte der Hauptmann, ‘wir werden das Nötige überlegen. Wenn alles durchdacht und ausgekundschaftet ist - das wird in 2 bis 3 Wochen sein -, werdet ihr auf dem holländischen Meilenstein einen blauen Bock gemalt finden. In der dritten Nacht darauf versammelt sich alles im Aachener Landgraben 200 bis 300 Schritt östlich von der holländischen Porte. Schönau ist eine Wasserburg, den Graben rundherum füllt eine schlammige grüne Suppe voll von Wasserknöterich und Kröten. Der Wippbalken ragt daneben in der Gabel auf. Wir überwältigen die Knechte des Ritters, holen ihn aus den Federn, hängen ihn nackt an den Balken und wippen ihn einige 25mal in den Krötenpfuhl bis an die Naslöcher hinein. Wenn er ein bißchen von der grünen Suppe schlucken muß, ist es auch nicht schlimm. Darauf wird er warm gerieben und in sein Bett zurückgepackt, damit er keinen Schnupfen kriegt. Denn wenn der König Schnupfen hat, muß das Land niesen. Dann wird der Ritter vom Bauernschinden geheilt sein. Hat noch einer etwas zu sagen?’ Ein Bockreiter sagte: ‘Ich wollte aussprechen, daß die Brüder nicht wie das letztemal in Haufen auseinander- sonder einzeln weggehen sollten. Der Doktor Kirchhoff ist wieder zu einem Kranken auf Weg, ich sah ihn vor Nacht, er dürfte gegen Morgen zurückkommen. Laßt den nicht auf uns aufmerksam werden.’ | |
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‘Der Rat ist gut und heilsam,’ sagte der Hauptmann, ‘der Mann ist ein Hitzkopf. Hütet euch vor seinem Eifer.’ Zu der drastischen Belehrung des Ritters Mylenkamp kam es nicht, denn er war selbst ein Bockreiter und in der Versammlung zugegen; er schrieb sich den Beschluß hinter die Ohren und änderte schleunigst seine Sitten. Jetzt wurden die Novizen in der wichtigen Kunst unterrichtet, die Leuchtsteine zu behandeln und sich mit Phosphor zu bestreichen. Sie waren eifrige Schüler und brannten darauf, daß man endlich zum Abenteuer dieser Nacht schritte, bei dem sie sich die Sporen verdienen sollten.
Nach der Mitternachtsmette saßen die Mönche von Klosterrat noch eine Weile im Refektorium bei einem kleinen ersten Frühstück beisammen. Die Holzscheite prasselten unter dem mächtigen schwarzen Hute des Kamins, und die feurigen Widerscheine spielten Verstecken zwischen den Rippen und in den Kappen des gotischen Bewölbes der Halle. Der Glühwein dampfte auf den hölzernen Tischen, und leise klangen die Gläser von den silbernen Löffeln, mit denen der Zucker im Tranke verrührt wurde. Der Abt am Kopfe der Tafel und das Dutzend Mönche, Cölestin an der Spitze, stöhnten und schnauften leise in dem Behagen, das der warme Wein in ihnen erregte. Der dicke Mönch Thomas mit einem Kopfe so glatt und nackt wie ein Ei, mit einem wie ein | |
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Wollschal um den Hals gelegten Speckkragen, schob seinen starken Bauch so nahe wie möglich an den Tisch heran, um seinen Armen den Weg zum Glase kurz zu machen. Er stöhnte laut, und der Abt sagte spitzig: ‘Bruder Thomas, kennst du die Geschichte von deinem Namensheiligen aus Aquino? Nein? Nun, Thomas von Aquino, den der Herr mit einem so mächtigen Verstande ausgestattet hatte, daß die ganze Welt noch heute von seinem scholastischen Wissen zehren könnte, wenn sie es nicht wie der ungläubige Preußenkönig vorzöge, sich weltliche und zynische Mode-philosophen zu verschreiben, diesen heiligen Thomas also hatte er auch mit einem so großen Bauche begabt wie unsern geliebten Bruder. Auch der quälte sich bei Tische, weil das Ungeheuer seines körperlichen Vorgebirges ihn nur schwer die erlaubten Freuden der Tafel ergreifen ließ. Und was tat da unser großer Thomas? Durchaus nicht ätherisch verstiegen sondern gesund und stark auf dieser schönen Erde haftend, was tat er? Was meint ihr? Er ließ sich - mit Bewilligung des Abtes, versteht sich - vom Bruder Tischler einen Halbkreis in das Tafelbrett schneiden und fuhr zur Mahlzeit sein Vorgebirge mitten zwischen Schüsseln und Teller hinein. Das würde auch ich unserm lieben Bruder Thomas erlauben.’ Der Abt lächelte listig und spitzig, und die Mönche grielachten schadenfroh - soweit es Christenliebe und Klostergeist eben zuließen, versteht sich -, Thomas aber klagte: ‘Das Dickwerden ist einfach eine Wirkund des Teufels. Dagegen hilft nichts.’ | |
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Cölestin sagte: ‘Der Doktor Kirchhoff unten in der Stadt meint, Dickwerden und fast alle Krankheiten kämen vom vielen Essen. Das ganze Lans äße zuviel.’ ‘Laßt euch durch den nicht verwirren, Brüder,’ unterbrach der Abt. ‘Mein Freund Kirchhoff ist ein ganz weltlich gerichteter Geist. Ein bißchen grobschlächtig und urtümlich ist er auch. Er möchte am liebsten sehen, daß jeder wieder wie in alten Zeiten selbst seinen Acker bestellte, sein Brot büke und sein Haus nach der Art unserer Altvordern mit Schild und Lanze gegen die Bären und Auerochsen des Urwaldes verteidigte. Von der gesunden Arbeitsteilung, die Gott die Menschen in höheren Lebenszuständen finden ließ, hält er nichts. Wenn es nach ihm ginge, so müßten wir selbst anstelle der Gärtner und Arbeiter jetzt draußen am Hühnerhofe Wache stehen. Bete und arbeite, hat der Herr gesagt. Aber man muß auch alles richtig mit dem Verstande verstehen, was der Herr gesagt hat. Bete und arbeite, das gilt für den Menschen in niederen Zuständen der menschlichen Gesellschaft; im Kloster, diesem Abbilde der himmlischen Gesellschaft, hat eben der Mönch zu beten und der Gärtner mit seinen Buschen zu arbeiten. Das ist nun so und ist Gottes Wille.’ ‘Werden die Diebe auch nicht wieder einbrechen, Hochwürdiger Abt?’ frug Cölestin. ‘Ich ertrage das nicht! Meine Nerven!’ ‘Da kannst du ruhig schlafen, Cölestin. Das ganze | |
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Stallgebäude ist besetzt. Die Gärtner haben Fußangeln gelegt und werden jeden Einbrecher fangen.’ ‘Wenn sie doch auch den Teufel fangen würden, der mir diese Last an den Leib gehängt hat!’ seufzte Thomas. ‘So fasse den Teufel bei den Hörnern! Hier ist er!’ rief es plötzlich aus dem Rauchfange des Kamins. Entsetzt fuhren die Mönche auf. Hunderjähriger Ruß rauschte und prasselte den schwarzen Rauchfang in Flocken und Brocken herab und erstickte das Feuer der Scheite. Trockener Holzrauch erfüllte die Halle und beizte die Augen. Und da . . . da sauste ja an einem Seile der leibhaftige Teufel in die Halle hernieder und sprang in das verglimmende Feuer hinein, der Teufel, schwarz angerußt und phantastisch phosphoreszierend! Und dem Belzebub folgte auf der schankenden Straße des Seiles die Schar der Teufel nach. Geschrei und Schreckensrufe! Johlen und klägliches Bitten! Da fielen die Stühle und schwankten die Tische! Da taumelten die Schemel und krachten die Tafeln! Gläser klirrten und Teller barsten, es heulte und kreischte, und die Halle selbst schien widerhallend zu brüllen. Die Mönche fuhren auseinander. Sie schossen aufgestörten Dächsen gleich in die Röhren der Gänge, der Abt schnaubend und schäumend, Cölestin weinend und greinend, und Thomas, der Dicke, schnaufend und mit Mühe den Sysyphusstein seines Bauches vor sich her wälzend. ‘Wir wollen euch das Laufen lehren und euch das Fett abziehen, ihr Mönche!’ grölten die Teufel, | |
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knallten mit Peitschen und knarrten mit quarrenden Narrenraspeln. Die Gänge schienen aus den Kehlen der Winkel und Ecken aufzuschreien. Die Mönche verkrochen sich in ihre Zellen. Die rettenden Türen knallten in die Schlösser. Die Teufel entwischten einer nach dem andern den Rauchfang hinauf, und das baumelnde Seil wurde hinter dem letzten nachgezogen.
Während diese Teufelskomödie drinnen von den Häuptern des Bundes aufgeführt wurde, harrten draußen um das Kloster herum versteckt und Wache haltend die Bockreiternovizen. Sie brannten vor Eifer! Sie glühten vor Begier! Sie sahen die Lichter die Gänge entlangfliehen uns sahen die dunkeln Zellen sich erhellen. Ach, wer da hätte mittun können! Aber erst hieß es, sich anlernen und sich bewähren! Erst galt es, gehorchen und dann befehlen, erst aufmerken und dann handeln! O langweiliges Lernen! Sie vertrieben sich die Zeit, indem sie mit der neuerlernten Kunst des Phosphoreszierens die Knechte des Klosters, die zitternd vor Angst im Hühnerstalle saßen, erschreckten und verjagten, und einige verließen vor eifriger Ungeduld ihre Posten, selbst Abenteuer zu suchen. In der Nähe des Klosters, außerhalb der Klausurmauer, stand ein Nonnenklösterchen, ein Spital für die Handwerker und Unbemittelten des Landes. Es war eine fromme Stiftung des alten Geschlechtes der Kirchhoffs. Schall und Hall des nächtlichen | |
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Spukes reichte nicht bis in den heiligen Krankenfrieden des Spitals. Still war dort alles, die Gesunden schnarchten, und die Kranken reiften schlafend der Genesung entgegen. Nur ein Fenster war hell, das der Zelle der Oberin, die vor lauter barmherziger Arbeit am Tage nur die Nächte mit frommem Gebete füllen konnte. Die Oberin, Schwester Helmtrudis, war eine heilige Frau. Sie war auch eine schöne Frau. Breit gewachsen war sie und sah mit ihren königlichen Schultern und starken Hüften, mit ihrem Helme aus gestärkter schneeweißer Leinwand und dem gediegenen braunen Wollkleide einer Rittersfrau ähnlich. Sie war dem kräftigen Schlage des Landadels, der pflügt und jagt und reitet, entwachsen. Aus ihrer väterlichen Wasserburg hatte sie die gesunde Natürlichkeit mitgebracht, von der man sich im Lande erzählte: Schwester Helmtrudis hatte einen Gärtner Henri, einen keck dreinblickenden Welschen mit langen schwarzen Haaren, der alle Dienstleute des Spitals gegeneinander und gegen die Oberin aufhetzte, nicht aus bösem Herzen, sondern weil er an ‘Mauldurchfall’ litt, wie Helmtrudis sagte. Er hätte um nichts in der Welt eine halbe Stunde schweigen können. Er war stets mißlaunig, denn er krankte an hartem Leibe. Eines Tages, als er wieder durch sein leichtfertiges Maulwerk unter den Dienstleuten gestänkert hatte, war Schwester Helmtrudis zornig geworden und hatte ihm vor allem Dienstvolke gesagt, es sei besser für ihn und für Leib und Seele des Menschen gesund, die Öffnung | |
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des Mundes geschlossen, die gegenüberliegende aber offen zu halten. Diese Worte der heiligen Nonne machten die Runde im Lande, und alle Reifen und Verständigen freuten sich daran. Gesund, derb, fröhlich und fromm, wie die rheinischen Leute waren, entsprachen solche Worte ihrer Art und gaben dieser, weil sie aus dem Munde einer Heiligen kamen, die Weihe. Auch die geistlichen Leute sind Menschen wie wir! Auch die Nonnen und Heiligen haben keine englischen Leiber! Soll das nicht jedermann wohltun? Ja, Schwester Helmtrudis! Das ist eine! Das ist die richtige! Gesund und natürlich, eine reifes Weib, war Helmtrudis an der Seele das reine Kind. Die letzte Begrüßung aus dem Ave Maria, welche Maria benedeiet wegen der ‘Frucht ihres Leibes Jesus,’ sprach sie ihr Leben lang gedankenlos aus und verstand nicht den Sinn der Worte. Das Ave Maria: ‘Du bist voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeiet unter den Weibern’ war ja auch so schön, es ging mit Worten so lieblich ein, warum es verstehen müssen? Die Mutterschaft Mariä war ein Geheimnis, das man nicht erforschen sollte. Wenn sie eines Tages erkannt hätte, daß Maria ein sterbliches Weib gewesen wäre, sie würde an Maria und Jesus irre geworden sein. So war ihr die unbefleckte Empfängnis Mariä 100 Jahre vor dem vatikanischen Konzile ein selbstverständtliches Dogma. Sie verehrte Maria in Gestalt der Jungfrau aus den Pyrenäen, und die weißgekleidete jungfräuliche | |
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Madonna mit der blauen Schärpe stand in der künstlichen Grotte, die Helmtrudis am Ende des Gartens, wo der Fluß vorüberrauschte, hatte errichten lassen. Dort in der Naturkapelle hatte sich jeden Abend bei gutem Wetter das ganze Spital, Schwestern, Dienstleute, Pfleger, Genesende, zur Marienandacht einzufinden, auch Henri. Also verstand sie nicht, daß Henri sie mit glühenden Augen verzehrte und mit wildem Herzen begehrte. Umso wilder begehrte, je mehr sie ihn demütigte. Hätte er gesprochen, sie würde nicht verstanden haben, was er wollte. Der Mann war für Helmtrudis ein mit Hosen bekleidetes Wesen, das plump und faul war, das rauchte und die häßliche Gewohnheit hatte, sich während der Abendandacht laut zu räuspern und in den Fluß zu spucken. Sie hätte mit Maria zum Engel sagen können, daß sie ‘den Mann noch nicht erkannte’. Außerdem aber war der Mann der Erlöser Jesus Christus. In ihrem weißgetünchten Zimmer hing über der Schlafpritsche nahe dem Fenster ein fast lebensgroßer Christus, in spätgotischer Art ans Kreuz geschlagen. Er trug einen vergoldeten Lendenschurz und eine Krone aus echten fingerlangen Dornen. Die Haare klebten von Schweiß und Blut zusammen, die Augen waren blauunterlaufen angemalt, die Rippen stachen hervor, die Zehen waren vor Schmerzen gespreizt, aus den heiligen fünf Wunden in Händen, Füßen und der Seite klaffte das rote Fleisch, und der weiße | |
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Körper war mit derben Blutspritzern bedeckt. Eine ewige Kerze brannte vor dem Christus. Es war tief in der Nacht, Helmtrudis kniete an der Erde und betete den Rosenkranz. Jetzt endete sie und küßte innig die heiligen fünf Wundmale des Rosenkranzkreuzes - es war Holz aus dem heiligen Baumgarten am Ölberge, das Pilger mitgebracht hatten. Die Kerze blakte, das flüssig gewordene Wachs strömte plötzlich ab, und das Licht, das Luft bekommen hatte, flammte hoch auf - und hoch auf flammte die Glut im Herzen Helmtrudis'. Wie liebte sie den Erlöser! Ach, du mein Erlöser! Ach, du mein süßer Jesus! Warum konnte ich nicht mit dir sterben? Warum konnte ich nicht für dich sterben? Warum konnte ich nicht anstelle des unbußfertigen Schächers neben dir am Kreuze hangen, dir Mut zusprechen und in den Qualen lachen, daß auch du hättest lachen mögen, lachen über die törichten Menschen, die verblendet dich kränkten und schmähten? Ach, du mein süßer Erlöser! Es war ganz still in Spital, die Kranken in den Sälen schlummerten, die Schwestern ruhten, der Arzt Doktor Kirchhoff, der noch am späten Abend wie allabendlich nachgesehen hatte, war längst weggegangen, die Dienstleute schliefen drüben im Wirtschaftshause. Ein Flügel des Fensters war geöffnet, die laue Nacht strich herein, ein Kater auf dem Dache miaute, und ein Vogel, den ein Wiesel im Neste würgte, schrie. Von fern her drang das Rauschen des Flusses, der neben der Mariengrotte über ein Wehr stürzte. | |
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Helmtrudis löste im Knieen die Sandalen, ihre nackten schönen Füße sahen mit eingebogenen Sohlen unter dem braunen Schwesternkleide hervor. Sie hatte das Gesicht zu dem Christus an der Wand erhoben, die gestärkten Zipfel ihres Haubenhelmes rieben mit leichtem Knirschen auf der gestärkten Leinwand des Halspanzers, die geöffneten Hände hielt sie von sich abgestreckt, die Haltung des Gekreuzigten nachahmend. Der Rosenkranz war um die Finger der Linken geschlungen. Wo war ein Mensch, der den Erlöser liebte wie Helmtrudis! Wer hätte so gern mit dem Erlöser gelitten wie Helmtrudis! Wessen Brust verzehrte sich in gleicher Brunst für den himmlischen Jesus wie Helmtrudis' Brust! Ach, du mein süßer Jesus! Du Traum meiner Tage, du Wonne meiner Nächte! Du himmlischer Bräütigam! War nicht einstmals ein Wunder geschehen? Hatte nicht der heilige Franziskus wie sie vor dem Kreuze gekniet, mit ausgebreiteten Armen und nackten Füßen, hatte seine Liebe zu dem Erlöser bekannt, hatte gefleht, mitleiden zu dürfen - und hatte sich da nicht der blutige Heiland mit einer Hand vom Nagel am Kreuzesstamme gelöst und Franziskus an seine Brust gezogen? Und als darauf der Christus wieder starr am Stamme hing, hatte da Franziskus nicht seine Hände und Füße durchbohrt gesehen und ein klaffendes Loch in seiner linken Brust gefühlt, in das er eine Hand legen konnte? Warum sollte Franziskus allein würdig sein, vom Erlöser stigmatisiert zu werden? | |
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Konnte die Liebe eines Mannes zum Erlöser so groß sein wie die einer Frau? Konnte ein Mann so innig brünstig feurig fühlen wie ein Weib? Das konnte er nicht! Oh, Helmtrudis fühlte viel inniger! Oh, Helmtrudis brannte viel glühender! Sagt man nicht, daß auch die heilige Theresia stigmatisiert worden ist? Oh, Theresia war heiliger, war frömmer, war reiner. Aber Theresia liebte dich nicht mehr, o Erlöser, als Helmtrudis! O du mein süßer Jesus! Meine Wonne, mein Schatz, mein Bräutigam! Meine Seele umglüht dich wie ein Feuermantel am Tage, und mein Leib zittert dir entgegen in der Nacht. Komm! Komm! Komm zu Helmtrudis! Umarme mich! Umfange mich! Laß mich aufgehen in dir! Laß mich verbrennen, verglühen in dir! Die Augen gingen ihr über vor Liebe . . . In diesem Augenblicke erlosch die Kerze. Der Christus tauchte in die Dunkelheit, das Zimmer schwankte um Helmtrudis, sie schloß die Augen, dem Wunder entgegenfiebernd - und als sie die Lider öffnete, war das Wunder geschehen. Nicht der tote Christus am Kreuze war lebendig geworden, aber der lebendige war vom Himmel herabgestiegen. Zu ihr! Zu Helmtrudis! Und stand mit ausgebreiteten Armen gekreuzigt vor dem Fensterkreuze. Er war mager und nackt, ein goldenes Tuch umgab seine Lenden und leuchtete in phosphoreszierendem Glanze. Silbernes Licht umsloß den Körper. Unter den Augen liefen blaue Schmerzensstriche, und der Körper war mit Blutspritzern bedeckt. Die Wundmale in Händen, Füßen | |
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und der Seite waren rot und glühten in Phosphorlicht. Eine holzige Krone aus echten fingerlangen Dornen stach in die Stirn, und Schweiß und Blut verklebte das lange schwarze Haar. Ein Taumel erfaßte Helmtrudis! Ihre Lippen öffneten sich zu lechzendem Kusse, und sie zitterte verzückt dem Seelenbräutigam entgegen. Der schwebte vom Fenster herab auf sie zu, legte den Arm um sie, zog sie an sich und küßte sie heiß. Dann sprach er mit der hohen Stimme der Engel: ‘Helmtrudis! Schwester! Geliebte! Ich habe dein Flehen gehört und bin vom Himmel zu dir herabgestiegen. Niemand leidet so mit mir wie du. Niemand liebt mich wie du. Deine Liebe erstieg Wolken und Sterne, sie schwang sich über den Raum hinaus und durchdrang die Wände meines Himmels. Ich wurde warm an dir dort oben im weiten kalten Himmel. Darum stieg ich zu dir herab und will dich an mich drücken, du Braut meiner Seele. Niemand liebt mich wie du, auch Franziskus nicht. Warum soll er allein würdig sein, meine Wundmale zu tragen? Darum will ich auch dich stigmatisieren, damit du meine heiligen fünf Wunden vor aller Welt tragest, den Spöttern und Ungläubigen zum wunderbaren Zeichen. Also lege deine Haube ab, daß ich meine Dornenkrone dir aufs Haupt drücke und du fühlst, was ich um die Menschen gelitten habe’ - Helmtrudis riß die Helmhaube ab und ihr geschorener Nonnenkopf erschien, - ‘reich' deine Hände und Füße her, daß ich sie durchbohre’, - Helmtrudis spürte einen Schmerz wie von | |
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einer Nadel in den Handhöhlen und auf den Fußrücken - ‘entkleide deine Brust, daß ich meine offene Seite darauf drücke, aus der die Liebe zu den Menschen ewig fließt wie durch ein offenes Tor’ . . . Am nächsten Tage zog man die Leiche Helmtrudis' aus dem Wehre. Die Heilige hatte sich ertränkt. Ein fluchwürdiges Verbrechen war geschehen. Henri war ein Bockreiternovize.
Plötzlich, um ½2 Uhr in einer Nacht, läuteten die Glocken. Sie läuteten so aufgeschreckt wie die Vögel schreien, wenn der Marder sie im Schlafe überrascht. Sie läuteten kurz und stürmisch und wild . . . es war entsetzlich. Die Frauen weckten die Männer, und die Männer sprangen aus den Betten. Sie rissen die Fenster auf und starrten in die kühle Nacht. Wo brennt es? Alle Fenster der Gasse öffneten sich, und man rief sich zu: Wo brennt es? Die Haustüren knarrten, und die Männer traten in die Gasse hinaus. Wo brennt es? Da läutete es auch von Klosterrat. Un drüben aus den Dörfern auf der andern Flußseite läutete es. Und es läutete talab aus den Dörfern und talauf aus den Dörfern. Es läutete rechts von der Fläche aus hundert Siedlungen des Landes Jülich und links aus hundert des Landes Limburg. Das ganze Land Übermaas läutete. Läutete wie voll Furcht, voll Schreck, voll Entsetzen. Jetzt läuteten die Dörfer des Aachener Reiches, und nun - wahrhaftig, da läuteten auch die Glocken der Kaiserstadt! Alle Glocken! Die Pfarr- | |
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kirchen, die Klosterkirchen, die Schulkirchen, die Münsterkirche, das ganze rheinische Bethlehem läutete. Die Marienglocke auf der Münsterkirche, die römischen Kaisern geläutet hatte und jetzt nur alle sieben Jahre bei der Heiligtumsfahrt geläutet wurde, sie läutete. Ganz plötzlich auch, nach 13 Minuten, riß das Läuten ab . . . Warum? Was bedeutete das alles? Was war los? Empörten sich die Bauern? Sie hatten es doch gut! Erhoben sich die Handwerker? Man sorgte doch für sie, man stiftete ihnen Spitäler, man stahl für sie Eier und Hühner! Was hatte sich denn zugetragen? Was war geschehen? Nichts weiter, als daß alle Glocken läuteten . . .
Plötzlich, um 3 Uhr in einer Nacht, heulten die Hunde. Gottserbärmlich heulten sie. Als die Männer auf die Straße gingen, stürzten ihnen die Hunde schon den Berg herab entgegen. Ein, zwei, drei Dutzend, ein halbes Hundert Hunde, die offenbar aus Häusern und Höfen zusammengestohlen worden waren. Spitze waren es, gemeine Wachspitze, die meistens an der Kette lagen. Flammende Pechfackeln waren ihnen unter die Schwänze gebunden, und die Tiere stoben bellend, heulend, kreischend, weinend den Berg hinab und stürzten wild in alle Gassen, Gäßchen und Grachten der Stadt. Jemehr die Männer sie zu fangen strebten, umso wilder rannten die Hunde. Bald jagte die halbe Stadt in Unterhosen, Schlafjacken und Zipfelmützen hinter ihnen her. Erst gegen | |
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Morgen hatte man alle eingefangen und hatten die letzten der armen Tiere an ihren Ketten vor den Hütten sich wieder beruhigt. Was sollte das -? Mein Gott, ein Streich! Nichts weiter . . .
In der nächsten Versammlung der Bockreiter führte der Hauptmann zornige Klage über den kindischen Unfug. Das seien keine der Männer würdigen Streiche! Das seien Einfälle grüner Jungen! Die Anstifter gehörten noch auf die Schulbank und sollten sich die Hosen vom Lehrer verklopfen lassen! Er frage, welcher Mut darin liege, nachts in die Kirchtürme zu steigen und alle Glocken zu läuten? Und gar darin, Hunden Feuerbrände unter die Schwänze zu binden? Die Leitung des Bundes habe nichts mit der Sache zu tun. Aber wieviele Küster und Kirchenjungen müßten mittlerweile beteiligt sein! Hätten sich denn schon Bünde im Bunde gebildet, die auf eigene Faust handelten? Das sei unerhört! Es sei von nun an strengster Befehl, niemanden, aber auch niemanden mehr einzuweihen und zuzuführen. Sehr ernst war der Ton dieser Versammlung. Der Hauptmann redete auch von dem seltsamen und nicht aufgeklärten Selbstmorde der heiligen Nonne Helmtrudis und sprach die fürchterliche Vermutung aus, daß ein Bockreiter auch dabei seine Hand im Spiele gehabt habe. Er warne! Er warne! Sehr ernst war der Geist der Versammlung, und unfroh zerstreuten sich die Männer im Morgengrauen aus der Kapellenruine auf dem Berge. | |
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Zur Zeit der Ernte verschwand ein Mädchen. Ein zuverlässiges braves Mädchen, dem auch ein abgewiesener Freier nichts Böses hätte nachsagen können. Umso weniger verstand Jan Kroë von Schönau, daß die Barbara außer Landes gegangen sein sollte. Er hatte sie, obgleich Magd, für seinen Sohn als Frau ausersehen, so wacker von Wesen und tüchtig in der Wirtschaft war Barbara. An einem Juliabend war Barbara allein in den sauren Benden am Flusse mit dem Nachrechen der zweiten Mahd beschäftigt. Die Luft war warm, die Sonne schien mild, die Finken sangen, und Barbara selbst sang wie ein Vogel. Da brachen aus dem Weidengebüsch einige junge Männer mit Masken vor den Gesichtern. Sie fesselten ihr die Hände auf dem Rücken, zogen ihr das Kopftuch durch den Mund und knüpften es im Nacken. Dann schlugen sie ihr den Rock hoch über den Kopf, schnürten ihn oben wie einen Sack zu, und unter wildem Lachen jagten sie Barbara den Feldweg hinab nachhause. Bis zum Gürtel nackt rannte sie, sinnlos vor Furcht und den Weg durch das Gespinst des Rockes undeutlich erkennend, eine viertel Meile weit. Dann erst, als sie die Burschen nicht mehr hinter sich hörte, hielt sie an und versuchte, die Fesseln an den Händen zu lösen. Vergebens. Womit die Blöße bedecken? Kein Mensch kam auf dem Feldwege daher. Wenn doch eine Frau gekommen wäre! Da aber sieht sie Männer mit Sensen und Rechen, Bauern, von der Mahd heimkehrend, ihr in der Ferne entgegenkommen. | |
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Wo sich verbergen, bis sie vorüber sind? Sie stürzt sich in die Auen und Brüche des nahen Flusses. Sie sinkt mit den Füßen in den Bruch, bald steckt sie bis zum Gürtel im Sumpfe. Die große gute Erde ist nun das Kleid ihrer Schamhaftigkeit. Nun aber hätte bald jemand, selbst ein Mann, daherkommen dürfen . . . daherkommen sollen! Nun mußte bald jemand kommen, sollte sie nicht im Sumpfe untergehen, denn sie fühlte, daß der Bruch sie langsam einschlürfte. Doch niemand kam. Sie mïhte sich zu schreien, aber zuerst wehrte ihr der Knebel und bald der Sumpf, mit Wasser und grünem Schlamme ihren Mund füllend. Sie starb dort, ein Opfer der Scham. Es kam Trockenheit ins Land. Der Bruch schrumpfte ein. Kinder suchten Käfer im Sumpfe. Da brauste plötzlich eine Wolke Fliegen vor ihnen auf . . .
Auf einem Viehmarkte in Herzogenrat prahlte der Bauer von Melaten - er war um einen Kopf größer als die anderen Bauern, hatte ein rundes bärtiges Gesicht mit lustigen fröhlichen Augen und träge Bewegungen. Er trug ein loses Kamisol aus blauer gestärkter Leinwand - also dieser prahlte: ‘Ich habe 87 Stück Rindvieh, 33 Pferde und 12 angekörte Stiere im Stalle stehen. Ich bewache meinen Hof mit einer Eisenstange. Alle Geusen aus Brabant, alle Wiedertäufer von Überrhein und alle Freibeuter und Gaudiebe sollen mit nicht einen Nagel vom Platze rücken! Wer mir ein Horn oder einen Huf bewegt, der kitzelt | |
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meine Eisenstange! Ich fürchte mich nicht vor Bockreitern und allem andern Pack und Gesindel! Die seh' ich mit bloßem Hintern an! Ich bin Hubert Lamberti aus Melaten im Aachener Reich!’ War eine solche Rede nicht Gotteslästerung? Sprach da dieser Bauer aus Melaten nicht wie der König Belsazar von Babylon? Wenn das nur gut gehen wird, Hubert Lamberti! Uns Menschen ziemt Bescheidenheit. Eine Mücke kann dich stechen und dich fällen, dich Riesen von Melaten mit deiner Eisenstange! Stolz darfst du sein, großer gesunder Bauer inmitten deiner Schar blühender Töchter, starker Söhne und der 87 Stück Rindvieh, 33 Pferde und 12 angekörten Stiere; aber du sollst den Stolz nur wie einen Schatz inwendig im Busen hegen! Der Prahler fordert heraus! Wer soll dir denn auch einen Nagel vom Platze rücken und dir ein Horn oder einen Huf bewegen? Die Bockreiter stehlen doch nicht! Die haben doch fast ebensoviel Rindvieh und Pferde und angekörte Stiere im Stalle stehen! Und daß du im Aachener Reiche wohnst - mein Gott, die Kaiserin Maria wird nicht den Reichsbann aufbieten, um dir gegen Geusen und Gaudiebe zu helfen. Die Stadtsoldaten werden kommen wie die Feuerwehr - das Haus ist heruntergebrannt, sie macht noch viel Wasser und sagt, sie habe den Brand gelöscht. Das Böse bekämpfen hilft nicht viel, man darf es nicht aufkommen lassen. Wir Menschen haben allen Grund, bescheiden zu sein, selbst König Belsazar und Kaiserin Maria | |
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Wievielmehr du! Du hättest nicht prahlen sollen, Hubert Lamberti! Melaten war ein einsamer Hof, der innerhalb des Landgrabens an der holländischen Straße lag. Melaten hieß eigentlich Maladrerie. Der eckige Stein dieses fremden Wortes war im Flusse der deutschen Rede zu dem glatten Riesel Melaten abgeschliffen worden. Maladrerie war vor 100 Jahren das Zwangskrankenhaus für die aus der Reichsstadt verbannten Aussätzigen gewesen. Sie hatten sich vom Bettel genährt; alle den Reichsweg ziehenden Bauern, Soldaten, Kaufleute, Gesandte und Staatspersonen hatten in ihre klappernden Teller gegeben. Eine Meile in der Runde hatten sich keine Menschen anzusiedeln gewagt, und noch heute umgab eine Leproseneinsamkeit den Hof, nachdem der Aussatz erloschen und das Krankenhaus aufgelassen war. Es hatte Mut dazu gehört, das Gut zu erwerben, und Hubert Lamberti hatte den Mut gehabt. Aber er hätte trotzdem nicht prahlen sollen! Selbst die Bäume schienen die Leprosenlandschaft zu scheuen. Eine Pappel stand einsam in Nord, einige Ebereschenbäumschen in Süd und ein wilder Kirschbaum in Südwest. ‘Einbaum’ hieß diese Gegend. In Einbaum an der wilden Kirsche versammelten sich um Mitternacht die Bockreiter. Der Hauptmann ordnete an: ‘Die erste Korporalschaft stellt die Warner und Wachen. 500 bis 1000 Schritt vom Hofe im Um- | |
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kreise werden alle nach Melaten führenden Feldwege besetzt. Die von Aachen kommenden doppelt. Die zweite Korporalschaft verteilt sich um Haus und Hof so, daß jedes Fenster ins Auge genommen wird. Es darf niemand entwischen, der uns verraten könnte. Die dritte Korporalschaft stößt mit dem Rennbaum das Tor ein und hält es besetzt. Die vierte bricht ins Haus und holt den Bauer. Alle Korporalschaften merken sich, daß sonst keine Gewalt gebraucht wird, daß nicht gestohlen, nicht gebrannt, kein Weib verunglimpft wird. Daß nur dem Großmaul die Fresse gestopft werden soll! Der soll Bockreiter nicht Pack und Gesindel nennen! Er wollte uns ja mit bloßem Hintern ansehen - wohl, gebt ihm dazu Gelegenheit und zählt ihm dabei 'was auf die Backen seines blinden Gesichtes. Aber Brüder, haltet Manneszucht! Ehrt das freie Vertrauwen! Schon haben sich die Frauen, die mit uns taten, aus unserer Gesellschaft zurückgezogen, weil sie Ausschreitungen fürchten. Lockt sie wieder durch männliches Verhalten heran, denn die Freinahme der Frau ehrt die Geschäfte und Spiele des Mannes. Den übermütigen Bauer soll nur Bescheidenheit gelehrt werden. Dann ist das Abenteuer unter allen Umständen erschöpft. Wenn die Stadtmünsterglocke 1 sagt, fällt der erste Schlag auf das Tor. Sagt sie ½2, so verläßt jeder seinen Posten, und alles zerstreut sich. Wer ungehorsam ist, wird vor den Hauptmann geführt und von der fünften Korporalschaft ausgepeitscht, die der Hauptmann sich zur Hand hält. Ein Kapitän sorgt drinnen, | |
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einer draußen für Ordnung. Bockreiter, auf eure Plätze! Straft den Übermut! Es lebe das Abenteuer!’ Am Tage gehen die Boten der Menschen über Land. Aus weiter Ferne trägt man sich liebe Briefe zu, und die Leute, welche sich nahe sind, rufen sich an von Fenster zu Fenster oder winken sich zu von Acker zu Acker. Unter einem Netze menschlicher Beziehungen liegt das Land. In der Nacht aber, wenn die Weber dieses holden Netzes schlafen, wirken die Hunde das magische Netz über die Breiten. In dem Leprosenhofe Melaten draußen vor den Mauern des heiligen Köln schlägt ein Hund an. Nicht weil er Gefahr merkt, sondern weil er in der unheimlichen Nacht sich hören will und wissen will, daß sein Hundebruder im Hofe 2000 Schritt westlich wach ist. Der nimmt den Ruf auf, gibt ihnt weiter, und so läuft der Ruf von Hof zu Hof, über Flur und Feld, Gelände und Gebreite bis vor die Tore von Jülich. Auch nördlich und südlich ins Klevische und in die Eifelgaue läuft er. Von Jülich wird er weitergegeben nach Herzogenrat in die Landschaft Übermaas, und mit der Geschwindigkeit des Schalles erfahren in einer Stunde alle Hunde zwischen Rhein und Maas, daß ihre Brüder leben und wachen und daß sie nicht einsam sind in der schaurigen unheimlichen Nacht. So riefen die Hunde sich an und hoben ihre Schnauzen zu den Sternen zwischen 12 und 1 in der Nacht. ‘1!’ schlug die Stadtmünsterglocke, ‘erst 1, ihr guten Menschen, schlaft ruhig’ - da bollerte der | |
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Rennbaum wider das Tor. Einmal, zweimal, sechsmal . . . das Tor war hart und fest und treu. Aber ein Rennbaum aus der höchsten Buche im Walde geschnitten und von 30 Männern geschwungen hat eine furchtbare lebendige Kraft - das Tor krachte zusammen. Wild heulten die Hunde. Über die Bretter des niederbrechenden Tores floß der Strom schwarzer Männer in den Hof. Die Rühe vor den Krippen rasselten mit den Ketten, und die Pferde scharrten erschrocken im Stalle. Die Hühner schwirrten von den Stangen, und die Tauben erschienen auf den Flugbrettern ihrer Häuser. Im Wohnbau eilte Licht von Kammer zu Kammer, Fenster wurden aufgerissen und zugeschlagen, Männer riefen, Frauen schrieen, und in der Tür erschien, ein brennendes Holzheit in der Faust, ein riesiger Mann in Hose und Hemd. Er wirbelte das Scheit um den Kopf und schlug unter die schwarzen, ihn umspringenden Gespenster, daß Funken vom Holze absprühten und schwarzer Rauch sich entwickelte. Die Söhne blieben mit Schüreisen und Feuerhaken bewaffnet im Hause, die Frauen zu beschützen, der Bauer aber rief den Knechten, die aus Stall und Scheuer stürzten, zu: ‘Hierher! Mir nach!’ und suchte sich in die Hofecke durchzuschlagen, wo die Eisenstange stand. Eine dumpfe Prügelei entwickelte sich im Hofe. Die Verteidiger standen vor hellem Lichte; sie sahen, in die Nacht schauend, nur undeutlich die heranspringenden schwarzen Gestalten und schlugen ins Blinde, während die Angreifer ins Helle trafen. Aber die Gerechtigkeit verzehnfacht die Kraft | |
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eines Mannes, und die Schwester verteidigend wird der Jüngling ein Held. Bald hatten sich weiße und schwarze Männer in wildem Kampfe ineinander verbissen und knurrend rangen sie miteinander. Da hieß es Haare lassen! Tapfer waren die Hunde, die sich von den Ketten gerissen hatten, und der Tapferste ein weißer Fox. Aber vor dem Tritte eines Mannes flog er heulend auf den Mist. Jetzt klatschte die Jauche auf und verschlang ein ringendes Paar. Die Weiber in den Fenstern schrieen Jesus und Maria, die Bäuerin war in Ohnmacht gefallen, und eine wackere Magd goß sinnlos die Nachttöpfe aus auf Angreifer und Verteidiger. Das gute Recht und die Tapferkeit der Söhne drängte allmählich die Gespenster gegen das Tor - aber was vermag der wackerste Mann gegen die blöde Gewalt der Übermacht? Ein neuer Schwarm schwarzer Teufel - die Korporalschaft des Hauptmanns - stürzte heran und schob die Söhne des Bauers langsam gegen den Mist. Aber der Bauer hatte sich zur Stange durchgearbeitet. Ergriff sie und schwang sie mit Riesenkraft durch die Lust. Wie ein schwarzer Blitz fuhr sie herab und auf das Pflaster nieder, Funken zündend. Jetzt sprang ein schwarzer Teufel auf die erleuchtet Tür zu - sein phantastischer Umriß hing einen Augenblick vor dem hellen Grunde in der Luft -, da zuckte wieder der schwarze Blitz der Stange herab und schlug auf dem Kopfe des Verwegenen ein. Dumpf fiel der Getroffene aufs Pflaster und streckte alle Viere von sich. | |
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Das sahen die Bockreiter! Sie heulten auf vor Wut. Wer hatte Mord und Todschlag gewollt? Wenn die Bauern so kamen, so konnten sie auch kommen! Wenn der Bauer keinen Spaß verstand, sie verstanden sich auch auf den Ernst! Sie hatten keine Eisenstange, aber 140 Arme. Der Hauptmann schrie und befahl erschreckt über den Lauf der Dinge den Rückzug. Die Kapitäne schlugen mit Peitschen auf die Brüder ein und schoben sie zum Tore. Aber Blut war geflossen! Das Blut mußte gerochen werden! Und, o weh, der Anblick von Blut entzündet die fleischlichen Begierden! Alle bösen Geister in den Gespenstern brachen die Fesseln. Wie eine schwarze Woge schwoll die Masse der Männer heran, begrub die weißen Verteidiger unter sich und wälzte sich gegen die Tür des Hauses, worin die Weiber waren. Aber in der Tür bauten sich der Hauptmann und die Unterführer als ein Damm der schwarzen Schlammflut der Lüste entgegen. Mit den Feuerhaken und Ofeneisen, welche den Bauerssöhnen im Kampfe entfallen waren, verteidigten sie gegen ihre eigenen Leute die kreischenden, betenden und weinenden Frauen. Sie riefen zur Ordnung auf, sie baten, sie beschworen. ‘Das könnt ihr doch nicht wollen!’ rief der Hauptmann klagend und beschwörend, abwechselnd der Hände faltend und mit dem Schüreisen dreinschlagend, ‘das ist doch nicht möglich . . .! Das könnt ihr doch nicht . . .!’ - vergebens. Die Führer konnten die Flut der entfesselten Wut nicht hemmen. Sie wurden | |
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beiseite geschwemmt, und den Frauen wurde Schande angetan. Der Bauer Hubert rang wie ein stolzer Hirsch mit der Meute. Immer größer wurde die Meute, die Knechte hatten ihn feige verlassen, der tapfere Hirsch brach in die Kniee. Sie drückten ihn vornüber nieder und stießen ihn mit dem Kopfe hinein in den Mist. ‘Friß, du Aas! Wohl bekomm's, du Schwein!’ Des Bauers Arme und Beine schlugen und stießen . . . zuckten und zappelten . . . und waren still. Hubert Lamberti war in seinem Miste erstickt. Zwei oder drei der Machspitze lagen, von der Stange erschlagen, auf dem Pflaster, und der tapfere kleine Fox, der sich erholt und die Räuber wieder angefallen hatte, mußte die Stange schlucken. Aus dem Magen konnte er das Ungetüm nicht erbrechen, er würgte daran und starb. Der tapfere Töter des Hündchens pflanzte die Stange auf den Mist, und die weiße Hundeleiche leuchtete im Widerscheine des Lichtes aus der Tür als Siegeszeichen von der Stange. Die Söhne erholten sich aus ihrer Ohnmacht und Betäubung. Zerschlagen und zerkratzt wankten sie ins Haus. Die Bockreiter verloren sich zum Tore hinaus, die Leiche des Erschlagenen mit sich führend. Nach einer Stunde kamen die Feldschützen, die Torwächter und Stadtsoldaten. Sie stellten den Tatbestand fest und erwogen die Lage. Noch lange bellten die überlebenden Hunde. Auch sie, heiser und erschöpft, beruhigten sich allmählich. Aber immer wieder blaffte einer von ihnen kurz | |
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und gleichsam entrüstet auf und gab die Kunde von dem schmachvollen Ereignis weiter an die Hunde der nächsten Höfe. So gelangte sie, von Hund zu Hund weitergegeben, mit dem grauenden Tage zu dem Wachspitz in dem andern Melaten vor Köln.
Schon in der nächsten Nacht nach dem unglücklich verlaufenen Überfall auf Melaten versammelten sich die Bockreiter in der Bergkapelle. Es wurde kurzerhand beschlossen, den Bund aufzulösen. Des silberne Bild des Bockes wurde in der Ruine vergraben, noch einmal wurden alle Brüder in den Eid des Schweigens genommen. Dann floh man fast auseinander, nachdem die Führer ermächtigt worden waren, zu bestimmen, ob und wann unter glücklicheren Zeichen der Bock wieder auszugraben sei. Ein Stein fiel den Führern vom Herzen. Sie taten das Gelübde, nach Rom zu pilgern, wenn die Gerechtigkeit vergeblich das Land nach den Schuldigen von Melaten absuchen würde, und sie schworen sich, niemals wieder leichtsinnig die groben Triebe der Masse zu entfesseln. Sie hielten sich auch für befugt, den Bock, der ohnedies Eigentum eines von ihnen war, auszugraben und an einen verschwiegenen Juden in Köln zu verkaufen, der ihn nach England schaffte. Der naturgemäß geringe Erlös dieses heimlichen Handels reichte gerade hin, daß ein ungenannter Stifter in der Aachener Münsterkirche eine ewige Jahrmesse für die Opfer von Melaten bestellen konnte. | |
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Die Hand der Gerechtigkeit des Aachener Reiches, auf dessen Gebiete der Mord geschehen war, tastete denn auch vergeblich das Land nach dem oder den Mördern von Melaten ab, denen das Umständliche des Ermittelungsverfahrens in drei Hoheitsbereichen, dem Aachener, dem Jülicher und dem Brabanter, zugute kam. Aber in den nächsten Monaten brannten, war es aus Unvorsichtigkeit oder Bosheit, viel mehr Scheunen in den Höfen und Schober in den Feldern ab. Unbotmäßigkeiten der Dienstleute gegen die Herrschaften, der Kinder gegen die Eltern, der Regierten gegen die Beamten mehrten sich. Sonntag Nachmittags nach der Vesper pflegte der Pfarrer den Kaffee in Kirchhoffs Hause zu trinken. Nach Torten, Fladen und Spritzgebäck dachte man an die allgemeine Bildung, Kirchhoff griff in seine reiche Bücherei, und Lotte las irgendein bedeutendes Stück vor, während die Männer bedächtig ein Glas Wein schlürften und Frau Elisabet der Handarbeit oblag. Frau Elisabet! Welch ein Zauber ist um eine reife Frau! Verliebte Burschen und grüne Dichter mögen das unberührte Mädchen in Lobgesängen preisen, der Mann wird die Schönheit des reifen Weibes verstehen, des Weibes, das alles weiß, und ihr Wissen im holden Behältnis von Scham und Schweigen verschließt. Ein geschlossener Kreis ist eine Frau, wenn sie so am Fenster sitzt, lässig gelehnt und in sich versenkt, und Arme und Hände gebunden sind an die | |
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Arbeit auf dem Schoße. O holder Zauberkreis, dessen Mittelpunkt das Tabernakel des Schoßes ist! So sitzt sie da am Fenster, eine in sich abgezirkelte Welt, ein kleines Universum. Während Lotte vorlas und Kirchhoff gespannt dem Lesen folgte, betrachtete der weniger aufmerksame Pfarrer mit unschuldiger Verliebtheit die Frau, und als Lotte für einen Augenblick das Buch aus der Hand legte, um die blakende Kerze zu schneuzen, frug er: ‘Was schafft Frau Elisabet so emsig?’ ‘Ach,’ sagte sie mit dem schweren Blicke aufsehend, mit dem man von einer andächtigen Arbeit aufschaut, ‘ich häkle ein Wollkleidchen für den Säugling einer Arbeiterfrau, die wir die Maisfrau nennen. Ich höre aber aufmerksam zu. Ich muß mich dahinterhalten,’ fuhr sie, an ihrem eigenen Reden Gefallen findend, fort, ‘denn bald wird ein zweites nötig sein . .’ - trotz Soda und Baldriantee! dachte Kirchhoff - ‘. . für die glückliche Maisfrau,’ vollendete Elisabet leise, indem eine Wolke von Schwermut den heiteren Bach der Rede, der aus der Quelle ihres Mundes gekommen war, überschattete. ‘So,’ sagte volle Eifer Lotte, ‘wenn ihr wollt, kann ich weiter lesen.’ ‘Lies!’ Lotte las das klassische Stück aus dem Plinius, das den Ausbruch des erloschen geglaubten Vesuvs schildert, wodurch zwei Städte mitten in einem Leben gedankenloser Üppigkeit verschüttet wurden. Das erhabene, vom Schriftsteller gebrauchte Bild der Pinie, die aus dem Gipfel des edlen Berges in die leeren | |
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Räume des Himmels aufwuchs und aus ihrem kosmischen Rauchschirme Blitze, Gase, Steine und Staub schüttelte, warf seine bannenden Schatten über den Geist der Hörer. Elisabet hatte die Arbeit in den Schoß sinken lassen und sah auf. Der Pfarrer hatte sich die kleine Rüge Lottes zu Herzen genommen, seine Augen von Elisabet auf Lotte gerichtet und hörte aufmerksam zu. Aber ein wenig redselig, wie es bei einem bestellten öffentlichen Sittenredner wohl verzeihlich ist, unterbrach er als erster das Schweigen, in dem die Erzählung hätte verklingen sollen, und sagte unvermittelt: ‘Ganz so, wie das Bockreiter-unwesen! Plötzlich wie aus einem schlafenden Vulkane brach es aus und überschüttete das nichts ahnende Land mit seinen Schrecken. Und ich glaube auch nicht, daß das abenteuerliche Feuer erloschen ist. Wenn ich mich recht erinnere - wir haben den Plinius ja schon früher einmal gelesen, und ich freue mich, daß Ihr, Kirchhoff, ihn wieder hervorgezogen habt, denn nur Schriftwerke, die zweimal gelesen zu werden verdienen, verdienen überhaupt gelesen zu werden -, wenn ich mich recht erinnere, verstopfte sich später der Krater des Vulkans selbst, aber auf seinen Abhängen brachen in der nächsten Zeit fortwährend neue Krater aus. Wie wenn man einen Schwär hat - entschuldigen die Frauen -, es bleibt gewöhnlich nicht bei dem einen. Ich fürchte, so wird es auch mit den Bockreitern sein.’ Elisabet sagte mit leichtem Spotte, indem sie sich ein Vorrecht der Damen zunutze machte: ‘Unser | |
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Freund Schwarzrock wird ein Schwarzseher.’ Kirchhoff entkorkte eine Flasche, und Lotte sagte: ‘Auf die Tragödie eine Komödie, das ist gesund. Ich will etwas von unserem unsterblichen Eulenspiegel vorlesen.’ Aber der Pfarrer hatte das Schifflein seiner gelehrten und - wie bei den Lehrern des Volkes immer - ein wenig moralisch gefärbten Rede flottgemacht und konnte es nicht gleich wieder vor Anker bringen. ‘Lotte hat uns letzthin aus den Geheimnissen der Chemie vorgelesen,’ sagte er. ‘Wenn in einem chemischen gestaltlosen Brei die Lösung den Sättigungsgrad erreicht hat, so genügt das Hineintauchen eines Fingers, ja das Hineinfallen eines Stäubchens, daß die trübe Masse zu tausend hellen Kristallen zusammenschießt. Die genießerische Üppigkeit unseres Landes war ein solcher gesättigter und gefährlich gespannter Brei, und der Bockreiterunfug ist das Staubkorn gewesen, das die Kristallbildung erzeugte. Ich sehe auf einmal, daß die ganze Spuk der Walpurgisnacht noch in dunkeln Tiefen des Herzens unseres Volkes lebt. Ein Jahrtausend Christentum hat die Heiden-neigungen nicht zu töten vermocht. Ich glaube gar nicht, daß der Bockreitergedanke in einem Menschen gedacht worden ist, er ist in hundert gedacht worden. Nur so kann man sich erklären, daß er sofort von sovielen verstanden worden ist. Aber Lotte wird schon mit ihrem Eulenspiegel ungeduldig. Ich glaube, das Kind hat auch tausend mutwillige Teufeleien im Sinn. Das ist auch ein alter Heide, Lotte, der Eulenspiegel. Von dem solltest du nicht soviel lesen. Aber es ist | |
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sonderbar, die Jugend ist eben von Haus aus heidnisch. Das gibt einem über die innere Berechtigung, ich möchte sagen über die Naturechtheit des Christentums zu denken. Das muß ich als ehrlicher Mensch einräumen. Nun werde ich aber schleunigst vor Lottes holdem Heidentum ausreißen, sonst wird der Stadtpfarrer noch in eurem Hause zum Ketzer. Morgen wallfahrten wir ja alle mit der Aachener Prozession nach Kevelaer. Ihr habt's gut, ihr schließt euch einfach dem Pilgerzuge an, aber ein Stadtpfarrer spielt dabei doch eine größere Rolle. Man darf keine Gelegenheit vorübergehen lassen, sich zu betätigen und auszuzeichnen. Jeder macht sich eben so wichtig wie er kann,’ ironisierte der Pfarrer lächelnd sich selbst. ‘Also guten Abend, Freunde, auf Wiedersehen morgen! Ich werde dafür sorgen, daß ihr auf der Pilgerfahrt nicht zuviel Schweiß verliert. Ich selbst liebe den Schweiß nicht sehr, trotz seinem Lobredner Kirchhoff.’
Das weite Lößland schlug seine schweren Wellen um die aus dem Aachener Reiche kommenden Kevelaerpilger. Die heilige Jungfrau von Kevelaer schien sich gerade diesen Tag für ihre Kinder beim himmlischen Wetterherrn ausgebeten zu haben, so überirdisch schön war er. Silberner Windhauch ging über die Getreidesteppe, es war, als würden die Felder gestreichelt von unsichtbarer Gotteshand. Von Kamps aus Eichen oder Buchen umschattet lagen die vielen Dörfer im Gebreite an der Straße, und abseits in den feuchten Talungen und Wassermulden standen die ritterlichen | |
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Burgen. Aber die meisten von ihnen waren zerfallen, von den zornigen Jülicher Herzögen umgeworfen, und in den weitläufigen Vorburgen machte sich der Bauer breit. Auch auf Ürsfeld und Othegraven, Krikelbusch und Terworm saß der Bauer, saß reich und stark da, und seine Frauen waren Sonntags mit ihrem Kleider-aufwand von den ritterlichen Damen kaum zu unterscheiden. Was nutzten die Vorschriften des Herzogs, daß der Bauer kein Tuch tragen solle, das die Elle mehr als einen halben Gulden kostete? Wir Bauern wollen nicht vertragen, daß die Ritter und ihr Kind anders als wir gekleidet sind, sangen sie auf ihren üppigen Mahlen und Hochzeiten, zu denen der Brautvater ein halbes Tausend Gäste einlud; sie speisten 8 Tage lang und verzehrten 20 Ochsen, 49 Zicklein, 500 Stück Federvieh, 30 Hirsche, 46 gemästete Kälber, 25 Pfauen, 900 Würste, 95 Schweine, 1000 Gänse und 15000 Hechte, Forellen und Krebse, die Birkhühner, Haselhühner, Feldhühner, Auerhühner, Trappen, Wildgänse und Enten nicht gezählt. Der Bauer Schmitz auf Ürsfeld hatte 60 Knechte, und 500 000 Bienen arbeiteten für ihn auf den Kleefeldern; er erzeugte das Wachs, von dem die vielen Kirchen der Reichsstadt wöchentlich Wagenladungen brauchten, in solchen Mengen, daß die Kerze nicht verwunderlich war, welche zwei der stärksten Männer aus seiner Knechteschar kaum tragen konnten, als er sich von seinem Hofe aus dem Pilgerzuge anschloß. Allenthalben aus Dörfern und Gemeinden kam Zulauf, und die Prozession schwoll so natürlich wie | |
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ein Fluß durch Bäche. In Herzogenrat schlossen sich Kirchhoff mit Frau und Pflegekind, der Pfarrer und der Abt dem Zuge an. Sie fuhren in der großen Staatskutsche der Abtei. Vier Füchse zogen sie, und vier Braune liefen zur Ablösung hinten nach. Die Kutsche fuhr hinter dem Zuge. In den Wiesen donnerten die Pferde, von zu vielem Hafer gestochen, neugierig in Rudeln heran an den nacktgeschälten Zaun, auf dem die Krähen fett und feist saßen. Die Fohlen schnupperten mit hohen Nüstern auf die Straße hinauf. Die schwarzweißen Kühe gingen mit tonnenrunden Bäuchen über die Flur, Ziegen schleiften die weißen Zitzen ihrer prallen Euter durch Löwenzahn und Schaumkraut des Straßengrabens, und Schafe schleppten ihre fetten runden Schwänze über vorjährige Stoppel, die jedes Jahr umzubrechen man zu bequem war. ‘So ernst, Doktor?’ frug freundlich der Pfarrer, nachdem er Kirchhoff eine Weile betrachtet hatte. ‘Das sieht Euch nicht ähnlich.’ ‘Ach ja, ach ja,’ seufzte Kirchhoff und schien sich mit der Hand Sorgen aus der Stirn zu streichen. Der Pfarrer faßte heimlich mit fast bräutlicher Zärtlichkeit die Hand des neben ihm Sitzenden und sagte: ‘Ich weiß! Ich versteh'! Doch greift Euch das persönlich so an? Gewiß, es kann einen kränken und sorgen, aber man kennt doch den Menschen - wer kennt ihn besser als wir beide, der Arzt aus der Sprechstunde und der Priester aus dem Beichtstuhle? - und rechnet von vornherein mit seiner bösen Natur. | |
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Schließlich sind wir doch nicht die Missetäter, und ein bißchen Pharisäergeist - Herrgott, ich danke dir, daß ich nicht bin wie der und jener - gehört nun einmal zur Tugend.’ ‘Der böse Mensch,’ sagte Kirchhoff leise, ‘ist das Kreuz des Lebens. Das Böse selbst hat noch Größe. Das ist versöhnend am Bösen, daß es mächtiger ist als die es wollen. Aber der böse Mensch ist klein.’ Hinter der Prozession kroch eine Wolke von Staub und Menschendunst. Der Abt faltete fast seine Nase vor Mißbehagen über die Gerüche und befahl dem Kutscher, vor der Abtei Pfaffenkamp eine Weile zu halten, um Abstand von den Pilgern zu nehmen. Da lag auf der gebuckelten Landschwelle die Abtei. Hundert Pfauen führten auf den Firsten die grünen Sonnen ihrer Radschweife hin und her. Über die hohe Immunitätsmauer schaute die Kirche mit welschen Zwiebelhauben, die Prälatur mit hohem Treppengiebel und die ungeheure Priesterkaserne, alles in roten Ziegeln, herüber. Was Wunder, die Abtei barg doch einen Abt, Titularbischof von Hinterindien, 4 Priore, Titularerzpriester am Kölner Dome, 50 Erzpriester, 222 Altaristen an 77 Altären, ganz zu schweigen von der Schar der Kapläne, Vikare und Novizen, im Ganzen weit über 1000 Personen. Der Oberverwalter der zugehörigen großen Abteiwirtschaft stand hemdärmelig unter dem Tore des Wirtschaftshofes. Der Abt beschloß, den Doktor zu reizen. Er winkte den Oberverwalter heran und bat ihn um Auskunft über Größe und Bedeutung der geistlichen Wirtschaft. | |
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Der Oberverwalter, ein Riesenkerl zwischen Mann und Herr, mit roter Weste und spiegelnden Lackschäften, sagte: ‘Ich bin der Oberverwalter Engelmann. Nach mir kommen zwei Unterverwalter und ein Aufpasser für beide. Dann kommt der Küchenmeister, der Küchenmeisterschreiber, der Küchenschreiber, der Pförtner. Der Taubenwart, der Hühnerwart, der Pfauerwart. Ein Salzgraf, ein Zöllner, drei Unterzöllner. Der Oberförster, der Unterförster, der Ober- und Unterackermann, 200 Ackerknechte, 10 Wiesenmeister, 20 Weinmeister, 100 Köche, 45 Kellner, der Oberbäcker, der Unterbäcker, jeder mit 17 Bäckern. 10 Butterfrauen, 30 Viehmägde, ein Kuhoberhirt mit ich weiß nicht wieviel Hirten, die Böttcher, Fischer, Brauknechte und Geißenknaben. Bis das alles so seine Ordnung hat. Und alle können lesen und schreiben.’ Der Abt sah triumphierend den Doktor an, und den beiden Frauen, Elisabet und Lotten, war er unausstehlich. Kirchhoff aber rief: ‘Ihr habt noch etwas vergessen, Ihr famoser Haupt-, Ober- und Spitzenverwalter. Wo sind denn die 10 Schuhputzer, 20 Nachwichser, 30 Handtuchreicher, 40 Nasenputzer, 50 Ohrentrockner, 60 Hühneraugenschneider, 70 Nagelpolierer, 80 Haarkräusler, 90 Gutenmorgensager und 100 Gesegnetemahlzeitsager, wenn es Euch nach dem Essen aufstößt? Die werdet Ihr in Eurer Himmelwirtschaft doch auch angestellt haben!’ Doch Engelmann fuhr fort: ‘Wir haben hier drei Gesindehäuser, vier Schlafhäuser, ein Back- Brau- und | |
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Schlachthaus, ein Gefängnis, ein Badehaus . . .’ ‘Auch ein Gefängnis?’ unterbrach der Doktor; ‘ich dachte schon, in dieser Engelswirtschaft gäbe es keine Strafe. Und ein Badehaus habt Ihr auch? In dem die Viehmägde hoffentlich in richtigem nassen Wasser und nicht in Rosenöl baden? Wie?’ ‘Wenn die Üppigkeit die Leute nicht mit Sporen kitzelt!’ meinte kopfschüttelnd der Pfarrer. ‘Wir wollen mal wieder aufschließen,’ sagte ausweichend der Abt, und die Kutsche rollte davon. Sie erreichten die letzten Wagen des Pilgerzuges, denn jeder der edelmännischen Bauern ließ sein Gefährt folgen, sich darin von Zeit zu Zeit vom Gebete zu verschnaufen. Die Achse im Wagen des Bauers Schmitz war heiß geworden, und der Kutscher schmierte eben ein Pfund Butter aus den Eßvorräten darum; im Weiterfahren tropfte sie schwarz in den Straßenstaub. Sie rasteten in einem großen Dorfe. Es war weitläufig und gedehnt, umschloß wohl 20 000 Seelen und war nur deswegen keine Stadt, weil die Menschen zu bequem waren, Gesandte an die Kaiserin zu schicken und um das Stadtrecht zu bitten. Auf dem Dorfplatze schmorten über Holzkohlenfeuern an Drehspießen Ferkel, Schweine, ganze Ochsen, Enten, Hühner und Gänse; Bier und Wein stand in Tonnen bereit, Rheinwein, Hopfenbier, Honigbier und Milch in Eimern für die Kinder, alles aus Gastfreundschaft gereicht. Um die Fliegen von Braten und Backwerk auf den Tischen und von Gesichtern und Händen der schmausenden Gäste zu locken, hatte | |
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man die Dielen der Häuser und das Pflaster des Platzes fingerhoch mit Zucker bestreut; in dem süßen Schnee wurden die Fliegen zertreten. Auf den Dächern der Häuser kreischten die Pfauen. Nach der Atzung zog man weiter. Der Strom der Füße rauschte auf dem Wege. Der Zug senkte sich ins Maastal. Da bauten sich Weingärten den Hang hinab, und Winzer und Winzerinnen boten zur Erfrischung die Fülle burgundischer Trauben dar - ganz umsonst, um Gotteswillen. Am Bergfuße rauschte der Strahl eines Säuerlings auf, dick wie ein Weiberbein über dem Strumpfe und hoch wie drei Männer, und an dem von seinem Eisengehalte roten Becken lagen diejenigen, welche die Tätigkeit ihrer übermüdeten Verdauungswerkzeuge verbessern mußten. Die Pilger kamen durch Gärten und Parks, in denen zahme Hirsche und Elche vertraut umhergingen. Nun verfinsterte sich der Himmel, denn der Zug tauchte in unendliche Haine gewaltiger Silberpappeln, aus denen drohend und düster wie der finstere Riese der Urwelt sich Turm und Wasserburg Tondern erhoben. In dem breiten stillen und tiefen Wassergraben spiegelten sich die Ziegelmauern, steil und eng waren die mit Keilsteingiebeln gekrönten Fenster, und weit und kühn lud der Wehrkranz unter der Traufe aus. Der runde Turm zeigte im Rot und Schwarz der Ziegelschichten die Jahresringe seiner Erbauung, 27 Jahresringe, denn 27 Jahre hatten die Werkleute an dem Ungetüme mit den barbarisch dicken Mauern gemauert. Feldmarschall Tondern, der Freund Pikko- | |
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lominis, hatte das Schloß aus Beutegeldern errichtet, aber er und sein Baumeister, Mönch Jakob von Gent, waren über dem riesenhaften Plane dahingestorben. Hoch sah die dreifach getreppte, einem ausgezogenen Fernrohre ähnliche schwarze Schiefertüte des Helmes mit dem goldenen Singschwan des Lohengrin von Kleve auf der Spitze über die Lande. Das Geschlecht aber war nun zu arm und zu schwach geworden, diesen eines Fürsten der Finsternis und der Schatten würdigen Steinklotz zu bewohnen - das Schloß war leer. Die Schlagläden klapperten im leichten Winde wider die Mauern, und Gespenster schienen aus den Fenstern auf den Pilgerzug niederzuschauen. Er hastete vorüber und strebte in die offene Sonnenlandschaft der Polder und Flußmarschen. ‘Wir sind in Preußen,’ sagte beiläufig der Doktor zum Pfarrer. Der fuhr aus heiterem Träumen wie gestochen auf, und seinen Priesteranstand vergessend rief er aus: ‘Was zum Teufel haben denn die hier am Rheine zu suchen?’ ‘Sie haben doch Kleve geerbt.’ ‘Daß sie in ihrer Sandwüste bleiben!’ rief zornig der Pfarrer. ‘Ihr habt sozusagen das westliche Gesicht, Herr Pfarrer. Eure Kirche ist nach Osten orientiert, aber ihr Pfarrer ist nach Westen sozusagen okzidentiert. Ihr seht nichts Gutes aus dem Osten kommen.’ In diesem Augenblicke hoben die Pilger laut zu beten an: ‘Maria, zu dir kommen wir,’ denn das heilige Kevelaer stand aus dem Lande auf. Was | |
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ist zu erzählen vom Orte des Gnadenbildes, wo die Jungfrau Wunder tut und der Himmel die Schleusen seiner Gnade offen läßt? Am nächsten Tage, auf dem Ausmarsche vom gesegneten Gnadenorte, an derselben Stelle, wo der Pfarrer sich über die Preußen gegiftet hatte, beteten die Pilger: ‘Maria, von dir gehen wir’ - da, was war das? Was war denn das? Das muß doch Sinnestäuschung sein, denn sonst wäre es ja -, sonst wäre es ja -, Sünde und Schande wäre es! Ist es! Ist es! Schande und Schmach - ein Dutzend nackter Menschen tanzt da vor der Pilgerprozession über die Straße, nackter Männer, nackter Weiber. Nur eine schwarze Maske tragen sie vorgebunden. Die Spitze des Zuges wird verwirrt, denn die Frauen verhüllen vor den nackten Männern ihre Augen, und die Männer müssen schließlich die ihren vor den nackten Weibern bedecken. Jetzt brechen aus dem Stangenhaine der Erlen, Espen und Pappeln auf den Flanken der Prozession die nackten Unholde heraus und umtanzen lachend und johlend die Pilger. Schöne und häßliche sind unter den Nacktläufern, mehr häßliche, denn die Schönheit ist eine Gnade Gottes. Dicke und dünne sind darunter, mehr dicke, denn diese Adamskinder sind Kinder des Landes, in dem Milch wohlfeil wie Wasser und Butter wie Wagenschmiere ist. Die Bäuche wackeln, die Brüste schaukeln, die Haare flattern, die Menschen können sich nicht genugtun in reiner Ausgelassenheit, und Wildmut jagt die Nackttänzer mitten in die Pilgermassen hinein. Nicht ein Faden ist an ihrem Leibe, sie sind nackt wie Regenwürmer. | |
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Aber einer, ein Kerl so groß und hochgewachsen wie der Oberverwalter Engelmann von Pfaffenkamp, welcher der verworfene Erzengel dieser unholden adamitischen Schar zu sein scheint, zeigt einen blauen Bock auf den wolligen Bauch gemalt. In der Abtskutsche hatte man, vom Gleichtakte der Fahrt eingeschläfert, ein wenig genickt, der Pfarrer geschlafen und der Abt gar leise geschnarcht. Als die Pferde hinter dem stockenden Zuge ruckend anhielten, wachte man auf und sah das Schauspiel - Kirchhoff verwirrt, die Frauen verlegen, der Pfarrer entsetzt und der Abt zur höchsten heiligsten Wut entflammt. Er erhob sich in seiner ganzen Größe und Würde, und ‘apage, satanas!’ rief er, die Hände über dem Haupte. Da huschten die Nacktläufer wie Geister in die Büsche. Allmählich sammelten sich die zerstobenen und geflüchteten Pilger. Zur Besinnung gekommen erweckten sie schnell in sich heiligen Eifer, und in einer Stimmung wie die des ‘Gott will es!’ bildete sich aus dem Pilgerzuge ein Kreuzzug gegen die Unholde. Es wurde Abend. Die Spur der Nacktläufer wies nach Schloß Tondern, und mit der beginnenden Nacht lagerte das Pilgerheer unter den Pappeln um die Teiche und belagerte die verbaumte Wasserburg. Nach einem warmen Tage gab es einen kühlen Abend. Meinend, der Herbst sei gekommen, sammelten sich die Schwalben in den Hainen, um die große Reise zu besprechen. Sie fielen zu Tausenden | |
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in die Schilfe des Burgwassers, die sich unter der Last der Vogelleiber niederbogen und schaukelten. Die Nacht war kalt, aber die Kreuzfahrer, vom inneren Feuer durchglüht, spürten die Kälte nicht. Auch die nackten Unholde spürten die Kälte nicht, denn die hatten Feuer in den Kaminen entfacht und verbrannten die morschen Türen und die Reste der Möbel. Roter Flammenschein leuchtete durch die offenen Fensterlöcher heraus. Als eine gespenstische Teufelsburg spiegelte sich das Schloß im Wasser. Die in die Pappeln gestiegenen Kundschafter der Kreuzfahrer sahen, wie drinnen in den Zimmern und Sälen vor den hellen Kaminen traute Szenen zwischen Männern und Weibern sich abspielten, die das Nacktlaufen am Tage notwendig zur Nachtzeit erzeugen mußte. Wahrlich, die da der Bockslust dienten, das waren schon keine Bocksleute mehr, das waren die Böcke des Teufels selbst! Der Abt war zu dick, aus den Baum zu klettern und konnte sich zu seinem Leidwesen die Schandtaten von den Baumposten nur berichten lassen. Von den Weibern fern stand der Kriegsrat der Männer in einer Gruppe, und obgleich der Abt sich als der natürliche Führer des Kreuz-zuges vorkam, hörten doch alle auf die Stimme des Doktors, der die besseren gleichsam fachmännischen Ratschläge wußte, sodaß er von selbst der Hauptmann der Kreuzfahrer wurde. Nach Mitternacht, als das wilde Wesen drinnen sich beruhigte, hatten die Kreuzfahrer die Mittel zum Sturme bereit. Ertrunkene Kähne waren gehoben | |
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und geleert, ihre Löcher mit Moos gestopft, und andere Kähne waren von benachbarten Teichen herangeschoben worden. Gestürzte moosige hohle Baumstämme des Urwaldes waren mit Weidenruten zu Flößen verflochten, Leitern aus Bauernhöfen herangeholt, und auf 2 Uhr wurde der Sturm angesetzt. Kirchhoff, der Hauptmann der Kreuzfahrer, schritt noch einmal durch den Pappelwald um die ganze Wasserburg und gab die letzten Befehle. Er nahm den Männern die Messer ab, die sie etwa bei sich führten, denn es sollte keine Gewalt gebraucht, nur dem derben Unfuge sollte gesteuert werden. Aber auch die Belagerten waren nicht faul gewesen; nach einer kurzen, den Ausschweifungen naturgemäß folgenden Ruhe hatte der Erzengel der Unholde die Herrschaft wieder übernommen, und es hatte ein allgemeines Gelaufe und Geklatsche von Fußsohlen, ein Schieben und Drängen von nackten Leibern auf den Stiegen und Treppen gegeben. In der Vorburg, in deren noch wohl-erhaltenen Gebäuden Meierei, Butterei und Käserei des Gutspächters in bester Ordnung waren, hatte man große Bewegung beobachtet, die Zugbrücke war hochgewunden und die ganze Wasserfestung in Belagerungszustand versetzt worden. Auch hier wurde der Gebrauch gefährlicher Waffen, wie Heugabeln und Mistforken, verboten. Um 2 Uhr, als auch der Mond sich, gleichsam bestellt, eingefunden hatte, um dem ritterlichen und satzungsstrengen Kampfe zu leuchten, war auf beiden Seiten alles bereit. Die Kreuzfahrer waren sicher, | |
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ohne Mühe die Nacktläufer überrennen und sie nach einem kräftigen Bade im Burgwasser in ihre Kleider stecken zu können - denn wie sollten die armen Nackten sich verteidigen? Aber die Nacktläufer waren ebenso sicher, daß sie sich nicht ruhmlos ergeben würden, und schauten voll Stolz auf ihre Verteidigungsmittel nieder. Da rührte es sich in den Binsen, und plötzlich stießen von allen Seiten her die Kähne auf das Schloß zu. Wildes Geschrei. ‘Ergebt euch, ihr nackten Schweine!’ rief es aus den Kähnen. ‘Stopf' dir das ins Maul!’ rief es aus der Burg zurück, und ein weicher Käse flog dem Rufer im Kahn ins Gesicht. Und nun regnete es Käse, von bloßen Armen aus allen Fenstern und vom Wehrgange herab geschleudert. Weiche und harte Käse - doch war keiner so hart, daß er hätte wehtun können -, Handkugeln aus Butter gerollt bis zur Größe von Pfunden, Stücke aus Holländer Radkäsen herausgeschnitten, und schließlich setzte ein solches Trommelfeuer von Butter ein, daß nach kurzer Zeit Nasenlöcher, Augen und Mundhöhlen der Kreuzfahrer zugekleistert waren. Die Angreifer hatten den schmalen Streifen Landes um den Fuß des Schlosses erreicht - da strömte aus Eimern und Kübeln Milch auf sie herab, und schwere Geschosse zehn- und zwanzigpfündiger Radkäse krachten so dicht auf die Boote und Flöße nieder, daß diese tauchten. Als die Kreuzfahrer die Schiffe hinter sich versenkt sahen, erhöhte sich ihnen der Mut, die Leitern schlugen an, und bald stiegen die Kecksten in die | |
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Fenster. Der Mond spiegelte sich in Lachen Fettes auf dem Wasser und schien zu dem Aufruhr laut zu lachen. ‘Her, ihr Nacktläufer!’schrie es durch den Bau. ‘Her, ihr Nacktläufer!’ schrie es auf Stiegen und Treppen. ‘Her, ihr Nacktläufer!’ schrie es in den Zimmern und Kammern. Das Schloß brach fast vor dem Geschrei auseinander. Aber kein Nacktläufer war zu sehen! Bis auf die Speicher und den Wehrgang stürmten die Kreuzfahrer, immer mit dem Rufe: ‘Her, ihr Nacktläufer! Ihr nackten Schweine!’ Und der lauteste Rufer war der unter der stark und unvermittelt angeschwollenen Schar der Kreuzfahrer auch plötzlich erschienene Oberverwalter Engelmann von Pfaffenkamp, der wohlbekleidet mit wahrer papistischer Wut die adamitischen Nacktläufer zu suchen schien. Nichts fand man von ihnen, selbst nicht ihre Kleider, obgleich man im Schlosse das Unterste zu oberst kehrte. Da nun aber auch der Übermut sein äußeres Zeichen haben mußte, zerrte der Bauer Schmitz von Ürsfeld die letzten schwelenden Scheite aus dem Kamin in den Strohhaufen, auf dem die sündigen Sukkuben gefeiert worden waren - und bald brannten die fettbedeckten Dielen, die Treppen und Stiegen. Kaum retteten sich die Kreuzfahrer aus dem Schlosse über die nunmehr gesenkte Zugbrücke hinweg. Jetzt glühten alle Fenster von Tondern wie die Tore der Hölle, und als der Morgen kam, leckte die Flamme die hohe Helmtüte des Turmes hinauf. Der Schwamm war in den alten Gebälken gewesen, sodaß aus Fäul- | |
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nis und Feuchtigkeit stickige schwarze Dünste sich entwickelten. Wie ein ungeheures Fanal, viele Meilen im Lande Übermaas sichtbar, brannte der berühmte Turmhelm von Tondern mit dem Lohengrinschwan auf der Spitze. Der Schwan sang durch eine metallene künstliche Kehle im Schnauben der Flammen. Noch tagelang nährte sich das Feuer aus den Fettstoffen und ließ eine bedeutende Ruine im Lande zurück. Das war die Butterschlacht von Tondern.
So endete die Wallfahrt nach Kevelaer.
Es traf sich nun, daß gerade um diese Zeit der Krieg des preußischen Königs zu Ende ging und die verrohten Söldner der Heere beider Parteien, zusammengelaufenes Gesindel aller Völker, Spanier, Juden, Wallonen, Holländer, sich heimwärts über die westlichen Lande ergossen. Die minderen Glieder des Bocksbundes, gemeiner Herkunft und niederen Charakters, gerade die, welche Abenteuer in Aus-schweifungen und Verbrechen verkehrt haben, sehen Geistesverwandte um sich und fühlen sich mächtig zu ihnen hingezogen. Die Hundequäler, die Glockenstürmer, der Wallone Henri, der Schänder der Nonne, und die, welche das Melatener Unternehmen so übel verpfuscht haben. ‘Was sollen wir uns länger Strafpredigten halten lassen?’ fragen sie. ‘Warum lassen wir uns von den alten Hosenbläsern meistern? Wir verstehen das Einbrechen ebensogut wie sie! Sollen sie uns noch weiter unsere grüne Jugend vor- | |
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werfen? Nur der greise Neid der Alten schimpft auf die Jugend. Wir pfeifen auf ihre Weisheit! Die Jugend hat recht! Es lebe die Jugend! Wer hat sie zu unsern Oberen gemacht? Wir etwa? Nein, sie sich selbst - nun wohl, zeigen wir, daß wir sie nicht brauchen!’ Sie gründen, nunmehr in nächtlichen Unternehmungen geübt, auf eigene Faust Bünde und Banden. Aber noch geübter als die jungen Bockreiter sind die im schlimmen Kriegshandwerk erfahrenen Söldner. Und sie sind mit noch größerem Eifer bei der Sache, denn sie sind arme Teufel, die nicht der reine Wildmut allein treibt. Sie werden von selbst die Häupter der Bünde. Nicht mehr ein Haupt herrscht, der Häupter sind viele wie die hundert giftigen Köpfe der sagenhaften Schlange. Sie erkennen das alte Haupt nicht mehr an, und jede Bande lebt und arbeitet auf eigene Faust. Eine Schreckenszeit beginnt. Die Chroniken dieser Jahre sind mit Blut geschrieben. Die Sagen aus jenen Tagen machen noch den Erzähler sich schütteln, wenn er sie am Winterabend vor dem Kamine Kindern und Enkeln lebendig werden läßt. Dann heben die alten Leute warnend den Finger und träufeln ernste und schwere Worte in die Ohren der Kinder: Daß die Ordnung heilig ist! Daß mit der Ordnung spielen mit Gott spielen heißt! Daß, wenn schon das Abenteuer herrschen soll, auch Ordnung im Abenteuer sein muß! Sonst gnade Gott euch allen! Und die Kinder schweigen und schaudern. Und schwören im Herzen den Eid auf die Ordnung. | |
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Damals aber war sie zerbrochen. Wie ein köstliches Gefäß war sie zerbrochen, das kühne Hände aus dem sicheren Schranke genommen hatten und das plötzlich in Scherben am Boden liegt. In dem ganzen weiten Lande zwischen Rhein und Meer, von Köln und Neuwied an über die Wälder des Hunsrücks und die Pappelauen des Niederrheins bis in die Steindörfer der Wallonen und die Tuch erzeugenden Städte Brügge und Arras hatte bald jede Provinz ihre Bande, jede Mark ihre Horde. Und alle schrieben den blauen Bock aus Übermaas, den die Fama mit phantastischen Ruhme umkleidet hatte, als Sinnbild auf ihre Fahne. Die Sage kennt die Namen der berühmten Räuber, und die Großväter nannten sie uns mit gedämpften Stimmen, alle, vom ‘roten Hermann’ angefangen bis zu Schinderhannes, dem Pferdedieb, und Picard, dem ‘König der Nacht’. Und sieh da! Der aufgelöste Bockreiterbund aus Übermaas, Bockreiterwiege und Bockreitergarde, bildete sich wieder, sah sich gezwungen, sich wieder zu bilden, wie man einen Steppenbrand einem andern entgegen anzündet. Das Bild des Bockes konnte zwar nicht mehr ausgegraben werden, denn es war übers Meer gegangen, aber der Bock war kein beliebiges Kunstwerk mehr, er war ein Gedanke geworden. Doch was half es, daß die alten Bockreiter durch Abgesandte das Führerrecht der Tochterbanden beanspruchten - man lachte sie aus und schickte die Gesandten verprügelt heim. Was half es, daß sie durch Spitzel die Anschläge der Banden erforschen ließen und die | |
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von einem Überfalle Bedrohten warnten - die Spitzel wurden entlarvt, zu Krüppeln geschlagen, und einige ließen ihr Leben. Verachtete Juden, die handelnd durch die Dörfer karrten, machten die Spione. Wo sie erfuhren, daß ein Müller Geld für gemahlene Frucht, ein Bauer für verkaufte Kälber, ein Förster für geschlagenes Holz eingenommen hatte, da erschien nach Tagen oder Wochen plötzlich die Bande. Die Räuber stellen bei Beginn der Nacht rund um das Dorf Wachen aus. Die von den Feldern heimkehrenden Dörfler werden abgefangen und geknebelt in den Acker geworfen. Zur verabredeten Stunde dringen die Räuber von allen Seiten ins Dorf. Sie verstopfen das Schlüsselloch des Läuteturms. Durch viele blinde Flintenschüsse täuschen sie eine große Zahl vor. Das Haus des unglücklichen Erwählten wird umstellt. Mit einem ausgerissenen Wegweiser oder Wegekreuze wird die Tür eingerannt. Ins Innere dringen nur die kühnsten und bewährtesten Räuber. Sofort machen die Licht. Sie drücken die wie Stricke geflochtenen weichen Wachsstöcke mit den Daumen an die Mauer. Beim Lichte dieser Wandleuchter knebeln sie die Leute, werfen sie in den Winkel oder ins Bett und decken ihnen das Gesicht zu. Sie sprechen ein Kauderwelsch aus Französisch und Deutsch, stark gepfeffert mit soldatischen Ausdrücken. Finden sie nicht sofort das von dem Juden ausbaldoverte Geld, so suchen sie den Bauer durch Grausamkeiten zum Entdecken des Schlupfwinkels zu bringen. Sie treten | |
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ihn mit Füßen, sie brennen mit Lichtern seine Haare an oder entkleiden seine Frau. Dann spricht auch der verstockteste Bauer. Die neuen Bockreiter schonen auch die alten nicht. Der ‘König der Nacht’ bricht in Ürsfeld beim Bauern Schmitz ein, der gerade fünf Tonnen Wachs den Gottesjunkern des Münsters in Aachen verkauft hat. Der Bauer Schmitz ist eigensinnig und schweigt. Sie quälen ihn. Die Frau, die Kinder und die Mägde werfen sie geknebelt in den Keller hinab, wo der sie bewachende Räuber den Zapfen aus den Biertonnen schlägt. Er will sich die Langeweile vertreiben und die Gefangenen ein wenig baden; er wird schon zur rechten Zeit den Zapfen wieder ins Loch stoßen. Als das Bier den am Boden Geknebelten schon in die Ohren läuft, wird von den Wachen draußen plötzlich Alarm gerufen, die Bauern der Dorfschaft haben sich zusammengerottet und vertreiben die Räuber. Der Wächter stürzt in wildem Schreck davon. Der Bauer Schmitz, von den Freunden seiner Stricke entledigt, vergißt in Wut und Kampfeseifer seine in den Keller geworfenen Frauen - und als er nach einer Stunde, schaum- und blutbedeckt und selig in befriedigter Rache heimkehrt, findet er Frauen und Kinder im Biersee des Kellers ertrunken treiben. Der unverzehrbar erscheinende Reichtum des Landes ist plötzlich dahin, denn jeder Bauer vergräbt seine Vorräte. Der Handel stockt, weil es offenbar geworden ist, daß ein gutes Geschäft und eine Geld-anhäufung im Hause die Räuber auf sich zieht. Der | |
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Geldwert fällt, die Preise steigen, und war Armut früher fast unbekannt gewesen, so erscheinen bald die vergessenen Bettler, arbeitslose Fuhrleute und Flußschiffer. Sie sind als Baldover gefürchtet. Nur Schmiede und Schlosser haben zu tun, denn der Bauer, der in der Friedenszeit seine Tür zur Nacht vertraulich offen ließ, bestellt Schlösser für die Türen und Riegel für die Tore. Die Bettler, von den versperrten Türen abgekehrt, wenden sich aus Wut oder Not den Räubern zu und vermehren ihre Scharen. Die Räuber machen sich geflissentlich, aus Ruhmsucht oder um Schrecken zu verbreiten, den Glauben an den Bock, der durch die Luft reitet, und den ganzen Spuk des Blocksbergs zu eigen. Sie erzählen von sich selbst die Naturmären, und das Volk, das nach Erklärungen sucht, wie in aufeinanderfolgenden Nächten Schandtaten heute am Rheine und morgen an der Schelde geschehen können, glaubt sie gern. Viele Frauen, lüsterne, verwegene, verworfene oder verzweifelte, Lustdirnen aus den Städten, ehemalige Marketenderinnen und Ghefrauen der Söldner, nehmen, wie im alten Bockreiterbunde die ehrenhaften Frauen, in Männerkleidern an allem wilden Wesen teil, und nachts in den warmen Wäldern, wenn das geraubte Gut verteilt und der gestohlene Wein ausgetrunken ist, entfesseln sich die Begierden. Der Weiber sind weniger als der Männer, und eine idyllische und patriarchalische Weibergemeinschaft reißt ein. Aber die wilden Feste endigen mit Zank und Eifersucht, Prügeleien und Totschlägen, und das unterlegene Opfer wird | |
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noch warm in dem feuchten Waldgrunde verscharrt. Die Wildschweine werfen die Leichen heraus, die Ameisen nagen und schaben die Knochen glatt, und der herzogliche Förster, der nur wohlbewaffnet durch die Domänenwälder schreitet, stolpert über bleichende Gebeine. Der Herzog ist aus seiner Gutmütigkeit aufgeschreckt. Er ist alt geworden in Freundlichkeit, Milde und Gewährenlassen durch dreißig Jahre, aber die Furcht, in letzter Stunde sein ganzes Leben verdorben zu sehen, macht aus ihm einen späten Tyrannen. Er schreibt schwere Steuern aus für die Vermehrung der bewaffneten Macht und verschreibt sich von seinem Schwager, dem Klevischen Statthalter, eine kostspielige und harte preußische Truppe. Es ist altgedientes Berufskriegsvolk, dessen Hände an der Muskete schwielig geworden sind und alles sanfte Zufassen verlernt haben. Der preußische Friedrich, durch den Krieg verarmt, verleiht die Truppe gern durch seinen Klevischen Statthalter. Die harte Hand herrscht. Am Straßenausgang steht der Posten und sieht dich mißtrauisch an. Er verlangt von dir, wenn du zu deiner sterbenden Mutter ins Nachbardorf gerufen wirst, ein Papier, das Paß heißt - du wirst ihn bekommen, den Paß, aus tristigem Grunde, aus ernstem Anlasse, wie es die Krankheit deiner Mutter ist, wenn auch natürlich nicht im Handumdrehen; jedenfalls wirst du den Paß rechtzeitig haben, un die Mutter begraben su können. Auf jeder Brücke steht ein Posten. An jedem Wege- | |
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kreuz ein Posten. In deinem Hause liegen die Einquartierten, und dein Hof wimmelt von bewaffneten müsigen Volke, das deinen Knechten mit aufreizenden Reden in den Füßen steht und deinen Mägden in den Ställen und Scheuern nachstellt. Wenn du nicht schlafen kannst, so ist dir nicht etwa erlaubt, in der warmen Sommernacht ins Freie zu gehen, denn nach Anbruch der Dunkelheit darf sich kein Bürgerrock mehr sehen lassen und die Häuser müssen verschlossen sein. Und zur Winterszeit darfst du dir nicht den Kamin schüren und lesend dich ans Feuer setzen, bis der holde Schlaf kommt, denn der Rauch aus dem Kamine ist ein Signal. Du mußt in gutem haren Gelde zahlen, das der Staat in seine Kassen legt, aber dir gibt er wertloses mit seinem Vogel bedrucktes Papier und befiehlt dir zu glauben, daß es Münze sei. Denken darfst du, was immer du willst, aber du wirst doch so klug sein, keinen Gedanken und keinen Fluch über die Zähne hinaus entwischen zu lassen, denn gleich davor steht ein Bewaffneter oder doch ein Spitzel, und dann - weh dir! Belagerungszustand! Das furchtbare Wort lagert über allen Herzen. Du meinst, nie mehr fröhlich sein zu können. Du meinst, nie mehr lachen zu können. Du meinst, deine Wangen sind versteint. Deine Kinder drängen sich ängstlich um dich, dein Weib wagt nicht mehr allein in die Kirche zu gehen, dein Hund kommt ruppig und mit eingeklemmtem Schweife nachhause, und du glaubst, in seinem treuen Auge den durch einen Soldatenstiefel gekränkten | |
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Hundestolz zu lesen. Du möchtest aufschreien vor Wut - aber sieh, deine Kehle selbst ist wie alles ringsum der Furcht erlegen und wagt nicht, den Verzweiflungsschrei hinauszustoßen. Gewalt! Gewalt! Gewalt! Ist dir dann nicht - darfst du es auch sagen? darfst du es auch denken? - der Bockreiter noch lieber? Gewiß, die Räuber haben geraubt! Gewiß, die Mörder haben gemordet! Aber doch nur im Frühling und Herbste, nicht im Sommer und Winter, wegen der kurzen Nächte und der Spuren im Schnee, du kannst es dir denken. Aber man hat doch den Sommer und den Winter über atmen können, nicht wahr? Kannst du jetzt noch atmen? Liegt es nicht auf deiner Brust wie ein Stein, den du bei jedem Atemzuge zum Himmel heben mußt? Bockreiter und Soldaten! Wer hat das doppelte Unheil über das glückliche Land gebracht? Seine Buße muß ungemessen sein wie das Leid des Landes. Sagt nicht, daß niemand das Unglück gewollt hat. Sagt nicht, daß niemand es vorausgesehen hat. Wer mit großen Kräften spielt, muß die Gefahr ermessen. Wenn Äolus seinen Winden das Band löst, so zittert er jedesmal, ob er sie auch wieder in seine Höhle einfangen wird. Guter Glaube! Mit den guten Glauben kann man wohl in den Himmel kommen, aber nicht vor dem Richter bestehen. Niemals steht ein Glücksturm so fest, daß nicht ein Windchen ihn unversehens umwerfen könnte. Niemals grünt ein Baum so frisch, daß nicht ein Blitz ihn | |
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versengen könnte; und gerade die höchsten Bäume liebt der Blitz. Sagt immerhin: Sturm will Sturm! Nicht aus dem Blasen einer Gans wird der Blätterraubwind im Herbste - aber wenn das tückische Schicksal in das Feuerchen bläst, das spielende Knaben am Waldrand entzünden, so rast bald die Lohe durch Hag und Wald, durch Dorn und Steppe und versengt Städte und Länder. Spielt nicht, Menschen, mit den Funken der Einfälle eurer Köpfe, denn in euren Herzen lauert das Böse mit aufgeblasenen Backen, die voll stürmischer Winde sind! Schwer drückten die Soldaten auf das Land. Aber war auch Freiheit und Freude der Menschen dahin, so war doch die Ordnung wieder eingekehrt, wenn auch nur die trübe Ordnung der Gewalt. Das Land brachte wieder von selbst die Schätze seiner Fruchtbarkeit hervor, wie die Brüste der Mutter schwellen und strotzen unbekümmert darum, ob das Kind gestorben ist, das die Milch saugen soll. Des Bodens gebundene Kraft entfesselte sich, erst langsam, dann immer schneller. Räuber wurden in großer Zahl gefangen und gehängt, die neuen, die uneigentlichen, die falschen Bockreiter, die keine Ehre unter sich und kein Schweigegebot hatten. Aber der unerbittliche Herzog fahndete nach den alten, den eigentlichen Bockreitern, den Erregern der Bockreiterpest. Unsonst. Aber sie waren da! Und da sie nun einmal da sein mußten, so zeugten sie denn auch noch einmal von ihrem Dasein durch einen lustigen und burschi- | |
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kosen Streich, der ein unverkennbarer Bockreiter-einfall der besten Bockreiterzeit war. Der Herzog war mißliebig geworden, was Wunder? Als er einige Wochen außer Landes gegangen, nach Brüssel gereist war, um mit dem Statthalter der Kaiserin neue und schärfere Maßregeln gegen die Bockreiter im Lande Brabant zu beraten, ließ der Stallmeister, der auch ein Bockreiter alten Schlages war und irgendein persönlichen Handel mit dem Herzog haben mochte, die herzoglichen Pferde täglich in die Schwemme reiten. Sie wurden auf ein gewisses Hornsignal hin abgerichtet. Als der Herzog zurückgekehrt mit seinem Stabe zum erstenmale auf die Jagd ritt, erscholl plötzlich aus dem Hoensbruche neben der Jülicher Landstraße der Ton eines Hornes. Sofort brachen die Pferde ins Feld aus und in den nahen Hoenbruch hinein, wälzten sich im Sumpfschlamme, herzoglichen und fürstlichen Reitern kaum Zeit lassend, aus dem Sattel zu springen, und streckten die Viere in die Luft. Welch ein böser Zufall, daß gerade an diesem Tage unter den Erlen des Bruches viele Leute des Landes müßig gingen! Schlammbedeckt und schäumend vor Wut stiegen vor den hämischen Augen der Bürger Junker und Herren in die kotigen Sättel, trabten nach Jülich und gruben mit den Fersen in den blutigen Flanken der Pferde.
In Herzogenrat war Viehmarkt. In der Wanne des engen Marktes wogte die Menge summend hin und her um die Tiere, die an eingerammten Pfählen | |
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und Barren angekoppelt waren, auf der rechten Seite die Pferde, auf der linken die Horntiere. Die Pferde kehrten mit ihren strähnigen Schweifen die blanken Flanken ab, schlugen wild mit den Köpfen und traten mit den Hinterhänden nach Bremsen unter ihren Bäuchen. In zornigem Takte fielen die Eisen aufs Pflaster. Die Kühe und Rinder kratzten sich mit den langen Hörnern weit hinten im Nacken, pinselten mit den Quasten ihrer Schwänze das knochige Hinterteil und krauten sich mit dem gespaltenen Hinterhufe hinter den Ohren. Schließlich brüllten sie kläglich - dann rauschte die Wolke der Fliegen auf und verdunkelte den Markt. Aus den weißen Häusern der Langseite des Platzes wurden Türme von gelben Reisfläden auf geflochtenen Tellern heraus- und rote Fleischberge auf weißen Holzmulden hineingetragen. Lachen schwoll aus den Fenstern der Schenken und vermischte sich mit den letzten Klängen der lateinischen Messe aus der offenen Kirche an der Schmalseite des Marktes. Die Messe ging zu Ende, und mit den Menschen floß der Weihrauch aus dem Tore als der Atem der Kirche. Doktor Kirchhoff lehnte am Gitter der Terrasse vor dem Rathause. Es war aus roten Klinkerziegeln erbaut, und der Giebel trug schwer an der Last flandrischen Wulstwerkes. Der Doktor schaute gedankenvoll in das Treiben des Marktes hinab. Der Pfarrer kam aus der Kirche, auch der Abt erschien, und die Herren ließen sich auf der Terrasse am vordersten Tische nieder. Hinter den Schweifen der Pferde | |
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wurde freie Bahn geschaffen. Dicke fremde Männer mit goldenen Ketten auf dem Bauche standen am Rinnstein und ließen sich die Pferde vorüberführen. Im Schritt, im Galopp wurden die nur mit dem Halfter gezäumten Pferde marktauf marktab geführt. Rote Burschen, die rechte Faust unter dem Pferdekinn und das leinene Halfter in die Linke geschlungen, stürtzten auf nackten Sohlen neben den Rossen her, sie reißend oder von ihnen gerissen. Die schwarzen Mähnen der Pferde schlugen mit den roten der Roßburschen wie Flammen zusammen. Mit mächtigem kalten Blicke prüften die Fremden die Tiere; die Bauern aus Übermaas standen neben ihnen und betrachteten die Pferdekäufer aus bösen Augen, denn sie waren gewiß, daß nicht der kleinste Makel diesen Rossekennern entgehen würde. Die Pferde wieherten, die Rinder brüllten, Schafe blökten, Schweine grunzten, die Fenster der Häuser waren von Frauen besetzt, und Knaben liefen barfüßig, die Augen voll Glanz und Staunen und die Finger in Mund und Nase, im Gewimmel von Tieren und Völkern einher. Kinder standen gaffend vor den offenen Krambuden und wünschten sich die herrlichsten Geschenke der Welt. Die Eltern zogen die dicken Börsen und kauften und kauften. Neben den Krambuden waren Käse wie Mühlsteine groß aufgetürmt zu hohen runden Säulen, gelben und roten Säulen, auf denen das blaue Himmelsgewölbe zu lasten schien. Fett und leckergelb glänzten die Schnittflächen der Probekäse, von denen jeder- | |
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mann schneiden konnte, der kaufen wollte. Und wer nicht kaufen wollte, der mochte immerhin versuchen, es kam auf einen Radkäse nicht an. Rote Mädchenhände verwogen gelbe Butter in grünen Kappesblättern, das fettige Salzwasser troff ihnen wie Silberregen vom süßen Fleisch der nackten Arme. In Gatterkörben dichtgedrängtes Hühnervolk wurde für Groschen verkauft, und aus zahllosen Kiepen mit Eiern wurde das Dutzend zu 4 Pfennig in Hände, Hüte und Taschen gezählt. An durchgebogenen Stangen hingen Weintrauben vom Rheine, groß wie die Traube der Kundschafter aus dem Lande Kanaan, Äpfel machten die Bretter von Kisten und Kasten sich bauchen, und Kürbisse lagen da gelb und rot wie Blöcke ungemünzten Goldes. Bauernknaben warfen mit Eiern nach den Hunden, und Handkäse spießten sie zum Spaße den Rindern auf die Hörner. Junge Tauben guckten ihnen mit roten Augen und ruckenden Köpfen aus den Taschen, denn die Väter hatten den Söhnen die Taubenhäuser überlassen, damit die jungen Herren sich im Handel übten; aber was machten die sich daraus, für drei Tauben einen halben Groschen zu lösen? Da war es schöner, die Vögel sich an den Kopf zu werfen - mochten sie fliegen, wohin sie wollten. Der Bürgermeister und einige Schöffen waren zu den Herren auf die Terrasse getreten und hatten sich neben sie gesetzt. Die Fremden machten sogleich ihre Rücken krumm und senkten die Hüte bis zur Erde. ‘Warum habt Ihr die Orientalen zu Markte gelassen, Bürgermeister?’ frug der Pfarrer. | |
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Der zuckte die Achsel und wies auf den Marktschöffen. Dieser sagte: ‘Hier ist keine Nachfrage nach Pferden. Jeder Bauer fährt demnächst vierspännig. Die kommen aus Ostland und zahlen gut. Der preußische Friedrich braucht Pferde für seine Bauern.’ ‘Ihr hättet sie nicht zulassen sollen, Schöffe,’ tadelte der Pfarrer mit herbem Munde. ‘Sie passen nicht zu uns. Wenn Ihr einen Golddukaten in die Gosse werfen würdet, die Herren bückten sich und grüben ihn mit eigenem Zeigefinger heraus.’ ‘Ist das nicht ein bißchen ungerecht, Pfarrer?’ frug Kirchhoff. ‘Mag sein, aber ich kann sie nicht leiden. Sie sind Fremde. Sie sollen im Osten bleiben. Über dem Rheine ist Asien.’ ‘Das ist aber ganz gewiß ungerecht,’ sagte der Doktor. ‘Unrecht oder nicht, man muß auch den Mut zu hassen haben.’ Der Doktor schwieg. Aber der Pfarrer - es war ganz gewiß nicht mehr der gütige Pfarrer von früher; was hatte ihn nur so böse gemacht? - er sagte: ‘Ihr solltet nicht so liberal sein, Doktor. Die Menschen sind nicht reif dafür. Habt Ihr nicht genug an den Bockreitern erlebt? Auch das Bockreitertreiben habt Ihr, wenn auch nicht verteidigt, so doch beschönigt. Freilich, als es noch Einfall und Streich war, über den man lachen konnte. Nun haben wir das ärgste Unwesen im Lande. Und niemand leidet | |
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mehr daran als Ihr, das sieht man Euch an. Ihr seid alt geworden, Doktor, wißt Ihr das?’ Der Abt gönnte im Angedenken an den Hahn dem Doktor die geistliche Lehre und sah ihn triumphierend an. Der Pfarrer sagte noch: ‘Der liberale Sinn ehrt das Herz, aber nicht den Kopf, Doktor. Und nun, Bürgermeister, sobald die Bauern ihre Pferde verkauft haben, schickt die Orientalen zurück über den Rhein nach Asien, wohin sie gehören. Nichts für ungut, Kirchhoff,’ sagte er, dem Doktor sein Glas zum Anstoßen hinhaltend, ‘ich habe mich mit gemeint. Wir haben viel miteinander gelernt. Wenn ich gescholten habe, so schalt ich auf mich und auf meine Neigung, zuviel zu verzeihen. Aber auch der Heiland hat nicht immer verziehen. Auch er hat gehaßt. Denkt an die Tempeltreppe. Sollt leben, alter Freund!’ Als das Volk sah, wie der Pfarrer dem Doktor zutrank und ihn ehrte, entfachte sich plötzlich seine Laune, und hundert Männer drängten sich vor der Terrasse. Garben von Armen streckten sich dem Arzte entgegen, und seine Hände über das modische Rokokogitter reichend hatte er mit der Rechten und Linken zahllose Hände zu drücken. ‘Hoch Dokter! Hoch Kirchhoff!’ scholl es über den Platz, die Frauen in den Fenstern der Häuser klatschten in die Hände, die Kinder schrieen, Hüte wurden geschwenkt, Tücher flatterten, und die Rufe wiederholten sich. Wie Verliebte zu ihren Bräuten sahen Bauern und Städter zum Doktor auf die Terrasse hinauf, und nur allmählich verlief sich der Schwarm. | |
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‘Nun, wie ist Euch dabei zumute, Doktor?’ frug der Pfarrer. ‘Das muß doch eine hohe Lebensstunde sein, wenn Liebe und Gunst des Volkes ausbricht wie hier und pater patriä ruft?’ ‘Ach,’ sagte der Doktor, ‘die Ehre ist wie das Essen, es muß kommen, wenn man Hunger hat. Jetzt macht mir das alles kaum noch Freude.’ Er dankte müde mit der Hand in das Volk hinab und munter zu einem Fenster der Stadtapotheke hinauf, wo zwei Frauen sich niedergelassen hatten und mit Tüchern winkten, - Elisabet und Lotte. Der Rindviehmarkt war mittlerweile fast geleert. Die Bauern, welche gekauft hatten, standen mit ihren Jungstieren, sie an den Hörnern haltend, ungeduldig vor den Schenken, wartend, ob sich die Herren Soldaten wohl bequemen möchten. Der Herzog hatte angeordnet, daß während der Markttage die Viehherden wegen der Räuber und Bockreiter durch Soldaten geleitet würden. Endlich kamen die bewaffneten Herren heraus und zogen schankend und grölend hinter den Herden her fort. Durch den Torbogen, unter dem die Jülicher Landstraße als ein enger Schlund in den Marktplatz mündete, zogen neue Soldaten, andere Bauern geleitend, auf und stürmten die Schenken. Heute würden sie sich besaufen! Heute kostete es ja nichts! Die Bauern sollten zahlen! Der Pfarrer sagte: ‘Diese widerliche Soldateska! Sie merkt gar nicht, wie verhaßt sie ist! Wenn man dieser eingebildeten Bande in das Weiße der Augen schriebe, daß sie verhaßt ist, sie würde es nicht glauben.’ | |
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‘Die Feststimmung auf dem Markte war durch den Zuzug der Soldaten verdorben. Die Bauern und Bürger mieden die Berührung mit dem Waffenvolke. Mochten sie auf ihre Kosten zechen! Mochten sie ihnen auf der Tasche liegen! Aber sie sollten ihnen nicht zu nahe kommen! Sie sollten ihnen nur ja vom Leibe bleiben . . .! Man hatte sie zum Schutze geschickt, nun ja! Gut gemeint, aber schlecht geraten. Der Herzog hatte es gut gemeint, aber man sollte doch den Doktor Kirchhoff oder einen andern hervorragenden Mann nach Jülich senden und dem Herzog sagen lassen, sie hätten noch lieber mit Bockreitern als mit Soldaten zu tun. Tribut müsten sie zahlen, ob dem Soldaten oder dem Bockreiter - da sei ihnen dieser doch lieber. Nein, sie litten das hochmütige Pact nicht! Ganz und gar nicht! Die mochten drüben im Reiche beliebt sein, beim preußischen Friedrich oder auch beim französischen Könige oder wo immer, bei ihnen nicht! Nein, ganz und gar nicht! Das sollte der Herr Herzog wissen! Sie waren Bauern aus Übermaas und Bürger aus den rheinischen Städten. Sie liebten Fröhlichkeit und Gleichheit, sie haßten das stumme Gehorchen und die Kasten der Grade. Sie würden schon allein mit ihren Bockreitern fertig werden!’ ‘Denkt Euch, was für eine Geschichte mir da gestern von den Bockreitern erzählt wird,’ sagte der Pfarrer. ‘In Wittem soll ein Schmied wohnen, der in der heiligen Nacht nackt am Amboß stehend Sporen aus Galgennägeln schmiedet. Wer diese | |
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Sporen an den Füßen trägt, kann solange zu Pferde sitzen, wie er will, weder er noch das Pferd werden hungrig oder müde. Er kann in einer Nacht ganze Länder abreiten. Solch ein sündhafter Aberglaube!’ Nun wußten plötzlich alle die Herren Schöffen der Stadtverwaltung Bockreitergeschichten. Aber sie schwiegen natürlich, als der Pfarrer fortfuhr: ‘Ja, und ein bedeutender und reicher Pächter ist in Maastricht gewesen, und gegen Abend kehrt er nachhause zurück. In der Nähe von Meersen gesellt der Schmied aus Wittem sich zu ihm und sagt: Meister, es ist schon spät, wir werden den Abend nachhause mitbringen. - Das wird schon so sein, Schmied, sagt der Pächter, aber wir sind zu zweit und haben ja denselben Weg. In der Gesellschaft eines starken Schmiedes braucht man sich vor keinem Bockreiter zu fürchten. - Das braucht man wirklich nicht, sagt selbstgefällig der Schmied und schwingt seinen Hammer, den er über die Schulter geworfen trägt. - Ein Aachener Schmied hat einmal sogar einen Herzog von Jülich totgeschlagen, sagt der Pächter, um dem Schmiede Mut vor den Bockreitern zu machen, denn er selbst hat Angst. - Ja, das hat er, sagt der Schmied und lächelt, denn jeder Mensch ist eitel und meint schon, er ist gemeint, wenn einer seines Namens oder Berufes genannt wird. Aber ich schlage Euch vor, wir wollen uns ein Amenlang hier auf die geschälte Zaunstange setzen und verschnaufen. Wir haben noch 3 Meilen zu machen. - Der Pächter sagt ja. Auf einmal ist der Pächter eingeschlafen. Aber | |
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bald erwacht er und fragt den Schmied: Wo sind wir? - Zuhaus', sagt der Schmied. - Das ging rasch, meint der Pächter, doch mir tut mein Bein weh. - Das kann schon sein, sagt der Schmied, ich habe etwas niedrig gehalten, und so mögt Ihr Euch an dem Turmhahn von Klosterrat gestoßen haben.’ Der Pfarrer schaute befriedigt um sich und sah das Behagen der Hörer. Aber er mochte doch nicht zu so eitlen Menschen zählen wie Musiker es sind, die sich nach einem Konzerte verneigen und tun, als hätten sie das geschrieben, was der große Bach geschrieben hat. Das sprach er auch aus, und der Doktor höhnte leise: ‘Der große Bach aus Asien.’ ‘Laßt es gut sein, Doktor,’ sagte der Pfarrer. ‘Es heißt auch: ex oriente lux. Also ich habe die Geschichte nicht erfunden, ich habe sie nur erzählt.’ ‘Aber gut erzählt,’ sagte der Doktor; ‘wie etwas, das Euch Freude macht. Nur wenn man selbst Freude hat, erweckt man Freude.’ ‘Ich mag sogar Geschichten vom Teufel, wenn sie gut sind,’ sagte der Pfarrer, ‘nur ihn mag ich nicht.’ Nun waren die Herren alle geladen mit Geschichten. Dem Marktschöffen, mit seiner Geschichte schwanger, die noch viel schöner war, tat der Bauch weh. Die Herren machten den Mund auf wie Fische, wenn man Krumen auf den Teich streut, aber da auch der Herr Abt den Mund auftat, so schwiegen selbstverständlich die bürgerlichen Herren. Der Abt sagte: ‘Ich kenn auch eine Geschichte, die mir gestern der Herr Herzog erzählt hat, und sie ist sogar wahr, während | |
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der Herr Pfarrer uns unglaubhaftes Teufelszeug vorgetragen hat.’ Nun waren die Herren alle sehr neugierig und rückten näher an den Abt heran. Der Abt erzählte: ‘Der Vogt und Droste des Herrn Herzogs in der Bank Meersen läßt sich jeden Abend von seinem Gerichtsläufer Lennert Notermann, einem 17jährigen Jungen, Bericht erstatten, was in den letzten 24 Stunden vorgekommen ist, oder doch, was er von den Leuten gehört hat. Nun wissen die Herren, daß vor 14 Tagen die Gaudiebe versucht haben, in das Pfarrerhaus von Hoensbruch einzusteigen. Der Pfarrer aber hat die Diebe gehört, läuft durch den gedeckten Gang zur Kirche und läutet die Glocke. Worauf die Bauern kommen und die Geusen das Weite suchen. - Am folgenden Tage also erzählt der Gerichtsläufer dem Drosten, daß man bei dem Pfarrer von Hoensbruch habe einsteigen wollen, daß aber der Pfarrer die Glocke geläutet habe. “Da”, erzählt Notermann, “war es höchste Zeit, daß wir laufen gingen.” Schwupp, schließt mein Herr Vogt und Droste die Tür und hat den Lennert in der Falle. - “Du warst also dabei, Lennert?” Und Lennert Notermann ist so verstört, daß er rot wird, stammelt und anfängt zu heulen. - “Das ist der erste richtige Bockreiter, den wir gefangen haben,” fugte der Herr Herzog hinzu, “und nun werden wir dieser Bande wohl zu Leibe kommen.” Eine einfache Geschichte und schlecht erzählt,’ kritisierte sich spitzig der Abt, ‘aber wahr. Und die Herren werden sehen, was sie nach sich zieht.’ | |
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Schweigen - - Den Herren, denen vorher ihre Geschichte über die Lippen wegzufließen drohte, ist sie plötzlich in die Kehle zurückgesunken. ‘Nun?’ fragt der Pfarrer, sich im Kreise umsehend, ‘wer wird denn jetzt erzählen? Die Herren scheinen ja auf einmal ihre Geschichten vergessen zu haben?’ Da räusperte Kirchhoff sich stark, schickte einen Schluck Mosel durch die Gurgel und sagte: ‘Die Geschichte unseres Herrn Pfarrers war doch die schönere. Mit dem armen 17jährigen Notermann kann man nur Mitleid haben. Die Wahrheit ist so schrecklich eindeutig. Eine Geschichte muß erfunden sein, dann ist sie viel schöner. Die Welt dichtet nun einmal nicht.’ Der Pfarrer, redselig und durch das Lob ermuntert, und weil sich sowieso niemand mehr zum Worte meldete, sagte: ‘Nun, dann muß ich wohl wieder erzählen, wenn es auch nicht von diesen ewigen Bockreitern handelt. Mein Onkel war auch Pfarrer. Er geht wie jedes Jahr mit seiner Frühjahrsprozession durch die Felder und betet um eine gute Ernte. Rechts beten die Männer das Vaterunser bis zur dritten Bitte, links beginnen die Weiber mit der vierten: Unser tägliches Brot gib uns heute - und so fort, den ganzen Rosenkranz entlang. Der Pfarrer in der Mitte zwischen den Frauen- und Männerreihen gehend bemerkt, daß der Bauer Baltes schlapp im Beten ist. Aber er weiß aus langer guter Erfahrung, daß die Männer bockig sind - eine Frau würde er | |
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schon tadeln, aber den Baltes tadelt er lieber nicht. Wie man das als Pfarrer aus langer Erfahrung so hält. Plötzlich aber beginnt Baltes laut zu beten. Er übertönt alle anderen, reißt das flauwerdende Beten hoch, und die schläfrig gewordenen Männer tun wie erschrocken laut mit. Der Pfarrer nähert sich der Männerkolonne und fragt Baltes, warum er so laut bete. Baltes betet, indem er auf den Acker nebenan weist, zu Ende: “Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden - das Feld ist mein, Herr Pastor”. Mein Pfarrer aber sagt, indem er der Frauenseite noch schnell das Stichwort zuwirft: ‘Unser tägliches Brot gib uns heute - da hilft kein Beten, Baltes, da muß Mist drauf.’ Lautes Gelächter auf der Rathausterrasse. Zwei Hunde vor der Treppe, die Aufruhr entstehen wähnten, fielen bellend ein. Der Pfarrer, selbst pruschend, beschwichtigte im Hinblick auf das Volk da unten mit der Hand den Lärm und sagte: ‘Eine wahre Geschichte! Nicht besonders witzig, aber die wahren Geschichten haben es an sich. Man fühlt ein Menschenherz drin klopfen. Man hört es einer Geschichte sofort an, ob sie wahr oder erfunden ist. Unser trefflicher Freund Doktor meint, die Welt dichte keine Geschichten, nur der Mensch dichte. Aber ich meine, die wahren Geschichten sind sozusagen von Gott gedichtet.’ ‘Wahr oder nicht, sie ist gut erzählt,’ sagte der Doktor. ‘Das ist die Hauptsache. Erzählen, das heißt handfestes Geschehen handfest darbringen. Wie wenige können es!’ | |
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Am andern Ende des Marktes entstand plötzlich ein Auflauf, und nun wälzte sich ein Haufen Bauern gegen die Terrasse. Der größte Bauer stellte sich vor die Treppe hin und sprach: ‘Mit Verläub, Herr Abt und Herr Pfarrer und Herr Dokter und auch die anderen Herren, mit Verläub! Wir sind die Soldaten satt! Wir sind sie satt wie kalten Brei! Das sind wir! Denn wo der Soldat hinkommt, da findet er was - nur keine Bockreiter, die er finden soll, - und wo er weggeht, da läßt er was, nämlich unseren Mägden. Wir sind sie satt wie die sieben mageren Jahre! Und da meinten wir, wenn der Herr Dokter . . . ob der Herr Dokter sich nicht aufmachen will und in seine Stadt gehen und dem Herrn Herzog sagen: Siehe, unsere Bauern sind die Soldaten satt wie kalten Brei. Denn wo der Soldat hinkommt, da findet er was, und wo er weggeht, da läßt er was. Und mit dem Bockreiterfangen ist das auch nur ein schlechtes Geschäft. Denn die Bockreiter sind wie die Flöhe - wo man hinschnappt, da sind sie schon weg. Der Herr Dokter wird das dem Herrn Herzog schon richtig aufsetzen und ihm alles verklären. Denn der Herr Dokter weiß, wo den Bauer der Schuh drückt, denn er ist doch unsereiner, mit Verläub, er ist aus unserem Lande und kein Fremder. Aber die Soldaten sind alles hergelaufenes Volk, und sie achten nicht mein und dein und Weib, Magd, Ochs, Esel und alles, was im zehnten Gebote verboten und was nicht mit Ketten angebunden ist. Und da meinten wir, der | |
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Herr Dokter soll zum Herrn Herzog gehen und ihm das ordentlich verklären . . . und so . . und so . . ja . . ja . .’ Die Terrasse, an welche die Rede gerichtet war, verschwamm plötzlich dem Redner vor den Augen, aber er bemerkte deutlich, wie seitlich in der Nonnendammgasse eine rossige Stute auf eine andere stieg. Und die richtigen Gedanken zerbrachen ihm, und die Stücke fielen ihm wie Scherben durcheinander, aber falsche, nicht hergehörende, dachte er klar, denn er sah einen Jungen in seiner Nase bohren, und er dachte: Brich dir mal nicht den Finger, du kleiner Galgenstrick - Ach, welcher Redner hat das nicht auch erlebt! ‘Und so . . und so . . ja . . ja . .’, stammelte er - da kamen ihm die Genossen zu Hilfe: ‘Ja, ja, das meinen wir!’ riefen die Bauern, ‘der Dokter soll zum Herzog gehen! Der Dokter hoch! Der Dokter soll leben!’ Der Zuruf erhob sich und toste, wie an den Felsen die Meeresbrandung, an den Mauern der Häuser zu einer gewaltigen Kundgebung auf. Man klatschte in die Hände - auch de Pfarrer und Abt und Bürgermeister und die Herren Schöffen, sie klatschten. Alles klatschte, und tausend grobe Hände streckten sich den weißen des Doktors wie ein Wald von Bajonetten entgegen. Tücher flatterten wie Fahnen, Knaben stießen in die Jahrmarktshörner, es klang wie Schmettern von Trompeten - Aber kam das Trompetengeschmetter wirklich nur aus den Kinderhörnern? Das klang ja laut wie Schlachtruf und Erzmusik, wie die Trompeten des | |
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Jüngsten Gerichtes in den Schächten der Gassen und dem schmalen hohen Markte! Sieh da, unter dem dunkeln Bogen der Jülichergasse sprühten Funken auf, Rosse stoben herein, und Reiter besetzten die Schlünde der Gassen. Neben der Kirche hielt er selbst, der Herr Herzog, auf einem schnaubenden Fuchse, der einen Kopf höher war als die übrigen Rosse und wohl zu wissen schien, wen er trug. Das Volk drückte sich an die Häuser. Durch die freigewordene Gasse ritt der Vogt und Droste der Bank Meersen heran, sprang vor dem Rathause vom Pferde und warf die Zügel einem Knechte zu. Er trug einen weißen Stab in der Hand, seine Sporen klangen wie Glöcklein in der lautlosen Stille. Nun wandte er sich der Gesellschaft der Herren zu, und die Augen von Bürgern und Bauern leuchteten auf, da er ohne einen Gruß an Abt und Pfarrer und Bürgermeister und Schöffen vorüberging und auf den Doktor zutrat, der mit einer Hand das vergoldete Geländer hielt. Der Herr Herzog wollte den Dokter sprechen! Her Herr Herzog wollte ihn ehren! Nun würde der Dokter vor aller Ohren die Klage wider die Soldaten vorbringen. ‘Hoch der Herr Dokter!’ riefen einige. ‘Hoch der Herr Herzog!’ riefen viele. ‘Hoch der Herr Dockter!’ rief das ganze Volk. Wie der Stab in der Hand des Dirigenten sich erhebt und augenblicklich Stille im Sturme der Instrumente erzeugt, so erhob sich der weiße Stab des Vogtes, - tiefes Schweigen folgte dem Gange | |
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des Stabes, man hörte ein Pferd scharren und eine Tür im letzten Hause des Marktes zuschlagen -, der Vogt legte dem Doktor den Stab auf die Schulter und sprach laut - in der letzten Ecke des Marktes wurde es gehört -: ‘Doktor Kirchhoff, Hauptmann der Bockreiter, im Namen des Herzogs, Ihr seid verhaftet!’ Der Atem stand allen still. Eine Schwalbe schoß schrill von ihrem Neste unter dem Dachgesimse der Apotheke am Rathause vorbei in das Loch der Nonnendammgasse, und ihr dünner Ruf klang wie das Geschrei eines Raubvogels in der entsetzlichen Stille. Der Pfarrer hatte seinen Römer in der linken Hand und die Rückenlehne des Stuhles in der rechten. Er wurde weiß wie ein Laken. Jetzt zuckten seine Finger, er ließ das Glas fallen. Die Scherben klirrten am Boden. ‘Doktor . . Ihr - -?’ hörte ihn jedermann auf dem Markte sagen. Dann sank er hintenüber und dem Abte, dessen stämmige Breite sich gegen den sinkenden Körper stemmte, in die Arme. Ein Seufzer ging durch das Volk, aber er erstickte in der Stille. Man hörte auf dem Pflaster Kot einer Kuh niederklatschen. ‘Legt ihm Handschellen an,’ befahl der Vogt die Treppe hinab, und Knechte stürmten mit klirrenden Ketten herauf. Das Volk verstob in die Häuser und Gassen. Man sah einen Augenblick in der Luft schwebende Füße, wagerechte Rockschöße und die geraden Fahnen der | |
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Hunde. Die Markttiere waren von den Bauern davongeführt, ein Viehknecht zerrte die letzte widerspenstige Kuh in die Bäckergasse hinweg. Frauen hatten geschrieen, aber die Fenster schlossen sich, das Rathaus trank Schöffen und Amtspersonen, und bald war auf dem toten Markte nichts Bewegtes zu sehen als der Rauch von dem Miste, den das Pferd des Vogtes hatte fallen lassen. Wie Steinbilder von Helden auf dem Forum standen steif und starr Rosse und Reiter. Leise klirrten die dünnen Ketten in den Händen der arbeitenden Knechte. Ein verdeckter Wagen fuhr aus der Tiefe der Jülicher Gasse vor, der Gefangene wurde darauf geworfen, der Wagen stürzte davon, die Gasse schluckte Rosse und Reisige, und der Platz lag da leer und still. Ein Hund kam aus der Nonnendammgasse heraus und beroch den Roßapfelhaufen vor der Treppe. Dann hob er das rechte Hinterbein und trollte in die Bäckergasse . . .
‘Doktor Kirchhoff, wollt Ihr nicht aus freien Stücken zur Entlastung Eures Gewissens bekennen?’ frug der Erste Richter. ‘Verratet uns die Mitglieder der Bande.’ Kirchhoff schwieg. ‘Sprecht doch, Kirchhoff. Lieber Kirchhoff, sprecht doch!’ flötete jetzt der Erste Richter mit süßer Stimme, als spräche er zu seinem Kanarienvogel. ‘Ich werde nicht sprechen.’ | |
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‘Auch nicht,’ brüllte der verwandelte Richter, ‘wenn man Euch auf die Folter spannt?’ Kirchhoff schwieg. ‘Doktor Kirchhoff, ich spreche das peinliche Verfahren der Tortur gegen Euch aus, wenn Ihr nicht redet!’ drohte feierlich der Richter. Kirchhoff verneinte mit dem Kopfe. ‘Und wenn das Gericht Euch an den Galgen hängen läßt, Kirchhoff?’ ‘Meine Herren! Das Gericht, das mich in seiner Gewalt hat, kann mich rädern, hängen, vierteilen, verbrennen und meine Asche in die Winde streuen - es kann mich nicht bestimmen zu reden. Es wäre wider die Ehre, wenn ich spräche.’ ‘Doktor Kirchhoff,’ sagte der Richter, auf seine Verführungsgeige eine neue Saite ziehend, ‘Ihr genießt einen guten Leumund im Lande. Die Landschaft hat eine Bittschrift für Euch aufgesetzt. Der Pfarrer hat Eurem Charakter ein glänzendes Zeugnis ausgestellt, und der Abt hat gebeten, milde gegen Euch zu sein, wenn Ihr Euch wegen der Spottverse auf ihn öffentlich entschuldigen wollt. Das Gericht selbst ist Euch nicht übel gesinnt. Achtet das alles nicht gering. Verscherzt diese allgemeine Gunst nicht.’ Kirchhoff schwieg. ‘So geschehe mit Euch, was Rechtens ist,’ sagte seufzend der Richter. ‘Ihr habt die Milde verscherzt. Wir brauchen Eure Enthüllungen gar nicht. Wir haben Überraschungen für Euch. Führt ihn herein, Gerichtsdiener!’ | |
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Der Büttel ging zur Tür, öffnete, winkte in das dunkle Gewölbe hinein, und heraustrat - ‘Bürgermeister?’ rief Kirchhoff, ‘Ihr auch gefangen?’ ‘Der, und noch andere,’ triumphierte der Richter, ‘daß Euch die Augen aufgehen werden!’ Er winkte dem Büttel mit dem Auge zu, der winkte mit dem Finger in das Gewölbe, und heraustrat einer der Stadtschöffen. ‘Nicht wahr, Kirchhoff, das hättet Ihr nicht gedacht, daß man Eure famosen Herren Kapitäne einfangen würde?’ jubelte der Richter. Wieder winkte er mit dem Auge, wieder winkte der Büttel mit dem Finger, und herauskamen Oberverwalter Engelmann von Pfaffenkamp und der Bauer Schmitz aus Ürsfeld. Wieder winkte der Richter mit dem Auge, wieder winkte der Büttel mit dem Finger, und in das Gerichtsgewölbe traten Ritter Mylenkamp von Schönau und sein Pächter Jan Kroë. Nachdem noch eine Reihe bleicher Sünder aufgetreten war, sagte der Richter: ‘Nun, Kirchhoff, Ihr seht, das Gericht weiß mehr als Ihr glaubt, vielleicht mehr als Ihr selbst. Wollt Ihr nun reden?’ ‘Wenn das Gericht mehr weiß als ich selbst, was will es dann von mir wissen?’ Der Richter, zornig geworden, weil der Mensch ihm sein künstliches dialektisches Gespinst zerstörte, das er wie eine böse Spinne sinnreich ausgespannt hatte, um den Angeklagten darin zu fangen und ihm | |
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das Blut seines Wissens auszusaugen, wollte den letzten Trumpf ausspielen und winkte mit der Hand nach der Tür; aber der dicke Beirichter fiel ihm in den Arm und beruhigte ihn flüsternd. Er sah behäbig lächelnd auf die Armsünderschar nieder, als ginge es bei dieser nicht um Hals und Kragen. Der zweite, der magere Beirichter feilte an seinen Fingernägeln. Ihm schien die Angelegenheit sehr unangenehm zu sein, er sah die Angeklagten mit so freundlichen Augen an, daß zu schließen war, er werde für Freisprechung sein. Der Vertreter der Anklage saß da, mager und hager, die Arme vor der Brust gekreuzt, Gesicht aus Stein und Figur aus Erz. Er würde mit dieser Pest aufräumen! Auch der Bürgermeister, der Schöffe und Ritter Mylenkamp weigerten sich zu sprechen. ‘Ihr seid ja eine ganz tückische Bande!’ rief hitzig der Richter. ‘Sie will noch Anstand und Ehre haben, die Verbrechergesellschaft! Ich werde Euch die Zunge zu lösen wissen!’ ‘Herr Richter, Ihr solltet uns lieber nicht reizen!’ sagte zweideutig der Bürgermeister, indem er den roten Ziegelboden anschaute. ‘Ruhig, Bürgermeister!’ sagte Kirchhoff leise. ‘Ich verbiete den Angeklagten jedes Gespräch untereinander,’ schalt der Richter. ‘Ich leite die Verhandlung. Gerichtsdiener, der nächste!’ Der Büttel rief in das Gewölbe: ‘Lennert Notermann!’ Er selbst stand im Dunkel, und während der Junge vorüberschritt, stieß ihn der Büttel in | |
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die Rippen und flüsterte heftig: ‘Willst du wohl schweigen, Unglücksbursche!’ Lennert Notermann kam in den Gerichtsraum. Er war ein magerer Junge, die Kleidern schlotterten ihm um den Leib. Seine Augen waren rotgeweint, er drehte ein nasses buntes Tuch in zitternden Händen. Als er die ganze schreckliche Feierlichkeit des Gerichtes sah, brach er gleich in Tränen aus und sank auf die Anklagebank. ‘O meine arme Mutter!’ schluchzte er. ‘Ich will zu meiner Mutter!’ ‘Du sollst, wenn möglich, zu deiner Mutter,’ sagte zärtlich der Richter, ‘doch sollst du zuvor offen sprechen. Weine nicht, Junge, sprich. Erkennst du die Herren da wieder?’ ‘Ja,’ sagte Notermann aus roten Augen aufsehend, ‘ja. Sie waren alle dabei. Und da der eine Herr Richter war auch dabei, und der Herr Gerichtsdiener.’ Da sprangen Vorsitzender und Anklagevertreter auf. ‘Was,’ rief der Richter, ‘Junge, bist du des Teufels? Der Kollege hier und der Gerichtsdiener?’ ‘Ja, ja,’ sagte heulend der Junge, ‘die waren auch dabei. Nun will ich aber zu meiner Mutter! Ich will zu meiner Mutter!’ Der magere Beirichter war weiß wie das Papier, das vor ihm lag, und starr wie der Frosch vor der Schlange. Er versuchte keine Bewegung und Widerrede. Des Ersten Richters Blick durchbohrte ihn. Der Büttel ließ das Schlüsselbund fallen und starrte den Richter mit offenem Munde an. Notermann | |
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weinte still in sich hinein, und seine Schultern zuckten heftig. Der Vertreter der Anklage aber erhob sich, nahm das an der Erde liegende Schlüsselbund auf und stellte sich selbst als Büttel vor die Tür. Der dicke Beisitzer räumte seine Papiere zusammen, ging um den Vorsitzenden herum, legte dem Kollegen Beirichter die Hand aud die Schulter und flüsterte ihm lächelnd, als wär's eine gute Nachricht, ins Ohr: ‘Verhaftet. Ihr auch, Gerichtsdiener,’ lächelte er über den grünen Tisch hinüber. ‘Nun können wir ja frühstücken gehen,’ wandte er sich an den Vorsitzenden. Der, aus maßloser Überraschung sich erholend und den Kopf schüttelnd, hob die Sitzung wegen Unzuständigkeit des Gerichtes auf und floh fast vor der zutage getretenen Schlechtigkeit der Welt aus dem Raume. Der Anklagevertreter ließ die beiden Herren hinaus und schloß hinter ihnen ab, wartend, bis der Richter neue Büttel hereinschickte, die - vielleicht - nicht auf die Anklagebank gehörten. Notermann weinte laut.
Am nächsten Tage war das Gericht wieder zuständig, nachdem der zweite Beisitzer und der Büttel durch andere Personen ersetzt waren, die - wenigstens wahrscheinlich - keine Bockreiter waren. Der dicke Beirichter würde es haben gut sein lassen und würde, ohne den Angeklagten lästige Umstände zu machen, sie kurzerhand zu Rad, Galgen oder Scheiterhaufen verurteilt haben. Aber der Erste Richter war ein Hitzkopf der Gerechtigkeit und hatte sich in den | |
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Schädel gesetzt, dem ganzen Landschreck auf einmal ein Ende zu machen. Wußte er doch selbst, daß er der tüchtigste Richter landauf landab war, und die Welt und der Herr Herzog sollten das auch endlich wissen. Er würde den Räuberhauptmann peinigen bis aufs Blut! Er würde ihm das Mark aus den Knochen fragen! Wußte er doch, daß er der erste Richter landaus landein war. Und wenn's nötig war - wozu gab es Schrauben, Folter und spanische Handschuhe? Wollen doch sehen, wer den dicksten Kopf hat! Wollen doch sehen, wem zuerst die Geduld springt! Und ob ein Räuberhauptmann dem ersten Richter im Lande trotzen wird! Auf die Probe wollte er es ankommen lassen! Das wollen wir doch sehen! Der dicke Beirichter, der von Herzen liberale Mann, der die Bockreiter auf dem kürzesten Wege an den Galgen befördert hätte, - Doktor Winands hieß der Gute - lächelte, schmunzelte, schwieg. Der Vorsitzende wollte beweisen, daß er der erste Richter landauf landab (das größte Schaf landaus landein, hieß das in den Gedanken des Doktors Winands) war - gut, er sollte den Beweis erbringen! Die Welt und der Herr Herzog würden sich ja selbst überzeugen. Ihm, Winands, konnte es recht sein. Der zweite Beirichter, Ersatz-Bockreiter, war wie der Vorsitzende ein strenger Mann. Ach, wie sind die Menschen! Der Arme fühlte, daß von seinem unwürdigen Vorgänger, daß selbst von dem Stuhle seines Vorgängers noch etwas an ihm kleben bleibe und daß er sich darum Mühe geben müsse, gerechter als Justitia | |
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selbst zu sein. Er hatte ein Dutzend scharfgespitzter Bleistifte vor sich hingelegt, die wie Lanzen über den Tischrand weg die Angeklagten bedrohten. Kirchhoff sagte: ‘Der gestrige Tag hat für das Gericht solche Überraschungen gehabt, daß es wohl das Ratsamste wäre, es stellte weiteres Suchen ein. Vielleicht gibt es noch mehr Überraschungen -’ ‘Ja, für Euch!’ unterbrach ihn der Richter. ‘Nein, für Euch,’ sagte Kirchhoff. ‘Ha,’ rief der Richter, ‘Ihr sollt sehen! Ihr werdet's ja erleben!’ (Esel, dachte der gute Doktor Winands; nur um recht zu behalten, spielt er den höchsten Trumpf zu früh aus!) Der Richter winkte, der Büttel winkte, die Tür tat sich auf, und hereintrat - Kirchhoff griff an seinen Kopf. Er tastete nach der Lehne der Bank. Der Raum schwankte ihm wie ein Schiff in Fahrt. ‘Lotte!’ schrie er auf. ‘Wo du bist, bin auch ich, Vater, ob in der Wolfsgracht, im Gefängnis oder wo immer.’ ‘Nun bin ich stark! O Lotte!’ rief Kirchhoff. ‘Keine Privatgespräche!’ brüllte der Richter. (Rindvieh! dachte Winands. Wie schön ist das Mädchen! Schade! Zu schade für die Raben! Die wäre besser für -) aber er konnte den süßen Gedanken nicht zu Ende denken, denn der Richter hatte mittlerweile wieder darauf aufmerksam gemacht, daß er die Verhandlung leite und daß er der Erste sei (wenn es Dummheiten zu machen gilt, alter Schafskopf, dachte Winands. Wegen eines solchen Mädchens würde auch ich Bockreiter.) | |
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Lotte aber fiel Kirchhoff um den Hals und küßte ihn ‘so’ auf den Mund. Dann ließen sie sich fahren, behielten aber einander bei der Hand. Ein verklärtes Paar standen sie vor dem Richtertische. Sie sagten auf die neue Frage des Vorsitzenden, sie würden schweigen bis in den Tod. Der Beschluß des Gerichtes lautete dahin, daß beide störrische Angeklagte auf die Folter zu spannen seien. Der gute Doktor Winands wußte den Beschluß dahin zu erläutern, daß der Erste Richter im Hauptsaale bleiben und die gemachten Aussagen aufschreiben sollte, die der Richter-Bockreiterersatz dem im linken Gewölbe gefolterten Kirchhoff und die er dem im rechten Gewölbe gemarterten Mädchen abpressen würde . . . Die Seile knarrten, der Folterbock ächzte, und Lotte schrie. Sie hing, an Händen und Füßen angebunden, so gerade wie eine Stange. Die Füße und Hände waren rot, der übrige schmale Körper bleich und blutlos, und ihre kleinen Brüste lagen weiß wie zwei Häuflein frischgefallenen Schnees darauf. Wie eine Fahne hing ihr langes schwarzes Haar senkrecht zum Ziegelboden herab. Auf ihren Knieen, in den Hüften und den Armhöhlen liefen Furchen, in die man einen Finger hätte legen können, denn die Gelenkköpfe waren aus den Pfannen getreten, und die Gelenke hielten nur in den Bändern zusammen. Doktor Winands gab dem Henker einen Wink. Augenblicklich drehte der die Rolle zurück, der Leib des | |
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Mädchens sank zu einem flachen Bogen ein. Winands winkte immerzu, bis der jungfräuliche Leib den Boden berührte. Winands schob schnell ein Kissen unter. Nahe herantretend und mit verliebten Augen sie betrachtend sagte er: ‘Nun rede, Kind. Was soll die unnütze Quälerei? Rede! Sprich! Augenblicklich binde ich dich los.’ Lotte frug vor Schmerzen leise: ‘Hat Josef Kirchhoff gesprochen?’ ‘Hat Josef Kirchhoff gesprochen?’ gab Doktor Winands die Frage aus dem Gewölbe hinaus unwillig weiter. Zur Antwort knarrten drüben die Taue. ‘Nein,’ sagte Winands betreten. ‘Dann spreche ich auch nicht,’ sagte Lotte und schloß die Augen, neue Marter erwartend. ‘Spricht die Angeklagte?’ rief aus dem Hauptgewölbe die Stimme des Ersten Richters. Winands ließ ihn die Frage wiederholen und rief dann unwirsch: ‘Nein!’ und halblaut ‘Esel!’ Und lugte gespannt nach Lotte, ob er nicht für die Parteinahme gegen den Ersten Richter einen kleinen Dankesblick erhalte. Lottes Augen aber blieben geschlossen. Da winkte Winands seufzend wieder dem Büttel, die Rolle knarrte, und langsam hob sich der holde schlanke Leib vom Boden empor. Winands konnte das Leiden nicht mehr mit ansehen und ging hinüber durch den Hauptraum, in dem die Richter und die Zeugen saßen - sie saßen so, daß sie einen halben Blick auf das nackte Mädchen hatten, während sie | |
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dem zweiten Raume, in dem Kirchhoff auf der Folter hing, den Rücken zukehrten. Winands sah Kirchhoff ins Gesicht und sagte böse: ‘Warum laßt Ihr das Mädchen so quälen, Kirchhoff? Sie bittet, sprechen zu dürfen . . .’ Aber war das Echo in diesen gewölbten Räumen so, daß es die Lüge in Lottes Ohr trug, oder ahnte diese, was der Lügner sagte - plötzlich scholl ihre Stimme laut durch die Gewölbe: ‘Es ist nicht wahr, Vater! Ich rede nicht!’ Kirchhoffs Gesicht verklärte sich in seinem Schmerzen. Wütend kehrte Winands in den Verhandlungsraum zurück. Aber welche Bewegung war dort? Warum waren sie alle, Richter und Zeugen, so erregt? Alles starrte nach der Tür - auch Kirchhoff und Lotte, die von ihren Folterbänken gerade auf die eisenbeschlagene dicke Bohlentür sehen konnten. Sie stießen Rufe der Überraschung aus. Denn im Türrahmen lehnte - Elisabet. ‘Richter,’ sprach sie, ‘ich bin auch ein Bockreiter.’ Die Männer des Gerichtes sahen sich an, Angeklagte und Zeugen sahen sich an, und die Leiber auf den Foltern zerrten an den Seilen. Auf einen Wink des Richters wurden sie losgebunden, mit ihren Kleidern flüchtig behängt, und nun schwankten sie in den Saal. Die auseinandergerenkten Glieder aber konnten die Körper nicht aufrecht erhalten, die Leiber fielen wie Gliederpuppen zusammen. Kirchhoff und Lotte wurden | |
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nebeneinander auf die Bank gesetzt und Elisabet vor den Richtertisch geführt. ‘Warum tatest du das, Elisabet?’ frug Kirchhoff leise. Diese, Josef und Lotte ansehend, sagte: ‘Ich bin eifersüchtig.’ Der ganze Saal, selbst der Erste Richter, fühlte das Mysterium, das da zwischen den drei Menschen sich abspielte. Es war ganz still. Elisabet sagte zu Lotte: ‘Daß du Josef liebtest, daß du mit ihm glücklich warst, das konnte ich ertragen. Daß du allein mit ihm leiden solltest, nicht. Verzeiht mir.’
Nun ging die Verhandlung rasch zu Ende. Am nächsten Tage wurde das Urteil gesprochen. Alle Untaten der Bockreiter, vom kleinsten Unfuge bis zum größten Verbrechen, wurden Kirchhoff als dem geistigen Urheber zur Last gelegt, wenn auch festgestellt wurde, daß er an keinem Verbrechen unmittelbar Schuld trage, daß er im Gegenteil wie ein Erzengel Michael gegen die Untat gekämpft, daß er in ehrlicher Überzeugung gegen die Nacktläufer den Kreuzzug angeführt habe und daß ohne ihn und seinen mächtigen Einfluß größere und schlimmere Verbrechen geschehen sein würden. Es gab nur eine Strafe, den Galgen, für ihn und alle Bockreiter. Noch viele wurden im Laufe des Tages verhaftet und überführt, ohne daß einer der Kirchhoffs die Lippen zum Verrate geöffnet hätte. Kirchhoff starb ganz gefaßt und gestärkt mit den | |
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Heilsmitteln der Kirche. Ein großes Unglück trage sich leichter als ein kleines, und ein Unglück, das gesetzmäßig, eine strenge Dichtung der Natur, heranwachse, sei sozusagen kein Unglück. Und die, welche böse sein mußten, wußten nicht, was sie taten. So hatte der Doktor mit einer ruhigen und großartigen Handbewegung dem Pfarrer im Gefängnis gesagt. Der Pfarrer aber war nicht des gleichen heitern Glaubens. Grimmig uns bissig war er geworden, und giftig sagte er: ‘Fahrlässig ist er gewesen. Er hat nicht die Bosheit der Menschen in Rechnung gesetzt. Alles muß Glück haben, auch das Unglück muß sozusagen Glück haben. Auf günstigem Boden wird aus einem Kirschkern ein Fruchtwald, aus einem Fünkchen ein Weltbrand. Der Boden für ein allegemeines Unglück ist die unergründlich böse Natur des Menschenherzens. Alle halben Jahrhunderte einmal, bei einer Pest, einem Aufruhr, einem Kriege, wirft der Mensch sein heuchlerisches Gewand von Kultur und Gesittung ab, die nackte Bestie rast, und der Menschenfreund, schaudernd aufmerkend, sagt zum Schöpfer: Lieber Hund oder Wanze als Mensch! - Wer einen guten Gedanken, ja auch nur einen lustigen Einfall hatte - er gebe ihn ja nicht den Menschen in die Hand! Er verschließe ihn ja in sein Herz oder seine Kammer, denn entläßt er seinen Gedanken auch nur einen Tag auf die Straße, er wird mit Schaudern sehen, wie er beschmutzt und verdreckt gleich einer Dirne aus dem Straßenschlamm zurückkehrt. Mich ekelt . . .’ | |
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Drei Jahre dauerten damals die Verfahren und Vollstreckungen. Im ganzen Lande Übermaas und Brabant wurden die Bockreiter zu Paaren getrieben. Zuerst wurde in den einzelnen Gerichtsgemeinden gehängt. Als diesen aber die Kosten zu groß wurden, wandten sich die Stände an die Regierung von Brabant um Darlehen für die Hinrichtungskosten, und der gütige kaiserliche Statthalter übernahm schließlich alle Ausgaben auf die Staatskasse. Ein leeres Schloß, Kasteel Amstenrade nahe bei der Ruine Tondern, wurde als Haupt- und Sammelgefängnis eingerichtet. Es starben auch: Der schwarze Henri, der Wallone (er erwürgte sich in der Haft in Amstenrade mit dem Bettstroh und wurde mit einem Beine an den Galgen gehängt). Der Ritter Mylenkamp und sein Pächter Jan Kroë. Sechs Frauen (sie hatten bei einem Kirchenraube die heilige Hostie mit Füßen getreten und wurden zusammen verbrannt; Trommeln rasselten, um ihre Schmerzensschreie zu übertönen). Die Frau des Picard, des ‘Königs der Nacht’ (sie war mit ihrem Manne eingefangen und zunächst freigelassen worden, nachdem sie mit einem glühenden Eisen auf Schulter und Wange gezeichnet worden war; als sie sich aber nach neuen Vergehen in der Schinderhannesbande wieder fangen ließ, wurde sie an den Galgen gehängt, an dem die Gebeine ihres Mannes noch baumelten). Ein Nadelmacher aus Aachen, genannt ‘der rote Hermann’, Hauptmann einer brabantischen Bande (er war eben der, welcher ehemals den Melatener | |
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Bauer in den Mist gestoßen hatte); Richter und Gerichtsdiener (sie wurden gerädert und dann gehängt), der Bürgermeister aus Herzogenrat, ein Schöffe aus Aachen (er hatte lange Jahre den Arm Karls des Großen in der Fronleichnamsprozession getragen) und der junge Lennert Notermann (er starb vor Schreck, als er den hohen Galgen vor dem lichten Himmel ragen sah, und wurde unter dem Galgen begraben). Noch viele wurden gerädert und dann gehängt, erwürgt und nachher verbrannt, gehängt und darauf verbrannt, gevierteilt und zuletzt gehängt. Meister Philipp, der Scharfrichter, verdiente durch die Torturen, Auspeitschungen und Hinrichtungen an 500 Goldgulden. Auch die Geistlichen von Klosterrat bekamen eine gerechte und angemessene Vergütung für den letzten Beistand, welchen sie den Verurteilten leisteten. Das ganze Land Übermaas roch nach Menschenaas. |
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